Buch lesen: «Veyron Swift und das Juwel des Feuers: Serial Teil 4», Seite 2

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Floyd ließ sich jedoch nicht erweichen. »Es ist verboten! Talassair darf seine Waffen nur zur Verteidigung des eigenen Reiches benutzen. So will es der Vertrag mit den Simanui. Ich habe nicht vor, der erste König zu sein, der ihn bricht«, entgegnete er säuerlich und wandte sich ab.

Tamara wollte ihn packen und anschreien. Es war eine Stunde größter Not, und Floyd ließ sie alle hängen.

Veyron hielt sie mit einem vorsichtigen Griff an die Schulter zurück. »Ich bin sicher, die Simanui würden in diesem Fall eine Ausnahme machen, da Nemesis sich einer unfassbar mächtigen Technologie bedient«, meinte er halblaut.

Floyd wich weiter zurück und schüttelte energisch den Kopf. »Auf gar keinen Fall! Nein, nein, nein! Nemesis hat jetzt den Niarnin. Wenn er ihn in die Schlacht führt, könnte er meine Flotte versenken und meine Panzer in Erdspalten verschwinden lassen. Talassair wäre dann allen anderen Völkern schutzlos ausgeliefert. Tut mir leid, aber in diesem Fall bin ich ganz froh um diesen Vertrag«, erwiderte er. Wie ein störrisches Kind verschränkte er die Arme.

Veyron seufzte. »Ich habe nicht die Zeit, hier stundenlang zu diskutieren. Es liegt bei Ihnen, ob Sie uns helfen wollen oder nicht. Aber zumindest sollten Sie uns die Silberschwan noch einmal leihen. Wir müssen zu den Messerbergen, zum Lager der Elben. Ich hoffe, dass Nagamoto inzwischen Unterstützung rufen konnte«, sagte er mit bewundernswerter Ruhe ob Floyds Verweigerungshaltung.

Der König drehte sich überrascht zu ihm um. »Wer wäre denn verrückt genug, euch zu helfen?«, fragte er skeptisch.

Jetzt wurde Tom richtig sauer. Floyd war nicht nur ein selbstverliebter, größenwahnsinniger Irrer und Narzisst, sondern auch noch ein bodenloser Feigling. »Das Imperium Maresia, die werden helfen«, antwortete er an Veyrons Stelle.

Floyd machte große Augen. Er schien einen Moment darüber nachzudenken, wog ab, ob man ihn veralberte. Schließlich zuckte er mit den Schultern. »In Ordnung, nehmt die Silberschwan«, ranzte er und drehte ihnen beleidigt den Rücken zu.

Trotzdem war Veyron noch höflich genug, ihm zu danken und sich zu verabschieden. Tom dagegen ignorierte Floyd, den er jetzt noch viel weniger mochte als zuvor.

Nur Tamara hielt es für notwendig, sich ihm einmal mehr zuzuwenden. »Sie halten Ihren Ururgroßvater Julian für einen Feigling, weil er in der Versorgungsabteilung diente, anstatt sich für die Front zu melden. Aber er ging immerhin auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Sie dagegen verkriechen sich hinter den Küsten Ihrer Insel, obwohl Sie Tausende, vielleicht sogar Millionen Leben retten könnten. Denken Sie daran, wenn Nemesis mit seinen Armeen an den Stränden Talassairs landet.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.

Captain Viul und Toink verbeugten sich kurz vor ihrem Lehnsherrn. Anschließend folgten sie eilig ihren Passagieren. Floyd starrte ihnen eine Weile entrüstet hinterher. Verständnislos wandte er sich an seinen Schatzkanzler. »Sag mir, Farin, warum drehen denn plötzlich alle durch? Wieso beleidigen mich diese Individuen? Mache ich irgendetwas falsch? Lieben mich die Leute etwa nicht mehr?«

»Aber Eure Majestät werden doch von allen Leuten geliebt, so heldenhaft und furchtlos, wie Ihr seid. Wahrhaftig: Ihr seid der größte König, den unser Reich bisher hatte«, grollte Farin mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus in der Stimme.

Floyd legte die Stirn in Falten. Seine Gedanken behielt er für sich.

Veyron verzögerte ihre Abreise, weil er am nächsten Tag noch einmal ins Palastmuseum zurückkehren und sich eine Kopie der Schatzinventur Julian Ramers sowie Zusammenfassungen der Biografien der Fünfzehn beschaffen wollte. Tom blieb bei Toink und Captain Viul, half ihnen bei einigen kleineren Reparaturen und ließ sich verschiedene Funktionen des Flugschiffs zeigen. Tamara war nicht sonderlich gesprächig, sie ärgerte sich immer noch über Floyd, über Jessicas Flucht und über Veyron, der die Abreise ihrer Meinung nach vollkommen unnötig hinauszögerte. Es fiel ihr sehr schwer, sich mit irgendetwas anderem zu beschäftigen.

In der folgenden Nacht, in der Tom nicht gut schlief, hörte er sie mehrmals aus ihrer Koje kriechen und im Salon auf und ab gehen. Sie verließ das Flugzeug und ging im Hafen spazieren, bis sie Stunden später zurückkehrte und sich wieder schlafen legte. Tom kam es so vor, als bildete sie sich ein, Elderwelt ganz allein retten zu müssen.

Gleich nach Sonnenaufgang war es dann endlich so weit. Die Silberschwan startete die Motoren, glitt über das Wasser und erhob sich in den Himmel. Sie ließen das Inselreich rasch hinter sich und flogen hinaus über die Weiten des Meeres. Floyd sahen sie nicht wieder, der blieb lieber schmollend in seinem Palast.

Die Stunden vergingen elend langsam. An Bord herrschte gedrückte Stimmung, niemand redete viel. Tom bekam nur am Rande mit, wie sich die Erwachsenen unter anderem auch über das Wüstenland Nagmar unterhielten und wie lange Jessica dorthin brauchen würde.

»Nehmen wir an, sie schafft mit ihren Flügeln an die 120 Kilometer in der Stunde, dann hätte sie das Festland gegen Mitternacht erreicht. Mit Segelflug könnte sie weitere 600 Kilometer zurückgelegt haben, ehe der Morgen anbrach und sie sich verstecken musste. Sie dürfte also bereits gestern vor Sonnenaufgang das Imperium Maresia erreicht haben. Letzte Nacht hatte sie noch mal zehn Stunden, um per Segelflug gut und gerne 1000 Kilometer zurückzulegen. Somit befindet sie sich jetzt etwa irgendwo im Lande Achaion. Inzwischen wird Nemesis ihr seine Giganthornissen entgegenschicken, die legen in der Stunde gute 500 Kilometer zurück, das schaffen sie mit Pausen viermal an einem Tag. Wenn Nemesis sie in Staffeln einsetzt, die von geheimen Stützpunkten starten, dann kann er Jessica noch heute Nacht bis nach Nagmar schaffen. Dort wird sie ihm schließlich den Niarnin übergeben«, erläuterte Veyron.

Er saß zusammen mit Tamara und Toink im Salon. Sie studierten einige Landkarten, die sie dem Navigationsbedarf der Silberschwan entnommen hatten. Tom fand das alles uninteressant, auch Toinks Beschreibung des Wüstenlandes brachte ihn nicht viel weiter.

»Es ist eine schier endlose Wüste aus rotem Sand östlich der letzten zivilisierten Länder«, sagte er. »Nagmar bedeutet in der Sprache der Wüstenvölker ›das Blutmeer‹. Kein Mensch, kein Zwerg und auch kein Elb kann dort überleben.«

Außerdem war Nagmar zu weit weg, und sie hatten weder die Zeit noch den Treibstoff, um dorthin zu fliegen und nach Nemesis’ geheimer Festung zu suchen.

Frustriert von der Tatsache, dass Nemesis diesmal gewonnen hatte, zog sich Tom wieder in die Schlafkoje zurück. Er machte rasch die Augen zu, träumte von Fabrillian und auch von Nagmar, dessen ausgedehnte Wüstenlandschaft aus rotem Sand und ebenso rötlichen Felsen bestand.

Veyrons großer Irrtum

»Aufwachen, Tom. Wir befinden uns im Landeanflug«, weckte ihn Veyrons Stimme.

Tom schrak hoch und schaute aus dem Bullauge. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und beschien ein weites Land, dessen sanft gewellte grüne Hügel von riesigen Felsen unterbrochen wurden. Die größten von ihnen ragten viele hundert Meter in den Himmel und waren geformt wie gigantische Messerklingen. Tatsächlich: Sie hatten das Land der Messerberge erreicht.

»Wir sind ja schon da«, brummte er müde und rieb sich die Augen. Er schwang sich aus der Koje, machte sich in der kleinen Waschzelle frisch, zog sich an und ging dann zu den anderen in den Salon.

Die Silberschwan landete auf einem breiten Fluss, der das grüne Land von Nord nach Süd durchschnitt und es in zwei Hälften teilte. Im Westen erstreckten sich bis zum Horizont Gras bewachsene Hügel, im Osten ging die Ebene rasch in Wald und das Vorgebirge der Himmelmauerberge über.

Vier Tagesmärsche von hier liegen die Festung Ferranar und die Gräber des Roten Sommers, nur einen Tag entfernt die Überreste der Supersonic, wo unser Abenteuer begann, dachte Tom bedrückt. Vermutlich würde es hier auch enden.

Die Silberschwan kam zum Stillstand und senkte ihren Anker. Mit dem Beiboot ruderte die Mannschaft ans Ufer, wo sie das große Flugschiff an einigen schweren Felsen vertäute. Kurz darauf kamen zwei elbische Kundschafter auf großen Pferden angeritten. Sie überbrachten Grüße von der Königin und die Bitte, sich so schnell wie möglich mit ihr zu treffen.

Das Lager der Elben lag nicht einmal eine Stunde vom Fluss entfernt, im Schatten eines riesigen Messerbergs. Tom staunte über ihre vielen bunten Zelte. Rot, blau, grün, gelb und violett waren sie, groß genug, um pro Zelt ein Dutzend Männer aufzunehmen. Daneben befanden sich die kleineren, schmucklosen weißen Lederzelte der Truppen des Imperiums Maresia. Während die elbischen Kundschafter sie durch das Feldlager führten, konnten sie einen Blick auf die Legionäre Maresias erhaschen. Sie glichen tatsächlich ihren Ahnen aus dem alten Rom: eine schneeweiße Wolltunika über ihren Körpern, als Rüstungen verzinnte Schienenpanzer und Helme. Die Zenturionen trugen dagegen dunkelrote Tuniken, einen beeindruckenden Federschmuck auf den Helmen und vergoldete Medaillen über glitzernden Kettenhemden. Nicht weniger stattlich gerüstet waren die Krieger der Elben mit ihren dunkelgrünen Hosen und Tuniken, den silbernen Kettenhemden und Brustpanzern. Die Reiter trugen noch metallene Bein- und Armschienen und wunderschön gestaltete Helme, die aussahen, als hätte man das Laub der Bäume zu Hauben geflochten und mit Eisen überzogen. Die Schwerter der Talarin waren lang und dünn, Schilde benutzten sie überhaupt nicht. Die Kämpfer der beiden Armeen boten einen archaischen und zugleich beeindruckenden Anblick.

Das Kommandozelt überragte alle anderen an Größe. Seine Stoffbahnen bestanden aus leuchtend rotem Stoff, vom Dach flatterte die große silberne Flagge Fabrillians. Die elbischen Wachen traten sofort zur Seite, als Tamara, Veyron, Tom und die Besatzung der Silberschwan ankamen. Sie traten ein und fanden sich in einem kreisrunden Saal wieder. Königin Girian stand dort, neben ihr Faeringel, der jetzt einen prunkvollen, schillernden Brustpanzer trug. Die Königin dagegen begnügte sich mit ihrer grünen Reitkleidung. Auch Nagamoto war anwesend, außerdem einige Offiziere des Imperiums Maresia. Ihr Anführer war ein Tribun, noch sehr jung, vielleicht gerade zwanzig Jahre alt. Seine schneeweiße Tunika war an der rechten Seite mit einem senkrechten, purpurfarbenen Streifen gesäumt. Der silberne Brustpanzer trug eine goldene Verzierung, die Menschen bei einem Gelage darstellte. Drei Zenturionen begleiteten ihn, mindestens doppelt so alt wie er.

Sie alle hatten sich um einen kleinen Kartentisch versammelt und diskutierten lebhaft über Taktik. Als die Neuankömmlinge eintraten, unterbrachen die hohen Herrschaften ihre Unterredung.

»Ah, Mr. Swift. Sie sind zurückgekehrt. Darf ich Ihnen den Tribun Marcus Valensinius Crispion vorstellen? Er und achthundert Mann der zweiten Kohorte der zweiunddreißigsten Legion stehen uns in der kommenden Schlacht bei«, stellte Nagamoto den jungen Tribun vor.

Crispion trat vor, den prunkvollen, goldenen Helm unter den Arm geklemmt. Zackig neigte er den Kopf.

Veyron machte jedoch nur ein missmutiges Gesicht. »Achthundert Mann, mehr konntet Ihr nicht erübrigen? Wisst Ihr denn nicht, dass das Schicksal Elderwelts von der kommenden Schlacht abhängt?«, fragte er unwirsch, anstatt sich lange mit irgendwelchen Floskeln aufzuhalten.

Tom fand das reichlich gemein und beschämend.

Der junge Tribun schaffte es, sich ein verunsichertes Lächeln abzuringen. »Ich bedauere, aber mehr Truppen wollte der Präfekt nicht abziehen. Ich nehme an, er hofft auf unseren Untergang in der Schlacht. Unglücklicherweise nimmt er mir das Verhältnis zu seiner Tochter übel. Mein Vater und er sind alte Feinde«, rechtfertigte sich Crispion verlegen.

Veyron verdrehte entnervt die Augen, schob den Maresier einfach beiseite und trat an den Kartentisch. Tom bemerkte, wie der junge Tribun kurz die Fäuste ballte, ehe er sich umdrehte und zu seinen Zenturionen zurückkehrte. Ja, Leute zur Weißglut bringen, das kann Veyron wirklich gut. Ich werde ihm das irgendwann austreiben müssen, dachte Tom mit einiger Verärgerung.

»Vergessen Sie die Schlacht, Ladies und Gentlemen«, verkündete Veyron mit einem schelmischen Lächeln.

Alle schauten ihn überrascht an. Tom wurde plötzlich klar, dass Veyrons Verhalten vorhin nur dazu gedient hatte, die anderen ein wenig aufzuziehen.

»Nemesis ist im Besitz des Niarnin, des Juwels des Feuers. Der Vampirin Jessica Reed ist es gelungen, ihn in Talassair zu stehlen und damit nach Nagmar zu entkommen. Das ist zwar bedauerlich, aber glücklicherweise habe ich bereits einen Plan entwickelt, der alles zum Guten wenden wird. Achthundert maresische Legionäre sind nicht viel, aber sie sollten für mein Vorhaben ausreichen. Doch zuerst: Meister Faeringel, wie viele Krieger konntet Ihr in den vergangenen drei Tagen rekrutieren?«

Der hochgewachsene Elbenjäger brauchte nicht lange zu überlegen. »Zweitausend Männer und Frauen, entschlossen, eine Wiederkehr der dunklen Mächte zu verhindern.«

Veyron rieb sich voller Begeisterung die Hände. »Sehr schön, sehr schön. Perfekt, um es anders auszudrücken. Ich hatte mit weniger gerechnet. Ein Elbenkrieger wiegt locker zwei Maresier auf, somit kämen wir also fast auf die Schlagkraft einer Legion. Damit sollte mein Vorhaben durchführbar sein. Nun zu meinem Plan: Wir wissen, dass Nemesis über ein künstliches Wurmloch verfügt und dass er plant, diese Technologie wie einen Tunnel zwischen zwei Orten in Elderwelt einzusetzen. So ähnlich funktionieren ja bereits die Durchgänge der Illauri. Er kann sein Wurmloch allerdings nicht mitten in Fabrillian öffnen, da sich seine Truppen dort schnell in der Defensive befänden. Aber außerhalb kann er das Land belagern, unsere Truppen zu Entscheidungsschlachten zwingen und nach und nach aufreiben. Für ein solches Unterfangen sind die Messerberge der geeignetste Stützpunkt weit und breit.

Folglich wird er seinen Durchgang hier ganz in der Nähe aufmachen. Wir müssen uns nur bereithalten. Sobald sich das Wurmloch öffnet, marschieren wir hinein, alle zweitausendachthundert Mann plus Offiziere. Wir dringen in das Zentrum seiner Basis vor, zerstören seine Technologie, holen uns den Niarnin zurück und schalten Nemesis aus. Ohne ihren Anführer werden die Schrate in alle Richtungen davonrennen und keine Gefahr mehr sein. Krieg vorbei, Feind geschlagen, Welt gerettet. Ganz einfach.«

Alle starrten Veyron an und versuchten herauszufinden, ob er einfach nur verrückt war, oder ob er das wirklich ernst meinte.

»Das ist nicht möglich«, widersprach Nagamoto, der als Erster seine Stimme wiederfand. »Die Armee von Nemesis ist bereits auf dem Weg hierher.«

Veyron schüttelte den Kopf. »Vollkommen ausgeschlossen. Ich habe die Reisegeschwindigkeit von Jessica Reed präzise berechnet. Sie kann Nagmar unmöglich vor heute Nacht erreichen. Ohne den Niarnin kann Nemesis seine Schrate nicht innerhalb Elderwelts herumschicken«, konterte er.

Doch nun schüttelte Nagamoto widersprechend den Kopf. »Nein, Sie verstehen nicht, Mr. Swift. Seine Armee ist auf dem Weg hierher; zu Fuß. Unsere Späher haben sie gestern aufgespürt. Morgen Nacht werden sie hier eintreffen.«

Veyron sagte einen Moment gar nichts. »Sie irren sich«, meinte er dann bestimmend.

Königin Girian berührte den Monster-Detektiv an der Schulter. »Es stimmt, Meister Veyron. Die Schrate wurden gesehen. Sie sind schon seit Wochen unterwegs und haben viele Länder durchquert. Unsere Annahme, dass der Kaiser Maresias das niemals tolerieren würde, war eine Fehleinschätzung«, sagte sie halblaut.

Crispion trat vor, nervös die Hände ringend. »Ich versichere Euch, dass der Augustus davon keine Ahnung hat. Es muss eine Verschwörung im Gange sein. Niemand in Maresia würde die Schrate unterstützen, das schwöre ich Euch bei meinem Leben.«

Seine Zenturionen pflichteten ihm bei. Sie meinten, dass die Verwalter der östlichen Provinzen offenkundig bestochen wurden und diese Nachrichten vor dem Augustus zurückhielten, anderenfalls hätten die Legionen in den betroffenen Regionen die Schrate schon längst massakriert.

»Wie dem auch sei, es ändert nichts an der Tatsache. Morgen Abend werden die Schrate hier sein und uns zur Schlacht stellen. Wenn wir Eurem Plan folgten, Meister Swift, könnten die Schrate die Messerberge kampflos einnehmen und bis ins Gebirge vorstoßen. Wir müssen sie hier stellen und schlagen«, sagte Faeringel.

Alle pflichteten ihm bei. Tamara fragte, wie groß denn die Armee von Nemesis überhaupt sei.

»Mehr als achttausend Mann und viele riesige Fenriswölfe«, antwortete Faeringel.

Tom bemerkte, wie in Veyron plötzlich eine Veränderung vorging. Sein Pate wurde schlagartig blass und schwankte. Am ganzen Körper zitternd ließ er sich in den nächstbesten Stuhl fallen. Alle starrten erst ihn, dann Tom ratlos an, der nur ahnungslos die Schultern hob.

Veyron legte die Hände vors Gesichts und stieß ein lautes, wütendes Heulen aus. Dann begann er wie wild geworden im Zelt auf und ab zu rennen. »Ich habe mich selbst überlistet«, schimpfte er voller Wut. »Natürlich, natürlich, natürlich! Wie konnte ich das übersehen? Die notwendige Information lag vor mir, mehrmals sogar. Direkt vor meinen Augen, und trotzdem habe ich sie bei meinen Analysen ignoriert. Ich elender, verfluchter Narr! Doppelte Absicherung, doppelte Absicherung! Nemesis sichert sich IMMER doppelt ab – und ich habe es übersehen! Der Mord an Miss Burrows und Professor Daring, Roter Sommer und Fizzler, Wölfe und Schrate und jetzt Durchgang und Armee. Ich Narr!«

Auf einmal blieb er stehen, sackte zu Boden, faltete seine Beine zum Schneidersitz und rührte sich nicht mehr. Tamara, Girian, Tom und Nagamoto kamen näher, die Maresier und die Besatzung der Silberschwan blieben mit verstörten Gesichtern auf Abstand. Veyron schaute auf, in die Augen der Königin. »Es ist alles meine Schuld«, flüsterte er, gerade laut genug, damit es die Umstehenden verstanden.

Tamara berührte ihn mitfühlend an der Schulter. »Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Es ist nicht Ihre Schuld, dass Reed mit dem Niarnin entkommen konnte. Sie war einfach zu schnell und zu stark, um von Normalsterblichen eingefangen zu werden«, meinte sie. Eigentlich hatte sie Veyron für gefühlskalt und berechnend gehalten, doch jetzt zeigte er – unabsichtlich freilich – seine verletzliche, schwache Seite.

Er schüttelte energisch den Kopf. »Sie verstehen nicht, Miss Venestra. Es ist ganz allein meine Schuld. Ich habe Jessica Reed befreit. Ich bin zu ihr gegangen, während sie eingesperrt war, habe ihre Fesseln gelockert, damit sie entkommen konnte. Ich habe sogar das Betäubungsmittel durch Wasser ersetzt«, erwiderte er.

Grabesstille herrschte im Zelt. Alle starrten Veyron an.

»WAS?«, entfuhr es Tom mit einem gellenden Schrei. Vollkommen entgeistert stand er da. »Warum haben Sie das getan? Was haben Sie sich dabei gedacht?«

Veyron seufzte. »Nemesis ist das wahre Ziel bei diesem Kampf. Wird er neutralisiert, ist dieser Krieg vorbei. Seine Basis in Nagmar ist für uns unerreichbar – außer wir hätten einen Durchgang dorthin. Wir haben ihn nicht, Nemesis jedoch schon. Die einzige Chance, schnellstmöglich zu ihm zu gelangen, besteht also darin, ihn zunächst einmal seine Pläne verwirklichen zu lassen. Er musste den Niarnin bekommen und sein Wurmloch aufbauen. Anschließend hätten wir einfach in seine Basis marschieren können. Ein genialer Plan; prinzipiell.

Ich habe allerdings übersehen, dass Nemesis sich immer doppelt absichert. Natürlich plant er, seinen Durchgang gegen uns einzusetzen, aber er hat auch einen Teil seiner Streitkräfte auf konventionellem Weg losgeschickt, nur um sicherzugehen. Er muss das alles schon vor Wochen in die Wege geleitet haben. Wäre mir dieser Fakt bewusst gewesen, ich hätte einen ganz anderen Plan entwickelt. Für den Moment habe ich die Lage jedoch nur noch verschlimmert.«

Tom platzte der Kragen. Er ballte die Fäuste, sein Kopf wurde glutrot vor Zorn. »Sie Idiot! Sie Riesenarschloch! Sie und Ihre verfluchte Arroganz! Jane hatte recht: Sie platzen geradezu vor Selbstüberschätzung! Sie halten sich für den klügsten Kopf der Welt – jetzt haben Sie uns alles ins Verderben gestürzt, weil Sie denken, niemand auf der Welt wäre schlauer als Sie!«, schrie er.

Veyron ließ sich die Vorwürfe ohne Kommentar gefallen. Zerknirscht saß er am Boden, die Gedanken schon längst nicht mehr im Hier und Jetzt.

»Ich wünschte, ich hätte Sie nie kennengelernt! Ich wünschte, meine Eltern hätten jemand anderen als meinen Patenonkel gewählt! Warum Sie? Warum um alles in der Welt Sie?«, fauchte Tom und stürmte nach draußen.

Tamara wollte ihn zurückhalten, aber er stieß ihre Hand beiseite. Blitzschnell war er durch den Eingang verschwunden. Königin Girian atmete tief durch, als läge plötzlich eine kaum mehr erträgliche Last auf ihren Schultern. Die Maresier waren vollkommen verwirrt, verstanden nicht, was überhaupt los war. Crispion war das alles sichtlich unangenehm.

Nagamoto versuchte, wieder etwas Ruhe ins Zelt zu bringen. Er sprach halblaut mit der Königin und den anderen. »Ich werde sofort mit der Silberschwan losfliegen und Unterstützung holen. Die Armee soll die kommende Zeit mit Gefechtstraining verbringen, notfalls auch die ganze Nacht durch. Morgen kommt es zur Schlacht.«

Tamara hielt das für ein aussichtsloses Unterfangen. »Durch sein Wurmloch kann Nemesis Nachschub an jeden beliebigen Winkel Elderwelts schicken. Er könnte einen Durchgang hinter unserem Rücken öffnen und eine ganze Armee herauslassen, während wir uns mit seiner Vorhut noch im Kampf befinden«, erwiderte sie. Ihre Stimme klang bitter.

Faeringel musste ihr recht geben. Gegen eine solche Bedrohung waren die Talarin keinesfalls gerüstet. Nagamoto wirkte jedoch weiter wild entschlossen. Er warf Tamara einen gebieterischen Blick zu, und auch Faeringel. »Dennoch müssen wir diese Schlacht wagen. Wenn wir die Gegend jetzt räumen und uns zurückziehen, wird Nemesis die Messerberge einnehmen und Fabrillian belagern. Wir müssen ihm standhalten, bis weitere Hilfe eintrifft«, polterte der Simanui.

Faeringel schnaubte. »Woher wollt Ihr jetzt noch Hilfe zaubern, wenn selbst Maresia uns nur achthundert Mann schicken will? Die Menschen mögen uns Talarin nicht und sehen lieber unser Verderben«, knurrte der Elb zornig.

Nagamoto ließ sich davon nicht beirren. »Wenn ich sage, dass ich Hilfe finden werde, dann finde ich auch welche. Während ich unterwegs bin, führt Tamara das Kommando. Niemand hat mehr Erfahrung in Sachen Planung und Ausführung als sie«, entschied er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er drehte sich um und eilte ohne ein weiteres Wort nach draußen.

Captain Viul und Toink verabschiedeten sich rasch und folgten dem zornigen Simanui. Tamara wandte sich Hilfe suchend an die Königin. Die nickte ihr bestätigend zu. Faeringel sprach kurz mit den Maresiern und riet ihnen, zu ihren Truppen zurückzukehren und Nagamotos Anweisungen auszuführen.

Danach verließen alle das Zelt. Veyron blieb allein auf dem Boden sitzen. Nur Tamara wandte sich ihm noch einmal zu. »Sie sind ein solcher Idiot, wissen Sie das? Jedes einzelne Wort von Tom ist wahr, und mir fällt noch eine Menge mehr für Sie ein. Aber wenigstens beweist es, dass Sie immer noch ein Mensch sind. Irren ist menschlich, lernen Sie was draus«, sagte sie zu ihm, bevor sie der Königin nach draußen folgte.

Veyron seufzte nur und verharrte in völliger Resignation weiter im Schneidersitz.

Tom sah die Silberschwan über das Lager der Elben davonfliegen und mit röhrenden Motoren in der Ferne verschwinden. Er hatte sich wieder etwas beruhigt, war draußen im Lager herumgerannt. Jetzt war sein Zorn weitgehend verraucht. Ziellos marschierte er zwischen den Zelten herum und wusste nicht so recht, was er anstellen sollte. Er war so wütend auf Veyron, dass er ihm auf gar keinen Fall jemals wieder über den Weg laufen wollte. Sein Pate – dieser Verrückte, dieser Idiot – hatte sie alle dem Untergang preisgegeben. Nemesis’ Armee würde morgen hier eintreffen, und es würde zur Schlacht kommen. Es spielte gar keine Rolle, ob sie siegten oder nicht. Nemesis besaß das Juwel des Feuers und damit alle Macht, die er brauchte, um letztendlich immer den Sieg davonzutragen. Alle Schlachten wären fortan vergebens. Nemesis hatte erreicht, woran seine Vorgänger, Varaskar und der Dunkle Meister, gescheitert waren. Der letzte der Nuyenin-Steine befand sich in seiner Gewalt – und Veyron Swift war schuld daran.

Es war früher Abend, als Tom den Rand des Lagers erreichte und den Truppen Maresias bei den Übungen zuschaute. Die Zenturionen brüllten laute Kommandos, und die Legionäre marschierten mit absoluter Präzision in Reih und Glied. Sie schleuderten auf Befehl ihre pilum genannten Speere, zogen ihre Schwerter und stürmten vorwärts. Bei einem anderen Manöver duckten sie sich hinter ihren großen rechteckigen Schilden vor imaginären Pfeilen. Als sie nach über zwei Stunden mit dem Exerzieren fertig waren, löste sich die Truppe auf und ging anderen Tätigkeiten nach. Tom gesellte sich zu den Legionären, die ihn auslachten, sein rotblondes Haar zausten und ihn hierhin oder dorthin schickten.

»Wer ist der Junge? Gehört er zu den Elben?«, hörte er den einen oder anderen Soldaten fragen.

»Nein. Es heißt, er käme aus Fernwelt, so wie diese Amazone, die jetzt das Kommando hat«, antwortete ein anderer Legionär.

Ein grauhaariger Zenturio, der schon so manche Schlacht geschlagen hatte, mischte sich in das Gespräch mit ein. »Es ist nicht gut, wenn Frauen das Kommando führen. Das bringt Unglück. Frauen, das sage ich ganz deutlich, gehören in einen Haushalt und sollen sich dort um alles kümmern«, rief er seinen Männern zu.

Die Legionäre winkten ab. »Es spielt keine Rolle, wer uns in die Schlacht führt, die Frau oder Valensinius Crispion, beide sind sie Weiber«, murrte einer, die anderen fielen mit lautem Gelächter ein.

Tom seufzte und verließ den Lagerbereich der Maresier. So steht es also um die die Moral. Wir haben viel zu wenig Männer, und die Maresier machen sich auch noch über Tamara und ihren eigenen Anführer lustig. Das wird unser Ende sein, ganz sicher. Und Veyron ist an allem schuld, dachte er finster.

Er kehrte zum Kommandozelt zurück, in das ihn die Wachen ungehindert eintreten ließen. Tamara war allein. Über den Tisch gebeugt studierte sie einige der großen Landkarten. Sie war hoch konzentriert und schien Tom zunächst gar nicht zu bemerken.

»Können Sie das überhaupt? Truppen in die Schlacht führen, meine ich«, fragt er vorsichtig. »Haben Sie so was überhaupt schon einmal gemacht?«

Tamara sah ihn überrascht an und lachte kurz, ein höhnisches Lachen voller Bitterkeit. »In einer richtigen Schlacht gekämpft? Nein, das habe ich noch nicht. Mit dem Schwert habe ich kaum Erfahrung, noch weniger mit Pferden. Aber Elbenpferde werfen niemanden ab, das hat mir Faeringel zumindest versichert. Im Häuserkampf, da kenn ich mich aus, bei Geiselnahmen und Überfällen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum Nagamoto mir das Kommando anvertraut hat. Und das Schlimmste: Alle akzeptieren es einfach. Also mache ich das Beste daraus«, sagte sie.

Tom fand nicht, dass das ziemlich ermutigend klang. »Sie glauben auch nicht, dass wir diese Schlacht gewinnen können, oder?«, fragte er.

Tamara zuckte mit den Schultern. »In einer Schlacht kommt es auf viele Dinge an. Ich glaube nicht, dass irgendwer sagen kann, ob wir gewinnen oder nicht. Aber wir werden die Schrate aufhalten, egal, was es kostet. Hoffen wir bloß, das Nagamoto rechtzeitig Unterstützung findet und hierher zurückkehrt – am besten, bevor der Letzte von uns tot am Boden liegt«, meinte sie finster, ohne ihn dabei anzusehen.

»Sie hoffen, dort zu sterben, stimmt’s?«, hörte er sich flüstern, doch laut genug, damit Tamara ihn verstand.

Sie brauchte einen Moment, bevor sie ihm darauf antworten konnte. »Ich weiß es nicht. Ich fühle so viel Schuld, Tom. Wegen all der Dinge, die ich getan habe. Die Königin gab mir die Gelegenheit, einiges davon wiedergutzumachen. Auf Talassair habe ich versagt, dies wäre also meine nächste Chance. Das ist alles, was ich will. Einmal im Leben das Richtige tun – selbst wenn es mein Leben fordert.«

»Ich will mitkämpfen. Geben Sie mir ein Schwert. Ich weiß, dass ich das kann. Ich hab mich schon mit Schraten geprügelt, ich kann kämpfen«, erwiderte Tom entschlossen.

Tamara drehte sich zu ihm um und schaute ihn lange an. »Auf keinen Fall, das kann ich nicht zulassen. Du gehst zusammen mit den anderen Zivilisten zurück nach Fabrillian, mit Xenia und Dimitri. Die Königin soll euch in unsere Welt heimschicken, dort seid ihr in Sicherheit.«

Tom ballte die Fäuste. »Was soll ich denn da? Zurück nach London, während hier die Schlacht tobt und alle meine Freunde sterben?«, protestierte er wütend.

Tamara ließ sich davon jedoch nicht umstimmen. »Du hast das ganze Leben noch vor dir, Tom. Es gibt keinen Grund, hierzubleiben und sinnlos zu sterben. Du gehst nach Hause, das ist mein letztes Wort.« Sie drehte sich um und starrte wieder auf die Karten.

Tom verließ das Kommandozelt, so schnell er konnte. Er hatte Mühe, seine Wut und Enttäuschung im Zaum zu halten. Das alles ist Veyrons Schuld, dachte er zum wiederholten Mal – ziemlich häufig, wie ihm auffiel. Er hörte von irgendwoher Schritte kommen, und im nächsten Moment prallte er mit Xenia zusammen. Beide schauten sich überrascht an. Tom fragte sich verwundert, wo die Kriegerin (Terroristin wollte er sie nicht mehr nennen) so plötzlich herkam. Hatte Tamara nicht erwähnt, sie würde sie zusammen mit Dimitri und ihm zurück nach Fabrillian schicken? Erst jetzt fiel ihm auf, dass Xenia das grüne Kriegsgewand der Elben trug und darüber ein Kettenhemd. Sie war mit Pfeil und Bogen bewaffnet.

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150 S. 1 Illustration
ISBN:
9783738003574
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Bookwire
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