Buch lesen: «Das Festival der Liebe», Seite 12

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KAPITEL SECHZEHN

Als Keira auf dem Weg zurück zum Pub war, klingelte das Handy in ihrer Tasche. Sie holte es heraus, in der Hoffnung, es könnte Shane sein, der telepathisch gespürt hatte, dass sie ihn suchte. Statt dessen las sie Joshuas Namen im Display.

Er hatte sich also doch noch dazu entschlossen, sie anzuschnauzen. Wahrscheinlich war die Dosis der Schmerzmittel für sein gebrochenes Bein reduziert worden.

Keira holte tief Luft und nahm den Anruf an.

„Die Zeit läuft, Keira“, sagte er mit drohendem Unterton. Wenigstens erst einmal Hallo zu sagen, wurde seiner Ansicht nach offenbar überbewertet. „Du bist noch nicht ansatzweise fertig. Wo bleibt der letzte Entwurf? Ich muss wissen, wie alles zusammengefügt wurde, vor allem mit dem katastrophalen Date, zu dem dich dieser Matchmaker geschickt hat.“

Der Rat von Simon und Sylvia klang ihr noch immer in den Ohren. Sie traf hier und jetzt eine Entscheidung. Sie würde sich nicht länger Joshuas Forderungen unterwerfen. Sie fühlte das nicht, der Artikel war lachhaft. Sie musste aus dem Herzen heraus schreiben, ihre eigene Wahrheit offenbaren. Sie würde einfach alles löschen, was sie bisher geschrieben hatte und noch einmal ganz von vorne anfangen. Sie würde etwas schreiben, was ihr tatsächlich etwas bedeutete. Sie würde ohne Ironie und Sarkasmus auskommen, ebenso ohne die herablassende Arroganz. Dieser Ort hatte sie etwas viel Wichtigeres gelehrt. Die Kraft der Liebe.

„Ich hatte kein Date, schon vergessen? Er hat keinen passenden Partner für mich gefunden.“ Sie musste lächeln bei dem Gedanken daran, was William mit seiner Weigerung bewirkt hatte. Sie war dabei gewesen, dieselben alten Fehler zu wiederholen, sich immer mit den falschen potentiellen Partner zu verabreden. Er wusste wirklich, was er tat und Keira sah das jetzt endlich ein.

„Wie soll der Artikel denn dann enden?“, keifte Joshua aufgebracht.

„Keine Sorge. Ich habe noch ein Ass im Ärmel, das wird dich umhauen.“

Sie war sich sicher, dass es das tun würde. Nur eben nicht auf die Art, wie Joshua wahrscheinlich erwartete.

„Sag mir, was es ist“, verlangte er. „Ich will sichergehen, dass du in die richtige Richtung arbeitest.“

„Ich habe eben ein Paar getroffen, dass hier geheiratet hat“, sagte Keira. „Das Liebespaar von Lisdoonvarna, so nennt man sie hier.“

„Okay. Und? Wo ist das Problem? Sind beide unfassbar hässlich? Betrüger? Wo ist der Haken? Was willst du da rausholen?“

Keira unterdrückte ein Lächeln. „Sagen wir mal, sie hatten einige interessante Anekdoten zu erzählen und einen guten Rat für junge Frauen.“

„Und der wäre?“, hakte Joshua nach. Er klang nicht gerade überzeugt.

Keira erreichte unterdessen das B&B. „Also, soll ich den Artikel jetzt schreiben, oder wollen wir noch ewig darüber quatschen? Ich wüsste ja, was von beidem mehr Sinn macht.“

Joshua gab einen wütenden Laut von sich. „Na schön, Swanson. Mach was du willst. Tust du ja sowieso immer. Wenn ich doch nur in der Zeit zurück reisen könnte und mir nicht das Bein brechen könnte, dann würde ich dafür sorgen, dass du diesen Auftrag im Leben nicht bekämst. Du machst nur Probleme. Ich musste vom Krankenbett aus die Sache regeln.“

Keira rollte mit den Augen. Sie hatte genug von seinen wütenden Tiraden gehört.

Sie legte auf und betrat den überfüllten Pub. Orin stand wie üblich hinter dem Tresen. Er schaute kurz auf und dann sofort wieder beiseite, als er sie hereinkommen sah. Keira hatte sich angewöhnt, ihm aus Scham aus dem Weg zu gehen und sich in ihrem Zimmer zu verkriechen. Aber jetzt ging sie voller Überzeugung direkt zu ihm hin.

„Was willst du trinken?“, fragte Orin und schaute sie erstaunt an.

„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte Keira. Simons und Sylvias Worte gaben ihr genügend Mut. „Was ich geschrieben habe, bereue ich sehr. Ich wollte die Anerkennung der falschen Leute damit erringen, wie meinen Boss daheim in New York. Aber inzwischen ist mir klar geworden, wenn man versucht, schlechten Menschen zu gefallen, dass man dann irgendwie selber ein schlechter Mensch wird.“

Orin schaute sie eine Weile an, als müsse er über ihre Worte nachdenken. Mit jeder Sekunde fühlte Keira sich besser. Sich zu entschuldigen, die eigenen Fehler einzugestehen, das war ein erhebendes Gefühl.

„Ich möchte, dass du als Erster erfährst, dass ich diesen Artikel nicht veröffentlichen werde“, fügte sie hinzu. „Ich werde ihn zurückziehen. Meine Redakteurin hat die neueste Version, sie ist eine Freundin. Ich werde sie bitten, den kompletten Text zu löschen, damit mein Boss ihn nicht in die Finger kriegt. Alles, was ich geschrieben habe, wird praktisch ausgelöscht.“

Orin runzelte die Stirn. „Was willst du denn stattdessen tun? Immerhin ist das doch wohl dein Job, oder?“

„Das ist mir egal“, sagte Keira. Und zu ihrer eigenen Überraschung stimmte das. Es war ihr wirklich vollkommen egal. Sie wollte einfach keine blödsinnigen, geifernden Artikel mehr schreiben, nur um Joshua zu beeindrucken. „Selbst wenn es mich den Job kostet, ist mir deine Freundschaft tausendmal wichtiger als Joshuas Anerkennung.“

Orin lächelte schließlich. Er kam um die Bar herum und nahm sie in den Arm. Keira spürte die väterliche Liebe, die sie schon verloren geglaubt hatte.

„Ich bin sehr glücklich, das zu hören, Keira.“ Er ließ sie los. „Aber du weißt, bei wem du wirklich um Entschuldigung bitten musst. Jemand, der hofft, dass du deine Meinung doch noch änderst, bevor du abreist.“

„Shane.“

Orin nickte. „Shane. Du solltest ihn anrufen.“

Keira kaute auf ihrer Unterlippe. Sie hatte Shane eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber das war längst nicht ausreichend. Sie musste sich anständig entschuldigen.

„Ich weiß“, sagte sie. „Aber ich habe eine Nachricht hinterlassen und er hat nicht darauf reagiert. Ich glaube, Shane will vielleicht nicht, dass ich angekrochen komme.“

Orin schaute sie ernst an. „Eine Nachricht? Du gibst ja schnell auf.“

„Ich wollte nicht wie ein Stalker erscheinen.“

„Möchtest du lieber dastehen, als jemand, dem es nichts bedeutet? So könnte man es nämlich interpretieren.“

Orin hatte recht. Eine Nachricht war lächerlich. Sie musste Shane zeigen, wie wichtig er ihr war. Aber ihr lief die Zeit davon.

KAPITEL SIEBZEHN

Oben in ihrem Zimmer hielt Keira das Telefon in ihren zitternden Händen und versuchte, ihren flatternden Atem unter Kontrolle zu bringen. Sie wählte Shanes Nummer, forderte ihn im Geiste auf, abzuheben, sie nicht länger auszuschließen. Aber er ging nicht dran. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein.

„Shane, ich bin es noch einmal. Ich weiß, du willst nicht mit mir reden, aber bitte hör mir zu. Ich muss dir so vieles sagen. Ich weiß, ich kann es nicht ungeschehen machen. Und ich verstehe, wenn du meine Entschuldigung nicht akzeptieren willst. Aber du bist mir sehr wichtig, Shane. Und ich reise morgen ab. Ich möchte nicht, dass wir so auseinander gehen. Ich möchte, dass du weißt, wie sehr es mir leid tut. Ich würde gern die Zeit zurückdrehen und diesen verdammten Artikel niemals schreiben. Es war falsch von mir. Ich war genau der Snob, den du in mir gesehen hast. Aber das hat sich nun geändert. Bitte, lass uns reden. Ich will nicht abreisen ohne ein anständiges Auf Wiedersehen.“

Sie legte auf. Diese Nachricht zu hinterlassen, war ihr schwer gefallen. Aber hatten Simon und Sylvia nicht gesagt, man müsse immer aufrichtig sein? Sie klang nervös und war es auch. Shane konnte das ruhig merken.

Sie saß auf ihrem Bett und starrte das Handy an. Das Atmen fiel ihr schwer. Sie war noch nie so unruhig gewesen. Selbst dann nicht, als Zach vor ihrer Abreise so ausgerastet war. Auch nicht, als Joshua sie vor der versammelten Belegschaft niedergemacht hatte. Jetzt erst verstand sie, dass es einen Grund dafür gab. Nichts davon hatte ihr wirklich etwas bedeutet. Oder zumindest weitaus weniger, als sie bisher angenommen hatte. Shane war wichtig. Wieso hatte sie so lange gebraucht, das zu erkennen und ihre Gefühle für ihn zu akzeptieren? Jetzt war es fast zu spät. Wenn Shane sie heute nicht mehr anrief, war es vorbei. Sie würde morgen nach Hause fliegen. Es würde keine Chance mehr auf eine Versöhnung geben.

Sie drehte Däumchen und starrte auf das Handy, als könne sie es beschwören, endlich zu klingeln. Dann klingelte es tatsächlich. Keira schlug das Herz bis zum Hals. Sie schnappte sich das Telefon. Aber es war nicht Shane, es war Zachary.

Keira spürte Wut in sich aufsteigen, als sie seinen Namen im Display las. Wie konnte er es wagen, sie jetzt anzurufen? Sie wollte den Anruf ablehnen, sie wollte weder Zacharys Stimme hören, noch die Leitung blockieren, für den Fall, dass Shane in dem Moment anrief. Aber dann hielt sie kurz inne. Warum sollte Zach sie überhaupt anrufen? Die Sache war doch abgehakt. Nach Wochen des Schweigens anzurufen, machte ihr Sorgen. Vielleicht hatte es etwas mit ihrem gemeinsamen Apartment zu tun? Oder noch schlimmer, etwas mit ihrer Mutter oder Schwester? Waren sie krank? Was, wenn er eine böse Diagnose bekommen hatte?

Sie sah ein, dass reine Spekulation alles nur noch schlimmer machte. Sie nahm den Anruf an.

„Ich dachte schon, du nimmst nicht ab“, sagte Zach.

Es war seltsam, seine Stimme wieder zu hören.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich es tun sollte“, gab sie zu. „Ich wollte nicht unbedingt deine Stimme hören.“

„Das ist fies.“

„Wirklich? Hast du wirklich erwartet, dass ich freundlich bin, nach der Art und Weise, wie du mich abserviert hast?“

Zach seufzte. „Ich rufe nicht an, um die Vergangenheit wieder aufzukochen.“

„Davon war ich ausgegangen. Du kommst schließlich nicht gerade gut dabei weg.“ Keira kochte innerlich. All der angestaute Zorn brach sich endlich Bahn.

„Keira, kannst du mal einen Moment den Mund halten? Ich muss dir etwas sagen.“

Sie wollte ihm etwas Gemeines an den Kopf werfen, aber sein Ton ließ sie besorgt die Bemerkung herunterschlucken. „Was ist passiert? Ist alles in Ordnung?“

Ihre Fantasie ging sofort mit ihr durch, malte sich die schlimmsten Szenarien aus. So wenig sie Ruth auch mochte, sie wollte dennoch nicht hören, dass sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

„Nun, tja, du kommst ja morgen nach Hause, richtig?“

Er klang nervös. Keira fragte sich, warum.

„Ich lande gegen Mittag. Aber mach dir keine Sorgen, ich tauche nicht plötzlich im Apartment auf. Ich komme erst einmal bei Bryn unter und melde mich dann, um meine Sachen abzuholen.“

Am anderen Ende der Leitung herrschte für einen Moment Schweigen. Dann sprach Zach wieder.

„Genau das meine ich, Keira. Vielleicht ist es etwas übereilt, gleich auszuziehen? Ich meine, wir haben ja nach dem Streit nicht mehr richtig miteinander geredet.“

Keira war verwirrt. „Ist das irgendwie ein neuer Trend in der Beziehungsaufarbeitung, von dem ich nichts weiß?“, fragte sie. „Muss man nach einer Trennung noch mal von Angesicht zu Angesicht sprechen?“

„Ich dachte eben, es wäre eine gute Idee. Am Telefon, da sagt man vielleicht Dinge, die man besser nicht gesagt hätte.“

Keiras Verwirrung wuchs. „Meinst du da etwas ganz Bestimmtes?“

Wieder gab es eine längere Pause.

„Ich meine, woher sollen wir wissen, ob es wirklich aus ist, wenn du einen ganzen Monat lang nicht da bist? Wir haben uns weder gesehen noch miteinander gesprochen. Vielleicht empfinden wir anders, wenn wir uns persönlich treffen.“

„Ich glaube nicht, dass ich anders darüber denken werde, dass du mich betrogen hast. Oder vielmehr, ich bin vielleicht von Angesicht zu Angesicht noch wütender darüber. Da kann man sich alles gleich noch viel besser vorstellen.“

„Keira, bitte“, sagte Zach. „Das ist schwierig für mich.“

„Was ist schwierig?“ Keira fühlte sich erschöpft von diesem Gespräch. „Du sagst doch gar nichts.“

„Ich finde schon.“

„Nein, kein Stück.“ Ihr fielen Simons und Sylvias Rat ein, sich zu entschuldigen, die eigenen Fehler zu akzeptieren, einzusehen, dass man unrecht hatte, ehrlich zu sein und aus dem Herzen zu sprechen. Zach schien das alles nicht zu können.

„Ich meine, wir sollten es noch einmal versuchen“, sagte er schließlich. „Sehen, wie es läuft. Du kommst zurück ins Apartment, wir trinken was zusammen und dann schauen wir mal. Verstehst du? Wir reden von Angesicht zu Angesicht.“

Keira glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. „Du meinst, wir kommen wieder zusammen?“ Sie verstand nicht, woher das auf einmal kam.

„Sicher“, sagte Zach. „Vielleicht.“

Seine ausweichende Haltung machte sie rasend. Er konnte nicht einmal ein einfaches Ja über die Lippen bringen, weil er damit hätte zugeben müssen, einen Fehler gemacht zu haben. Nicht, dass es für sie noch etwas geändert hätte. Sie war über Zach hinweg. Dieses Telefonat bestätigte ihr nur noch einmal, was sie längst wusste.

„Warum sollte ich das wollen?“, fragte sie. „Warum solltest du das wollen? Ich werde niemals die Frau sein, die du suchst. Du weißt schon, eine Frau ohne eigene Ambitionen, eine, die immer deine Interessen über ihre eigenen stellt.“

„Das habe ich nie von dir verlangt“, protestierte Zach. „Ich habe deine Karriere immer unterstützt.“

Keira brach in schallendes Gelächter aus. „Genau. Jemandem ein Ultimatum zu stellen, sich zu entscheiden zwischen einer großartigen beruflichen Chance oder dem Ende der Beziehung, das ist ein sehr deutlicher Hinweis auf einen Partner, der einen voll und ganz unterstützt.“

„Jetzt bist du aber komisch. Das war nie im Leben ein Ultimatum.“

Keira warf entgeistert die Arme in die Luft. Zachary bastelte sich das alles so zurecht, wie es ihm in den Kram passte. Es war zum aus der Haut fahren.

„Ich denke, ich weiß, wie der Hase läuft. Deine kleine Affäre mit Julia hat sich schon wieder erledigt und jetzt hängst du in der Luft. Jetzt hör mal gut zu: auf mich musst du da verzichten.“

„Das stimmt doch gar nicht. Es geht nicht nur um Sex. Was wir hatten, war doch großartig.“

Und schon wieder erfand er die Vergangenheit neu.

„Vielleicht war es das für dich“, sagte Keira ernst. „Aber nicht für mich.“

„Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte Zach, als habe er nicht einmal gehört, was sie gesagt hatte. „Ich hole dich vom Flughafen ab. Wir essen irgendwo eine Kleinigkeit. Reden wie Erwachsene miteinander.“

Sie holte tief Luft. „Zach, das wird nicht passieren. Du bist der letzte Mensch, den ich nach meiner Rückkehr nach New York sehen will.“

„Jetzt übertreibst du aber. Schauen wir doch einfach, wie es läuft, wenn wir uns wiedersehen. Ich wette, es kribbelt wieder zwischen uns.“

„Du hörst mir nicht einmal zu!“, schrie Keira. Sie hatte jeden Funken Geduld verloren. „Ich will nichts mehr von dir! Ich will nicht mit dir reden und ich will auch keinen verdammten Kaffee mit dir trinken! Ich liebe dich nicht!“

„Ich verlange doch gar nicht, dass du mich liebst“, antwortete Zach. „Vorher hatte es ja auch nichts mit Liebe zu tun.“

„Aber wozu dann das alles?“ Keira verstand, dass dies die entscheidende Frage war. „Warum sollte man mit jemandem zusammen sein, der einem nicht die Welt bedeutet?“

Shanes Gesicht erschien vor ihrem geistigen Auge. Ihre Sehnsucht nach ihm wuchs noch mehr.

„Weil wir Spaß miteinander hatten“, antwortete Zach. Er sprach schneller, zeigte ganz eindeutig Nerven. Vielleicht kapierte er es jetzt endlich.

„Das ist genau der Punkt“, sagte Keira. „Wir hatten keine tolle Zeit miteinander. Wie passten überhaupt nicht zusammen. Wenn man nach zwei Jahren Beziehung sich immer noch nicht liebt, dann wird das auch nichts mehr. Und das liegt nicht daran, dass sich in der modernen Welt die Liebe geändert hätte. Wir hatten einfach keine tiefen Gefühle füreinander. Tut mir leid, Zach. Aber das habe ich endlich verstanden.“

„Ich verstehe es aber nicht. Du bist einen Monat weg und hast dich selbst da gefunden, oder was? Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?“

Keira wurde bewusst, wie wenig sie seine Meinung noch interessierte. Es war ihr auch vollkommen egal, ob Zachary glücklich war.

„Vielleicht aus deiner Perspektive. Aber das ist mir gleich. Es ist, was es ist. Ich habe mich verändert. Und mit uns ist es aus. Uns, das gibt es nicht mehr. Endgültig.“

Zach schien es noch immer nicht zu kapieren. „Wie wäre es, wenn ich dir ein paar Tage zur Eingewöhnung gebe? Zurück in den New Yorker Trubel?“, schlug er voller Hoffnung vor.

„Nein!“, rief Keira. „Hör doch mal zu! Ich sagte nein. Ich liebe dich nicht. Habe ich nie. Werde ich nie. Ich liebe jemand anderes.“

Die Worte stolperten ihr über die Zunge. Sie war selber erstaunt, sie zu hören. Aber es stimmte. Sie liebte Shane. Das hatte sie hier gelernt. Liebe war real, denn sie hatte sie bei ihm gefunden.

„Wen?“, fragte Zach.

„Niemanden, den du kennst.“

„Jemanden in Irland?“ Sein Ton hatte sich verändert. Keira konnte die Herablassung in seiner Stimme hören. „Das ist doch wohl zum Scheitern verurteilt, meinst du nicht?“

Keira zuckte mit den Schultern und atmete tief durch. „Kann sein.“ Es gab weiter nichts zu sagen. Nur weil sie mit Shane vielleicht nicht zusammen sein konnte, war das nicht gleichbedeutend mit der Rückkehr zu Zach. Das würde sie niemals tun.

„Ich muss los. Leb wohl, Zach.“

Sie legte auf, bevor er antworten konnte.

Sie setzte sich wieder auf das Bett und schaute auf das Telefon in ihrer Hand. Aber sie hatte genug davon, hier zu sitzen und zu warten, ob sich etwas tat. Sie hatte sich gerade selber eingestanden, Shane zu lieben. Sie würde hier nicht sitzen und warten, ob er sich rührte. Ihr lief die Zeit davon. Er musste es erfahren. Und sie musste es ihm einfach sagen.

Sie verließ ihr Zimmer und eilte die Treppe hinunter. Im Pub winkte sie Orin hinter dem Tresen zu.

„Er ist heimgefahren, nicht wahr? Zu seinen Eltern?“

Orins Gesicht zeigte Unentschlossenheit „Er hat gesagt, ich soll es dir nicht sagen.“

Das tat weh. Aber Keira war fest entschlossen.

„Hast du ja auch nicht. Ich bin von allein drauf gekommen. Du hast nur genickt.“

Orin blickte verstohlen nach links und rechts, ob es vielleicht Ohrenzeugen gab. Dann nickte er knapp.

Keira lächelte ihn triumphierend an. Dann eilte sie aus dem Pub, ausgerüstet mit allem, was sie brauchte: mit einem klaren Ziel vor Augen und einem heftig pochenden Herzen.

KAPITEL ACHTZEHN

Keira umklammerte fest das Lenkrad ihres Leihwagens. Sie konnte sich nur noch vage an den Weg durch die Orte mit den lustigen Namen erinnern. Shane hatte Fotos der Ortsschilder an Bryn und Nina geschickt. Sie hatten viel gelacht an dem Tag. Es war verrückt, hier durch die Landschaft zu fahren, zu einem Mann, den sie gerade mal einen Monat kannte, um plötzlich auf seiner Matte zu stehen und ihm ihre Liebe zu gestehen. Ja, das klang verrückt. Wenn Bryn sie nur so sehen könnte.

Es war bereits Mittag und Keira wurde bewusst, dass sie nichts gegessen hatte, und wahrscheinlich auch nichts bekommen würde in den nächsten paar Stunden. Aber das war ihr egal. Sie konnte die Nahrungsaufnahme auch einmal überspringen.

Die Fahrt schien ewig zu dauern. Das Übermaß an Adrenalin, das durch ihren Körper rauschte, half auch nicht, denn es ließ die Zeit eher noch langsamer vergehen. Sie schaute ständig auf ihr Handy, in der Hoffnung, Shane hätte ihr vielleicht geantwortet. Das hätte ihr wenigstens etwas die Anspannung genommen, die sie seit seiner Zurückweisung empfand. Aber da war nichts. Sie grübelte, ob er ihr letzte Nachricht überhaupt abgehört hatte, und falls ja, wie er darüber wohl denken mochte. Ob er sie wohl hasste? Wie würde er es aufnehmen, wenn sie plötzlich bei ihm vor der Tür stand? Wie eine Besessene. Aber dann fielen ihr Simon und Sylvia wieder ein, ihr Ratschlag, ihre Worte, ihre Liebe. Das gab ihr Mut. All die Erinnerungen an das Festival vermischten sich in ihrem Kopf, jeder einzelne Moment hatte sie einen Schritt näher hierher gebracht, sie mehr und mehr in eine hoffnungslose Romantikerin verwandelt.

Sie brauchte vier Stunden, bis sie endlich die Straße erreicht hatte, die ihr bekannt vorkam, die Hauptstraße in Shanes Heimatort. Sie erinnerte sich an die Witze, die er über die vermeintlichen Sehenswürdigkeiten gemacht hatte. Das 'Postamt' und der 'Nachtclub'. Die Eselin Doris. Ihr Herz raste vor angespannter Erwartung.

Angestrengt hielt sie Ausschau nach dem matschigen Trampelpfad, der zur Farm der Familie führte. Hier sah alles gleich aus, die Straßen waren nichts weiter als Furchen, die der Traktor hinterlassen hatte. Dann erkannte sie den richtigen Weg. Sie konnte nicht einmal genau sagen, woran sie ihn erkannte, denn er sah genau so aus, wie alle anderen. Aber eine innere Stimme sagte ihr, dass sie den richtigen Weg gefunden hatte.

Sie riss das Lenkrad nach links, das Auto geriet ins Stottern, denn sie hatte vergessen, in den ersten Gang herunterzuschalten. Viel zu schnell für ihren Geschmack fuhr sie die holprige Strecke entlang.

Direkt vor ihr versperrte etwas den Weg. Sie konnte gerade noch in die Bremsen steigen. Sie wurde nach vorn in den Gurt gepresst. Das Auto kam direkt hinter einer Schafherde zum Stehen.

Keira sank zurück in ihren Sitz. Der Motor ging aus und Stille kehrte ein.

Sie atmete mehrmals tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen. Alles war heile geblieben, sie selbst und auch das Auto. Keira starrte hinaus auf Hunderte von Schafen. Da war kein Durchkommen.

Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, stieß Keira die Autotür auf, sprang heraus und ließ es mitten auf dem Weg zurück. Sie musste sich zwischen der Hecke und den Schafen hindurch quetschen, die sich wie ein langsam dahinfließender Fluss bewegten. Der Geruch war wenig angenehm und die Schafe mochten den menschlichen Eindringling kein bisschen. Keira war nie bewusst gewesen, wie bedrohlich eine Schafherde aus der Nähe wirken konnte. Die Tiere starrten sie an, als wollten sie sie abschätzen. Sie schluckte schwer und schob sich weiter durch die Herde.

Bald schon stand sie mitten drin. Wohin sie auch schaute, weiße Wolle. Sie konnte nicht einmal mehr ihre eigenen Füße sehen. Umso deutlicher spürte sie, wie tief sie in Schafmist stand.

Dann endlich sah sie ein Licht am Ende des Tunnels. Sie hatte fast schon das vordere Ende der Herde erreicht. Inzwischen nahm sie auch ihre Arme zur Hilfe, um sich durch die Herde wie durch Wasser zu bewegen. Dann hatte sie es endlich geschafft. Sie verlor keine Zeit und rannte den Rest des Weges bis zum Farmhaus.

Als sie die Farm erreichte, keuchte sie vor Anstrengung. Sie war völlig durchgeschwitzt. Der Gestank von Schafmist klebte noch immer sehr penetrant in ihrer Kleidung. Sie schaute an sich herab und sah, dass ihre Jeans bis zum Knöchel damit beschmiert waren. Aber selbst wenn sie aussah wie irgendein Wesen aus dem Sumpf, so ließ sie sich doch nicht davon aufhalten.

Sie eilte bis zur Tür des Farmhauses und klopfte.

Die Tür wurde aufgerissen. Da stand Hannah. Als sie Keira erkannte, weiteten sich ihre Augen.

„Keira?“, keuchte sie. „Bist du das?“

Keira holte tief Luft, sie war immer noch außer Atem von ihrem kleinen Spurt. Sie konnte nur nicken.

„Was ist mit dir passiert?“, fragte Hannah.

Keira konnte nur ein einziges Wort japsen. „Schafe.“ Sie wies mit dem Daumen hinter sich.

„Oh nein“, stöhnte Hannah und blickte an ihr vorbei, den Pfad entlang. „Die Schafe sind schon wieder ausgebrochen.“ Sie blickte über ihre Schulter zurück zum Haus. „Dad! Die Schafe sind los!“

Keira wedelte mit den Armen, um Hannahs Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. Es gab wahrlich Wichtigeres als entlaufene Schafe!

„Shane“, stotterte sie. „Ist er hier?“

Hannah hielt inne und musterte sie misstrauisch. „Vielleicht.“

Keira richtete sich auf, die Seitenstiche ließen endlich etwas nach.

„Kannst du ihm sagen, dass ich hier bin?“, bat Keira. „Hannah, bitte? Ich habe es furchtbar versaut, das weiß ich. Aber ich muss unbedingt mit ihm reden.“

Hannah verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, bedrohlich auszusehen. Aber dafür war sie viel zu niedlich. Keira hielt es für klüger, ihr das nicht zu sagen.

„Verstehe“, sagte sie knapp. „Aber ich kann nichts versprechen.“

Sie schloss die Tür und ließ Keira einfach draußen auf der Treppe zurück. Keira konnte durch die Tür Geräusche auf der anderen Seite hören, Shanes Schwestern unterhielten sich offenbar angeregt.

Die Tür flog wieder auf und Calum stand da, gestiefelt, mit dem Hütehund der Familie zu seinen Füßen.

„Hallo Keira“, sagte er und lächelte breit. „Ich muss mich mal eben um das Schafproblem kümmern.“

Dann eilte er den Pfad entlang. Keira blickte durch die offene Tür und sah Shanes sechs Schwestern im hellen Korridor stehen, wie sie verschwörerisch die Köpfe zusammensteckten und diskutierten.

„Aber Shane hat gesagt, er will sie nicht sehen“, sagte Neala.

„Das war nur in der Hitze des Gefechts, sozusagen“, widersprach Mary. „Er ändert seine Meinung ganz sicher, wenn er erfährt, dass sie den ganzen Weg hergekommen ist, um ihn zu sehen.“

„Wir sollten ihm wenigstens sagen, dass sie da ist“, stimme Elaine ihr zu.

„Aber du hast doch gesehen, wie wütend er war, als er ihre Nachricht bekommen hat“, fügte Siobhan hinzu.

Es war Keira unangenehm, ihrem Gespräch zu lauschen. Sie hüstelte, um ihre Anwesenheit kundzutun. Die Schwestern fuhren herum und sahen mit Entsetzen, dass sie in der Tür stand.

„Tut mir leid“, sagte Keira. „Euer Vater kümmert sich um die Schafe und hat die Tür offen gelassen.“

Alle sechs Schwestern starrten sie an. Neala ergriff schließlich das Wort.

„Keira, ich denke, es ist klüger, wenn du wieder gehst“, sagte sie. „Shane möchte dich nicht sehen.“

Hannah unterbrach sie. „Mädels, wir sollten ihr eine Chance geben. Meint ihr nicht?“

Die Schwestern tauschten vielsagende Blicke und dachten darüber nach. Schließlich gaben sie nach.

„Ich schätze, es ist seine Entscheidung“, sagte Aisling mit einem Schulterzucken.

Hannah sah begeistert aus, als sie die Treppe hoch flitzte, um Shane zu holen. Keiras Magen schlug Purzelbäume bei dem Gedanken, ihn wiederzusehen, nachdem es so unglücklich geendet hatte zwischen ihnen.

Und da stand er dann plötzlich, oben auf dem Treppenabsatz.

Sehnsucht und Begehren überkamen sie mit Macht bei seinem Anblick. Ihr Mund war trocken, die Handflächen verschwitzt und sie konnte ihr Herz spüren, das ihr bis zum Hals schlug.

Shane betrachtete die Szene am Fuß der Treppe, blickte auf die Frauen, die erwartungsvoll zu ihm aufschauten. Keira wünschte sich, sie hätten nicht so viel Publikum, es war auch so schon schwierig genug.

Shane kam langsam die Treppe herunter. „Was machst du hier, Keira?“

Keira schaute die Schwestern der Reihe nach an. Sie alle ließen sie nicht aus den Augen.

„Können wir uns vielleicht unter vier Augen unterhalten?“

Shane erreichte den Fuß der Treppe und verschränkte die Arme. „Ich denke nicht, dass es noch etwas zu besprechen gibt. Ich finde, du hast alles in deinem Artikel gesagt.“

„Doch, da gibt es noch etwas“, rief Keira aus. „Glaube mir, da gibt es noch eine ganze Menge zu sagen.“

Shane schaute sie prüfend an und holte tief Luft. „Na gut. Schwestern, könntet ihr uns bitte allein lassen?“

Die Schwestern schauten einander an, offenbar enttäuscht, dass sie das Drama nicht mit eigenen Augen erleben würden. Aber sie folgten seiner Aufforderung und gingen in die Küche. Keira ging davon aus, dass sie an der Tür lauschen würden. Sie würden noch genug mitkriegen.

Nachdem sich die Tür zur Küche geschlossen hatte, widmete Keira ihre ganze Aufmerksamkeit Shane. Er hob fragend eine Augenbraue.

„Also?“

Keira schluckte ihre Nervosität herunter. „Ich werde den Artikel nicht benutzen. Das bin ich nicht. So denke ich nicht. Ich wollte die falsche Person beeindrucken. Aber jetzt weiß ich, was wirklich wichtig ist.“

Shane verschränkte erneut die Arme. „Und das wäre?“

Die Worte polterten nur so hervor, die Wahrheit, die Intensität ihrer Gefühle für ihn.

„Du, Shane“, stammelte sie. „Du und ich. Alles hat sich geändert, seit ich hergekommen bin. Ich war nur zu stur, um es zu erkennen. Ich wollte nicht, dass es wahr ist.“

„Was wolltest du nicht wahrhaben?“

„Die Tatsache, dass ich mich in dich verliebt habe.“

Shanes Augenbrauen wanderten noch ein Stück höher. Keira verkrampfte sich innerlich. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nie so mutig gewesen, viel mutiger als in dem Moment, als sie sich für diesen Job angeboten hatte, damals, in Elliots Besprechungszimmer. Es war gleichermaßen furchterregend und erhebend.

„Du liebst mich?“, fragte Shane. Er klang schockiert und ungläubig.

Keira warf hilflos die Arme in die Luft. „Jap. Und morgen reise ich ab. Ich wollte nicht gehen, ohne es dir zu sagen. Und da du auf meine Anrufe nicht reagiert hast, blieb mir nichts anderes übrig, als herzukommen.“

Es lief nicht so, wie Keira gehofft hatte. Shane nahm sie nicht einfach in den Arm und küsste sie. Er hatte weder gelächelt, noch einen Witz gemacht. Der vorwitzige Kerl, in den sie sich verliebt hatte, hielt sich bedeckt.

Altersbeschränkung:
16+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
10 Oktober 2019
Umfang:
241 S. 2 Illustrationen
ISBN:
9781640291997
Download-Format:
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