Das gefallene Imperium 8: Auf Leben und Tod

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Aus der Reihe: Das gefallene Imperium #8
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Nun, man konnte jetzt argumentieren, dass die gesamte menschliche Zivilisation angegriffen wurde und die Republik kurz vor dem Abkacken stand. Daher war Zeitdruck schon irgendwie plausibel.

Weniger plausibel war, warum einige Paletten gerade abtransportiert wurden. Und zwar nicht von Legionären der Schattenlegionen, sondern von Männern in wirklich schlecht sitzenden Uniformen der ungepanzerten Infanterie. Tian kniff die Augen zusammen. Und wenn er es recht bedachte, dann stimmten die Einheitsabzeichen auch nicht wirklich.

Forsch ging der Master Sergeant auf eine der Paletten zu, über die Rinaldi immer noch stritt, und riss mit einer ungeduldigen Handbewegung das Anforderungsformular ab. Er betrachtete es kurz, fand aber leider nichts, was er beanstanden konnte.

Einer inneren Eingebung folgend, nahm er das Formular einer zweiten Palette zur Hand und legte sie übereinander. Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe.

Sein Kopf zuckte hoch und er fixierte die Mannschaft, die gerade einige Paletten abtransportierte, mit festem Blick. »Sie da!«, schrie er. »Sofort stehen bleiben!«

Die Männer verharrten auf der Stelle, warfen ihm einen langen Blick zu – und machten sich sogleich daran, die Palette mit eiligen Bewegungen weiterhin zum Abtransport fertig zu machen. Ein Lkw stand schon bereit.

Nun wurde Tian zornig. »Wachen!«, rief er den Legionären am Eingang zur Lagerhalle zu. »Diese Leute aufhalten! Sofort!«

Die Legionäre zögerten keinen Augenblick. Sie wussten nicht, was vor sich ging, aber der Befehl war eindeutig und ließ nicht den geringsten Raum für Widerspruch.

Innerhalb von Sekunden waren die unbekannten Männer von einem Dutzend Legionären in voller Kampfausrüstung umringt. Erst jetzt stellten sie sämtliche Bemühungen ein, die Paletten verladen zu wollen.

Rinaldi und Rohas verstummten. Der Logistikoffizier schwitzte nun ungehemmt. Rinaldi stellte sich an Tians Seite. »Sarge? Sie haben etwas gefunden?«

Wortlos reichte er Rinaldi die übereinandergelegten Transportpapiere. Der Major studierte sie einen kurzen Moment lang, während sich seine Augenbrauen abwechselnd auf- und abwärts bewegten. Schließlich trat er an eine weitere Palette, riss auch dort das Anforderungsformular herunter und legte auch dieses über die beiden anderen.

Mit düsterer Miene wandte er sich Rohas zu und reichte diesem die Papiere. »Erklären Sie mir das!«, forderte er.

Rohas machte keinerlei Anstalten, die Formulare an sich zu nehmen. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.« Tian beobachtete den Mann genau. Dieser verstand nur allzu gut. Der Captain verhielt sich wie ein in die Enge getriebenes Tier.

»Die Unterschriften auf allen drei Formularen sind identisch«, fuhr Rinaldi fort.

Rohas zuckte mit den Achseln. »Und?«

»Sie sind bis zum kleinsten Schnörkel identisch«, erklärte der Major. »Niemand unterschreibt immer auf exakt dieselbe Weise. Die Unterschriften wurden von einem anderen Formular auf diese reinkopiert. Ich vermute, Colonel Thurnball hat irgendwann tatsächlich etwas angefordert. Und Sie dachten, Sie könnten dadurch Kasse machen, und haben von anderen Einheiten dringend benötigte Ausrüstung abgezweigt. Dann haben Sie Thurnballs Unterschrift auf die Anforderungsformulare gefälscht und anschließend verticken Sie die Waffen auf dem Schwarzmarkt.« Rinaldi deutete mit dem Daumen auf die Männer in den schlecht sitzenden Uniformen.

Rohas hob den Kopf, antwortete aber nicht. Er war ertappt. Das Spiel war aus und er wusste es. Rinaldi gab einem der Legionäre einen kurzen Wink. Dieser stellte sich hinter den Logistikcaptain und entwaffnete ihn.

»Führen Sie alle der Militärpolizei zu«, ordnete Rinaldi an. »Sollen die sich darum kümmern.«

»Wir sind keine Soldaten«, beeilte sich einer der Schwarzmarkthändler einzuwerfen. »Das Militär ist nicht für uns zuständig.«

Rinaldi lächelte kalt und wandte sich dem Mann zu. »Sie befinden sich auf einem Militärareal, tragen unrechtmäßig eine Uniform und waren dabei, Militäreigentum zu stehlen. Wenn das nicht ein Fall für ein Militärtribunal ist, dann weiß ich auch nicht. Und in Kriegszeiten stehen auf solche Vergehen die Todesstrafe.«

Das Gesicht des Mannes verlor alle Farbe. Er öffnete den Mund, um etwas von sich zu geben, aber Rinaldi ließ ihm dafür keine Gelegenheit. »Schafft sie weg!«

Die Legionäre trieben die Verhafteten unter Einsatz ihrer Waffen aus dem Gebäude, während Rinaldi fassungslos den Kopf schüttelte.

»Was sind das nur für Menschen?«, fragte er mehr zu sich selbst. Sein Kopf zuckte hoch. »Sie handeln mit Waffen, ohne die wir den Krieg nicht gewinnen können.«

Tian zögerte, als er antwortete, war seine Stimme nicht ohne Mitgefühl. »Genau das ist das Problem.«

»Ich verstehe nicht.«

»Die Geschichten über Risena, Kelardtor und all die anderen Welten machen seit geraumer Zeit die Runde. Es gibt nicht wenige, die glauben, dass wir den Krieg gar nicht gewinnen können.«

Rinaldi runzelte die Stirn. »Und deswegen verkaufen sie die Waffen?«

Tian nickte. »Sie denken, wenn wir schon alle sterben werden, dann können sie sich mit dem erschwindelten Geld wenigstens noch ein paar schöne Wochen machen, bevor es zu Ende geht.« Der Master Sergeant deutete auf die Umgebung mit einem kurzen Wink seines Kinns. »Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon aufgefallen ist, aber es macht sich eine gewisse niedergeschlagene Grundhaltung breit. Sie ist verbreitet unter denen, die an der Front gekämpft haben, aber vor allem unter denen, die nur von den Vorkommnissen gehört haben. Wer gegen die Nefraltiri und ihre Handlanger gekämpft hat, der weiß, was auf uns zukommt, aber wer nur davon gehört hat, dessen Kopfkino schlägt jetzt Purzelbäume. Nichts ist so schlimm und grausam wie die Vorstellung, die sich ein Mensch von einer bevorstehenden Gefahr macht. Und die Wahrheit ist in diesem Fall schon schlimm genug.«

»Das ist keine Rechtfertigung für das hier.« Rinaldi deutete auf die mitten im Weg stehenden Paletten voller Waffen und Ausrüstung.

»Natürlich nicht«, gab Tian ihm recht. »Aber vielleicht ist es menschlich.«

Rinaldi dachte ausgiebig über die Worte seines Sergeants nach, bevor er langsam nickte. »Dann müssen wir ihnen die Hoffnung zurückgeben.« Seine Lippen teilten sich zu einem breiten Grinsen. »Und jetzt haben wir wenigstens die Waffen, um das zu erreichen.«

5

Vizeadmiral Elias Garners 12. Flotte sammelte sich bei Sultanet für den Gefechtssprung nach Samadir. Der Admiral beobachtete die Vorgänge auf seiner Brücke vom Kommandodeck aus. Seine Hände hinter dem Rücken verschränkt, strahlte er eine ruhige, entschlossene Präsenz aus. Der Admiral wünschte, er hätte tatsächlich in dieser Art und Weise gefühlt.

Die Reparaturen am Dreadnought Beowulf waren seit Tagen abgeschlossen. Das gewaltige Kriegsschiff war für den Kampf gerüstet, so gut es eben derzeit möglich war. Die letzten Gefechte hatten allerdings bewiesen, dass das nichts heißen mochte. Mit den Hinrady konnten sie fertigwerden, aber wenn in großer Anzahl Nefraltirischiffe auftauchten, steckten sie in ganz großen Schwierigkeiten.

Hinter ihm hüstelte jemand diskret, was bei Garner ein schmales Schmunzeln auslöste. Selbst nach all diesen Gefahren und den Entbehrungen, die sie gemeinsam erlebt und durchlitten hatten, hielt sein XO immer noch an den althergebrachten Traditionen und Gepflogenheiten der Flotte fest. Das war in gewisser Weise ein Anker der Ruhe in einem Meer aus Chaos und Unbeständigkeit. Manche Dinge änderten sich zum Glück nie.

»Treten Sie näher, Angus«, forderte der Admiral MacGregor auf, ohne sich umzudrehen. »Sie haben etwas für mich?«

Der XO trat zwei Schritte vor. Er hielt ein Pad in den Händen, doch Garner wusste genau, dass der Mann sämtliche wichtigen Details im Kopf hatte.

»Die letzten Schiffe der 3., 4. und 11. Flotte sind soeben eingetroffen. Damit haben wir wieder volle Stärke erlangt.«

Garner schnaubte. Nach den Verlusten bei Umnest und Risena war es notwendig gewesen, von anderen Verbänden Einheiten abzuziehen, um die 12. Flotte wieder auf Sollstärke zu bekommen. Es waren in den Werften eine Menge neuer Schiffe auf Kiel gelegt worden, unter anderem acht neue Dreadnoughts. Es wurde mit Hochdruck an ihnen gearbeitet. Aber realistisch betrachtet, würde es selbst in Kriegszeiten, wenn der Großteil der Industrie auf Rüstung umgestellt war, Monate dauern, bis sie fertiggestellt waren. Solange durfte die Republik mit ihrem Gegenschlag nicht warten.

Garner verzog in kameradschaftlicher Häme das Gesicht. »Meine Admiralskollegen dürften darüber nicht besonders erfreut sein. Diese Schiffe werden ihnen fehlen.«

»Die sollen sich gedulden, bis der Nachschub in den Werften fertig wird«, erwiderte MacGregor feixend und schloss damit unbewusst an die Gedankengänge des Admirals an. »Auf jeden Fall sind wir wieder vollständig kampf- und einsatzfähig. Heute Morgen sind die letzten neuen Rekruten für die Bodentruppen eingeschifft worden und der Nachschub für die Legionen ist von Perseus ebenfalls eingetroffen.«

Garner nickte langsam. »Wir sind also bereit.« Er wandte sich mit einer knappen Bewegung seinem XO zu. »Was sagen die Aufklärungsberichte über Samadir?«

»Immer noch keine Schwarmschiffe in Sicht. Sie sind abgezogen worden, kurz nachdem der Planet gefallen ist. Es gibt über hundert Hinradyschiffe im System, außerdem fast drei Dutzend Jackurynester auf dem Planeten und eine unbekannte, aber erhebliche Anzahl Hinradysoldaten. Trotz des Fehlens von Schwarmschiffen wird das kein leichter Job.«

»Das hatten wir doch auch nicht erwartet, Angus.« Er wandte sich nun zur Gänze seinem XO zu. »Oder täusche ich mich da?«

 

MacGregor neigte leicht den Kopf zur Seite. »Natürlich nicht, Admiral. Es ist nur …« MacGregor sprach nicht weiter, was den Admiral dazu veranlasste nachzuhaken.

»Es ist nur was

»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob unsere Kräfte reichen werden. Die feindlichen Verbände im Raum können wir zweifelsohne schlagen. Jedenfalls dann, wenn sie nicht signifikant verstärkt werden oder nicht doch noch Schwarmschiffe auftauchen. Aber was ist mit der Situation auf dem Boden? Bis zu unserem Eintreffen wird es mit Sicherheit Millionen von Jackury auf der Oberfläche geben. Und Hunderttausende von Hinrady. Das ist eine gewaltige Macht, die gegen uns steht.«

Garner biss sich leicht auf die Unterlippe. Die Gedankengänge seines XO bewegten sich in ähnlichen Bahnen wie seine eigenen. Es war ein riskantes Unterfangen und selbst bei perfekten Voraussetzungen würden die Verluste schrecklich werden. Aber sowohl der Präsident als auch Flottenadmiral Baker hatten ihm den gesamten Plan erklärt und ihm war völlig klar, dass sie hier an einem Wendepunkt des Krieges standen. Der Ausgang dieser Operation besiegelte womöglich den Ausgang des Krieges.

»Wir müssen nicht den gesamten Planten zurückerobern«, erklärte er seinem XO. »Nur den kleineren Kontinent in der südlichen Hemisphäre. Das dürfte zu schaffen sein. Es ist von größter Bedeutung, den Gegner davon zu überzeugen, dass uns der Planet wichtig ist.«

»Ich hoffe, die spielen auch mit.«

»Das werden sie schon«, erwiderte der Admiral. Das müssen sie einfach …, fügte er in Gedanken hinzu.

Ein kleines Shuttle näherte sich dem Dreadnought vom Bug aus und steuerte einen der Hangars mittschiffs an.

»Unser Paket ist also auch da.«

MacGregor nickte. »Alles ist vorbereitet. Er wird keinen Moment aus den Augen gelassen. Beim kleinsten Fluchtversuch erschießt man ihn auf der Stelle.«

Garner fühlte sich nicht wohl dabei, Daniel Red Cloud an Bord seines Schiffes zu wissen. Obwohl der Präsident ihm berichtet hatte, was es mit dem Gefangenen auf sich hatte, war und blieb der Mann eine unbekannte Größe. Zumal allgemein davon ausgegangen wurde, dass es sich bei ihm bestenfalls um einen Spion handelte.

Der Präsident hatte aber strikt darauf bestanden. Es war wichtig, dass diese Kreatur mit seinen Meistern Kontakt aufnahm, und niemand wusste, welche Reichweite deren geistige Fähigkeiten besaßen. Also war man übereingekommen, Red Cloud mit auf die Reise zu nehmen, um ihn so dicht an seine Herren heranzubringen wie nur möglich. Garner verstand den Sinn dahinter. Es gefiel ihm aber trotzdem nicht.

Das Shuttle flog in das geöffnete Maul eines Hangars und dessen Tore schlossen sich hinter diesem. Garner seufzte tief. Es hatte keinen Sinn, die Sache noch länger hinauszuschieben. Es wurde Zeit, den Kampf zurück zum Feind zu tragen.

»Alle Schiffe Formation einnehmen und Sprunggeschwindigkeit aufbauen«, ordnete er an. »So bald wie möglich springen.« Er wandte sich schwungvoll um und schritt zu seinem Kommandosessel. »Wir fliegen nach Samadir.«

Daniel Red Cloud hatte den ganzen Weg über nach Sultanet kein Wort gesprochen. Und auch jetzt, als das zwei Dutzend Marines ihn zu seiner Zelle an Bord der Beowulf brachte, verzichtete er darauf, dies auch nur mit einem Muskelzucken zu kommentieren.

Dies lag nicht daran, dass er arrogant oder seine derzeitige Situation seiner Aufmerksamkeit nicht würdig gewesen wäre. Viel einfacher – er war schlichtweg auf eine andere Aufgabe konzentriert.

Daniel spürte ein leichtes Zittern unter seinen Füßen. Der Dreadnought war gerade in den Hyperraum gesprungen.

Wie auf ein unbekanntes Signal hin, spürte er den bereits bekannten Zug in seinem Gehirn, gefolgt von dem Schwindelgefühl, das er bereits erwartet hatte.

Berichte!, forderte eine hart klingende Stimme ihn in menschlicher Sprache auf.

Sie fliegen nach Samadir, Herr, antwortete er in seinem Geist. Dort befindet sich die Brutkammer.

Die Stimme erwiderte nichts. Erneut spürte er den Schwindel und den Zug in seinem Verstand, als der Nefraltiri sich aus Daniels Geist ausklinkte. Doch bevor dessen Präsenz verschwand, nahm Daniel etwas von ihm wahr: tiefe, fast unkontrollierbare Befriedigung.

Teil II. Verzweifelte Taktik

6

Samadir

Feindlich besetztes Territorium

15. Juni 2891

Garners 12. Flotte sprang nicht allein ins Zielsystem. Die Kooperative, die Konföderation demokratischer Systeme und ein Dutzend weiterer kleiner Sternennationen hatten fast siebenhundert Schiffe zusammengezogen, um die Offensive zu unterstützen. Als die Armada bei Samadir materialisierte, nahmen die annähernd tausend Einheiten sofort Gefechtsformation ein. Wie sich herausstellte, wurden sie bereits erwartet.

Garner knirschte mit den Zähnen, als drei Lichtsekunden voraus eine Flotte von Hinradyschiffen frontal auf sie zuhielt. Er warf seinem XO einen kurzen Blick zu. Dieser verstand die unausgesprochene Frage.

»Dreihundert feindliche Schiffe. Standard-Hinrady-Angriffsformation.«

Garner nickte. Seine Gedanken überschlugen sich. Das bedeutete, der Gegner hielt mit Höchstgeschwindigkeit auf die menschliche Flotte zu. Die Hinrady hatten aus ihren Fehlern gelernt und trachteten danach, die Distanz zu ihren Gegnern so schnell wie möglich zu überwinden, weil sie wussten, dass sie bei einem Fernkampfgefecht mit der menschlichen Flotte Federn lassen mussten. Eine Menge Federn.

Der Admiral biss sich leicht auf die Unterlippe. Die Hinradyschiffe schlossen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf, schneller, als es jeder menschlichen oder Drizileinheit möglich gewesen wäre. Garner musste eine Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen, und zwar schnellstens.

Eine Sache gab ihm jedoch zu denken. Um seiner Armada auf dieser Weise zu begegnen, mussten die Hinrady gewusst haben, wann und auch wo die terranischen Einsatzkräfte auftauchen würden. Entweder der Gegner hatte bessere Sensoren, als man je für möglich gehalten hätte, was gar nicht abwegig erschien. Oder jemand hatte sie vor dem Angriff auf Samadir gewarnt.

Garner legte die Stirn in Runzeln. Fast ungewollt kam ihm sein unfreiwilliger Gast in dessen Gefängniszelle in den Sinn. Hatte der die Hinrady vor dem Angriff informiert? Möglich wäre es in der Tat. Aber wenn dem so war, wo befanden sich derzeit die Schwarmschiffe? Es wäre dem Gegner bei einer minimalen Vorwarnzeit ein Leichtes gewesen, das System mit Schwarmschiffen zu spicken und Garners Verbänden ein tödliches Willkommen zu bereiten.

Der Admiral schob den Gedanken entschlossen beiseite. Sie waren nun hier, und auch wenn der Gegner offenbar vorgewarnt war, befand er sich doch mehr als drei zu eins in der Minderheit.

»Bremsmanöver für alle Einheiten!«, ordnete er an. »Rückwärtsschub und mit Beschussplan Alpha auf meinen Befehl beginnen.«

MacGregor gab die Anweisungen weiter. Die Truppentransporter waren als Erste in der Lage, ihre Geschwindigkeit annähernd auf null zu reduzieren. Sie warteten in einiger Entfernung ab, wie das Gefecht verlaufen würde. Falls Garner unterlag, bestand für sie immer noch die Möglichkeit, wieder aus dem System zurück in republikanischen Raum zu springen.

Die Kampfschiffe des kombinierten multinationalen Verbands bremsten ab und legten den Rückwärtsgang ein. Das hörte sich zwar einfach an, war aber im Weltraum bei über tausend Schiffen schwer genug auszuführen. Der Vorgang dauerte annähernd eine Stunde. Sechzig Minuten, in denen die Hinrady weiterhin aufschlossen.

Die menschlichen Einheiten zogen sich erst langsam, dann immer schneller von den angreifenden Feindschiffen zurück. Die Hinradyflotte näherte sich mit rapider Geschwindigkeit der äußersten Gefechtsdistanz terranischer Fernkampfwaffen an. Garner spürte, wie ihm dicke Schweißtropfen auf die Stirn traten. Er wartete ab, bis die gegnerischen Schiffe ganz knapp vor der imaginären Linie standen, die die Reichweite markierte. Erst da gab er den erlösenden Befehl. »MacGregor? Befehl an alle Schiffe: Gefecht eröffnen gemäß Plan!«

Die Hinrady hatten sicherlich erwartet, dass der komplette menschliche Verband unter Führung der Republik das Feuer eröffnen würde. Falls dem so war, dann wurden sie enttäuscht und möglicherweise auch überrascht. Garner hatte nicht die geringste Absicht, den Gegner mit bloßer Feuerkraft zu überwältigen, wie es sicherlich viele andere Kommandeure an seiner Stelle getan hätten.

Auch die Menschen, allen voran Garner, hatten Konsequenzen aus den bitteren Erfahrungen der letzten Schlachten gezogen und einiges daraus gelernt.

Garner hatte seine Flotte in drei Teilverbände mit jeweils etwas mehr als dreihundertdreißig Schiffen aufgeteilt. Teilverband eins eröffnete aus allen Rohren feuernd das Gefecht. Die Geschosse hielten in einem dichten Pulk auf das Zentrum des Gegners zu. Garner wusste, von diesen Lenkflugkörpern würde es kein einziger bis zum Gegner schaffen. Das war auch nicht die Absicht, die dahintersteckte.

Der Gegner setzte seine Energiewelle ein, mit der er feindliche Fernlenkwaffen zur Explosion brachte. Wie erwartet, sprenkelten Tausende von Detonationen den Raum zwischen den beiden Flotten, als sämtliche Geschosse der ersten Torpedowelle detonierten.

Die erste Welle hatte den Feind noch nicht erreicht, da feuerte Teilverband zwei eine Geschosssalve ab. Und mit weniger als einer halben Minute Verzögerung folgte die Geschosswelle von Teilverband drei.

Die drei Teilverbände wechselten sich beständig ab und zwangen den Gegner unaufhörlich dazu, seine Abwehrwaffe einzusetzen, um die einkommenden Salven nacheinander zu zerstören. Die Energiewelle benötigte jedoch nach jedem Einsatz eine gewisse Zeit, um wieder aufzuladen. Durch den zeitlich versetzten Beschuss ihrer Fernkampfbewaffnung zwang Garners Flotte den Gegner dazu, seine Abwehrwaffe so oft wie nur irgend möglich einzusetzen. Und mit jedem Einsatz gelang es den Torpedosalven, sich der feindlichen Flotte weiter anzunähern. Der Erfolg stellte sich in deutlich kürzerer Zeit ein, als es Garner bei Umnest gelungen war.

Die Verbände des republikanischen Admirals übersättigten die gegnerische Nahbereichsabwehr in weniger als einer dreiviertel Stunde.

Tiefe Befriedigung erfüllte Garner, als die Sensoren der Beowulf die ersten Einschläge auf der Bugpanzerung der führenden feindlichen Schiffe registrierten. Die Hinrady setzten weiterhin ihre Energiewelle ein, konnten aber nicht verhindern, dass immer mehr ihrer Schiffe unter Beschuss gerieten. Es dauerte nicht lange und die ersten Einheiten fielen aus.

Auf Garners Plot verschwanden mehrere rote Symbole auf einen Schlag, andere blinkten aufgeregt, was auf schwere Schäden hindeutete.

Wiederum fühlte Garner widerwilligen Respekt in sich aufsteigen. Die Verluste der Hinrady stiegen mit jeder Sekunde, die verging, und mit jeder Torpedosalve, die auf ihre Formation einhämmerte, aber die Primaten zogen einfach den Kopf zwischen die Schultern und pflügten durch den Beschuss. Sie akzeptierten die Verluste als notwendiges Übel, obwohl bereits gut ein Drittel ihrer Flotte ausgeschaltet oder in erheblichem Umfang beschädigt war.

Mit einem Mal lösten sich Schwärme kleiner Flugkörper von den feindlichen Schiffen und steuerten auf Garners Flotte zu. Er wusste bereits, was vor sich ging, noch bevor sich MacGregor zu Wort meldete. »Feindlicher Jägerangriff.«

Der Admiral nickte. »Jäger ausschleusen und Abwehrlinie konsolidieren.«

Nur Sekunden später schleusten seine Trägerschiffe eigene Jäger aus, die sich ober- und unterhalb der Hauptkampflinie zum Gefecht formierten. Garners Wangenmuskeln verkrampften sich. Die Hinradyjäger stürmten die terranische Formation, wo sie bereits von Abfangjägern erwartet wurden. Eine heftige Jägerschlacht entbrannte. Unzählige Explosionen flammten urplötzlich auf, nur um Sekundenbruchteile später auszukühlen. Jede Detonation bedeutete das Ende eines Piloten, sei es Freund oder Feind. Der Hauptverband der Hinrady pflügte unbeeindruckt durch das Trümmerfeld, das die Jägerschlacht hinterließ, und eröffnete seinerseits das Feuer.

Hunderte Energiestrahlen überbrückten die Entfernung zwischen Hinrady- und menschlicher Flotte innerhalb eines Wimpernschlags. Die älteren Kriegsschiffsklassen der kleineren Sternennationen traf es als Erstes. Der feindliche Angriff zerschlug praktisch mühelos Garners linke Flanke, wobei mehr als sechzig Schiffe vernichtet wurden. Knapp die doppelte Anzahl wurde so schwer beschädigt, dass sie sich zurückziehen mussten.

 

Auf Garners taktischem Hologramm gingen im Sekundentakt Verlust- und Schadensmeldungen verbündeter Einheiten ein. Seine Fingerspitzen verkrampften sich in die Lehnen seines Kommandosessels.

Wieder einmal bewies der Feind, wie sträflich dumm es war, diesen zu unterschätzen. Die Republik war geradezu glimpflich davongekommen. Lediglich fünf Kreuzer meldeten geringfügige Schäden. Der Feind konzentrierte sich eindeutig auf die älteren Schiffsklassen und dünnte Garners Angriffslinien gefährlich aus.

Der Admiral widerstand nur mit Mühe dem Impuls, mit der geballten Faust auf seine Lehne einzuhämmern. Noch während er zusah, verloren die republikanischen Verbündeten weitere fünfzig Schiffe. Die Verlustrate senkte sich rapide zugunsten des Gegners und seine eigenen Einheiten befanden sich noch nicht einmal in Energiewaffenreichweite.

»Schicken Sie die Geschwader 3.1, 3.2 sowie 3.5 an unsere linke Flanke. Wir brauchen dort dringend mehr Feuerkraft. Außerdem beordern Sie die Schlachtkreuzer der Geschwader 5.5 und 5.6 in die erste Feuerlinie. Der Tanz geht gleich los.«

MacGregor antwortete nicht. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, die Anweisungen an die betreffenden Einheiten weiterzugeben. Stattdessen nickte er lediglich, während seine Lippen unhörbare Worte formulierten und der XO der Beowulf auf sein Pad eintippte.

Garner wartete angespannt und beobachtete die Vorgänge weiterhin auf seinem taktischen Hologramm. Mehr blieb ihm im Moment ohnehin nicht zu tun übrig. Die Schiffe formierten sich gemäß seinen Anweisungen. Die republikanischen Kreuzer, die er an die linke Flanke beordert hatte, gaben dieser einen gewissen Rückhalt, sodass die Verluste sanken, auch wenn sie trotzdem unangenehm hoch blieben.

Garner tippte mit dem linken Zeigefinger immer wieder unbewusst auf seine Lehne. Als er es bemerkte, stoppte er die nervöse Geste. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, überschritten die feindlichen Schiffe die zweite imaginäre Linie, worauf der Admiral bereits ungeduldig gewartet hatte.

»Geschwindigkeit umkehren und Feuer frei!«, befahl er ohne Zögern.

Nun war die Richtung egal, in der sich die terranischen Schiffe bewegten. Sie bremsten erneut ab und gaben gleichzeitig Vollschub. Parallel eröffneten sie aus allen Rohren das Feuer.

Die Beowulf und die sie eskortierenden Schlachtkreuzer nahmen mit ihren Sturmlasern die ersten Hinrady-Jagdkreuzer aufs Korn und schnitten sie binnen weniger Sekundenbruchteile in Stücke. Die Schiffe brachen bereits nach oberflächlichem Kontakt mit zweien oder dreien dieser leistungsstarken Energiewaffen einfach auseinander. Trümmerstücke trieben in Flugrichtung weiter und prallten von der Bugpanzerung des Dreadnoughts ab.

Die terranischen Jagdbomber gingen zum Angriff über. Die feindlichen Jagdkreuzer verfügten ausschließlich über Offensivwaffen, die starr nach vorn feuerten. Zur Abwehr eines Bomberangriffs konnten sie lediglich auf eigene Jägerunterstützung zählen. Diese war aber bereits in heftige Kämpfe verstrickt und kaum in der Lage, die Bomber abzuwehren. Genau darauf hatte Garner gebaut.

Die Mammoth und Mammoth II drangen in die feindliche Kampfzone ein und stürzten sich von oben auf den Gegner. Mehrere Hinrady-Angriffsjäger stellten sich ihnen in den Weg. Nach kurzem Kampf gingen ein Dutzend Bomber in Flammen auf, aber im Gegenzug wurde die feindliche Abwehrlinie komplett zerschlagen. Die Trümmer von mehr als fünfzig gegnerischen Jägern markierten den Weg, den Garners Bomber zurücklegten. Die Deckgeschütze der Jagdbomber feuerten ohne Unterbrechung und hielten die Reste der feindlichen Jägerformation auf Abstand.

Die Bomber näherten sich dem Zentrum der Jagdkreuzerformation an. »Na los! Na los!«, betete Garner leise sein Mantra herunter, als könne er den Angriff dadurch irgendwie beeinflussen.

Die Bomber klinkten ihre Torpedolast sowie eine große Anzahl an Haftminen in Flugrichtung aus. Der Admiral lächelte grimmig.

Noch während die Bomber kehrtmachten, schlug über den feindlichen Schiffen die Torpedowelle ein wie der Hammer Thors persönlich. Die Jagdkreuzer waren robust und schwer zu knacken, das räumte Garner jederzeit ein. Aber auch sie waren nicht unschlagbar. Hunderte Explosionen sprenkelten die gegnerischen Einheiten vom Bug bis zum Heck. Panzerung wurde aufgerissen und die Detonationen pflanzten sich ins sensible Innenleben fort. Eine ganze Reihe roter Symbole verschwand vom Plot des Admirals. Aber als wäre das noch nicht genug, flog der Hinradyverband anschließend durch eine Wolke von kleinen, fiesen Vorrichtungen.

Die Haftminen waren verglichen mit den Torpedos winzig und auch ihre Zerstörungskraft hielt sich in Grenzen. Doch der Gegner war angeschlagen. Kein Schiff der feindlichen Formation war ohne Blessuren und erhebliche Schäden an der Außenhülle davongekommen. In dieser Verfassung stellten auch diese kleinen Sprengkörper eine große Bedrohung dar.

Die Minen reagierten, sobald ein feindlicher Kreuzer ihren Dunstkreis passierte. Sie hefteten sich in ganzen Scharen an eines der Hinradyschiffe, immer drei oder vier Dutzend auf einmal – und dann taten sie das, wofür sie entwickelt worden waren.

Die gepanzerte Kuppel der Kommandobrücke war geschlossen, sodass Garner das Schauspiel nicht mit eigenen Augen sehen konnte. Über sein taktisches Hologramm liefen jedoch ununterbrochen Schadensprognosen. Der Gegner erlitt innerhalb kürzester Zeit furchtbare Verluste.

Der Admiral war versucht, in Jubel auszubrechen. Nur seine Disziplin hielt ihn zurück – und das Wissen, dass eine Schlacht nie so einfach verlief, wie man das gerne hätte. Auch ein besiegt geglaubter Gegner konnte noch austeilen.

Aus dem Sturm aus explodierenden Minen, geborstener Panzerung sowie den Leichen ins All gesogener Hinrady, schoben sich etwa drei Dutzend feindliche Jagdkreuzer.

Aus den Schadensdiagrammen ließ sich ablesen, dass die Schiffe kaum noch funktionstüchtig waren. Menschliche Einheiten wären längst unter der Last der Beschädigungen zusammengebrochen. Menschliche Besatzungen hätten sich längst dazu entschlossen, das Schiff aufzugeben.

Nicht aber die Hinrady. Die Jagdkreuzer wurden gerade noch von Spucke und guten Wünschen zusammengehalten und dennoch eröffneten sie das Feuer. Ihre Energiestrahlen fraßen sich in Garners Einheiten. Wo sie auf Panzerung trafen, da brannten sie tiefe Schneisen hinein.

Die Kooperative verlor zwei Korvetten und einen Angriffskreuzer. Die KdS büßte einen Träger ein. Und auch die Republik verlor drei Schlachtkreuzer der vordersten Frontlinie.

Garner knirschte mit den Zähnen. Er hasste es für gewöhnlich, einen unterlegenen Gegner auf diese Weise auszuschalten. Aber in diesem speziellen Fall machte er eine Ausnahme. Die Hinrady wollten es nicht anders haben. Sie ließen ihm keine Wahl.

Der republikanische Admiral machte eine knappe Geste in Richtung seines Hologramms. MacGregor nickte und gab über sein Pad eine Anweisung an die restliche Flotte weiter. Nur Augenblicke später eröffnete die gesamte Front das Feuer. Die verbliebenen Hinradyschiffe verschwanden unter einem Tornado aus Energiestrahlen, die sie buchstäblich aus dem All fegten.

Die Geschütze verstummten schlagartig. Zurück blieb eine Trümmerwolke, die von den menschlichen Einheiten durchpflügt wurde. Die Hinrady hatten sie gezwungen, ihren Verband komplett auszulöschen.

Der Bordcomputer listete alle erlittenen Verluste auf. Mehr als zweihundertsechzig Schiffe waren zerstört oder so schwer beschädigt worden, dass sie als nicht mehr kampftauglich eingestuft werden mussten.

Sie waren mit mehr als dreifacher Übermacht in das System eingerückt, hatten aber nahezu ähnlich hohe Verluste wie der Gegner erlitten. Garner benötigte einen Moment, um diese Erkenntnis sacken zu lassen.