Buch lesen: «Mallorquinische Leiche zum Frühstück», Seite 3

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»Schalt das verdammte Lied aus«, keifte seine Frau bissig.

Er schlug ohne ein Wort die Tür zum Nebenzimmer zu, und begab sich auf die Terrasse seines Apartments. Nicht, ohne den Schnaps mitzunehmen.

Auf dem Weg durch den Pinienhain zu ihrem Auto musste Mercédès an ihren typisch bayrischen Vater denken, von dem sie die Sturheit und Durchsetzungskraft geerbt hatte. Von ihrer spanischen Mutter die Zierlichkeit und ihre oft widerspenstigen Locken, die sie zeitweise hasste. Vater hätte es hier gefallen. Er liebte den Duft von Pinien. Doch über eines hatte sie sich zeitlebens mit ihm gezankt. Warum nur war Vater so ein Mercedes-Liebhaber? Schon in Grundschulzeiten in München hatte sie unter diesem Vornamen gelitten. Ihr Vater hatte sie bei Klagen tröstend in die Arme genommen und geflüstert: »Mercédès ist ein wunderschöner Name für ein wunderhübsches Mädchen. Wer das nicht einsieht, ist deiner nicht wert.« Sie lächelte bei dem Gedanken an ihn. Leider war er viel zu früh verstorben, an plötzlichem Herztod. Noch heute kann sie sich an den Augenblick erinnern, als der Polizist ihnen damals die Mitteilung überbrachte. Daher konnte sie sich gut in die Menschen einfühlen, denen sie so eine Hiobsbotschaft überbringen musste.

Sie war nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter zurück nach Spanien gegangen, hatte ihren Abschluss in Córdoba, der Heimatstadt ihrer Mutter, erlangt, bevor sie sich an der Polizeiakademie in Madrid eingeschrieben hatte. Ihre ersten Dienstjahre hatte sie in Sevilla verbracht, dann hatte man sie nach Madrid geholt, wo sie die letzten Jahre mit ihrer Mutter gelebt hatte.

Doch jetzt hatte man sie nach Mallorca versetzt, ihre erste leitende Stelle.

In der Provinz ist es leichter, als Chefin anzufangen‹, hatte ihr Vorgesetzter ihr mit auf dem Weg gegeben. Doch sie hatte ihn in Verdacht, sie bewusst für diesen Außenposten vorgeschlagen zu haben, da sie seinem Werben, welches immer aggressiver geworden war, tapfer widerstanden hatte.

Andere beneideten sie um diese Stelle im sonnigen Mallorca. Sie allerdings liebte die laute, lebendige Großstadt und wäre außerdem gerne in der Nähe ihrer Mutter geblieben, die gesundheitlich angeschlagen war. Aber vielleicht hole ich sie nach. Die Sonne würde ihr guttun, überlegte Mercédès, als sie in ihren Wagen einstieg, um in ihre neue Dienststelle nach Palma zu fahren.

»Was haben die Gespräche mit den Gästen und den Angestellten ergeben?«, war Mercédès´ erste Frage, als sie ihr Büro betrat. Kein Willkommensgruß, nichts. Wenn sie sich in einen Fall verbissen hatte, vergaß sie ihre guten Manieren schon mal.

»Bon dia, liebe Mercédès. Willkommen in deiner neuen Wirkungsstätte«, und dabei zeigte Miquel auf einen bunten Blumenstrauß, der in einer Glasvase auf ihrem Schreibtisch stand. »Soll ich dich herumführen und den anwesenden Kollegen vorstellen?«, fügte er noch hinzu.

Mercédès blickte sich um. Wie hasste sie diese Glaskäfige. Wer nur hatte die Idee, dass alle modernen Bürogebäude wie Aquarien aussehen mussten? Null Privatsphäre. Immer unter Beobachtung. Sie waren doch keine Fische. Seufzend dachte sie an ihren ersten Besuch hier vor vier Wochen, bevor sie ihren Urlaub angetreten hatte.

Sie war am frühen Morgen für einen Tag hergeflogen, um sich mit ihrem zukünftigen Chef, Doctor Lluc Bibiloni, einem trockenen Juristen, zu treffen, um Einzelheiten zu besprechen und ihren Ausweis entgegenzunehmen. Der hatte sie genauso misstrauisch beäugt wie sie ihn. Sie wollte nicht nach Palma, er wollte sie nicht. Aber die Entscheidung war gefallen, an höherer Stelle. Sie musste sich glücklich schätzen, dass sie im männerdominierten Spanien die Chance für eine leitende Stelle bei der Policía Nacional bekommen hatte. Sie machte sich nichts vor. »MANN« würde sie genau beobachten ...

»Nein, lass mal. Mich interessiert mehr, was wir haben. Außerdem hat das bei meinem ersten Besuch hier unser Boss erledigt«, grinste sie. Berichtete dann kurz und bündig von ihren Befragungen. Danach schaute sie fragend auf Miquel.

Der räusperte sich. Und dachte still, dass doch viel deutsches Blut in ihr fließen musste. Kein Spanier würde so reagieren.

»Zuerst einmal sorry wegen des Nicht-Versiegelns des Apartments. Es war mein Fehler. Die Spusi hat mich deswegen kontaktiert. Ich habe mich vergewissert, ob sie alle relevanten Dinge berücksichtigt, beziehungsweise mitgenommen haben für die Beweissicherung. Und gemeint, das Versiegeln können sie sich schenken.«

»Okay, Anfängerfehler. Doch ich kann nur für dich hoffen, dass die Spurensicherung nichts übersehen hat. Ich habe Hoffmann angewiesen, nichts zu ändern. Und mein Siegel von Madrid angeklebt«, schmunzelte sie schon wieder.

»Danke«, lächelte Miquel einnehmend.

Ein Greenhorn, auch das noch, seufzte Mercédès innerlich. Er war wohl als einziger zu überzeugen gewesen, mit einer deutschen Frau vom Festland zusammenzuarbeiten.

»Und jetzt zu deinen Ergebnissen«, wurde sie langsam ungeduldig.

»Also, von den Gästen habe ich praktisch nichts Nützliches erfahren. Keiner hat etwas gehört oder gesehen. Zumindest wenn ich sie richtig verstanden habe. Für eine Befragung muss ich definitiv mein Deutsch verbessern. Das Resort ist fest in deutscher Hand. Außer einem Pärchen aus England und zwei Damen aus der Schweiz habe ich nur Landsleute von dir getroffen«, zwinkerte er ihr zu. »Gewundert haben sich die meisten allerdings, dass Sabrina Schneider bereits vor acht Uhr im Hallenbad war, da dieses normalerweise erst um acht Uhr aufsperrt. Ansonsten scheinen sie sich nicht für die berühmte Schriftstellerin interessiert zu haben. Die meisten behaupteten sogar, sie nicht zu kennen.«

»Glaubst du ihnen?«

Miquel zuckte mit den Schultern. »Also, bei einigen kann ich mir das vorstellen. Aber so mancher Mann wusste sehr wohl, wer Frau Schneider war und welche Art von Literatur sie schrieb. Allerdings würden sie das vor ihren Ehefrauen nie zugeben.«

»Dann sollten wir sie getrennt voneinander befragen«, lachte Mercédès.

»Denkst du, das Motiv könnte mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit zu tun haben?«

»Wir wissen noch nicht einmal, ob es tatsächlich Mord war. Auch wenn es wahrscheinlich ist. Vielleicht haben jemanden ihre Bücher nicht gefallen? Oder eine verschmähte Liebe? Lass uns abwarten, was die Obduktion ergibt und jetzt mal schauen, wo wir stehen, bevor wir über Motive und Täter spekulieren. Was hast du sonst noch so in Erfahrung gebracht?«

»Andreu, der Bademeister, hat mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, dass für Sabrina Schneider das Hallenbad um sieben Uhr fertig sein musste. Sie wollte alleine schwimmen, ohne durch die anderen Gäste gestört zu werden.«

»Wer hatte das genehmigt?«

»Der Hotelmanager. Der arme Andreu hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich seinem Chef nicht verrate, von wem ich das habe.«

»Wieder Hoffmann. Er scheint doch sehr an Sabrina Schneider interessiert gewesen zu sein, auch wenn er das nicht zugibt. Interessant!«

»Außerdem habe ich mit der Rezeptionistin gesprochen, die Dienst hatte, als Fichtelhuber in die Rezeption stürmte. Sie konnte mir aber so gut wie nichts sagen. Wirkte eher verschüchtert und sehr entsetzt. Ja, und dann gibt es da noch eine Margit ...«, und er blätterte in seinen Notizen. »Wo habe ich das denn notiert? Irgend so ein Doppelname«, fluchte er leise. »Egal, es gibt eine Stellvertreterin für Werner Hoffmann, die gleichzeitig die Finanzen unter sich hat. Die ist zurzeit allerdings in Zürich bei der Muttergesellschaft.«

»Gut, die können wir außen vorlassen. Die kann uns nichts zum Tod von Sabrina Schneider sagen, wenn sie die letzten Tage nicht im Resort war. Und sonst? Spusi? Gerichtsmedizin?«

»Die Gerichtsmedizin ist noch bei der Arbeit. Wie die Spusi auch.«

Wie auf Kommando betrat in diesem Augenblick ein hübsche Frau Mitte zwanzig mit einem ähnlichen Lockenkopf wie Mercédès das Büro. »Hola Miquel«, strahlte sie diesen an, bevor ihre Augen neugierig über Mercédès streiften.

»Hola Mayte«, begrüßte dieser das Mädchen herzlicher, als er das als Kollege tun sollte und stellte die beiden Kolleginnen einander vor.

»Spurensicherung also«, lächelte Mercédès höflich und reichte der Kollegin die Hand. »Schon was Brauchbares?« Ihr entging nicht der zärtliche Blick, den Miquel über Mayte gleiten ließ und dachte bei sich, olala, ein heimliches Verhältnis?

»Wir sind dabei, die Spuren aus dem Poolbereich und dem Zimmer auszuarbeiten. Im Hallenbad gibt es tausende von Fingerabdrücken, die werden uns nicht weiterhelfen. Praktisch jeder Gast hat dort irgendwo seine Spuren hinterlassen ...«

»Wie schaut es mit fremden Spuren aus?«, unterbrach Mercédès.

Mayte schaute sie mit großen Augen an. »Wir müssen erst mal alle Spuren mit denen der Gäste und der Angestellten abgleichen, bevor wir überhaupt feststellen können, ob es Spuren von Personen gibt, die nicht mit dem Resort in Verbindung gebracht werden können. Das dauert ...«

»Was ist mit ihrem Apartment?«, fragte Mercédès ebenso ungeduldig nach.

»Wir haben alles mitgenommen, was uns wichtig erschienen ist. Konnten unterschiedliche Fingerabdrücke sicherstellen. Auswertungen laufen. Ihr Handy ist entschlüsselt, da hat uns Doktor Munar geholfen.«

»Wie das?«, fragten Mercédès und Miquel wie aus einem Mund.

»Er hat ihren rechten Daumen an den Fingerabdruckscanner ihres Handys gedrückt«, lächelte sie. »Allerdings konnten wir nichts von Bedeutung finden. Hier, das Protokoll ihrer Anrufliste«, und sie legte Mercédès eine ausgedruckte Liste auf den Schreibtisch. »WhatsApp hat sie nicht verwendet, auch kaum SMS geschrieben. Die letzte SMS liegt Monate zurück. Ein Mailprogramm hat sie auf ihrem Smartphone nicht benutzt. Genauso wenig wie Instagram, Twitter oder Facebook.«

»Sympathisch. Hat das Telefon also tatsächlich nur zum Telefonieren benutzt«, zeigte sich ein Lächeln des Verständnisses auf Mercédès´ Gesicht. »Doch ist das bei einer Schriftstellerin nicht ungewöhnlich?«

»Nicht alle suchen die Öffentlichkeit«, antwortete Mayte kryptisch.

»Miquel, könntest du im Internet recherchieren, wie das mit Webseite und sozialen Medien aussieht?« Er nickte. Mercédès wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Mayte zu.

»Bei den Bildern sind es nur die üblichen Urlaubsschnappschüsse, die wir gefunden haben. Keine Alben, keine älteren Fotos als die der letzten Woche. Sie war allerdings nicht viel auf der Insel unterwegs. Die meisten Fotos stammen aus dem Resort.«

»Wen oder was zeigen diese Fotos?«, wollte Mercédès wissen.

»Sonnenuntergänge ...«, lachte Mayte.

»Keine Menschen? Männer zum Beispiel?«, hinterfragte Mercédès.

»Doch, ein gutaussehender junger Typ ist hin und wieder zu sehen, auch bei Selfies mit ihr zusammen. Ihr Sohn?«

»Nein«, lachte jetzt Mercédès, »ihr Lover.«

Mayte schaute leicht konsterniert drein. »Ein bisschen jung, findet ihr nicht?«

Mercédès zuckte ihre Schulter. »Jedem das seine«, meinte sie lakonisch. »Miquel, kannst du die Fotos auswerten? Damit wir sehen, wo auf der Insel sie unterwegs war? Da hast du Heimvorteil«, grinste Mercédès.

Miquel nickte auch zu dieser Aufgabe zustimmend.

»Der Laptop ist noch nicht geknackt«, fuhr Mayte fort. »Frau Schneider hat wohl ein komplizierteres Passwort als die meisten Menschen sonst benutzt«, seufzte sie.

»Also kein übliches 1,2,3,4 oder das Geburtsdatum?«, lachte Miquel.

Mayte schüttelte resigniert den Kopf. »Dafür habe ich hier eine Adresse für euch, die bei Notfall zu verständigen ist. War in ihrem Portemonnaie. Und die Nummer darauf hat sie fast täglich angerufen.«

Interessiert blickte Mercédès auf den kleinen, ziemlich zerfledderten Zettel mit einer Berliner Adresse. Den musste Sabrina Schneider schon lange mit sich herumgetragen haben.

»Danke«, sagte sie nebenbei und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Es war nicht die Adresse von Jens Meinfeldt, also stand er ihr nicht so nah, wie er versucht hatte, ihr weiszumachen.

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Miquel verstohlen einen Kuss auf Maytes Wange drückte. Hoffentlich gab das keine Schwierigkeiten bei den Ermittlungen, dachte sie, denn sie wusste, welche Verwicklungen eine Liebesgeschichte am Arbeitsplatz mit sich bringen konnte. Ihre letzte Ermittlung wäre beinahe gescheitert, weil sie sich mit ihrem Kollegen, mit dem sie eine leidenschaftliche Affäre verband, nach einem heftigen Streit so in den Haaren gelegen war, dass eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich war. Auch ein Grund, warum sie jetzt auf dieser Insel gelandet war. Zum hundertsten Mal nahm sie sich vor, ihre Gefühle in Zukunft besser in Zaum zu halten. Und ärgerte sich, als die bernsteinfarbenen Augen von Werner Hoffmann vor ihr auftauchten.

»Alles klar bei dir?«, wollte Miquel besorgt wissen, dem ihr bekümmerter Gesichtsausdruck aufgefallen war.

»Ja, ja«, antwortete sie zerstreut und strich über ihre Augen, um das Bild von Werner Hoffmann zu verdrängen. »Seid ihr ein Paar?«

Miquel nickte nur, eher abweisend.

Auch gut, dachte Mercédès, dann will er nicht darüber sprechen. Ist mir ohnedies lieber. »Wir sollten diese Berliner Nummer wählen.« Auf sein erneutes Nicken tippte sie die Zahlen in das Festnetztelefon, das auf ihrem Schreibtisch stand.

Laut erklang Tuten aus dem Telefon, denn Mercédès hatte auf Lautsprecher gestellt, damit Miquel dem Gespräch lauschen konnte.

»Renate Hartig«, meldete sich eine spröde Stimme.

»Buenos días. Hier spricht Comissària Mayerhuber von der Polizei Mallorca.«

»Oh Gott, ist was mit Sabrina?«, wurde Mercédès von der Frau erschrocken unterbrochen.

»Wie kommen Sie darauf, Frau Hartig?«

»Na, ich weiß doch, dass Sabrina meine Adresse für Notfälle mit sich führt.«

»Ich muss Ihnen leider die traurige Mitteilung überbringen, dass Frau Schneider heute Morgen verstorben ist.«

Statt einer Antwort hörten sie nur lautes Schluchzen. Miquel bedeutete ihr, sie solle den Hörer an das Ohr nehmen, er könne ohnedies nur wenig verstehen und setzte sich an seinen Computer für Recherchen über soziale Medien in Zusammenhang mit der Toten.

Als sich Renate Hartig beruhigt hatte, wollte sie als erstes wissen, was passiert war. Auch sie konnte auf Mercédès Erklärung hin nicht glauben, dass Sabrina ertrunken war, da Schwimmen eine Leidenschaft von ihr war. Höchstens ein Herzinfarkt oder dergleichen könnte einen solchen Tod verursachen, aber so viel sie wusste, war Sabrina bei bester Gesundheit.

»In welchem Verhältnis stehen – Entschuldigung – standen Sie zu Sabrina Schneider?«

»Ich bin ... war ihre beste Freundin«, antwortete Frau Hartig traurig. »Wir haben uns vor vielen, vielen Jahren in Berlin angefreundet und waren wie Schwestern.« Und wieder schluchzte sie los.

»Hat Frau Schneider Verwandte, Angehörige oder Freunde, die ihr nahestanden?«, schnitt Mercédès den Tränenfluss ab.

Renate Hartig schniefte ins Telefon: »Nein. Keine Verwandten. Einige Freunde, aber wenige. Sie wissen, wie das ist, wenn man berühmt und reich ist ...«

Nein, Mercédès wusste es nicht. Konnte es sich aber vorstellen.

»Es gibt da noch eine alte Schulfreundin aus Rosenheim, mit der sie regelmäßig Kontakt hatte. Eine Manuela. Mehr weiß ich nicht.«

»Aus Rosenheim?«, fragte Mercédès hellhörig geworden nach.

»Ja, Sabrina stammt ursprünglich aus Rosenheim. Ging dort weg, wohl nach einer unglücklichen Liebesgeschichte. Aber sie hat nie darüber erzählt. Obwohl wir uns jetzt über zehn Jahre kennen.«

Mercédès konnte der Stimme die Verbitterung anhören, weil Sabrina sich der Freundin gegenüber nie geöffnet hatte. Also musste in Rosenheim etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein. Ob man das noch eruieren konnte? Aber war das überhaupt interessant für den Fall?

»Kennen Sie einen Jens Meinfeldt?«

Kurz zögerte sie. »Ja, warum?«

»Der ist hier auf Mallorca in demselben Resort wie Frau Schneider ...«

»Jens ist auf Mallorca?«, wurde Mercédès überrascht unterbrochen. »Was macht er denn da?«

»Er ist wohl Frau Schneider gefolgt.«

»So ein Mistkerl«, spie die Hartig gallig hervor.

»Warum?«, fragte Mercédès verblüfft.

»Sabrina hat ihn doch vor die Tür gesetzt. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.«

So ein Bürschchen, dachte Mercédès. Davon hatte er ihr nicht ein Sterbenswörtchen erzählt. »Warum hat Frau Schneider das getan?«

»Weil Jens sie ständig mit jüngeren Frauen betrogen hat. Sie hatte es satt, von ihm hinten und vorn hintergangen zu werden. Einen Tag vor ihrer Abreise hat sie ihm mitgeteilt, dass sie sein Apartment in Prenzel Berg gekündigt habe, dass er seine Sachen packen solle und verschwunden sein müsse, wenn sie aus Mallorca zurückkomme.«

»Er hat nicht bei Frau Schneider gewohnt?«

»Nein, das wäre ihr zu viel Nähe, hat sie gemeint. Sie brauchte ihren Freiraum. Aber sie war ihren Lovern gegenüber immer großzügig.«

»Ihren Lovern?«

Ein lautes Lachen erklang auf die verstörte Frage von Mercédès. »Sabrina liebte die Liebe. Nicht nur in ihren Büchern. Glauben Sie mir, sie war kein Kind von Traurigkeit.«

»Gab es neben Herrn Meinfeldt aktuell noch andere?«

»Nicht soviel ich weiß. Doch ich denke, auf Mallorca muss was sein ...«

»Warum?«

»Weil Sabrina nicht der Typ war, fünfmal hintereinander ein und dasselbe Feriendomizil aufzusuchen. Es musste sie dort etwas besonders gereizt haben. Leider weiß ich nicht, was oder wer es war ...«, seufzte die Hartig.

Mercédès musste lächeln. Frauenfreundschaften. So ganz ohne Eifersüchtelei lief das wohl nie ab. Deshalb hatte sie auch keine beste Freundin, dafür einen besten Freund. Josef, ein schwuler Richter aus München, den sie seit Kindertagen kannte. Der Nachbarsjunge, von dem alle erwartet hatten, sie werden mal heiraten, weil sie immer so unzertrennlich waren. Auch ihr Weggang aus München hatte an der Freundschaft nichts geändert. Ihr hatte er als erste seine Homosexualität anvertraut. Aber sie hatte es schon früher gespürt. Denn er war der einzige Junge in der Schule, der nicht versucht hatte, sie an ihren gut entwickelten Brüsten zu berühren.

»Gibt es sonst etwas, dass Ihnen in letzter Zeit aufgefallen ist? Oder hat Frau Schneider irgendetwas erwähnt, dass Sie stutzig werden ließ?«

»Bei unserem letzten Gespräch vor zwei Tagen meinte sie, die Vergangenheit habe sie eingeholt. Aber mehr wollte sie dazu nicht sagen.

»Die Vergangenheit habe sie eingeholt?«, echote Mercédès und schwieg dann eine Weile. »Können Sie sich vorstellen, was sie damit gemeint hat?«

»Nein, keine Ahnung. Hat wohl mit ihrem Leben vor Berlin zu tun«, kam es leicht bitter.

»Gut Frau Hartig, das wäre es erst mal. Doch es könnten sich noch weitere Fragen ergeben.«

»Kein Problem. Ich helfe gerne. Wann kann ich Sabrina beerdigen?«

»Sie?«

»Ja, wir haben gegenseitig vereinbart, unseren letzten Willen zu unterstützen. Und ich werde mein Wort natürlich halten.«

»Was ist denn der letzte Wille von Frau Schneider?«

»An Ort und Stelle verbrannt und über ein Meer verstreut zu werden. Das dürfte ja wohl kein Problem werden. Das Mittelmeer bietet sich an ...«

»Ich lasse Sie wissen, wenn es soweit ist«, und Mercédès legte gedankenverloren auf. Sabrina Schneider und sie hatten viele Ähnlichkeiten. Nicht nur den letzten Willen.

»Und?«, wollte Miquel neugierig wissen. Kurz berichtete sie über das Erfahrene.

»Dann hätte unser junger Lover also ein Motiv?«

»So schaut´s aus. Den werde ich mir noch mal vornehmen.«

Nach einer Weile fügte sie an: »Die Fichtelhubers sind doch auch aus Rosenheim, oder?« Denn mitten im Gespräch mit der Hartig war ihr eingefallen, dass die Fichtelhubers Sabrina aus Rosenheim kannten. »Wir sollten mit ihnen sprechen. Vielleicht kennen sie ja diese Manuela oder wissen was über eine unglückliche Liebe von Sabrina Schneider. Frau Fichtelhuber ist doch die typische Klatschtante, der nichts entgeht.«

Miquel nickte mit dem Kopf und lachte. »Seh ich wie du. Aber dafür ist morgen Zeit. Wir wissen ja noch gar nicht, ob definitiv Fremdverschulden vorliegt.«

»Doch du bist genauso davon überzeugt wie ich, stimmt´s?«

Wieder nickte er nur mit dem Kopf. Doch diesmal lachte er nicht.

»Herr Meinfeldt, ich hätte da noch ein paar Fragen an Sie«, sagte Mercédès, als Jens Meinfeldt die Tür seines Apartments nur ein Stück öffnete, an die Mercédès am späteren Nachmittag erneut geklopft hatte. »Darf ich hereinkommen?«

»Ich wollte gerade einen Spaziergang machen. Kommen Sie mit?«, und er schlüpfte geschwind aus der Tür und zog sie sofort wieder zu und drehte den Schlüssel zweimal im Schloss um. Diesmal war er bekleidet. Mit einer hautengen Jeans, die mindestens genauso ein Hingucker war wie beim ersten Gespräch sein ...

Von dem Haus, in dem sein Apartment lag, führte ein schmaler Trampelpfad direkt durch den Pinienwald auf die Klippen. Es stand zwar ein Schild am Eingang zum Resort, dass dieser Bereich nur für Gäste zugelassen war, aber jeder konnte ungehindert und ungesehen in das Resort gelangen, registrierte Mercédès. Doch sie vergaß das sofort wieder, als sie oben angekommen war und den herrlichen Ausblick auf nichts als Meer und Pinienwald wahrnahm. Prachtvoll. Ein kleiner ovaler Tisch mit Steinmosaiken, der von einer weißen, gemauerten Bank mit Rückenlehne umgeben war, lud zum Verweilen ein. Mercédès und Jens ließen sich dort nieder. Niemand sagte etwas, Mercédès war von dem Ausblick so gefangen, Jens hing seinen Gedanken nach. Er wirkte unruhig. Zerstreut.

»Was wollen Sie von mir?«, eröffnete er das Gespräch dann doch.

»Wir haben mit Frau Hartig in Berlin gesprochen.«

»In Berlin?«, fragte er überrascht nach.

»Ja, wo denn sonst?«, war Mercédès verblüfft.

»Nichts, nur so. Was hat sie gesagt?«

»Dass Frau Schneider die Beziehung zu Ihnen beendet hat. Sie gebeten hat, aus Ihrem Apartment auszuziehen und auch Ihre persönlichen Sachen aus Ihrer Wohnung zu entfernen. Warum haben Sie das heute Morgen nicht erwähnt?« Ein schräger Blick traf ihn.

»Weil ich dabei war, Sabrina umzustimmen. Sie konnte doch nicht ohne mich sein. Nicht ohne den wundervollen Sex, das hat sie mir immer wieder versichert. Nein, Sabrina hätte mich nie gehen lassen.« Dabei schüttelte er den Kopf, wie zur Bestätigung.

»Frau Hartig meinte, dass Sabrina Schneider genug von Ihren Affären mit jungen Frauen hatte und sie nicht weiter hintergangen werden wollte.«

»Das ist doch Bullshit. Sabrina hatte gar nichts gegen meine Liebesbeziehungen mit jungen Mädels. Ganz im Gegenteil«, begehrte Jens auf.

»Wie darf ich das verstehen?«

»Ich brachte hin und wieder eine Freundin für Spielchen zu dritt mit, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das nahm Sabrina als Anregung für ihre Geschichten. Sie animierte mich sogar, mich mit anderen einzulassen und ihr dann davon zu erzählen. Vor allem, wenn sie unter einer Schreibblockade litt.«

»Warum dann jetzt das Aus?«, war Mercédès verwirrt.

»Weil ich mit Renate Hartig ein Verhältnis begonnen hatte.«

Interessiert hob Mercédès den Kopf. Davon hatte die Hartig nichts erwähnt.

»Sabrina war auf einer längeren Lesereise. Mir ging das Geld aus. Ich wusste, dass Renate verrückt nach mir war. Also habe ich sie besucht«, grinste er. »Und als ich sie am Morgen verließ, war ich um ein paar Hunderter reicher. Und so wurden meine Besuche häufiger.«

»Und als Sabrina zurückkam von der Lesereise?«

»Lief alles noch gut. Ich besuchte die Damen abwechselnd, manchmal hintereinander. Doch Renate setzte mir immer mehr zu, ich solle doch Sabrina verlassen. Sie würde gut für mich sorgen. Ich könne auch bei ihr einziehen. Doch Renate bedeutete mir nicht das Geringste. Sie ging mir mit ihrer klettenhaften Art immer mehr auf die Nerven. Und eines Tages servierte ich sie ab.«

»Und?«, fragte Mercédès gespannt.

»Und sie informierte Sabrina. Erzählte von der großen Liebe zwischen ihr und mir und dass Sabrina uns nicht im Wege stehen sollte. Sabrina war wütend, dass ich sie mit ihrer besten Freundin betrogen habe, wütend auf mich, aber keineswegs auf Renate. Können Sie das verstehen?« Er blickte sie mit großen Augen an. Doch Mercédès reagierte nicht. »Sabrina gab mir einen Monat, alles zu klären und reiste nach Mallorca ab. Ich konnte sie doch nicht ziehen lassen. Sie bedeutete mir mehr, als ich gedacht hatte. Also reiste ich ihr nach.«

»Und Frau Hartig?«

»Renate? Die kann Sabrina nicht das Wasser reichen. Kein Selbstwertgefühl, keine Klasse, nicht annähernd so vermögend wie Sabrina. Eine vertrocknete, alte Frau, obwohl sie in gleichem Alter wie Sabrina ist.«

»Trotzdem haben Sie mit ihr geschlafen«, warf Mercédès vorwurfsvoll ein.

»MANN muss ja von was leben. Und was ist falsch daran, eine Frau glücklich zu machen?« Wieder sein unwiderstehliches Grinsen.

Ja, sie konnte sich vorstellen, dass Jens Meinfeldt wusste, wie er mit Frauen umzugehen hatte. Vor allem mit älteren, betuchten. Oder jungen zum Zeitvertreib.

»Aber warum interessiert Sie das überhaupt? Sabrina ist doch eines natürlichen Todes gestorben, oder?«, fragte er lauernd.

»Routine. Es gibt kleine Ungereimtheiten. Aber nichts zum Beunruhigen.«

»Sind Sie sicher?«, und ein eigentümlicher Blick traf sie aus grünen, schillernden Augen.

Der Junge hatte entschieden etwas an sich, dass Frauen schwach werden ließ, erkannte Mercédès. »Ja, da bin ich sicher. Werden Sie jetzt zu Frau Hartig zurückkehren?« Neugierig war ihr Blick auf ihn gerichtet.

»Zurückkehren? Wie meinen Sie denn das?«, fragte er erschrocken.

»Na, nachdem Frau Schneider tot ist, ist ja Ihre Geldquelle versiegt«, meinte Mercédès sarkastisch.

»Nein. Renate halte ich nicht aus. Sollten Sie ihre Leiche finden, komme ich definitiv als Täter in Frage«, und lachte laut und lange über seinen nicht wirklich gelungenen Scherz. Fügte nach einer Weile geheimnisvoll an: »Es gibt noch andere Einnahmequellen!«

Mercédès beobachtete ihn interessiert. Woran dachte er?

»Sonst noch was?«, schaute er sie herausfordernd an.

»Ja, eine Kleinigkeit noch. Frau Hartig hat verlauten lassen, dass Frau Schneider von der Vergangenheit eingeholt worden war. Wissen Sie etwas darüber?«

»Nee, keine Ahnung. Sie war ein bisschen durch den Wind. Das stimmt schon. Aber ich habe das auf den wechselnden Hormonspiegel bei reiferen Damen geschoben«, und grinste breit. »Kann ich jetzt abhauen?«

Als Mercédès bejahend mit dem Kopf nickte, trottete er von dannen.

Sie blieb noch eine Zeit lang sitzen und dachte über das Gehörte nach. Konnte eine Frau so einsam sein, dass sie sich einen jungen Lover nahm und ihn für die Liebe bezahlte? Sabrina Schneider hatte Jens Meinfeldt als Anregung genommen, ihn ausgehalten, aber das machten ältere Männer auch mit jungen Frauen. Sie war nicht von ihm abhängig. Aber Renate Hartig? Die hatte sich regelrecht an Jens geklammert. Wenn sie nicht in Berlin wäre, würde sie unweigerlich als Verdächtige eingestuft werden.

Mercédès seufzte. Vergiss den Fall und genieße den schönen Abend, nahm sie sich vor und schritt die Stufen hinunter zur Panorama-Bar Luna 81, die wie ein Nest im Felsen hockte und einen herrlichen Ausblick auf die Bucht La Romana bot und die Sonne, die gerade im Untergehen begriffen war.

Sie ließ sich an einem der Tischchen direkt am Rand der Terrasse nieder, die von einer niedrigen Brüstung mit Geländer begrenzt wurde. Ob das vor Abstürzen schützen konnte?, überlegte sie, lehnte sich in dem bequemen Stuhl zurück, stütze sich mit den Beinen an der Steinmauer ab. Vielleicht doch nicht so schlecht, Dienst auf dieser wunderschönen Urlaubsinsel leisten zu dürfen, flimmerte durch ihren Kopf. Sie war bereits gespannt, wie sich Mallorca im Sommer präsentieren würde. Im Herbst fand sie es schon mal bezaubernd. Da ließ eine Stimme ihr einen wohligen Schauer über den Rücken laufen.

»Darf ich Sie auf ein Glas von unserem einzigartigen Sangria einladen?«, erklang der warme und dunkle Tonfall von Werner Hoffmann.

Sie blickte in seine einnehmenden Augen, die das erste Mal lächelten. Eine innere Stimme warnte sie, doch sie sagte mechanisch: »Gerne«, und lächelte ihn dümmlich an.

Kurz darauf kam er mit zwei Gläsern zurück, ließ sich neben sie in einen Stuhl fallen und meinte: »Was für ein Tag!«

Sie konnte ihm nur zustimmen. Werner Hoffmann prostete ihr zu, dann blickten sie schweigend dem feuerroten Ball zu, der allmählich im Meer versank. Mercédès war sich seiner Nähe bewusst, spürte, wie seine Aura sie nach und nach umschloss. Sie wehrte sich nicht, ließ es geschehen. Noch nie war sie während eines Falles einem Mann begegnet, der sie dermaßen faszinierte. Trotzdem hörte sie die Stimme von Jens Meinfeldt im Kopf, der meinte, Werner Hoffmann sei auf Sabrina Schneider scharf gewesen. Und wenn? Was ging es sie an?

»Verspüren Sie Hunger?«, schlich sich Hoffmanns Stimme durch die Gitarrenklänge, die seit einer Weile erklangen. Juan Lamas verwöhnte an diesem Abend die Gäste live mit seiner stimmungsvollen Gitarren-Musik. Zumindest stand dieser Name auf den Kärtchen, die am Tischchen zu Werbezwecken auslagen.

»Hören Sie meinen Magen knurren?«, versuchte sie mit einem Scherz, den Kloß in ihrem Hals Herr zu werden.

»Laut und deutlich«, lächelte er auf sie herab, als er sich erhob und ihr seine Hand reichte. Sie streckte ihm ihre entgegen, er umschloss sie fest und zog sie mit sich die schmalen Stufen durch den Pinienwald hinunter in die Bucht. Sie stolperte mehr hinter ihm her, als dass sie ging, so verwirrt war sie über ihre eigenen Gefühle. Sie konnte sich nicht erinnern, dass nur ein gemeinsam erlebter Sonnenuntergang sie schon mal so durcheinandergebracht hatte, und Sehnsüchte in ihr weckte, die sie nicht einmal zu träumen wagte.

Unten in der Bucht angekommen drehte er sich zu ihr um. »Entspricht unser Restaurant Ihren Vorstellungen?«

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