Buch lesen: «Mallorquinische Leiche zum Frühstück», Seite 2

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»Sagt wer?«, warf Mercédès ein und lenkte ihren Blick, der sich über dem Meer verloren hatte, interessiert Richtung Miquel.

»Frau Fichtelhuber, die hast du ja schon kennengelernt.«

»Und woher weiß Frau Fichtelhuber das so genau?«, fragte sie spöttisch.

»Sie saß mit ihrem Mann am Nebentisch und hat das Gespräch zufällig mitangehört.«

»Zufällig ... wer´s glaubt. Was hat sie gehört?«

»Wie Sabrina Schneider den jungen Mann angefaucht hat, was er hier verloren habe. Er wisse doch genau, dass sie auf Mallorca ihre Ruhe haben möchte und sich entspannen wolle. Und dabei soll sie dem Hoffmann schöne Augen gemacht haben, sagt die Fichtelhuber.«

Mercédès lachte herzlich auf. »Wie gut, dass es Menschen gibt, denen das eigene Leben nicht genug ist und die ihre Nase in fremde Angelegenheiten stecken. So helfen sie uns bei unseren Ermittlungen. Dann werde ich mal Herrn Hoffmann auf den Zahn fühlen, ob Frau Schneider ihm ›schöne Augen‹ gemacht hat und erkunden, was es mit dem jungen Mann aus Berlin auf sich hat. Und nach dem älteren Mann fahnden, der laut Frau Fichtelhuber ›etwas mit ihr laufen hatte‹. Seine Apartmentnummer ist mir ja dank Rosie Fichtelhuber bekannt.«

»Und was mache ich?«

»Du wirst die anderen Gäste befragen, von denen wir die Personalien aufgenommen haben, ob sie am Morgen etwas Verdächtiges bemerkt haben. Und das Personal, das Frau Schneider kannte. Allerdings gehen wir von einer Unfall-These aus. Sollte es doch Mord sein, wiegt sich der Täter in Sicherheit.«

»Alles klar. Wo treffen wir uns wieder?«

»Am Nachmittag im Büro. Ich nehme an, unsere Dienststelle ist auch am Wochenende besetzt«, lächelte sie.

»Weißt du denn schon, wo die ist?«, lachte Miquel verschmitzt.

»Ich werd´s finden«, antwortete Mercédès lakonisch.

Mercédès stand einige Zeit vor dem Gebäude, in dem Rezeption und Büros der leitenden Angestellten untergebracht waren, und betrachtete Werner Hoffmann durch das Fenster. Erneut fiel ihr seine außergewöhnliche Attraktivität und seine besondere Ausstrahlung auf, obwohl sein Gesichtsausdruck verkniffen wirkte und er irgendwie in sich gekehrt zu sein schien. Sie konnte sich seiner Aura trotz Glasscheibe nicht entziehen. Ein bemerkenswerter Mann, überlegte sie. Wie alt er wohl war? Anfang/Mitte vierzig? Sie musste unbedingt herausfinden, ob sein Gemütszustand mit dem Tod von Sabrina Schneider zusammenhing.

Sie betrat das Haus, schlüpfte an der Rezeption an einer verblüfften, ausgesprochen hübschen jungen Frau vorbei, klopfte an seine Tür und trat ohne Aufforderung ein.

»Herr Hoffmann, ich hätte noch einige Fragen«, begann sie sofort, ohne Begrüßung.

Übellaunig erhob sich der Manager hinter seinem Schreibtisch. »Womit kann ich dienen?«

Der Ausdruck ›dienen‹ zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht. Neugierig fragte sie: »Wo kommen Sie denn her?«

»Aus Wien«, sagte er kurz angebunden.

»Und wie lange leben Sie auf Mallorca?«

»So an die zwölf Jahre. Aber ich denke nicht, dass Sie hier sind, um über meine Mallorca-Erfahrung mit mir zu plaudern«, meinte er eisig.

»Nein, da haben Sie recht. Ich möchte mir das Apartment der Toten ansehen.«

»Äh, natürlich. Aber Ihre Kollegen von der Spurensicherung waren bereits da.«

»Ich weiß. Doch ich mache mir gerne selbst ein Bild. Und ich hätte ein paar Fragen an Sie. Würden Sie mich begleiten?«

»Wie Sie wollen«, meinte er höflich. »Ich gehe voraus.«

Sie folgte dem großgewachsenen Mann durch die liebevoll gestaltete Anlage, vorbei am glasverschalten Restaurant, das über einige Stufen direkt vom gepflegten Strand aus erreichbar war. Aus dem Inneren konnte man wahrscheinlich einen herrlichen Blick auf das Meer genießen, sinnierte Mercédès. Kein schlechter Platz für eine Auszeit vom täglichen Trott. Die ausladende, mit Steinen gepflasterte Terrasse davor wirkte einladend, nur etwas kahl, jetzt, in den Herbstmonaten. Vereinzelt saßen Gäste mit Zeitungen an den Tischen, erfreuten sich an den Sonnenstrahlen und tranken Kaffee. An einer Seite der Terrasse wurde gerade eine Art Podium für den Winter »eingepackt«, vermutlich die Bühne, wo in der Hauptsaison die abendlichen Belustigungen für die Gäste stattfanden. Nichts für sie. Sie verabscheute diese Art der Unterhaltung.

Sie kamen am Hallenbad vorbei. Alles war wieder ruhig, die Leiche war weggebracht worden, das Absperrband vor dem Eingang wehte leicht im sanften Wind, der vom Meer her blies. Der hintere Teil der Häuserwand von dem Gebäude, in dem neben dem Bad auch die Wäscherei untergebracht war, wie sie im Vorbeigehen bemerkte, war von bunten Bougainvilleas bewachsen, die in der Sonne leuchteten. Doch Mercédès hatte keine Zeit, sich an den herrlichen Blüten zu erfreuen, denn Werner Hoffmann holte weit aus mit seinen Schritten und sie hatte Mühe, ihm zu folgen. Schweigend trotteten sie hintereinander die Stufen zu den Apartment-Häusern hinauf. Eine schmale Treppe führte in den zweiten Stock von Haus 9 zu Apartment 920.

Er öffnete die Tür, ließ ihr aber den Vortritt. Ein prachtvoller Ausblick über Palmen direkt auf das Meer bot sich durch die großzügige Fensterfront auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, den sie betraten.

»Was für eine Aussicht!«, rief sie überwältigt aus. Doch dann stutze sie. Wo war die Spurensicherung?

»Ist die Spurensicherung schon abgezogen?«, drehte sie sich überrascht zu Hoffmann um.

Der sagte nichts, starrte nur auf den Esstisch, der hinter der Küchenzeile, die durch eine Art Bar vom restlichen Zimmer getrennt war, an der Wand stand, umgeben von vier Sesseln. Weiter hinten im Raum, knapp vor den bodentiefen Fenstern, befand sich eine Couch mit einem kleinen Tischchen davor. Sie beobachtete Hoffmann aufmerksam, der immer noch fasziniert auf den Esstisch stierte.

Hier habe ich sie das erste Mal geliebt, dachte dieser traurig. Vor ziemlich genau fünf Jahren. Bei ihrem allerersten Besuch hatte sie mich gebeten, ihr die Koffer auf das Zimmer zu tragen. Er tat dies normalerweise nie, aber ihre grauschimmernden Augen hatten ihn von Anfang an fasziniert und in seinen Bann gezogen. Nachdem sie das Apartment betreten hatten, hatte sie sich lasziv an diesen Tisch gelehnt.

»Wollen Sie mir Gesellschaft leisten und einen Begrüßungsschluck mit mir trinken?«, hatte sie ihn herausfordernd angelächelt.

Er hätte ablehnen sollen. Nie trank er mit Gästen einen Begrüßungsschluck. Er war Manager der Anlage und nicht persönlicher Betreuer. Doch er war in die Küche gegangen, hatte den Begrüßungswein geöffnet und zwei Gläser eingeschenkt.

»Salud!«, hatte sie bemerkt und mit ihm angestoßen. Nie würde er ihre Augen dabei vergessen. Spöttisch hatten sie sich in seinen verfangen. Er vergaß, dass er der Manager war, er vergaß alles. Er war auf sie zugetreten, hatte ihr das Glas abgenommen, sie einfach in seine Arme gezogen und leidenschaftlich geküsst. Und dann war es passiert. Gleich auf dem Tisch.

Es war nicht bei dem einem Mal geblieben. Fast täglich hatte er sie besucht und sie hatten sich geliebt. Überall im Apartment. Im Bett. Auf dem Esstisch. Auf der Küchenarbeitsplatte. Auf der Couch. In der Dusche. Er war ihr regelrecht verfallen.

Nach ihrer Abreise war er in ein tiefes Loch gefallen. So süchtig war er nach ihr gewesen. Also war er ihr nach Berlin gefolgt, aber sie hatte ihn vor ihrer Tür abgewiesen. »Ein wunderbarer Urlaubsflirt, aber nicht mehr«, hatte sie nur gesagt und die Tür geschlossen. Er war sich wie ein Esel vorgekommen.

Ein Jahr später war sie erneut im Resort aufgetaucht. Er war wie elektrisiert, als er sie an der Rezeption gesehen hatte und war sofort aus seinem Büro geeilt. »Wollen Sie mir wieder mit den Koffern helfen, lieber Herr Hoffmann?« Er wollte. Und abermals war es der Tisch, der für die erste Leidenschaft herhalten musste.

Sie war nun das fünfte Mal bei ihnen abgestiegen, und nichts hatte sich am Begrüßungszeremoniell geändert. Auch fand sich nach wie vor jeden Tag eine Gelegenheit, ihrer Leidenschaft nachzugehen. Und nach wie vor war er süchtig nach ihr. Erst heute Morgen hatten sie in diesem Bett da … Sein Blick wanderte Richtung Schlafzimmer.

»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Mercédès, da Hoffmann geistesabwesend wirkte. Sie registrierte, wie er zusammenzuckte und sich ihrer anscheinend erst wieder besinnen musste. »Sie sehen plötzlich so bleich aus.«

»Alles in Ordnung. Es ... es hat mich nur etwas mitgenommen. Wir hatten noch nie eine Tote bei uns im Resort«, meinte er entschuldigend.

Mercédès glaubte ihm nicht, irgendetwas ging in dem Mann vor. Sie konnte seine Verzweiflung direkt fühlen. »Laut Aussage einer Zeugin hatten Sie ein Auge auf die Verstorbene geworfen?«, fragte sie beiläufig.

»Ein Auge auf ...? Wer sagt denn so was?«, erkundigte er sich verstört. Er war überzeugt, dass sie diskret vorgegangen waren. Wobei, wenn er an gestern Nachmittag dachte … da hatten sie alle Vorsicht außer Acht gelassen und sich hinter dem Resort auf den Klippen unter freiem Himmel geliebt. Aber er hatte sich vorher vergewissert, da war niemand gewesen, der sie hätte beobachten können.

Mercédès ließ ihn nicht aus den Augen. Sie hatte eine wunde Stelle getroffen, das spürte sie. »Sie mochten Frau Schneider, richtig?«, stellte sie sachlich fest.

»›Mochten‹ ist nicht der passende Ausdruck«, antwortete er nach einer kleinen Weile. »Ich bewunderte sie für ihren Mut. Wie offen sie mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit umgegangen ist. Bei dem Thema nicht immer leicht.«

»Warum nicht?«, wunderte sich Mercédès.

»Weil es Männer gab, die dachten, sie lebe so, wie sie es in ihren Büchern beschrieb. Sie wurde öfter bedrängt.«

»Hat Frau Schneider Ihnen das erzählt?«

»Ja, manchmal beklagte sie sich darüber. Deshalb kam sie so gerne zu uns. Sie meinte immer, hier seien lauter alte Ehepaare, da wolle keiner was von ihr.« Er lachte angestrengt.

»Sind Sie sicher, dass keiner etwas von ihr wollte?«, fragte sie gespannt nach. Du zum Beispiel?, überlegte sie.

»Die Leute tratschten zwar über sie, aber das war es auch schon. Ich habe zumindest niemanden beobachtet, der ihr zu nahe getreten ist. Außer ...«, unterbrach er sich grübelnd.

»Außer?«

»Außer dem jungen Mann, der vor ein paar Tagen auf 115 eingezogen ist. Ich bin mir nicht sicher, aber angeblich war er ihr Geliebter.«

Er wusste, dass es so war. Er hatte sie gestern mit dem Kerl im Bett erwischt. Sie war fürchterlich wütend geworden, dass er mit seinem Zentralschlüssel einfach ihre Tür aufgesperrt hatte, als sie auf sein Klopfen nicht geöffnet hatte. Es hatte ihn wie ein Faustschlag im Magen getroffen, als er den Burschen über ihr knien gesehen hatte und aus ihrem Mund das gleiche Stöhnen gekommen war wie wenn er …

Fluchtartig hatte er das Apartment verlassen. Wütend auf sie. Aber mehr noch auf sich. Warum konnte er die Finger nicht von ihr lassen? Seine Umgebung war bereits misstrauisch, für ihn stand alles auf dem Spiel. Wenn jemand erfuhr, dass er seit Jahren mit einem Gast …

Er hatte sich vorgenommen, die Affäre zu beenden, als er aufgelöst in seinem Büro saß und die Szene aus dem Apartment Revue passieren ließ. Er musste sich von ihr lösen, sonst stürzte sie ihn ins Verderben. Da sah er sie über die Treppen zur Bar Luna 81 hinaufsteigen, und er war ihr gefolgt. Sie hatte das Resortgelände hinter den letzten Häusern Richtung offenem Pinienwald verlassen und sich auf den ovalen Tisch gesetzt, der hoch über den Klippen für Picknicks bereitstand mit einem traumhaften Ausblick auf das Meer.

Leise war er hinter sie getreten, hatte die Hände um ihren Hals gelegt. »Ich könnte dich jetzt töten!«, und seine Stimme hatte rau geklungen.

»Das tust du aber nicht, viel lieber vögelst du mich«, hatte sie lachend geantwortet. Und anstatt sich von ihr zu trennen, hatte er sie auf diesem Tischchen geliebt, auf dem sonst Coladosen, Bier oder Weinflaschen standen. Sie war so leidenschaftlich gewesen, hatte ihn in einen totalen Rausch versetzt. Da wusste er, dass er nicht mehr von ihr loskommen würde.

»Morgen vor dem Schwimmen?«, hatte sie ihm nachgerufen, als er trunken vor Leidenschaft von ihr gelassen und in sein Büro gelaufen war, um sich zu beruhigen. Doch ihr Lachen verfolgte ihn. Sie wusste, dass er wieder antanzen würde. Und er hatte es kaum erwarten können. Und jetzt, jetzt war sie tot. Nie mehr würde er ihre Stimme hören, wenn sie verführerisch flüsterte ›Komm doch‹, und ihren hingebungsvollen Körper spüren.

»Herr Hoffmann? Hören Sie mich?«, drängte ein Geräusch laut und deutlich an sein Ohr.

»Äh, was haben Sie mich soeben gefragt?«, sagte Werner Hoffmann entschuldigend.

»Ich wollte wissen, wie der junge Mann heißt.« Verwundert blickte Mercédès auf den Manager. Er war verstört. Eindeutig. Und so, wie er sich über die Augen fuhr, wollte er Erinnerungen aus seinem Gedächtnis löschen. Hatte es mit der Toten zu tun?

»Ah, da müsste ich nachschauen. Bei über 170 belegten Apartments kann ich mir nicht alle Namen merken. Er ist außerdem das erste Mal bei uns.« Jens Meinfeldt war sein Name, Maler, der auf Kosten von Sabrina gelebt hatte. Aber das sollte die Kommissarin selbst herausfinden. »Wollen wir in mein Büro gehen? Da kann ich dann gleich nach dem Namen des Gastes sehen.«

»Haben Sie nicht gestern Abend mit ihm und Frau Schneider gefeiert? Da sollten Sie doch seinen Namen kennen ...«

Hoffmann war bleich geworden. »Woher wissen Sie ...«

»Herr Hoffmann, denken Sie wirklich, in einem Resort wie diesem bleibt geheim, wenn Sie mit einer schönen Frau und einem jungen Mann, die die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich ziehen, zu Abend essen?«, fragte sie spöttisch.

»Ich hatte Frau Schneider zu ihrem fünfjährigen Jubiläum zu einem Abendessen in unserem Restaurant Tentación eingeladen. Herr Meinfeldt, Jens Meinfeldt, begleitete uns. Sabrina war nicht begeistert davon.«

»Sabrina?«, lächelte Mercédès unschuldig.

Er hätte sich auf die Zunge beißen mögen. »Ja, so nannte ich sie, wenn wir alleine waren. Schließlich war sie seit fünf Jahren Gast in unserem Haus.« Er musterte Mercédès kühl.

»Und Frau Fichtelhuber nennen Sie Rosie? Wenn ich das richtig verstanden habe, kommt sie bereits mehr als zehn Jahre mit ihrem Mann hierher«, grinste Mercédès.

Er antwortete nicht.

»Warum war Frau Schneider nicht begeistert?«

»Das weiß ich nicht genau. So gut kannten wir uns dann auch nicht, dass sie mir persönliche Dinge anvertraut hätte. Da müssen Sie Herrn Meinfeldt schon selbst danach fragen.«

Kühl und distanziert blickte er auf sie herab.

Ich kauf dir deine Unwissenheit nicht ab, sagte sich Mercédès. Du spielst hier nur den taffen Manager, innerlich bist du bis ins Tiefste getroffen. Und sie empfand so etwas wie Mitleid mit Hoffmann. Sympathie, denn er war genau der Typ Mann, bei dem sie schwach werden konnte. Selbstsicheres Auftreten, Kompetenz ausstrahlend, aber trotzdem verletzlich. Am meisten faszinierte sie allerdings, dass er sein gutes Aussehen einfach hinnahm und nicht damit kokettierte oder angab. Es einsetzte, um andere zu beeindrucken. So verloren, wie er dastand, hätte sie ihn am liebsten in die Arme genommen und getröstet.

»Gut. Dann werde ich das tun. Hier kann ich im Moment nichts mehr ausrichten. Außer abwarten, was die Spurensicherung herausgefunden hat.« Und sie ließ ihre Augen noch einmal durch das Apartment schweifen, aber es fiel ihr nichts auf, was sie weitergebracht hätte. Stirnrunzelnd betrachtete sie das Schlafzimmer. Irgendetwas war da, aber sie konnte es nicht greifen. Sie wandte sich um, als sie einen zufriedenen Ausdruck in Hoffmans Gesicht ausmachte.

Der hatte beim Inspizieren des Schlafzimmers durch die Kommissarin ängstlich überlegt, ob Maria seiner Aufforderung nachgekommen war, die Bettwäsche zu wechseln, wie er ihr nach dem Auffinden der Leiche aufgetragen hatte. Sein Blick war auf das Bett im Schlafzimmer gewandert, was ihn zufrieden aufseufzen ließ. Alles sah sauber und frisch überzogen aus. Keine Spur mehr von dem Schlachtfeld, das sie heute Morgen zurückgelassen hatten nach einer liebestollen Stunde.

Er fing den Blick der Kommissarin auf, spürte, dass ihren Augen nichts entging. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Können wir dann? Ich habe noch anderes zu tun«, meinte er betont desinteressiert.

Mercédès konnte sich keinen Reim auf sein Verhalten machen, nickte und sie verließen das Apartment. Sie klebte an die Tür noch ein Siegel und schärfte Hoffmann ein, dass niemand die Wohnung betreten oder etwas verändert werden dürfte.

An der Rezeption befragte Mercédès noch die anderen Angestellten, aber keiner konnte ihr Näheres über Sabrina Schneider mitteilen.

»Ich hätte dann noch gerne den Namen von dem Ehepaar auf 602«, bat sie höflich.

Die Rezeptionistin schaute fragend auf ihren Chef, der nickte zustimmend.

»Bärbel und Dirk Ackermann«, meinte das attraktive Mädchen.

Mercédès entschied sich, zuerst mit Jens Meinfeldt zu sprechen, und ließ sich den Weg zur Nummer 115 zeigen. Unterwegs rief sie Miquel an. »Sag mal, war die Spurensicherung in Sabrina Schneiders Apartment?«

»Ja, ist schon alles fertig.«

»Und warum haben sie es nicht versiegelt?«, fragte sie ärgerlich.

Schweigen auf der anderen Seite.

»Bist du noch da?«

»Vielleicht wegen der Unfallthese ...«, kam es zögerlich aus dem Telefon.

»Die sollen nicht denken, sondern ihre Arbeit machen. Das muss mit mir abgesprochen werden. Oder dir. Die Spurensicherung kann nicht entscheiden, ob etwas versiegelt werden soll oder nicht«, fuhr sie ihn wütend an. Vielleicht hätte sie mit Miquel keinen Kaffee trinken gehen sollen, sondern die Spurensicherung beaufsichtigen, dachte sie zynisch. In Madrid wäre das nicht nötig gewesen.

»Hoffentlich gehen uns dadurch nicht wertvolle Spuren verloren«, und legte einfach auf. Sie war stinksauer!

Mittlerweile stand sie vor Apartment 115, das im letzten Haus direkt über den Klippen unter dichten Pinien lag. Zwar ein etwas beschwerlicher Aufstieg bis dorthin, aber lohnenswert. Eine wundervoll gepflegte Anlage, stellte Mercédès fest. Da sind viele fleißige Hände am Werk.

Sie musste mehrmals klopfen, bis sich die Tür öffnete.

»Ja?«, fragte ein verschlafener Strubbelkopf mit zerzaustem Vollbart und beharrter Brust.

Ganz untypisch für die Jugend von heute, dachte sie. Ist behaarte Brust nicht out? Aber ihr gefiel, was sie sah. Ein toller Körper. Und erst sein … schnell ließ sie ihre Augen Richtung Gesicht wandern und wies sich als Polizistin aus.

»Jens Meinfeldt?«

Er nickte. »Polizei? So früh am Morgen?«

»Es ist Mittag vorbei. Darf ich hereinkommen?«

»Bitte«, und er gab die Tür frei.

Ungeniert stand er nackt vor ihr. »Möchten Sie sich nicht etwas anziehen?«

»Nicht unbedingt. Wenn es Sie nicht stört …«

»Nein, mich stört es nicht«, lächelte sie. Ganz und gar nicht, dachte sie noch und riskierte einen weiteren Blick. Doch dann besann sie sich auf ihre Aufgabe.

»Sie kennen Sabrina Schneider?«

»Ja. Was ist mit ihr?«

»Frau Schneider ist tot.«

»Was? Aber das gibt´s doch nicht. Wir haben heute Nacht noch …«, verstummte Meinfeldt verstört.

»Sie haben heute Nacht noch was?«, wollte Mercédès wissen.

»Wir hatten Sex. Tollen Sex. Sabrina ist … war eine leidenschaftliche Frau«, antwortete er traurig.

»Wo hatten Sie Geschlechtsverkehr? Hier in Ihrem Apartment oder bei Frau Schneider?«

»Bei Sabrina. Sie stand danach nicht so gerne auf ...«, lachte er.

»Das heißt, sie blieben nicht die gesamte Nacht zusammen?«

»Nein, Sabrina sagte immer, sie möchte nur neben dem Mann aufwachen, den sie wirklich liebt.«

»Sie hat Sie also nicht geliebt?«

»Nein. Ich war nur ihr Spielzeug. Ich gab ihr, was sie wollte. Und sie gab mir, was ich wollte.«

»Und was wollten Sie?«

»Abgesehen vom Sex, meinen Sie?« Ein neckisches Lachen war in seinen Augen erkennbar.

Mercédès nickte.

»Sabrina finanzierte mein Leben. Ich war die Muse für ihre Bücher, sie für meine Bilder. Da die aber nicht so erfolgreich sind wie ihre Bücher, also …«

»… haben Sie auf ihre Kosten gelebt«, beendete Mercédès den Satz.

»Ja«, gab er unumwunden zu.

»Frau Schneider soll nicht sehr erbaut gewesen sein, dass Sie hier auf Mallorca aufgetaucht sind?«

»Wer sagt das? Der Kriecher von einem Manager? Der war doch nur selbst scharf auf sie«, kam es verächtlich von Jens.

Mercédès wurde hellhörig. Schon wieder jemand, der meinte, Werner Hoffmann hätte mehr von Sabrina Schneider gewollt, als er zugegeben hatte. »Wie kommen Sie darauf?«, fragte sie deshalb nach.

»Na, wie er sie angesehen hat. Richtig angehimmelt. Und gestern Nachmittag stand er plötzlich in ihrem Schlafzimmer, als wir gefickt haben. Sabrina war tierisch wütend.«

»Was wollte Herr Hoffmann?«

»Keine Ahnung. Sabrina hat mich nie in ihr Leben eingeweiht. Ich fand´s komisch, dass er die Tür selbst aufgesperrt hat. Aber Sabrina wollte mir nicht sagen, ob sie was am Laufen hat mit ihm. Dafür hat sie mich dann weggeschickt. Deshalb bin ich bei dem Abendessen aufgetaucht. Wollte herausfinden, was zwischen den beiden so ablief.«

»Und, haben Sie´s herausgefunden?«

»Nein. Sie waren höflich zueinander, fast zu höflich. Sabrina ist normal charmanter, flirtet gerne. Aber gestern gab sie sich richtig langweilig. Lag vielleicht auch an dem Ehepaar, das am Nebentisch saß. Die Alte steckte ihren Kopf ständig in unsere Richtung, ließ ihre Augen flink über uns huschen. Man fühlte sich richtiggehend beobachtet. Aber mich kümmerte es nicht. Ich genoss das kostenlose Abendessen und trank zu viel von dem mallorquinischen Wein. Und ging dann mit Sabrina auf ihr Apartment. Für Sex«, fügte er grinsend wie ein Lausbub an.

Mercédès wurde es heiß, bei dem Blick, den der Junge über sie laufen ließ. Der war sicher keine fünfundzwanzig Jahre alt, aber selbstsicher und sich seiner Wirkung auf Frauen sehr bewusst.

»Sie gingen also mit Frau Schneider direkt nach dem Abendessen in ihr Apartment. Was tat Herr Hoffmann?«

»Keine Ahnung. Er schaute unglücklich drein, wie ich mit Sabrina abgezogen bin. Ich denke, er ging in seine Wohnung.«

»Wohnt er denn auf dem Gelände?«

»Soviel ich weiß, hat er irgendwo eine Dienstwohnung im Resort«, antwortete er uninteressiert.

»Wann verließen Sie Frau Schneider in der Nacht?«

»Kurz nach Mitternacht. Sabrina bestand auf ihren Schönheitsschlaf. Und sie stand ja jeden Tag um sieben Uhr auf, um schwimmen zu gehen.«

»Da haben Sie sie das letzte Mal gesehen? Als Sie sie nach ... nach dem Geschlechtsverkehr verlassen haben?«

»Ja. Was sollen die Fragen? Woran ist Sabrina denn gestorben?«

»Sie ist beim Schwimmen ertrunken.«

»Ertrunken? Doch nicht Sabrina. Die schwamm wie ein Weltmeister. Zog eine Bahn nach der anderen, ihr Fitnessprogramm. Die ertrinkt doch nicht.«

»Wir untersuchen die Todesursachen noch. Wo waren Sie heute Morgen zwischen sieben und acht Uhr?«

»Ich? Im Bett. Wo sonst?«

Mercédès musste sich ein Lachen verkneifen bei dem überraschten Gesichtsausdruck, den Meinfeldt bei dieser Frage an den Tag legte.

»Kann das jemand bezeugen?«

»Nein, aber warum sollte das jemand bezeugen können? Ich hätte Sabrina doch nie was getan, schließlich lebte ich von ihr. Ich werde doch nicht den Ast absägen, auf dem ich sitze. Außerdem standen wir uns nahe. Auch wenn es nicht die große Liebe war, so vertrauten wir uns und waren gegenseitig für einander da.« Er verschwieg allerdings, dass er deshalb in Paguera war, weil Sabrina ihm den Laufpass gegeben und angekündigt hatte, ihn aus ihrem Testament streichen zu lassen. Er wollte sie umstimmen. Denn sonst hätte er einpacken können und seine schicke Wohnung in Prenzlauer Berg aufgeben müssen. Aber mehr noch hätte ihn getroffen, seinem süßen Leben ade sagen zu müssen. Und all den willigen Mädels. Jetzt brauchte er sich nicht mehr zu sorgen.

»Sie haben mir noch nicht verraten, warum Frau Schneider nicht erbaut über Ihr Auftauchen war?«

»Ich denke, dass sie mit dem Hoffmann was am Laufen hatte. Und ich sie in ihren Bemühungen gestört habe. Aber sie hatte nichts dagegen, dass ich hier war, glauben Sie mir.« Und sein dreckiges Grinsen überzeugte Mercédès.

»Danke für Ihre Bereitschaft, meine Fragen zu beantworten. Bitte reisen Sie nicht ab, es kann sein, dass ich noch einige mehr an Sie habe«, und sie ließ ihren Blick ein weiteres Mal an eine bestimmte Stelle des jungen Mannes wandern, bevor sie das Apartment verließ. Nicht übel, dachte sie.

Jens lächelte vor sich hin. Nein, so schnell würde er nicht abreisen. Erstens hatte er grad das hübsche Zimmermädchen aufgerissen, das ihm die Nacht versüßt hatte, nachdem Sabrina ihn hinausgeworfen hatte. Er konnte nicht verstehen, warum Sabrina nach einem Quickie genug von ihm hatte. Sie hatten es doch sonst mehrmals in einer Nacht getrieben. Aber die letzten Tage war sie irgendwie eigenartig. Ob es mit Hoffmann zusammenhing? Er nahm sich vor, dem auf den Grund zu gehen.

Nach dem Besuch bei Jens Meinfeldt wollte Mercédès noch Dirk Ackermann aufsuchen, um zu überprüfen, ob sich Ackermann und Sabrina Schneider wirklich gekannt hatten, wie es Frau Fichtelhuber behauptet hatte. Sie orientierte sich an dem Resort-Plan, den ihr die Rezeptionistin vorausschauend mitgegeben hatte.

Die Anlage war um die Bucht La Romana gruppiert und zog sich die Hügel hinauf, die teilweise von dichtem Pinienwald bewachsen waren. Im Moment befand sie sich am höchsten Punkt. Sie kletterte also die Stufen wieder hinunter, denn Haus 6, in dem die Ackermanns wohnten, lag gleich hinter der Rezeption, die in der Mitte des Resorts am tiefsten Platz lag, wenn man vom Meer absah. Sie hatte Muße, die Häuser, in denen die Apartments untergebracht waren, genauer in Augenschein zu nehmen. Fand es hübsch, dass alle in verschiedenen warmen Farben strahlten und in unterschiedlicher Bauweisen errichtet waren. Nicht so nullachtfünfzehn, wie das sonst bei vielen Anlagen der Fall war. Manche der Gebäude lagen versteckt unter Pinien, andere direkt an den Klippen, wie Meinfeldts Haus.

Sie kam an der Bar Luna 81 vorbei, dann am Pool, der beim Schwimmen einen herrlichen Ausblick auf die Bucht bieten musste, denn beides, Bar und Pool, waren terrassenförmig in den Hang eingelassen. Sie blickte hinunter auf den Spielplatz und den Strand dahinter, an dem nur wenige Leute spazierten. Als sie unten angekommen war, überquerte sie den Parkplatz, schlenderte an der Rezeption vorbei, nicht ohne einen Blick durch das Fenster auf Werner Hoffmann zu werfen. Dann schlug sie den Weg zwischen Restaurant und Rezeption ein, der sie erneut bei einem Pool vorbei führte, hinter dem Haus 6 lag.

Sie klopfte an die Apartmenttür 602, laut Plan eines der drei Apartments, die für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung geeignet waren. Hatte die Fichtelhuber nicht etwas von einer kranken Frau erwähnt?

Ein Mann Mitte Siebzig mit einem gewaltigen Bierbauch öffnete und schaute sie mit eisgrauen Augen hinter randlosen Brillengläsern abschätzend von oben herab an.

Sie musterte den Mann kühl zurück und überlegte, dass er einmal eine imposante Erscheinung gewesen sein musste, mit einer Größe von fast 1,90 Meter und dem charakteristisch geschnittenen Gesicht. Doch jetzt ließen ihr der mürrische, fast aggressiv abweisende Ausdruck einen Schauer über ihren Körper laufen. Die feinen Äderchen, die seine rote Nase durchzogen, verrieten ihr, dass sie hier einen Trinker vor sich hatte.

»Ja? Was wollen Sie?«, fragte er angespannt. Automatisch auf Deutsch.

Wieder einmal ärgerte sich Mercédès, dass diese deutschen Touristen gar nicht auf die Idee kamen, es wenigstens aus Höflichkeit mit Spanisch zu probieren. Sie seufzte und wusste in dem Moment, warum man sie auf die Insel versetzt hatte. Sie sprach deutsch und spanisch wie ihre Muttersprache.

»Ich bin Comissària Mayerhuber und untersuche den Tod von Sabrina Schneider. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich Sie, Herr Ackermann, heute in der Menge vor dem Schwimmbad ausgemacht, in dem wir die Tote gefunden haben.«

Sie beobachtete ihn dabei genau, denn ihr war sein gequälter Gesichtsausdruck aufgefallen, und sie hatte gehofft, diesen Mann zu finden, aber nicht damit gerechnet, dass das so schnell und so einfach war.

»Ja und, weshalb kommen Sie da zu mir? Ich war nicht der Einzige dort.« Seine kalte Stimme ließ sie erneut einen Schauer spüren.

»Aber Sie kannten Frau Schneider. Wie uns berichtet wurde, haben Sie des Öfteren mit ihr gesprochen.«

»Ich kannte diese Frau nicht«, und die Betonung von ›diese Frau‹ ließ Mercédès aufhorchen.

»Sie haben sich also nie mit Frau Schneider unterhalten?«

»Was heißt unterhalten? Wir haben hin und wieder ein Wort gewechselt, wie das in solchen Resorts der Höflichkeit geschuldet ist. Doch mehr als ein ›Grüß Gott‹, ›schöner Tag heute‹ war das nicht. Ich kannte nicht einmal ihren Namen.«

»War es das?«, fügte er noch schroff hinzu, da ihn Mercédès nur interessiert beobachtet hatte.

Mercédès überlegte kurz. Doch was sollte sie ihn befragen, wenn er abstritt, sie zu kennen? Mehr als das bösartige Geschwätz der alten Fichtelhuber hatte sie nicht. »Danke, ja, das war´s. Aber es könnte sein, dass sich noch Fragen ergeben. Sie haben nicht vor, in nächster Zeit abzureisen?«

»Ich bin noch bis Januar hier eingesperrt«, antwortete er grimmig und schloss ohne Abschiedsgruß die Tür.

Mercédès wandte sich kopfschüttelnd ab.

»Warum hast du der Kommissarin nicht erzählt, dass du das Luder kennst?«, kam es hasserfüllt aus dem Nebenzimmer, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

»Halt dein Schandmaul«, gab er laut und kalt zurück und schenkte sich einen doppelten Schnaps von seinem Selbstgebrannten ein. Nicht den ersten an diesem Morgen. Das ist das Einzige, was mir noch bleibt, dachte er grimmig. Meine Schnapsbrennerei. Und ich bin selbst mein bester Kunde. Dann holte er sein Smartphone aus der Brusttasche, öffnete seine Musik-App und gleich darauf erklang das Lied As Time Goes By.

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