Bob Lennce und der fremde Klang

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Bob Lennce und der fremde Klang
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Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang

Ein Mystik-Krimi

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorspann

MORGEN

SPÄTER NACHMITTAG

ABEND

SPÄTER ABEND

NACHT

FRÜH

VORMITTAG

MITTAG

NACHMITTAG

ABEND

NACHT

MORGEN

VORMITTAG

VORMITTAG

FRÜHER NACHMITTAG

FRÜHER NACHMITTAG

NACHMITTAG

SPÄTER NACHMITTAG

ABEND SPÄT

FRÜHER MORGEN

MITTAG

MITTAG

NACHMITTAG

NACHMITTAG

FRÜHER ABEND

NACHTS SPÄT

MORGEN

SPÄTER VORMITTAG

FRÜHER NACHMITTAG

ABEND

MITTAG

SPÄTER NACHMITTAG

VORMITTAG

SPÄTER NACHMITTAG

FRÜH

MITTAG

FRÜHER NACHMITTAG

NACHMITTAG

SPÄTER NACHMITTAG

NACHT

NACHT

MORGEN

SPÄTER MORGEN

VORMITTAG

VORMITTAG

MITTAG

MITTAG

NACHMITTAG

NACHMITTAG

ABGESANG

Impressum neobooks

Vorspann

Vor dem Musiker saß der Mann mit dem harten, festen Kiefer, Muskelmasse zusammengeballt. Der ganze Körper war angespannt gegen mögliche Bedrohungen, überall sah er Gefahr. Dunkle Augen scannten die Umwelt ständig, um die Waffe des anderen zu erkennen, die lauernde Gewalt im Versteck, er wollte den Moment des Angriffs abfangen, denn an solch ein Leben war er gewöhnt. Kein vergnügliches Warten auf Bilder, kein stilles Wandern des Blickes. Vergnügliche Bilder waren Leichtsinn, lockere Unaufmerksamkeit reiner Luxus. Das was man sah war da um verarbeitet zu werden, war nur Baumaterial für Mauern gegen den Untergang.

Bob Lennce blickte auf den Mann vor ihm, sah schmerzhafte Kunst auf seiner Haut. Haut als Leinwand zur Selbstverwirklichung. Die Körperoberfläche war ausgearbeitet bis zum letzten cm. Rote, blaue und vor allem schwarze Muster überall in die Haut gedrückt. - 5 Jahre Gefängnis, das war Zeit. Im Nacken genau an der empfindlichsten Stelle sah Bob ein Spinnennetz, - Tinte unter der Haut wo sonst die meiste Angst saß.

Das Gefängnis war im Grunde für den Mann geschützte Zone gewesen, harmlos, nur ein paar Schwerverbrecher rund um ihn, nichts wirklich Bedrohliches, keine Leichenteile in den Straßengräben, keine angstvollen Augen hinter der Ecke. 5 Jahre ein ganz normales Leben im Knast zum Muster auf die Haut malen, blutige Muster, weil sonst geschah ja nichts. Zwischendurch Ausbildung zum Werkzeugmacher – irgendwer behauptete, dass das gut tut. Geschützte Leere - ein neues, schalgraues Leben, normales Anstalts-Gewand über die Haut mit den Bildern gestülpt. Keine Uniform mehr. Und ab in den farblosen Kreisverkehr, wo die Seele hungrig war, nach dem Lärm, nach der Gewalt, die sie nie vermissen wollte.

Er war hilflos leer geblieben, immer. Nie war er satt geworden an der Gewalt, am Blut, und kannte nichts um den Hunger zu stillen. Wenn Gewalt nicht da war, blieb das Nichts. Heute war er krank, konnte nie mehr schlafen. - So tiefes Mitleid hatte Bob Lannce noch nie für irgendjemanden empfunden. Was da vor ihm saß war Deutscher Söldner, amerikanischer Söldner - Krieg in Afrika, Krieg in Bosnien immer wieder nur Krieg, der Alltag - zerstückelte Leichen. Sie schlichen sich täglich in die kurzen Träume des Mannes, klappten sich vor seinen Augen auf, ungewollt, ungerufen. Keine Chance auf Stille. Alles war unruhig und leer.

Wie sollte ein Leben Stille bekommen, wenn das Nichts die Herrschaft hatten? Da fehlt der zarten Duft, der leisen Klang… Musik vielleicht, dachte Bob, aus dem Hauch des Windes, aus gleichmäßigem Rauschen von Wasser, ein Konzert wie das Rascheln von Vogelflügeln in einem Baum – das war Leben … Es gab den feinen Klang nicht wo der Lärm der Tötungsmaschinen war. Deshalb war diese Seele verbrannt, das konnte Bob sehen, ihr Treibstoff war aufgebraucht, hatte sich im Motor zur Gewalt selbst vernichtet. „Wer tötet zuerst“ die einzige Frage, die der kannte. Die aber war allmächtig, weil sie das Bisschen Überleben garantierte…

„Ich würde gerne etwas ändern“, sagte der Mann in dem Moment. Er hätte gerne etwas anders?

Wie sollte das sein? Er kannte ja sonst nichts, hatte kein Bild von dem „anders“. Der Söldner saß vor Bob, angespannt. Nicht zufällig war er da, er hatte etwas zu erledigen, etwas zu vollbringen, er hatte ihn, den Musiker Bob Lannce, etwas zu fragen, ein wichtiges Anliegen um weiter leben zu können: Wie war das mit dem Klang? - würgte er heraus. Können Wiegenlieder wirklich den Schlaf bringen. Wie war das mit dem Lulabei? War das ein Mittel gegen den zerstörten Schlaf? Er hatte über Lulabei gelesen, ja er kannte das Wort – aber er war ein Heimkind. Es gab da Dinge, die für andere Kinder vertraut waren, ihm waren sie fremd.

Bob sah den Krieger an: Ein Wiegenliedchen damit er wieder einmal schlafen konnte? Half der sanfte Klang einer Weise über den Frieden? Konnte der schlafen, weil ihm jemand ein Lied über den Frieden sang?

Nein, denn nichts in ihm hatte Antwort auf ein solches Lied …

Er, Bob Lennce, der berühmte Musiker, war sein Leben lang hinter dem feinen Klang hergejagt, hinter Verlockungen für die Seele. Er wollte Antworten aus ihren dunklen Höhlen kitzeln um sie lebendig zu machen... Aber was war wenn nichts in der Höhle hauste? Leere in der dunklen Seelenhöhle, keine Verbindung zur Musik. Gab es das? Da musste doch irgendetwas sein, nicht nichts?

In der Kindheit waren Gefühle leichter zu befreien gewesen, kamen neugierig aus ihren Löchern. Er spürte sie damals in den Handflächen, konnte Gefühle riechen und hören, warm zerlaufene Schokolade und ein brummender, vibrierender Käfer auf seiner geöffneten Hand. Die Krallen und das Brummen waren zu spüren. Oder sein Meerschweinchen hatte er warm, fett und quietschend in den Fingern gefühlt, das war die Welt der Kindermusik und das müsste dieser Krieger dann erst einmal erleben. Wie sollte der aber Musik in seinen Händen spüren durch die dicken, harten Schwielen der Gewalt?

 

Bob fühlte das heftige Mitleid fast körperlich. Wie sollte der Mann das zarte Zirpen einer Grille hören, wenn Waffen auf vollen Touren knallten? Durch die Hornhaut dieser Erfahrung kam nicht leicht etwas durch. Man musste zuerst den Lärm abdrehen, ausschalten…

Abdrehen und ausschalten aber war für den Mann vor ihm wohl nur der Tod. Abdrehen und Ausschalten war einfach töten.

Wie oft der schon gemordet hatte? Ein Schuss, Messer an der Kehle. Dann das Nichts, alles abgedreht, ausgeschaltet. Dieser da war übrig geblieben, daher war der andere tot. Und dann hatte er sich wohl wieder ein neues Muster in seine Haut bohren lassen, in einen leeren Fleck, wo er Gefühle vermutete…

Mitleid, Mitleid mit dem der keinen Klang fühlen konnte, Wiegenlieder nie gekannt hatte. Nur den Lärm oder das Nichts. Und dazwischen war tote Leere. Bobs Gedanken wanderten aus seinem Mitleid für den anderen in die eigene Welt. Ein Lulabei für Krieger? War das etwas wirklich Neues? Harter Rhythmus der von einem Schlafliedchen niedergerungen wurde?

AUF DEM WEGE ZUM SCHAFFOTT… klang in seinem Ohr, - der Beginn eines neuen Songs…

Rhythmisch… Die rhythmische Gewalt schleift die feine Melodie im Hintergrund zuerst mit… Bob ließ einige Noten aufmarschieren. Die sprangen in die fünf Linien, formierten sich und fielen wieder heraus. Er dachte zu viel an das Gehörte. Alles schon mal dagewesen, das war sein Fluch. Nach fast dreißig Jahren Komposition ging einem das Neue aus. Er konnte sich nichts mehr abquälen, das seinen Ausruf der Begeisterung verdiente. Aber in seinem Gehör dröhnte weiter:

AUF DEM WEGE ZUM SCHAFFOTT – Marschmusik, der Text entwickelte sich

Geschenk an Vaterland und Gott…

Banal! Leer. Leer wie der Mann vor ihm. Er selbst war auch leer. Vielleicht spürte er den anderen deshalb so?

War dieses Mitleid eigentlich für ihn selbst bestimmt? Gehörte das Mitleid ihm?

Auch sein Leben hatte im Lärm stattgefunden. Sein Leben war Synthesizer und Schlagzeug auf vollen Touren - riesige Veranstaltungen, mächtiger Klang, mächtiger Applaus - alle, alle wollten sich ihm hingeben. Brennende Illusion von Liebe, sich aufschaukelnd, sich unermesslich steigernd, für ihn dann unverzichtbar wie eine Sucht, aber auch er hatte kein anderes Leben.

Was war mit dem Kitzeln, mit dem Geruch der kleinen Lust? Konnte er denn noch die zerlaufene Schokolade in der Handfläche riechen?

Eigentlich nicht, denn er musste immer einen Welthit daraus machen, wenn er ein Bisschen Schokolade roch. Seine Welt war ganz anders und doch gleich wie von dem Mann vor ihm. Er war auch ein Krieger – er jagte hinter den kleinen, feinen Gefühlen her, ständig auf der Pirsch. Wie eine Katze vor dem Mauseloch wartete er jetzt schon seit Jahren auf jedes winzige Gefühlchen aus dem ein guter Song zu machen war. Seine Handflächen waren hart und verhornt, weil sie ständig offen, darauf warteten endlich gekitzelt zu werden.

Gerade jetzt hatte irgendetwas passieren müssen – irgendeine neue Sensation. Er hatte hin und her überlegt, was das sein könnte. Schließlich hatte er beschlossen das Konzert für den Bau der Kirche zu machen. Er suchte gerade jetzt nach Bildern, für Glauben und Gott, weil er das für sein Mysterienspiel brauchte. - Die Welt ohne Krieg - der Mythos von dem er sang und der gut ankam und vielleicht auch irgendetwas mit Religion zu tun haben konnte. Eine neue Bewegung sollte es werden. War dieses Konzert, das er da in der unfertigen Kathedrale plante eine Möglichkeit? - Er wollte neu bewegt werden, er musste neu bewegt werden, damit er andere bewegen konnte…

Die alten Worte konnte er nicht mehr verwenden, waren alle ausgesaugt.

Wenn er aber in die Wundertüte seiner Gefühle blickte, das Kaleidoskop drehte, kamen immer die gleichen ausgelutschten Bilder und Klänge. Die hatten schon Weltruhm bekommen und seine Fans warteten mit offenen Mündern, damit sie wieder staunend Neues schlucken konnten. Sie standen am Rand der Bühne und sperrten wie junge Vögel sehnsüchtig. Er sah offene Schnäbel aus der Tiefe, auf ihn hoffend und er hatte alles ausgegeben. Da war nichts mehr drin,- nicht der kleinste Seelenwurm.

Ein Lulabei für Krieger? Etwas regte sich in ihm…

MORGEN

Ezra hatte wieder einmal einen seiner unmöglichen Jobs. Er musste ein Journalistentreffen auf die Beine stellen, hatte schon seit Wochen alles in die Wege geleitet, damit möglichst viele kamen und ihre Zeitungen mit Berichten über das geplante Konzert füllten. Bob Lennce als Zugpferd würde ihnen ein Konzert der besonderen Art servieren. Aber das brauchte Organisation.

Und Ezra brauchte den Job. So vor sich hin zu studieren, kostete Geld, das er beschaffen musste. Drei unfertige Studien, das wollte finanziert werden… Seine beiden Mütter standen wohl allzeit bereit, ihm zu helfen. Allerdings hatte er vor Jahren gelernt, das war mit guten Ratschlägen oder Vorschlägen verbunden. Sie überlegten einfach immer wieder, wie er sein Arbeitsleben effizienter, kontinuierlicher, einfach seriöser gestalten konnte. Er wollte es weder kontinuierlich noch seriös. Er wollte sein viertes Studium finanzieren und keine Ratschläge. So hatte er die letzten Wochen kaum eine Pause gehabt. Sein Ohr war schon aufgerieben vom Telefonieren: Großveranstaltung, in diesem seltsamen Gebilde, in dem er da stand, zwischen unfertigen Wänden.

Große Löcher in den Himmel statt einem Dach, eine Kirche im Bau, unfertig. Vielleicht war unfertig mehr Beziehung zum Schöpfer als fertig? Der hatte ja auch ständig Probleme mit der Fertigstellung.

Es fühlte sich seltsam an, zwischen diesen mächtigen Mauern in den Himmel zu schauen. Über ihm in der Ferne das Gerüst einer riesigen Kuppel, unter ihm nackter Lehm. Zu mindest große Flächen nackten Lehms, denn einige Teile des Bodens waren mit unglaublich schönen Mosaiken belegt, aber eben nur einige Teile, er sah drei Flächen mit wenigen Quadratmetern Mosaik. Dazwischen, gab es betonierte Flächen und eben nackten Lehm, Sand, Löcher. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass hier zum Himmel beten näher, direkter möglich war als mit Dach.

Ezra konnte sich der Beziehung zu Gott nicht inbrünstig hingeben, denn er war ziemlich beunruhigt. Er wollte den Job perfekt durchziehen und es schwante ihm Böses: Das Projekt hatte drei führende Persönlichkeiten, seiner Erfahrung nach war das schon ein gewaltiges Risiko. Aber dann war auch noch der eine Rudolf von Walthen, sein Auftraggeber. Ein Deutscher, nach Ezras Meinung ohne die angestammten deutschen Qualitäten. Der hatte es irgendwie geschafft, das Großprojekt an Land zu ziehen, und Ezra vermutete, dass Verbindungen im Hintergrund gelaufen waren, Verfilzungen, um diese Entwicklung möglich zu machen, denn Rudolf von Walthen stand in seiner Erfahrung nicht für effizientes Management. Nein, gar nicht. Er stand für erstklassige Fahrzeuge, geschmackvolle Kleidung, war sehr gutaussehend und hatte selbst das Gefühl, dass er sehr fähig war, Leute zu überzeugen. Wovon? Von allem, je nach Bedarf.

Mit den praktischen Folgen seiner Überzeugungskraft konfrontiert, verschwand er meistens, und er hatte Ezra schon bei anderen Projekten im Regen stehen lassen.

Langsam wanderte Ezra durch den nicht fertig gestellten, gewaltigen Raum. Unter dem Himmel in weiter Ferne sah er ein winziges Männchen an der Arbeit. Das turnte durch die Gerüste, die Kuppel war ein Gerippe ohne Haut. Wieso die wohl nur einen einzigen Bauarbeiter hatten? Bei so einem gewaltigen Projekt kam ihm der vor wie ein kleiner Käfer, der auf einer uralten, riesigen Eiche hochkrabbelte. Der konnte doch keine Spuren hinterlassen?

Ein wunderbarer Ort für ein Konzert. Klänge, die durch das offene Dach in den Himmel stiegen. Hier war Ausdehnung möglich, eine Erweiterung der kleinen menschlichen Welt in die Unendlichkeit mit Musik. Die Apsis, wo man später wohl einen Altar finden würde, war schon überdacht. Ezra ging um die mächtige Säule herum, die ohne Erklärung in den Himmel ragte. Sie verstellte ihm die Sicht. Er betrachtete das Stück Dach.

Das Problem würde die Akustik sein. Man konnte nicht einfach beschließen, die Plattform für die Performance unter diesem Stück Dach anzulegen, weil absolut nicht zu bestimmen war, wie sich die Töne in den Wandfragmenten verhielten. Solange das nicht klar war, konnte man gar nichts planen. Nicht einmal, welches der Portale der Einlass für die Konzertbesucher werden sollte. Die Anordnung der Sitze war von der Akustik abhängig.

Er nahm sein Handy und hatte Larry, den Bodyguard von Bob Lennce, in der Leitung. „Ist Ylia schon da?“ Das war der Mann am Mischpult. Von ihm war am ehesten zu erwarten, dass er in Sachen Akustik zu einer Aussage kommen würde.

„Ylia ist grade in der Krise. Er ist vor einer Woche irgendwohin abgehaut und ich weiß nicht, wann er wieder kommt. Und die anderen reisen erst morgen Nacht an.“

„Gut, vergiss es.“ Ezra hätte auch nicht erwartet, dass irgendetwas funktionieren würde.

Er rief Wolfgang an, seinen Freund seit der Grundschule. „Hast du gerade ein Projekt?“

„Nein, ich bin in der Badewanne.“

„Hast du gerade eine unaufschiebbare Liebessache?“

„Nein, ich bin in der Badewanne.“

„Das Konzert in der Kathedrale wird von Walthen organisiert. Ich bin aufs Schlimmste vorbereitet und muss wissen, wie es mit der Akustik in diesem unwahrscheinlichen Gebilde bestellt ist.“

„Das muss auch bis nach der Badewanne warten.“

Gottseidank war Wolfgang, so unvernünftig er auch gelegentlich war, in diesem Falle die ergiebige, verlässliche Lösung. Er würde zu einer Aussage in Sachen Akustik kommen und dann konnte weiter geplant werden.

Ezra ging durch eine Stelle mit Sand und schob kleine Hügel vor seinen Schuhen her. Ob man die Zuschauer in diese Sandstellen setzen konnte? Gartensesseln? Einige tausend Sesseln mussten untergebracht werden. Wie das richtig einzurichten war, hing von der Bühne ab… Seine Organisation drehte sich im Kreis.

Da sah er drei kleine Mädchen sandspielen. War das erlaubt, hier sandspielen? Durch die offene Kuppel fielen Sonnenstrahlen auf den Sand und auf die Köpfe. Gott würde der Anblick wohl gefallen, dem Bischof nicht. Der hatte eine Tradition zu wahren – Spiel als Abwertung Gottes.

Ezra blieb stehen und schaute den dreien zu. Es waren hübsche kleine Mädchen. Sie hatten aus dem Lehm von einer anderen Stelle des Bodens Männchen geformt. Die Männchen stellten sie in den hellen, ein wenig glitzernden Sand. Die Größte fragte ihr kleines Tonwesen: „Welcher hat geklopft?“

„Der da“, sagte die Kleinste, „der hat geklopft.“

„Aber vielleicht war’s der?“

„Nein der, der will aus der Wand.“

„Kann er aber nicht“, sagte die Größte.

„Muss er drinnen bleiben und weiter klopfen.“ Die Mittlere klang sehr zufrieden.

Die Kleinste nahm ein Tonmännchen und ließ es davonhüpfen. „Jetzt klopft er im Keller“, rief sie.

Ezra trat hinter seiner Säule vor. Die drei sahen ihn und ließen die Männchen stehen. Quietschend liefen sie davon. Ezra stand vor der kleinen Sandbühne mit ihren Schauspielern. Einige waren umgefallen. Er konnte mit dem seltsamen Dialog der Kinder nichts anfangen.

Das Spiel fand er bezaubernd, aber sein Planungshirn drängte sich vor, mit anderen Aufgaben: Zuerst musste er sich um den Presseempfang kümmern. Und zwar sofort. Walthen hatte irgendetwas gemurmelt und dann gemeint, er würde ein wenig zu spät zum Empfang kommen. Das war seine Methode, um sich aus der Organisation heraus zu stehlen, für die er zuständig war.

Der Wetterbericht war schlecht, und daher war das ursprüngliche Konzept, das Ganze in der „Kathedrale“ stattfinden zu lassen, out, keine gute Sache. Der Gemeindesaal wurde gerade ausgemalt, und so hatte Ezra nach weiteren Räumen gesucht, in denen man Ansprachen und Journalisten unterbringen könnte. Gab es nicht. Die letzte Möglichkeit: Er hatte mit der Pensionsinhaberin vereinbart, die Kegelbahn hinter dem Haus nützen zu dürfen.

Preisvergleiche beim Catering und Organisieren einer mobilen Heizung hatte er vollbracht, denn der Frühling hatte sich noch nicht wirklich vom Eise befreit. Ezra rannte mit Handy am Ohr durch die Straße.

Was hatten die Kinder wohl damit gemeint? Wer klopft? Wieso klopft einer?

SPÄTER NACHMITTAG

Eine Stunde vor dem Presseempfang. Das Budget hatte nur für ein billiges Catering gereicht und Ezra spürte ein leises Vibrieren in den Nervenbahnen. Billige Caterings waren normalerweise eher unverlässlich.

 

Die Kegelbahn war schon einige Zeit außer Betrieb gewesen. Verschlafen hatten einige Holzkegeln an Fäden gebaumelt und Holzkugeln, die nicht mehr wirklich rund waren, hatten zwischen Laub vom vergangenen Herbst gelegen. Das war das Bild der ersten Besichtigung. Die Türe war wohl aus irgend einem Grund offen geblieben und der Wind hatte die Last von den Bäumen hineingeweht. Mit zwei mühsam organisierten Helfern wurde der Raum von Ezra geräumt. Die Reste der Kegelbahn waren inzwischen zur Dekoration geworden. Ein Blumenarrangement tat so, als ob dieser Raum immer gemeint gewesen wäre. Ein geliehenes Heizsystem versuchte, das Ganze zu heizen wie einen Empfangsraum. Das Catering war noch nicht da. Schlimmstenfalls würden sie leise ihr Buffet aufbauen, wenn die Ansprachen schon begonnen hatten. Einige Doppler Wein und einige Flaschen Mineral hatte er gekauft, falls gar nichts klappte. Gläser hatte er von der Hausfrau geborgt.

Wolfgang hatte die Akustik eingemessen und gesagt, es wäre keine vorhanden. Die Kathedrale war ein wundervoller Raum, aber, so großartig er aussah, kein Konzertsaal. Wolfgang als Techniker meinte, man könnte ein System mit schwebenden Objekten entwickeln. Das wäre aber nicht erprobt.

Das versprach ein Riesenproblem zu werden, aber zu einem späteren Zeitpunkt – ein andermal, nicht an diesem Tag. Jetzt war angesagt, mit der Hausfrau klarzukommen. Die hatte festgestellt, dass sie sich ihre schönen geputzten Kloanlagen nicht von irgendeinem Journalistenpack verschmutzen lasse, es gäbe noch aus den Zeiten der Kegelbahn im Garten ein Plumpsklo. Ezra führte mit ihr harte Verhandlungen, aber beide wussten, dass so knapp vor der Veranstaltung wenige Möglichkeiten blieben. Er musste das Budget zusätzlich belasten.

Da kam Bob Lennce.

Der Musiker war das Herz und die Seele der Veranstaltung, erhob aber keinen Anspruch. „Wer kommt denn da heute?“, fragte er interessiert. Ezra erklärte ihm, dass eigentlich geplant gewesen sei, dass er, Bob Lennce, das Projekt vor der Journalistenriege vorstelle. Bobs Blick ging ins Leere. Das war ihm entfallen.

Ein Rumpeln war vor der Türe zu hören, während einzelne Gäste mit suchendem Blick in den Raum kamen. Das Rumpeln war das Cateringservice. Die Vorhut brachte einige große Körbe mit weißen Tüchern. Der Häuptling blickte um sich und meinte zu Ezra: „Und wo bitte soll man hier die Tische aufstellen?“ Ezra machte Vorschläge, und gerade in diesem Moment kam Walthen. Er hatte eine sehr teure Aktentasche unter den Arm geklemmt, schick, flott…

Bob Lennce heftete ihn mit seinem stahlharten Blick nieder: „Ich habe die Unterlagen vergessen, ich denke, das Projekt wirst du vorstellen.“ Er lächelte freundlich wie eine Kobra und ging. „Ich komme dann wieder“, sagte er noch an der Türe.

Walthen war überfordert. Panische Blicke, Suche nach einem Haltegriff, nach etwas, das er kannte, mit dem er Erfahrung hatte, nicht leere Seiten einer Rede in seinem Hirn. So überkam ihn das Bedürfnis, jemanden niederzumachen. Er schaute sich um und meinte zu Ezra: „Sie wissen aber schon, dass dieser Raum völlig ungeeignet ist? Das ist schlechte Organisation.“

In Ezra stieg eine mörderische Wut hoch. Seine Fantasie machte einen Ausflug in die Gewaltszene. Lustvolle Bilder von unendlicher Grausamkeit erstrahlten auf dem Bildschirm seines gereizten Hirnes. Mit einer Garotte köpfen und im Plumpsklo vergraben fand er eine zu schwache Strafe. Gleichzeitig spross aber gewohnheitsmäßig Rechtfertigung auf seinen Lippen…

Aber wofür sollte er sich rechtfertigen? Tatsächlich hatten die vom Cateringservice gerade ein wirklich buntes Buffet aufgebaut. Die fünf Mikrophone funktionierten nachweislich. Die Heizung war noch nicht ausgefallen und verbreitete angenehme Wärme. Die Journalisten kamen eben in kleinen Gruppen durch die reparierte Türe und Walthen würde halt das Projekt vorstellen müssen, wenn der Meister keine Lust hatte…

„Wo sind denn die Handouts für die Journalisten?“

„Ich weiß nicht, wo Sie die Projektbeschreibungen hingelegt haben.“ Ezra war abwehrend.

„Das wäre doch wohl Ihre Aufgabe gewesen“, stellte Walthen fest. Ezra knirschte mit den Zähnen: Selbst wenn er sofort zum Kopierer lief, war die Zeit für ein umfassendes Handout zu kurz.

Er brauchte eine schnelle, elegante Notlösung.

Er erinnerte sich an Karten mit einem Bild des gigantischen Skelettes der Kuppel, ein schönes Bild vor Gottes blauem Himmel, ragte sie hoch wie der schwebende Brustkorb eines Walfisches. Ja, die Karten! Er fand sie tatsächlich. Dort schrieb er die E-Mail-Adresse drauf – etwa fünfzig Mal. Dann lief er damit zu jedem einzelnen Journalisten, gab die email Adresse her, erklärte, dass die Information direkt in die Redaktion geschickt würde. Schrieb eine lange Liste von Namen und Standorten und fluchte in sich hinein.

Der Raum füllte sich mit Männern und Frauen der Zeitungen die Kontakte knüpften wollten oder Rechtfertigungen für die letzten Falschmeldungen abliefern. Ein ganz normales Treffen in animierter Stimmung.

Dass am Ende eine Person tot dort liegen würde, hätten die meisten nicht gedacht.