Seewölfe - Piraten der Weltmeere 307

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 307
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-704-4

Internet:

www.vpm.de

 und E-Mail:

info@vpm.de




Inhalt





Kapitel 1







Kapitel 2







Kapitel 3







Kapitel 4







Kapitel 5







Kapitel 6







Kapitel 7







Kapitel 8







Kapitel 9







Kapitel 10







1.



Tiefgraue Wolken trieben über die Wasserwüste und zogen eilig weiter nach Nordosten – so; als würden sie dort oben auf dem finnischen Festland erwartet, wo die Seen noch zugefroren waren und Schnee wie weißer Samt auf den weiten Ebenen und den wenigen Hügeln lag.



Matti Hakulinen hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt und beobachtete die Wolken. Er stand mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck seiner Galeone und glich die schwankenden Schiffsbewegungen aus, indem er sein Körpergewicht von einem Bein aufs andere verlagerte.



Er war ein Brocken von Mann, dieser Hakulinen, hart und finster, mit einem Hang zur Brutalität – ein Kerl zum Fürchten. Seine blauen Augen beherrschten ein kantiges, von Furchen und Narben gezeichnetes Gesicht, in dem eine knochige, gebogene Nase und ein dünnlippiger Mund wie Rivalen aufeinanderstießen. Sein strohblondes Haar war kurz geschnitten und unterstrich den Ausdruck der Roheit und Zähigkeit, der von seiner ganzen Erscheinung ausging.



„Pulkila!“ rief er gegen das verhaltene Pfeifen und Jaulen des Südwestwindes an.



Pulkila, der Bootsmann, stieg den Backbordniedergang von der Kuhl zum Achterdeck hoch und meldete sich bei seinem Kapitän.



„Ich will wissen, ob es Sturm gibt“, sagte Matti Hakulinen.



Pulkila hielt nun ebenfalls seine Nase in den Wind.



„Vielleicht nur Regen“, sagte er. „Das wird sich heute nacht entscheiden. Lieber wäre mir allerdings ein Wetter, bei dem sich die verdammten Masten biegen.“



„Warum?“ Hakulinens Gesicht verzog sich zu einer drohenden Grimasse.



„Weil wir dann einen Nothafen anlaufen müssen“, entgegnete der andere, der selbst ein großer Mann mit breiten Schultern und ausgeprägten Muskeln war. „Stockholm ist nicht weit entfernt. Wäre das nichts?“



Hakulinen mußte nun doch lachen. „Ja, um dort die Mäuse auf dem Tisch tanzen zu lassen, oder?“



„Und die Puppen“.



Hakulinens Mundwinkel sanken herunter, er schnitt wieder eine Grimasse. „Das könnte dir so passen, du Hund. Kaum sind wir in See, willst du schon wieder herumhuren und dich vollaufen lassen. Wenn es Sturm gibt, dann reiten wir ihn ab.“



„Jawohl, Kapitän.“



„Sag das auch den anderen, sie sollen sich keinen Hoffnungen hingeben, diese Bastarde. Wir segeln in einem Stück bis nach Lübeck.“



„Jawohl.“ Pulkila wußte, daß er jetzt aufpassen mußte. Matti Hakulinen konnte von einem Augenblick auf den anderen wie ein Faß Pulver explodieren, man durfte den Bogen bei ihm nie überspannen.



„Was ist mit Mäkilä? Hast du ihm in die Kessel gesehen?“



„Ja. Die Mittagsmahlzeit dürfte etwas besser ausfallen als die vorherigen.“



„Nein. Was er kocht, ist der scheußlichste Fraß“, sagte Hakulinen. „Wenn er sich nicht ändert, werfe ich ihn achtkantig über Bord.. Für die nächste Überfahrt suchst du mir einen besseren Koch, oder du kannst selber was erleben.“



Pulkila zeigte klar und zog sich vom Achterdeck zurück. Trotz der Kälte hatte er zu schwitzen begonnen. Ja, der neue Koch Mäkilä, der in Abo bei ihnen angeheuert hatte, hatte sich als glatter Reinfall erwiesen. Von seinem Beruf verstand er nicht sehr viel mehr als Alavus, der Profos, vom Heringsräuchern oder Kuhmo, der die Funktionen des Schiffszimmermannes, des Segelmachers und des Schmiedes an Bord versah, vom Ziegenmelken – das hatte sich in den wenigen Tagen herausgestellt, die die Galeone unterwegs war.



Für den Fehlgriff fühlte sich Pulkila verantwortlich, denn er hatte Mäkilä beschwatzt und überredet, die Musterrolle zu unterschreiben. Hatte er denn ahnen können, daß der Kerl nur das Wasser in den Kombüsenkesseln kochen und Speckseiten in Streifen schneiden konnte?



„Was ist los?“ fragte Alavus, ein Bulle von Mann, als Pulkila auf der Kuhl an ihm vorbeiging. „Der Alte ist heute wohl wieder mal nicht zu genießen, wie?“



Pulkila blieb stehen und hielt sich an der Nagelbank fest. „Eins steht fest – wenn Mäkilä sich nicht mehr Mühe gibt, drehe ich ihm eigenhändig den Hals um.“



„Dabei helfe ich dir“, brummte der Profos.



Hakulinen betrachtete indes wieder die Wolken. Er hatte sich ganz nach achtern zurückgezogen und mit dem Rücken gegen die Heckreling gelehnt. Was er zu Pulkila gesagt hatte, überstieg bei weitem das Maß dessen, was er sonst zu reden pflegte. Er war ein wortkarger Mensch, der die Tat liebte, nicht die Sprache. Nun, wenn die „Höllenbande“, wie er die Mannschaft gelegentlich zu nennen pflegte, nicht so spurte, wie er es verlangte, würde er dem Profos die neunschwänzige Katze abnehmen und sie selbst schwingen. Das wirkte besser als hundert Worte. Es ging darum, die Ladung so schnell wie möglich nach Lübeck zu bringen, koste es, was es wolle. Erst danach gab es wieder Landurlaub.



Das Schiff hieß „Katkorapu“ – was übersetzt „Krabbe“ bedeutete – und war eine finnische Handelsgaleone aus Abo. Sie war dort vor acht Jahren vom Stapel gelaufen, hatte dort einen festen Liegeplatz und wechselweise vier verschiedene Besitzer gehabt. Alles in allem war sie ein seetüchtiger, leidlich gut manövrierbarer Dreimaster.



An diesem 1. März 1593 stand die „Katkorapu“ mit Südwestkurs in der nördlichen Ostsee zwischen Stockholm und der Insel Dagö. Sie hatte bereits zu Planken geschnittenes Eichenholz als Ladung an Bord, das von einer Werft in Lübeck geordert worden war. Gutes, lange abgelagertes, knochentrockenes Holz war das, so hart wie Eisen und damit hervorragend für den Schiffsbau geeignet. Es gab kaum ein Material, das es an Qualität mit dieser Sorte Holz aufnehmen konnte, nicht einmal die südländische Pinie oder Edelkastanie, aus denen die Spanier und Venezianer ihre Schiffe bauten. Hakulinen hatte hin und wieder in den Häfen mit ausländischen Kapitänen und Kaufleuten zu tun, doch über ihre Schiffe äußerte er sich immer in abfälliger Weise. Nichts ging über solide finnische Eiche – er wußte, was seine Ware wert war.



Die „Katkorapu“ gehörte einem Handelshaus in Abo, das mit Lübeck in Geschäftsbeziehungen stand. Kapitän und Crew fuhren für die Rechnung des Handelshauses, jedoch auf eigene Gefahr, so daß ihr Risiko keineswegs gering war. Havarie oder Untergang bedeuteten auch für sie den größten denkbaren Verlust, und zu der Heuer, die sie in jenem Fall in den Wind schreiben konnten, gesellte sich auch noch die Schande. Welcher Seemann ließ sich gern nachsagen, daß er mit seiner Ladung abgesoffen war?



Doch bislang hatten Hakulinen und seine Männer Glück gehabt, kein Unglück war ihnen zugestoßen. Sie hatten schon häufig Holz nach Lübeck gebracht, für sie war das bereits Routine.



Außerdem waren sie alle gute Seeleute – sturmerfahrene und salzgewässerte Rauhbeine. Die Crew stand Hakulinen in nichts nach. Es waren zwanzig Kerle, die kräftig zulangen konnten, wenn Not am Mann war, und denen auch das schwerste Wetter keine Angst bereitete.



Sie spuckten gegen den Wind, und in den Hafenstädten der Ostsee ließen sie „die Puppen tanzen“, wie sie sagten. Wo sie auch „einfielen“, gab es meistens eine Schlägerei, die mit Kneipentrümmern, blauen Augen, blutigen Schrammen und leichten Knochenbrüchen endete. Sie tranken wie die Teufel, oftmals so lange, bis sie nicht mehr auf ihren Beinen stehen konnten.



Kreuzen mußte die „Katkorapu“ an diesem späten Vormittag, denn der Wind wehte aus südwestlicher Richtung. Mal segelte sie einen Kreuzschlag nach Westen, dann wieder einen nach Süden, es ging immer zwei Schritte voran und einen zurück. Ein mühsames Werk – die Männer fluchten nicht schlecht und hofften auf eine Veränderung, ein Drehen des Windes, das ihnen die Arbeit erleichterte und das Schiff schneller vorantrieb.



Pulkila öffnete das Kombüsenschott und blickte zu Mäkilä, der mit angestrengter Miene in einem seiner Kessel herumrührte.



„Paß auf“, sagte er. „Der Kapitän stellt dich heute auf die Probe. Wenn dein Fraß wieder ungenießbar ist, gibt es Ärger.“



Mäkilä knallte den Deckel auf den Kessel, bückte sich und stocherte in der Glut des Holzkohlenfeuers herum. Er war ein Kerl, der geradewegs einer der Höhlen hätte entsprungen sein können, in denen in grauer Vorzeit die Vorfahren der Menschen gelebt haben sollten: ungeschlacht, gebückt, finster, mit groben Händen an langen Armen. Seine Augen waren winzig und lagen tief in den Höhlen, seine Stirn war flach, die Nase platt und die Unterlippe seines Mundes leicht aufgeworfen.



Zornig blickte er sich zu Pulkila um. „Nenn meine Suppe keinen Fraß. Sag dem Kapitän lieber, er soll für die nächste Fahrt mehr Fleisch einkaufen.“



„Es ist genug Fleisch an Bord.“

 



„So? Ich lüge also?“



Pulkila trat näher an den Koch heran. „Paß bloß auf, wie du sprichst. Ich bin hier der Bootsmann, vergiß das nicht. Wenn ich herausfinde, daß du heimlich Dörrfleisch und Speckseiten für dich beiseite schaffst, bist du die längste Zeit auf der „Katkorapu‘ gefahren.“



„Das könnte mir ganz gut passen“, sagte Mäkilä giftig.



Pulkila verlieh ihm einen Stoß, der ihn um ein Haar in das Feuer beförderte.



„Du würdest nie wieder auf einem anderen Schiff anheuern!“ sagte er hart. „Wir hatten schon mal einen Kerl wie dich an Bord. Der Kapitän hängte ihn schließlich zum Zappeln an der Großrah auf. Nun? Wo bleibt dein großes Schott, Mäkilä?“



Mäkilä griff nach der Kette, an der der größte Kessel hing, hielt auf diese Weise das Gleichgewicht, verbrannte sich aber fast die Finger.



„Ist schon gut“, stotterte er. „Die Suppe ist gleich fertig. Schickst du mir einen Mann, der mir beim Austeilen hilft?“



„Ja“, erwiderte der Bootsmann, dann drehte er sich um und verließ die Kombüse. Als er das Schott hinter sich zurammte, dachte er: Es gibt bestimmt noch Schwierigkeiten, verdammt noch mal. Hoffentlich kommen wir überhaupt heil in Lübeck an.



Sturm und Regen ließen auf sich warten, nur der Wind aus Südwesten nahm an Stärke etwas zu. Matti Hakulinen stand in unveränderter Haltung an der Heckreling des Schiffes. Der Profos Alavus scheuchte die Deckswache von einer Seite zur anderen, denn die Stellung der Rahen und Segel mußte alle halbe Stunde geändert werden. Der Rudergänger bemühte sich, keinen Fehler zu begehen, er spürte Hakulinens Blick auf sich. Kuhmo schoß in der Nähe des Großmastes Taue auf, schaute von Zeit zu Zeit hoch und nickte beifällig, wenn Alavus die Crew anbrüllte, weil die Segel nachgetrimmt werden mußten.



Die Freiwache war froh, daß sie ausspannen konnte, hatte aber einen Bärenhunger.



Pulkila rief einen dieser Männer – einen gewissen Abromeit – zu sich und sagte: „Du hilfst Mäkilä, die Suppe ins Vordeck zu tragen. Nun troll dich schon, beeil dich.“



Abromeit ging mit mürrischer Miene zur Kombüse, öffnete das Schott und trat auf den Koch zu, der gerade ein paar Holzscheite in die Glut unter den Kesseln geschoben hatte. Kleine Flammen stiegen aus dem glosenden Rot auf und griffen nach dem frischen Holz, die Hitze nahm zu.



„Ist das nicht zuviel?“ fragte Abromeit.



Mäkilä sah ihn feindselig an. „Auf diesem Kahn wird wohl nur gemekkert, wie? Kümmre dich gefälligst um deinen eigenen Dreck. Ihr Kerle wollt eure Suppe doch heiß vorgesetzt kriegen, oder?“



„Ja. Trotzdem solltest du ein paar Scheite aus dem Feuer herausnehmen. Das ist ein offener Herd, und wenn die See schwerer wird oder das Schiff richtig zu stampfen anfängt, können die Flammen rausschlagen. Oder es fliegt Glut raus.“



Wütend schlug der Koch die Feuertür zu. „Und das hier ist eine dicke Eisentür. Ich weiß schon, was ich tue.“



„Na gut. Los jetzt, wir von der Freiwache wollen nicht länger auf den Fraß warten.“



„Wie war das?“ Mäkilä rückte in drohender Haltung auf Abromeit zu.



„Ich sagte, besonders gut riecht die Suppe nicht.“



„Aber sie schmeckt!“ schrie Mäkilä.



Jemand von der Freiwache hieb auf der anderen Seite der Längswand gegen die Planken, daß es dröhnte, dann war eine dumpfe Stimme zu vernehmen: „He, wird’s bald? Oder habt ihr euch schlafen gelegt?“



„Da hörst du’s“, brummte Abromeit. „Vorwärts, es hat keinen Zweck zu streiten.“



Er griff nach dem schweren Henkel des Kessels. Mäkilä zerdrückte einen Fluch auf den Lippen und packte widerstrebend mit an. Sie hievten den Kessel vom Feuer, trugen ihn zum Schott hinaus, suchten durch das zweite Schott des Vordecks das Logis auf und begannen vor den mißtrauischen Gesichtern der Männer mit dem Austeilen der Mittagsmahlzeit.



Pulkila brüllte seine Befehle, Alavus trieb die Deckswache mit der Neunschwänzigen zum schnelleren Arbeiten an – die „Katkorapu“ wendete vom Steuerbord- auf den Backbordbug, um einen neuen Kreuzschlag nach Westen zu fahren.



So bahnte sich das Verhängnis an. Der Herd stand in der Kombüse in Längsschiffrichtung, auf der Steuerbordseite. Mäkilä hatte die Feuertür zwar dichtgeschoben, aber nicht zugeriegelt, und diese Nachlässigkeit sollte böse Folgen haben, denn als die Galeone jetzt auf dem Backbordbug lag und dementsprechend Lage schob, rutschte die Glut mitsamt der nachgelegten Holzkohle gegen die Feuertür.



Die Feuertür sprang auf, und die Glut prasselte auf die Planken. Noch bemerkte es niemand, noch waren alle zu sehr mit ihren Aufgaben beschäftigt. Mäkilä selbst hatte den Suppenkessel erst zur Hälfte geleert, so daß noch einige Zeit vergehen würde, bis er in die Kombüse zurückkehrte.



Obendrein murrten die Männer der Freiwache über das schlechte Essen, eine Auseinandersetzung bahnte sich an.



Die Glut verteilte sich über die Kombüsenplanken und rollte auf einen trokkenen Putzlumpen zu, den Mäkilä schon seit gut vier Wachen nicht mehr benutzt hatte. Der Lumpen fing Feuer und wurde zur Fakkel, der rötliche Schein der Flammen warf gespenstische Muster auf die Kombüsenwände. Da aber das Schott inzwischen von selbst wieder zugefallen war, wurde auch jetzt kein Mensch darauf aufmerksam.



Innerhalb weniger Minuten stand die Kombüse in hellen Flammen.



Pulkila sah als erster den Qualm, der aus den Ritzen des Kombüsenschotts drang, und stieß einen Alarmruf aus. Alavus und Kuhmo fuhren zu ihm herum, wunderten sich über seine entsetzte Miene, folgten seinem Blick und begannen selbst zu schreien und zu fluchen.



Jetzt hoben auch Matti Hakulinen und der Rudergänger die Köpfe. Hakulinen eilte nach vorn, blieb an der Balustrade stehen, die das Achterdeck von der Kuhl trennte, und rief: „Sechs Mann sofort in die Kombüse! Was, zum Teufel, ist da los? Kippt Wasser in das Feuer – und bringt mir diesen Hurensohn von einem Koch!“



Die Männer setzten sich in Bewegung, Alavus stürmte ihnen voran. Aus dem Vordeck ertönten jetzt fragende Rufe. Die Hitze in der Kombüse nahm zu und drang bis ins Logis vor, der beißende Geruch von Rauch drang in die Nasen der Männer.



Mäkilä ließ die Suppenkelle fallen und stürzte zum Schott, Abromeit folgte ihm. Die Männer der Freiwache sprangen von ihren Kojen und Sitzplätzen auf und schrien durcheinander. Mäkilä war auf der Kuhl und sah die Flammen, die zusammen mit dem Rauch aus der Kombüse aufstiegen. Er stöhnte auf und wollte in sein Reich stürmen, wurde aber von Alavus zur Seite gedrängt.



Dieser stieß das Schott auf. Feuer und Qualm schlugen ihm wie eine Mauer entgegen. Er hustete und versuchte einzudringen, doch die Hitze und der Rauch raubten ihm den Atem.



Hakulinen tobte auf dem Achterdeck herum, die Männer fluchten immer lauter, im Nu war der Teufel los. Pulkila ließ Pützen und Kübel an Tauen außenbords fieren, es wurde Seewasser heraufgehievt und in das Feuer ausgegossen, doch die Flammen hatten sich inzwischen zu weit ausgebreitet, sich auch schon durch die Planken der Kombüse gefressen und waren im Begriff, die Laderäume zu erreichen.



Mit vor Panik verzerrtem Gesicht fuhr der Profos zu seinem Kapitän herum, als er dies mit einem Blick aus tränenden Augen feststellte.



„In der Kombüse ist ein Loch!“ brüllte er. „Das Feuer ist in den unteren Vordecksräumen!“



„Sand!“ schrie Hakulinen, verließ das Achterdeck, stürmte über die Kuhl und griff selbst mit ein. „Sand her! Eine Kette bilden! Wasser und Sand in die Flammen! Ihr Satansbraten, wollt ihr wohl springen? Hölle, ich bringe euch um, wenn ihr nicht pariert!“



Sand und Wasser wurden abwechselnd in Holzkübeln und Segeltuchpützen herbeigemannt und in den Brandherd entleert, doch auch das nutzte nichts. Die Flammen waren tatsächlich zu den Laderäumen durchgeschlagen und leckten an den Planken aus besonders hartem, ausgesprochen trockenem Eichenholz. Was das bedeutete, war jedem Mann klar, auch Mäkilä, der vor Angst und Schrecken am liebsten über Bord gesprungen wäre.



Ein wilder Kampf der Finnen gegen das Feuer begann, so leicht gaben sie nicht auf. Matti Hakulinen war am Kombüsenschott, warf einen Blick nach Steuerbord und entdeckte Mäkilä. Er tat einen Satz auf ihn zu, hieb ihm die Faust gegen das Kinn und stieß einen tiefen, grimmigen Laut aus, als dieser bewußtlos zusammenbrach. Dann drängte er sich an Alavus vorbei und schob sich ins Innere der Kombüse, ohne sich um Feuer und Rauch zu kümmern.



Er gelangte bis auf einen kurzen Abstand an das heran, was von dem Herd übriggeblieben war, und brüllte: „Einen Kübel mit Wasser her!“



Dann aber gaben die versengten, schwelenden Planken unter ihm nach, und er sauste ein Deck tiefer.



Er stürzte schwer, rappelte sich aber mit einer Verwünschung sofort wieder auf. Ringsum waren die Flammen, der Qualm und die Hitze, er schien auf glühenden Kohlen zu stehen. Er war versucht, vor Furcht und vor Schmerz aufzuschreien, bezwang sich aber, packte einen Plankenrest und drosch damit auf das Feuer ein. Er hustete und bekam kaum noch Luft.



Alavus war so klug, einen Kübel Wasser über dem Kapitän zu entleeren, den er unter sich wiedererblickte.



Hakulinen prustete und schnaubte, als das kalte Naß ihn mit voller Wucht traf, dann aber richtete er sich auf und rief: „Alavus, Pulkila, Kuhmo – zu mir! Wir schaffen es doch noch!“





2.



Die „Isabella IX.“, das Schiff der Seewölfe, teilte mit ihrem Bug das Wasser der Ostsee. Wie schwere Schollen klafften die Fluten unter dem Bugspriet mit den beiden Blinden und der sanftmütig lächelnden Galionsfigur auseinander, sanken nach Backbord und Steuerbord weg, glitten am Rumpf entlang und liefen hinter dem Heck fächerfömig auseinander.



Platt lag die „Lady“, wie die Männer sie zu nennen pflegten, vor dem Wind und lief Nordostkurs. Die Häfen der Ostsee anzusteuern und neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen – das war der Auftrag, den Philip Hasard Killigrew und seine Männer in Plymouth von Lord Gerald Cliveden, dem Sonderbeauftragten der englischen Königin, in einer geheimen, versiegelten Order entgegengenommen und akzeptiert hatten.



Als Hasard die Mappe bei Skagen geöffnet und den Inhalt der Schriftstükke verlesen hatte, war die Begeisterung der Crew nicht sonderlich groß gewesen. Doch inzwischen wußte man, daß die Ostsee keineswegs ein Heringstümpel oder eine Pißrinne für Schwäne und Reiher war, wie die meisten von ihnen geäußert hatten. Auch dieses Meer hatte seine Tücken und Gefahren und durfte nicht unterschätzt werden – und langweilig, wie sie befürchtet hatten, ging es hier schon gar nicht zu.



Gary Andrews, der eine Wache als Ausguck im Hauptmars übernommen hatte, dachte über die Begebenheiten nach, die hinter ihnen lagen, und unwillkürlich mußte er grinsen. Nils Larsen hatte mit Gewalt verheiratet werden sollen – das war schon ein starkes Stück gewesen. Und die Sache mit Stenmark? Die Ereignisse im Sund und auf Gotland? Hart war es dort hergegangen, und teilweise auch sehr heiß.



No, Sir, die Ostsee war ganz gewiß kein harmloser Tümpel.



Plötzlich richtete er den Blick starr voraus. Grau verhangen war der Himmel, dunkel die See – und doch vermochte er die Rauchwolke, die an der nordöstlichen Kimm stand, sehr deutlich zu erkennen.



„Hol’s der Henker“, murmelte er. „Entweder ist da vorn eine Insel, auf der jemand ein hübsches Feuerchen angezündet hat – oder es befindet sich jemand in Gefahr.“



Er blickte zu Arwenack, dem Schimpansen, der ihm – dick vermummt und mit einer Wollmütze auf dem Kopf – Gesellschaft leistete, doch der Affe konnte ihm ganz bestimmt nicht verraten, was die Rauchsäule zu bedeuten hatte.



Gary richtete sich auf, beugte sich über die Verkleidung der Plattform und schrie: „Deck! Rauchwolke voraus!“



„Ist es ein brennendes Schiff?“ rief Hasard, der auf dem Achterdeck bei Ben Brighton, Big Old Shane und den beiden O’Flynns stand.



„Ich weiß es noch nicht, Sir!“ antwortete Gary. Dann richtete er sein Spektiv voraus und spähte erneut angestrengt hindurch.



Die Männer an Deck sahen jetzt ebenfalls den Rauch. Hasard gab den Befehl, Kurs darauf zu nehmen. Pete Ballie, der Rudergänger, korrigierte die Stellung des Ruderrades um einen Strich, die Segel wurden nachgetrimmt, die „Isabella“ hielt genau auf die Wolke zu, die sich schwarz und unheimlich am Mittagshimmel ausnahm.



Wenig später stand es fest: Der Rauch rührte von einem brennenden Schiff her, von einer Dreimast-Galeone, deren Besatzung sich in Lebensgefahr befand. Hasard zögerte keinen Augenblick.

 



„Wer immer es ist“, sagte er, „wir müssen ihm helfen.“



„Hölle und Teufel“, sagte der alte Donegal Daniel O’Flynn. „Wenn das man mit rechten Dingen zugeht. Nein, versteht mich nicht falsch. Ein Spuk ist es ganz bestimmt nicht, aber vielleicht eine Falle.“



„Unmöglich“, meinte Shane. „Siehst du nicht, daß die Flammen bei denen schon bis in die Takelage aufsteigen? Mann, die haben nicht nur ein paar Feuerchen angezündet, um ein Unglück vorzutäuschen, das ist doch offensichtlich.“



„Na schön, dann ist es eben offensichtlich“, sagte Old O’Flynn. „Aber geheuer ist mir die Sache trotzdem nicht. Wir kriegen Ärger, das schwöre ich dir.“



„Glaubst du, es ist ein Spanier?“ fragte sein Sohn, der soeben durch den Kieker geblickt hatte. „Der Flagge nach nicht.“



„Der Flagge nach ist es ein Finne!“ rief Nils Larsen.



„Ja!“ pflichtete Stenmark bei. „Und wenn mich nicht alles täuscht, ist es eine Handelsgaleone!“



„Dem Tiefgang nach zu urteilen, hat die Galeone schwer geladen!“ rief Gary Andrews hoch über ihren Köpfen.



„Na bitte“, sagte der Seewolf mit einem Blick zu Old O’Flynn. „Jetzt bleibt nur noch die Möglichkeit offen, daß er ein Piratensegler ist, der uns durch seine Flagge zu täuschen versucht. Aber das wird sich ja gleich herausstellen. Auf keinen Fall dürfen wir ihm unsere Hilfe versagen. Ben, laß die beiden Jollen zum Aussetzen klar machen.“



„Aye, Sir.“ Ben Brighton gab den Befehl an das Hauptdeck weiter. Die Männer lösten die Zurrings der Boote, plötzlich herrschte überall rege Betriebsamkeit. Die „Isabella“ glitt näher an das fremde Schiff heran. Kurze Zeit darauf waren die Schreie zu vernehmen, die von den Decks zu ihnen herübergellten.



Gary vermochte jetzt auch den Namen am Backbordbug der Galeone zu entziffern: „Katkorapu“. Er gab dies ans Deck weiter, und Stenmark wußte den Namen zu übersetzen.



„Das bedeutet Krabbe“, sagte er zu Hasard gewandt.



Die „Katkorapu“ brannte lichterloh, von ihrer Flagge war nichts mehr übriggeblieben, auch die Segel standen jetzt in Flammen. Wie Höllenzungen leckten die Feuer auch aus den Ladeluken hoch, stiegen an den Masten nach oben, belegten die Decks mit einem glühenden Teppich. Nichts schien mehr zu retten zu sein, und doch ließ der Seewolf nicht von seinem Vorhaben ab. Er konnte sein Mitgefühl für den Schrecken und die Qualen der Gestalten, die drüben schreiend auf und ab eilten, kaum verbergen.



Dicht bei der brennenden Galeone, und zwar in Luv, gingen die Männer der „Isabella“ in den Wind, geiten die Segel auf und setzten in Windeseile die Boote aus. Hasard hatte die Männer bestimmt, die zu dem Schiff pullen sollten – über die Hälfte der Mannschaft. Sie enterten in die Jollen ab und setzten zu dem Finnen über, Edwin Carberry und Ferris Tucker waren die Bootsführer.



Hasard und Ben blieben mit Old O’Flynn und Pete Ballie auf dem Achterdeck der „Isabella“ zurück und beobachteten gemeinsam mit Batuti, Will Thorne, Al Conroy, Sam Roskill, den Zwillingen, Gary Andrews und einigen anderen, was jetzt geschah.



Die Boote waren bei der „Katkorapu“ angelangt und gingen längsseits. Die Männer enterten auf, kletterten über das Schanzkleid, griffen zu Kübeln und Pützen und halfen beim Feuerlöschen mit. Auf dem Schiff herrschte die Hölle.



Carberry und Ferris Tucker erkannten auf einen Blick, wie verzweifelt die Lage der Finnen war, doch sie konnten nicht umhin, den verbissenen Mut dieser Männer zu bewundern.



Matti Hakulinen und Alavus hatten die Laderäume erreicht und kämpften wie von Sinnen gegen die Flammen. Noch hatten sie nicht bemerkt, daß Helfer an Bord waren, doch jetzt konnten sie die Rufe von Pulkila vernehmen.



„Wer seid ihr?“ schrie der Bootsmann den fremden Männern zu, die völlig unverhofft im Rauch vor ihm auftauchen.



Stenmark, der neben Carberry war, dolmetschte, dann rief er zurück: „Engländer! Gebt uns mehr Kübel! Habt ihr Feuerpatschen?“



„Ich verstehe dich nicht!“ brüllte Pulkila.



Stenmark wiederholte seine Worte auf Schwedisch, und der Bootsmann begriff. Er gab Kuhmo einen Wink, Kuhmo wollte ein paar Schwabber an die Helfer weiterreichen, doch auch die waren bereits vom Feuer angesengt.



Carberry grif

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