Eiskalte Gefühle

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Eiskalte Gefühle
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Silke May

Eiskalte Gefühle

Fantasy

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1

2

3

Impressum neobooks

1

Dichter Bodennebel hing über den schneebedeckten Wiesen und Wegen. Die Bäume waren mit Frost überzogen, als Silvana dick eingemummt im Morgengrauen durch den Schnee stiefelte.

Bei jedem Schritt knirschte der Schnee unter ihren Füßen, während sie am Horizont die aufgehende Sonne beobachten konnte. Langsam ließen die Sonnenstrahlen das tiefe Blau des Himmels in einem zarten Türkis schimmern und der Bodennebel löste sich langsam auf.

Silvana stapfte vollkommen in sich gekehrt durch den tiefen Schnee. Schon seit einigen Jahren lebte sie nun bei ihrer Großmutter in der Einöde, wo sie der alten Frau stets bei der Versorgung ihrer Tiere geholfen hatte.

Anfangs hatte sie die verlassene Gegend als beklemmend empfunden, aber bereits nach einer kurzen Zeit hatte sie sich daran gewöhnt. Inzwischen liebte Silvana sogar die Einsamkeit und die langen Spaziergänge inmitten der Felder und Wiesen.

Vor ein paar Tagen hatte sich für Silvana jedoch alles geändert. Ihre Großmutter war verstorben und sie musste nun ganz allein zurechtkommen.

Eine tiefe Traurigkeit hatte das sonst so fröhliche Mädchen mit ungeahnter Heftigkeit übermannt. Silvana war erst sechzehn Jahre alt, dennoch hatte sie jetzt niemanden mehr, an den sie sich nun wenden konnte. Ihre Eltern hatte sie schon vor einigen Jahren durch einen Verkehrsunfall verloren.

Ziellos streifte sie durch die Gegend und versuchte sich ein wenig abzulenken und sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen. Fasziniert beobachtete sie, wie ein lebendiges Glitzern die Eiskristalle erfasste, als die ersten Sonnenstrahlen sie erreichten. Schließlich blieb Silvana vor einem dick mit Raureif überzogenen Busch stehen. Sie war vollkommen verzaubert von den funkelnden Kristallen auf den puderweißen Ästen, die im Sonnenlicht herrlich funkelten.

»Warum bist du so traurig?«, flüsterte da plötzlich eine Stimme aus dem Busch.

Silvana zuckte zusammen. Sie versuchte durch das Geäst zu spähen, konnte aber niemanden sehen. Verwundert blickte sie in alle Richtungen aber auch hier war niemand zu sehen.

»Wer spricht mit mir?«, fragte sie etwas unsicher.

»Ich bin es«, war die rasche Antwort.

»Aber wer und wo ist „Ich“?«

»Direkt vor dir und auch sonst überall«, flüsterte die Stimme.

»Wie soll ich mir das bitte vorstellen – ‚vor mir und überall’?«

»So wie ich es gesagt habe, meine ich es auch«, erklärte das rätselhafte Wesen, was Silvana allerdings auch nicht weiter half.

Sie sah sich erneut um, konnte aber immer noch niemanden sehen.

»Wie heißt du?«, wurde sie da plötzlich gefragt.

»Mein Name ist Silvana und wie heißt du?«

»Man nennt mich Reif.«

»Das ist aber ein komischer Name«, rief Silvana und kicherte. Noch immer blickte sie suchend umher, doch ihr geheimnisvoller Gesprächspartner hielt sich gut versteckt.

»Sag mal, Reif … warum zeigst du dich nicht? Bist du denn so hässlich, dass du dich verstecken musst?«, fragte sie neugierig. Dem leisen Lachen, das sie daraufhin vernahm, folgten die Worte: »Nicht, dass ich wüsste.«

Das wollte Silvana jedoch nicht so recht glauben, deshalb behauptete sie einfach rund-heraus: »Doch, anscheinend bist du sogar grottenhässlich, sonst würdest du dich ja wohl zeigen.«

»Was hast du nur? Ich stehe die ganze Zeit hier – neben dir. Hast du keine Augen im Kopf?«, kam eine empörte Antwort zurück.

Silvana machte einen erneuten Versuch sich ganz genau umzusehen. Und diesmal hatte sie tatsächlich Erfolg. Neben ihr stand ein schlanker junger Mann, der ganz in Weiß gekleidet war.

Seine Kleidung war ebenso wie sein Gesicht und seine Hände mit Reif überzogen.

In der aufgehenden Sonne glitzerte er, als würde er komplett in einer Hülle aus Eiskristallen stecken. Silvana erschrak, als ihr dies bewusst wurde, sie fasste sich aber sehr schnell wieder und betrachtete ihn nachdenklich. Er war wunderschön.

Sein schulterlanges weißes Haar war vor Kälte steif gefroren und seine hellgrauen Augen sahen sie ebenfalls prüfend an.

»Bist du ein Mädchen?«, fragte er plötzlich.

Silvana grinste ihn an.

»Na klar … das sieht man doch, oder etwa nicht?«

Reif kam noch näher an sie heran und musterte sie von oben bis unten.

»Ja, das sieht man tatsächlich …, sogar ein wunderschönes«, bestätigte er, während er mit einer Locke ihres Haares spielte.

»Du siehst aber auch nicht schlecht aus. Ganz schön attraktiv würde ich sagen«, bemerkte Silvana keck und lächelte ihn an.

Der junge Eismann verzog seine Lippen zu einem Lächeln. Er berührte ihre Wange mit seiner eiskalten Hand und Silvana schauderte kurz. Plötzlich zog er sie an sich und umarmte sie fest.

»Jetzt gehörst du mir und ich werde dich behalten!«, erklärte er laut und besitzergreifend.

Entgeistert stammelte Silvana: »Halt, warte mal! Du kannst mich nicht behalten, ich gehöre dir nicht!«

»Doch du gehörst mir!«, wiederholte er und drückte sie dabei noch fester an sich.

»Lass mich los, du bist eiskalt und mich fröstelt es bereits«, klagte Silvana und versuchte sich aus dem Klammergriff zu befreien. Anstatt sie los zulassen, presste er Silvana nur noch fester an sich, sodass sie das Gefühl hatte, erdrückt zu werden. Die Kälte drang durch ihren Mantel und sie schlotterte inzwischen.

»Willst du mich etwa umbringen?«, rief sie entgeistert. Reif sah sie fragend an.

»Warum sollte ich das wollen?«

»Wenn du mich weiterhin so an dich drückst, könnte ich erfrieren und das heißt, dass ich an Unterkühlung sterben würde – verstehst du?«

Reif lächelte nachdenklich, ließ sie aber immer noch nicht los.

»Möchtest du mich küssen?«, fragte Silvana in der Hoffnung, ihn nachgiebiger zu stimmen und ihn auf andere Gedanken zu bringen.

Der junge Eismann nickte heftig.

»Gut, zuerst musst du mich aber loslassen.«

Reif sah sie einen Moment lang skeptisch an, ehe er kopfschüttelnd verneinte.

Silvanas Zähne klapperten bereits vor Kälte.

»Anscheinend findest du mich nicht liebenswert genug, sonst würdest du mich loslassen. Wenn du mich so an dich gedrückt hältst, friere ich schrecklich und das ist unangenehm und gefährlich, außerdem hindert es beim Küssen «, erklärte die junge Frau erneut.

Endlich lockerte Reif seinen Griff und sie konnte sich aus seiner Umarmung befreien.

Spontan gab er ihr mit seinen eiskalten Lippen einen Kuss.

Die Kälte bitzelte auf ihrem Mund, aber sie erwiderte seinen Kuss tapfer. Reif sah sie mit leidenschaftlicher Miene an und nahm sie erneut in seine Arme.

»Lässt du mich jetzt bitte wieder los?«, bat Silvana nach kurzer Zeit.

»Ach so, natürlich … verzeih mir.«

Silvana war sich sicher, dass dies der kälteste und zugleich heißeste Kuss gewesen war, den sie je bekommen hatte. Als sie den Eismann so ansah, dachte sie bei sich, dass sie nie jemandem davon erzählen dürfe, dass sie von Reif geküsst wurde. Sie war sich sicher, dass man sie nach dieser Aussage in eine Heilanstalt bringen würde. Ihre Gedanken wurden von seiner sanften Stimme unterbrochen.

»Schade, dass ich schon bald von dir gehen muss.«

Silvana sah ihn erschrocken an.

»Wieso jetzt schon? Der Winter dauert doch noch ein wenig …«

Er sah sie traurig an.

»Ja, das stimmt, aber ich weiß nicht, wohin mich der Wind treiben wird. Darauf habe ich keinen Einfluss.«

Silvana fand es in diesem Moment sehr schade, dass er kein Mensch war, sondern ein männliches Wesen aus Eis. Er hatte etwas ausgesprochen Anziehendes an sich und sie verspürte bereits den Wunsch, ihn erneut zu küssen.

Seine weiße Haut glitzerte in der aufgehenden Sonne wie Kristall, er war unfassbar schön. Kaum zu glauben, aber Silvana hatte sich in ein Wesen aus Eis verliebt.

»Ich bin verrückt, aber mir gefällt alles an dir, sogar deine Kälte«, erklärte sie entzückt, während Reif mit seinen Lippen den ihren erneut näher kam. Er nahm ihr Gesicht in seine eisigen Hände und sah ihr dabei tief in die Augen.

»Noch nie habe ich mich über mein Dasein beklagt, aber jetzt würde ich alles darum geben, ein sterblicher Mensch zu sein. Ich möchte ein Leben lang mit dir zusammen sein«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklich.

Silvana spürte seine eisigen Hände auf ihren Wangen, aber nun empfand sie diese nicht mehr als eiskalt. Tief in ihrem Inneren verspürte sie ein Glühen, das sie wärmte, und sie wollte gar nicht daran denken, ihn wieder verlassen zu müssen.

Im gleichen Moment wusste sie, dass es für sie beide unmöglich sein würde, zusammen zu sein.

Ihre Wangen schmerzten mittlerweile von der Kälte seiner eisigen Hände und sie befreite sich sanft aus seinem Griff.

»Verzeih mir, aber meine Gefühle sind mit mir durchgegangen«, sagte Reif zärtlich.

 

Silvana war von seiner Anwesenheit wie verzaubert. Sie hatte das Gefühl, als würden sie sich schon ewig kennen.

»Schade, dass wir uns nicht schon am Anfang des Winters begegnet sind«, bedauerte sie.

»Ja, das ist sehr schade«, bekräftigte Reif, »dann hätten wir viel mehr Zeit miteinander verbringen können.«

Silvana war es unterdessen eiskalt und sie spürte, dass es für sie längst an der Zeit war, nach Hause zu gehen. Dennoch konnte sie nicht anders, als diesen Moment immer weiter hinaus zuziehen.

Wie von selbst begann sie ihm zu erzählen, wo sie wohnte und was in ihrem Leben und in den letzten Wochen passiert war, und dass sie jetzt ganz alleine dastand.

»Silvana …, leider kann ich nicht das ganze Jahr über bei dir sein, aber in der dunklen Jahreszeit werde ich versuchen, dir beizustehen. Ich werde dich nicht allein lassen in jenen Tagen, wo ich die Möglichkeit habe, zu dir zu kommen«, versprach Reif.

»Woher werde ich wissen, dass du da bist?«, fragte die junge Frau.

»Achte auf deine Fenster, ich werde auf ihrem Glas schöne Blumen für dich zeichnen.«

Silvanas Nase war schon rot vor Kälte und ihre Hände und Füße waren beinahe steif gefroren. Wenn sie versuchte, sie zu bewegen, schmerzten sie bereits.

»Jetzt muss ich aber wirklich heim, denn ich friere fürchterlich«, verabschiedete sie sich traurig. Dann gab sie Reif einen schnellen Kuss auf seine eisigen Lippen. Es bitzelte kurz, als ihre Lippen sich berührten, und im nächsten Moment drehte sich Silvana um und ging traurig weg.

Nachdem sie ein paar Meter gegangen war, blickte sie zurück, aber Reif war schon verschwunden.

Zuhause angekommen setzte Silvana sich auf einen Stuhl neben dem Kamin und wärmte sich am prasselnden Feuer. Während langsam wieder Leben in ihre Glieder strömte, musste sie immer wieder an Reif denken.

Am nächsten Morgen lief sie gleich nach dem Aufstehen zum Fenster und hoffte darauf, an der Scheibe Eisblumen zu entdecken, aber sie musste enttäuscht feststellen, dass dort nichts zu sehen war.

Innerlich unzufrieden versorgte sie ihre Tiere im Stall – ging ins Dorf und verkaufte auf dem Marktplatz die frischen Eier und die Ziegenmilch. Ihr Rückweg führte an dem Busch vorbei, an dem sie am Vortag Reif getroffen hatte. Neugierig blieb sie dort stehen und betrachtete die Äste, auf denen sich nur noch eine kaum sichtbare dünne Eisschicht befand. Es war eindeutig wärmer geworden. Silvana wartete noch eine Weile, aber nichts passierte, und so machte sie sich wieder auf den Weg. Noch lange wanderte sie ziellos über die weißen Felder, ehe sie endlich nach Hause ging, um ihren häuslichen Arbeiten nachzukommen.

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