Geschichten aus der Kleinstadt, Band 1

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Geschichten aus der Kleinstadt, Band 1
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Sigrid Schüler

Geschichten aus der Kleinstadt, Band 1

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Im Grunde pflegeleicht

Begegnung mit der Vergangenheit

So kann man sich täuschen

Ich lass mich überraschen

Bisher erschienen

Impressum neobooks

Im Grunde pflegeleicht

Ich hätte auf das Angebot, ihn zu duzen, nicht eingehen sollen, aber man will ja auch nicht unhöflich sein. Wir waren neu in der Gegend, zugereist, und wir kannten niemanden. Ich hatte hier Arbeit gefunden, und da uns der Ort gefiel und wir bleiben wollten, hatten wir ein Grundstück gekauft und ein Haus gebaut.Die Gärten unserer Nachbarn waren schon angelegt.

Als ich an einem der ersten Nachmittage über unseren provisorischen Rasen schlenderte und mir Gedanken machte, welche Stauden, Büsche und Bäume ich für unser grünes Paradies auswählen würde, stand er plötzlich hinter mir.

„Ich bin der Nachbar von hinten“, erklärte er, bevor ich etwas sagen konnte, und streckte mir seine rechte Hand entgegen. „Du kannst mich duzen. Ich heiße Dieter.“

Komischer Vogel, dachte ich und fühlte mich überrumpelt. Aber ich ergriff seine Hand, schüttelte sie und sagte: „Manfred.“

„Toll, dass das Grundstück endlich bebaut wurde“, fuhr er fort. „Die vielen Unkräuter und der Löwenzahn samten ja ständig aus, da kommt man mit dem Jäten kaum nach.“

Ich nickte verständnisvoll. Bisher hatte ich nicht darauf geachtet, aber nun riskierte ich unauffällig einen prüfenden Blick in den Garten, der an die Rückseite unseres Grundstücks grenzte. Durch die Sträucher konnte ich ahnen, dass dies der aufgeräumteste Garten auf Gottes Erdboden sein musste. Nicht dem kleinsten Unkraut schien Gelegenheit gegeben zu werden, Fuß zu fassen.

„Aber das wird ja jetzt anders“, sagte unser Nachbar und klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter. „Bei der richtigen Rasenpflege haben wir alle hier dann viel weniger Arbeit.“

Ich nickte und fragte mich sofort, ob ich diesen Ansprüchen genügen würde. Ich liebe Gärten, ich sehe sie mir gerne an und ich gehe gern darin spazieren, aber die Gartenarbeit habe ich nicht erfunden. Meine Frau Ilse auch nicht.

„Löwenzahn ist wirklich das Schlimmste, was man sich denken kann“, erklärte mir unser Nachbar. „Wenn der einmal wächst, dann kriegst du ihn nicht wieder weg. So lange Pfahlwurzeln haben die“, und er zeigte mit seinen Händen einen guten Meter. „Du willst sie rausziehen und denkst, du kriegst sie, aber dann reißt die Wurzel und so ein kleines Stück“, der Abstand zwischen seinem Daumen und dem Zeigefinger maß wenige Millimeter, „ so ein kleines Stück bleibt im Boden. Und schon sind sie wieder da, die Biester.“

Er schüttelte den Kopf wie jemand, der sich in einem verzweifelten Kampf gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt aufgerieben hatte.

„Als Kind habe ich Pusteblumen immer sehr gemocht“, sagte ich und erntete einen missbilligenden Blick. Spontan beschloss ich, asylsuchendem Unkraut, gleich welcher Herkunft und Blattfarbe, auf meinem Grundstück Unterkunft zu gewähren.

Ich wollte zurück ins Haus, aber unser Nachbar wich mir nicht von der Seite und gab mir Tipps und Belehrungen zur Bepflanzung meines Grundstücks.

„Bist du Lehrer?“, fragte ich plötzlich einer Eingebung folgend.

„Nein! Wie kommst du denn darauf?“

„Ach, du scheinst so gut Bescheid zu wissen“, sagte ich und merkte, dass ihm das runter ging wie Butter.

Schließlich kam meine Frau Ilse auch nach draußen und ich machte die beiden miteinander bekannt. Ilse ist sehr gastfreundlich und bot Dieter ein Bier an, was er nicht ausschlug. Es stellte sich heraus, dass Dieters Frau Marianne nicht zu Hause war, und so blieb er gleich zum Abendessen.

Als Dieter an diesem Abend nach Hause ging, hatte ich ein ungutes Gefühl. Ilse meinte, ich solle nicht so pessimistisch sein. Der Mann scheine doch ganz nett, und auch, wenn er vielleicht etwas pingelig sei, was den Garten anbelange, so sollten wir doch erst einmal abwarten. Schließlich sei es doch gut, wenn jemand darauf achte, dass ums Haus rum alles ordentlich sei. Vielleicht hatte sie sogar recht.

In den folgenden Tagen war ich beruflich sehr stark eingespannt, und Ilse hatte mit dem Einrichten des Hauses alle Hände voll zu tun. Abends saßen wir auf der Terrasse und sahen den Gräsern beim Wachsen zu. Die Luft war mild und das Bier kühl, als Ilse plötzlich meinte: „Manfred, wir brauchen einen Rasenmäher.“

Ich betrachtete den Rasen kritisch. Ilse hatte recht. Das Gras reichte mir bis über die Knöchel und mehrere freche Löwenzähne lockten mit sattem Gelb Hummeln und Bienen. Wehe, wenn Dieter das sieht, dachte ich und wollte gerade aufstehen, um die Löwenzahnblüten zu kappen, als die Büsche an der hinteren Grundstücksgrenze raschelten und unser Nachbar wie ein Elch durchs Gehölz brach.

Dieter nickte kurz zur Begrüßung, wies dann auf den Löwenzahn und meinte: „Den könnt ihr aber nicht ausblühen lassen.“

Ich beeilte mich, ihm zu versichern, dass dies nicht meine Absicht gewesen sei und begann, die gelben Blüten auszureißen.

„Das bringt nichts, die erwischt man nie alle“, erklärte er und schloss sich meinem Tun an. Plötzlich blieb er abrupt stehen, bückte sich, riss und hob triumphierend eine Pusteblume in die Höhe. Der Wind löste die kleinen Fallschirme und trug sie in Richtung seines Gartens.

„Statistisch gesehen keimt nur jeder zehnte Same“, erklärte ich selbstbewusst und fügte, um meiner Behauptung mehr Gewicht zu verleihen, hinzu: „Das hab ich vorgestern in der Zeitung gelesen.“

Sein Blick verriet Zweifel und Kummer. Plötzlich aber hellte sich seine Miene auf, er lächelte uns an und fragte: „Habt ihr Lust, kurz mit rüberzukommen? Marianne würde euch gerne kennen lernen.“

Gemeinsam schritten wir durch das Gebüsch und blickten in eine gänzlich andere Welt: Ein Rasen mit Kurzhaarschnitt, auf dem man hätte Golfen können, eingefasst mit Rasenkantensteinen, die Beete sauber geharkt, farblich aufeinander abgestimmte Blumenbeete und eine – das muss ich zugeben – wunderschön angelegte Terrasse.

Fehlen nur noch die Gartenbeleuchtung und ein Springbrunnen, dachte ich.

„Der Garten ist noch nicht ganz fertig“, erklärte Dieter. „Marianne möchte einen kleinen Teich haben, und ich fände eine Gartenbeleuchtung schön.“

„Würde ein Springbrunnen denn nicht besser passen?“, schlug meine Frau Ilse vor. Ich konnte mir gerade noch ein Grinsen verkneifen und richtete sofort meinen Blick in die entgegengesetzte Richtung, denn ich war nicht sicher, ob unsere Nachbarn so viel Humor hatten wie ich.

„Bis ihr es so schön habt wie wir, habt ihr noch viel zu tun“, meinte Dieter voller Stolz. „Aber das wird schon werden.“

Marianne, Dieters Frau, kam auf die Terrasse und begrüßte uns. Ilse und ich bekamen von den beiden eine Führung durch ihren Garten. Zu unserem großen Erstaunen erfuhren wir, wie viel Arbeit man in 500 Quadratmeter Boden stecken und trotzdem einer geregelten beruflichen Tätigkeit nachgehen kann. Wie ihr Mann Tage zuvor hatte auch Marianne gute Ratschläge für uns.

„Wichtig finde ich, dass die Gärten zueinander passen“, meinte sie. „Nachbarn sollten sich abstimmen, damit die Gärten einen harmonischen Anblick bieten.“

In Gedanken ging ich die gärtnerischen Entfaltungsmöglichkeiten durch, die mir noch blieben. Ich wagte nicht zu nicken, denn das hätte später als bewusste Irreführung ausgelegt werden können. Ich sah Ilse an, die etwas verlegen und hilflos lächelte, und dachte, dass es Zeit für den Gegenangriff wäre.

„Ich finde diese Wüstengärten so toll, wisst ihr, mit Sand und Kies und Sukkulenten. Da gibt´s ja jede Menge neue Züchtungen, die sollen jetzt sogar winterharte Kakteen anbieten, habe ich gehört. Pflegeleicht sind die Gärten auch, denn auf dem Sand wächst ja nichts anderes, und Gartenzwerge kommen dann auch besser zur Geltung.“

Ilses Lächeln gefror und unsere Nachbarn schauten sichtlich irritiert.

„Wenn ihr euch für Gartenzwerge interessiert“, fuhr ich fort, „wir haben da gute Kontakte nach Polen, also, da könnte ich meine Beziehungen spielen lassen...“

Die Gartenführung war rasch beendet und wir durften wieder durchs Gebüsch auf unseren eigenen Grund und Boden. Im Haus, bei geschlossenen Fenstern, bekam ich richtig Schimpfe von Ilse.

In den folgenden Monaten bekamen wir unsere Nachbarn nicht so oft zu Gesicht. Das Gestrüpp, das die beiden Grundstücke voneinander trennte, war schon ziemlich dicht, so dass wir mehr ahnten als sahen, dass die beiden unser Tun beobachteten. Stand vielleicht schon ein Gartenzwerg? Oder eine dieser Windmühlen?! Nein, nichts von alledem. Sie durften erleichtert sein.

Im Herbst begann Ilse, ein paar Quadratmeter für ein Staudenbeet umzugraben. Viel Zeit für den Garten blieb nicht, denn auch sie hatte inzwischen Arbeit gefunden. Den Rasen zu mähen schafften wir gerade so, das heißt Ilse schaffte es, aber für eine weitergehende Gartenplanung hatten wir keine Zeit und Gelegenheit. Ich fand es nicht weiter schlimm, denn irgendwann hatte der Löwenzahn aufgehört zu blühen, und das konnte doch nur bedeuten, dass für unsere Nachbarn jetzt alles im Lot sein musste. Sicher, optisch war unser Garten eine Herausforderung, aber unkrautmäßig waren wir jetzt hundertprozentig in der Norm.

 

Auf dieser Ebene wäre ich mit unseren rückwärtigen Nachbarn prima ausgekommen, aber im Frühling erlebte unsere Beziehung so etwas wie eine Wende. Aus dem Garten jenseits der Büsche erklang plötzlich Hundegebell. Eigentlich war es kein Bellen, sondern dieses Japsen, typisch für einen jungen Hund. Und dann, typisch für Menschen, die keine Ahnung von Hunden haben, erklang im Tonfall braver Hund: „Leica, lass das!“ – „Aber Leica, komm gib mir den Schuh von Herrchen wieder!“ – „Also Leica, lass doch die Blumen stehen!“

Es war Marianne, und sie tat sicher ihr Bestes, aber es war nun mal absolut nicht das Richtige, wenn sie den Hund tatsächlich erziehen wollte. In einem Großteil von Mariannes Monologen ging es um die Hinterlassenschaften des Hundes („Aber Leica, doch nicht hierhin!“). Ich verfolgte die Erziehungsversuche mit großer Aufmerksamkeit und glaubte nicht an den Erfolg. Doch dann, eines Tages, schien Leica begriffen zu haben, dass man weder in Herrchens Haus noch Garten macht. Leica hatte entdeckt, dass es auch eine Welt jenseits der Sträucher gab, und so stand ich eines Sonntagmorgens mit dem linken Fuß in der Hundescheiße.

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