Buch lesen: «Caro»

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Stefanie Althoff

Caro

Oh l'amour

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Caro

Jayden, Marten und Caro

Café Neuf

Impressum neobooks

Caro
1.Kapitel

Sie dachte viel an Männer. Jeder Mann auf der Straße wurde als potentieller Liebhaber von oben bis unten gemustert. Sogar den Mann, in den sich ihre Flurnachbarin verliebt hatte, Fabrice, fand sie attraktiv. Vielleicht auch gerade deswegen.

Im Übrigen hatte er anziehende Augen.

Letztes Wochenende hatte sie Jan kennengelernt in einer Bar in Belleville. Die Bar befand sich an einer Straßenecke, draußen und drinnen saßen Leute, vor allem Männer, die aussahen, als kämen sie aus dem arabischen Raum. Sie rauchten, tranken und quatschten. Caro war unschlüssig, ob sie sich hier niederlassen sollte, auf alte lüsterne Araber hatte sie ja so gar keine Lust. Andererseits war sie stundenlang durch die Stadt gestromert und benötigte dringend eine Pause.

In der Tür stehend und abwägend fiel ihr Blick auf einen Typen an der Bar, der so gar nicht ins Bild passte. Er war ziemlich bunt gekleidet, sah aus, als hätte er die Klamotten selbst geschneidert, sie waren so individuell. Seine Haare waren ein bisschen verwuschelt und hatten wohl auch schon ein Weilchen keinen Frisör mehr gesehen. Er trug eine Brille, die Caro an eine Clownsbrille erinnerte. Bartstoppeln sprießten an seinem Kinn. Er sah aus, als sei er halbwegs ihr Alter. Er sah nicht super toll aus, ganz im Gegenteil, für Caros Geschmack war er fast schon zu ungepflegt, außerdem viel zu dünn, aber dennoch …

Er wirkte irgendwie interessant ... Eben jemand, mit dem es sich vielleicht lohnen könnte, in Kontakt zu treten. Gerade kreuzten sich ihre Blicke, vielleicht spürte er, wie sie ihn musterte. Er lächelte sie sehr sympathisch an, Caro lächelte zurück, steuerte auf ihn zu – er saß an der Bar - und fragte, ob sie sich zu ihm setzen dürfe.

»Aber natürlich!« Antwortete er und machte ihr Platz.

Sie kamen ins Gespräch. Er war Schwede und Musiker, Gitarrist genauer gesagt. Spielte in einer Band, und versuchte so, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er war schon eine Weile in Paris, abgesehen davon lebte seine Oma hier schon lange. Er hatte eine kleine Wohnung unterm Dach im 6. Arrondissement in der Nähe der Rue de Montparnasse, wo er mit zwei Katzen wohnte.

»Ach, da leben wir ja quasi in Nachbarschaft«, rief Caro, und erzählte von ihrem Zimmerchen in der Rue de Bourgogne.

Sie redeten noch eine Weile, über Paris, die Franzosen, und den Ausländerstatus, den man hier innehatte. Es war ganz interessant, zumal Caro in der letzten Zeit nicht mit allzu vielen Menschen gesprochen hatte, abgesehen von der Bäckersfrau.

Anstelle Adressen hatten sie Stammcafés ausgetauscht. Fanden sie beide wohl originell, einziges Problem war allerdings, dass Caro nicht ganz kapiert hatte, welches sein Lieblingscafé war. Aus diesem Grund hatte sie schon ihr eigenes, das Lucrecenaire aufgegeben und probierte stattdessen sämtliche um den Jardin de Luxembourg aus.

Nun hockte sie hier in einer solcher Bar bei einem Kir, beobachtete die Menschen und ließ ihre Gedanken schweifen.

Benjamin. Auch an ihn dachte sie. Er saß ein paarmal in ihrer Ecke in der Bibliothek St. Genvière, die sie auf ihren Streifzügen durch die Stadt entdeckt hatte. Sie lag direkt neben dem Panthéon und gefiel Caro sehr gut - wenn man dort saß und lernte, fühlte man sich beinahe ins letzte Jahrhundert versetzt und hatte so ein ehrfürchtiges Gefühl den ganzen zum Teil uralten Büchern gegenüber.

Benjamin war ihr erst gar nicht aufgefallen, zu vertieft war sie in ihre Französischgrammatik gewesen. Er hatte sie öfter angeschaut. Irgendwann lächelte er sie an und sagte so was wie: »Deine Schuhe sehen aus, als hätten sie schon den gesamten Staub dieser Erde eingeatmet ...« Perplex schaute Caro hinab zu ihren Füßen. Ach, sie hatte die hellgrünen Wildlederschuhe an, für läppische 10 DM im Ausverkauf bei Benetton erstanden. Um sie aufzupeppen, hatte sie sie mit bunten Ölfarben etwas angemalt, inzwischen waren die Schuhe aber schon ziemlich angegraut, und die eine Sohle löste sich immer wieder, trotz diverser Reparaturversuche.

Verwundert blickte sie wieder auf und betrachtete den Typen. Sah ganz gut aus, dunkle Haare, braune Augen mit schönen Wimpern, eher klein war er, dabei aber breitschultrig und die Figur sportlich-kräftig, so, wie sie es gernhatte. Etwas lahm antwortete sie, dass die Latschen sie in der Tat schon durch den roten Sand der australischen Wüste und auf den Ayers Rock getragen hätten. Die Antwort war doch gar nicht so schlecht, denn eigentlich war sie mit Schlagfertigkeit noch nie gesegnet gewesen.

Ins Gespräch kamen sie tatsächlich ein wenig. Er fragte, wann sie denn in Australien gewesen sei, und was sie hier in Paris mache. Er selber sei waschechter Pariser, er hätte gerade sein Geschichtsstudium abgeschlossen und müsse leider demnächst seinen Service militaire absolvieren. Momentan warte er auf den Bescheid, wohin es gehen würde. Dann wandte er sich wieder seinen Unterlagen zu, nachdem sie Adressen ausgetauscht hatten. Hm, vielleicht würde man sich ja mal wiedersehen, das wäre natürlich fantastisch.

Manchmal spürte sie eine solche innere Anspannung, gemischt mit einer kribbeligen Vorahnung, dass sich bald eine aufregende Geschichte mit einem Typen ergeben würde - nur - bislang hatte sie diese Vorahnung immer noch getäuscht. Aber irgendwann musste es ja mal hinhauen. Ob es die Großstadt war, die ihr diese Lust auf Männerabenteuer machte? Oder suchte sie eine richtige Beziehung? Nein, eher die Leichtigkeit einer affaire. So etwas wollte sie kennenlernen, die Leichtigkeit in sich aufsaugen und mit ihr jonglieren können.

Ihre rote, schimmernde Murmel trug sie schon bald ein Jahr mit sich umher. Damals hatte sie das Buch »Das Spiel ist aus« von Sartre gelesen. Sie fand die Vorstellung, dass auch für sie jemand auf dieser Erde bestimmt sein könnte, faszinierend. Das hatte sie inspiriert zu der Idee mit der Murmel – einfach aus dem Gefühl heraus, ein neuer Mann würde ihr bald begegnen, und dem gäbe sie dann die Murmel. Natürlich würde es jemand ganz Besonderes sein, vielleicht sogar der Märchenprinz höchstpersönlich, und der verstünde dann auch die Bedeutung dieser Gabe ... eigentlich wusste sie selbst nicht so richtig, was es mit der Murmel für eine Bewandtnis hatte ... Es war mehr so ein Gefühl.

Demnächst war ja schon Buß- und Bettag, und es war auch genau der Buß- und Bettag vor einem Jahr, als sie ihrem damaligen Freund Pascal mitgeteilt hatte, dass sie die Beziehung nicht weiterführen wolle. Ein schwarzer Tag war das.

Erst stundenlanges Rumgelaufe im Schlossgarten, Zermartern des Hirns, wie soll sie es ihm sagen, dem armen Pascal, der doch eigentlich völlig unvorbereitet war. »Ich habe nachgedacht, wir müssen mal reden.« Nein, das hörte sich so abgedroschen an, überlegte Caro. Oder einfach: »Pascal, es ist aus!«

Kurz und schmerzlos. Nein, das war auch nicht das Richtige, zu knallhart. Wie sollte sie ihren Entschluss überhaupt erklären? Sie konnte keinen vernünftigen Grund finden, den sie ihm hätte nennen können. Aber musste sie das denn überhaupt? Die Liebe war doch etwas Irrationales, beruhte allein auf einem Gefühl, das man in seinem Herzen, oder auch in der Magengegend spürte. Und dass sie es grässlich fand, wie er seine Kaffeetasse zum Mund führte – so unbeholfen irgendwie, konnte sie ihm wohl kaum sagen, das war zu fies; genauso wenig, dass sie es nicht ertragen konnte, ihm beim Volleyballspielen zuzuschauen, es sah einfach so hoffnungslos unsportlich aus. Das waren nur kleine Dinge, aber wie Caro fand, höchst wichtige. Die Krönung war dann gewesen, als sie Pascal mitten in der Nacht bei dessen Freund Ulli angetroffen hatte, als er gerade eine rote Pappnase aufhatte und den Jesus spielte. Alle Anwesenden hatten einen Höllenspaß, nur sie selber konnte an dem sich bietenden Bild überhaupt nichts Witziges finden, ganz im Gegenteil, Pascal kam ihr plötzlich lächerlich vor. Es schockierte sie, wie konnte sie ihren Freund nur lächerlich finden, und vor allem: Warum?? Vielleicht hatten sie auch einfach unterschiedlichen Humor.

Den Ausschlag zu ihrem Entschluss hatte dann ein Gespräch mit ihrer Freundin Birke am vorigen Abend gegeben. Sie hatte ihr eine Geschichte erzählt. Von einer Frau und einer Irisblume. Ein Mann verliebte sich unsterblich in eine Frau, die Iris hieß. Er wusste, dass seine Liebe etwas mit ihrem Namen zu tun hatte, aber an Genaueres konnte er sich nicht erinnern. Die Frau wollte ihn erst heiraten, wenn er den Grund um den Ursprung seiner Liebe wüsste. Die Zeit zog ins Land, ohne, dass er sich entsinnen konnte. An ihrem Sterbebett fiel es ihm plötzlich wieder ein: Als Kind hatte er eine Iris im Garten gehabt. Damals schaute er sich die Blume immer an, und stellte sich vor, in sie hineinzukriechen. Diese Phantasie war so wunderschön und wichtig für ihn gewesen, dass er sich unbewusst in eine Frau mit dem Namen dieser Blume verliebt hatte. Die beiden heirateten, und die Frau starb.

Die Geschichte hatte Caro berührt. Sie sagte ihr, dass sie auch etwas verloren hatte, sich selber irgendwie – und das lag an ihrer Beziehung zu Pascal, wie Schuppen fiel es ihr von den Augen. Er hatte sie doch nie akzeptiert, wie sie war. Immer wollte er an ihr rummodeln. Plötzlich war klar, dass sie Schluss mit ihm machen musste, um sie selbst bleiben zu können.

Jedenfalls hatte irgendwann ihr zielloses Umherwandern im Schlossgarten einfach beendet - brachte ja doch nichts – fasste sich schließlich das Herz und ging zu Pascal, klingelte an und sagte ihm nach einer belanglosen Unterhaltung - oder eher in eine belanglose Unterhaltung hinein - »Du, ich will nicht mehr«, dabei konnte sie sich unpassenderweise ein Grinsen nicht verkneifen, aber die Worte kamen so unecht, unglaublich, nebensächlich über ihre Lippen, dass keiner der beiden den Sinn dieses Sätzchens erfassen konnte. Die schwere, zentnerschwere Realität hatte schließlich noch nicht begonnen, sondern würde vermutlich erst mit dem Verlassen des Hauses anfangen. Aber dann begann sie doch schon früher.

Oben, in Pascals Zimmer, zu den Klängen von klassischer Musik. Pascal brach weinend auf seinem Bett zusammen, sie stand unfassbar davor, wusste nicht, was sie da ins Rollen gebracht hatte und konnte sich nicht dazu entscheiden, die Klinke seiner Tür niederzudrücken. Schreckliche Augenblicke. Die sich lange danach nicht in Erleichterung umwandelten. Manchmal sehnte sie sich noch heute nach Pascals Lächeln, das nur ihr galt und seinem Kuss. Vorbei, vorbei, sie hatte sich entschieden - gegen den sanften Pascal. Man durfte nicht zurückblicken, das machte melancholisch. Nun war sie in Paris und wollte die Leichtigkeit kennenlernen. Aber bisher ließ sie noch auf sich warten. Dabei gab sie sich wirklich Mühe. Les hommes, ils sont fatiguants! Das dachte sie sich – und, dass sie Lust hatte auf eine Zigarette. Schon mindestens zwei Stunden.

2. Kapitel

… dass Caro in Paris gelandet war, beruhte mehr oder weniger auf einem Zufall. Eigentlich hatte sie vor, innerhalb Deutschlands die Stadt zu wechseln, und das im Prinzip schon seit Beginn des Studiums.

Immer zum Ende des Semesters nahmen ihre Freundin Vera und sie sich vor, dass dem langweiligen und spießigen Münster endlich der Rücken gekehrt werden müsse, aber irgendwie war nie etwas daraus geworden. Nächtelang hatte man bei Wein und Zigaretten in der WG-Küche abgehangen und Zukunftspläne geschmiedet. Es war immer äußerst nett, aber letztendlich realisiert wurde genaugenommen das Wenigste. Na ja, Caro hatte sich ja zumindest noch die ein oder andere Stadt angeschaut. Kiel zum Beispiel. Der erste Eindruck war dermaßen positiv, dass sie sich kurzentschlossen einen richtig guten, teuren Stadtplan zugelegt hatte – den musste sie ja eh haben, wenn sie hierherzog. Tja, die folgenden Tage goss es ununterbrochen in Strömen, außerdem war das Meer eine Ewigkeit dauernde Busfahrt weit weg, also nichts mit Strand direkt vor der Haustür.

Der Stadtplan wurde gut im Schrank verstaut, und würde dort wahrscheinlich die nächsten 50 Jahre unberührt überdauern. Das zum Thema Kiel. Wer will denn auch schon nach Kiel, echte Schnapsidee..

Gegen Ende dieses Sommersemesters war sie dann wieder richtig unruhig geworden, als ein Kommilitone vorschlug, »Mensch, geh doch einfach erst mal für ein Semester mit dem Erasmusprogramm nach Paris!« Er würde das auch machen, und man bekäme sogar noch ein Stipendium. Einzige Voraussetzung wäre eine kleine mündliche Französischprüfung, die wäre aber echt nicht schwer. Caro war sofort Feuer und Flamme, Frankreich fand sie schon immer gut, und ihr Französisch war ja auch nicht das schlechteste. Schließlich war das ihr Leistungskurs auf der Schule gewesen, und ein halbes Jahr Au-pair in Rouen lag ja auch schon hinter ihr. Am nächsten Tag stürmte sie sofort los, um die Sache klarzumachen, nicht auszudenken, wenn alle Plätze schon belegt wären ... Aber nein, das Glück war auf ihrer Seite, es ging alles ganz schnell und einfach, kaum Papierkram, und der Test war wirklich popelig. Ja, es würde sogar monatlich 500 DM geben, wirklich eine äußerst nette Finanzspritze!

Nachdem klar war, dass sie das nächste Semester in Paris verbringen würde, hielt Caro hier in Münster nichts mehr. Warum sollte sie nicht auf der Stelle anfangen, sich dort ein Zimmer zu suchen? Je eher sie dort ihr neues Leben begann, umso besser. Zufällig fuhren ihre Eltern in ein paar Tagen zum Campingurlaub in die Bretagne, da würde sie einfach mitfahren und sich in Paris absetzen lassen.

Gesagt, getan. Ihr weißes Gazellerad nahm sie mit, so fühlte sie sich mobiler.

Mit vollgeladenem Auto und Wohnwagen hintendran fuhr man einträchtig und bester Laune los. Ungefähr 100 Km über Paris ließ sie sich absetzen, schwang sich auf den Sattel, und radelte mit einem wunderbaren Kribbeln im Bauch ihrer Zukunft entgegen.

Nach einer Übernachtung auf dem Campingplatz fuhr sie am nächsten Tag über St. Denis in Paris ein.

Paris. Sie graste die Stadt nach einer Übernachtungsmöglichkeit ab, was sich als gar nicht so einfach herausstellte – entweder war alles voll oder zu teuer. Letztendlich stieg sie für 75FF im Foyer Porta ab, eine Art besseres Mädchenpensionat hinter dem Arc de Triomphe. Nach einer halbwegs erholsamen Nacht und etwas Baguette mit Marmelade zum Frühstück stürzte sie sich in die Zimmersuche. Sie testete verschiedene Vermittlungsstätten erst mal an, auch die Studentenwohnheime. Das Resultat war nicht gerade überwältigend: Caro war abends völlig am Ende und musste gegen die Tränen ankämpfen.

Am nächsten Morgen ging sie die Sache frisch und mit neuem Mut noch einmal an. Es verlief aber wiederum alles äußerst frustrierend. Sie besichtigte verschiedene Zimmer, nicht nur einmal war ihr jedoch dermaßen mulmig zumute, dass sie sich im Geiste schon vergewaltigt in der Ecke liegen sah. Einmal landete sie in einer Art Künstleratelier im Südwesten von Paris in der Nähe der Metrostation Convention. Warum dieser Maler inseriert hatte, war ihr ein Rätsel, jedenfalls betatschte er nach einem kurzen Gespräch ihren Busen und meinte, diese Formen würde er ja gerne malen. Leider hatte sie ihm keine geknallt, zu schockiert war sie; fluchtartig verließ sie den Laden.

Am selben Tag ereignete sich noch so eine Geschichte. Ein Michel suchte eine Mitbewohnerin. Klasse, in einer WG mit einem netten Franzosen, vielleicht sogar auch ein Student, würde sie gerne wohnen. Der in Caros Vorstellung attraktive junge Franzose stellte sich als alter Sack heraus, bestimmt schon an die 50 Jahre alt, der ein junges Mädchen als Untermieterin suchte. Ein Zimmer war total puffig als Schlafzimmer hergerichtet, mit viel rotem Samt und Schummerbeleuchtung. Weiß Gott, was der Kerl in dieser Wohnung trieb. War sehr verdächtig. Nein, es sei nicht das Richtige für sie, sagte sie ihm und verließ die Wohnung.

Leider ließ sie ihren Kalender dort liegen, der viele wichtige Adressen enthielt, auf den sie unmöglich verzichten konnte. Also musste sie da irgendwann noch mal hin, worauf sie ja so gar keine Lust hatte. Sie würde es einfach eine Weile vor sich herschieben. Anscheinend konnte man in dieser Stadt nicht mal guten Gewissens als Frau alleine ein Zimmer anschauen, ohne den Angstschweiß auf der Stirn zu spüren ...

Schöne Aussichten. Wenigstens bekam man was mit von Paris, bei der ganzen Gurkerei per Radel durch die Stadt ... Nach diesen zwei Tagen und Nächten im Foyer Porta kramte sie eine Telefonnummer von einem Typen hier aus Paris hervor, die ihr die Freundin einer Freundin, eine gewisse Heidi, gegeben hatte für den Fall, dass sie mal eine Übernachtungsmöglichkeit bräuchte.

Caro sagte sich, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, sie wusste schließlich nicht, wie lange sie in dieser desolaten Situation noch brauchen würde, um eine akzeptable Bleibe zu finden. Da wäre es in jedem Fall gut, die täglichen 75 FF zu sparen für das Foyer Porta.

Maher, so hieß der Kerl, ließ sich nicht lange bitten, sondern machte sich sofort auf, um sie abzuholen. Er stammte wohl aus dem nahen Osten, war so ein dunkler Typ - aus dem Libanon, wie er ihr später erzählte. Leise Zweifel regten sich bei Caro, ob das denn wohl das Richtige sei, bei ihm zu übernachten, bei diesen Arabern wusste man ja nie so recht, wie sie drauf waren ... Aber er war ja nicht irgendwer, sondern eine Empfehlung einer seriösen Frau, auch wenn sie diese nicht persönlich kannte ... Im Übrigen sah er ja ganz sympathisch und vertrauenerweckend aus. So schlug sie ihre Zweifel in den Wind und zog zu ihm um.

Ja, und dann paarten sich Glück und Pech an einem Tag. Wegen strömenden Regens wurde ausnahmsweise das Fahrrad bei Mahers Wohnung zurückgelassen und stattdessen die Metro benutzt. Sie hatte zufällig in einer Art deutschen Zentrum am schwarze Brett ein Zettelchen abgerissen, auf dem ein Zimmer angeboten wurde. So etwas war nie vielversprechend, denn man wusste nie, wie alt diese Aushänge waren. Ein Anruf, und es stellte sich heraus, dass der Typ, der das Zimmer loswerden wollte, erst vor einer knappen Stunde seinen Aushang gemacht hatte.

Sie machten einen Besichtigungstermin aus für denselben Tag. Abends um 21.00 h konnte sich Caro glückliche Mieterin eines 10 qm großen chambre de bonne 120 Treppenstufen hoch über den Dächern von Paris nennen - für schlappe 1500 FF, günstig für die hiesigen Verhältnisse.

Es gab zwar nur ein gemeinschaftliches Stehklo auf dem Gang und eine Dusche war auch nicht vorhanden, aber da würde eben öfter schwimmen gegangen werden müssen, man war ja anspruchslos und flexibel ...

Tja, und dann rückkehrend zu Maher, in absoluter Sektlaune, musste Caro leider feststellen, dass das Rad weg war. Geklaut. Denn es war wirklich weg. Scheiße. Wenn sie es sich recht überlegte, war sie sich gar nicht mal sicher, ob das Schloss überhaupt richtig zu gewesen war, es hatte ja so geschüttet, und sie war ziemlich hastig am Werke gewesen. Na ja, das behielt sie wohl besser für sich.

Stattdessen sagte sie sich, dass es doch ein wahres Glück sei, dass erst das Zimmer da war, und dann das Rad geklaut war, denn im umgekehrten Fall, hätte sie die Schnauze voll gehabt, hätte die Koffer gepackt und wäre abgehauen. Folglich gab es also doppelt Grund zu feiern! Sie stapfte also hoch in die Wohnung von Maher, ziemlich müde und verschwitzt, aber glücklich. Ihr Gastgeber wartete schon auf sie. Sie fläzte sich auf das Sofa neben ihn und erzählte aufgeregt die Geschehnisse des Tages. Er hörte ihr zu, fragte dann recht beiläufig, ob sie nicht eine Dusche nehmen wolle.

Ja, das sei eine gute Idee, meinte Caro, sie habe das Gefühl, den ganzen Straßendreck auf der Haut zu haben. Sie schnappte sich ihre Utensilien, und verschwand direkt im Bad. Eine Viertelstunde später kehrte sie erfrischt und in einer bequemen Jogginghose ins Wohnzimmer zurück. Maher begann, sie ein bisschen am Rücken zu kraulen - darauf fuhr sie ja schon immer total ab, deswegen konnte sie einfach nicht nein sagen und ließ ihn gewähren. Das Gehirn schaltete sie einfach mal ab und genoss einfach die Berührungen auf der Haut. Nach einer Weile rückte seine Hand vom Rücken sachte auf ihren Bauch vor. Nein, das wurde ihr entschieden zu intim, sie schob die Hand weg, und gab ihm zu verstehen, dass es jetzt genug sei. Schade, man konnte sich nicht einmal einfach kitzeln lassen von einem Mann, ohne dass er das gleich ausnutzte - so waren sie, die Männer. Caro meinte, sie wolle nun schlafen gehen, und ob man die Couch ausklappen könnte. Nein, das ginge nicht, sagte Maher, er habe gedacht, dass sie mit im Bett schliefe, es sei ja breit genug. Caro gefiel die Vorstellung, mit ihm im selben Bett zu nächtigen überhaupt nicht, andererseits wusste sie, dass sie auf dem unbequemen Sofa kein Auge zu machen würde, und sie hasste es, unausgeschlafen zu sein.

Und der nächste Tag würde bestimmt wieder anstrengend werden. Also willigte sie mit innerem Widerstreben ein. Aber es würde nichts zwischen ihnen laufen, stellte sie von vornherein klar, und dachte, dass er verstanden hatte, dass er bei ihr nicht würde landen können.

In der Nacht tat sie dann doch kein Auge zu, da Maher ihr ständig zu Leibe rückte, und sie damit beschäftigt war, ihn sich vom Leibe zu halten. Er wiederholte immer wieder, wenn eine Frau mit einem Mann im Bett läge, dann müssen sie doch quasi zusammen schlafen, es wäre mehr oder weniger Gesetz.

Dieser Ansicht war Caro keineswegs und rückte an die äußerste Bettkante, um seinen Griffeln zu entkommen. Sie war froh, als die Nacht herum war, und sie ihre sieben Sachen ergreifen und diesen Ort verlassen konnte. Männer wollten wohl wirklich nur das eine, war anscheinend kein Gerücht. Vielleicht lag es ja auch daran, dass er Araber war. War ja eine tolle Empfehlung, die diese Heidi gegeben hatte – aber egal, sie hatte sich zur Wehr setzen können gegen seine Annäherungsversuche, jetzt war sie da raus, hatte eigene vier Wände, in denen sie schon die nächste Nacht verbringen konnte, und Maher, der Lustmolch konnte ihr gestohlen bleiben.

Es stand erst mal ein Polizeigang auf dem Programm, den Fahrraddiebstahl melden, auch wenn sie sich überhaupt keine Hoffnung machte, dass das Rad je wiedergefunden würde; wahrscheinlicher war ja fast, dass sie es auf einem der Flohmärkte sehen würde, feilgeboten zum Verkauf.

Ansonsten übergab ihr Werner, der Vormieter, ein Deutscher, der auch sein Glück in dieser Stadt suchte, die Schlüssel für ihr Kämmerlein und der Tag verging damit, dass sie sich ihr Zimmer wohnlich gestaltete.

Auch sah sie sich in ihrer neuen Straße um, der Rue de Bourgogne im 7. Arrondissement. Am Anfang der Straße war die Assemblée nationale, am Ende der Straße lag das Musée Rodin, und um die Ecke befand sich das Hôtel des invalides. Ganz nette Ecke, in die sie da zog.

Die Leute schienen ziemlich reich zu sein, es sah alles so schick aus. Nach mehren Gängen hoch in ihre Dachkammer und wieder runter merkte Caro schon, die 120 Treppenstufen würden ihrer Kondition und auch der Figur zu Gute kommen. War ganz schön anstrengend ... Das Zimmer machte absolut keinen abgewirtschafteten Eindruck, ganz im Gegenteil, es wirkte fast frisch renoviert im Vergleich zu den ganzen Klitschen, die sie so gesehen hatte. Es gab eine Spüle, die fast nagelneu aussah. Die Wände waren in einem Beigeton gestrichen, schien irgendeine Art Lack zu sein, denn sie glänzten ein wenig. Der Anstrich war anscheinend auch noch nicht lange her. Die Farbe gefiel ihr nicht sonderlich, genauso wenig wie der braune PVC- Boden.

Dafür war der winzig kleine Balkon, auf den man durch eine große Fensterflügeltür gelang, einfach umwerfend. Sie hatte einen Blick über die Dächer von Paris, und von unten hörte man die Straßengeräusche der schmalen Rue de Bourgogne – das Autogehupe der immer ungeduldigen Franzosen. Er ging nach Osten raus, sodass das Zimmer morgens sonnendurchflutet sein würde. Für einen Stuhl würde der Platz wohl ausreichen, mutmaßte sie. Herrlich müsste es sein, hier in einem Buch zu schmökern. Es gab noch ein schmales Bett, fast schon eine Pritsche und einen super schmalen Tisch, er würde ihr als Schreibtisch dienen. Und dann war da noch ein Schrank, wahrscheinlich aus den 60igern. Caro hasste Schränke, sie waren irgendwie immer monströs und klobig. Vielleicht könnte sie ihn hinaus befördern und wo auch immer unterstellen? Stattdessen stellte sie sich ein Regal aus Kartons vor. Wände in einer anderen Farbe streichen wäre auch nicht schlecht.

Nachmittags war sie bei den Vermietern, den Nicolets, um den Mietvertrag zu unterzeichnen. Sie hatten im Erdgeschoss ein Geschäft mit Antiquitäten. Bei der Gelegenheit brachte sie gleich ihre Vorstellungen zur Umgestaltung des Zimmers an. Das Gespräch ergab jedoch, dass der Schrank leider im Raum bleiben müsse. Gegen einen neuen Anstrich hatten sie nichts, Caro müsste ihn aber selber bezahlen.

Ein kleiner Ausflug in einen Heimwerkerladen erstickte sämtliche Ideen in diese Richtung im Keime angesichts der unverschämten Wucherpreise für ein bisschen Farbe. Egal, sie würde sich auch so wohlfühlen in ihren Pariser vier Wänden, längst hatte sie sich in ihre »Miniwohnung« unsterblich verliebt. Der Schrank hatte einen Spiegel, das war ja auch nicht schlecht, und sie hing einfach die Türen aus und schob sie hinter die Rückwand. Stattdessen befestigte sie mit Reißzwecken bunte Tücher, so sah der Schrank schon gar nicht mehr so sehr nach Schrank aus.

Auf den Boden legte sie ein Stück festen Stoff, er sollte als Teppich dienen und den braunen Fußboden ein wenig verdecken. Was noch fehlte waren eine Herdplatte – die würde sie aus Deutschland mitbringen, sowie ein Tischchen, auf dem sie vom Bett aus ihr Frühstück einnehmen könnte, und diverse Abstellmöglichkeiten für den vielen Kleinkram. Tisch und Regale würde sie aus Obstkisten basteln, da hatte sie schon Erfahrung. Und natürlich müssten jede Menge bunte Tücher rangeschafft werden, die über sämtliche Flächen gelegt oder einfach an Wänden und Decke drapiert würden. Bei Caro musste alles immer schön bunt und farbenfroh sein, Zimmereinrichtung genauso wie ihre Kleidung. Zu Hause in Münster hatte sie schon von ihrer Freundin Kathrin den Spitznamen »Caro klein und bunt« verpasst bekommen, im Gegensatz zu einer anderen Caroline, die den Beinamen »blond und bürgerlich« hatte.

Dann war sie da, die erste Nacht in ihrer neuen Heimat Paris! Sie hatte bei dem ganzen Unternehmen ein verdammt gutes Gefühl, und nun wollte sie sich von ihren Träumen überraschen lassen, denn sie glaubte fest daran, dass die Träume der ersten Nacht in einer neuen Behausung eine Bedeutung haben für die Zeit, die man dort verbringen würde.

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