Der Sohn des Admirals

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Der Sohn des Admirals
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Thomas Riedel

Der Sohn des Admirals

Pirate-Romance-Roman

Bibliografische Information durch

die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

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1. Auflage

Cover- und Buchgestaltung:

© 2018 Thomas Riedel

unter Verwendung von Bildmaterial von:

Depositphotos # 152667986, 122589780

Impressum Copyright: © 2018 Thomas Riedel

Kein Teil des vorliegenden Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt, verbreitet oder zugänglich gemacht werden.

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

»Und wenn er heimkommt,

ruft er seine Freunde und Nachbarn

und spricht zu ihnen:

Freuet euch mit mir,

denn ich habe mein Schaf gefunden,

das verloren war.«

Lukas 15, 4-7

Kapitel 1

Mitte April 1747 wölbte ein blauer durchsichtiger Himmel seinen ewig heiteren Bogen über die leicht bewegte Flut des Karibischen Meeres. Unter der brennend heißen Sonne Westindiens segelte die britische Korvette ›Coronation‹ mit westlichem Kurs. Auf mehrere Seemeilen durchdrang das Auge die klare und reine Luft so deutlich und sicher, wie sich in England kaum etwas auf eine halbe Meile erkennen ließ. Eine Landratte hätte an der ›Coronation‹ wohl nichts Besonderes gefunden. Wahrscheinlich hätte sie sich gefragt, warum ein solches Aufhebens um dieses Schiff gemacht wurde? Es sei ja schließlich eine Korvette wie jede andere auch.

Aber die ›Coronation‹ war keine Korvette wie andere! Sie war zwar nicht länger, mit ihren etwa achtundzwanzig Yards, aber wesentlich schlanker gebaut als üblich. Während die Masten einer Korvette normalerweise drei Rahsegel übereinander führten, hatte bei diesem Schiff jeder Mast fünf. Außerdem war die ›Coronation‹ mit zwei Klüversegeln und einem Stagsegel am Bug ausgerüstet. Am Heck besaß sie zusätzlich einen dritten Mast für ein Gaffelsegel, der allerdings in der Regel nicht ›gefahren‹ wurde, sondern zerlegt neben dem Achterdeck-Haus lag. Im Gegensatz zur herkömmlichen Bauweise stand auch der ungewöhnliche rundgattene Schluss des Rumpfes – das rundzulaufende Schiffsheck. Vor- und Hinterschiff erhoben sich nur wenig über das Mittelschiff und boten dem Wind auf diese Weise keine große Angriffsfläche, um das Schiff aus dem eingeschlagenen Kurs zu schieben.

Mit außerordentlicher Geschwindigkeit trieb die ›Coronation‹ über das Wasser. Einem sachverständigen Auge wäre sofort aufgefallen, dass sich das Schiff in höchster Alarmbereitschaft befand, denn die je zehn Kanonen an Back- und Steuerbordseite waren ausgerannt, geladen und jederzeit schussbereit. Neben jedem Geschütz war ausreichend Ersatzmunition aufgeschichtet, und die Artilleriemannschaft schlief bei den Rohren.

Am Bug der Korvette lagen zwei Matrosen im Halbschatten, die sich flüsternd miteinander unterhielten.

»Man könnte meinen, wir zögen geradewegs in den Krieg«, meinte der eine verächtlich.

Der andere warf einen Blick in die Runde, erhob sich ein wenig und spuckte seinen Priem geringschätzig über die Reling in die Gischt. »Captain Moore ist noch nie in Westindien gewesen. Die Gewässer scheinen ihm nicht recht geheuer zu sein. Vermutlich haben ihm gewisse Erzählungen über Piraten und Freibeuter den Kopf verdreht …« Dabei deutete er mit seinem Zeigefinger eine drehende Bewegung auf Höhe seiner Schläfe an und gab dazu ein unterdrücktes spöttisches Lachen zum besten.

Der andere, ein junger, gut gebauter Bursche mit schwitzendem, blankem Gesicht, der um seinen Hals ein lose geschlungenes weißes Tuch trug, machte eine wegwerfende Handbewegung. Er war zwanzig Jahre alt und Vortoppsgast. Erst vor zwei Jahren war er in den Dienst der königlichen Marine Georg II. getreten – nicht freiwillig, man hatte ihn dazu gepresst und von einem heimkehrenden Frachtschiff auf ein aussegelndes Kriegsschiff übernommen. Das Schiff hatte in See gehen müssen, ehe seine Besatzung vollzählig war. Seit zwei Jahren diente er nun auf der ›Coronation‹, hatte es aber immer noch nicht bis zum Corporal gebracht. »Pah! Piraten!« Er legte die ganze Kraft jugendlicher Verachtung in diese zwei Worte. »Das ich nicht lache! Die große Zeit der Bukaniere und Filibuster ist längst vorbei! Die Meere sind sicher geworden. Mit einem feindlichen Angriff haben wir ganz sicher nicht zu rechnen. Nein, nein, Jim …« Er brachte seine Lippen an das Ohr des anderen und flüsterte, als könne jemand seine Worte hören, fast tonlos weiter: »… der Alte ist ganz einfach ein ausgemachter Hasenfuß! Ein absolut unfähiger Mann. Der Offizier bei der Admiralität, der Captain Moore das Kommando über ein Schiff gegeben hat, gehört meiner Meinung nach am Kragen an der nächsten Rah aufgeknüpft!«

Jim richtete sich auf und strich sich erregt mit der Rechten durch den struppigen Bart. »Warum so leise, mein Freund?! Brüll deine Meinung doch einfach heraus, damit alle sie hören können. Ich garantiere, dass danach tatsächlich einer hängt. Nur wird es sicher nicht Captain Moore sein …« Er grinste abstoßend. »… sondern du!«

»Was glaubst du, warum ich flüstere?«, fuhr der andere ärgerlich fort. »Ich lebe noch ganz gern.« Er seufzte. »In wenigen Tagen werden wir Jamaica erreicht haben … dann sehen wir weiter. Mir ist nämlich auch nicht ganz wohl zumute, genau wie unserem Captain. Nur aus einem anderen Grund.«

»Und der wäre?«

»Unser Captain fürchtet sich vor eingebildeten nicht existierenden Gefahren. Ich dagegen fürchte mich vor dem Captain. Vor seiner Dummheit, seiner Unfähigkeit und seiner Feigheit. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns hier keine Gefahr droht! Aber soviel Feig- und Unwissenheit, wie sie bei ihm auf einen Haufen kommt, zieht die Gefahr geradezu an, wie ein Magnet das Eisen. Wenn es im Ozean nur eine einzige Klippe gäbe, Moore würde garantiert krachend auf sie auffahren. Und wenn es auf dem Meer nur einen einzigen Piraten gäbe, er würde sich mit ihm aus reiner Hilflosigkeit anlegen. Ich will wahrlich drei Kreuze machen, wenn wir endlich auf Jamaica sind.«

»Du magst ja in einigen Punkten recht haben«, erwiderte sein Kamerad nachdenklich, »aber du hättest nicht davon anfangen sollen .... Jetzt kommen mir nämlich auch Bedenken.«

Der andere begann lauthals zu lachen. Abschätzend betrachtete er seinen Kameraden, einen etwa vierzigjährigen, braungebrannten Mann unbestimmter Herkunft, der es bei seiner Tüchtigkeit längst zum Bootsmann hätte bringen können, wenn er nicht seit ewigen Zeiten immer wieder über die Stränge geschlagen und sich damit selbst um die Chance einer Beförderung gebracht hätte.

Das auch Jim Angst kannte, war neu für ihn. Denn im Verlauf der Zeit, die er mit ihm schon zusammen war, hatte er diesen als einen über jedes Maß hinaus tapferen, furchtlosen und tüchtigen Seemann kennengelernt. An Land ließ er keine Rauferei aus, und zur See war er Wortführer und bei jeder Gelegenheit der Erste und vorneweg. Wenn im Sturm das Toppsegel dicht gerefft werden musste, so war er dabei, rittlings auf der Windseite der Rah sitzend und mit beiden Händen die Zeisinge anziehend, kühn wie Alexander der Große, der sein Streitross ›Bucephalus‹ zähmt. Als würde er von Stierhörnern in den gewittrigen Himmel geschleudert, schwang sich sein jauchzendes Bild durch die Luft vor den Augen der übrigen Männer, die sich in Reihen an den Rahen abarbeiteten.

Jim begründete ihm auch sofort seinen Standpunkt: »Es ist dieses Weib, dass mir einiges zu denken gibt …«

»Das Weib ist kein Weib!«, belehrte ihn der andere. »Sie ist eine Dame.«

»Darum geht es doch gar nicht.«

»Worum dann?«

»Liegt das nicht auf der Hand?« Das Gesicht des Älteren nahm einen verdrossenen Ausdruck an. »Es geht darum, dass eine Frau einfach nicht auf ein Schiff gehört. So etwas bringt Unglück. Du solltest das wissen, Dan!«

Der andere lachte sorglos. »Pah! So ein Ammenmärchen! Was sollte denn da die Mannschaft eines Passagierschiffs sagen?«

»Wir sind aber kein Passagierschiff«, ereiferte sich Jim. »Wir sind ein Kriegsschiff Seiner Majestät ... Und die Anwesenheit einer Frau auf einem Kriegsschiff bringt nun einmal Unglück! Da beißt keine Maus einen Faden ab.« Er kramte in seiner Hosentasche und brachte eine kleine Münze zum Vorschein, die er bespuckte und über die Reling warf, ehe er sich schnell bekreuzigte.

»Jetzt fehlt nur noch, dass du eine Walflosse an die Außenwand des Schiffes nagelst, damit sich dessen Kraft auf unsere Geschwindigkeit auswirkt«, machte sich Dan über den Aberglauben seines Kameraden lustig. »Und vermutlich glaubst du auch die Hirngespinste von haarigen Meeresgeschöpfen, Riesenkraken und Seeschlangen, wie?«

»Du anscheinend nicht, aber glaub mir, du wirst schon noch sehen!«, brummte Jim verdrossen. »Ich fahre schon um einiges länger zur See, mein Freund. Was weißt du schon vom Meer mit seinen grundlosen Tiefen. Du weißt nicht, wie es ist, wenn eine Seeschlange vom Grund emporsteigt, ihren ungeheuren, mit einer dichten Mähne bedeckten Hals bis zu den Wolken hinaufreckt, sich mit ihren riesigen schwarzen glänzenden Augen auf Mastenhöhe streckt und nach Beute oder Opfern umsieht!«

Dan versuchte ein Lachen zu unterdrücken, um Jim nicht weiter gegen sich aufzubringen. »Sag mal, was hat dir die denn die arme Mrs. Montgomery angetan?«, fragte er, um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. »Ihr Mann ist auf Jamaica stationiert, wie ich erfahren habe …«

 

»Du meinst doch nicht etwa Captain James Montgomery?«, zeigte sich Jim erstaunt.

»Keinen anderen, mein Freund. Er wurde nach Jamaica versetzt, als sein Sohn gerade einmal zwei Monate alt war, wie mir zu Ohren gekommen ist. Jetzt hat ihn wohl die Sehnsucht nach seiner Familie übermannt. Der Stammhalter kann gerade mal ein Jahr alt sein. Der Captain lässt sie eben nachkommen.«

»Sehr zum Schaden des Kindes!« Jim zeigte ein wenig fröhliches Grinsen. »Es wird wohl kaum das Klima Westindiens aushalten. Der Junge wird sicher binnen weniger Monate sterben. Ich frage dich: Was hat der Vater davon, dieser Idiot?«

*

Während die beiden Matrosen sich noch weiter unterhielten, saß der Captain der ›Coronation‹, der zu jenen Sterblichen gehörte, die man in allen Berufen antreffen kann, und die man allerorten einfach ›Ehrenmänner‹ nennt, in seiner Kajüte. Erstaunlicher Weise liebte dieser Mann, der sein Leben lang das wilde Meer durchpflügt und mit dem unbändigen Element gekämpft hatte, im tiefsten Grund seines Herzens, nichts so sehr wie Ruhe und Frieden. Er war ein Mann mittleren Alters, der ein wenig zur Dickleibigkeit neigte und hatte ein angenehmes, volles Gesicht, ohne den üblichen Backenbart und von frischer Farbe.

Bei gutem Wetter und günstigem Wind, wenn alles so lief, wie er es sich vorstellte, klang in seiner Stimme ein gewisser, fast musikalischer Wohlklang mit – auch wenn das nicht unbedingt seinem tatsächlichen Wesen entsprach. Er war überaus vorsichtig und gewissenhaft, doch wurden diese Tugenden zeitweilig das Opfer seiner übertriebenen Unruhe und Besorgnis. Solange sein Schiff nicht in Küstennähe fuhr, kannte Captain Moore keinen Schlaf. Er trug schwerer an seiner großen Verantwortung als viele andere Kapitäne.

Ihm gegenüber saß eine hochgewachsene, schlanke blonde Frau, die einen kleinen Jungen auf dem Schoß hielt.

»Wie lange wird es Eurer Meinung nach noch dauern, Captain?«, erkundigte sich Gladys Montgomery, nach einem Augenblick des Schweigens. Sie hatte ihm still dabei zugesehen, wie er auf einer Karte, die sich vor ihm auf dem Tisch befand, mit einem Stechzirkel einige Distanzen berechnet hatte.

»Ich bin sicher, dass wir Jamaica in etwa drei Tagen erreichen«, antwortete Moore freundlich. Er legte das Navigationswerkzeug beiseite und blickte sie an, während er die Karte aufrollte, um sie in eine Lederhülle zu schieben. »Ihr werdet aufatmen, Mrs. Montgomery.«

»Ja, das werde ich allerdings«, seufzte die attraktive Frau und fügte eilig hinzu: »Ihr habt mir die Überfahrt aber sehr erleichtert, Captain. Dafür möchte ich Euch meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Ich werde nicht versäumen, meinem Mann von Eurem mir stets zuteil gewordenem Entgegenkommen zu berichten.«

»Es war mir eine Ehre, Euch gefällig zu sein, Mrs. Montgomery.« Moore legte die Lederhülle in ein Regal seitlich des Tisches, in dem sich ganze Bündel von Papieren und unterschriebenen Dokumenten befanden. »Man könnte meinen, dass die Admiralität offenbar glaubt, Schiffe Seiner Majestät, Georg II., könnten ohne diese Flut von Papieren nicht schwimmen und erhalten erst dadurch den erforderlichen Auftrieb«, kommentierte er spöttelnd. Dann stellte er zwei Kelche, einen Krug Wasser und eine wertvolle Glaskaraffe mit spanischem ›Rioja‹ für seinen Gast auf den kunstvoll geschnitzten Eichentisch. Das dunkelrote Getränk funkelte im Licht der zahlreichen Öllampen, die die Kapitänskajüte erhellten.

»Für mich bitte nicht, Captain, nur etwas Wasser«, winkte sie schnell ab, als er bereits Wein in ihr Glas füllen wollte.

»Wir Ihr wünscht.« Lächelnd schob der Marineoffizier ihr das Gewünschte zu, und sie beobachtete ihn dabei, wie er sich aus der Karaffe unbefangen Wein einschenkte, um ihn direkt in drei großen Schlucken herunterzugießen.

»An sich liebe ich diesen Wein. Er gehört wirklich zu den edelsten spanischen Sorten. Doch am meisten mundet er zu Fleisch, Wildbret oder Käse«, bemerkte sie.

»Wie recht Ihr damit habt, Mrs. Montgomery«, erwiderte Moore und strich sich mit einer Hand über den Bauch. »Mit seinem würzigen Geschmack bildet er genau den richtigen Rahmen für derlei Genüsse. Euch will ich nicht verhehlen, dass ich ein großer Genießer bin.« Sie lächelte, während an seinem inneren Auge zwei gebratene Fasane vorüber zogen, die er sich jetzt am liebsten hätte zubereiten lassen. Er setzte das leere Glas auf den Tisch, behielt es aber vorsorglich in Reichweite. Dann machte er es sich auf seinem Stuhl bequem und fuhr sich nachdenklich über die Lippen. »Nehmt es mir nicht übel, aber ich mache mir Gedanken um Euren Sohn und frage mich, ob er das mörderische Klima aushalten wird.«

Für einen Augenblick trat Stille ein. Durch die geöffneten Fenster war nur das vertraute Knarren der Masten und Rahen zu hören – und das prasselnde Knattern des Windes in den geblähten Segeln. Hinzu kam das Stampfen und Rollen über die Berge und Täler der See. Ein sorgenvoller Zug trat in das feingeschnittene Gesicht der jungen, kaum zweiundzwanzigjährigen Frau. »Das ist meine ganze Sorge, Captain! Mein Mann hat mich gerufen, mir aber die Entscheidung überlassen, ob ich seinem Ruf folgen wolle. Er wollte es nicht allein entscheiden, ob Roger das vorübergehende Umsiedeln in eine andere Welt bekommen werde. Zwar haben mich die Ärzte in dieser Hinsicht zu beschwichtigen versucht, eine Garantie hat mir jedoch keiner geben können. Nun … Ich habe mich entschlossen dieses Wagnis einzugehen, und jetzt gibt es kein Zurück mehr. Bisher hat unser Sohn die Reise gut überstanden. Mit Gottes Hilfe wird er auch alles andere gut überstehen.«

»Darauf sollten wir anstoßen, Mrs. Montgomery«, schlug Captain Moore lächelnd vor und schenkte sich aus der Karaffe nach.

»Wenn es Euch recht ist, dass ich mit meinem Wasser anstoße, gern!«, lächelte sie und hob ihm ihr Glas entgegen.

***

Kapitel 2

Zur gleichen Zeit kreuzte, in der Gegend des Karibischen Meeres, in der sich die ›Coronation‹ augenblicklich befand, noch ein anderes, größeres Schiff langsam gegen Strömung und Wind. Es handelte sich um ein Dreimaster, der wesentlich länger als eine normale britische Korvette war, aber bei weitem nicht als Linienschiff bezeichnet werden konnte, denn dazu war er viel zu rassig und zu schmal gebaut. Das mit Waffen aller Art überreich ausgestattete Schiff trug den Namen ›Esperanza‹ und es fuhr unter portugiesischer Flagge.

Die vier Offiziere des Dreimasters machten schon Äußerlich den Eindruck, als entstammten sie einer wilden Bande von Räubern und Dieben, und der Eindruck täuschte nicht.

Ihr Anführer war Miguel Álvarez de Cardenas y Allende, ein über zwei Zentner schwerer, großer und massiger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, der seit dem Verlust seines rechten Armes von allen nur noch ›El Manco‹ genannt wurde. Er war überraschend elegant gekleidet. Trotz der unerträglichen Hitze trug er eine Fantasieuniform, die die eines jeden Generals oder Admirals weit in den Schatten stellte: lange Röhrenhosen, die in hohen Schaftstiefeln steckten, dazu kam ein schwarzer Uniformrock, der fast bis zu den Kniekehlen reichte und ein goldverzierter Dreispitz. Um die Taille des Mannes, die schon mehr dem Äquator glich, schlang sich ein Koppel, an dem mit Riemen und Schleppkette ein kostbarer Degen baumelte. Der rechte Ärmel des Uniformrocks hing leer herunter. Vor Jahren war er einmal an den Falschen geraten und hatte im Kampf seinen Arm eingebüßt. Was aus dem anderen geworden war, ließ sich später nicht mehr feststellen. Kenner der Verhältnisse wollen allerdings wissen, dass der Betreffende so behandelt worden sei, dass er noch im Sterben die Mutter verflucht habe, die ihn einst geboren hatte.

›El Mancos‹ Erster Offizier hieß Ramon. Seine Statur war nicht weniger hünenhaft als die des Capitáns, aber doch wesentlich schlanker. Er war ein schwarzhaariger, bleichgesichtiger Mann – ein richtiger Girolamo Savonarola-Typ. Sein Fanatismus und seine Unerbittlichkeit stand der des italienischen Dominikaners und Bußpredigers in nichts nach; allerdings nicht auf religiösem Gebiet. Aber ganz sicher hätte er nicht gern dessen Schicksal geteilt: eingekerkert, gefoltert und zum Tode verurteilt, um dann zunächst gehängt und anschließend verbrannt zu werden. Sehr wahrscheinlich war der Erste Offizier um einiges mehr zu fürchten, als der Capitán. Denn ›El Manco‹ war zwar ebenso tapfer wie brutal, aber Ramon war gegen ihn ein wahrer Sadist!

Außer diesen beiden hatten nur noch zwei Unterführer einen gewissen Einfluss: Das waren ›Relámpago‹ und ›Pie Zopo‹, deren richtige Namen mit der Zeit völlig in Vergessenheit geraten waren.

›Relámpago‹ war ein junger, fuchsgesichtiger Mann unbestimmbarer Herkunft mit muskelbepacktem Oberkörper. ›Pie Zopo‹, der schwärzer als die Nacht bei Neumond war, hatte ›El Manco‹ vor über zehn Jahren aus spanischer Gefangenschaft befreit. Seit damals war er seinem Patrón in Treue verbunden und gehörte zu dem engen Kreis derer, die sich ihm gegenüber durchaus einmal eine kritische Bemerkung herausnehmen durften, für die jeder andere ohne jeden Zweifel hart bestraft worden wäre. Doch zumeist hielt er seine Zunge im Zaum und schwieg. Er war ein melancholischer Mittvierziger, der zudem sehr unter einer unklaren Erkrankung seines Magens litt. Da er trotzdem ununterbrochen starken alkoholischen Getränken zusprach und fast ständig betrunken war, tobte in seinem Bauch schon zu Lebzeiten vierundzwanzig Stunden am Tag das Fegefeuer.

»Leider ist uns schon lange nichts mehr vor die Kanonen gekommen«, maulte ›El Manco‹ mürrisch.

Ramon nickte und schwieg.

»Aber was nicht ist, kann ja noch werden«, fügte der Capitán nicht minder mürrisch hinzu.

Relámpago‹ und ›Pie Zopo‹ beschränkten sich aufs Zuhören. Letzterer war wieder einmal viel zu betrunken, um überhaupt eine vernünftige Äußerung von sich geben zu können, und ›Relámpago‹ viel zu klug, um sich unnötig die Zunge zu verbrennen. Er wusste nur zu gut, dass es ›El Manco‹ gar nicht schätzte, wenn jemand seine Geistesblitze kommentierte.

»Immerhin haben wir in letzter Zeit genügend Beute gemacht«, meinte Ramon nachdenklich. »Wir sind nicht darauf angewiesen, jeden kleinen Brotfresser mitzunehmen, der uns vor die Kanonen kommt. Lasst uns auf lohnende Ziele warten.«

Der Capitán war anderer Ansicht. Unwillig schüttelte er den Kopf. »Schau dich um, die Mannschaft wird faul und träge ... Ich greife jedes Ziel an, das sich mir bietet, ohne Rücksicht auf den Nutzen.«

»Du bist der Capitán«, bestätigte Ramon verschlagen. Er ließ sich nicht anmerken, wie sehr er selbst gern der Anführer gewesen wäre, und er hütete sich, derartige Gedanken laut werden zu lassen – noch hing er an seinem Leben.

Es entstand eine lange Pause, die erst von einem zerlumpt gekleideten Läufer unterbrochen wurde. »Schiff ahoi!«, meldete er respektvoll. »Acht Strich backbord querab. Sieht aus wie eine Mischung aus Korvette und Schnellsegler.«

»Dann hoffen wir mal, dass uns deren Capitán noch nicht gesichtet hat«, meinte ›El Manco‹ und zeigte ein diabolisches Lächeln. »Gegen einen Schnellsegler haben wir sonst keine Chance.«

Zu seiner Beruhigung schienen auch die anderen seiner Meinung zu sein. Nur Ramon konnte sich vorlaut nicht zurückhalten. »Dann sollten wir so tun, als hätten wir die Korvette nicht bemerkt!«

Der Capitán nickte. »Das dürfte das beste sein«, bestätigte er. »Wir bleiben dran ... Aber vorsichtig. Wir werden bis zum Einbruch der Dunkelheit folgen. Sollte sich dann eine Möglichkeit bieten, treffe ich eine neue Entscheidung.« Er wandte sich an ›Relámpago‹ und ›Pie Zopo‹: »Wir drehen auf neuen Kurs ein. Alles weitere wird euch ohnehin klar sein!«

Die beiden Angesprochenen gingen zum Kommandostand hinüber, setzten ihre Bootsmannpfeifen an die Lippen und pfiffen durchdringend. »An die Segel!«, brüllte ›Relámpago‹ lauthals. »Fertigmachen zum Wenden! Ruder hart Steuerbord! Neuer Kurs Nordwest!«

»Nordwest liegt an!«, rief der Steuermann gleich darauf zurück.

»Ich will, dass ihr auch den letzten Fetzen Leinwand setzt«, kommandierte ›Relámpago‹ weiter. »Die Kanonen laden, ausrennen und Feuerbereitschaft melden!«

Seine Befehle wurden mit erstaunlichem Eifer ausgeführt. Die aus verkommenen Menschen aller Nationen bunt zusammengewürfelte Mannschaft zeigte eine für Piraten seltene Disziplin. Aber alle wussten, warum: Die vier Offiziere verstanden keinen Spaß! Erst bei ihrer vorletzten Ausfahrt hatten sie einen ihrer Kameraden an der Rahnock aufgeknüpft. Ihnen klangen noch die Worte ihres Capitáns in den Ohren, der gebrüllt hatte, dass der Mann dort so lange hängen solle, bis er von selbst abfällt.

 

Gehorsam wich das Schiff von seinem südlichen Kurs ab und wand seinen Bug nach Nordwesten. Mittlerweile war auch das letzte Hilfssegel gesetzt worden, und die ›Esperanza‹ nahm die Verfolgung auf.

»Ich nehme genau den gleichen Kurs wie die Korvette«, erklärte der Capitán, während er begann auf dem Achterkastell auf und ab zu gehen. Das tat er immer, wenn er über einen Plan nachdachte. »Besser wäre es freilich, den Gegner in weitem Boden zu umgehen und ihm den Weg abzuschneiden. Aber dazu sind wir leider nicht schnell genug. Also gibt es nur eines: So vorgehen, wie ich eben befohlen habe, und im Übrigen darauf warten, bis sich bei Nacht ein günstiger Moment ergibt.«

»Da besteht nur wenig Hoffnung, dass es so kommt«, meinte Ramon und strich sich übers Kinn.

›El Manco‹ zuckte die Achseln. »Warten wir es doch einfach ab, Ramon!« Seine kohlschwarzen Augen blickten den Ersten durchbohrend an, der darauf verlegen nickte. Dann nahm er seine Wanderung wieder auf, die ihn erneut von Steuerbord nach Backbord führte. Immer wieder verharrte er für einige Sekunden, ehe er weiter über die Planken schritt.

Inzwischen bereitete sich die Besatzung für alle Fälle auf einen Kampf vor. Sorgfältig wurden die Kanonen überprüft, ehe man sie lud und ausrannte. Gleichzeitig wurde Reservemunition an Deck gehievt. Lange Messer und Enterbeile blitzten im Sonnenlicht, und Musketen ragten in ihren Halterungen über die Bordwand.

***