Zeichen und Geist

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2. Erscheinung und Zeichen
2.1. Phänomenologie und Semiotik

Die sogenannte „Kategorienlehre“ ist ein Kernstück in Peirces Philosophie,1 denn sie bildet die normative Grundlage seines semiotischen Entwurfs. Peirce hat seine kategoriale Semiotik in jungen Jahren entwickelt und in dem Vortrag On a New List of Categories von 1867 (zu Deutsch: Über eine neue Kategorientafel, kurz: New List)2 erstmalig vorgestellt. Auch wenn der späte Peirce einige Modifikationen an seinem Zeichenmodell vorgenommen hat, so tastet er doch dessen Grundstruktur nicht an3 (vgl. markant der Syllabus of Certain Topics of Logic – deutsch: Zusammenstellung einiger Themen der Logik, abgekürzt: Syllabus [1903]). Peirces semiotisches Konzept lässt sich – resümierend gesehen – einerseits sowohl als einfach und damit einsichtig wie andererseits als umfassend und daher allgemeingültig charakterisieren. Seiner Zeichentheorie gelingt es, Konkretes und Abstraktes, Wahrnehmen und Erkennen, Empirie und Logik4 auf überraschende wie zugleich überzeugende Weise miteinander zu verbinden und somit eine auf formalen Gesetzmäßigkeiten gegründete Erkenntnislehre, die das Zeichen zum Fundamentalbegriff menschlicher Denk- und Erkenntnisfähigkeit macht, zu entwickeln.5 Die Vielheit der Wahrnehmungen wird darin zur Einheit des Denkens geführt. Deswegen gilt Peirce zu Recht als Begründer der modernen Semiotik. Seit der Rezeption seiner Schriften konnte sich die Semiotik auch als normative Grundlagenwissenschaft im wissenschaftlichen Fächerkanon etablieren. Die „Zeichenlehre“ oder „Semiotik“6 (von altgr. σῆμα und σημεῖον – „Zeichen“; daher: σημειωτική – „Lehre vom Zeichen“ bzw. „Zeichenlehre“) beschreibt den Zusammenhang zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem – also zwischen dem Zeichen und dem Ding. Das nichtsprachliche wie das sprachliche Zeichen und seine jeweilige Funktion bzw. seine jeweiligen Funktionen bilden somit den Untersuchungsgegenstand dieser Geisteswissenschaft. Die Entwicklung der Semiotik als Wissenschaftszweig lässt sich bis in den antiken Stoizismus zurückverfolgen; dort wird die Semiotik bereits als Erkenntnislehre definiert. Ein Neueinsatz ist dann in der Moderne mit John Locke zu verzeichnen, der für diese philosophische Disziplin den Terminus „Semiotik“ (vgl. σημειωτική) wiederbelebt und Zeichen in ihrer Stellvertreterfunktion analysiert, so dass die Semiotik zur Grundlagenwissenschaft für kommunikative Zusammenhänge wird.

Diese Erkenntnis macht sich Peirce zunutze und entwirft in seiner späten Lebensphase eine Wissenschaftsklassifikation,7 in der er zum einen die Semiotik8 in ihr wissenschaftstheoretisches Verhältnis zur Mathematik, zur Philosophie und zur Phänomenologie setzt und zum zweiten gegenüber den anderen Einzelwissenschaften – den Natur- und Geisteswissenschaften – abgrenzt.9 Für die Strukturierung der genannten Wissenschaftsmatrix gilt folgender Grundsatz: Allgemeine und deswegen übergeordnete Disziplinen bestimmen weniger allgemeine und daher untergeordnete Fächer, so dass zwischen den Wissenschaften Abhängigkeitsverhältnisse entstehen.10 Die somit entstehende Hierarchisierung verweist auf die beiden Leitprinzipien, die Peirce von seinem Lehrmeister Immanuel Kant übernimmt. Peirces philosophische Konzeption ist zum einen architektonisch angelegt – allgemeine Wissenschaften bestimmen besondere Wissenschaften – und zum zweiten epistemologisch gegliedert – allgemeine Begriffe beschreiben besondere Begriffe.11 Dadurch erhält das weitgespannte Peirce‘ sche Denken – formal gesehen – ein zentrierendes Moment, das seinem Gesamtwerk Systemqualität verleiht.12 Diese Sichtweise erneuert – ganz im Gegensatz zur modernen und erst recht postmodernen Auffassung – den alten holistischen Wissenschaftsanspruch der Philosophie.

Nach der Wissenschaftsklassifikation13 gehört die „Phänomenologie“, die Peirce auch „Phaneroskopie“ oder „Ideoskopie“ (abgeleitet von ἰδέα – „Beschaffenheit“, „Vorstellung“; σκοπέω – „prüfen“, „untersuchen“) nennt, neben der „Normativen Wissenschaft“ und der „Metaphysik“ zur „Philosophie“. Ihr vorgeordnet ist die „Mathematik“; ihr nachgeordnet sind die verschiedenen besonderen Wissenschaften („Idioskopie“ – von ἴδιος – „einzeln“). Die „Normativen Wissenschaften“ wiederum setzen sich aus „Ästhetik“, „Ethik“ und „Logik“ zusammen, wobei sich die Logik14 in die Wissensbereiche „Spekulative Grammatik“, „Kritik“ sowie „Methodeutik“ aufspaltet. Die Semiotik erscheint hier mit dem aus der philosophischen Tradition entlehnten Begriff „Spekulative Grammatik“ („grammatica speculativa“, „speculative grammar“15) als Logik im engeren Sinn.16 Daneben kennt Peirce auch einen weiter gefassten Sinn von „Semiotik“, wenn er Semiotik mit Logik insgesamt identifiziert.17 Ob man nun das engere oder das weitere Verständnis des Semiotikbegriffs heranzieht – der entscheidende Zusammenhang wird in beiden Fällen deutlich: Die Semiotik ist für Peirce eine formal-logische Wissenschaft. Sie ist Erkenntnistheorie. Dass sie zudem unter der Rubrik „Normative Wissenschaft“ geführt wird, zeigt ihre grundlegende Ausrichtung für die Begründung der übrigen Einzelwissenschaften auf. In der wissenschaftstheoretischen Systematik von Peirce verbindet sich also die Phänomenologie mit dem semiotisch-logischen Ansatz. Dass die „Reine Mathematik“ der Phänomenologie dabei noch vorausgeht, weist darauf hin, dass mathematische Formen die phänomenologische und damit die semiotische Wissenschaft bestimmen.18 Die Mathematik sieht Peirce im Sinne der Allgemeingültigkeit als oberste Wissenschaft an, die die logischen Voraussetzungen bereitstellt und die logischen Zusammenhänge prüft.19

Die Phänomenologie oder Phaneroskopie bzw. Ideoskopie20 erschließt also in mathematischer Weise die vor dem menschlichen Geist unwillkürlich erscheinenden, aber von ihm noch nicht analysierten Objekte der Erfahrung – die unteilbaren Bestandteile des „Phaneron“21 (die „Phanera“) (φανερός – „vor aller Augen Sichtbares“, „Offenbares“, „Offenkundiges“) –, um sie in Objekte des Denkens zu übertragen.22 Empirie und Logik verknüpfen sich miteinander.23 Diese logische Abstraktion erfolgt nach einem doppelten Schlussverfahren: auf der einen Seite durch die „phänomenologische Abstraktion“ – die empirische Eingrenzung („vorstellen“ – „dissoziieren“ –, „abgrenzen“ – „präzisieren“ – und „darstellen“ – „diskriminieren“)24 – sowie auf der anderen Seite mittels der „hypostatischen Abstraktion“ – der logischen Abgrenzung über die Kategorien der „Erstheit“ („firstness“), „Zweitheit“ („secondness“) und „Drittheit“ („thirdness“).25 Mit dem letztgenannten relationenlogischen Schritt erreicht man in vergleichender Verallgemeinerung abstrakte Begriffe – Universalien –, mit denen man die Erfahrung intellektuell erschließen kann.26 Peirce ist studierter Chemiker. Er kommt daher auf den Gedanken, die vorgenannten drei Kategorien, die die universalen intellektuellen Begriffe repräsentieren, mit dem Modell der „Valenz“ – also der „Wertigkeit“ – von chemischen Elementen zu vergleichen,27 die sich in der molekularen Struktur abbildet.28 Chemische Elemente haben die Eigenschaft, mit bestimmten anderen Elementen Verbindungen einzugehen, um einen Zustand der chemischen „Sättigung“ herzustellen, die strukturelle Festigkeit verleiht. Wann diese Sättigung erreicht wird, kann in Form von maximaler Valenz notiert werden. Überträgt man diese Anleihe aus der Chemie auf die Phänomenologie oder Phaneroskopie, die logisch funktioniert, so kann man nun die maximale Wertigkeit eines unzerlegbaren Bestandteils des Phaneron – eines abgrenzbaren Sinneseindrucks oder Phänomens – festlegen und sie in Zahlenwerten darstellen: Phänomenologie nach Peirce heißt, einen abgrenzbaren Gegenstand der wahrnehmbaren Umwelt begrifflich-rational zu erfassen.29 Dieser Erkenntnisvorgang bedingt, dass dem empirischen Objekt eine Bedeutung zuzuweisen ist, die der menschliche Geist schon bereithält oder noch entwickeln muss. Deshalb liegt eine solche Bedeutung ursprünglich „außerhalb“ des Erfahrungsgegenstandes; es handelt sich um eine „externe Bedeutung“.30 Folglich geschieht das Erzeugen von Begriffen durch das In-Verbindung-Bringen eines Objektes der Erfahrung mit einer solchen externen Bedeutung. Der menschliche Denkprozess ist demnach nichts anderes als die bewusste Begriffsbildung im Sinne der Bedeutungszuschreibung – ein aktiver Vorgang. Denken bedeutet also, das Mannigfaltige der Sinneseindrücke zu einer sinnvollen Einheit zu bringen.31 Es ist dann in der Tat eine formal-mathematische Beschreibung der Kategorien möglich, die sich in einer ausschließlich dreistelligen Beziehungsstruktur manifestiert. Diese „Valenzen“ oder „Dimensionen“ eines Erfahrungsobjektes sind als „Erstheit“, „Zweitheit“ und „Drittheit“ anzugeben.32 Da diese Dimensionen die höchstmögliche logische Verbindungsstruktur ausweisen, bilden sie zugleich die allgemeingültigen Begriffe – die „Kategorien“. Zusammenfassend gesagt: „Die Kategorien sind also als Begriffe immer schon Begriffe von abstrakten Gegenständen, und zwar der einzigen abstrakten Gegenstände, die wir benötigen, um alle Gegenstände möglicher Erfahrung zu konstituieren.“33

Durch die beiden logischen Schlussverfahren der phänomenologischen sowie der hypostatischen Abstraktion kommt man also von subjektiv-partikularen Wahrnehmungen zu objektiv-universalen Anschauungen.34 Weiterhin verdeutlicht das chemische Modell der Valenz, auf das sich Peirce in seiner logischen Argumentation bezieht und das auf mathematischen Zusammenhängen basiert,35 zwei wesentliche, miteinander verwobene Momente in seiner „Kategorienlehre“, die für sie prägend sind – zum einen die Triade, zum zweiten die Relationalität.

2.2. Kategorien und Konkretisierungen

Die drei erwähnten, relationenlogisch definierten Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit finden sich nach Peirce sowohl in der Natur als auch im menschlichen Geist. Es sind logische StrukturenUniversalbegriffe. Folglich müssen sie zugleich als Kategorien des Seins aufgefasst werden.1 In seiner prägnanten und vielzitierten Definition der Kategorien lässt Peirce daran auch keinen Zweifel aufkommen:

 

Firstness is the mode of being of that which is such as it is, positively and without reference to anything else. Secondness is the mode of being of that which is such as it is, with respect to a second but regardless of any third. Thirdness is the mode of being of that which is such as it is, in bringing a second and third into relation to each other.2

Erstheit lässt sich demnach monadisch, Zweitheit dyadisch und Drittheit triadisch bestimmen. Durch die beiden Formulierungen „mode of being“ („Seinsweise“) und „of that which is such as it is“ („dessen, was ist, so wie es ist“) betont Peirce dezidiert den ontologischen Status der Kategorien.3 Darüber hinaus unterstreichen die im Singular stehenden Bezeichnungen „firstness“, „secondness“ und „thirdness“ diesen Gedanken. Die nummerischen Beschreibungen der Verstandesbegriffe bringen ihre notwendige Unbestimmtheit und somit ihre Universalität zum Ausdruck. Sie eignen sich für die Darstellung aller phänomenologischen Erkenntnisprozesse, da sie eine angemessene Balance zwischen Offenheit und Begrenzung herstellen. Diesen Aspekt der Allgemeingültigkeit verdeutlicht Peirce im besagten Brief. Hier erwähnt er zunächst seine bahnbrechende Entdeckung der Triade als Grundstruktur der Phänomenologie, zu der sich der damals noch junge Mann nach jahrelanger, reiflicher Überlegung durchringen konnte, und bezieht sich anschließend auf seine frühe Darstellung – die erwähnte New List von 1867 –, in der er sich erstmals vor Fachpublikum4 eingehend zu seinem Kategorienkonzept äußerte.5 Dann stellt er kurz und bündig fest: „The ideas of Firstness, Secondness, and Thirdness are simple enough. Giving to being the broadest possible sense to include ideas as well as things, and ideas that we fancy we have just as much as ideas as we do have, […].“6 Peirce rechtfertigt zudem die Wahl dieser Zahlbegriffe für die Bestimmung der Universalien, die der Phänomenologie zwar auf den ersten Blick einen abstrakt-operationalen Charakter verleiht, die aber gerade dadurch am besten dafür geeignet ist, den Erkenntnisvorgang in logischer Form darzustellen. Die Terminologie ist sachlich angemessen und überprüfbar, geht sie doch auf Peirces jahrelange Beschäftigung nach logischer Systematisierung zurück, wie er verdeutlicht.7 Zudem macht er klar, dass er eine psychologische Deutung als subjektiv und damit aus seiner Sicht als fehlerbehaftet strikt ablehnt. Ihm liegt an logisch-objektiv, exakt hergeleiteten und somit nachprüfbaren Ergebnissen („However, I abstain from psychology which has nothing to do with ideoscopy“).8

In seiner frühen Auseinandersetzung mit der elementaren Bestimmung des Seins in der New List von 1867 ist der ontologische Aspekt akzentuiert. Die Universalbegriffe erhalten hier den Namen „Kategorien“ („categories“)9 und werden als vermittelnde „Akzidentien“ („accidents“)10 zwischen „Substanz („substance“)11 und „Sein“ („Being“)12 (oder „Es“ – „it“)13 angeordnet. Zwar weichen die gewählten Bezeichnungen von den späteren phänomenologisch orientierten Begriffen der „Erstheit“, „Zweitheit“, „Drittheit“ ab – sie heißen hier noch „Qualität“ („Quality“)14, „Relation“ („Relation“)15 und „Darstellung“ („Representation“)16 –, sie beschreiben aber denselben erkenntnistheoretischen Zusammenhang. Außerdem fällt bereits der Begriff „Interpretant“ („interpretant“)17 bzw. „ein Drittes“ („a third“)18. Peirces frühes Kategoriensystem führt von der „Mannigfaltigkeit der Substanz“ („manifold of the substance“)19 zur Einheit des Seins.20 Gleichzeitig ist die phänomenologische Perspektive in den Ausführungen der New List bereits deutlich vorgeprägt.21 Mit dem klassischen philosophischen Begriff der „Substanz“ verweist Peirce auf das „Phaneron“ bzw. den Objektcharakter des Seins. Wenn er als Kennzeichen der Substanz22 die Gegenwärtigkeit („the present“)23 herausstellt und diese näher als bloßes „Erfassen überhaupt von dem in der Aufmerksamkeit Enthaltenen“24 („the general recognition of what is contained in attention“)25 ohne analytisch-intellektuelle Bestimmung definiert, dann ist darin deutlich auf den späteren Begriff „Phaneron“ angespielt. Dessen Bestandteile müssen konkretisiert und abstrahiert werden (im Sinne der New List als Proposition). Eine vollständige, wahre Aussage ist mit der Kopula „ist“ („Sein“!) gegeben, die die Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat vornimmt.26 Hier wird der Interpretantencharakter greifbar: Subjekt und Prädikat werden durch eine deutende Bezeichnung in ein Verhältnis gebracht, „verbunden“ („Kopula“). Die Termini „Substanz“ und „Sein“ können später wegfallen, weil die Triade beide Entitäten vollständig enthält. Die Kategorien sind somit ontologische Begriffe; die Ontologie ist damit im frühen Peirce’schen Denken angelegt. Die vorgenannten Definitionen der drei Kategorien zeigen, dass es sich um Verstandesbegriffe handelt, die universal wie exklusiv menschliches Wahrnehmen und Deuten erfassen sollen. Der phänomenologische Erkenntnisvorgang, wie ihn Peirce versteht, ist also durch eine triadische Struktur gekennzeichnet. Den Anstoß für seine Lehre von den Kategorien empfängt Peirce aus der Kategorientafel Kants. Schon als Jugendlicher beginnt er mit der Lektüre der Kritik der reinen Vernunft und kann daraus bald Teile aus dem Kopf zitieren. Peirce setzt sich intensiv mit den Thesen Kants auseinander; Kant wird zu seinem philosophischen Leitstern.27

Peirce ist zwar Kantianer, er ist aber ein kritischer Kantschüler. So erkennt er, dass sich Kants zwölfteilige Kategorientafel stark vereinfachen lässt, da die einzelnen Grundformen in einer Beziehung der Über- und Unterordnung zueinander stehen. Es ist deshalb möglich, ein nur dreigliedriges Kategoriensystem zu entwerfen, das nach Peirces Auffassung ausreichend ist, die gesamte menschliche Verstandestätigkeit im Sinne der Begriffs- und Bedeutungskonstitution abzubilden.28 Peirce entdeckt diesen Zusammenhang nach eigener Auskunft im Kern bereits als knapp Zwanzigjähriger,29 und er verteidigt die Ausschließlichkeit der Triade30 noch in seinem späteren Leben. Die resümierende Begründung dafür erscheint einfach wie einleuchtend: „The point is that triads evidently cannot be so reduced since the very relation of a whole to two parts is a triadic relation.“31 Was genau er unter der Terminologie von „firstness“, „secondness“ sowie „thirdness“ versteht, erklärt Peirce ausführlich und anschaulich in dem schon angesprochenen längeren Schreiben an Victoria Lady Welby vom 12.10.1904.32 Peirce kommt, nachdem er die Definitionen der Universalbegriffe vorausgeschickt hat, auf die drei Arten von Kategorien der Reihe nach näher zu sprechen.33 „Firstness“ deutet er als „qualities of feeling“ bzw. „appearances“34 oder noch präziser als „simple positive possibility of appearance“.35 Es geht also um die reine Möglichkeit der Verwirklichung einer Eigenschaft. Sie ist noch nicht begrifflich erfasst („The unanalyzed total impression […]“).36 Erstheit stellt die abstrakteste Größe im Kategoriensystem dar und lässt sich daher nur schwer vorstellen.37 Peirce selbst untersucht sie im erwähnten Schreiben in Verbindung mit der Zweitheit, um ihre Bedeutung zu erläutern. Gegenüber der bloßen Möglichkeit, aus der der Aspekt der Erstheit besteht, umschreibt der Begriff „secondness“ die tatsächliche Ausprägung der Erstheit oder der Qualität. Sie wird bestimmt als die Erfahrung der „Anstrengung“ („the experience of effort“)38 oder als die Erfahrung des Widerstandes („the experience of resistence“)39 sowie als „gewaltsame Handlung“ („brute action“),40 die nicht zweckgerichtet ist („prescinded from the idea of a purpose“).41 Zweitheit ist Erfahrbarkeit, Wahrnehmbarkeit. Sie ist Wirklichkeit: „Note that I speak of the experience, not of the feeling, of effort.“42 Um das Verhältnis zwischen den Abstrakta der Erst- und Zweitheit zu klären, gibt Peirce das aufschlussreiche Beispiel einer Fesselballonfahrt über einer stillen Landschaft bei Nacht,43 bei der die Ruhe durch die schrille Signalpfeife einer Dampflokomotive jäh unterbrochen wird. Sowohl die vorherige Stille wie der scharfe Ton der Dampfpfeife seien dabei Ausprägungen der Erstheit, während der Moment, in dem der Laut die Ruhe zerstört, für die beobachtende Person im Korb des Ballons ihr Erleben in zwei Teile trennt – in Ruhe und in Lärm. Der Beobachter („an ego“ – „ein Ich“)44 empfände die Widerständigkeit der anderen, neuen Situation („a non-ego“ – „ein Nicht-Ich“),45 und diese Erfahrung sei nichts anderes als Zweitheit. Wie bei der Erstheit als reiner Einfachheit handele es sich hier um das Wahrnehmen einer reinen Widerständigkeit ohne Bezug zu einer mentalen Beurteilung, wie es die Definition der Zweitheit ausdrückt („regardless of any third“).46 Nach Peirce ist es die schlichte „Erfahrung“ des „Erleidens“ („experience“, „suffer“)47 dieser Widerständigkeit, die sich aus dem Aufeinandertreffen des „ego“ mit dem „non-ego“ ergebe.48 Mit der Drittheit schließlich wird eine Verbindung zwischen Erst- und Zweitheit erzeugt, die eine Deutung vornimmt. Synonyme für die Drittheit oder das Dritte sind „Gesetz“ („law“)49 und „Vernunft“ („reason“).50 Auch hierzu fügt Peirce ein gutes Beispiel51 an – diesmal aus dem Rechtswesen: Das Ablegen des Gegenstandes „B“ durch die Person „A“ und das Aufnehmen von „B“ durch die Person „C“ könne nur dann als Eigentumsübergang durch Schenkung verstanden werden, wenn der Vorgang so gedeutet werde, wie es im Gesetzestext zur Schenkung festgesetzt sei. „Thirdness“ bedeutet als „mediation“ – „Vermittlung“52 – die geistige Tätigkeit der Begriffs- und Bedeutungszuschreibung (Begrifflichkeit). Sinnenhaft Erfahrbares wird somit zu sinnhaft Gedeutetem. Um mit den Worten der New List zu sprechen: „Sinn-loses“ – „Vielfältiges“ oder „Mannigfaltiges“ – wird „Sinn-volles“ – „Vereinheitlichtes“. Aus Konkretem wird also Abstraktes, Konkretes wird sprichwörtlich „auf den Begriff gebracht“. Einer Wahrnehmung, die sich auf die Qualität – die Erstheit – bezieht, wird Bedeutung zugewiesen (vgl. die Hypothese der Externalität der Bedeutung): „Brute action is secondness, any mentality involves thirdness.“53

Die geschilderte Triade oder triadische Struktur54 bildet – wie gesehen – eine stabile Form. Das Beziehungsgeflecht ist formal-logisch begründet und gestaltet. Die Komplementarität der drei Kategorien manifestiert sich in der Terminologie, denn sie legt eine Reihenfolge fest: Mit der Erstheit beginnt der Erkenntnisprozess. Erstheit wird durch Zweitheit repräsentiert, denn Zweitheit macht das Objekt als solches kenntlich. Zugleich bildet Zweitheit die Voraussetzung für das deutende, dritte Element. Erstheit und Zweitheit bedürfen der Drittheit für die Bedeutungskonstitution.55 So ist also der phänomenologisch interpretierte Erkenntnisvorgang relationenlogisch strukturiert. Diese Relationalität ist die Folge der Bestimmung der drei Kategorien als wissensvermittelnde Entitäten: Erkenntnis heißt, etwas in Beziehung zu setzen. Damit erfassen die drei erwähnten Definitionen in komprimierter Form die wesentlichen Momente des Peirce’ schen Denkens im Hinblick auf sein Kategorienmodell – ontologische Bestimmung, phänomenologisch-logische – also triadische – Gestalt und relationale Ausprägung.56