Buch lesen: «Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht», Seite 5

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bb)

54

Ob die Zwischennamen „Thi“ und „Phan“ während der Ehe weiter geführt wurden, muss für den vorliegenden Fall nicht geklärt werden; grundsätzlich wurde auch vor Inkrafttreten von Art. 47 EGBGB ein Wahlrecht vertreten, wobei mangels einer Wahl für den Zwischennamen umstritten war und bleibt, ob dieser bei Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit als Teil des Vornamens oder als Zwischenname weitergeführt wird oder wegen Unverträglichkeit mit deutschem Namensrecht erlischt; Unverträglichkeit wird zutreffend nur selten angenommen und liegt nicht vor, wenn der Namensträger aus seinem alten Namensstatut einen Zwischennamen mitbringt, der als solcher weitergeführt werden kann.[14] Nicht geklärt werden muss auch, wie das italienische Recht die Führung des Zwischennamens beurteilte. Denn Ying will ausweislich ihres Antrages nunmehr jedenfalls den Zwischennamen ablegen.

Ergebnis:

55

Die im Familienbuch eingetragene Namensführung „Thieu“ trifft zu.

Frage 3: Namensführung der Ying
1. Wiederannahme des Geburtsnamens
a) Anknüpfung

56

Kollisionsrechtlich beurteilt sich die Namensführung nach der Ehescheidung nach dem aktuellen Namensstatut jedes Ehegatten. Anzuknüpfen ist also an das gegenwärtige Personalstatut der Ying; diese ist deutsche Staatsangehörige, hat also ein deutsches Namensstatut.

b) Formstatut

57

Die Form ehenamensrechtlicher Erklärungen ist in Art. 10 Abs. 1 EGBGB nicht – wie für die Erklärung nach Art. 10 Abs. 2 EGBGB – speziell geregelt. Es genügt deshalb nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB wahlweise die Wahrung der Ortsform (relevant zB bei Ehenamenswahl anlässlich der Eheschließung deutscher Ehegatten im Ausland) oder der Geschäftsform.

c) § 1355 BGB

58

Ying kann durch Erklärung nach § 1355 Abs. 5 S. 2 BGB, wie gewünscht, ihren Geburtsnamen „Hu“ wieder annehmen.

Die Form deutschen Rechts als des Geschäftsstatuts (Art. 11 Abs. 1 iVm Art. 10 Abs. 1 EGBGB) ist gewahrt (§ 1355 Abs. 5 S. 2, Abs. 4 S. 5 BGB).

2. Anpassung des Namens nach Erwerb eines deutschen Namensstatuts
a) Anwendbarkeit Art. 47 EGBGB

59

Ying könnte ein Recht zur Namensanpassung gemäß Art. 47 EGBGB[15] haben. An sich bleibt bei Erwerb eines deutschen Namensstatuts gemäß Art. 10 Abs. 1 EGBGB der bisher geführte Name – vorbehaltlich Unverträglichkeit (Rn 54) – unverändert als unter vorherigem Namensstatut wohlerworbenes Recht bestehen. Art. 47 EGBGB ändert diese kollisionsrechtliche Lage nicht, erlaubt aber als, auch systematisch nicht in das IPR eingeordnete, materiellrechtliche Norm dem Namensträger nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit eine Anpassung an die Üblichkeiten der deutschen Namensführung.

b) Anpassung nach Art. 47 EGBGB

60

Da Ying ein ausländisches Namensstatut hatte und durch Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit 1998 ein deutsches Namensstatut erworben hat, ist Art. 47 EGBGB anwendbar. Eine Befristung der Bestimmungsrechte sieht Art. 47 EGBGB nicht vor.

aa)

Art. 47 Abs. 1 S. 1 Nr 1, 2, 4 EGBGB führen vorliegend offenkundig nicht zu dem gewünschten Ergebnis, da diese Normen nur eine Auswahl aus dem phonetisch unveränderten bisherigen Namen erlauben.

bb)

Art. 47 Abs. 1 S. 1 Nr 3 EGBGB erlaubt jedenfalls die Ablegung des Zwischennamens „Thi“, insoweit also wirksame Wahl.

cc)

Nach Art. 47 Abs. 1 S. 1 Nr 5 Hs. 1 EGBGB kann Ying eine deutschsprachige Form des Vornamens und des Nachnamens annehmen. Nun gibt es freilich weder zu „Ying“ noch zu „Hu“ deutschsprachige Pendants.[16] In Betracht kommt daher nur Art. 47 Abs. 1 S. 1 Nr 5 Hs. 2 EGBGB, der jedoch nur die Annahme eines neuen Vornamens, nicht aber eines Familiennamens erlaubt; beim Familiennamen ist eine Eindeutschung regelmäßig nur bei linguistischer Verwandtschaft des geführten mit einem deutschen Namen möglich.[17]

Im Ergebnis heißt Ying also nunmehr mit Vornamen Yvonne. Da sie den Zwischennamen abgelegt hat, die Namensbestimmung des Nachnamens zu „Huber“ aber unwirksam ist, heißt sie mit Nachnamen weiter „Hu“.

Ergebnis:

61

Ying heißt nunmehr „Yvonne Hu“.

Frage 4: Namensstatut des Frank
1. Namensstatut

62

Der Familienname des Frank bestimmt sich nach seinem Namensstatut, also nach dem Recht des Staates, dem Frank angehört (Art. 10 Abs. 1 EGBGB).

a) § 4 Abs. 3 StAG

Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von Geburt kommt nicht in Betracht. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht sieht erst seit dem 1.1.2000 für nach dem 31.12.1999 in Deutschland geborene Kinder in § 4 Abs. 3 StAG einen Erwerbstatbestand iure soli vor.

b) Art. 12 GFK

63

Ein abgeleitetes Flüchtlingsstatut nach Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention ohne eigene Flüchtlingseigenschaft des Kindes, das bei Flüchtlingsstatus beider Eltern angenommen wird,[18] kommt hier nicht mehr in Betracht; der Vater John hatte seinen Flüchtlingsstatus verloren.

c) Kein abgeleitetes Personalstatut bei Staatenlosigkeit

64

Ein abgeleiteter Erwerb eines deutschen Personalstatuts von einem sich in Deutschland aufhaltenden staatenlosen Elternteil kommt hingegen generell nicht in Betracht. Entweder ist das Kind selbst staatenlos, unterfällt also selbstständig Art. 5 Abs. 2 EGBGB oder es erwirbt eine Staatsangehörigkeit iure soli im Geburtsland oder iure sanguinis vom anderen Elternteil.

d) Vietnamesische Staatsangehörigkeit

65

Frank hat auch bei Geburt außerhalb Vietnams die vietnamesische Staatsangehörigkeit seines Vaters nach dem im Zeitpunkt seiner Geburt geltenden Art. 6 Abs. 2 des vietnamesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes erworben, weil seine Mutter in diesem Zeitpunkt staatenlos war (MAT l). Art. 10 Abs. 1 EGBGB verweist in vietnamesisches Recht, das die Verweisung annimmt (MAT m).

Dieses Namensstatut ist seit Geburt von Frank unverändert.

2. Einfluss des Ehenamensstatuts

66

Die Wahl des Ehenamensstatuts durch die Ehegatten erstreckt sich nicht auf das gemeinsame Kind. Dies folgt aus der jeweils getrennten Regelung in Art. 10 Abs. 2 und Abs. 3 EGBGB.

3. Wahl des Kindesnamensstatuts
a) Art. 10 Abs. 3 EGBGB intertemporal anwendbar

67

Eine Wahl deutschen Rechts als Kindesnamensstatut nach Art. 10 Abs. 3 Nr 1 EGBGB (deutsches Heimatrecht der Mutter) oder Nr 2 (deutscher gewöhnlicher Aufenthalt beider Elternteile) setzt voraus, dass Art. 10 Abs. 3 EGBGB intertemporal anwendbar ist. Art. 10 Abs. 3 EGBGB ist am 1.7.1998 in Kraft getreten. Fraglich ist, ob die Bestimmung intertemporal auch für vorher geborene Kinder gilt. Hierfür könnte Art. 224 § 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB, die intertemporale Kollisionsnorm zum Inkrafttreten der namensrechtlichen Bestimmungen des KindRG, sprechen. Danach behält das vor dem 1.7.1998 geborene Kind seinen Geburtsnamen. Diese Übergangsregelung bezieht sich jedoch nur auf die neuen Regelungen im materiellen deutschen Kindesnamensrecht und soll klarstellen, dass ein früher geborenes Kind nur in den von Art. 224 § 3 Abs. 2 bis 6 EGBGB geregelten Fällen einen neuen Geburtsnamen nach deutschem Recht erhalten kann.

b) § 1617c Abs. 1 BGB analog

68

Hingegen eröffnet Art. 10 Abs. 3 EGBGB eine Namensstatutwahl, die so umfassend bis zum 30.6.1998 für „eheliche“ Kinder nicht bestand (Art. 10 Abs. 5 aF EGBGB, vgl MAT b). Da zudem Art. 10 Abs. 3 EGBGB auf die Befristung in Art. 10 Abs. 5 aF EGBGB („vor der Beurkundung der Geburt“) verzichtet, wird deutlich, dass eine Namensstatutwahl nun nicht mehr daran scheitert, dass das Kind bereits einen Geburtsnamen hat. Die Wahl deutschen Rechts als Namensstatut ist also auch für den vor dem 1.7.1998 geborenen Frank möglich.

Problematisch ist dabei allerdings, dass Art. 10 Abs. 3 EGBGB nicht auf § 1617c BGB verweist. Durch die unbefristet zulässige Namensstatutwahl kann es zu einer Änderung des Geburtsnamens auch bei über 5-jährigen Kindern kommen. Wegen der erheblichen Betroffenheit des Persönlichkeitsrechts des Kindes bedarf es nach dem Rechtsgedanken aus § 1617c Abs. 1 BGB dessen Zustimmung auch bei Art. 10 Abs. 3 EGBGB, wenn das Kind im Zeitpunkt der Rechtswahl das 5. Lebensjahr vollendet hat.

Die Wahl kann der Inhaber der elterlichen Sorge treffen; wer dies ist, bestimmt sich als Vorfrage nach dem von Art. 21 EGBGB berufenen Recht (nach Fragestellung vorliegend nicht zu prüfen).

Ergebnis:

69

Der Sorgeberechtigte kann für Frank deutsches Recht als Namensstatut wählen.

Anmerkungen

[1]

Das PStG idF. BGBl. III, Gliederungsnummer 211-1 ist zum 1.1.2009 außer Kraft getreten: Art. 5 Abs. 2 S. 2 Personenstandsrechtsreformgesetz vom 19.2.2007, BGBl. 2007 I 122; gleichzeitig ist das PStG neuer Fassung (Art. 1 Personenstandsrechtsreformgesetz) in Kraft getreten.

[2]

So der BGH in ständiger Rechtsprechung: BGH FamRZ 1997, 542, 543.

[3]

Jayme/Hausmann19 Nr 10.

[4]

Jayme/Hausmann19 Nr 11.

[5]

So BayObLGZ 1999, 27, 30; Einzelheiten BeckOK-BGB/Lorenz (1.5.2018) Art. 5 EGBGB Rn 27.

[6]

BGH NJW 1993, 2047, 2048 f.; OLG Nürnberg FamRZ 2002, 324; OLG Hamm NJW 1990, 651; OLG Koblenz FamRZ 1990, 536; OLG Koblenz FamRZ 2016, 993.

[7]

Zum Aufbau: An dieser Stelle kann noch nicht auf die weitere Prüfung der alternativen Anknüpfung an das Ehewirkungsstatut verzichtet werden, obgleich für beide individuellen Namensstatute ebenfalls auf italienisches Recht verwiesen ist. Die alternative Anknüpfung an das Ehewirkungsstatut hat bei Prüfung der Gesamtverweisung ein eigenes Schicksal; es wird auch im fremden IPR die ehewirkungsrechtliche, nicht die namensrechtliche IPR-Norm angewendet. Anders wäre dies, wenn lediglich auf der Suche nach dem Namensstatut anknüpfungstechnisch die Anknüpfungssystematik der ehewirkungsrechtlichen Kollisionsnorm verwendet würde – wie dies zB Art. 15 EGBGB tut.

[8]

Das italienische Recht stellt – was hier nicht erheblich ist – anders als das deutsche Recht bei wechselnden Aufenthalten auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab und kennt, anders als das deutsche Recht (§ 7 Abs. 2 BGB), keinen mehrfachen Wohnsitz.

[9]

BGHZ 90, 129, 140; aA sowie eingehend zum Streitstand: BeckOK-BGB/Mäsch (1.11.2018) Art. 10 EGBGB Rn 11.

[10]

Eine Reihung des Vornamens nach dem Nachnamen ändert nicht die funktionale Definition, vgl umgangssprachlich in Bayern („der Huber Sepp“) oder offiziell in Ungarn („Liszt Ferenc Airport“).

[11]

BGH MDR 1966, 129; OLG Hamm FamRZ 1993, 111, 113; vgl auch BVerwG StAZ 1993, 219: freiwillige Rückkehr.

[12]

BayObLGZ 1999, 153, 158; BGH NJW-RR 2015, 321.

[13]

Aufbau: Man könnte bereits die Vorfrage der wirksamen Ehe bei Art. 10 Abs. 2 EGBGB prüfen, denn nur „Ehegatten“ können ein Ehenamensstatut bestimmen und zugleich einen Ehenamen wählen. Auch dann muss für die Vorfragenanknüpfung der wirksame Status nach dem zu wählenden Statut angeknüpft werden.

[14]

BGH NJW 2014, 1383: Vatersname nach bulgarischem Recht; zur Thematik BeckOK-BGB/Mäsch (1.11.2018) Art. 10 EGBGB Rn 17.

[15]

Art. 47 EGBGB sollte gemäß Art. 5 Abs. 2 PStRG, BGBl. 2007 I 122 am 1.1.2009 in Kraft treten, gilt jedoch gemäß Art. 4 Abs. 1a des Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BGBl. 2007 I 748) bereits seit dem 24.5.2007.

[16]

Beim Vornamen nicht nur linguistische Anpassung (zB des arabischen/persischen „Marjam“ in das deutsche Äquivalent „Maria“), sondern auch eine freie Neubestimmung.

[17]

ZB Wechsel eines Polen zur deutschen Staatsangehörigkeit: Anpassung „Szmidt“ zu „Schmidt“ zulässig, nicht aber Übersetzung „Kowal“ zu „Schmied“.

[18]

BayObLGZ 1999, 27.

Literaturhinweise

Behandlung der fallrelevanten Themen in:

Rauscher Internationales Privatrecht (5. Aufl., 2017)


Intertemporales Recht: Rn 16, 413 ff
Personalstatut Staatenloser: Rn 236 ff
Personalstatut Flüchtlinge: Rn 250 ff
Namensstatut: Rn 669 ff
Ehenamensstatut, Wahl: Rn 681 ff
Kindesnamensstatut, Wahl: Rn 689 ff
Vorfragen im Namensstatut: Rn 518
Namensbestimmung Art. 47: Rn 678 ff

Weitere Literatur

1. Intertemporales Recht

Staudinger/Looschelders (2019) Einl IPR, Rn 273 ff.

Coester-Waltjen Ausgewählte zivilrechtliche Fragen im Einigungsvertrag – Interlokale und intertemporale Probleme, Ehegüterrecht und nachehelicher Unterhalt, Jura 1991, 516.

2. Personalstatut Staatenloser und Flüchtlinge

Staudinger/Bausback (2013) Art. 5 EGBGB, Rn 32 ff (Staatenlose) und Rn 40 ff und Rn 59 ff (Flüchtlinge).

Staudinger/Bausback (2013), Anh IV zu Art. 5 EGBGB.

Mankowski, Die Reaktion des Internationalen Privatrechts auf neue Erscheinungsformen der Migration, IPRax 2017, 40.

3. Ehenamensstatut/Wahl

Staudinger/Hepting/Hausmann (2013) Art. 10 EGBGB, Rn 189 ff (Ehenamensstatut) und Rn 244 ff (Wahl des Ehenamensstatuts).

Kampe Können Ehegatten aufgrund einer Rechtswahl gemäß Art. 10 Abs. 2 EGBGB zugunsten amerikanischen Rechts einen Ehedoppelnamen führen?, StAZ 2007, 149.

Krömer Ermöglicht Art. 10 Abs. 3 EGBGB die Wahl eines Namensstatuts welches keinen Vor- und Familiennamen kennt?, StAZ 2006, 152.

4. Kindesnamensstatut/Wahl

Staudinger/Hepting/Hausmann (2013) Art. 10 EGBGB, Rn 314 ff (Kindesnamensstatut) und Rn 364 ff (Wahl des Kindesnamensstatuts).

Fachausschuss-Nr 3743: Mehrmalige Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB für den Namen eines Kindes mit deutscher Mutter und spanischem Vater, StAZ 2006, 81.

Gaaz Der Doppelname als Menschenrecht? – Zum Recht des Kindesnamens in Europa, FS Frank (2008) 38.

5. Vorfragen im Namensstatut

Staudinger/Hepting/Hausmann (2013) Art. 10 EBGBG, Rn 105 ff.

6. Namensbestimmung nach Art. 47

Staudinger/Hepting/Hausmann (2013) Art. 10 EGBGB, Rn 332 ff.

Henrich Die Angleichung im internationalen Namensrecht – Namensführung nach Statutenwechsel, StAZ 2007, 197.

Hepting Die Angleichung in Art. 47 EGBGB, StAZ 2008, 161.

Wall Probleme von Angleichungserklärung und Angleichungslage in Art. 47 EGBGB in der Rechtsprechung des BGH, StAZ 2015, 363.

2. Teil Klausuren › I. Namens- und Personenrecht › Fall 2 Gesellschaftsform (un)limited

Fall 2 Gesellschaftsform (un)limited

70

Der deutsche Staatsangehörige Walter Weise plant einen Internet-Versandhandel mit Gebrauchselektronik. Zu diesem Zweck will er als einziger Gesellschafter eine GmbH mit Sitz in München, seinem Wohnort, gründen. Den Gesellschaftsvertrag lässt er durch einen Notar in Zürich, wo er für einige Wochen geschäftlich zu tun hat, beurkunden und meldet die Gesellschaft beim Amtsgericht München zur Eintragung in das Handelsregister an. Das Amtsgericht München hat Zweifel, ob die Gesellschaft eingetragen werden kann, nimmt aber schließlich am 1.2.2006 die Eintragung unter der Firma Komm kaufen wir‘s! GmbH vor.

Weise, der die Geschäfte alleine von seinem häuslichen Büro aus führt, beginnt den Geschäftsbetrieb der GmbH. Sie bietet über eine Website Produkte an; die Begrüßungsseite ermöglicht dem Kunden eine Wahl zwischen englischer, deutscher und französischer Textversion. In verschiedenen Staaten Europas, darunter in Deutschland, kann der Kunde online bestellen. Die Ware ordert Weise aufgrund von Rahmenverträgen mit Großhändlern jeweils bei Eingang von Online-Bestellungen. Im August 2006 verlegt Weise seinen Wohnsitz nach London (England, UK). Seine Geschäfte führt er von seinem dortigen häuslichen Büro. Der Internet-Auftritt der Komm kaufen wir‘s! GmbH bleibt unverändert und lässt seinen persönlichen Umzug nicht erkennen.

Im Dezember 2017 wickelt die Komm kaufen wir‘s! GmbH online ua folgende Geschäfte ab:

Fritz Feistl bestellt als Geburtstagsgeschenk für seine Tochter ein Mobiltelefon, das ihm an seinen Wohnsitz nach Passau geliefert wird. Der Kaufpreis wird Feistls Kreditkarte belastet.

Die Firma FlyHigh Ltd. bestellt 10 Handfunkgeräte, die an ihre Firmenanschrift am Flughafen Augsburg geliefert werden.

Das an Feistl gelieferte Telefon ist defekt. Nachdem er mehrfach erfolglos per E-mail um Austausch gebeten hat, erklärt er den Rücktritt und verlangt Rückzahlung des Kaufpreises (299 €). Als auch dies erfolglos bleibt, erhebt er am 9.3.2018 beim Amtsgericht Passau Zahlungsklage. Weise trägt vor, deutsche Gerichte seien unzuständig, denn seine GmbH sei nach London gezogen.

Der Versuch, den Kaufpreis der 10 Handfunkgeräte (4.500 €) der Kreditkartenbank der FlyHigh Ltd. zu belasten, scheitert, weil die bei Bestellung angegebene Kreditkarte nur bis Juni 2010 gültig war. Die Komm kaufen wir‘s! GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer Walter Weise, London, erhebt darauf am 13.3.2018 Zahlungsklage vor dem Amtsgericht Augsburg gegen Franz Flug persönlich und gegen die FlyHigh Ltd. In der Klageerwiderung bezeichnet sich die Beklagte zutreffend als „FlyHigh Ltd. London, England UK“ und bestreitet die Zuständigkeit des Gerichts. Im Verfahren stellt sich heraus, dass die Gesellschaft durch den deutschen Fluglehrer Franz Flug als Alleingesellschafter nach englischem Recht wirksam in der Rechtsform einer private limited company gegründet wurde. Die Gründung erfolgte durch Vermittlung eines Londoner Rechtsanwalts. Das Geschäft führt Flug von Anfang an ausschließlich in Augsburg.


1. Hat das Amtsgericht München bei Eintragung der Komm kaufen wir‘s! GmbH einen Fehler gemacht? Firmenrechtliche Fragen sind nicht zu erörtern.
2. Ist die Klage in Passau zulässig? Hätte Feistl (auch) vor einem anderen deutschen Gericht klagen können?
3. Wie wäre – bei sonst unverändertem Sachverhalt – zu entscheiden, wenn Weise die Gesellschaft als Limited Liability Company des Rechts von Delaware (USA) errichtet hätte (Come let‘s buy it Inc.), die Geschäfte der Firma von seinem Wohnsitz in Nassau, Bahamas, führt, die Versendung der Ware für Europa jedoch durch eine Versandagentur in Amsterdam durchführen lässt, die nach außen nicht erkennbar wird und lediglich die von Kunden in der EU über die Website der Come let‘s buy it Inc. bestellte Ware versendet.
4. Ist die Klage in Augsburg zulässig? Hinsichtlich der Verhältnisse der Komm kaufen wir‘s! GmbH ist nur der Ausgangssachverhalt zugrunde zu legen.
5. Flug macht sich Sorgen um die Anerkennung der Existenz seiner FlyHigh Ltd. in der EU, weil das UK am 29.3.2017 der EU den Austritt gemäß Art. 50 Abs. 2 EUV mitgeteilt hat. Er fragt um Rat, ob er seine Gesellschaft ohne Verlust der Rechtspersönlichkeit entsprechend dem Modell der §§ 1 Abs. 1 Nr 4, 190 ff UmwG in eine deutsche GmbH umwandeln kann und ob er sich hierbei beeilen muss.
6. Flug hat im November 2018 die Umwandlung der FlyHigh Ltd. in eine deutsche GmbH vorgenommen. Nachdem sein Steuerberater meint, unternehmenssteuerlich sei Luxemburg interessant, fragt er, ob eine identitätswahrende Umwandlung in eine luxemburgische Sarl nur mit Verlegung des Satzungssitzes nach Luxemburg unter Beibehaltung der Geschäftsführung in Augsburg möglich ist, sofern das luxemburgische Recht das gestattet.

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Materialien

I. Schweizerisches Recht[1]

a) Obligationenrecht v. 30.3.1911 (OR)

3. Abteilung. Die Handelsgesellschaften und die Genossenschaften

28. Titel. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Art. 777

(1) Die Gesellschaft wird errichtet, indem die Gründer in öffentlicher Urkunde erklären, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu gründen, darin die Statuten festlegen und die Organe bestellen.

Art. 779

(1) Die Gesellschaft erlangt das Recht der Persönlichkeit durch die Eintragung ins Handelsregister.

(2) Sie erlangt das Recht der Persönlichkeit auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Eintragung tatsächlich nicht erfüllt sind.

(3) Waren bei der Gründung gesetzliche oder statutarische Voraussetzungen nicht erfüllt und sind dadurch die Interessen von Gläubigern oder Gesellschaftern in erheblichem Maße gefährdet oder verletzt worden, so kann das Gericht auf Begehren einer dieser Personen die Auflösung der Gesellschaft verfügen.

(4) Das Klagerecht erlischt drei Monate nach der Veröffentlichung der Gründung der Gesellschaft im Schweizerischen Handelsamtsblatt.

b)

Für die übrigen im schweizerischen Recht auftretenden Fragen ist davon auszugehen, dass die Rechtslage der deutschen entspricht.

II. Recht des UK/Englisches Recht

c)

Das internationale Gesellschaftsrecht des UK ist auch nach Inkrafttreten des Companies Act 2006 nicht gesetzlich geregelt. In England gilt die Regel, dass alle Fragen betreffend die Gründung und die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft dem Recht des Ortes der Inkorporierung unterstehen. Bedenken gegen die Wirksamkeit einer Gründung einer Limited Liability Company mit Satzungssitz im UK und Verwaltung im Ausland bestehen nicht; ob eine identitätswahrende Umwandlung in eine ausländische Gesellschaftsform zulässig ist, ist Ihnen nicht bekannt.

III. Recht von Delaware

d)

Zur Gründung einer rechts- und parteifähigen Limited Liability Company bedarf es der Errichtung eines Certificate of Formation durch einen oder mehrere Gesellschafter und dessen Hinterlegung beim Secretary of State. Erforderlich ist, dass die Gesellschaft ein registered office in Delaware hat; dieses muss nicht mit dem Sitz ihrer Verwaltung übereinstimmen.

IV. Recht von Luxemburg

e)

Luxemburgisches Recht gestattet die Gründung einer Sociétè à responsabilité limitée (Sarl) ohne inländischen Verwaltungssitz. Die Sarl ist auch als Sociétè à responsabilité limitée unipersonelle, also als Sarl mit nur einem Gesellschafter zulässig.

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