Der BND-Eine Behörde im Westen

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Der BND-Eine Behörde im Westen
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Walter Brendel

Der BND – Eine Behörde im Westen

Nr. 2 der Reihe Zeitgeschichte

Der BND – Eine Behörde im Westen

Walter Brendel

Nr. 2 der Reihe Zeitgeschichte

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2022

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einleitung

Erster Teil: Der braune Spuk

Zweiter Teil: Schaut auf dieses Land

Dritter Teil: Eine neue Zeit und alte Bekannte

Einleitung

Eine Behörde, von laufenden Geheimnissen umhüllt, soll im Mittelpunkt des Buches stehen. Wir gliedern es in drei Teile, um den Weg dieser Behörde bis heute zu verfolgen. Der Bundesnachrichtendienst, geboren aus braunen Gestalten der Vergangenheit, soll im ersten Teil behandelt werden.

Im Geist des Antikommunismus entsteht Anfang 1946 auf Initiative der USA der westdeutsche Auslandsnachrichtendienst. Gründer ist der ehemalige Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen.

Ohne moralische Skrupel werden auch ehemalige Mitglieder von SS, SD oder Gestapo für die Organisation Gehlen und später den BND rekrutiert. Der Krieg der Geheimdienste von West und Ost im geteilten Deutschland bestimmt die Ära Gehlen bis zum Mauerbau 1961.

Zu Beginn ist es keine Stunde null, es ist ein Deal zwischen Siegern und einem Besiegten. In den ersten Jahren spionieren die Westagenten noch im Auftrag und im Sold der US-Amerikaner und ausschließlich in Richtung Osten.

Reinhard Gehlen prägt bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1968 als Präsident des nun BND genannten Geheimdienstes eine Ära. Sie ist beeinflusst von den schweren Belastungen durch das nationalsozialistische Erbe der neuen westdeutschen Schlapphüte, durch Verrat, Ohnmacht und Versagen angesichts eines sich zuspitzenden Ost-West-Konfliktes und der Spaltung Deutschlands und der Welt. Der erste Teil der Reihe beschreibt, wie Reinhard Gehlen ohne moralische Bedenken aus dem Reservoir zum Teil schwerstbelasteter ehemaliger Angehöriger von SS, SD, Gestapo und nationalsozialistischer Politik einen Geheimdienst aufbaut. Der Organisation Gehlen gelingt es durchaus, seine weitgehend ahnungslosen Auftraggeber auf der anderen Seite des Atlantiks zu blenden und mit echten Erfolgen zu beeindrucken. Dabei werden auch bis heute nicht bekannte Fälle anhand neuester Aktenfunde dargestellt. Etwa der des ehemaligen Finanzministers und zu Landsberger Festungshaft verurteilten Lutz Graf Schwerin von Krosigk, der mit fast seiner gesamten Familie bei der Organisation Unterschlupf findet.

Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht die allmähliche Emanzipation des westdeutschen Geheimdienstes von den USA. Beschrieben wird eine erste Phase der Globalisierung der bundesrepublikanischen Spionage im Zeichen der weltweiten Stellvertreterkonflikte des Kalten Krieges.

Es ist eine Zeit, in der die Pullacher Agenten erstmals über die weltweite Landkarte des Spionagegeschäfts und von Skandal zu Skandal stolpern. Die wenigen spektakulären Erfolge dieser Zeit - wie die Anwerbung des KGB-Obersten "Victor" im Zentrum des Kremls und seine spektakuläre Rettung nach seiner Enttarnung oder die effizienten Bemühungen um die Freilassung deutscher Geiseln im Libanon oder die Suche nach Verbindungen zu untergetauchten Terroristen im Nahen Osten - kann der Geheimdienst zur eigenen Ehrenrettung nicht in der Öffentlichkeit ausspielen.

Mit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan beginnt der Untergang einer Weltordnung, die die europäische und globale Nachkriegszeit bestimmt hat. Wie positioniert sich der BND im geopolitischen Hotspot Afghanistan? Was weiß der BND über den inneren Zustand der DDR und der Sowjetunion? Ist der BND vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte vorbereitet auf einen kommenden großen Umbruch der Weltordnung? Und wenn ja, was hat es ihm genutzt?

Der dritte Teil der Reihe steht ganz im Zeichen der beiden großen welthistorischen Umbrüche am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts: dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme sowie den Terroranschlägen des 11. September 2001. Alte Gegensätze und Gegner scheinen verschwunden, und neue Feinde und tödliche Bedrohungen tauchen auf.

Die Welt ist nun konfrontiert mit neuen Frontverläufen, asymmetrischen Kriegen und vermeintlich notwendigen Invasionen, die auf Lügen basieren. Die Geschichte des BND vom Mauerfall bis in unsere Tage ist die Erzählung eines Geheimdienstes auf der Suche nach Orientierung. Alte Werte und sicher geglaubte Wahrheiten haben scheinbar ihre Geltung verloren. Im Zentrum steht die Frage nach der künftigen Rolle des BND in einer Welt, in der immer wieder neue Bedrohungsszenarien durch staatliche und nicht staatliche Akteure den deutschen Geheimdienst vor neue Herausforderungen stellen.

Das Buch erzählt die Geschichte des westdeutschen Auslandsgeheimdienstes in drei Teilen chronologisch vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die Gegenwart.

Erster Teil: Der braune Spuk

Der Bundesnachrichtendienst, sieben Jahrzehnte Spionageschichte. Legenden und Skandale, geheime Operationen. Der Kampf zweiter deutscher Staaten gegeneinander unter dem Motto: tarnen, täuschen, aushorchen.

Der 17. Juni 1953 und der 13. August 1961 sind besondere Ereignisse im Kampf der Systeme. Die Welt am Abgrund – der Kalte Krieg. Der westdeutsche Geheimdienst in Zeiten der Gefahr und der Hoffnung. Eine Geschichte von Freiheit und Terror.

Der nüchterne Behördenname: „Bundesnachrichtendienst“, doch es geht um Leben und Tod, um Lügen und Wahrheit, um Freund oder Feind. Am Anfangen stehen Männer, die einst Hitlers Helfer waren. Die Wurzeln des Bundesnachrichtendienstes, des Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschlands liegen in der Zeit des Nationalsozialismus, in Diktatur und Verstrickung.

12 Jahre Terror von Gestapo, Reichssicherheitsdienst, Polizei und SS. Hunderttausende wurden von diesen Geheimdiensten verfolgt, verhaftet und ermordet. Erst in Deutschland, dann in halb Europa.

Als Hitler die Sowjetunion angreift, steht die Wehrmacht hinter ihm. Ein junger Offizier wird im Kriegsverlauf bis zum Generalmajor aufsteigen und damit den Grundstein für seine Karriere in der Nachkriegszeit legen.

Es ist Reinhard Gehlen, später Präsident des BND. Dieser ist zu Beginn des Krieges 37 Jahre alt. An der Front ist er nur kurz, sein Platz ist der Schreibtisch. Gehlen ist für Landesbefestigung zuständig, arbeitet als Verbindungsoffizier, wird Adjutant des Generalstabschefs.

Er hatte die erste Hälfte seiner militärischen Kariere mit der Beförderung zum General erfolgreich hinter sich gebracht, hat eine Spitzenposition im Generalstab eingenommen und wenn der Krieg ein paar Jahre länger gedauert hätte, hätte er Chancen gehabt, Generalsstabchef zu werden, sich in die Tradition eines Schliefens oder Moltke einzuordnen.

Als die deutsche Wehrmacht vor Moskau gestoppt wird, schlägt die Stunde des Karrieristen. Im Mai 1942 wird er Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“, zuständig für die Feindaufklärung.

Im Kreis der Abteilung

Ein Sowjet-Experte ist er nicht und auch von der Geheimdienstarbeit hat er keine Ahnung. Doch Gehlen sammelt Erfahrungen und bastelt am Image des Russland-Kenners. Später will er alles vorhergesehen haben, die Niederlage im totalen Krieg.

Schauen wir uns seine Biografie an. Reinhard Gehlen wurde als Sohn einer bürgerlichen Familie in Erfurt am 3. April 1902 geboren. Sein Vater Walther war Major a. D. der Artillerie und ab 1908 Buchhändler in Breslau, wo Reinhard aufwuchs. Walther Gehlen war zuletzt Direktor für den Ferdinand-Hirt-Verlag in Breslau, dessen Leitung er von seinem Bruder Max Gehlen übernommen hatte. Seine Mutter Katharina van Vaernewyk stammte aus Flandern. Reinhard Gehlen war ein Cousin des einflussreichen Soziologen Arnold Gehlen.

Nach dem Abitur am humanistischen König-Wilhelm-Gymnasium in Breslau trat Gehlen am 20. April 1920 als Offizieranwärter in das 6. leichte Artillerieregiment der Reichswehr in Schweidnitz ein. Im Oktober des gleichen Jahres wurde er in das Artillerie-Regiment 3 versetzt. Von September 1926 bis Oktober 1928 wurde er aufgrund seiner Fähigkeiten als Bereiter an die Kavallerieschule Hannover versetzt und schloss diese mit dem Dienstgrad eines Oberleutnants ab. Von November 1928 bis März 1929 wurde er in den Stab V. (reit.)/Artillerieregiment 3 versetzt. Von April 1929 bis September 1933 war er Bataillonsadjutant des 1./Artillerieregiment 3; im Oktober wurde er in das 14./Artillerieregiment 3 versetzt.

Von Oktober 1933 bis Juli 1935 war er zur Verwendung beim Chef der Heeresleitung, General der Infanterie Kurt von Hammerstein-Equord, und kommandiert zu den geheimen Generalstabslehrgängen. Im Mai 1935 wurde er zur Kriegsakademie kommandiert. Von Juli 1935 bis Juli 1936 war er Adjutant beim Oberquartiermeister I im Generalstab des Heeres im Reichskriegsministerium in Berlin. Im Juli 1936 erfolgte die Versetzung in die I. Abteilung und im Juli 1937 in die 10. Abteilung des Generalstabs des Heeres. Er unterstand zu dieser Zeit Generalmajor Erich von Manstein.

Von November 1938 bis August 1939 war er Batteriechef (Feldhaubitzen) der 8./Artillerieregiment 18 in Liegnitz. Im August 1939 wurde er Erster Generalstabsoffizier (Ia) der 213. Infanterie-Division und nahm am Überfall auf Polen teil. Dann begann der anfangs erwähnte Aufstieg.

 

Als die Rote Armee Berlin einnimmt, ist Gehlen längst geflohen. Anfang März 1945, rechtzeitig vor Kriegsende, ließ Gehlen die gesamten nachrichtendienstlichen Materialien von wenigen handverlesenen Mitarbeitern auf Mikrofilm vervielfältigen und, in wasserdichten Fässern verpackt, verteilt auf mehrere Bergwiesen, in den österreichischen Alpen vergraben.

Vorher hatte Gehlen seine Familie von Liegnitz über Naumburg in den Bayerischen Wald geschickt, damit sie nicht der Roten Armee in die Hände fiel. Mit seinen Mitarbeitern Wessel und Baun schloss er den „Pakt von Bad Elster“. Sie verabredeten eine geordnete Übergabe an die Amerikaner.

Im Frühjahr 1945 liegt Deutschland in Trümmern. Millionen sind auf der Flucht. Viele in Richtung Süden, wo die Amerikaner von den meisten als Befreier empfangen werden. Am 9. April 1945 hatte Hitler Gehlen als Abteilungsleiter entlassen; Gerhard Wessel wurde, wie später 1968 beim BND, sein Nachfolger. Schließlich verließ Gehlen am 28. April das Hauptquartier der Wehrmacht in Bad Reichenhall, versteckte sich auf der Elendsalm bei Miesbach.

Der James-Bond-Verschnitt

In Gefangenschaft, aber am Leben – Reinhard Gehlen reicht diese Perspektive nicht. Er hatte seit Stalingrad die Erkenntnis gehabt, dass der Krieg verloren geht und dann stellte sich für ihn die Frage, wie kommt man aus diesem Krieg unbeschadet heraus. Nun beginnt die Überlegung des Seitenwechsels.

Seitenwechsel des Generals

Die Bayrischen Alpen. Sie sollten das letzte Bollwerk des Nazi-Staates werden. Jetzt aber sind sie Gehlens Zuflucht. Er glaubt, dass nur die USA ihm eine Zuflucht bieten kann. Mit vier Offizieren, später kamen noch zwei weitere hinzu, und drei Mitarbeiterinnen flieht Gehlen in die Berge oberhalb des Schliersees oberhalb von Bayern. Hier hat er auf dem Alm eine Hütte vorbereitet und seine letzte Lebensversicherung vergraben lassen.

Die kopierten Unterlagen der Abteilung „Fremde Heere Ost“ über die Sowjet-Armee. Das war ganz eindeutig vaterländische Weitsicht und im Grund genommen die erfolgreichste Operation seines ganzen Lebens.

Drei Wochen verstecken sich Gehlen und seine Begleiter in der Hütte, unter Lebensgefahr. Sie haben sich unerlaubt von der Truppe entfernt. Der Krieg ist noch nicht zu Ende. Durch die Berge streifen Einheiten von Wehrmacht und SS. Entdecken sie Gehlen, ist ihm der Tod gewiss. Sein Plan ist es, im passenden Moment sich den Amerikanern zu ergeben.

Erst Ende Mai 1945 verlässt der flüchtige Wehrmachtsgeneral und steigt hinunter zum Schliersee und stellte sich zusammen mit sechs Offizieren in Fischhausen am Schliersee am 22. Mai 1945 Soldaten der 7. US-Armee.

Er hat alles auf eine Karte gesetzt, ist den Sowjets und der SS entkommen, jetzt kann Gehlen nur noch hoffen, dass die Amerikaner ihm glauben.

Seine Geschichte vom exklusiven Wissen über die Rote Armee als Eintrittskarte in ein künftiges demokratisches Deutschland. Was die Prognosen anbelangt, hat Gehlen ja zeitlebens behauptet, er habe alles richtig vorhergesehen und wenn man auf ihm gehört hätte, wäre der Krieg im Osten gewonnen worden. Davon war er fest überzeugt und diesen Mythos brauchte er natürlich, um sich bei den Amerikanern einzuschmeicheln als ein wertvollen Fund sich darzubieten.

Reinhard Gehlen, 1945 (vom United States Army Signal Corps angefertigte Fotos aus Gehlens Kriegsgefangenenakte)

Während die Deutschen versuchen, sich ein neues Leben in den Trümmern aufzubauen, versucht der Kriegsgefangene Gehlen die Amerikaner vom gemeinsamen Kampf gegen die Sowjetunion zu überzeugen.

Aber aus Sicht der USA ist Moskau immer noch ein Verbündeter. Der amerikanische Präsident Harry S. Truman hofft, nach dem Krieg seit die Zeit der Spionage vorbei. Trotzdem werden Gehlen mit sechs ehemaligen Mitarbeitern und den Dokumenten durch das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten in die USA nach Fort Hunt, Virginia bei Washington, D.C. geflogen, in ein Internierungslager.

Und hier gibt es immer wieder Verhöre. In den Räumen des Camps sind Abhöranlagen angebracht. Gehlen und seine Leute erstellen Expertisen über Stärke und Aufstellung der Roten Armee. Sie versuchen den Amerikanern ihre Unverzichtbarkeit für die kommende Konfrontation mit dem Kommunismus zu beweisen.

Gehlen hat den Amerikanern dass weiß gemacht, er hätte noch ein Agentennetzt in der Sowjetunion, was natürlich eine freie Erfindung war. Er war ja ein Spirituoses der Selbstinszenierung, hatte sehr früh seinen Nimbus aufgebaut und seine ganze Karriere war ja gesäumt von Potemkin’sche Dörfer.

Gehlens Plan geht auf. Aus dem Kriegsgefangenen wird ein Mann mit vielen Identitäten. Die Amerikaner geben ihm einen Decknamen Hand Holbein und als Dr. Richard Schneider kehrt er nach Deutschland im diskreten, aber direkten Auftrag der US-Armee, zurück.

Die Richtlinie lautet:

1 Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potenzials geschaffen, die nach Osten aufklärt bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinn fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.

2 Die deutsche Organisation arbeitet nicht für oder unter den Amerikanern, sondern mit den Amerikanern zusammen.

3 Die Organisation arbeitet unter ausschließlicher deutscher Führung, die ihre Aufgaben von amerikanischer Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine deutsche Regierung besteht.

4 Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert … Dafür liefert sie alle Aufklärungsergebnisse an die Amerikaner.

5 Sobald wieder eine souveräne deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidung darüber, ob die Arbeit fortgesetzt werden soll oder nicht …

6 Sollte die Organisation einmal vor der Lage stehen, in der das amerikanische und deutsche Interesse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen.

Dieser Text erinnert in seiner Tendenz an die Himmeroder Denkschrift. An ihrer Erstellung 1950 waren auch Adolf Heusinger, Hans Speidel und Hermann Foertsch beteiligt.

Wer von der Bevölkerung noch Kraft hat, packt an beim Wiederaufbau. Der Schwarzmarkt blüht, 80 Prozent der Deutschen sind unterernährt. Deutschland Deutschland ohne alles, ohne Butter und ohne Speck und das bisschen Marmelade frisst uns die Besatzung weg, heißt es in den Hungerjahren 1946 und 1947. Viele fahren aufs Land, tauschen beim Hamstern Tafelsilber und Familienschmuck gegen Nahrungsmittel. Im manschen Kuhställen der Bauern lagen wertvolle Teppiche und Läufer.

Probleme, die Gehlen und seine Leute nicht haben. Organisation Gehlen heißt der neue Geheimdienst, der seit 1947 in Pullach bei München residiert. Die ehemalige Reichssiedlung Rudolf Hess. Erbaut für den Stellvertreter Adolf Hitlers und anderen Top-Nazis auf einer Fläsche von 700.000 Quadratmeter.

Ein abgeschottetes Geländer mit 36 festen Gebäuden, 16 Baracken, ehemaligen Führerbunker und eigenen Schwimmbad. Zunächst leben hier 100 westdeutsche Geheimdienstler mit ihren Familien. 1969, am Ende der Ära Gehlen werden es 2.600 Mitarbeiter sein.

Die Organisation Gehlen schottet sich vollkommen ab. Ein sehr geheimer US—Geheimdienst mit deutschem Personal. Wer bei dieser Organisation angefangen hat zu arbeiten, verschwand aus dem öffentlichen Leben. Man hat sich bei der Polizei ab- und woanders angemeldet, hat selbst Verwandten einen anderen Arbeitgeber mitgeteilt, keiner durfte wissen, wo man arbeitet oder wo man lebt.

1946 müssen sich die überlebenden Spitzen des NS-Regims in Nürnberg vor Gericht verantworten. Darunter auch ehemalige Vorgesetze Reinhards Gehlen. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht und Generaloberst Alfred Jodl, Chef des Wehmachtsführungsstabes. Während sich Gehlen in den USA als Partner anpreist, werden Keitel und Jodl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt und gehängt.

Lutz Graf Schwerin von Krosigk entgeht dem Strang. Hitlers Finanzminister wird 1949 von den Alliierten im sogenannten Wilhelms-Straßen-Prozess angeklagt. Schuld weiß er von sich. Schwerin von Krosigk wird zu zehn Jahren Haft verurteilt und in der Festung Landsberg inhaftiert. Zwei Jahre später kommt er frei und tritt sofort der Organisation Gehlen bei. Für Gehlen sind Männer wie er keine Kriegsverbrecher.

Ab dem 1. Juli 1949 übernahm die antikommunistische CIA die Organisation Gehlen. Die Organisation Gehlen nahm eine Doppelfunktion für die CIA und die noch junge Bundesrepublik Deutschland wahr. Sie war ähnlich aufgebaut wie ihr Vorläufer Fremde Heere Ost: Leitung durch Gehlen, Gerhard Wessel für die Auswertung und Hermann Baun für ein Agentennetz verantwortlich.

Sowohl in der Leitung der Organisatin Gehlen, als auch in den unteren Rängen war ganz klar die Position sehr verbreitet, dass sie alle zu Unrecht inhaftiert waren und Kriegsverbrecher wir immer mit Anführungszeichen geschrieben oder auch die sogenannten Kriegsverbrecher in Landsberg.

Das Staats- und Gesellschaftsverständnis Reinhard Gehlens war ausgesprochen konservativ, autoritär, obrigkeitsstaatlich orientiert, aber vor allem anti-liberal in jeder Beziehung.

Das Konzentrationslager Westerbork in Holland. Eines von zwei sogenannten Durchgangslagern in den Niederlanden. Von hier werden ab Juli 1942 mehr als 100.000 niederländische in Vernichtungslager deportiert. Die meisten nach Auschwitz und Bergen-Belsen. Kommandant zu Beginn der Deportationen ist der SS-Sturmbannführer Erich Deppner, schon zuvor verantwortlich von Morden an sowjetischen Kriegsgefangenen.

Deppner und Konsorten beim Abtransport jüdischer Menschen

Wegen seines harten Vorgehens, der Befehlshingabe, der mitleidslosen Durchführung wurde er in das Durchgangslager delegiert, sodass die Transporte dann schnell und rational abgefertigt wurden. Heinrich Himmler belobigt Deppner im Juli 1943 für die gute Arbeit in Holland.

Bei Kriegsende gerät Deppner in sowjetische Gefangenschaft. Als er entlassen wird, wird Gehlen auf ihn aufmerksam. 1950 wird er durch die alten Netzwerke zur Organisation Gehlen geholt, möglicherweise schon, als er im Übergangslager in Friedland einsah und wo auch Mitglieder von Gehlen dort schon neue Kräfte für ihre Organisation rekrutierten, wenn er von Interesse war.

Das Heer der ehemaligen Kriegsgefangenen ist ein willkommenes Reservoir für die Werber des Geheimdienstes. Braune Gesinnung ist ihnen wichtiger als eine weiße Weste. Wenn man sich z.B. die Liste der Offiziere aus der SS-Division „Das Reich“ anschaut, sind viele beim BND gelandet. Sie waren z.T. an der Ostfront militärisch eingesetzt, dort aber auch an Judenerschießungen und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung beteiligt und zahlreiche Morde an Frauen, Kindern und Alten zu verantworten hatten.

Warum braucht Gehlen sie? Weil sie in den konservativen antikommunistischen Sumpf passen. Viel die hinter den Mauern von Pullach Unterschlupf finden, haben in Hitlers Reich Karriere gemacht. Die US-Auftraggeber drücken beide Augen zu. Wenn man sich die CIA-Akten aus dieser Zeit anschaut, wird keiner zurückgewiesen, auch wenn er sonst was auf dem Kerbholz hat. Es gibt keinen Konflikt zwischen CIA und BND bei Kaderfragen.

Reinhard Gehlen selbst verstand seine Organisation von Anfang an als eine Vorform eines irgendwann eigenständigen deutschen Nachrichtendienstes. Konrad Adenauer wurde von den Alliierten keine große Wahl bei der Berufung des eigenen Sicherheitsapparats gelassen. Daher war ihm klar, dass ein völlig unabhängiger westdeutscher Auslandsnachrichtendienst genauso undenkbar war wie eine unabhängige westdeutsche Armee. So akzeptierte er die Umwandlung der Organisation Gehlen, in der eine Reihe ehemaliger Offiziere der Wehrmacht, RSHA- und SS-Mitglieder als Personalreserve „geparkt“ waren.

Gehlen verheimlichte ihre Identität, um sie vor dem Zugriff der Alliierten zu schützen und eine Entnazifizierung zu erschweren. Auf „Empfehlung“ der Briten berief Adenauer den ehemaligen General der Panzertruppe Gerhard Graf von Schwerin zu seinem „Berater in Sicherheitsfragen“. Dieser gründete eine Art Nachrichtendienst mit dem Tarnnamen „Zentrale für Heimatdienst“, die mit Joachim Oster und Friedrich Wilhelm Heinz als Prominente aus der ehemaligen Abwehr besetzt war. Im Gegensatz zu Gehlen unterhielt Heinz gute Kontakte zur französischen Besatzungsmacht. Gehlen konnte schließlich über Adenauers Staatssekretär Hans Globke erreichen, dass Heinz am 1. Oktober 1953 beurlaubt und kurz darauf entlassen wurde.

 

Winston prägte den Begriff „Eiserner Vorhang“ für die Grenze zwischen Ost- und Westeuropa, im März 1946. Er bestärkte auch die USA darin, ihr bis 1954 bestehendes Monopol auf Atom- und Wasserstoffbomben für offensive, gegen die Sowjetunion gerichtete politische Ziele zu gebrauchen.

Ein Jahr darauf verkündet Präsident Trumans seine neue Politik der Eindämmung. Die sogenannte Truman-Doktrin sagt allen Ländern Unterstützung zu, die vom Kommunismus bedroht werden. Dem vom Krieg zerstörten Europa bietet er mit dem Marshallplan finanzielle Hilfe an.

Der sowjetische Diktator Stalin versagt den Ländern seines Machtbereichs die Teilnahme. Als am 20. Juli 1948 mit der Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen die D-Mark eingeführt wird und die Sowjetunion mit der Berlin-Blockade reagiert, zeichnet sich die Teilung der Welt in die Bündnisse Nato und Warschauer Pakt ab.

In der Bundesrepublik bringen Marshallplan und D-Mark die Industrie in Schwung. In der DDR hält die Planwirtschaft Einzug. Ab 1950 beginnt die Organisation Gehlen dort in der DDR ihre Aufklärung zu intensivieren. Noch ist ungehinderter Personenverkehr zwischen Ost und West möglich.

Bringt uns mehr politische Informationen aus Ost-Berlin verlangen die USA von Gehlen. Dieser hat ein Heer von Informanten in der DDR. Ihre Rekrutierung folgt dem Zufallsprinzip. Es gab jemand im Westen, der behauptet hat, er kennt jemanden im Osten und der warb dann wieder in Eigenregie weitere Leute an, sodass ein Netzwerk entstand, von denen aber niemand genau wusste, war dazu gehört.

D.h., bis 1950 gab es einen Zustand für dir Organisation Gehlen und damit natürlich auch für die Amerikaner, dass man gegenüber Informationslieferanten im Osten vollkommen blind war.

1950 wird zum Schlüsseljahr. Im Korea wird der kalte Krieg erstmals zum heißen Krieg. Vorhergesehen hatte das niemand, weder die CIA noch die Organisation Gehlen. Mit dem überraschenden Einmarsch der nordkoreanischen Truppen in Süd-Korea war es das erste Mal, dass der sowjetische Einfluss auf Nordkorea Früchte trug. Die Angst vor einen 3. Weltkrieg wächst in den USA und Europa. Ist Korea nur ein Test des Ostens für einen Einmarsch in Westdeutschland? Die USA fordern Aufklärung von Gehlen, ihren vermeintlichen Experten für die militärische Ostspionage. Die Organisation Gehlen muss unmittelbar nach Ausbruch des Korea-Krieges einräumen, dass sie nicht in der Lage ist, diese Informationen zu beschaffen.

Weder schnelle Informationen in den Westen zu bringen, noch eine reibungslose Überwachung durch die angeheuerten Spione – nichts funktioniert bei Gehlen. Man hat nicht mal einen Überblick über die im Osten tätigen Informanten der Organisation. Wer Berlin hat, hat Deutschland und Deutschland ist der Schlüssel zu Europa – das soll schon Lenin gesagt haben.

Berlin wird Frontstadt im kalten Krieg. Die Geheimdienste beider Lager kämpfen mit allen Mitteln um Informationen. Spionagetunnel unter der Sektorengrenze, angezapfte Telefonkabel, Erpressungen und Entführungen.

Die Organisation Gehlen ist eine von dutzenden Geheimdiensten, die um Informationen kämpfen. Und Gehlen liefert, vor allen Masse und wenig Klasse. Die Amerikaner können in den wenigstens Fällen damit etwas anfangen und ihr „Stadthalter“ in Deutschland entpuppt sich immer als Schaumschläger.

Die Kritik aus den USA wächst. Als die CIA die Organisation Gehlen 1949 übernimmt, war man zunächst mal entsetzt über das Chaos und die unprofessionelle Arbeit in dieser Organisation, auch über deren Leistungsfähigkeit.

Die CIA (Central Intelligence Agency) ist ein Auslands-Geheimdienst der USA. Sie wird im September 1947 gegründet, mit nur ein paar Dutzend Mitarbeitern. Auftrag ist die Eindämmung des Kommunismus und der Kampf gegen die Sowjetunion. Hauptsitz ist Langley, Virginia vor den Toren Washingtons. Allen Wehls Dussel, der schon im 2. Weltkrieg als Geheimdienstler in Europa gearbeitet hat, wird Direktor der Abteilung für verdeckte Aufgaben (Sabotage, Staatsstreiche, geheime Kriege). 1953 wird Dussel dann Chef der CIA.

Vielfältig sind die Aktivitäten der CIA. Westdeutschland dient ihr wie kaum ein anderer Staat außerhalb der USA als Basis. Hunderte von CIA-Agenten arbeiten hier. Sie trainieren in versteckten Lagern potentielle Agenten. Von der Bundesrepublik aus beliefern sie Verbündete in aller Welt mit Waffen und anderem Nachschub. Das I.G.-Farben-Haus (heute Teil der Goethe-Universität) am Grüneburg-Platz war der Sitz in Frankfurt am Main, getarnt als „Department of the Army Detachment“: „von hier aus werden weltweit Operationen, vor allem im Nahen und Mittleren Osten, koordiniert, technisch vorbereitet und abgesichert.

Beauftragter für Westdeutschland und damit Vorgesetzter von Gehlen war James Chritchfield, Leiter der CIA in Pullach von 1948 bis 1955. Er interessierte sich besonders für die deutsche Funkaufklärung, war zum Teil sogar begeistert davon. Die dortigen Mitarbeiter kannten sogar die Stimme einzelner Piloten der sowjetischen Luftwaffe. In den USA gab es so etwas noch nicht.

Anfang der 1950iger Jahre reist Gehlen mit leitenden Mitarbeitern in die USA. Sie sollen Land und Kultur kennenlernen. Gehlen will mit Dulles auch über seine Zukunft in einer bald souveränen Bundesrepublik sprechen. Die Amerikaner, besonders die Sitze der CIA hatten mehrfach darüber diskutiert, ob man den etwas pflichtvergessenen Herrn Gehlen nicht einfach absägen sollte.

CIA-Aufpasser Chritchfield erkennt schnell, dass Gehlen eigene Interessen verfolgt. Er sagte, „mir war schnell klar, dass es nicht einfach wurde mit ihm. Er hatte eine klare Vorstellung von dem was er erreichen und unbedingt den deutschen Charakter seiner Organisation erhalten will.“

Man hat sich aber dann dafür entschieden, Gehlen nicht abzusetzen, weil er eine Integrationsfigur des Dienstes war und man diesen Dienst in Griff behalten wollte. Gehlen hat ein klares Ziel, sich von seinen amerikanischen Aufpassern zu befreien und Chef des westdeutschen Geheimdienstes zu werden. Ein Draht zu Konrad Adenauer hat er noch nicht bis zum ersten Treffen 1950.

Gehlen hatte einen starken Anspruch in der Politikberatung. Er wollte sozusagen als erster Berater des Kanzlers oder seines Chef des Kanzleramtes sein und auf diese Art und Weise deutsche Politik ganz maßgeblich mitgestalten. Gehlens Verbündeter in Bonn ist Hans Globke, engster Berater Adenauers und graue Eminenz im Kanzleramt.

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