Ein riskanter Trick

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3

Die überbrachte Nachricht versetzte Bunsh in Hochstimmung. Seit er im Zuchthaus eingefahren war, hatte er nichts mehr von Glenconner gehört, dem Mann, der eine perfekte Organisation aufgebaut hatte und dessen Existenz dennoch von den meisten bezweifelt wurde. Er selbst wusste nur, dass es Glenconner gab – aber auch nicht mehr. Eines jedoch war für ihn klar: Es war richtig gewesen McNamaras Vorschlag abzulehnen.

Gegen neun Uhr am Abend tauchte Bushwick vor seiner Zelle auf. »Jetzt das Neueste vom Tag, Doc«, begann er und verkündete: »Du bekommst einen neuen Nachbarn!«

Bunsh sah ihn neugierig an. »Und? Wer ist es?«

»Glasgow-Ambrose! Damit bekommst du den prominentesten Gast dieses Etablissements zum Nachbarn. Du kannst ja schon mal das Empfangskomitee mobilmachen. Soviel ich gehört habe, bevorzugt der Bursche französischen Champagner.«

»He, Bushwick!«, nagelte ihn Lesters donnernde Stimme fest. »Steckst du schon wieder mit Bunsh unter einer Decke?« Während er ihm das zurief, kam er eilig näher.

»Ich veranstalte gerade eine Umfrage«, stellte Bushwick ungerührt fest.

»Ach, tust du das?«, spottete der Aufseher.

»Aber sicher.« Bushwick wandte sich an Bunsh. »Und? Kannst du mir nun sagen, was die irischen Schlangen machten, nachdem der Heilige Patrick sie ins Meer gejagt hat?«

»Was soll der Käse?«, knurrte Lester.

»Sie schwammen durch die Irische See, und als sie in Großbritannien ankamen, da wurden sie Zuchthauswärter«, erklärte Bushwick grinsend und bekam dafür lachenden Beifall von anderen Gefangenen.

Lester reagierte entsprechend säuerlich. »Du kommst auf der Stelle mit, Bushwick!«, befahl er. »Wenn du glaubst, dass du mir auf der Nase herumtanzen kannst, dann hast du dich geschnitten!« Wieder pfiff sein Knüppel durch die Luft und wies den Weg.

Die Männer hörten noch, wie Bushwick sich empört beschwerte: »Von Pressefreiheit haben Sie anscheinend noch nie etwas gehört, oder?«

»Habe ich es nicht immer gesagt, dass er mit seinem losen Mundwerk mal anecken wird?«, meldete sich McMasters aus seiner Zelle – ein Mittdreißiger, der wegen Scheckbetrugs einsaß.

»Mach dir um ihn keine Sorgen«, schmunzelte Bunsh. »Du weißt doch, dass er beim Direktor einen Stein im Brett hat.«

»Mag ja sein, aber diesmal geht er baden«, erwiderte McMasters überzeugt und fragte in die Runde: »Wer ist eigentlich dieser Glasgow-Ambrose, von dem er gesprochen hat?«

»Keine Ahnung«, meldete sich einer. »Würde mich auch interessieren.«

»Das wundert mich nicht. Ihr seid einfach schon viel zu lange hier«, mischte sich Hardcastle ein, der in Scarborough mit Rauschgift gehandelt hatte und inzwischen seit vier Monaten zu Bunshs unmittelbaren Nachbarn gehörte. »Der Kerl ist eine echte Größe. Seinen Spitznamen hat er bekommen, weil er aus Glasgow stammt und dort seinen ersten Coup gelandet hat. Das ist zwar gerade erst ein Jahr her, aber er hat sich seitdem einen ausgezeichneten Ruf als Schränker erworben. Man erzählt sich, es gäbe keinen zweiten wie ihn, der soviel von aktuellen Sicherungsanlagen versteht.«

»Also mal ehrlich, erzählt wird ja viel«, entgegnete McMasters wenig überzeugt. »Da muss man sich doch fragen, warum er hier gelandet ist, wenn er angeblich so eine große Nummer ist, oder?«

»Keine Ahnung«, gestand Hardcastle. »Ich weiß nur, dass er ein absoluter Einzelgänger ist. Und genau das ist seine Stärke.«

»Wieso?«

»Na, das liegt doch auf der Hand.« Hardcastle grinste. »Es gibt keinen, der ihn verpfeifen kann.«

»Mag sein, dafür hat er aber auch niemanden, der ihn absichert … Ist meiner Meinung nach eher keine Stärke!«

Hardcastle ließ sich auf keine Diskussion darüber ein. »Jedenfalls habe ich von ihm zum ersten Mal in Edinburgh gehört. Da hatte er einen mit modernsten Hilfsmitteln gesicherten Safe geöffnet. Keine der tollen Alarmvorrichtungen war losgegangen. Er hat sie alle außer Betrieb gesetzt.«

»Ja, das sind die Schwierigkeiten. Diese modernen Alarmanlagen. Früher war das echt einfacher.«

»Stimmt, aber dem Burschen macht das nichts. Er hat sein technisches Examen mit ›summa cum laude‹ abgelegt!«

»Wie du sprichst, ist er wohl ein guter Freund von dir, he?«

»Keine Spur. Wie ich sagte: Ich habe ihn nie gesehen … nur eine Menge über ihn gehört.«

Das trübe Deckenlicht verlosch. Demnach war es zehn Uhr abends. Draußen auf dem Gang näherten sich die Schritte des wachhabenden Aufsehers. Diesmal war es Officer McShane, dessen brummige Bassstimme man schon von weitem hören konnte: » Los! Ab in die Betten! Ihr wartet wohl auf das Kindermädchen, wie!?«

Noch zwei Tage, dachte Bunsh, dann komme ich hier endlich raus. Jetzt nur nicht mehr auffallen. Er wusste genau, dass er schnell ein neues Verfahren an den Hals bekommen konnte – weitaus schneller als ihm lieb war! Also hieß es: Nur keinen Fehler machen. Noch zwei Tage, dann habe ich die guten Dinge des Lebens wieder. Und dann wird es sich für mich auszahlen, dass ich bei dem Prozess damals so beharrlich geschwiegen habe.



4

Bunsh sah den Neuzugang, über den Hardcastle so viel erzählt hatte, am anderen Morgen. Eingerahmt von den Gefängniswärtern McShane und Lester wirkte Glasgow-Ambrose wie ein Hungerkünstler. Er war ein eher schmächtiger Mann mit ruhigen Händen und einem beherrschten Gesicht. Seine wohlgenährten Bewacher an seinen Seiten überragten ihn um Haupteslänge.

»Sieh ihn dir ganz genau an, Bunsh!«, bemerkte Lester mit einem boshaften Grinsen. »Acht Jahre hat er aufgebrummt bekommen, weil er rückfällig geworden ist … und ich prophezeie dir, dass wird dir auch passieren, so wie ich dich einschätze!«

»Wenn es etwas geben sollte, was mich hierher zurücktreibt, dann wird es die Sehnsucht nach Ihnen sein«, konterte Bunsh spöttisch.

»He?« Lester wollte schon mit wütenden Schritten auf ihn losstürmen, als ihn sein Kollege McShane am Arm packte und davon abhielt.

»Lass Bunsh in Ruhe.«

»Wieso?«

»Wir kennen das doch zur Genüge: Steht die Entlassung an, dann drehen sie alle durch.«

Sie wiesen dem Neuzugang seine Zelle zu und verschwanden gleich darauf wieder. Da sich die Gefangenen in ihrem Zellentrakt tagsüber frei bewegen konnten, verzichteten sie darauf die Tür aus Gitterstäben zu verschließen. Kaum waren sie außer Sichtweite, trat Glasgow-Ambrose in den Gang und blickte sich um.

»Ich hoffe doch mal, dass es hier Pokerkarten gibt«, sagte er dann, ohne die anderen in irgendeiner Form zu begrüßen oder sich ihnen vorzustellen.

McMasters trat vor ihn und sah ihn herausfordernd an. »Es gibt hier schon genug großkotzige Kerle, Bursche!«, knurrte er bedrohlich.

»Na, wenn das so ist!«, erwiderte Ambrose ebenso gefährlich.

»Wir sind hier ein äußerst exklusiver Verein«, fuhr Hardcastle fort. »In einen alteingesessenen elitären ›Men Club‹ in London kannst du auch nicht so ohne weiteres eintreten! Dazu braucht es ein gewisses Ansehen.«

»Na, dann will ich mich nicht lumpen lassen und direkt etwas für meinen Nimbus tun«, spottete sein Gegenüber. »Mal abwarten, ob es für eine Mitgliedschaft reicht!« Er hatte kaum ausgesprochen, da schoss seine Faust unvermittelt vor und traf Hardcastle genau am Solar Plexus. Der Drogenhändler aus Scarborough spürte, wie ihm der Treffer die Beine wegriss, bevor er krachend mit dem Rücken auf den Betonboden fiel.

Lächelnd massierte sich Ambrose seine Faust. »Reicht das als Reputation? Wenn ja, Gentlemen«, er sah dabei in die Runde, »möchte ich direkt auf meine Frage zurückkommen! … Gibt es hier Pokerkarten?«

Die herumstehenden Männer starrten die halbe Portion verblüfft an, die den keineswegs schwächlichen Hardcastle mit einem Hieb zu Boden geschickt hatte. Es war McMasters der sich nun nach vorne schob, seine Oberarmmuskeln spielen ließ und sich die kräftigen Pranken rieb.

»Seht euch das an, Leute, der Neue will hier gleich auf dicke Hose machen!« Dann wandte er sich an Ambrose. »Das kommt nicht gut an! Bist wohl noch vollgestopft von guten Steaks da draußen, aber versuch erst mal den Fraß hier … da wird dir schon bald anders werden!« Ohne Vorankündigung schoss McMasters seine geballte Hand vor, verfehlte aber das anvisierte Ziel. Obendrein katapultierte ihn sein eigener Schwung nach vorn, und plötzlich explodierte etwas in seiner Magengrube. Augenblicklich klappte er in sich zusammen, nur um gleich darauf durch einen geraden Haken, der seine Kinnspitze traf, wieder auseinandergefaltet zu werden. Ein weiterer sauberer Schwinger ließ ihn neben Hardcastle zu Boden gehen.

Ambrose grinste und in seinen Augen funkelte es böse. »So wie die Sache steht, werde ich ein paar Jährchen hierbleiben müssen, Freunde! Glaubt ihr, ich hätte Lust laufend eure blöden Fressen zu sehen, wenn hier nicht von Anfang an klare Verhältnisse herrschen?« Er legte eine gewichtige Pause ein, ehe er seine Frage erneut stellte: »Habt ihr nun Pokerkarten oder nicht?«

»Wir haben welche«, antwortete Bunsh. »Wenn du keine Ersparnisse mitgebracht hast, kannst du die Bank übernehmen.«

Ambrose griff in seine Hosentasche, holte Tabak heraus und drehte sich seelenruhig eine Zigarette, während er Bunsh musterte. »Du gefällst mir. Siehst nicht ganz so vertrottelt aus wie diese Armleuchter!« Dabei wies er auf die beiden, die sich gerade brummend wieder erhoben.

 

»Ich heiße Bunsh, aber hier nennen mich alle Doc. Wir werden aber nicht mehr viel miteinander zu tun haben … Ich verlasse diesen gastlichen Ort morgen.«

»Warst du lange hier?«

»Drei Jahre.«

»Das ist nicht gerade viel«, meinte Ambrose.

»Glaub mir, die reichen!«

»Was hast du denn ausgefressen?« Neugierig blickte er Bunsh an.

»Beteiligung an einem Bankraub. Ich will ja nicht gerade behaupten, dass ich ein Unschuldslamm wäre, aber das Beweismaterial war geradezu lächerlich. Aber am Ende haben mich die Geschworenen verurteilt. Waren sogar vier Weiber darunter …«

»Na, die werden von ihrem Standpunkt aus schon recht gehabt haben, oder etwa nicht?«

Bunsh musterte ihn mit hochgezogenen Brauen. »Du bist schon ein komischer Vogel.«

»Wenn du damit meinst, dass ich nicht so primitiv wie die meisten aus der Branche bin, hast du sicher recht damit.«

»Deshalb bist du ja hier bei uns gelandet, wie?«, bemerkte Bunsh trocken.

»Mich hat ein Mädchen verpfiffen, klar?«, gab er bissig zurück. »Ansonsten würden die beim Yard noch heute darüber grübeln, wer mit der Viertelmillion ›Versteck Dich‹ spielt!«

»Und wo ist die Kohle jetzt?«

Ambrose antwortete nicht direkt. »Die habe ich ausgeliefert«, lächelte er dann. »Was soll ich auch schon damit anfangen, solange ich einsitze? Wenn ich wieder draußen bin, besorge ich mir Nachschub … Ist ja kein Problem, und dadurch, dass ich die Kröten abgeliefert habe … Im Ergebnis sind es so zwei Jahre weniger geworden.«

»Dennoch haben sie dir immer noch beachtliche acht Jahre aufs Auge gedrückt«, erwiderte Bunsh, der sich jetzt ebenfalls eine Zigarette zwischen den Fingern rollte. »Da kannst du also eine lange Zeit warten.«

»Ich weiß …«

Er kam nicht weiter, denn einer in der Nähe stehenden Männer zischte ihnen ein ›Achtung!‹ zu, worauf sich die Gruppe sofort auflöste.

Gleich darauf kam auch schon Lester angetrabt. »Bunsh!«, knurrte er. »Mitkommen!«

Ohne etwas darauf zu Erwidern, drehte Bunsh sich um und hielt sich nun immer einen Schritt vor dem Vollzugsbeamten, wobei er den jederzeit schlagbereiten Knüppel Lesters in seinem Rücken spürte. Die ganze widerliche Zuchthausatmosphäre wirkte auf ihn, und er hoffte, sie zum letzten Mal zu erleben.

*

»Du hast Besuch«, klärte Lester ihn auf, als sie am Ende des Korridors angekommen waren und eine Schleusentür durchschritten. »Dein Anwalt«, fügte er hinzu und führte Bunsh in den dafür vorgesehenen Besucherraum.

Am Tisch hatte sich ein junger Mann in pikfeinem dunkelgrauem Anzug niedergelassen. Ein Mann, den Bunsh nur zu gut kannte: Es war der Rechtsanwalt, der vor drei Jahren seine Verteidigung übernommen hatte. Er hieß Foy DeLacy. Damals war Bunsh davon ausgegangen, er habe seinen Fall nur übernommen, um sich damit einen Namen zu machen. Misstrauisch zog er den Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.

»Ich bin erfreut Sie zu sehen, Mr. Bunsh«, begrüßte ihn DeLacy und kam direkt auf den Punkt seines Besuches: »Ihre Entlassung steht an, und ich bin gekommen, um zu sehen, ob ich im Anschluss etwas für Sie tun kann. Sie wissen ja, dass ich damals von Ihrer Schuld nicht überzeugt war. Daran hat sich auch heute nichts geändert.«

Wenngleich Bunsh es nicht sehen konnte, so spürte er dennoch, wie sich in seinem Rücken ein breites Grinsen über Lesters Gesicht ausbreitete. »Wüsste nicht, was Sie für mich tun könnten«, brummte er.

»Wirklich nicht?« DeLacy musterte ihn forschend. »Sie sollten sich das gut überlegen. Ich habe gute Beziehungen. Außerdem habe ich Ihnen einige Unterlagen mitgebracht: Adressen von Leuten, die Ihnen weiterhelfen können.« Er nahm seine Aktentasche, kramte darin herum und schaute verwirrt auf. »Ich muss die Mappe irgendwo liegengelassen haben.« Sein Blick fiel auf den Aufseher. »Officer?!«

»Ja, Sir?«

»Ich war zuvor in der Verwaltung. Könnten Sie dort bitte einmal anrufen und nachfragen, ob ich da einen Schnellhefter habe liegen lassen?«

Lester kratzte sich am Kopf und nickte daraufhin. »Ich glaube, dass lässt sich machen, Sir!« Er schritt zum Wandtelefon rechts von der Zimmertür und drückte die Taste, die automatisch eine Verbindung mit der Zentrale herstellte. Einen Augenblick wandte er den beiden dabei den Rücken zu.

Blitzschnell beugte sich Foy DeLacy vor. » Glenconner schickt mich«, flüsterte er dem Tresorknacker zu. »Sie sollen mit einem Neueingelieferten Kontakt aufnehmen. Sein Name ist Glasgow-Ambrose. Der Bursche ist ein echter Experte auf seinem Gebiet. Fragen Sie ihn, ob er bereit ist für Glenconner zu arbeiten. Sagt er zu, wird man ihn hier schnellstens herausholen.«

»Okay!« Bunsh starrte sein Gegenüber verblüfft an und nickte. »Wird gemacht!«

Lester wandte sich wieder um, offenbar hatte er nichts bemerkt. »In der Zentrale hat man keine Akte gefunden, Sir.«

»Das ist Pech!« Der Anwalt erhob sich und lächelte Bunsh freundlich zu. »Sie sollten sich meinen Vorschlag überlegen. Vielleicht rufen Sie mich morgen an, wenn Sie entlassen wurden.«

Bunsh spürte, wie sein Puls schneller schlug, beherrschte sich aber und spielte seine Rolle weiter. »Ich werde an Sie denken, Mr. DeLacy. Aber wenn Sie mir eine Arbeitsstelle anbieten wollen … Die Absage können Sie schon jetzt von mir bekommen!«

»Melden Sie sich einfach, wenn Ihnen danach ist«, lächelte der Anwalt. »Ich werde keinen Druck auf Sie ausüben.«

»Na, dann wäre ja wohl alles geklärt, Bunsh«, knurrte Lester, der seinen Knüppel mal wieder lässig durch die Luft wirbeln ließ.



5

Bei dem kleinen Doppeldecker mit dem Sperrholzrumpf, den man auf die untere Tragfläche aufgesetzt hatte, handelte es sich um eine nagelneue ›de Havilland‹ vom Typ ›60G Gipsy Moth‹. Der Zweisitzer war das Nachfolgemodell der ›Humming Bird‹, die als untermotorisiert galt. Ihre Tragflächen bestanden aus einer Holzkonstruktion mit Stoffbespannung. Die ›Gipsy Moth‹ war wegen ihres niedrigen Kaufpreises und ihrer ausgesprochenen ›Gutmütigkeit‹ bei Privatpersonen sehr beliebt. Sie beherrschte zurzeit fünfundachtzig Prozent des zivilen Flugzeugmarktes im Empire, was sich in einer Auslieferungsrate von mehr als drei Maschinen pro Tag zeigte.

Diese kleine blaugrau angestrichene Maschine mit der Nummer ›VH-UAQ‹ setzte nach einem fast dreistündigen Direktflug vom ›Croydon Aerodrome‹ im Süden Londons, auf dem Flugplatz des ›Scottish Aero Club‹ auf – etwas über vier Meilen von Perth gelegen.

Der hochgewachsene Mann mit den energischen Gesichtszügen schnallte sich los, griff nach seinem flachen Lederkoffer und kletterte vom hinteren Sitz über die Tragfläche aus der Propellermaschine. Kaum hatte er festen Boden unter seinen Füßen, zog er sich die Fliegerkappe vom Kopf, löste den weißen Schal und öffnete die dunkelbraune Lederjacke.

»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug, Mr. Bradley«, bemerkte sein Pilot, der ebenfalls aus der Maschine geklettert war.

»Den hatte ich definitiv, Mr. Crosley. Sie sind ein ausgesprochen guter Pilot. Ich werde Sie gern wieder in Anspruch nehmen.«

»Das höre ich gern«, lächelte der ältere, etwas untersetzte Mann, der, wie Bradley von ihm erfahren hatte, unter Division Commander Hugh Trenchard im ›Royal Flying Corps‹ am Großen Krieg teilgenommen hatte. »Wenn ich Sie so anschaue: Sie sollten das tatsächlich öfter machen. Ihre Wangen haben eine frische Farbe bekommen und ihre Lunge konnte auch mal wieder richtig durchatmen. Da kann keine Ihrer filterlosen Zigaretten mithalten, meinen Sie nicht auch?«

»Vermutlich haben Sie recht. Ich sollte Ihren Rat beherzigen.«

»Ja, tun Sie das«, grinste Crosley.

Bradley, der sich inzwischen die Fliegerjacke ausgezogen hatte, reichte sie ihm, samt Schal und Mütze, dann schlüpfte er in seine Anzugjacke, setzte sich seinen ›Homburger‹ auf, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verließ das Flugfeld in Richtung des kleinen Gebäudes, in dem sich auch die Flugsicherung befand.

Er hatte die niedrige Wellblechhalle des Terminals noch nicht betreten, als ihn auch schon eine äußerst attraktive Frau mit Beschlag belegte. Sie entsprach jener weiblichen Sorte, die jeden Männerblick auf sich zog: Erst den zufälligen, dann den genauen Betrachtungen, der das erotische Kopfkino ankurbelte.

Sie wirkte elegant und sexy in ihrem pastellfarbenen Kleid mit der niedrigen Taille. Der gegenwärtigen Mode zum Trotz, die in dieser Saison die Säume wieder auf Knöchelhöhe hatten sinken lassen, war es kurz. Dazu trug sie eine modische Jacke, hauchzarte hautfarbene Seidenstrümpfe mit rückseitiger Naht, und ihre Absatzschuhe ließen ihre Beine noch länger wirken als sie es ohnehin schon waren. Mit ihrem Bubikopf und der lang herabhängenden Glasperlenkette sah sie aus wie eine Revuetänzerin oder schlicht wie ein ›flottes junges Ding‹.

Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die lackschwarzen, Haare, blinzelte in die blendende Helligkeit des gleißenden Sonnenscheins und studierte die vereinzelt ankommenden Reisenden. Immer wieder sah sie dabei auf einen Zeitungsausschnitt und das Foto eines Mannes.

Bradley versuchte es mit einem charmanten Lächeln.

Sie lächelte zurück. Ihre Haarfarbe und ihr schmales Gesicht mit den etwas schräg stehenden mandelförmigen Augen, deuteten auf einen gewissen Anteil asiatischen Blutes hin. Das war für Großbritannien nicht ungewöhnlich, schließlich trug der stete Zufluss aus den dem Empire zugehörigen Staaten seinen Teil dazu bei. Nicht sehr häufig hingegen war diese an Perfektion grenzende Vollendung, sowohl was Ihr Gesicht und die Verpackung, als auch die sich darunter mehr als deutlich abzeichnende Figur betraf.

»Mr. Bradley?«, sprach sie ihn mit angenehmer, leicht rauchiger Stimme an, als er auf ihrer Höhe war. Das Rot ihrer klassisch geschwungenen Lippen passte zu ihren Fingernägeln, ihre Augenbrauen waren gezupft, und die Wimpern waren stark getuscht.

Er nickte nur, denn noch immer war er von ihrem Anblick gefesselt, schaffte es aber, ihr zur Begrüßung einen flüchtigen Kuss über die Hand zu hauchen.

»Mr. Clive Barwick hat mich geschickt«, ergänzte sie. »Ich bin Lee Sullivan, seine Sekretärin und soll Sie vom Flugplatz abholen.«

Ihre Stimme verriet eine winzige Spur von Akzent. Er vermutete, dass sie einige Zeit im Ausland aufgewachsen war und tippte auf das Protektorat Borneo.

Sie begleitete ihn durch die kleine, niedrige Wellblechhalle und führte ihn zu einem Stellplatz, wo ein cremefarbener ›Chrysler Model B-70‹ mit Weißwandreifen den Parkraum zweier Wagen beanspruchte. »Steigen Sie bitte ein«, forderte sie ihn freundlich lächelnd auf. »Mr. Barwick erwartet Sie in seinem Büro.«

»Ihr Chef scheint ein ausgesprochener Erfolgsmensch zu sein«, erwiderte er und ließ dabei völlig offen, ob er den neuen Wagen oder sie meinte.

Lee Sullivan lächelte und schwieg, was ihm sehr an ihr gefiel.

Schnurrend zog der 8-Zylinder des Chryslers an. Sie chauffierte die Limousine sicher und reizte gekonnt dessen kraftvolle Motorleistung aus. Mit fast fünfundsiebzig Meilen pro Stunde näherte sie sich Perth. Von Norden kommend steuerte sie den Wagen über die ›Smeaton's Bridge‹, die seit 1771 den längsten Fluss Schottlands, den ›Tay‹, überspannte. Während der Fahrt hatte er ausreichend Zeit eine größere Anzahl ›Follies‹, ›Narreteien‹, sinn- und zweckloser Bauten zu betrachten, die begeisterte Landbesitzer zur Zeit der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus einer Laune heraus auf die Bergkuppen gesetzt hatten. Etwa zwanzig Minuten später erreichten sie das feudale Wohn- und Geschäftsviertel am ›King's Place‹. Vor einem modernen Hochhaus stoppte der Wagen.

»Das ist das Gebäude der ›Eakins Bank‹«, erklärte die junge Frau mit den Mandelaugen. Kaum war sie mit ihrer Begleitung ausgestiegen, sprang bereits ein uniformierter Türsteher herbei und übernahm das Fahrzeug.

Sie durchquerten die pompös eingerichtete Eingangshalle, wobei sich Bradley immer leicht hinter ihr hielt, um mit einem Lächeln ihre Kehrseite zu betrachten. Wenige Minuten darauf erreichten sie eine Tür, auf der in Messing nur zwei Buchstaben prangten: ›C. B.

 

Bevor Lee Sullivan anklopfen konnte, öffnete sich die Tür und ein Mann in sündhaft teurem Anzug kam zum Vorschein, eine Zigarre wie eine Kanone zwischen die Zähne geklemmt. Es war Clive Barwick, Präsident der ›Eakins Bank‹ und Verfasser einer ziemlich dringenden Nachricht an die Detektei ›Colin Bradley‹ in London.

»Guten Tag, Mr. Bradley«, begrüßte ihn Barwick und an seine Sekretärin gewandt: »Es ist gut, Miss Sullivan. Ich danke Ihnen.«

Bradleys Begleiterin lächelte höflich, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verschwand gleich darauf durch eine andere Tür in einem Nebenzimmer.

*

»Kommen Sie bitte herein.« Der Bankier machte eine einladende Geste und führte ihn in sein Büro. Der Raum war ebenso elegant wie sein Bewohner – wie das gesamte Gebäude einschließlich der Sekretärin. Durch die riesigen Fenster an der Rückseite hatte man einen Panoramablick auf den angrenzenden ›South Inch‹-Park.

Barwick schob einen schweren Ledersessel vor seinen Schreibtisch, forderte Bradley auf, Platz zu nehmen und ließ sich selbst in seinen Sessel hinter dem großen barocken Schreibtisch. »Ich bin sehr erfreut, dass Sie gekommen sind«, begann Barwick und beförderte einen vergoldeten Humidor über den Tisch, nachdem er seinen Spazierstock mit dem Hundekopf aus Silber, dessen Tieraugen aus grünfunkelnden Steinen gefertigt waren, beiseitegelegt hatte. »Zigarre?«

»Danke, nein«, lehnte Bradley höflich ab, der seine Aktentasche neben sich abgestellt und seinen ›Homburger‹ einfach auf eine Ecke des Schreibtisches abgelegt hatte. »Ich bin eingefleischter Zigarettenraucher., wenn Sie verstehen?« Dabei fingerte er seine Schachtel ›Woodbines‹ hervor, nahm eine Filterlose heraus und setzte den Tabak in den Brand. Ihn interessierte zu erfahren, weshalb man ihn angefordert hatte. Das Telegramm hatte dringend geklungen und direkt eine private Flugreservierung beinhaltet. Er hatte ein paar Erkundigungen über Barwick eingeholt, und das, was er erfuhr, genügte, der Bitte zu folgen. Sein potentieller Auftraggeber war nicht der Mann, der wegen einer Kleinigkeit den Kopf verlor. »Nun?« Er sah den Bankier fragend an.

»Mr. Bradley, … ich will ehrlich sein …«, seufzte der Mann. »Ich stecke in einer äußerst heiklen Situation.«

»Durchaus nachvollziehbar. Es geht doch darum, dass man Ihre Bank beraubt hat?«, erwiderte Bradley.

»Ja, ganz genau.« Barwick zog erstaunt die Brauen hoch. »Woher wissen Sie davon?«

»Davon berichteten sogar die Zeitungen in London, Mr. Barwick«, erwiderte Bradley, süffisant lächelnd. »Allerdings ist das schon eine geraume Zeit her … Zwei oder drei Monate, wenn ich mich recht erinnere.«

»Davon wusste ich nicht, aber es stimmt«, bestätigte der Banker. »Aber deswegen habe ich Sie gar nicht angefordert, Mr. Bradley. Es geht nicht darum, dass Sie das Geld wieder herbeischaffen …«

»Sondern?«

»Nun, das Problem ist ein viel Diffizileres: Ich habe das Geld bereits zurückerhalten …«

»Aber?«

»Es ist das falsche!«

Jetzt war es Bradley der Augenbrauen hochzog. »Sie meinen Falschgeld?«

»Nein, durchaus nicht. Es ist tadelloses Geld. Es ist so echt wie die Goldreserven der ›Bank of England‹ …« Er nahm einen kräftigen Zug von seiner Zigarre. »Es ist leider nur das falsche!«

»Das müssen Sie mir schon etwas genauer erklären«, forderte Bradley den Bankier auf.

»Das will ich gern tun«, gab Barwick zurück, der einen weiteren Zug nahm und sich bedächtig in seinem Sessel zurücklehnte. »Wenn Sie den Fall in den Journalen verfolgt haben, wissen Sie vielleicht wie das vor Monaten war. An einem Montagmorgen stellten meine Angestellten fest, dass der große Safe aufgebrochen und geleert wurde. Und das, obwohl unsere Sicherheitsanlage auf dem modernsten Stand ist und den gesetzlichen Vorgaben genügt. Dieses Gebäude steht schließlich erst seit drei Jahren.« Seufzend blickte er ihn direkt an. »Der oder die Einbrecher müssen also geradezu über geniale technische Fähigkeiten verfügt haben.«

»Verstehe«, nickte Bradley abaschend. »Darf ich erfahren, wie hoch die Beute genau war?«

»Ich weiß bis heute nicht, warum sich der oder die Täter genau diesen Zeitpunkt ausgesucht haben … Aber sie haben einen bedeutenden Fischzug gemacht, denn sie haben eine halbe Million Pfund Sterling in gebrauchten Scheinen herausgeholt. Nur ein verschwindend geringer Anteil bestand aus neuen Banknoten. Da es sich um Geld handelte, das wegen veralteter Sicherheitsmerkmale aus dem Verkehr gezogen werden sollte, hat mein Bankhaus natürlich alle Nummern notiert.«

»Und weiter?« Bradley nahm noch einen Zug von seiner Zigarette und drückte den Stummel im Aschenbecher aus, ehe er sich wieder zurücklehnte und die Beine übereinanderlegte.

»Scotland Yard fand schnell heraus, dass es das Werk eines einzelnen Mannes war … auch wenn ich das bis heute nicht glauben kann … Jedenfalls hatte man dort auch einen bestimmten Verdacht, der sich gegen einen gewissen …«

»Glasgow-Ambrose richtete«, ergänzte Bradley den Satz.

Barwick nickte. »Richtig!« Er legte seine Zigarre beiseite. »Kurz darauf haben sie den Burschen auch festgesetzt. Der Einbruch bei uns war nicht der einzige, der ihm zur Last gelegt wurde. Erstaunlicherweise war der Mann sofort geständig und lieferte sogar den größten Teil seiner Beute ab … Ja, und so bekam ich das Geld zurück. Bis hier wäre es ja noch gut gewesen …« Er seufzte wieder schwer. »Aber gestern früh musste ich feststellen, dass die Nummern dieser Banknoten nicht mit denen auf der erstellten Liste übereinstimmen. Mit anderen Worten: Es handelt sich nicht um dieselben Scheine, Mr. Bradley!«

»Wie kommt es, dass Ihnen das nicht früher aufgefallen ist. Wurden die Nummern nicht abgeglichen als Sie das Geld zurückbekamen?«

Sein Gegenüber grinste verlegen. »Nun, ich muss gestehen, dass das auf eine Nachlässigkeit in meinem Haus zurückzuführen ist … Ich sagte Ihnen schon, dass der Einbruch an einem Wochenende stattfand. An diesem Sonntag erkrankte mein Hauptkassierer und musste für einen Eingriff ins ›Perth Royal Infirmary‹ eingeliefert werden. Er wurde direkt am Montag operiert. Am selben Tag entdeckten wir den Einbruch. Natürlich wurden wir seitens der Polizei sofort nach den zugehörigen Nummern der Scheine gefragt. Meine Mitarbeiter waren jedoch nicht in der Lage die entsprechenden Unterlagen zu finden und den Hauptkassierer konnte ich erst am Mittwoch danach fragen. Er stand wohl unter Schock als er von der Sache erfuhr und vermochte sich nicht mehr zu erinnern … Sie müssen verstehen, er ist noch ein Bankkassierer alter Schule, korrekt vom Scheitel bis zur Sohle, geschwächt durch die Operation … er erfährt von dem Einbruch in den Haupttresor …«

»Ich verstehe.«

»Dem Yard habe ich daraufhin erst einmal mitteilen müssen, dass meiner Erkenntnis nach, keine Notierung der Nummern erfolgt sei. Dann, zwei Monate später, wurde der Täter dingfest gemacht. Er gestand unter anderem den Einbruch in meine Bank und führte die Beamten zum Versteck des Geldes. Erstaunlicherweise fehlten nur ein paar tausend Pfund … und ich erhielt das Geld zurück.«

»Und dann wurde Ihr Kassierer wieder gesund.« Bradley glaubte den Rest der Geschichte bereits zu kennen.

»Ja, wenngleich er schwer krank war und es entsprechend lange gedauert hat. Er kam gestern zum ersten Mal wieder in die Bank zurück. Als erstes fiel ihm die Liste mit den Nummern in die Finger, die er offensichtlich doch angelegt hatte … handschriftlich. Hätte sich die Aufstellung im Sekretariat zur Abschrift befunden, wäre ja alles kein Problem gewesen.« Er lächelte verstehend. »Er ist halt noch ganz schön ›Old School‹ und macht vieles, wie er es früher gelernt hat.«

»Die Nummern stimmten also nicht überein«, stellte Bradley fest.

»Genau. Die stimmten ganz und gar nicht. Das zurückgegebene Geld stammt nicht aus dem Einbruch in meiner Bank.«

»Und dessen sind Sie sich absolut sicher?«

»Ja, natürlich«, erwiderte der Bankier verständnislos.

Ich kann mir nicht helfen, dachte Bradley bei sich, aber ich werde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass an seinen Ausführungen etwas faul ist. »Wissen Sie, Mr. Barwick, … etwas an dieser Geschichte irritiert mich.«

»Das wäre?«

»Nun, wieso liegt dieses Geld weitere zwei Monate in Ihrem Tresor, wo Sie ohnehin den Auftrag hatten es aus dem Verkehr zu ziehen und zum Umtausch vorzubereiten? Und weshalb haben Sie sich an mich gewandt. Wäre nicht Scotland Yard der richtige Ansprechpartner? Soweit mir bekannt ist, hat man dort in dieser Sache eine Sonderkommission eingerichtet.«

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