Buch lesen: «Zerstörte Leben»

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Sebastian Schaa

Zerstörte Leben

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der erste Tag

Am Hafen

Im Dezernat

Familie Habicht

Der Abend im Kommissariat

Peters Fund

Die Spur

Die Botschaft

Der zweite Tag

Wir sind vollzählig

Zum Kaffee bei Marc Berger

Das Verschwinden der Marie Petersen

Michael

Das zweite Puzzleteil

Besprechung bei Kaffee und Muffins

In der Autopsie

Die zweite Botschaft

Carl Petersen Straße 393

Die Geschichte von Marc Berger

Der zweite Besuch

Der dritte Tag

Wo ist Kriminalhauptkommissar Walthers?

Nils Wolf

Familie Habicht

Öffentliche Botschaft

Familie Habicht

Das dritte Puzzleteil

Heute live: Der Tod von Marie Petersen

Im Kommissariat

Marie Petersens letzter Atemzug

Erkenntnis

Die Sonderkommission Puzzlekiller

Zerstörte Leben

Nordermeldorf

Impressum neobooks

Der erste Tag

Prolog

»Hey aufwachen Schlafmütze! «

Die grelle Stimme beendete unsanft den Traum. Gemächlich sog er die Luft ein, dabei er den intensiven Geruch von frisch gesägtem Holz bemerkte.

»Ich bin nackt! Was ist da unter mir? «, wurde ihm bewusst.

Der Versuch sich aufzurichten wurde von dem Bändern unterbunden die seine Arme und Beine fixierten.

Eine einzelne Glühbirne spendete ein spärliches Licht, weshalb die Schatten ihre Dunkelheit ausbreiten konnten. An der Wand links stand ein Tisch, die Schwärze verbarg die Gegenstände darauf. Neben ihm verschmolzen die Umrisse einer Person mit dem Halbdunkel.

»Wo bin ich? «, fragte er, um die Stille zu durchbrechen.

»Was denkst du, wo du bist? «, bekam er die Antwort, nachdem der Schemen sich aufgerichtet hatte.

»Wozu haben Sie mich entführt? « versuchte er es erneut.

»Keine Angst mein Freund. Du sollst schon bald erfahren, wieso ich dich hierher brachte. «

»Was ...? «, murmelte er verständnislos und zog an den Fesseln.

»Wir beide wollen heute eine unvergessliche Zeit erleben, doch am Ende dann werde ich dich eliminieren«, sagte die dunkle Stimme.

»Ist das ein Scherz? Warum bin ich festgebunden? Wenn sie mich nicht sofort losbinden, wird mein Anwalt …«

»Was wird er dann?! «, fragte der Unbekannte spöttisch.

"Was habe ich getan! WER SIND SIE!", schrie der Gefesselte aus.

"DAS will ich dir gleich in Ruhe erklären, aber erst kurz vor deinem Tod. Ich will, dass mein Gesicht das Letzte ist, das du siehst!" Aber vorher müssen wir uns noch ein bisschen Vergnügen!"

Er trat aus dem Schatten und zog eine Sturmmaske über den Kopf. Kurz sah er noch das Kinn, dann schauten nur noch die Augen durch den Sehschlitz auf ihn herab. Der Blick war erfüllt von Hass, doch auch seltsam vertraut. Er ging hinüber zum Tisch und nahm eine Nagelpistole.

Was hat der mit der Pistole vor?“, schoss es ihm durch den Kopf.

"Ich werde dich noch etwas besser befestigen. Nur für deine Sicherheit. Sonst fällst du uns noch herunter!"

"WAS? NEIN!“ schrie er, als der Maskierte sich näherte.

Er presste das Werkzeug, auf das linke Knie und drückte ab. Das kalte Eisen durchschlug den Knochen und drang in das Holz ein.

Ein Schmerzensschrei durchbrach die Stille. Die Gesichtszüge verkrampften sich. Wieder ein durchdringender Schmerz. Er hatte ihm einen zweiten Nagel in das Knie geschossen. Der erneut aufflammende Schrei mischte sich mit einem freudigen Lachen. Als der maskierte Peiniger das zweite Knie durchschoss, begann sein Körper zu zittern.

"Was meinst du, hält das?!", fragte der Unbekannte und rüttelte an beiden Beinen.

Er schrie als Antwort, aber sagte kein Wort. Er wollte nicht die Genugtuung geben und betteln. Ein Versuch seine Würde zu erhalten, doch er wusste nicht wie lange er durchhalten konnte.

"Wollen wir doch mal sehen, ob wir die Arme auch fixieren müssen!"

"Nein bitte!", flehte er leise.

Der Schmerz in seinen Knien machte ihm die Ausweglosigkeit bewusst. Er würde nicht aufhören, womit er begonnen hatte.

Der Maskierte zog an den Armen und genoss den Scherz in den Augen seines Opfers.

Er hob die Nagelpistole an. Dann bohrten sich mehrere Nägel durch die Armgelenke. Schmerzensschreie und Freudengelächter vermischten sich erneut. Endlich zeigte sich die Ohnmacht gnädig und beendete die Folter, vorerst.

Als er wieder erwachte, dachte er, für einen winzigen Moment, dass er einen Albtraum hatte. Doch die Schmerzen zerstörten diese Illusion. Die Übelkeit schoss schnell und heftig in ihm auf. Dann ran der Mageninhalt des Mannes über die rechte Schulter, hinunter auf den Boden. Ruckartig zog sich sein Magen erneut zusammen. Diesmal traf der Schwall die Wunden am Armgelenk. Die Magensäure brannte in den noch blutenden Öffnungen. Er spähte in die Dunkelheit und sah einen Infusionsbeutel neben sich stehen.

"Also wollen wir weitermachen?", fragte der Maskierte

Er durchlebte den Albtraum, doch es wird kein Aufwachen geben. Die Erkenntnis, dass er die Nacht nicht überleben würde, traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Ein letztes Mal betete er, obwohl er nie besonders religiös war. Aber in keiner Weise für sich, sondern für seine Familie, denn er hatte die Augen und die Stimme erkannt. Ein Schauer durchlief ihn, denn er hatte es nicht für möglich gehalten, dieses Augenpaar je wiederzusehen.

Eric starrte auf sein Telefon als es ihn aus dem Schlaf riss.

Wer ruft mich den bitte um 3.42 Uhr morgens an?“, fragte er sich, doch er ahnte es bereits.

"Ja", sagte er knapp.

„Hier ist Sabrina", sagte sie mit Aufregung in der Stimme.

"Moin Sabrina. Was gibt es, das nicht bis morgen früh hätte warten können?"

"Es tut mir leid, dass ich dich an deinem freien Tag so früh wecken muss. Aber wir haben hier eine große Sache. Eine Leiche wurde aus dem Hafenbecken gefischt. “

„Wo genau wurde sie gefunden?“, fragte Eric.

„An den Landungsbrücken.“

In ihrer Stimme war deutlich ihre Aufregung zu erkennen, aber Eric verstand sie gut.

"Henning wollte dich erst nicht anrufen, aber als wir die Leiche sahen, mussten wir dich einfach informieren. Sie sieht übel aus."

"Ich mach mich gleich auf den Weg", sagte er und drehte sich auf den Rücken.

"Wir halten hier so lange die Stellung."

"Gut ich beeile mich", verabschiedete er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, legte auf und machte sich auf den Weg ins Bad.

Er öffnete die Tür und schaltete das Licht ein. Sein müdes Spiegelbild begrüßte ihn von der Wand gegenüber. Er drehte den Wasserhahn auf und lies das kalte Wasser erst über seine Hände laufen, dann wusch er sich das Gesicht. Mit der linken Hand führ er sich über das Gesicht und spürte seinen kratzigen Dreitagebart. Mit der anderen Hand rieb er sich die grünen Augen, dann strich er sich die braunen Haare nach hinten.

Den freien Tag hätte er eigentlich gut gebrauchen können. Er wollte einfach mal abschalten, den ganzen Tag vor der Glotze sitzen und die Zeit verstreichen lassen. Den Kopf von allen Gedanken befreien, die sich darin angestaut hatten. Doch die Schattenseite der Polizeiarbeit, die Erinnerungen an alte Fälle, sollte er heute nicht verdrängen können. Seine Therapeutin, die er sehr unregelmäßig aufsuchte, konnte ihm dabei leider nicht helfen. Zumindest empfand er es so.

Nichts kann Erinnerungen wie diese ausradieren, aber mit der Zeit werden sie lernen wie sie mit ihnen umgehen müssen", hatte sie einmal zu ihm gesagt.

Doch Zeit war ihm wieder nicht vergönnt.

Eric schaute sich im Badezimmer um. Seine Hose hatte er über den Wannenrand geworfen, das Hemd lag auf dem Fußboden davor. Zuerst griff er sich die Hose und schlüpfte hinein. Während er mit der rechten Hand das Hemd vom Boden aufklaubte, zog er mit der linken die Zigarettenschachtel aus der Hosentasche. Einhändig öffnete er die Schachtel, zog mit den Lippen eine Zigarette heraus und steckte die Schachtel wieder weg. Anschließend warf er sich das Hemd über die Schultern und knöpfte es zu.

Auf dem Weg in die Küche zündete Eric sich die Zigarette an. Seine Gedanken kreisten nun bereits wieder um die Arbeit. Ein neues Rätzel wollte gelöst werden. Doch Eric war froh darüber, dass er sich dem nicht allein stellen musste. Auf Henning, einen langjährigen Weggefährten, konnte er sich schon immer verlassen.

Die Beiden kannten sich schon seit der Aufnahmeprüfung für die Polizeischule. Der Hannoveraner war schon immer legendär für sein Gedächtnis und seine empathische Begabung gewesen. Schon als kleines Kind schockierte er seine Familie und später auch jeden, der seine Bekanntschaft machte. Einmal hatte er Eric erzählt, wie er am ersten Schultag seine Lehrerin zu weinen gebracht hatte. Sie ahnte, dass sie von ihrem Mann betrogen wurde, doch sie versuchte, es sich von den Kindern nicht anmerken zu lassen. Als Henning ihr in die Augen sah, erkannte er, dass es ihr schlecht ging, und sprach sie darauf an. Noch am gleichen Tag übergab sie die Leitung der Klasse an einen anderen Lehrer. In den folgenden Jahren lernte er seine Fähigkeit zu kontrollieren und vor seinen Mitmenschen zu verbergen. Doch nützlich war sie sehr für ihn, gerade bei Ermittlungen. Manche Kollegen hatten ihm deshalb schon den Spitznahmen Graham gegeben, nach dem FBI Ermittler aus der Filmreihe um Hannibal Lecter.

Eric schätzte die Begabung seines Kollegen sehr, aber nur, solange er sie nicht gegen ihn einsetze und in ihm las wie in einem Buch. Vielleicht war aber genau diese Begabung der Grund für ihre enge Freundschaft. Henning verstand Eric wie kaum ein anderer Mensch und Eric konnte sich, nach all den Jahren ihrer Freundschaft, ebenfalls gut in ihn hineinversetzten.

Nach der anstrengenden Ausbildung auf der Polizeischule begann der harte Polizeialltag und ihre Wege trennten sich vorerst. Eric wurde als Kommissar zur Kriminalpolizei in Hamburg versetzt und jagte seitdem Mörder, während Henning einen Platz bei der Drogenfahndung bekam. Hier blieb er die ersten drei Jahre seiner Laufbahn und machte sich einen Namen. Seine Begabung hatte ihm während zahlreicher Verhöre von Drogendealern gute Dienste erwiesen. Doch er wollte schon immer zu den Ermittlern der Kriminalpolizei gehören, gemeinsam mit seinem Freund Eric Morde aufklären und in die Abgründe zerstörter menschlicher Seelen blicken. Eines Tages kam seine Chance.

Das neueste Mitglied seines Teams war Sabrina. Sie war vor ein paar Monaten zu ihnen gestoßen, als Hermann, ein langjähriger Kollege und erfolgreicher Ermittler, seinen verdienten Ruhestand angetreten hatte.

Als er sie das erste Mal sah, konnte er nicht glauben, dass sie sich den richtigen Job ausgesucht hatte. Blond, lange Beine, blaue Augen und ein tolles Lächeln. Eigentlich könnte Sie in einer dieser Modelshows im Fernsehen mitmachen und würde sie dann auch noch locker gewinnen. Aber ihr bedeutete all das nichts. Sie gehörte schon immer zu den Frauen, die sich lieber die Finger schmutzig machten, als sich den ganzen Tag um ihr Aussehen zu kümmern.

Schnell bereitete er sich in der Küche einen Kaffee zu, extra stark. So hatte er seinen Kaffee am liebsten, besonders zu dieser Uhrzeit.

Fünf Minuten später saß er schon in seinem Auto, einem alten 3er-BMW und schaute auf die Uhr. Es war 4.10 Uhr, die Morgendämmerung würde bald beginnen, und einen weiteren Frühsommertag einläuten.

Nach und nach werden dann die Bewohner der Stadt ihren Tag beginnen. Ahnungslos, über die Vorkommnisse der letzten Nacht. Doch schon bald werden die Aasgeier aller Medien sich auf den Fall stürzen. Dann beginnt die Unruhe.

"Tja das wird mal wieder ein langer Tag", dachte der ausgelaugt Kommissar.

Von seiner Wohnung bis zum Hafen war es nicht sehr weit. Die Fahrt würde nicht lange dauern, doch er genoss jede Sekunde der Ruhe, die ihm noch vergönnt war.

Am Hafen

Schon von weitem konnte er sehen, wo sich der Tatort befand. Polizeiwagen sperrten den Bereich weiträumig ab. Die Blaulichter hatten bereits viele Schaulustige angelockt, die sich hinter dem Absperrband sammelten und von einigen Polizisten im Zaum gehalten wurden.

"Unglaublich, wie viele Menschen hier zu dieser Uhrzeit unterwegs sind", dachte er.

Die Cap San Diego, ein altes Frachtschiff, das nun im Hamburger Hafen als Museumsschiff vor Anker lag, war ein merkwürdiger Hintergrund für einen Tatort.

Er parkte seinen Wagen ein paar hundert Meter entfernt und machte sich zu Fuß auf den Weg.

"So kann ich noch einmal die Ruhe vor dem Sturm genießen", ging es ihm durch den Kopf.

Eric nahm sich eine Zigarette und zündete sie an.

Eigentlich sollte ich aufhören ..."

Er zündete sich die Zigarette an, nahm einen langen Zug und schloss dabei die Augen. Er hielt einen Moment inne, während er den Kopf hob und langsam den Qualm durch seine Nasenlöcher entweichen ließ. Nachdem er den Kopf wieder gesenkte und seine Augen geöffnete hatte, sah er Sabrina, die auf ihn zulief.

„Hey Eric!“, rief sie ihm entgegen.

Sie sah wie immer hinreißend aus. Ihre blonden Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. So genoss Eric einen guten Blick, auf ihre Brüste, die von der blauen Bluse umrandet wurden.

Schau wo anders hin!“, ermahnte er sich und hoffte, dass sie den Blick nicht bemerkt hatte.

„Moin Sabrina“, sagte Walthers.

Er ging auf sie zu. Als die beiden voreinander standen umarmten sie sich kurz. Dann ging Sabrina voran.

„Erzähl mir, was hier passiert ist", bat er sie

„Heute Nacht wurde eine Leiche entdeckt. Sie ist männlich, 30 – 40 Jahre alt, blond. Sonst haben wir noch nicht viel. Er hat keine persönlichen Dinge bei sich. Deshalb ist er noch nicht identifiziert. Die Leiche wurde so schwer entstellt. Eine genauere Beschreibung wird schwer."

"Wie wurde er entstellt?“

"Das musst du dir selbst anschauen", sagte die Blondine und ging voran.

„Graham und die KTU sind bereits vor Ort und schauen sich alles an", sagte sie.

„Er ist mit seinen Skizzen beschäftigt. Ich finde das unnötig, wir bekommen doch einen detaillierten Bericht der KTU. Wozu also die ganze Arbeit?“, frage sie Eric

„Ich weiß, das macht er schon immer. Er vertraut am liebsten auf seine eigene Arbeit. Es ist nicht so, dass er die KTU nicht schätzt, aber er geht gern auf Nummer sicher.

Sie erreichten die Menge der Schaulustigen und Eric hörte das Gemurmel der Menge.

"Das ist einer abgesoffen!"

"Ja ich hab gehört, es soll ein Betrunkener gewesen sein."

"Er war feiern auf‘m Kiez und ist dann, sturzbesoffen in Wasser gefallen."

Eric erkannte bereits die ersten lokalen Journalisten. Sie standen in der Menschenmenge, machten sich Notizen und schossen Fotos.

"Jeder dieser Vollidioten will natürlich, dass seine Geschichte genommen wird! Aber besser für uns, so können wir vorerst in Ruhe arbeiten. Wenn erst einmal bekannt wird, dass es Mord war, wird es hier von Reportern und Kamerateams nur so wimmeln", dachte Eric.

Eric und Sabrina kämpften sich durch die Menge und zeigten dem Streifenpolizisten am Absperrband ihre Ausweise. Er hob das Band an und lies sie passieren. Eric wusste, dass er den Kollegen schon mehrfach gesehen hatte, konnte sich aber nicht mehr an dessen Namen erinnern.

Nun hatten sie freie Sicht auf die kleine Gruppe. Kriminaltechniker und Henning. Sie trugen weiße Einweg-Overalls aus einem dünnen Stoff. Sie verhinderten, dass sie versehentlich Beweismittel vernichteten oder kontaminierten und somit wertvolle Spuren verloren. Eric und Sabrina liefen zielstrebig auf den weißen VW-Sprinter zu, dem Einsatzfahrzeug der KTU. Eric sprang hinein und fand auf dem kleinen Tisch sofort, wonach er gesucht hatte. Eine Packung mit Latexhandschuhen. Er zog ein Paar heraus und streifte es sich über. Daneben stand eine Packung mit Schuhüberziehern, von denen er sich auch ein Paar überstreifte. Sabrina tat es ihm gleich.

"Wenn ich die so sehe, muss ich an Ameisen denken. Die Arbeiten auch immer so durcheinander", flüsterte die blonde Kommissarin in Erics Ohr. Er grinste Sie an, sagte aber nichts dazu, auch wenn er ihren Vergleich ziemlich treffend fand.

Als sie auf Henning zugingen, traten die Kriminaltechniker beiseite und gaben den Blick frei. Das Opfer lag mit dem Rücken auf dem Boden, seine Armen und Beinen an ein Holzkreuz genagelt. Das Erste, was auffiel, waren das Fehlen der Augen, Hände und Füße. Außerdem wies die Leiche diverse Brand- und Schnittwunden auf.

"Moin!", sagte Eric in die Runde.

Erwiderungen kamen von der Gruppe, aber keiner wandte sich von seiner ihm zugewiesenen Aufgabe ab. Zu groß war die Gefahr, dass etwas übersehen wurde. Henning schaute als Einziger auf und gesellte sich zu Eric und Sabrina.

Er sah viel besser aus als Eric, zumindest um diese Uhrzeit. Henning war schon immer ein Morgenmensch gewesen, ganz anders als Eric. Seine dunkelblonden Haare waren wie immer TOP frisiert, der Bart frisch rasiert.

„Na Graham, was hast du für mich?“, fragte Eric

„Ach Walthers, wirst du deiner blöden Witze nie müde. Ich sehe viel besser aus als er. Außerdem bin ich bei weitem nicht so labil.“, sagte Henning und grinste.

„Der arme Kerl hatte wirklich ein grausiges Ende. Egal was du in deinem Leben angestellt hast, aber so etwas verdient meiner Meinung nach keiner! Das Kreuz könnte ein Indiz für ein Ritual sein, aber wenn ich mir die Art und Menge der Wunden anschaue, tippe ich eher auf Rache. Das Opfer wurde auf ein Holzkreuz gefesselt und vermutlich Stunden, wenn nicht Tage gefoltert. Ihm wurden die Augenlieder entfernt. So wollte der Täter ihn wahrscheinlich zwingen, alles mit anzusehen. Der Penis und die Hoden wurden ihm entfernt und in seinen Mund gestopft.“, erläuterte Henning mit dem typisch klaren Dialekt der Hannoveraner.

"In den Mund gestopft!? Scheiße eh.", sagte Eric entsetzt.

Henning nickte.

„Dann wurden ihm die Lippen zugenäht und Hände und Füße abgesägt. Vermutlich, um eine Identifizierung zu erschweren. Brandwunden, Schnitte, gebrochene Knochen durch Schläge, mit einem schweren Gegenstand. Am Ende hat man ihm dann die Augen ausgestochen. Und das sind nur die Verletzungen die man oberflächlich erkennen kann. Weiteres wird uns Peter nach seiner Autopsie sagen können.", beendete Henning seine Ausführung.

Sabrina, die blonde Kommissarin schaute entsetzt. Sie war zwar schon eine Weile vor Ort, aber trotzdem musste es unheimlich schwierig für sie sein.

Der erste Mordfall, an dem sie beteiligt war und gleich so einer.

Die Meisten, die das erste Mal zu so einem Tatort kommen, rennen weg, oder übergeben sich. Der Anblick einer Leiche ist etwas, woran man sich erstmal gewöhnen muss.

Eric hatte auch einige Zeit gebraucht. Sein erster Fall war ein Mord mit anschließendem Selbstmord. Eine junge Frau kam abends nach Hause und erwischte ihren Verlobten, wie er die Brautjungfer vögelte. Sie holt die Pistole ihre Verlobten, erschoss ihn, die Brautjungfer und am Ende sich selbst. Für eine Frau war so ein Selbstmord sehr ungewöhnlich, denn sie wollen auch im Tod makellos aussehen. Das hätte Eric, zumindest bis dahin immer gedacht. Aber auch bei der der Polizei war es so, dass die Theorie sich oft von der Praxis unterscheidet.

"Daran ist er aber nicht gestorben. Auch wenn man bei dem Anblick, der hier angewandten Foltermethoden, vermuten könnte, dass er verblutet ist, oder an einem Schock starb.

„Er wurde letztendlich hier im Hafenbecken ertränkt", sagte ein Mann, der sich von hinten an Eric herangeschlichen hatte.

Eric drehte sich um, und erkannte den Sprecher sofort, Peter Wolf, der leitende Pathologe.

Eric stellte mal wieder fest, wie wenig Peter sich in den letzten Jahren verändert hatte. Er war Mitte fünfzig, was man ihm aber, aufgrund seiner sportlichen Figur, nicht ansah. Dunkle Haare, den Bart immer frisch getrimmt und gut gekleidet. Durch seine Vorliebe für „schweigsame Patienten“, wie er sie selbst gerne nannte, hatte er sich den Namen Doktor Tod eingefangen.

"Seine Lunge ist voll mit Wasser. Daraus lässt sich ableiten, dass er noch am Leben gewesen sein muss, als man ihn ins Hafenbecken warf.“

"Er wurde also gefoltert und am Ende ertränkt", flüsterte Henning.

„Der Täter muss medizinische Kenntnisse haben. Vielleicht Rettungssanitäter, Mediziner oder eine andere Art von Erste- Hilfe Ausbildung. Sonst wäre es schwer gewesen, das Opfer so lange am Leben zu erhalten. Normalerweise würde der menschliche Organismus nach einer gewissen Zeit einfach kollabieren, aber er hat es geschafft, ihn am Leben und bei Bewusstsein zu behalten, bis er mit seinem grauenhaften Werk am Ende war. Meinen vollständigen Bericht bekommst du so schnell wie möglich, Eric".

„Ich danke dir Peter.“

Eric stand nun nur wenige Meter entfernt von dem, was einmal ein lebendiger Mensch gewesen war. Immer wenn er so etwas sah, konnte er nicht glauben, dass ein Mensch zu so etwas in der Lage war.

Er sah ihn an. Lange Nägel waren ihm durch die Armgelenke und durch die Knie getrieben worden. Die Augenlieder fehlten, sowie die Augen selbst.

Die Brustwarzen abgeschnitten ... Schnittwunden ... Brandwunden ...

„Was hast du getan umso ein Ende zu verdienen?“, murmelte Eric.

Eine Antwort bekam er nicht.

Dann drehte sich Eric, der nun wieder einen neunen Fall leitete, sich um und studierte die Umgebung. Es sah alles aus wie immer hier am Hamburger Hafen. Die Hafenarbeiter auf der anderen Seite verluden ununterbrochen Container. Die ersten Touristen des Tages spazierten die Landungsbrücken entlang und warten auf den Sonnenaufgang, der in wenigen Augenblicken beginnen würde. Wenn neben ihm nicht eine Leiche liegen würde, wäre es ein Tag wie jeder andere auch.

„Ein Boot der Hafenpolizei wurde heute Nacht auf ihn aufmerksam. Erst dachten sie es würde sich um Treibgut handeln, oder um ein abgebrochenes Schiffsteil. Wir haben die Hafenarbeiter befragt, niemand weiß, wie er in das Hafenbecken gekommen ist", erklärte Sabrina.

"Sabrina, du gehst alle Vermisstenanzeigen durch und suchst diejenigen heraus, die zu unserem Opfer passen."

"Henning ...“

„... Ich erstelle ein Profil. Was momentan eher schwierig ist, wenn man bedenkt, dass ich über kaum Informationen verfüge!", vervollständigte er selbst seine Aufgabe.

"Ja so ist es, aber irgendwo müssen wir anfangen", antwortete Eric.

"Vergleich auch diesen Mord mit der Datenbank. Vielleicht hat der Kerl schon einmal gemordet", schlug Sabrina vor.

"Gute Idee.", sagte Henning.

Darauf bin ich auch schon gekommen meine Süße.“, dachte Henning, sagte es aber nicht.

"Und ich brauch erstmal einen Kaffee!", sagte Eric und überlege, wo er schnell etwas von dem schwarzen Lebenselixier besorgen konnte.

“HEY WALTHERS!

KOMMT MAL SCHNELL RÜBER!!!”, rief Peter und verdrängte damit sein Bedürfnis. Er und sein Team hatten gerade die Leiche vom Holzkreuz gelöst und umgedreht.

„Na was hast du gefunden Doktor Tod?“, fragte Eric

Die Kriminaltechniker hatten sich um sie versammelt. Als die Drei näher kamen, erkannten sie den Grund. In die Haut des Rückens war ein Text eingebrannt worden.

„Da hat uns der Täter ein kleines Gedicht hinterlassen.“, sagte Peter.

4 Stunden der Folter für Wochen an mir.

4 Täter werden Opfer sein, nun sind sie die voller Pein !

4 Opfer sollen meine Gerechtigkeit sein!

4 Tage wird es gehen, jeden Tag werdet ihr jemand Neues sehen!

"Das bestätigt uns sein Motiv. Rache.", sagte Eric.

Oder will er uns nur auf eine falsche Fährte locken?“, überlegte er dann.

Hinter der Absperrung der Polizei herrschte helle Aufregung. Jeder stellte neue Vermutungen an. Immer mehr Gaffer versammelten sich. Die Journalisten schrieben und schrieben auf ihre Notizblöcke oder sprachen in die Diktiergeräte. Die Mordtheorie war auch schon im Umlauf. Die Aufregung der Menschen machte sie blind. Ihn, der in ihrer Mitte stand, an einem warmen Sommermorgen einen Pullover mit Kapuze tragend, nahmen sie nicht wahr. So etwas wäre unter anderen Umständen sofort aufgefallen. Aber nicht heute. Er stand da und beobachtete mit einem Grinsen im Gesicht das Treiben.

Als eine junge Frau sich ihm zuwandte und sagte: "Was für ein schrecklicher Morgen!", reagierte er nicht, sondern drehte sich um und ging.

Im Gehen sagte er: "Das ist kein schrecklicher Morgen. Das ist ein Morgen der Gerechtigkeit!"

Verwirrt starrte die junge Frau ihm hinterher, weil sie seine Worte nicht verstand.

"Mal wieder so ein Spinner, der nur wirre Scheiße labert", sagte sie zu sich selbst. Dann wand sich wieder dem Geschehen zu und er verschwand unerkannt.

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