Seewölfe - Piraten der Weltmeere 71

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 71
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Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-388-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

1.

Die Hölle schien ihre Tore geöffnet und sämtliche Greuel an die Oberfläche der Welt entlassen zu haben. Ohrenbetäubendes Krachen, Heulen und Donnergrollen erfüllten das Seegebiet vor dem Nordufer der Insel Malta. Aus der See stiegen Fontänen, hervorgerufen von fehlgegangenen Kugeln der in einem erbitterten Gefecht liegenden Schiffe.

Ganze Spieren, Plankenreste und Mastfragmente wirbelten durch die Luft, landeten klatschend im Wasser und erhöhten den schaurigen Effekt. Schiffe sanken mit brennenden Takelagen. Die Schmerzens- und Todesschreie der Verletzten gellten durch den Kampflärm.

Auch die beiden Piraten Lorusso und Humun Aradschy glaubten, ihre letzte Stunde habe geschlagen. Sie schwammen inmitten des tosenden Infernos.

Lorusso konnte sich nur mühsam an der Oberfläche halten. Er war ein schlechter Schwimmer. Keuchend klammerte er sich an einem treibenden Mast fest.

„Santa Maria!“ rief er immer wieder aus. „Heilige Mutter Gottes, steh mir bei!“ Es entsprach voll und ganz seiner theatralischen südländischen Wesensart, in höchster Not zum Himmel zu flehen – wo er, der Erzhalunke, doch wahrhaftig nicht auf Gnade hoffen konnte.

Humun Aradschy war dicht neben ihm und schlug mit der Faust ins Wasser, daß das Naß dem Sizilianer ins Gesicht spritzte. „Beim Scheitan, schweig, du verfluchter Hund. Zum Henker mit dir und deinesgleichen! Ich habe immer gewußt, daß du elender Giaur, du Ungläubiger, uns Brüder eines Tages hereinlegen würdest.“

Er wollte in seinen Beschimpfungen fortfahren, wurde jedoch durch ein Wummern, Pfeifen und Heulen unterbrochen.

Entsetzt blickten beide Männer zu der Galeone. Soeben hatte die „Isabella VIII.“ wieder eine ihrer furchtbaren Breitseiten abgefeuert. Stichflammen zuckten aus ihren Stückpforten, Rauch breitete sich aus, Gebrüll wehte herüber. Auf der „Isabella“ war es das Siegesrufen der Seewölfe – auf dem angegriffenen Piratenschiff das Geschrei der Niederlage und Todesnot. Die Kugeln der Culverinen zerschmetterten Bordwand und Masten des Piratenseglers. Lorusso und der Türke verfolgten, wie sich das brennende Rigg auf das Deck des Schiffes senkte. Sie sahen lodernde Gestalten, die sich ins Wasser stürzten – dann mußten sie sich selbst in Sicherheit bringen, weil eine der Kugeln der „Isabella“ in bedrohlicher Nähe ins Wasser stob.

Lorusso tauchte neben dem Türken. In seiner Panik schluckte er Wasser. Gurgelnd und prustend schoß er wieder hoch. Er zappelte und suchte verzweifelt nach dem treibenden Mast. Ihm war sterbenselend zumute. Er hatte plötzlich große Lust, zu sterben.

Den Türken glaubte er schon weiter von sich entfernt, da erschien dieser wieder unverhofft neben ihm. Auch er hielt sich jetzt an dem Mast fest. Lorusso verwünschte ihn. Er wußte genau, was diese Anhänglichkeit zu bedeuten hatte. Humun wollte noch ein Hühnchen mit ihm rupfen.

Immer noch segelten Trümmer durch die Luft. Die Leiche eines von einem Mastsplitter durchbohrten Piraten landete dicht neben ihnen im Wasser. Lorusso blickte in ein verwüstetes Gesicht und stöhnte auf. Humun Aradschy fluchte wieder. Er hatte den Toten erkannt, es war einer der Albaner, mit denen sie sich verbündet hatten. Dreißig Schiffe hatte die Flotte gezählt, an Bord hatten sich schätzungsweise fünfhundert zu allem entschlossene Freibeuter befunden: Türken, Algerier, Syrer, Griechen, Albaner und Sizilianer. Ein imposantes Kontingent, eine überlegene Streitmacht – und jetzt das!

Lorusso hatte zum erstenmal in seinem Leben Angst, nackte Angst, und er verhehlte sie nicht. Dieses Verhalten steigerte noch die Wut, die Humun auf ihn hatte. Er schlug mit der Faust nach dem Sizilianer.

Eben gerade waren sie Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, entgangen – und doch schienen sie vom Regen in die Traufe geraten zu sein. Es erschien völlig unwahrscheinlich, noch lebend dieser vor Valletta tobenden Schlacht zu entrinnen.

Die Belagerung hatte am Morgen begonnen. Alle Schiffe hatten sich unter dem Kommando der Brüder Barud und Humun Aradschy vor dem Hafen von Valletta eingefunden. Die beiden gefürchteten Türken hatten einen überwältigenden Trumpf in Händen gehalten, um den Feind zur Kapitulation zu zwingen: sechs Geiseln, die Hälfte der vor einem Monat von Lorusso auf Malta gefangenommene und dann entführte Gruppe Ritter und Muschelfischer.

Lorusso hatte sie an einem abgelegenen, einsamen Teil der Insel überwältigt, aber er hatte diesen Erfolg nicht auszuspielen gewußt. Statt den Orden der Ritter des Heiligen Johannes zu erpressen, hatte er die Männer nach Santorin verschleppt, in den Schlupfwinkel. Dort hatten sie eine Silbermine in die Lavafelsen treiben müssen. Lorusso war von der Vorstellung, dort Reichtümer zu finden, geradezu besessen gewesen. Aber das Ganze war nur ein Irrtum, ein Schlag ins Wasser gewesen.

Anders die Aradschys! Die Hälfte der Geiseln hatten sie nach Malta zurückgebracht, aber unter welchen Bedingungen! Höhnisch hatte Barud Aradschy dem Hafenkapitän Henrik Argout das Ultimatum gestellt: Entweder strich Jean de la Valette-Parisot, der greise Großmeister des Ordens, die Flagge und übergab Malta kampflos – oder die sechs Gefangenen wurden auf Humuns Karavelle vor aller Augen hingerichtet. Einer nach dem anderen. Auf grausamste Weise.

Argout war mit seiner Schaluppe in den Hafen zurückgekehrt. Er hatte eine halbe Stunde Zeit gehabt, dem Großmeister die Hiobsbotschaft zu überbringen und mit dem Bescheid zu Barud Aradschy zurückzukehren.

Barud und Humun hatten sich als Sieger gesehen.

Aber dann hatte sich alles völlig anders entwickelt!

Lorusso, ihr Verbündeter von Santorin, war mit seinem Zweimaster „Grifone“ an der östlichen Kimm erschienen. Barud hatte ihn auf Rufweite heranstaffeln lassen und ihm den Befehl gegeben, sich zum Verband zu gesellen.

Humun knirschte vor Wut mit den Zähnen, als er daran dachte. O ja, er hatte sich in den Verband eingegliedert, dieser Hund von einem Sizilianer! Er war mit seiner verdammten „Grifone“ sogar längsseits seiner, Humuns, Karavelle gegangen, weil er, wie er behauptete, eine Meldung „unter vier Augen“ mitzuteilen hätte.

Ehe Humun das Manöver durchschaut hatte, waren Lorusso und seine Kerle übergeentert. Aber das waren nicht die Burschen gewesen, die die Aradschys von Santorin, dem gemeinsamen Schlupfwinkel, kannten. Nein, verkleidete Ungläubige, maskierte Teufel, hatten sich bei dem Sizilianer befunden – eine Handvoll wilder Draufgänger.

Seewölfe, so hatte Humun sie bezeichnen hören.

Sie hatten die Karavelle genommen, und ihr Anführer, ein schwarzhaariger Riese mit eisblauen Augen, hatte ihm, dem unbesiegbaren Humun Aradschy, die Doppelläufige ins Kreuz gedrückt und ihn nach vorn auf die Back zu den sechs gefesselten Geiseln befördert. Dann diese bodenlose Frechheit, diese unglaubliche Gemeinheit: Humuns Männer hatten vor den schußbereiten Waffen der Seewölfe die Karavelle verlassen und mit den Beibooten an Land pullen müssen – jawohl, direkt auf die Insel zu! Andernfalls hätte dieser blauäugige Teufel ihnen „das Feuer ihrer eigenen Kanonen in den Hintern gegeben“, wie er angedroht hatte.

Er hatte die Geiseln von Lorusso losknüpfen lassen, dieser Satan von einem Seewolf, hatte die Karavelle und die „Grifone“ drehen lassen und angefangen, den Rest des Piratenverbandes zu befeuern.

Und dann war diese „Isabella“ aus der Passage zwischen Malta und dem Nachbareiland Comino hervorgesegelt und hatte unter dem dröhnenden Kommando ihres narbengesichtigen Profos’ die Flanke der Flotte unter Beschuß genommen. Es war das Tollkühnste, Unfaßbarste, Verrückteste, das Humun Aradschy je erlebt hatte.

„Allah!“ heulte er in das Donnergrollen der Kanonen. „Mach, daß diese aussätzigen Ungläubigen zerspringen!“

Sein frommer Wunsch wurde nicht erfüllt. Das Gegenteil trat ein. Dicht vor ihnen beschossen die Bogenschützen, über die die Seewölfe verfügten, eine Piratengaleere mit Brandpfeilen. Das Feuer erreichte die Munitions- und Pulverdepots des Schiffes, und unter Donner, Feuerblitzen und starker Rauchentwicklung explodierte die Galeere.

„Nein!“ brüllte Humun.

„Ich will nicht sterben!“ schrie Lorusso, der sich die Sache mit seinem Ableben nun doch anders überlegt hatte.

Die Überreste der Galeere prasselten auf sie nieder. Wieder mußten sie tauchen, um nicht erschlagen zu werden.

Die düstere Unterwasserwelt nahm sie gefangen. Aber auch hier, im Sog der aufgewühlten Fluten, waren sie nicht sicher. Lorusso sah etwas Dunkles, Schemenhaftes auf sich zuschnellen. Er begriff noch, daß es sich um den Teil einer Spiere handelte. Dann prallte er damit zusammen, erhielt einen Schlag auf den Kopf und sah nichts mehr. Alles versank in erlösender Finsternis.

 

Später – er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war – breitete sich stechender Schmerz in seinem Kopf aus. Er streckte die Hände nach oben, bemerkte harten Widerstand und griff danach. Er hatte das Gefühl, etwas sehr Diesseitiges mit den Fingern zu umspannen. War das das Dasein nach dem Tod?

Sein Mund öffnete sich, er pumpte japsend die Lungen mit Luft voll. Das dumpfe Geräusch, das er dabei vernahm, irritierte ihn. Dann trat noch etwas Merkwürdiges ein: Lorusso schlug die Augen auf, konnte aber trotzdem nichts von seiner Umgebung erkennen.

„Maledizione“, flüsterte er. „Verdammnis – Hölle, was ist nur geschehen?“ Auch seine Stimme fand einen eigentümlichen Widerklang.

Vor ihm rauschte und sprudelte es, dann vernahm er ein wohlbekanntes Männerorgan. „Beim Scheitan, wo bin ich?“

„Humun“, sagte Lorusso.

Die Antwort war zunächst nur ein zorniges Schnaufen. „So, bist du also auch wieder da, du Bastard von einem Sizilianer? Offenbar will dich selbst der Leibhaftige nicht. He, was ist das, hier über meinem Kopf? Lorusso – das ist ja eine Ducht.“

„Stimmt“, erwiderte Lorusso. „Ich halte mich auch an einer Ducht fest, glaube ich.“

„Glaube ich“, äffte ihn der Türke verächtlich nach. „Ich weiß, was passiert ist. Bei der Explosion der Galeere ist auch das auf der Poop festgezurrte Beiboot aufs Meer hinausgewirbelt worden. Erstaunlicherweise hat es dabei keinen Schaden erlitten. Das ist ein Wunder, du Bastard. Allah ist groß, Allah ist mächtig! Das Boot ist umgeschlagen, gekentert, und wir sind im Auftauchen direkt darunter gelandet.“

„Und nun?“

„Und nun, und nun – wir haben hier genügend Luft zum Atmen.“

Lorussos Angst wich etwas. „Das ist ja großartig. Ich verstehe – wir sind einigermaßen geschützt, können uns aus dem Hexenkessel der Schlacht zurückziehen, indem wir mit den Beinen paddeln, und bleiben für den Seewolf und seine Kerle unauffindbar. Sie werden nach uns suchen, nachdem wir diesem Killigrew vor der Nase weg von deiner Karavelle gesprungen sind, Humun. Aber bald werden sie annehmen, wir sind jämmerlich ersoffen.“

„Ja“, sagte der Türke grimmig. „Und da ist noch was. Endlich haben wir genügend Zeit, um uns ausführlich zu unterhalten – du Sohn eines von den Blattern befallenen Dromedars.“

Lorusso hatte inzwischen durch Tasten festgestellt, daß er sich an der Heckpartie des Bootes befand. Der Türke indes war nicht weit vom Bug entfernt aufgetaucht, wie den Lauten zu entnehmen war, die er verursachte. Gut fünf bis sechs Fuß trennten sie also voneinander.

Doch jetzt hörte Lorusso ihn näher planschen.

Der Sizilianer hatte keine Waffe. Philip Hasard Killigrew hatte sie ihm abgenommen, bevor er ihn in die Vorpiek der „Grifone“ gesperrt hatte. Und auch, als er ihn dann zu dem einmaligen Täuschungsmanöver an Deck geholt hatte, hatte er ihn wieder durchsucht. Der Seewolf hatte eben ganz auf Nummer Sicher gehen wollen, obwohl keiner der in den Vordecksräumen angeketteten Piraten sich auch, nur ein Messer hätte beschaffen können.

Anders verhielt es sich mit Humun Aradschy. Den hatte der Seewolf in der Eile nicht abtasten können. Er hatte sich damit begnügen müssen, daß Humun die Steinschloßpistole von sich geschleudert hatte, als er von ihm gefangengenommen worden war.

Erst nach der Schlacht hätte der Seewolf sich wieder mit dem jüngeren der Brüder befassen können, doch Humun und Lorusso waren außenbords gesprungen. Er hatte ihnen mit seiner Radschloßpistole nachgefeuert, aber nicht getroffen.

All das ging Lorusso jetzt plötzlich wieder durch den Kopf. Und er zog eine Schlußfolgerung, die logisch war. Humun hatte zumindest noch ein Messer bei sich. Oder einen Kurzsäbel. Oder einen Tschakan, jene gefürchtete orientalische Wurfaxt.

„Hör zu, Humun“, sagte Lorusso mit belegter Stimme.

„Ich komme, du Hund.“

„Bleib, wo du bist!“

„Ich kann dich so schlecht verstehen.“

Lorusso leckte sich die salzigen, spröden Lippen. „Warte. Das liegt am Kampflärm. Aber – Augenblick, das Donnern der Kanonen läßt nach!“

„Du lügst“, sagte Humun mißtrauisch.

„Bist du denn taub?“ rief der Sizilianer.

Es stimmte. Tatsächlich verebbten alle Laute. Ein letztes, grollendes Krachen rollte schwer über See und verlor sich in der Ferne, dann trat Ruhe ein. Das Schreien der Verwundeten hatte auch nachgelassen, nur hier und da war noch ein schwaches Klagen zu vernehmen.

Humun Aradschy verhielt. Er beschäftigte sich eingehend mit der Innenseite der Bootswand und entdeckte nach einigem Tasten eine Stelle, an der sich das Werg aus einer Plankennaht entfernen ließ. Humun fingerte, kratzte, arbeitete verbissen, kurzum, er tat alles, um die Ritze freizulegen.

„Was soll das?“ fragte Lorusso.

„Schweig! Ich will sehen, was los ist.“

Kurz darauf hatte der Türke es geschafft. Er kniff seine Augenlider zusammen und spähte durch den Schlitz, den er in der Bordwand ungefähr in der Mitte zwischen Dollbord und Ducht geschaffen hatte. Etwas Sonnenlicht fiel von außen ein. Lorusso konnte einen Teil der Gesichtspartie von Aradschy sehen.

„Ich sehe die ‚Isabella‘, die ‚Grifone‘ und meine Karavelle!“ zischte der Türke. „Sie verschwinden in der Hafeneinfahrt. Vier Galeonen und zwei Galeassen der Malteser, die gar nicht erst in die Schlacht einzugreifen brauchten, suchen das Meer nach Überlebenden ab, die sie in Ketten legen können. Vielleicht wollen sie unseren Leuten auch nur den Rest geben.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Lorusso.

„Sei still! Ich sehe noch etwas.“

„Was? Unsere Verbündeten? Deinen Bruder?“

„Nein. Galeassen und Galeonen, die sich von der nordöstlichen Kimm nähern. Das kann nur der Rest der maltesischen Flotte sein, der von einer Reise nach Sizilien zurückerwartet wird.“

„Der Teufel soll sie holen.“ Lorusso atmete tief durch, versuchte, sich zu beruhigen, schaffte es jedoch nicht. „Wo steckt Barud? Was ist aus den anderen geworden?“

„Warte. Bewege deine Beine, du falscher Hund. Wir müssen unsere Gliedmaßen als Flossen benutzen, wie die Fische. So können wir das Boot drehen, und ich gewinne auch einen Überblick über den Teil der See, der jetzt für mich im toten Winkel liegt.“

„Ist gut.“ Lorusso war froh, sich irgendwie bei Humun anbiedern zu können. Er gab sich Mühe, und durch entsprechende Beinarbeit schwenkte ihr Boot langsam herum.

„Zehn Schiffe“, sagte Humun tonlos. „Nur zehn sind von dem stolzen Verband übriggeblieben. Neunzehn haben diese verfluchten Giaur auf den Grund der See gesenkt, meine Karavelle befindet sich in ihrer Hand. Der Blitz soll sie treffen! Aber, Allah sei Dank, ich kann Baruds Karavelle an der Spitze der flüchtenden Restflotte erkennen. Ich bete zum Propheten, daß auch mein Bruder noch am Leben ist. Er führt unsere Schiffe fort, in Richtung Nordwesten. Sie werden nicht verfolgt, glaube ich.“

„Großartig“, sagte Lorusso. „Es ist doch noch nicht alles verloren. Sie lekken ihre Wunden, bessern die Schäden an den Schiffen aus, holen Verstärkung und kehren dann hierher zurück, um doch noch den Sieg davonzutragen. So leicht gibt Barud sich nicht geschlagen.“

„Das glaubst nur du!“ stieß der Türke hervor. „Du willst mich beschwichtigen, nicht wahr?“

„Ich will gar nichts, Humun …“

„Du Verräter. Du hast das alles eingefädelt.“

„Nein. Hör mich an.“ Lorusso berichtete, was sich auf Santorin zugetragen hatte. Er haspelte die Schilderung der dramatischen Ereignisse nur so herunter, aber Humun antwortete am Ende nur mit einem haßerfüllten Laut.

„Du Narr! Wie du diesen Ungläubigen auf den Leim gegangen bist! Iride, die Hure, hat mehr Gerissenheit bewiesen als du. Warum hast du nicht versucht, dich zu befreien?“

„Das habe ich doch!“

„Aber ohne Erfolg!“

„Zum Teufel, ich wurde in Ketten gelegt und in die Vorpiek meines eigenen Schiffes gesperrt! Wie sollte ich da wohl wieder herausgelangen, zumal dauernd zwei dieser Bastarde im Vorschiff Wache hielten?“ Lorusso begehrte auf. Er hatte wieder etwas von seinem alten Selbstvertrauen zurückerlangt. Jetzt wollte er sich nicht mehr von dem Türken abkanzeln lassen.

„Du wirst frech!“ zischte Humun. „Deine Worte sind das Gekläff eines von Schwären bedeckten Hundes, Lorusso. Niemals hättest du dich fügen dürfen, als der Seewolf dich auf Deck beförderte und dir abverlangte, uns gegenüber die Rolle des treuen Mitstreiters zu spielen – während er nur darauf wartete, zuschlagen zu können.“

„Was hätte ich denn tun sollen?“

„Dich weigern!“

„Und mich umbringen lassen?“

„Ja!“ schrie Humun Aradschy unter dem gekenterten Boot, daß es von den Holzwänden dröhnte. „Du hättest dein schandbares Leben lassen sollen. Für uns. Für deine Freunde. Für uns war dir doch kein Opfer groß genug, oder? Hast du das nicht immer behauptet?“

Lorusso lachte ärgerlich auf. „Du bist ja verrückt! Irgendwo hört die größte Freundschaft auf, auch bei euch Brüdern. Außerdem habt ihr mich in der letzten Zeit auf Santorin wie den letzten Dreck behandelt. Wie rechtfertigst du denn das?“

„Das steht nicht zur Debatte.“

„Wirklich nicht? Ihr hieltet mich für verrückt, stimmt’s?“

„Wegen deiner Suche nach dem Silber, jawohl.“

„Aha. Früher oder später hättet ihr mich ausgebootet oder ganz abserviert.“

„Lüge“, sagte Humun Aradschy. „So was tut ein gläubiger Moslem nicht. Zu so etwas ist nur ein Giaur fähig.“

„Was du nicht sagst“, erwiderte Lorusso voll Spott. „Also hättest du dein Leben für mich gegeben, falls der Seewolf dich wie mich in die Zange genommen hätte, oder?“

Es plätscherte und sprudelte wieder im Wasser unter dem Boot. Humun rückte weiter auf den Sizilianer zu. Lorusso hörte seinen keuchenden Atem dicht vor sich.

„Verschwinde!“ stieß er hervor. „Zieh dich zurück, oder ich vergesse mich.“

„Hund!“ sagte Humun.

Lorusso holte aus und schlug nach ihm. Er wollte ihn im Gesicht treffen, mußte aber die Richtung schlecht berechnet haben. Seine Faust schoß ins Leere, dann hart gegen die Bootsplanken. Humun lachte höhnisch.

„Willst du wissen, was ich für dich gebe, du Hurensohn? Ich schenke dir etwas, nimm es, hier! Und hier und hier!“

Er war unter der letzten Ducht hervorgeglitten, die sie noch getrennt hatte. Lorusso versuchte, ihn mit den Fäusten abzuwehren, doch der Türke war schneller als er. Ehe der Sizilianer überhaupt richtig reagieren konnte, bohrte sich etwas höllisch Scharfes in seine Schulter und in seinen Arm.

Er spürte, wie ihm die Sinne schwanden. Rote Schleier wallten vor seinen Augen, Schmerz brandete durch seinen Oberkörper und durch den Leib. Er dachte noch: Er hat also doch ein Messer, dieser elende Hund!

2.

Im sonnigen Mittagslicht, das die Inseln Malta, Comino und Gozo erwärmte, waren Hasard und seine Crew in den Hafen von Valletta eingezogen. Die Soldaten der Festung Sant’Angelo hatten sie durch Böllerschüsse begrüßt. Die Bevölkerung hatte sie als Helden gefeiert und im Triumphzug durch die Stadt geleitet. Dann endlich hatte Hasard den Palast des Großmeisters betreten dürfen.

Als Zeichen seiner Ehrerbietung war er kurz niedergekniet, dann hatte er sich wieder erhoben und feierlich erklärt, daß er die Ehre habe, den Schatz der Malteserritter zurückzubringen und zwölf tapfere Männer des Ordens aus den Klauen der Piraten befreit zu haben.

Seine Worte schwebten im Raum und klangen in der Ergriffenheit und Stille aus, die die Szene beherrschte.

Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Carberry, Old O’Flynn und die anderen Männer seiner Crew hatten die Schatztruhe hereingetragen und auf dem glänzenden Steinfußboden des Thronsaales abgesetzt. Jetzt standen sie rechts seitlich von ihrem Kapitän und traten etwas verlegen von einem Fuß auf den anderen.

Henrik Argout erschien an der Spitze von sechs Malteserrittern. Alle trugen die bekannte Montur mit dem weißen Kreuz auf rotem Grund. Den Männern folgten die befreiten Gefangenen der Piraten: die Ritter Giuliano Salce, David, Ronald, Maynard, Dario, Heinrich und Arthur sowie die Muschelfischer Fausto, Samuele, Alof, Tobias und Felice. Sie traten links von Hasard vor den Thron des Großmeisters – ausgemergelte, bis auf die Knochen abgezehrte Gestalten und doch bereits wieder glückliche, vor Freude und Begeisterung über den Sieg strahlende Männer.

 

Rasch würden sie sich von den Strapazen erholen, die sie unter der Knute des Sizilianers hatten durchstehen müssen. Bereits während der Schlacht hatten sie den Seewölfen auf der „Isabella“ und der Karavelle des Humun Aradschy geholfen, die Geschütze zu laden, zu richten und abzufeuern. Trotz ihres körperlichen Zustands war ihr alter Kampfgeist nicht versiegt. Im Gegenteil, er war neu und wie nie zuvor aufgelodert, als es gegolten hatte, den Piraten die Zähne zu zeigen.

Giuliano Salce trug die Schiffskatze Micia auf dem Arm, und niemand nahm Anstoß daran. Die Seewölfe hatten auch Arwenack mitbringen wollen, aber das Vorhaben war an dem massiven Widerstand des Schimpansenjungen gescheitert. Arwenack hatte sich unter Deck der „Isabella“ versteckt und war nicht mehr erschienen. Er war beleidigt und eifersüchtig, denn er fühlte sich zurückgesetzt, seit Micia an Bord war.

Noch fünf Ritter betraten nach den befreiten Geiseln den Saal, dann wurde die Flügeltür verschlossen.

Jean de la Vallette-Parisot, der Großmeister, siebenundachtzig Jahre alt und immer noch rüstig, geistig frisch und von unbeugsamem Widerstandsgeist gegen die feindlichen Piraten – er saß auf seinem Thron und begegnete dem Blick des Seewolfes.

Seine Hände hielten die Knäufe der hölzernen, geschnitzten Armlehnen umschlossen, sein Rücken bedeckte einen Teil der hohen, mit schwarzem Samt bespannten Rücklehne. In ihrem Zentrum wurde die Lehne von dem Wappen des Ordens beherrscht. Drei breite Stufen führten zum Thron hinauf, flankiert wurde der Thron auf seinem Podest von zwei Ritterrüstungen, den rotweiß gefärbten Schilden der Ritter des Heiligen Johannes von Jerusalem sowie zwei großen schmiedeeisernen Standleuchtern.

Der Großmeister-Palast war fast gleichzeitig mit der Kathedrale des Heiligen Johannes errichtet worden, nachdem 1565 nach viermonatiger Belagerung ein großer Angriff der Türken zurückgeschlagen worden war. Jean de la Vallette-Parisot war der Gründer der Stadt Valletta. Vor ein paar Jahren, 1574, hatte er die von Gerolamo Cassar konstruierten Prachtbauten der Stadt vervollständigen lassen.

Giuliano Salce hatte Hasard diese Dinge während der Überfahrt von Santorin nach Malta erzählt. Der Thronsaal wie viele andere Säle des Palastes war mit kunstvollen Wandteppichen geschmückt, die Szenen aus der Geschichte des Ordens wiedergaben. Es existierte auch eine Waffenkammer der Ritter, ein beachtlich langer Saal, in dem die Waffen und Rüstungen vergangener Jahrhunderte und der Jetztzeit zu betrachten waren. Unter den Rüstungen befand sich auch eine germanische, die, so hieß es, von Garzes getragen worden war.

Der greise Großmeister stand auf und hob die rechte Hand.

„Bitte, Philip Hasard Killigrew“, sagte er in akzentfreiem Englisch. „Treten Sie zu mir, ich möchte Ihnen die Hand schütteln.“

Hasard nahm die Stufen des Podestes. Ohne Zögern und irgendwelche Beklemmungen schritt er auf diesen großen alten Mann mit dem schlohweißen Haar zu, streckte die Rechte aus, ergriff die ihm dargebotene Hand und drückte sie. Es war erstaunlich, über welche Kraft und Energie de la Vallette auch im hohen Alter noch verfügte – sein Händedruck vermittelte etwas davon. Und in diesem Augenblick fühlte Hasard sich wieder an seinen Vater Godefroy von Manteuffel, den Malteserritter, erinnert. Ja, es bestand eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen beiden, weniger in der Physiognomie als vielmehr in den Charakterzügen.

De la Vallette hatte graue Augen, keine eisblauen wie Hasards Vater. Es gab da viele Unterschiede – und doch erschien es Hasard so, als habe er den Großmeister schon früher gekannt, als sei dies mehr als ein Wiedertreffen zweier guter, alter Freunde.

Das lag an der humanen Ausstrahlung, die von diesem Mann ausging. Hasard empfand tief in seinem Herzen äußerste Verbundenheit mit ihm. Hier hatte er einen gefunden, der seine Ziele teilte und seine Ideale verstand. Er wußte es, ohne daß sie darüber gesprochen hatten.

Aber da war noch mehr. Hasard hielt nichts von großen Floskeln und ausschweifenden Dankesreden. Dennoch erfüllte ihn dieser Empfang mit Genugtuung, denn auf Malta erhielt er endlich die Anerkennung, die ihm in England versagt gewesen war. Dort hatte er der Königin seine immensen Schätze überbracht und nur Neid, Haß und Verachtung geerntet. Hier bekundete ihm der Großmeister der überall geachteten Ritter des „Ordens der Kavaliere“, daß auch ein Bastard Respekt und Ehre verdiente.

„Ich danke Ihnen, Hasard“, sagte Jean de la Vallette-Parisot schlicht. „Ich habe von Giuliano Salce vernommen, daß Sie der Sohn von Godefroy von Manteuffel sind.“

„Ja, das habe ich ihm gesagt.“

„Ritter Godefroy ist bei Algier gefallen?“

„Auf der Galeere des Uluch Ali. Als ich ihn gerade von dem Joch des Rudersklaven befreit hatte. Sein Mörder war ein gewisser Salvador de Coria. Er hat mit dem Tod für seine Tat bezahlt.“

De la Vallette nickte. „Ich habe davon vernommen. Es werden die tollsten Geschichten über den Kampf verbreitet, aber Uluch Alis Vernichtung beweist, daß er endlich seinen Bezwinger gefunden hat. Ihnen, Hasard, steht der Ruhm zu, das Mittelmeer von einem seiner gefährlichsten, blutrünstigsten, grausamsten Piraten befreit zu haben.“

„Ein zweifelhafter Ruhm. Meiner Familie hat er nichts eingebracht“, entgegnete Hasard bitter. „Ich habe nicht nur meinen Vater, sondern auch meine Frau Gwendolyn und meine beiden erst ein Jahr alten Kinder Philip und Hasard verloren. Aber, verzeihen Sie bitte, Sir, das gehört nicht hierher.“

„O doch“, sagte der Großmeister. „Ich will die Ereignisse nicht in Ihre Erinnerung zurückrufen und Ihre seelische Qual vergrößern. Ich will Ihnen nur meine Hochachtung aussprechen, daß Sie trotzdem nicht verzagt haben und Ihren Weg weitergegangen sind. Giuliano Salce hat mir soeben, kurz vor Ihrer Ankunft, eine Menge über Sie berichtet. Ihr Verhalten, nachdem Sie den Schatz des Ordens an Bord Ihres Schiffes gebracht hatten, war beispielhaft. Ich will keine großen Kommentare dazu abgeben. Sie scheinen mir nicht der Mann zu sein, der Wert darauf legt. Aber ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten.“ Ein Lächeln glitt über die faltigen Züge des Alten, als Hasard ihn überrascht anblickte.

„Einen Mann wie Sie, Philip Hasard Killigrew“, fuhr Jean de la Vallette fort, „nehme ich ohne die üblichen Prüfungen, ohne Wartezeit und ohne das allgemeine Zeremoniell in den Orden des Heiligen Johannes von Jerusalem auf. Als sein bedeutendster Ehrenritter.“ Er vollführte eine Gebärde zu der „Isabella“-Crew hin. „Und diese Männer würden wir als Adepten in unsere Reihen eingliedern, sie anlernen, prüfen und dann ebenfalls zu Rittern ernennen. Der Orden braucht Zuwachs. Und bessere Anlernlinge als euch Seewölfe gibt es nicht.“

Carberry hustete. Shane, immer noch als Pirat kostümiert, kratzte sich in seinem grauen Bartgestrüpp. Matt Davies und einige andere hätten sich gern irgendwo verkrochen, und Batuti wußte nicht, wohin er blicken sollte. Denn soviel Achtung und Freundlichkeit waren ihnen noch nirgendwo entgegengebracht worden. Außerdem fühlten sie sich in dem prunkvollen Saal irgendwie fehl am Platz. Die See war ihr Element, die „Isabella VIII.“ ihr Zuhause, Schlachten und Abenteuer ihre Welt. Aber hier, im Palast, fühlten sie sich etwa so wie ein Schwarm Raben in einer Pfauenkolonie.

Hasard brauchte nicht nachzugrübeln, er fällte seine Entscheidung sofort.

„Sir“, erwiderte er. „Sie dürfen mir auf keinen Fall übelnehmen, was ich jetzt sage. Ich spreche für meine Mannschaft wie für mich selbst, aber natürlich bitte ich jeden vorzutreten, der sich anders entschließen will.“ Er sandte einen Blick zur Mannschaft hinüber. Ernst nickten ihm die Männer zu.

„Ich bin sehr stolz auf Ihr Angebot“, sagte Hasard. „Ich weiß es zu würdigen, das dürfen Sie mir glauben. Ich würde Ihren Vorschlag auch gern annehmen, Sir. Viele Männer wünschen sich nichts sehnlicher als eine Chance wie diese. Und doch – ich muß leider ablehnen. Ich kann kein Malteserritter werden, nicht jetzt, nicht in meiner derzeitigen Lage. Es gibt einige zwingende Gründe, die dagegensprechen.“

Der Großmeister hob die weißen Augenbrauen etwas an. „Glaubensgründe?“

Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Hasard mußte unwillkürlich lächeln, denn sie schienen wieder beide die gleichen Gedanken zu haben. Hasard entsann sich einiger Berichte über Heinrich VIII. von England, der von 1509 bis 1547 König gewesen war, ein typischer Herrscher der Renaissance – brutal, selbstherrlich und prachtliebend. Als ihm vom Papst die Trennung seiner kinderlosen Ehe von Katharina von Aragon verweigert worden war, hatte Heinrich sich kurzerhand durch Thomas Cranmer, den Erzbischof von Canterbury, scheiden lassen. 1533 war das gewesen. Heinrich hatte wieder nicht lange gefackelt und Anne Boleyn geheiratet. Diese Anne gebar ihm schließlich eine Tochter – Elisabeth, die königliche Lissy, die heute auf Englands Thron saß.

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