Buch lesen: «Das Festival der Liebe», Seite 8

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KAPITEL ZEHN

„Bist du sicher, dass du heute noch zurück musst?“, frage Eve und hielt Shanes Hand. „Es ist doch schon so dunkel.“

Shane nickte. „Wir kommen schon klar, Mom. Keine Sorge.“

Er öffnete die Fahrertür, konnte aber nicht einsteigen, weil seine Schwestern sich allesamt auf ihn stürzten.

„Bleib doch!“, riefen sie.

„Keira kann doch bei uns übernachten“, jammerte Hannah.

Keira wäre liebend gern über Nacht hier geblieben. Für den Rest ihres Lebens, um genau zu sein. Aber das Unbehagen über ihren Artikel nagte wieder an ihr, vor allem wegen Joshuas barscher E-Mail. Nur war der Druck jetzt noch stärker, denn es kam außerdem noch Selbstverachtung hinzu.

„Tut mir leid“, sagte Shane, an seine jüngste Schwester gewandt. „Aber ich werde Keira noch mal wieder mitbringen, okay? Immerhin bleibt sie einen ganzen Monat.“

„Stimmt das, Keira?“, quiekte Hannah und wurde noch aufgeregter. „Kommst du nächstes Wochenende wieder?“

„Das weiß ich noch nicht“, sagte Keira. „Wenn meine Arbeit gut läuft, dann vielleicht. Ich hinke etwas hinterher.“ Es laut auszusprechen, machte das Ganze noch schlimmer. Ihr Magen verkrampfte sich.

„Nicht jeder verbringt seine Tage damit, durch Blumenwiesen zu streifen, Schwesterherz“, sagte Shane trocken. „Manche Menschen müssen tatsächlich arbeiten.“

Seine kleine Schwester schmollte. Shane nahm sie in den Arm. „Ich schaue mal, ob ich sie noch einmal überreden kann, einen Ausflug zu machen.“

Keira bedauerte schon jetzt, vielleicht einen späteren Besuch bei dieser Familie zu verpassen. Sie wünschte, sie hätte sie unter anderen Umständen kennengelernt, vielleicht als Touristin oder beim Wandern, dann hätte sie ganz ohne Schuldgefühle auf ihrer Farm bleiben können, solange sie wollte. Aber so wie die Dinge nun einmal standen, hatte sie erdrückende Schuldgefühle wegen des Artikels, den sie schreiben musste. Wie sollte man über einen Ort lästern, der so wunderbare Menschen wie Shane und seine Familie hervorgebracht hatte? Und wie enttäuscht würden die alle sein, wenn sie den Artikel lasen, in dem sie als Bauerntrampel verunglimpft wurden? Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken.

Schließlich stiegen sie doch endlich ins Auto ein und Shane winkte seiner Familie ein letztes Mal zu. Er wendete den Wagen und bog wieder in den Trampelpfad ein. Es gab keinerlei Straßenbeleuchtung und Keira empfand die Dunkelheit als bedrückend. Selbst als sie auf die Hauptstraße einbogen, die immerhin aus Asphalt bestand, hatte sie noch immer das Gefühl, von Dunkelheit umgeben zu sein.

„Alles klar mit dir?“, fragte Shane.

Keira nickte.

„Bist du sauer, weil ich dich so lange vom Schreiben abgehalten habe? Wir werden nicht vor Mitternacht zurück sein, vielleicht sogar noch später.“

„Nein, das ist es nicht“, sagte Keira.

Shane schwieg und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.

„Ist es Zach?“, fragte er nach einer Weile.

Keiras Unbehagen wuchs. Sie hatte den ganzen Tag nicht einen einzigen Gedanken an Zach verschwendet. Sie hatte sich gestattet, voll und ganz in dieser wundervollen Familie aufzugehen. Jetzt kehrte die Realität mit Macht zurück.

„Es ist die Arbeit“, sagte sie knapp.

„Schreibblockade?“

„So etwas in der Art.“

Shane gab es auf, sie zum Sprechen zu bringen. Sie rutschte tiefer in ihren Sitz, lehnte das Kinn auf ihre Faust und starrte hinaus auf die Hecken, an denen sie entlang fuhren. Sie hatte das Gefühl, einfach alles versaut zu haben, den Job und auch die Sache mit Shane. Was für ein Durcheinander.

„Ich bin sicher, du findest heute Nacht Leute, mit denen du reden kannst“, sagte er zuversichtlich. „Vielleicht bringt dir das Wagenrennen die nötige Inspiration.“

„Wagenrennen?“, fragte Keira.

Shane schaute sie an und grinste, wieder ganz der spöttische Typ, den sie kannte. „Du hast noch nicht davon gehört? Es ist total verrückt. Und es macht riesig viel Spaß. Es wird vom Matchmaker ausgerichtet. Er stellt Paare zusammen und die machen dann ein Wagenrennen.“

„Wie die Gladiatoren?“

„Genau. Allerdings deutlich langsamer. Es ist sehr lustig. Es wird dir gefallen.“

Keira ging davon aus, dass er wahrscheinlich recht hatte. Sie mochte einfach alles an diesem Land. Und genau da lag das Problem.

*

Sie kamen in der Tat erst sehr spät wieder auf dem Festival an. Sie parkten den Wagen und mischten sich unter das Volk.

Eine Band spielte Folklore, als Shane Keira zu einer der Buden führte. Zwei Kleeblatt-Piñatas waren darüber angebracht, eine in pink, die andere blau.

„Eine verwirrende Vermischung der Kulturen“, sagte Keira. „Was ist das? Eine Art Pinkelparty?“

„Du bezahlst einen Euro, damit dein Name in die Piñata kommt. Am Ende des Festivals gewinnen ein Mann und eine Frau einen Preis“, erklärte Shane.

„Eine romantische Reise für zwei“, sagte die Frau in der Bude.

Keira rollte mit den Augen. „Kein Bedarf, danke.“

Shane holte etwas Geld aus seiner Hosentasche und kaufte zwei Papierschnipsel. Er schrieb seinen Namen auf den einen und Keiras auf den anderen Zettel.

„Viel Glück“, sagte die Frau, als er die beiden Zettel in die Piñatas steckte.

Keira schüttelte tadelnd den Kopf. „Was für eine Geldverschwendung“, sagte sie zu Shane.

Er zuckte nur mit den Schultern. „Man muss schon mitmachen, wenn man gewinnen will.“

Sie schaute ihn stirnrunzelnd an. „Wer will schon Urlaub mit einem Fremden machen?“, spottete sie.

Sie hörte den Unterton in ihrer eigenen Stimme. Der Druck lastete schwer auf ihr und drohte, aus ihr herauszubrechen. Der arme Shane stand einfach nur unglücklicherweise in der Schusslinie.

Sie folgten der Menschenmenge die Straße entlang bis zu einer Absperrung. Dahinter standen Pferde und Wagen, die Sorte, auf der man stehen konnte. Die Straße war beflaggt.

„Sieht aus, als würde es gleich losgehen“, sagte Shane. „Hast du Lust?“

„Wir?“, rief Keira. „Auf gar keinen Fall. Ich muss noch mehr Interviews sammeln. Wie gestern. Mein blöder Chef sitzt mir im Nacken.“

„Ich könnte dir helfen, nach passenden Leuten zu suchen.“

Keira schüttelte den Kopf. Shane wusste ja nicht, welche Art von Leuten sie interviewen sollte. Er würde wahrscheinlich die niedlichsten, verliebtesten Paare finden, nicht ahnend, dass sie genau das Gegenteil brauchte: Leute, die nicht zusammenpassten, sondern in einer elendigen Beziehung steckten.

Statt dessen suchte sie in ihrer Tasche nach ein paar Euros. „Warum gehst du nicht?“

„Alleine?“, fragte Shane überrascht.

„Frag doch eine der Frauen, ob sie mit dir fährt“, beharrte Keira. „Mit deiner neuen Frisur sollte es doch wohl kein Problem sein, ein Date zu bekommen.“ Dann fügte sie noch kaum hörbar hinzu: „Such dir einfach eine neue Tessa.“

Shane wirkte entsetzt. „Das mache ich nicht“, stammelte er.

Keira fragte sich, was eine solche Reaktion auslösen konnte. Sie wagte nicht, zu hoffen, dass es mit ihr zu tun haben könnte. Dennoch spürte sie bei seiner Weigerung ein Kribbeln im Bauch. Seit der Nacht mit Tessa hatte sich definitiv einiges verändert.

„Dann platziere eine Wette für mich“, sagte Keira und hielt ihm das Geld hin.

„Auf wen?“, fragte Shane amüsiert, als er das Geld nahm.

„Auf das Pferd mit dem albernsten Namen“, sagte sie. „Ich werde es über die Lautsprecher verfolgen.“

Bevor Shane widersprechen konnte, hatte sie sich durch die Menge geschoben. Sie musste schnell etwas Abstand gewinnen. Ihn zurückzulassen, weckte eine merkwürdige Sehnsucht in ihr, etwas, das sie gleichermaßen störte und erfreute.

Verzweifelt auf der Suche nach irgendjemandem, der für ihren Artikel in Frage kam, klapperte Keira die zahlreichen Pubs ab. Aber sie fand immer nur Frohsinn, romantische Paare und glückliche Gesichter. Sie wusste inzwischen, dass es irreführend war, Männer, die allein an der Bar standen, für unglücklich zu halten, nach der Erfahrung mit Patrick. Bisher war es nur das Gespräch mit Tessa, welches sie für den Artikel verwenden konnte.

Sie trat hinaus auf die Straße, auf der Suche nach einem weiteren Junggesellinnenabschied, nach ein paar betrunkenen jungen Frauen, die einfach nur ihren Spaß haben wollten. Aber der Matchmaker hatte offenbar hervorragende Arbeit geleistet. Egal wohin sie schaute, sie sah nur glückliche Paare, Männer und Frauen, die nur Augen für einander hatten.

Über die Lautsprecher wurde das Pferderennen angekündigt. Die Aufmerksamkeit aller schien sich nun darauf zu richten. Keira wurde bewusst, dass sie am liebsten jetzt bei Shane gewesen wäre, um es sich gemeinsam mit ihm anzuschauen. Niemand würde wissen, dass sie zusammen arbeiteten, sie sähen aus, wie jedes andere Paar hier. Bei dem Gedanken startete ein ganzer Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch.

Sie bewegte sich wieder durch die dichtgedrängte Menge, sah plötzlich Shanes Hinterkopf und drängelte sich durch, bis sie schließlich neben ihm stand.

Er schaute irritiert zur Seite, um zu sehen, wer ihn da weggeschoben hatte. „Das ging ja flott.“

Keira schüttelte den Kopf. „Ich finde einfach niemanden für meinen Artikel. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“

„Du findest niemanden?“, spottete Shane. „Du bist umgeben von verliebten Paaren.“

Keira seufzte. Sie konnte ihm doch wohl kaum sagen, dass der Artikel dieses Festival in der Luft zerreißen sollte. Er würde sie verachten, wenn er es je herausfand. Der Gedanke war ihr unerträglich. Sie würde ihre Taktik ändern müssen. Auf keinen Fall konnte sie den Artikel noch so schreiben, wie Joshua und Elliot das wollten.

„Vielleicht wollte ich dann lieber das Rennen ansehen, als zu arbeiten“, sagte Keira. „Auf wen hast du gesetzt?“

„Ich habe auf diese beiden dort gewettet“, sagte Shane und deutete auf einen Wagen mit einem alten Mann und einer alten Frau, beide sicher schon um die 80 Jahre alt. „Ihr Jahrestag fällt zeitlich mit dem Festival zusammen. Sie kommen jedes Jahr her, um zu feiern. Ist das nicht süß?“

Keira lachte laut auf. Es überraschte sie nicht länger. Sie war umgeben von märchenhaften Liebesgeschichten.

Das Rennen begann und die Pferde gingen die Straße herunter. Es war nicht gerade das Grand National aber auf jeden Fall unterhaltsam. Keira feuerte sie aufgeregt an, gemeinsam mit Shane. Sie konnte nicht aufhören zu grinsen, trotz der Sorge um den Artikel und ihre Karriere.

Ihr Handy summte und riss sie aus ihrer Euphorie. Gerade als sie sich endlich ein wenig entspannt hatte, musste es sie daran erinnern, wofür sie eigentlich hergekommen war. Aber zum Glück war es wenigstens nicht Joshua, sondern eine Nachricht von Nina.

Tut mir leid, falls Joshua dir wegen dem Artikel auf die Pelle rückt. Kann sein, dass ich ein paar Bemerkungen darüber gemacht habe, dass du Probleme mit der Ausrichtung des Ganzen hast.

Keira schrieb ihr sofort zurück, dass das schon in Ordnung sei, von Joshua war sie ja ohnehin nichts anderes gewohnt. Sie würde schon einen Weg finden, es ihm recht zu machen.

Nachdem sie die Nachricht abgeschickt hatte, fand sie ihre Ruhe an Shanes Seite schnell wieder. Wie konnte dieser Ort sie so sehr verändern? Nirgends sonst auf der Welt würde dieses Schneckenrennen ihr so viel Spaß machen. Nirgends sonst hätte eine Überdosis an Tee und Kuchen bei einer katholischen Familie ihr so warmherzige Gefühle vermittelt. Irgendetwas an Irland gab ihr das Gefühl, authentisch, weniger abgebrüht und sehr lebendig zu sein. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das zuletzt so gewesen wäre.

Das alte Paar, auf das Shane gesetzt hatte, gewann leider nicht. Statt dessen siegte ein attraktives Paar mittleren Alters. Matchmaker William Barry war da, um ihnen die Trophäe zu überreichen und die Krone aufzusetzen, beide waren aufblasbar.

Keira fragte sich, ob das vielleicht ein guter Ansatz für den Artikel war und beschloss, sie zu interviewen. Sie schob sich durch die Menschenmenge.

„Kann ich euch beide vielleicht interviewen?“, fragte sie.

Die Frau betrachtete sie amüsiert. „Wozu denn?“

Sie hatte einen europäischen Akzent, vielleicht polnisch.

„Ich bin Reisejournalistin für ein Magazin in Amerika. Ich schreibe einen Artikel über Liebe und Romantik.“

„Passt gut auf“, mischte William sich ein. „Sie ist eine Zynikerin.“

Das Paar wechselte einen schnellen Blick, dann nickten sie zustimmend. Keira begleitete sie zu einem Tisch in der Nähe.

„Die erste Frage lautet logischerweise: woher kommt ihr?“, fragte Keira. „Eurem Akzent nach seid ihr nicht von hier.“

Die Frau lachte. „Ich komme aus Krakau.“

„Und du bist extra wegen des Festivals nach Irland gekommen?“

Die Frau nickte ernsthaft. „Um einen Ehemann zu finden.“

Na bitte, dachte Keira und machte sich eifrig Notizen. „Dann wurdet ihr beide heute Abend für das Rennen verkuppelt?“

Die Frau nickte. „Ich bin schon seit dem ersten Tag hier. William hat nur auf den richtigen Partner für mich gewartet. Ich brauchte einfach nur ein bisschen Geduld. Und heute war es dann soweit.“

Der Mann neben ihr grinste. Keira bemerkte, dass die beiden unter dem Tisch Händchen hielten.

„Denkst du, William hat die richtige Wahl getroffen?“, fragte Keira. „Bist du glücklich mit dem Ergebnis?“

„Sehr.“ Die Frau wirkte begeistert.

Der Mann schien ebenso zufrieden zu sein. „Ich wäre ja nicht hier, wenn ich nicht daran glauben würde, dass er die richtige Auswahl trifft.“

„Dann glaubt ihr an all das hier, die Romantik, die Liebe?“

Die Frau nickte und warf ihrem Verehrer einen verliebten Blick zu. Hinter ihnen sah Keira das alte Ehepaar vorbeigehen, auf das Shane gewettet hatte. Sie hatten nur Augen für einander, schienen das Gewusel um sie herum gar nicht wahrzunehmen, während sie Hand in Hand über das Gelände schlenderten. Sie fragte sich, wie viele der diesjährigen, frisch verbandelten Paare später einmal so wie dieses ältliche Paar sein würden. Bevor sie herkam, hätte sie auf höchstens ein Prozent getippt. Aber jetzt war sie da nicht mehr so sicher. Auch das Paar vor ihr könnte einmal so werden. Alles schien auf einmal möglich.

„Wann reist ihr beide denn ab?“, fragte Keira.

„Heute noch“, sagte der Mann. „Jetzt, wo wir uns gefunden haben, gibt es keinen Grund, noch länger zu bleiben.“

„Und wie geht es weiter? Werdet ihr euch wiedersehen?“

„Ich nehme sie mit nach Hause“, antwortete der Mann. „Nach Dublin.“

Keira lachte, denn sie ging davon aus, dass er scherzte. Aber ein Blick zur Frau verriet ihr, dass es beiden sehr ernst damit war. Hätte sie die beiden gleich am ersten Tag kennengelernt, hätte sie sich darüber lustig gemacht, sie als irrational und unlogisch bezeichnet. Aber nachdem sie nun so viel gesehen und erlebt hatte, hoffte sie für die beiden, dass es mit ihnen klappte und gut ausging.

Sie klappte ihr Notizbuch zu. Das hatte keinen Sinn. So würde sie nie Material zusammen kriegen.

„Danke euch beiden“, sagte sie. „Ich wünsche euch viel Glück.“

Aber die beiden schienen sie längst wieder vergessen zu haben, waren nur noch mit sich selbst beschäftigt.

Keira kehrte zu ihrem B&B zurück. Der Ausflug zu Shanes Familie war ein Fehler gewesen. Es hatte viel Zeit gekostet und setzte sie nun noch mehr unter Druck, endlich mal etwas zu schreiben.

Ihr Handy klingelte. Es war Bryn.

„Hey, kleine Schwester“, sagte sie, als Keira abnahm. „Tut mir sehr leid wegen Zach.“

Sie hatte das Gefühl, als wäre das in einem anderen Leben gewesen. Hatten sie sich wirklich erst gestern getrennt?

„Ich glaube, ich bin schon drüber weg“, sagte Keira.

Bryn gackerte. „Um so besser. Soll ich rüber gehen ins Apartment, und ein paar Sachen rausholen?“

Es war Keira noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie nicht nur Single, sondern praktisch auch obdachlos war. Sobald sie wieder in New York war, würde sie sich eine neue Bleibe suchen müssen.

„Wenn du das machen könntest, das wäre toll“, sagte sie.

„Du klingst tatsächlich längst nicht so aufgebracht, wie ich erwartet hatte“, sagte Bryn misstrauisch. „Geht da was?“

Keira warf sich auf das Bett und seufzte. Es hatte keinen Sinn, etwas vor Bryn zu verheimlichen. „Es ist Shane. Ich glaube, ich habe mich in ihn verguckt.“

„Im Ernst?“

„Ja.“

„Du meinst, du willst mit ihm schlafen, oder?“

„Nein, ich meine, dass ich mit ihm zusammen sein will. Wir haben gerade den Tag mit seiner Familie verbracht und es war einfach großartig. Ich habe mich in diesen Ort verliebt, in die Familie. Er hat sechs Schwestern. Sechs! Und sie sind alle ganz wundervoll. Die Jüngste ist 16, sie heißt Hannah. Wir haben uns auf Anhieb super verstanden. Da war sofort eine Verbindung zwischen uns.“

Bryn schwieg einen Moment. Dann: „Keira, du kennst ihn nicht mal eine Woche. Und in der Zeit hatte er schon einen One-Night-Stand. Dem Typen kannst du nicht trauen.“

„Was?“, fuhr Keira auf. „Ich dachte, ausgerechnet du würdest mich wenigstens unterstützen.“

„Um eine Trost-Affäre zu haben, sicherlich. Aber nicht, um von einer Beziehung mit einem Idioten zu einer anderen Beziehung mit einem anderen Idioten zu springen. Ihr wohnt nicht einmal im selben Land. Es würde niemals funktionieren.“

Keira seufzte irritiert.

„Ich will nicht immer der Überbringer schlechter Nachrichten sein“, fügte Bryn hinzu, „aber es ist meine Pflicht als deine Schwester, dir so etwas zu sagen. Du magst Shane, weil er sexy ist, irisch, sportlich und aufregend neu. Ein Typ zum Flirten. Mehr nicht. Man kann ein paar Nächte Spaß mit so jemandem haben und das war es dann. Und falls du glaubst, er will mehr von dir, dann tut es mir leid, Keira, denn das ist nicht der Fall. Er weiß, wie er vorgehen muss. Das hast du selber gesagt.“

Es traf Keira wie ein Schlag, aber Bryn hatte vollkommen recht. Sie hatte sich einfach mitreißen lassen. Typen wie Shane hatte sie auch in New York getroffen. Mit solchen Männern ging Bryn üblicherweise aus. Immer wieder war sie auf solche Kerle reingefallen, dachte, dass sie es ernst meinten, aber sie wollten nur ins Bett mir ihr. Shane war ein Spieler, sie hatte den Beweis dafür doch selber gesehen.

„Keira?“, fragte Bryn.

„Tut mir leid, ich bin einfach…, wahrscheinlich hast du recht. Er kommt mir sicher nur deshalb alles so toll mit Shane vor, weil Zach so ein Vollidiot war.“

„Siehst du?“, sagte Bryn. „Flirte nach Herzenslust mit ihm, Schwesterchen. Hab deinen Spaß. Bloß rechne eben nicht damit, dass es mehr sein könnte.“

Mit diesem vernünftigen Rat ihrer Schwester endete das Gespräch. Statt dessen versuchte Keira, endlich ein wenig zu arbeiten. Sie versuchte, den Ton wiederzufinden, den sie bei ihrer Ankunft noch drauf hatte, aber als sie noch einmal las, was sie damals geschrieben hatte, konnte sie ihr altes Ich nicht mehr leiden. Sie schloss die Augen und dachte an Zach, ihre Wut auf ihn und versuchte, dieses Gefühl in den Text einfließen zu lassen, aber auch das gelang ihr nicht.

Sie bekam eine E-Mail von Joshua, mit nur einem einzigen Wort: Update?

Noch mehr Druck half nun wirklich nicht. Sie rutschte zum Fenster hinüber und versuchte, ein paar Gesprächsbrocken aufzuschnappen von den Menschen unten auf der Straße. In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft hatte sie der Lärm und alles gestört, aber selbst das Gefühl wollte sich nicht wieder herstellen lassen. Selbst die hässliche Tapete wirkte nun irgendwie putzig. Das Geplapper wirkte eher beruhigend als irritierend.

Sie schloss erneut die Augen und hatte sofort Shanes Bild vor sich. Dann hörte sie ein Geräusch am Fenster neben sich. Sie riss die Augen auf, gerade als ein Kiesel die Scheibe traf. Unten auf der Straße stand Shane, vom Mondlicht angestrahlt.

Schockiert öffnete Keira das Fenster.

„Du bist einfach weggelaufen, ohne dich zu verabschieden“, rief er hinauf.

„Tut mir leid“, rief sie zurück. Es war ihr sehr bewusst, wie schnell ihr Herz raste. Wie sollte sie ihm erklären, dass sie etwas Abstand gebraucht hatte? Dass es ihr schwer fiel, sich von ihm fernzuhalten, vor allem, um mal in Ruhe zu arbeiten?

„Also, sagst du schon Gute Nacht, oder kommst du runter zum nächsten Pferderennen?“, rief Shane.

Frisch rasiert und frisiert sah er einfach großartig aus. Bryns Warnung hallte noch in Keira nach. Einfach nur Spaß haben, keine Nähe zulassen, nicht verlieben.

Spaß. Den hatte sie sich aber verdient, oder?

Keira sprang auf. „Ich komme!“, rief sie hinunter.

Sie schloss eilig das Fenster, freudig erregt, Shane zu treffen. Sie klappte den Laptop zu und ignorierte Joshuas fordernde E-Mail.

Altersbeschränkung:
16+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
10 Oktober 2019
Umfang:
241 S. 2 Illustrationen
ISBN:
9781640291997
Download-Format:
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