Eurythmie – die Offenbarung der sprechenden Seele

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Eurythmie – die Offenbarung der sprechenden Seele
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LUNATA

Eurythmie – die Offenbarung der sprechenden Seele

Eurythmie – die Offenbarung der sprechenden Seele

Eine Fortbildung der goetheschen Metamorphosenanschauung im Bereich der menschlichen Bewegung

© 1918-1924 by Rudolf Steiner

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Das Prinzip der Eurythmie und wie sie entstanden ist

Der Grundgedanke der eurythmischen Kunst

DIE IMAGINATIVE OFFENBARUNG DER SPRACHE

1. Vortrag

2. Vortrag

DREI ANSPRACHEN

I. Eurythmie als bewegte Plastik

II. Die Stellung der Eurythmie innerhalb der Künste

III. Eurythmie, die Sprache des ganzen Menschen

Die Beziehung zwischen Lautsprache und Bewegung

Pädagogische Eurythmie

Die Bewegung als Sprache der Seele

Über den Autor

Vorträge an verschiedenen Orten zwischen 1918 und 1924

Das Prinzip der Eurythmie und wie sie entstanden ist
WIEN, 2. JUNI 1918

Die Veranlassung, diese sogenannte Eurythmie in unserem Kreis zu betreiben, ist eigentlich wie eine Art Schicksalsfügung gekommen, wie wir überhaupt nicht eine agitatorische Bewegung sind, sondern bei unseren Maßnahmen immer darauf sehen, was in der Zeit sich notwendig von da- oder dorther ergibt. Programm-Macher sind wir nicht. So kam es, dass ein Mitglied unserer Gesellschaft mich eines Tages fragte, ob vielleicht, gerade mit Rücksicht auf die jüngeren und älteren Mitglieder, die dafür besonderes Interesse finden könnten, eine Art Tanzkunst in unserem Kreis inszeniert werden könnte. Das führte dazu, dass diese Eurythmie in unseren Kreis eingeführt worden ist. Sie ist bis jetzt noch immer im Anfangsstadium, und es wird bedeutsam sein, dieses Anfangsstadium zu verfolgen, denn die Eurythmie ist etwas Neukünstlerisches, aber im Anfangsstadium. Als diese Frage an mich herantrat, musste ich mir selbst sägen, innerhalb unseres Kreises kann nicht das, was man sonst bisher gerade als Tanzkunst verstanden hat, besonders gepflegt werden, da man heute hinlänglich auf dem Gebiete der Tanzkunst die mannigfaltigsten Versuche sieht. Man musste sich erinnern, dass die Bewegung im Grunde genommen als künstlerisches Wirken und Schaffen von der Menschheit ausgegangen ist, alle geistige Bewegung. Im Beginne einer gewissen Zeit, die sich sogar, ich möchte sagen, historisch mit unseren geistigen Mitteln zurückverfolgen lässt, wär es so, dass die geistigen Strömungen aus einer Quelle flossen. Im Ursprung waren die Erkenntnis, das religiöse und das künstlerische Leben aus einer Quelle geflossen. Man stellte etwas dar im alten mythischen Leben, das man begreifen wollte durch gewisse Verrichtungen, durch Kultushandlungen und dergleichen; man stellte denselben Inhalt dar für die menschliche Andacht, für die menschliche Verehrung, für die Offenbarung. Im schönen Schein stellte man dasselbe künstlerisch dar. Es war damals noch durchsichtig durch die drei Äste desselben Baumes, dass eine Quelle zugrunde liegt. Die Kunst als solche ist auch wieder aus einer Quelle entsprungen und beweist das instinktiv, indem in unserer Zeit die berechtigte Tendenz besteht, was dann in getrennten Strömen geflossen ist, zusammenzubringen. Wenn eine einzelne Kunst auftritt, muss diese selbstverständlich hervorgehen aus dem Bewusstsein, worauf das Künstlerische in seiner Totalität überhaupt beruht, und da war denn die Frage, wenn man den menschlichen Organismus durch Tanzkunst in Bewegung zu bringen hat, worauf das heute beruhen kann. Nichts Willkürliches sollte geschaffen werden, nicht etwas, was bloß aus den persönlichen Absichten eines Menschen hervorgeht. Programm-Macher sind wir nicht. Es handelte sich zunächst darum, Tanzkunst zu schaffen als Begleiter des Wortes. Sie wird auch ausgebildet werden als Begleiter des Tones. Heute handelt es sich um die Tanzkunst als Begleitung des Wortes. Wie erhält man etwas Objektives auf diesem Gebiete? Hier muss ich selbstverständlich auf die geisteswissenschaftlichen Ergebnisse hinweisen, wenn ich dieses Objektive zum Bewusstsein bringen will. Wenn der Mensch spricht, ist die Tendenz vorhanden, dass der ganze Organismus des Menschen, nicht nur der physische in Bewegung ist. Gerade das, was gesprochen wird, kommt aus dem ganzen menschlichen Organismus heraus; der ganze Ätherleib, Bildekräfteleib des Menschen ist in Bewegung. Dass der Mensch spricht, dass er Worte hervorbringt, wie man es gewöhnt ist, beruht darauf, dass gerade die Bewegungen des Bildekräfteleibes zurückgehalten und lokalisiert werden in der Gegend der Brust, des Kehlkopfes und der Nachbarorgane, der Zunge und so weiter. Durch das Lokalisieren der Bewegungsvorgänge, die den ganzen Organismus ergreifen, wird vom Ätherleib aus der Kehlkopf und seine Nachbarorgane in jene Bewegungen versetzt, welche das Wort und das Wortgefüge hervorbringen. Die Kehlkopfbewegung ist eine organische Bewegung unseres ganzen Ätherleibes. Wir können das aber zurücknehmen in den ganzen Leib. Was wir Eurythmie nennen, ist im Grunde von jedem Menschen ausgeführt, wenn er spricht. Es sind solche Bewegungen, welche von irgendeinem Organ des Kehlkopfs und seiner Nachbarorgane im Organismus beim gewöhnlichen Sprechen ausgeführt werden. Was lokalisiert ist im Kehlkopf, wird physisch übertragen vom Ätherleib aus auf ein Organ. Der ganze Mensch wird zum Kehlkopf gemacht. Derjenige, der ganz genau bekannt ist mit dem, worauf Eurythmie beruht, wird nicht zu hören brauchen im Allgemeinen ein Gedicht, sondern würde lesen können dasjenige, was der Inhalt eines Gedichtes ist, aus den Bewegungen. Wir sind im Allgemeinen nicht so weit, haben auch nicht so viele Kräfte zur Verfügung, so dass die Bewegungen nicht vollständig sind, sondern nur angedeutet werden. Wir gehen so vor, dass das Gedicht gesprochen wird und von den Bewegungen, die über den Organismus ausgebreitet sind, begleitet wird. Eurythmie ist eine expressionistische Kunst. Es wird Eurythmie von jedem Menschen hervorgebracht und wird nur übertragen auf den ganzen Organismus. Wir haben im Anfange versucht, eigentlich nur die Bewegung zu begleiten. Da hat sich uns gezeigt, dass es vielleicht stören kann unrezitativ die Bewegungen zu begleiten, und da die Eurythmie eine expressionistische, die Rezitation eine impressionistische Kunst ist, ergänzen sich diese, wie ich glaube. Man hat zwei Pole, und man bekommt heute durch Verbindung der Eurythmie mit der Rezitation etwas heraus, das uns als besondere künstlerische Spezialität vorschwebt. Die Übertragung der Kehlkopfbewegungen und derjenigen der Nachbarorgane auf den ganzen Organismus bezieht sich hauptsächlich auf die Bewegung des einzelnen Menschen. Wir machen Bewegungen, welche im Raume ausgeführt werden, und auch Gruppentänze, was wir nur primitiv vorführen können. Wenn bei diesen Tänzen, welche im Raum ausgeführt werden, die Arme bewegt werden, ist das die Ausführung der Kehlkopfbewegungen. Das, was im Raume vollführt wird, wo der ganze Organismus sich im Raume bewegt, wo sich Gruppen bewegen, schließt das ein, was sonst verhalten wird. Wir sprechen niemals bloß mit unserer Kehle. Wir sprechen uns mit dem ganzen Organismus, wenigstens im Rumpforganismus, physisch aus. Diese Bewegungen geben nur den Grundton des Sprechens. Das Timbre, man fühlt das durch, sind verhaltene Bewegungen; diese lösen wir auf, führen sie im Raume aus. Dazu gehört das, was im Rhythmus, im Reime liegt. Was gesprochenes Wort ist, tritt im Rhythmus auf; was im Raume ausgeführt wird, das Verhaltene, bleibt nur ein Grundton, die Grundstimmung; wenn ein Satz mit Wärme gesagt wird, oder sonst von Gemütsstimmung durchzogen wird, so kommt das durch die Bewegung im Raume zustande. Wir lösen die verhaltene Bewegung auf. Nichts ist Willkür. Alles Pantomimische, alle Mimik wird strenge vermieden. Alle Bewegungen sind fest bestimmt und fügen sich nach Gesetzen zusammen wie bei der Musikkunst. Das Individuelle kommt nur so weit in Betracht, als jemand eine Sonate nach seiner Auffassung so, der andere anders spielen kann. Das, was zugrunde liegt, ist im strengsten Sinne eine in sich geregelte Kunst. Aber wir sind im Anfangsstadium. Das ist, was uns unterscheidet von dem, was sonst ausgeführt wird, wo instinktiv Unwillkürliches, Gefühltes in willkürliche Bewegung umgesetzt wird. Wenn etwas Willkür darinnen liegt, kommt es nur durch die Auffassung hinein. Das wollte ich vorausschicken, um Sie auf das Prinzip aufmerksam zu machen.

Der Grundgedanke der eurythmischen Kunst
Dornach, 13. März 1919 (anlässlich der ersten Eurythmie-Aufführung im Goetheanum)

Gestatten Sie, dass ich unserer Eurythmik, eurythmischen Aufführung einige Worte voranschicke. Es wird dies um so mehr gerechtfertigt erscheinen, als Sie ja gebeten werden, Ihre Aufmerksamkeit nicht etwas in sich Abgeschlossenem, Vollkommenem zuzuwenden, sondern einer künstlerischen Bestrebung, mit der eigentlich zunächst auch nach der Ansicht derer, die sie ausführen, noch nicht ein Ziel erreicht ist, sondern vorläufig erst etwas gewollt wird, vielleicht könnte ich sogar sagen: mit dem der Versuch gemacht wird, etwas zu wollen. Es ist naheliegend, dass dasjenige, was wir hier als eurythmische Kunst darbieten, in Parallele gezogen wird mit mancherlei ähnlichen Bestrebungen der Gegenwart, bewegungskünstlerischen, tanzkünstlerischen Bestrebungen und dergleichen, und es muss gesagt werden, dass auf diesen Gebieten in der Gegenwart vieles und auch außerordentlich in sich Vollkommenes geleistet wird. Wenn Sie aber denken würden, dass wir mit diesen gewissermaßen Nachbarkünsten konkurrieren wollen, dann würden Sie unsere Absichten verkennen. Nicht darum handelt es sich, sondern es handelt sich darum, eine besondere, neue Kunstform zu entwickeln, die allerdings, soweit wir mit ihr gekommen sind, durchaus nur an ihrem Anfange steht. Dasjenige, was dieser Bestrebung zugrunde liegt, ist im Grunde in derselben Richtung gehalten wie andere unserer Bestrebungen: eine Fortsetzung desjenigen, was in der Goetheschen Welt- und Kunstauffassung beschlossen liegt. Hier ist es im Besonderen ein ganz bestimmtes Gebiet, in dem wir versuchen, die Goethesche Kunstauffassung zur Ausgestaltung zu bringen, wie es moderneren künstlerischen Anschauungen und Empfindungen entsprechen kann. Goethe hat den das Wesen der Kunst – vielleicht doch tiefer als mancher andere – treffenden Ausspruch getan: Die Kunst ist eine Offenbarung geheimer Naturgesetze, die ohne ihre Betätigung niemals würden geoffenbart werden können. – Goethe konnte in dem künstlerischen Gestalten und Schaffen etwas sehen, was wie eine Offenbarung geheimer Naturgesetze ist, solcher Naturgesetze, die nicht mit dem nüchternen, trockenen, wissenschaftlichen Verstande zur Offenbarung kommen, weil er durch seinen umfassenden Weltblick eine tiefe Anschauung gerade von der Natur und ihren geheimnisvollen Wesenheiten erhalten hat nur, ich möchte sagen, einen kleinen Ausschnitt von dieser gewaltigen, umfassenden Goetheschen Naturanschauung erhält man, wenn man die allerdings für diese Naturanschauung bezeichnende, bedeutungsvolle Abhandlung Goethes über das Werden und Weben des pflanzlichen Organismus auf sich wirken lässt, wovon dann Goethes Anschauung und Gedanken über das Werden und Weben des Lebendigen in der Welt überhaupt ausstrahlt. Nur kurz kann ich erwähnen, wie Goethe der Anschauung ist, dass jedes einzelne Glied eines Lebewesens in einer geheimnisvollen Art wie ein Ausdruck des ganzen Lebewesens ist und wiederum wie ein Ausdruck jedes anderen einzelnen Gliedes. Goethe betrachtet die werdende Pflanze, wie sie wird, Blatt für Blatt, bis hinauf zur Blüte und zur Frucht. Er ist der Anschauung, dass dasjenige, was wir als farbiges Blumenblatt bewundern, nur eine Umgestaltung ist des grünen Laubblattes, ja, dass sogar die feineren Blütenorgane, die in der äußeren Gestalt sehr unähnlich einem gewöhnlichen grünen Laubblatt sind, doch nur eine Umwandlung dieses grünen Laubblattes sind. In der Natur ist überall Metamorphose. Darauf beruht gerade die Gestaltung des Lebendigen, dass überall Metamorphose ist. Und so ist auch jedes einzelne Glied, jedes einzelne Blatt ein Ausdruck des Ganzen. Goethe sieht in dem einzelnen Laubblatt, in dem einzelnen Blütenblatt, in dem einzelnen Staubgefäß eine ganze Pflanze. Das aber ist angewendet auf alles Lebendige, vor allen Dingen auf das Urbild alles Lebendigen, auf die menschliche Gestaltung und auf die menschliche Bewegung, auf die menschliche lebendige Tätigkeit selbst. Und das sollte eben in dieser eurythmischen Kunst zum Ausdrucke kommen. Da sollten gerade geheimnisvolle Naturgesetze der menschlichen Wesenheit selber zum sichtbaren Ausdrucke kommen. Gedacht ist das so. Aber das Gedachte ist dabei nicht die Hauptsache, sondern die Hauptsache ist, dass der Versuch gemacht worden ist, diese Goethesche Anschauung von dem Weben und Wesen des Organismus in künstlerische Empfindung wirklich aufzulösen und umzusetzen. Der Mensch spricht, indem er die Laut- und die Tonsprache an seine Umgebung offenbart, mit einem einzelnen Glied seiner organischen Gestaltung, mit dem Kehlkopf; er singt mit dem Kehlkopf und mit den Nachbarorganen. So wie das einzelne Blatt eine ganze Pflanze ist, so ist gewissermaßen das, was Kehlkopf und Nachbarorgane sind, was Grundlagen der menschlichen Lautsprache sind, der ganze Mensch. Und wiederum der ganze Mensch kann aufgefasst werden nur wie eine komplizierte Metamorphose des Kehlkopfes. Dieser Versuch ist einmal gemacht worden, den ganzen Menschen in eine solche Bewegung und in solche Stellungen zu bringen, dass, wie durch den Kehlkopf lautlich, tönend gesprochen und gesungen wird, so einmal sichtbar durch den ganzen Menschen gesprochen und Musikalisches zur Geltung gebracht wird. Dies soll aber durchaus nicht bedeuten, dass man in irgendeiner spintisierenden Weise die Bewegungen, die gemacht werden, ausdeuten soll; sondern nur, wenn – wie es bei der musikalischen Kunst selber ist, wo alles gesetzmäßig verläuft und doch alles elementar empfunden wird – die Bewegungen der eurythmischen Kunst so wie die musikalische Harmonie und Melodie selber empfunden werden in ihrer inneren Gesetzmäßigkeit, ohne dass man auf das eben Erwähnte zurückgeht, dann wird sich das Künstlerische dieses Eurythmischen ergeben. Was in der menschlichen Seele lebt, wie es sonst ausgedrückt ist durch das Organ des menschlichen Sprechens, durch den Kehlkopf, soll ausgedrückt werden durch den ganzen Menschen, durch seine Bewegungen, durch seine Stellungen. Der ganze Mensch soll gewissermaßen als Kehlkopf sich vor dem Zuschauer entwickeln. Nun ist aber in der menschlichen Sprache nicht bloß das enthalten, was sonst in Lauten und Lauffolgen zum Ausdrucke kommt, sondern es spricht sich das Ganze der menschlichen Seele aus: Gefühl, innere Wärme, Empfindung, Stimmung und so weiter. Daher ist unsere eurythmische Kunst auch bestrebt, dieses alles, was durch das Medium der Sprache zur Anschaulichkeit kommt, zum Ausdruck kommt, auch sichtbarlich darzustellen. Wir haben es also mit einer Bewegungskunst zu tun, mit Bewegungen des einzelnen Menschen, aber auch mit Bewegungen von Gruppen, mit Bewegungen, die Stimmungen, Empfindungen, Wärme auszudrücken haben, welche die Sprache durchglühen und durchziehen. Alles, was gewissermaßen die Nachbarschaft des Kehlkopfes zum Ausdruck bringt, ist wiederum durch unsere Gruppenstellungen und -bewegungen zum Ausdruck gebracht. Reim, Rhythmus, wodurch das Dichterische, das Künstlerische in der Sprache erreicht wird, ist durch diese Bewegungen von Gruppen, durch die gegenseitigen Stellungen der tanzenden Menschen und so weiter zu erreichen gesucht. Das ist das Charakteristische dieser eurythmischen Kunst, sehr verehrte Anwesende, wodurch sie sich von allen Nachbarkünsten unterscheidet, dass nicht die augenblickliche Gebärde, nicht das augenblicklich Pantomimische gesucht wird, geradesowenig wie in der Musik in ihrer inneren Gesetzmäßigkeit irgendetwas als augenblicklicher Ausdruck gesucht wird – dann wäre es ja Musikmalerei –, ebenso wenig wird in der eurythmischen Kunst bewusstes Mimisches durch augenblickliche Geste angestrebt. Nicht dasjenige, was augenblicklich in der Seele lebt, wird, wie es in Nachbarkünsten der Fall ist, durch augenblickliche Geste, durch augenblickliche Pantomime zum Ausdruck gebracht, sondern so ist es, dass dem Ganzen eine innere Gesetzmäßigkeit wie der Musik selbst zugrunde liegt. So dass allerdings, wenn zwei Eurythmiker dasselbe darstellen, die Verschiedenheit nur so sein wird, wie wenn zwei Klavierspieler ein und dieselbe Beethoven-Sonate nach ihrer subjektiven Auffassung wiedergeben. Größer wird der Unterschied nicht sein. Alles ist objektiviert. Und wo Sie noch sehen werden, dass ein Pantomimisches, dass ein Mimisches, dass Augenblicksgesten auftreten, da ist eben die Sache noch unvollkommen, da werden wir noch manches, gerade um unseren Anschauungen gerecht zu werden, zu überwinden haben. So wird erreicht, dass man tatsächlich auf der einen Seite die gesprochene Dichtung wird hören können, oder auch das Musikalische, und auf der anderen Seite umgesetzt diese Dichtung, dieses Musikalische in der Weise in menschliche Bewegung und in Bewegungen von Gruppen von Menschen sehen wird, so dass dasjenige, was in diesen Bewegungen, in diesen Stellungen zum Ausdrucke kommt, so unmittelbar wirken soll wie die Luftschwingung, wie die Luftbewegung, die ja auch als eine wirkliche Bewegung aus dem menschlichen Kehlkopf hervorkommt. Man wendet ja die Aufmerksamkeit den zu hörenden Lauten und nicht der Bewegung, die unsichtbar bleibt, zu. Mit unseren künstlerischen Bewegungen, mit unserer Eurythmie soll im Raume gesehen werden, was der Mensch gleichsam im Raume nicht sieht, weil er sein Ohr nur dem zuwendet, wie gesprochen wird, und nicht zuwenden kann irgendein Organ dem, was sich im Kehlkopf als Fortsetzung der Eigenbewegung des Kehlkopfes in Luftschwingungen, in Rhythmen, in Harmonie und so weiter entwickelt. Das ist der Grundgedanke unserer eurythmischen Kunst. Darinnen sind wir natürlich durchaus mit unseren Bestrebungen im Anfange stehend, und ich bitte Sie, dies zu berücksichtigen. Sie werden etwas Unvollkommenes dargeboten finden, aber etwas, was ein Anfang sein soll zu einer weitergehenden Entwicklung nach dieser Richtung hin. Und wenn Sie die Güte und Freundlichkeit haben, dasjenige, was heute noch unvollkommen dargeboten werden kann, in dieser Unvollkommenheit sich anzusehen, so werden sich uns aus Ihrer Aufmerksamkeit selbst ganz gewiss weitere Impulse zur Vervollkommnung dieser Kunst, die sich unter andere Künste hineinstellen will, ergeben. Jedenfalls aber möchten wir, dass immer mehr und mehr empfunden werde, dass die Formen des Künstlerischen noch nicht abgeschlossen sind. Der Stil eurythmischer Kunst wird insbesondere in seinem Wesentlichen eingesehen werden, wenn man gerade auf die gesunde Goethesche Anschauung zurückgeht, die er mit den Worten ausdrückt: Der Stil beruht auf den tiefsten Grundlagen der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, dieses Wesen der Dinge in sichtbaren und greiflichen Gestalten darzustellen. – Und Goethe ist es selbst, der alles, was man in der Kunst darstellen kann, zuletzt auf das bezieht, was durch den Menschen selbst zur Anschauung kommen kann. In seinem schönen Buche über Winckelmann will Goethe das Wesen der Kunst dadurch zum Ausdrucke bringen, dass er sagt: Im Menschen spiegelt sich die ganze Welt, im Menschen kommen die geheimsten Naturgesetze zur Offenbarung, und gerade indem er sie in sich und durch sich darstellt, stellt er einen Gipfel des Wesens und Werdens aller Dinge dar. – Goethe sagt: Indem der Mensch sich zu dem Gipfel der Natur erhebt, wird er in sich vollkommen und bringt seinerseits selber wiederum einen Gipfel hervor. Er versucht, in sich zu haben alle Vollkommenheiten, die sonst über einzelnes in der Natur ausgebreitet sind; er versucht Ordnung, Harmonie in sich zu vereinen, um so sich zuletzt zur Produktion des Kunstwerkes zu erheben. Ein Versuch, aber wie gesagt, ein Versuch, der seine Vollkommenheit suchen wird, ist das, was wir Ihnen heute im Anfange darbieten wollen. Wenden Sie diesem Versuch als einem Anfange Ihre Aufmerksamkeit zu, denn wir haben die Überzeugung, dass in dem, was jetzt noch im Anfange steht, die Keime zu einem Vollkommeneren liegen, gleichgültig, ob dieses Vollkommene noch durch uns selbst erreicht wird, oder ob andere das, was wir begonnen haben in dieser Kunstrichtung, fortsetzen werden. Es erscheint denen, die mit diesem einzelnen Kunstzweige verbunden sind, als eine Grundlage tiefster Überzeugung: entweder wir noch selber oder andere nach uns werden aus den kleinen Anfängen, aus dem Unvollkommenen, das man jetzt noch vor sich haben kann, einstmals gerade einen wirklich in die Tiefen der menschlichen Wesenheit und ihre Möglichkeit hineinführenden Kunstzweig finden, der sich neben andere Kunstzweige hinstellen kann.

 
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