Lust oder Liebe

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Lust oder Liebe
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Silke May

Lust oder Liebe

Roman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1.Kapitel

2.Kapitel

3.Kapitel

4.Kapitel

5.Kapitel

6.Kapitel

7.Kapitel

8.Kapitel

9.Kapitel

10.Kapitel

11.Kapitel

12.Kapitel

13.Kapitel

14.Kapitel

15.Kapitel

Impressum neobooks

1.Kapitel

Verloren sah sie in den dichten Nebel. Von der Ferne war das Pfeifen eines herannahenden Zuges zu hören.

Drei kleine weiße Lichter tauchten aus der dicken Nebelsuppe auf. Zum wiederholten Mal war ein Pfeifen zu hören, das an Nähe gewann. Die Lichter des Zuges wurden immer größer, jetzt konnte man schon das Hämmern der Räder hören.

Sandra sah auf die herannahenden Lichter des Zuges. Tränen liefen ihr dabei übers Gesicht. In diesem Augenblick erschienen schemenhaft aus den drei Lichtern drei kleine Gesichter.

Der Zug fuhr unter der Brücke hindurch, und das Hämmern der Räder verhallt im dichten Nebel.

Sandra kniete am Boden, ihr Kopf lehnte am Brückengeländer, der Schock saß ihr noch in den Gliedern. Beinahe hätte sie in ihrer Verzweiflung ihre Kinder vergessen, die sie über alles liebte. Ein Frösteln durchfuhr ihren Körper, sie sah auf ihre Hände, die vor Aufregung zitterten. Ihr Blick verharrte auf ihrem Ehering, das Licht der Straßenlaterne verlieh ihm einen matten Schimmer. Sie berührte sanft den Ring und flüsterte: „Warum musste es mit uns soweit kommen, es war doch einmal unsere große Liebe.“

Ihre Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Sandra dachte an die schönen Jahre, die für sie beide sehr glücklich waren und wie schön es war, als ihr erstes Kind zur Welt kam. Wie stolz waren sie auf Oliver, nach zwei Jahren kamen dann die Zwillinge Sonja und Tina auf die Welt. Ganze zwei Tage feierte Hans mit seinen Kegelbrüdern aus Freude über das doppelte Glück. Sie werde nie das Bild der Harmonie vergessen, als Hans sie in der Klinik besuchte. Als er mit den Zwillingen im Arm am Bettende saß und Oliver dicht neben ihm. Wie stolz er doch war, es war eine wunderschöne Zeit.

Hans bekam sehr bald in seiner Firma eine höhere Position, und das Schicksal nahm seinen Lauf.

Endlich konnten sie sich ein kleines Häuschen mit Garten für die Kinder leisten. Sandra bekam ihr eigenes kleines Auto, schließlich musste sie als die Frau eines Ingenieurs, einen eigenen fahrbaren Untersatz besitzen. Hans machte von dieser Zeit an immer öfter Überstunden, es ging sogar soweit, dass er am Abend seine Kinder nicht einmal mehr sah. Seine nächste Beförderung ließ auch nicht lange auf sich warten, und wieder stand ein Umzug ins Haus. Hans wollte unbedingt ein größeres Haus, damit sie öfters Gäste einladen konnten.

Die Verpflichtungen wuchsen, und Sandra kam bald mit den Einladungen und dem Haushalt nicht mehr zurecht. Also war Hans kurzerhand entschlossen, ein Hausmädchen musste her.

Sie hatten Glück und bekamen eine wahre Perle. Sandra brauchte sich um nichts mehr zu kümmern, und ein Leben in Luxus und Freiheit begann.

Sie feierten ausgiebige Partys und gingen öfters ins Theater. Im Winter gab es einen Ski-Urlaub in Davos. Im Sommer ging es nach Spanien oder in ein anderes fernes Land. Sie führten ein Leben in Luxus, das allerdings seinen Preis hatte.

Hans veränderte sich sehr. Das Geld und der Umgang mit den Neureichen hinterließen Spuren in seinem Charakter. Sandra hasste diese Abende, wenn ganz bestimmte Gäste kamen. Es wurde unkontrolliert getrunken und schlüpfrige Spiele gespielt. So ein Abend ging auch heute voraus, als es zum großen Bruch kam.

2.Kapitel

Laute Musik und Lachen erklangen durchs ganze Erdgeschoss, ihres Hauses. Paare wiegten sich in den Melodien, die aus der Stereoanlage kamen. Andere saßen zusammen und erzählten sich gesittete oder obszöne Witze.

Sandra tanzte mit einem der Gäste, den sie als Einzigen für normal hielt, ausgerechnet ihn- hatte Karin, eine sogenannte gute Freundin des Hauses mitgebracht. Sandra ahnte, dass Karin ihn nur zum Schein mitgebracht hatte. Karin hatte es immer schon auf Hans abgesehen und sie konnte es Sandra auch nie verzeihen, dass Hans sie zur Frau genommen hatte.

Auch heute war immer noch zwischen beiden Frauen eine leicht frostige Stimmung, welche aber ganz besonders von Karin ausging.

Die Party und die Stimmung hatten ihren Höhepunkt erreicht. Einige der Gäste hatten schon große Mengen von Alkohol zu sich genommen und lagen bereits eng umschlungen in den Sitzkissen oder auf den Sofas. Sandra sah auf die Uhr, es war schon weit nach Mitternacht und sie überlegte, wie sie die Party beenden konnte, ohne Hans bloß zu stellen oder die Gäste zu verärgern. „Entschuldige, aber ich muss kurz nach den Kindern sehen“, sagte sie kurz und befreite sich aus den Armen ihres Tanzpartners.

Sandra verließ den Raum und ging in die Küche, dort stand Maria ihre Hausperle am Kühlschrank und nahm sich gerade einen Saft heraus.

„Du bist noch wach?“, fragte Sandra.

„Ja, Oliver wurde öfters wach und sie wissen ja, dass er dann ziemlich lang braucht, bis er wieder einschläft. Jetzt habe ich ihn in mein Zimmer gebracht und da schläft er jetzt auf meinem Sofa.“

„Und was ist mit den Zwillingen?“

„Die schlafen fest. Ich glaube die könnte man wegtragen, dann würden sie es nicht spüren.“ Sandra schüttelte den Kopf.

“Ich weiß wir sind zu laut. Ich werde versuchen die Party bald zu beenden.“

„Wegen mir ist es nicht nötig und Oliver ist jetzt weit vom Lärm entfernt. Ich sehe hernach noch einmal kurz zu den Mädchen, dann gehe ich zu Bett.“ Sandra strich Maria liebevoll über den Arm.

„Sie sind ein Schatz! Was würde ich wohl ohne Sie machen? Gute Nacht, Maria schlafen sie gut.“ Sandra ging den langen Flur entlang – zurück zur Party. Schon im Korridor dröhnte ihr bereits durch die geschlossene Zimmertür Musik entgegen. Als sie eintrat, saßen die Gäste in einem großen Kreis. In der Mitte stand ein Stuhl, auf dem bereits Karin saß. Sandra stockte kurz im Schritt, denn sie hatte gehofft, dass es diesmal ohne diese blöden Spiele gehen würde.

„Sandra ist die Nächste!“, schrie ein angetrunkener Arbeitskollege von Hans.

„Oh nein, ich weiß ja nicht einmal, was ihr da spielt?“

„Hi, hi ... sie weiß nicht was wir spielen?“, lachte Karin anzüglich auf. „Setz dich und schau zu, bist du an der Reihe bist! Es ist dem Spiel was wir sonst immer spielen sehr ähnlich“, sagte Hans. „Kann ich dann die Musik wenigstens etwas leiser machen, wegen der Kinder?“

„Du darfst es!“, gab Hans gönnerhaft von sich. Das war das sichere Zeichen für Sandra, dass auch er bereits einiges an Alkohol konsumiert hatte.

Schon nach den ersten zwei Verlierern wusste Sandra über den Ausgang des Spieles Bescheid, denn sie verloren absichtlich.

Das Ganze lief darauf hinaus, dass am Ende alle nackt im Kreis sitzen würden. Ab diesem Zeitpunkt musste dann der Verlierer den Küssen, der die Frage gestellt hatte.

Nein, heute würde sie nicht mitmachen, denn ihr ekelte noch vom letzten Mal. Sandra ärgerte sich über Hans, denn er hatte ihr nach der letzten Party versprochen, dass er solche Spiele nicht mehr zulässt.

Sandra stand auf und wollte die Runde verlassen.

„Was ist mit dir los?, fragte Hans.

„Ich habe Kopfschmerzen.“

„Das ist doch nur eine Ausrede, sie will sich nur nicht ausziehen! Sie ist eine. Spielverderberin!“, gab einer der Gäste von sich und Karin stimmte ihm lauthals zu. „Setz dich hin und mach mit!“, wurde sie von Hans aufgefordert. Nun wurde Sandra wütend, denn mit welchem Recht bevormundete sie Hans? „Nein, ich denke nicht daran. Spielt doch Eure Spielchen allein, wenn ihr es nötig habt!“

„Du bist wohl ein Kleines rühr mich nicht an! Oder sind wir der Dame nicht gut genug?“, lästerte ein junger schmieriger Typ. „Wisst ihr, was ich von euch alle halte ...?“

„Sandra!“ unterbrach sie Hans drohend.

Sie verließ die Runde und ging aus dem Raum. Sandra ging schnellen Schrittes ins Schlafzimmer. Hans folgte ihr und stellte sie böse zur Rede.

„Was bildest du dir eigentlich ein? Mich so vor meinen Gästen bloß zu stellen?“

 

„Deine Gäste passen ganz gut zu dir, sie sind genauso darauf aus – ganz offiziell fremd zu gehen. Weißt du wie man das nennt? ...“

Sandra spürte einen starken Schmerz auf ihrer Wange. Hans hatte sie geohrfeigt. Eingeschüchtert stand sie vor ihm, denn so weit ist er bisher noch nie gegangen. Sandra war furchtbar enttäuscht und wollte das Zimmer verlassen.

„Hau ab! Ich rate dir verschwinde, bevor ich mich vergesse!“, schrie sie Hans plötzlich an und war sichtlich zornig. Sandra bekam es mit der Angst und lief hinaus in den Garten. Hans folgte ihr und warf ihr ihre Tasche nach.

„Die Tasche wirst du brauchen, denn zurück brauchst du nicht mehr kommen, denn das würde dir leidtun! Ich lass mir doch von dir nicht meine Zukunft kaputtmachen!“

Sandra war geschockt und verließ panisch den Garten.

Wie sie wegkommen sollte - wusste sie nicht, aber dass sie weg musste und das schnell, war ihr klar. Sie ging die Hauptstraße entlang und fröstelte, denn es war kalt geworden. Auf den Feldern bildete sich bereits Nebel, aber noch war über ihr ein sternenklarer Nachthimmel. Sandra wusste nicht, was sie jetzt machen sollte. Noch schwirrten ihr die letzten Bilder und Stimmen durchs Gedächtnis, es war für sie ein Albtraum.

Sie hörte im Unterbewusstsein neben sich ein Auto anhalten. Sie reagierte aber erst, als eine dunkle Männerstimme sie ansprach.

„Junge Frau, wo möchten Sie denn mitten in der Nacht so leicht bekleidet hin?“

Sandra wollte sich schon abwehrend verhalten, da hörte sie eine Frauenstimme.

„Du siehst doch, dass sie Probleme hat! Kommen sie- steigen sie ein, wir können sie bis München mitnehmen, vorausgesetzt sie möchten dorthin.“

Sandra überlegte kurz, denn sie musste schnell weg. „Nach München, ja dorthin möchte ich.“

Sie setzte sich hinten ins Auto und die Frau fuhr los. Sandra merkte, dass die Frau immer wieder in den Rückspiegel sah und sie beobachtete.

„Möchten Sie darüber reden?“, fragte sie behutsam. „Lieber nicht, damit muss ich allein fertig werden.“

Ab jetzt herrschte tiefes Schweigen über die restliche Zeit der Fahrt.

Sandra war ganz in sich gekehrt, als plötzlich der Wagen stehen blieb und die Frau zu ihr sprach:

„Wir sind jetzt bei der Hackerbrücke, wenn sie wollen, können sie hier aussteigen, denn wir wohnen hier in der Nähe. Oder sollen wir Sie zum Hauptbahnhof bringen?“

„Nein danke, hier ist es richtig. Hier hält meine S-Bahn.“ Sie dankte dem Paar und stieg aus. Sandra sah den Schlusslichtern des Wagens nach, die in dem bereits dichten Nebel schnell verschwanden.

Sandra ging über die Brücke und dicke Tränen rannten über ihre Wangen. Sie hatte sich während der Fahrt schwer zusammenreißen müssen, damit sie ihrer Verzweiflung nicht freien Lauf ließ. Jetzt wo sie allein im Nebel auf der Brücke stand, ereilte sie das Elend. Wolkenbruchartig rannten ihr die Tränen über die Wangen. Sollte das, das Ende ihrer Liebe sein?

... Sandra wurde von der Kälte aus ihrer Lethargie gerissen und rieb wärmend ihre Arme.

Sie spürte den Nebel, seine Feuchtigkeit legte sich auf ihre Haut und es wurde ihr richtig kalt. Sandra ging langsam und schwerfällig. Sie drehte sich noch einmal zum Brückengeländer herum. In einem warmen Wartehäuschen am Bahnhof fand sie einen Platz zum Liegen auf einer der zwei Sitzbänke. Sie teilte den Warteraum mit einer alten Pennerin. Diese würdigte sie nur eines kurzen Blickes und versank sofort wieder in einen tiefen Schlaf.

Es dauerte nicht lange und auch Sandra schlief vor Erschöpfung ein.

„He- aufstehen, die ersten Fahrgäste kommen gleich, dass ihr mir verschwunden seid, wenn ich wieder komme!“

Sandra erschrak. Sie wusste im ersten Moment nicht, was los war und wo sie war. Die alte Pennerin sagte ruhig: „Lass dir Zeit, der kommt nicht so schnell zurück, hast du was zu trinken?“

„Nein, habe ich nicht“, erwidert Sandra. Die beiden Frauen unterhielten sich, und Sandra lud die Alte zum Frühstück am Kiosk ein. Die Pennerin erzählte ihr ihren Lebenslauf, und Sandra konnte darin Parallelen zu ihrem Schicksal erkennen.

Während sie der Alten zuhörte, dachte sie: So möchte ich nicht enden. Nach einer Weile verabschiedete sie sich von der Obdachlosen und gab ihr noch zehn Euro. Sandra wusste, dass sie nun ihr eigenes Leben meistern musste, aber dazu brauchte sie ihr Auto und andere Dinge von daheim. Sandra fuhr mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, von dort ging es dann mit dem Zug weiter nach Murnau. Bis auf ein paar Wanderer war der Zug noch halb leer. Sandra sah aus dem Fenster in die vorüberziehende Landschaft. In Murnau angekommen, setzte sie sich in einem nahe gelegenen Park auf eine Bank und wartete- bis es acht Uhr wurde.

Jetzt musste Hans schon außer Haus sein und sie konnte getrost ein paar Dinge holen. Schon von Weitem sah sie das geöffnete Garagentor.

Sie läutet am Gartentor, weil Hans ihr den Hausschlüssel aus der Tasche genommen hatte. Maria- ihre Hausperle öffnete die Tür.

„Mein Güte-Frau-Berger, ihr Mann hatte mir gesagt, dass sie das Haus verlassen hätten, und nie mehr zurück kommen würden. Schön, dass sie doch wieder da sind.“ Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht und reichte Sandra beide Hände.

Sandra äußert sich mit ein paar Sätzen und verschwand als Erstes im Bad. Während sie duschte, machte Maria für sie einen starken Kaffee und belegte Brötchen. Sandra verspürte die Frische am Körper und wurde endlich wieder klar im Kopf.

Sie fühlte sich wieder etwas besser, als sie in die Küche kam.

Sie setzte sich an den Tisch und erzählte Maria alles bis ins kleinste Detail, diese konnte nur noch den Kopf schütteln und war sprachlos. Sandra packte mehrere Kleider ein und ihr Sparbuch. Für die nötigsten Anschaffungen würde es sicher reichen. Sandra war froh, dass sie immer auf ihr eigenes Sparbuch bestanden hatte, denn heute zahlte es sich aus. Ohne das angesparte Geld wäre sie aufgeschmissen und müsste im Freien nächtigen. Dass sie sich schnell nach Arbeit umsehen muss, wusste sie.

Jetzt war sie erst einmal beruhigter, dass sie wenigstens nicht mittellos da stand.

Sie verabschiedete sich von Maria und bedauerte, dass sie sich von den Kindern nicht verabschieden konnte. Wahrscheinlich war es für die Kinder und für sie sowieso besser, so blieb ihnen der große Abschied erspart.

Maria versprach ihr, sich um die Kinder zu kümmern und ihrem Mann gegenüber nichts anmerken zu lassen, dass sie Bescheid wusste. Sandra versicherte ihr, dass sie ihre Kinder holen würde, sobald sie sich ein Standbein geschaffen hatte.

Sandra stieg in ihr kleines Auto und fuhr los, in eine ungewisse Zukunft.

Sie wollte erst einmal wieder weg von diesem Ort, der ihr Unbehagen einflößte. Ein letzter Blick in den Rückspiegel.

Tränen stiegen in ihre Augen, als sie Maria winkend am Gartentor stehen sah.

Es sollte das Ende eines Lebensabschnittes und das endgültige Ende einer großen Liebe sein. Sie öffnete das Fenster, um den Fahrtwind zu spüren, dann versuchte sie, sich voll auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Sie war schon ein paar Stunden ohne Pause unterwegs. Hunger und Müdigkeit machten sich langsam breit. Sandra entschloss sich, bei der nächsten Autobahnausfahrt abzufahren, um in einem Hotel zu speisen und zu übernachten. Sie fand in einem kleinen Städtchen, ein nettes kleines Hotel und machte es sich dort erst einmal in ihrem Zimmer gemütlich. Als sie sich von der Fahrt etwas erholt hatte, ging sie zum Speisen. Anschließend trank sie noch ein Glas Whisky und ging wieder auf ihr Zimmer.

An diesem Abend schlief sie sehr schnell ein und wachte erst am nächsten Morgen ausgeruht wieder auf. Sandra riss sich aus einem Zettel mehrere Lose, auf denen sie Städtenamen geschrieben hatte. Sie wollte es dem Schicksal überlassen, wohin es sie verschlägt. Sie warf die Städtekugeln in die Luft und hob einen davon auf, die Spannung stieg.

„Toi, toi, toi, bring mir Glück!", sagte sie, bevor sie die Kugel auseinanderfaltete und las.

„Hamburg … warum nicht? Hamburg ich komme!“ Sie hatte ein gutes Gefühl dabei, denn dadurch war sie weit weg von Hans. Ein kurzes Wehgefühl überkam sie, als sie an ihre Kinder dachte. Sie war sich aber sicher, dass sie ihre Kinder bald wieder in den Armen halten würde. Sandra verließ das Hotel, aber diesmal mit einem Ziel.

3.Kapitel

An einer Raststätte kurz vor Hamburg machte sie Halt, um bei Maria anzurufen. Sie erkundigte sich nach ihren Kindern und hörte, dass sie es gelassen nahmen. Maria erklärte es den Kleinen so gut wie möglich, dass ihre Mama nun arbeiten würde, aber immer an sie denkt, und bald könnten sie ihre Mama wieder sehen. Maria erzählte Sandra aber auch, dass ihr Mann richtig wütend gewesen war, dass sie nicht zurück gekrochen kam. Sondern seine Abwesenheit nutzte, um ihre Sachen und sogar das Auto zu holen. Sandra teilte Maria mit, dass sie sich in Hamburg, eine Zukunft aufbauen werde. Sandra sah die Welt jetzt mit ganz anderen Augen. Sie wusste, dass es nicht leicht werden würde, aber sie war sich sicher, dass sie es schaffen würde.

Als Erstes brauchte sie eine Wohngelegenheit, dann eine Arbeit. Der Gedanke ans Arbeitsamt ließ ihr den Magen kurz umdrehen, sie hatte seit der Heirat nicht mehr gearbeitet.

In Hamburg angekommen, mietete sie sich ein Zimmer in einer Pension. Es war nicht gerade schön und auch sehr laut, aber es lag mitten im Zentrum.

Das war ein guter Ausgangspunkt für alle Behördengänge, die sie noch vor sich hatte.

Am nächsten Morgen stand sie vor dem Arbeitsamt, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie betrat den Vorraum und war überrascht, wie viele Menschen schon vor ihr da waren. Das Amt hatte doch erst seit zwanzig Minuten geöffnet.

Sie zog eine Nummer und setzte sich auf einen frei gewordenen Stuhl, dann beobachtete sie die Leute.

Sie saß schon eine ganze Weile, da mahnte der Gong zum Aufpassen, sie sah, dass ihre Nummer aufgerufen wurde. Sie stand auf und ging zur Tür, welche sie dann leise öffnete und das Zimmer betrat.

Es roch muffig nach alten Möbeln und Akten. Mitten im Raum stand ein alter abgewetzter Schreibtisch. An ihm saß in seinen Akten vertieft, ein älterer Mann.

Am Fensterbrett hinter ihm stand ein großer schiefer Kaktus.

„Nehmen Sie Platz“, sagt er, ohne aufzusehen, und deutet auf den Stuhl ihm gegenüber. Sandra setzte sich und umklammerte ihre Tasche, die sie auf ihren Schoß legte. Der Beamte hob nun den Kopf und sah sie prüfend an. Auf seiner Nasenspitze saß eine Brille, über die er hinweg sah.

„Wie lange sind Sie schon arbeitslos?“ Sandra stutzte. „Ich habe nicht gearbeitet!“

Er rückt seine Brille zurecht und beugte sich etwas vor.

„Und von was haben Sie bis jetzt gelebt?“, dabei zog er seine Stirn in Falten und sah sie fragend an.

Sandras Hände waren vor Aufregung feucht geworden.

„Ich war bis jetzt Hausfrau und Mutter und lebe seit Kurzem erst getrennt. Deshalb muss ich jetzt für meinen Unterhalt allein sorgen!“

„Ach so, deshalb“, sagt er gelangweilt und schaute auf seinen Block.

„Was haben Sie gelernt, und was stellen Sie sich vor?“

„Ich weiß nicht, welche Möglichkeiten ich habe, denn ich habe keine abgeschlossene Lehre.“

„Tja, so gesehen keine Möglichkeit! Nachdem Sie jetzt aber gleich eine Arbeit brauchen, habe ich nur eine Stelle als Bedienung in einem Lokal auf die Schnelle.“

Er sah sie über den Brillenrand erwartungsvoll an. Er merkte, dass sie nicht gerade begeistert war.

„Das ist ja nur vorübergehend, bis ich was anderes für Sie habe.“

Sandra nickte und nahm die Adresse, die er ihr entgegen hielt.

„Kommen sie in vier Wochen wieder vorbei!“

Sandra verließ das Zimmer und das Gebäude und trat hinaus auf die Straße.

Zögerlich schlug sie den Weg zu diesem Pils-Pup ein.

Sandra stand vor dem Pils-Pub, als sie die Tür öffnen wollte, war diese verschlossen. Bei der Eingangstür hing ein Schild.

Geöffnet außer Mittwoch von 17°°- 24°°

Sandra war froh, dass sie noch einen kleinen Aufschub, von ein paar Stunden hatte und machte sich auf den Weg zu einer Verabredung. Sie wollte sich eine Wohnung ansehen, die sie sich aus der Tageszeitung gesucht hatte, nun stand sie vor einem Haus, das schon sehr alt war, ihre Laune fiel auf den Tiefpunkt. Mit so einem Haus hatte sie allerdings nicht gerechnet.

 

Sandra schüttelte den Kopf und machte auf dem Absatz kehrt. Bis zur Vorstellung im Pub hatte sie noch viel Zeit übrig blieb. Diese Zeit wollte sie nützen, um sich im Hotel noch einmal frisch zu machen. Anschließend ging sie in das Pils-Pub und stellt sich vor.

Ines, die rechte Hand des Besitzers, begrüßte sie sehr freundlich. Beide Frauen waren sich sehr schnell einig und Sandra war froh, so eine nette Kollegin zu bekommen.

„Der Lokal Besitzer Jörg ist geschäftlich unterwegs. Kannst du gleich hier bleiben?“

„Ja, das lässt sich machen.“

„Okay, dann weise ich dich gleich ins Lokalleben ein.

Es gab viel zu tun und für Sandra verging der Abend sehr schnell.

Mit schmerzenden Füßen verließ sie nachts um eins das Lokal. Ihr Kopf tat ihr weh, von dem vielen Rauch und dem Lärm.

Sandra streckte sich auf ihrem Bett aus und ließ den Tag an sich vorüberziehen. Heute hatte sie viele Menschen kennengelernt, nette und lustige, aber auch sogenannte Kotzbrocken. Einer von der letzten Kategorie war ein gern gesehener Stammkunde. Morgen muss ich mich gleich nach einer Wohnung umsehen, dachte sie und lächelte dabei, denn morgen war ja bereits heute. Es dauerte auch nicht lange und Sandra fiel in einen tiefen Schlaf.

Durch das Klopfen an der Tür wurde Sandra geweckt. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Sandra musste feststellen, dass sie sich nicht einmal mehr ausgezogen hatte. Sie war heute Nacht todmüde auf das Bett gefallen und schlief auch sehr schnell ein.

Sandra stand auf und ging schlaftrunken zur Tür.

„Entschuldigen sie, ich würde gerne das Zimmer aufräumen.“ Vor ihr stand ein japanisches Zimmermädchen, das sie verlegen anlächelte.

„Ach-, könnten Sie nicht erst in einer halben Stunde kommen, denn ich möchte mich nur noch schnell fertigmachen- ich muss dann sowieso außer Haus.“

„Okay“, sagt das Mädchen und ging auch gleich weg.

„Jetzt ist es aber höchste Eisenbahn!“, als sie sah- wie spät es schon war. Sandra sprang unter die Dusche und zog sich anschließend schnell an.

Sie blätterte durch die Morgenausgabe und las schnell- aber aufmerksam die Wohnungs-Annoncen. Sie hatte sich drei kleine Wohnungen ausgesucht, und rief dort auch gleich an. Sie sah sich die Wohnungen an und entschied sich für die kleinere Wohnung mit dem Balkon und einer vollkommen eingerichteten Küche.

Sandra unterzeichnet den Vertrag, und bezahlt die erste Monatsmiete gleich bar. Die Eigentümerin gab ihr die Schlüssel, und Sandra war nun die stolze Mieterin einer zwei Zimmer Wohnung.

Sie kaufte sofort in einem Kaufhaus ganz in der Nähe ein paar Dinge, die sie benötigte. Sie suchte sich schöne Gardinen und Vorhänge aus, kaufte sich Wäsche und das nötigste Geschirr. Die von ihr ausgesuchten Möbel waren alle am Lager. Nur noch drei Nächte im Hotel, dann werden ihre Möbel geliefert und sie kann dann in ihrer Wohnung wohnen. Sandra war zufrieden.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es Zeit war, sich für die Arbeit fertigzumachen. Während sie sich schminkte, aß sie ein trockenes Brötchen und trank ein Glas Orangensaft. Außer einem Frühstück in dem kleinen Bistro im Kaufhaus hatte sie noch nichts gegessen.

Auf dem Weg zur Arbeit ging sie geistig ihre ganzen behördlichen Termine durch, die sie noch zu erledigen hatte. Sandra wurde ganz heiß, als sie daran dachte, wie viel Zeit sie das noch kostete. Sandra öffnete die Lokaltür und wurde schon mit einem „Hallo“ empfangen. Manfred- der Kotzbrocken, wie sie ihn leise nannte, schrie ihr schon entgegen.

Ines stand hinter dem Tresen und winkte ihr freundlich entgegen.

„Ich bin froh, dass du etwas früher kommst, wir bekommen heute nämlich eine Geburtstagsfeier, und da müssen wir ein paar Häppchen vorbereiten! Übrigens wird es dadurch etwas später, aber morgen ist ja Ruhetag, und da kannst du dich dann ausschlafen.“

Ja, richtig, an einen Ruhetag hatte sie gar nicht mehr gedacht. Jetzt war sie gleich besonders gut gelaunt und grinste sogar Manfred an. Dieser war so freudig überrascht, dass er ihr ein Glas Sekt spendierte. Ines stieß sie mit dem Ellenbogen an.

„Jetzt hast du ihn erobert, so schnell hat das noch keine geschafft, denn er ist sehr geizig, so wie alle Reichen!“

Sandra lachte und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Kann sein, aber ich bin nicht scharf auf diesen Typ“ sagt sie zu Ines, während sie zu ihm hinüber lächelte. „Sandra, du täuschst dich, er ist sehr nett, nur ein wenig überspannt und kein - wie sagst du? - Kotzbrocken. Übrigens, schöne Grüße von Jörg soll ich dir ausrichten, er hat heute bei mir angerufen, und ich habe ihm von dir erzählt. Er freut sich darauf, dich am Samstag kennenzulernen.“

Der Abend wurde sehr lang, denn die Gäste wollten einfach nicht gehen. Sandra stand an der Theke und spülte Gläser. Sie gähnte verstohlen, aber Manfred sah es und zwinkerte ihr zu. Er drehte sich zu Ines, die neben ihm Platz genommen hatte, und sagte etwas zu ihr. Ines sah auf die Uhr und ging zu Sandra an die Theke, die die gebrauchten Gläser spülte.

„Sandra mach für heute Schluss, denn es wird noch spät werden. Ich mach dann morgen Nachmittag nach der Bierlieferung weiter!“ Sandra dankte ihr und holte ihre Weste, als sie zur Tür ging, stand dort bereits Manfred.

„Ich bring dich heim, denn es ist schon kurz vor drei Uhr.“ Sandra wollte es verneinen, aber Ines rief ihr zu: „Manfred ist in Ordnung- es ist besser so!“ Manfred packte sie leicht am Arm.

„Komm Sandra“, sagte er und drehte sich noch einmal zu dem Tisch um, an dem er gesessen war.

„Ich bin gleich wieder da, hebt mir, noch was auf“, rief, er in die Runde.

Nach wenigen Minuten waren sie schon bei ihr zu Hause. Manfred sprach während der Fahrt nur das Nötigste. Sandra sah ab und zu sein Gesicht von der Seite an. Sie stellte fest, dass er ein sehr markantes Profil hatte. Das Auto war auch sehr gepflegt und ein toller Wagen, sie schwärmte immer schon für Porsche.

Sandra stieg aus dem Auto und bedankte sich bei Manfred, dieser winkte ab. „Ist okay, war mir ein Vergnügen, gute Nacht!“

So schnell konnte sie nicht schauen, wie er Gas gab und wegfuhr. Sandra ärgerte sich über dieses Verhalten. Was war das für ein rüpelhaftes Benehmen, dachte sie und sagte laut in die Nacht hinein: „Idiot, mehr Höflichkeit könntest du schon an den Tag legen man braust nicht einfach weg, ohne zu winken!“ Sie schaute noch einmal kurz zu den Rücklichtern, die schnell kleiner wurden, und sie ging ins Hotel.

Am nächsten Morgen saß Sandra in einem kleinen Café in der Innenstadt und frühstückte ausgiebig. Sie war nach dem Aufstehen gleich außer Haus gegangen, denn sie wollte alles am Vormittag erledigt wissen.

Jetzt hatte Sandra viel Zeit, und an ihrem ersten Ruhetag würde sie nur noch solche Dinge tun, die ihr Spaß machten. Sie ging in das Kaufhaus und kaufte sich einen Campingstuhl und einen kleinen Klapptisch. Sie kaufte sich ein paar leckere Kleinigkeiten-, eine Flasche Sekt und ein Taschenbuch. Mit all diesen Dingen machte sie sich auf den Weg in ihre neue Wohnung. Sandra genoss den sonnigen Nachmittag auf dem Balkon mit Sekt und leckeren Brötchen. Sie war vertieft in ihr Buch und konnte sich dabei sehr gut entspannen. Sie nickte sogar einmal ein bisschen ein. Sie verbrachte einen sehr erholsamen und gemütlichen Tag.

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