Die Wette der Diebe

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Die Wette der Diebe
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Ronald Fuchs

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Die Wette der Diebe

Impressum Buchtitel: Die Wette der Diebe Autor: Ronald Fuchs Cover: Ronald Fuchs Copyright: ©2016 Ronald Fuchs Verlag: Ronald Fuchs Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de ISBN: 978-3-7418-1627-7 Printed in Germany Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Roman

Die Wette der Diebe ist meiner lieben Mutter Rose-Lene Fuchs, geb. Brandt (*12.12.1921 - †20.06.2012) gewidmet

Inhalt der Erzählung Die Wette der Diebe 01/13: Die Wette 02/13: Der Basar 03/13: Der Markt 04/13: Das Tor 05/13: Der Schleiertanz 06/13: Der Dschinn 07/13: Der Verrat 08/13: Der Coup 09/13: Das Urteil 10/13: Die Kette 11/13: Die Karawane 12/13: Die Oase 13/13: Die Blutrache

1 /13 Die Wette

Vor langer Zeit, als Bagdad noch zum osmanischen Reich gehörte, begegneten sich eines Freitags, kurz nach dem Abendgebet, zwei junge Männer nicht weit von der großen Moschee am hohen Tor des alten Basars. Sie waren scheinbar zufällig miteinander zusammengestoßen und hatten sich gerade wieder voneinander gelöst, da bemerkten sie, dass sie bestohlen worden waren. Beide drehten sich gleichzeitig um, zückten ihre Dolche, stürzten aufeinander los und schrien:

„Du Dieb hast mich bestohlen!“

Im selben Augenblick jedoch erkannten beide, wen sie vor sich hatten und statt sich die Dolche gegenseitig ins Herz zu stoßen, musterten sie einander leicht amüsiert.

„Du bist also der Tagdieb“, sagte der eine.

„Du bist also der Nachtdieb“, sagte der andere.

„Ich habe schon viel von dir gehört und wollte dich schon immer einmal kennenlernen.“

Da der eine aber nur des Nachts und der andere nur am Tage seinem Gewerbe nachging, waren sie sich bisher nie begegnet.

„Auch ich freue mich, dich zu treffen, denn ich möchte doch gar zu gern wissen, ob deine Geschicklichkeit wirklich so groß ist, wie man behauptet, oder ob nicht ich in Wirklichkeit der Meister aller Diebe von Bagdad bin – worauf ich doch wetten würde!“, sagte hochmütig Said, der Nachtdieb.

„Du willst der Meister von uns sein, du, der sein Handwerk nur im Dunkeln auszuüben wagt, wenn es ungefährlich ist, weil man dich nicht sehen kann?“, entgegnete empört Ali, der Tagdieb.

„Mein Handwerk sei ungefährlich?!“ Der Nachtdieb schäumte vor Wut über diese ehrabschneidende Behauptung. Niemand durfte ihn der Feigheit zeihen.

„Hattest du schon einmal den Mut, in finstrer Nacht, in der man die Hand vor den Augen nicht sieht, in einen von hohen Mauern umgebenen und von Hunden und Pfauen und schwerbewaffneten Dienern bewachten Palast einzudringen, um ihn mit der Schatzschatulle wieder zu verlassen?“

„Und hattest du schon einmal den Mut“, entgegnete genauso erzürnt der Tagdieb, „am helllichten Tag mitten auf dem Marktplatz, sozusagen unter den Augen des Kadi, einem reichen, von schwerbewaffneten Dienern umgebenen Kaufmann den Geldbeutel abzunehmen?“

Wieder wollten die beiden Diebe aufeinander losgehen, als Fatima, die junge Frau des Tagdiebs, zwischen die beiden Kampfhähne trat.

„Warum wollt ihr beiden tüchtigen Männer gegeneinander kämpfen, obwohl sich doch auf ganz einfache Weise feststellen ließe, wer von euch der Meister ist?“

Die beiden Streithammel hielten inne – natürlich, die Frau hatte ja Recht, jeder der beiden Diebe müsste beweisen, dass er der Bessere ist. Aber wie sollte dies geschehen? Um diese Frage zu klären, begab man sich in das Haus des Tagdiebs. Dort kam man bei süßem Tee und köstlichen Datteln alsbald überein, dass derjenige, der bis zum Morgen des übernächsten Tages, also dem Sonntag, die kostbarste Beute in das Haus des Tagdiebs brächte, sich "Meisterdieb von Bagdad" nennen dürfe. Der Tagdieb sollte gleich morgen früh nach dem Sobh-Gebet, dem ersten der fünf Ritualgebete, sein Können beweisen und er sollte dafür bis zum Abendgebet Zeit haben. Dann schlug die Stunde des Nachtdiebs, der wiederum bis zum Morgengebet seinen Diebeszug beenden musste. Dem Sieger sollte die gesamte Beute zufallen. Nachdem also die Regeln für den Wettstreit festgelegt waren, saßen die beiden Diebe noch lange einträchtig Tee trinkend und die Nargileh, die große Wasserpfeife, rauchend beieinander und erzählten sich unterhaltsame Geschichten. Früh am Samstagmorgen machte sich Ali auf den Weg. Zuerst ging er in die große Moschee, um für sein Vorhaben zu beten. Danach begab er sich zum Marktplatz, weil dort immer viele Menschen mit Geld in den Taschen waren und weil er hier leicht im Getümmel untertauchen konnte. Auf dem Markt werden Feld- und Gartenfrüchte, frische Fische aus dem Tigris, Hühner, Enten, Gänse, Tauben, Pfauen, Fasane, Ziegen, Schafe und anderes Kleinvieh und viele Erzeugnisse tierischer oder pflanzlicher Herkunft feilgeboten. Süßigkeitsverkäufer preisen marktschreierisch ihre kandierten Früchte an und aus Garküchen steigen appetitanregende Düfte. Bunt gekleidete Wasserverkäufer offerieren ihr kostbaren Nass aus glänzenden Kupferbehältern, die sie auf dem Rücken tragen, den vom Feilschen durstig gewordenen Händlern und Käufern zur Erfrischung. Ali hatte noch nicht lange gewartet, da sah er einen jener reichen, prächtig gekleideten türkischen Kaufleute auf einem Maultier reitend des Weges kommen. Einer seiner Diener, der kleinste, trug stolz ein silbernes Kästchen vor sich her. Der Tagdieb vermutete, dass sich wohl Goldmünzen darin befänden. Diese Vermutung sollte sich schon bald als richtig erweisen, denn als die türkische Gruppe am Südtor des Basars angelangt war, ließ der Kaufmann kurz anhalten, um noch einmal einen Blick in das Kästchen zu werfen, weil er sich vergewissern wollte, dass das Geld, mit dem er teure Stoffe, Parfumes, Gewürze, Kaffee, Tee, Tabak, eine neue Wasserpfeife, silberne Kannen und Schalen und vielleicht, wenn noch etwas Geld übrig war, einen Seidenschal und Süßigkeiten für seine Lieblingsfrau kaufen wollte, noch vorhanden sei. Der kleine Diener öffnete also das Kästchen. – Oh, wie wunderbar glänzten die Goldstücke in der Sonne und wie sehr freute sich der Tagdieb über die Aussicht auf so viel Geld! Nun stieg der Kaufmann von seinem Maultier und betrat den schattigen, dunklen Basar, gefolgt von seinem kleinen Diener – und Ali, dem Tagdieb.

2 /13 Der Basar

Der alte Basar von Bagdad war ein Karree mit vier Eingängen, jeweils einer im Osten, Süden, Westen und Norden und überdachten, schmalen Straßen mit lauter Geschäften auf beiden Seiten. Hier gab es all die schönen Dinge, die man auf dem Markt nicht finden konnte. Es gab eine Gasse für Tuchhändler, eine für Gold- und Silberschmiede, eine für den Gewürz-, Weihrauch-, Tee- und Kaffeehandel, eine für Parfumes und eine für Lederwaren und noch viele andere mehr.

All' diese Gassen lagen im Halbdunkel. Nur dort, wo das Straßendach Löcher hatte oder durch transparentes Zelttuch ersetzt worden war, also vorzugsweise an den Kreuzungen, fiel gedämpftes Tageslicht in die Gänge. Die Geschäfte wurden von Öllampen gerade so hell erleuchtet, dass die Käufer die Waren sehen und die Händler ihr eingenommenes Geld zählen konnten.

Der türkische Kaufmann ging, gefolgt von seinen Goldstücken, zuerst in die Straße der Tuchhändler. Hier sah Ali seine Chance gekommen, denn hier lagen und hingen an den Wänden und von der Decke herab viele wunderbar bestickte bunte Damast-, Seiden- und Brokattücher. Eh es sich der Türke und sein kleiner Diener versahen, hatten sie einige dieser Tücher über dem Kopf. Schnell tauschte Ali die Goldstücke in der Kassette gegen Kieselsteine aus und verschwand im Dunkel des Basars.

Nachdem sich die Bestohlenen endlich wieder von ihren hübschen Verpackungen befreit hatten, betraten sie nichtsahnend, denn keiner von ihnen hatte den Tagdieb bemerkt, den Laden des Tuchhändlers, dessen Ware sie soeben so eingehend begutachtet hatten. Der Türke suchte sich einige erlesene Stoffe aus. Dann verhandelte man gemütlich bei einer Tasse Mokka über den Preis. Als man sich einig war, wies der Türke seinen Diener an, die Ware zu bezahlen. Doch welch ein Schreck, als sich nur Kieselsteine in dem Kästchen fanden – und wie höhnisch lachte der Händler.

Der Türke konnte sich die rätselhafte Umwandlung der Goldstücke in Kieselsteine nicht erklären, und so blieb nichts anderes übrig, als an Zauberei durch einen bösen Geist zu glauben.

Gegen Dämonen ist der Mensch machtlos, und wenn keine anderen Mittel, wie Amulette, gewisse Kräuter oder Kristalle helfen, kann der Gläubige nur noch durch ein Gebet zu Allah, dem einzigen Allmächtigen, von solchen Quälgeistern befreit werden. Also begab sich der reiche Kaufmann schnurstracks zum Gebet in die Moschee. Danach ritt er nach Hause, um neues Geld zu holen. Dort empfing ihn seine junge, hübsche Lieblingsfrau Leila verwundert über seine schnelle Rückkehr.

„Oh, Osman“, so hieß der Türke, „bist du auf Aladins Teppich geflogen? Was hast du denn mitgebracht?“ fragte sie und schielte neugierig nach dem Maultier und den Dienern.

Etwas verlegen erzählte ihr Osman von dem Zauber durch den bösen Geist, einem arabischen Dschinn, wie er vermutete, und dass er nur Geld holen und dann gleich wieder zurück zum Basar reiten wolle. Vorher, allerdings, wolle er sich erfrischen und seine vom Straßenstaub bedeckte Kleidung wechseln. Osman gab seiner Frau einen prall mit Goldmünzen gefüllten Geldbeutel mit der Anweisung, ihn in die Tasche seiner sauberen Jacke zu stecken. Nachdem er sich mit kühlem Brunnenwasser erfrischt und seinen Durst mit dem Saft köstlicher Granatäpfel gestillt hatte, verabschiedete er sich von seiner Lieblingsfrau, nicht ohne ihr ein schönes Geschenk zu versprechen, und ritt, gefolgt von seinen Dienern, zurück in die Stadt – wo ihn Ali schon erwartete.

 

3 /13 Der Markt

Der große Marktplatz bildete das Stadtzentrum. An seiner südlichen Schmalseite lag der Kalifenpalast. Ihm gegenüber, also an der nördlichen Schmalseite, befand sich der Basar. An der östlichen Breitseite des Platzes stand die prächtige große Moschee mit dem Hospiz und der Armenküche und ihr gegenüber, im Westen, das Gerichtsgebäude mit der Koranschule – der Koran ist Grundlage der Rechtsprechung – der Bibliothek und der Polizeiwache mit dem Gefängnis. Ungefähr in der Mitte des Platzes befand sich der überdachte Marktbrunnen.

Ali hatte in aller Ruhe seine Einnahmen gezählt, war dann in die Moschee zum Dhohr-Gebet gegangen, um sich bei Allah für den erfolgreichen Diebstahl zu bedanken und ihn zu bitten, den reichen Türken noch einmal wiederkommen zu lassen. Dann war er über den Markt, seinem Lieblingsplatz, geschlendert und hatte nach weiteren Opfern Ausschau gehalten. Schon bald sah er zu seiner größten Freude, dass sein Gebet erhört worden war. Hoch zu Maultier und frisch eingekleidet mit einer türkisgrünen seidenen Pumphose, die von einer breiten, roten, golddurchwirkten Schärpe gehalten wurde, einem ebenfalls türkisenem Batisthemd, über diesem eine blutrote offene Samtweste mit goldenen Knöpfen und großen, bestickten Taschen, auf dem Haupte ein Fes in leuchtendem Purpur mit einer goldenen Quaste und an den Füßen safrangelbe Halbschuhe aus weichem Leder mit hochgebogener Spitze, ritt Osman langsam durch die dichte Menschenmenge über den Marktplatz. Deutlich zeichnete sich der pralle Geldbeutel in seiner Westentasche ab.

Ali eilte ihm entgegen, riss noch schnell im Vorübergehen an einem der Marktstände einem Pfau eine lange Schwanzfeder aus und drängelte sich, flink wie ein Wiesel, an den Dienern vorbei, heran an den Türken, wobei er ihm mit der Pfauenfeder im Gesicht herumwedelte und gleichzeitig mit der anderen Hand geschickt den Geldbeutel aus der herrschaftlichen Westentasche zog.

Empört darüber, dass man ihm mit einer Feder im Gesicht herumwedelte, griff der Kaufmann zu seiner Peitsche, um Ali mehr Ehrerbietung einzubläuen und auch die Diener wollten sich schon auf den unverfrorenen Tagdieb stürzen. Doch dieser beteuerte treuherzig, er habe doch nur ein paar lästige schwarze Fliegen aus dem edlen Antlitz des hohen Herrn verjagen wollen, damit dieser ungestört die kostbaren Waren der Händler betrachten könne. Wenn er aber geahnte hätte, dass man ihm diese wohlgemeinte Hilfe mit Prügel entgelten würde, hätte er gewiss die Fliegen auf dem hochherrschaftlichen Antlitz in Ruhe gelassen.

Bei seiner wortreichen Verteidigung fand Ali genug Zeit, den türkischen Geldbeutel unter seiner weiten Djellaba zu entleeren und ihn, weil das ganze Manöver vor dem Gemüsestand stattfand, gefüllt mit einer dicken Gurke zurück in Osmans Jackentasche gleiten zu lassen.

Inzwischen hatte sich schon eine große, neugierige Menschentraube um die türkische Gesellschaft gebildet und Ali nutzte eine günstige Gelegenheit, um in der Menge zu verschwinden, wie ein Sandkorn in der Wüste.

Herr Osman ritt nun weiter zum Südtor des Basars, um endlich seinen Einkauf zum Abschluss zu bringen. Arglos betrat er erneut den Laden des Tuchhändlers, um die bereits ausgewählten Stoffe zu kaufen und zusätzlich noch einen Seidenschal für seine Lieblingsfrau Leila.

Als er nun aber, um zu bezahlen, aus seinem Geldbeutel eine prächtige Gurke zog, bog sich der Basarhändler vor Lachen. Beschämt stammelte Osman, seine Frau habe in ihrer Geistesabwesenheit offensichtlich Gold mit Gurke vertauscht und er werde sie dafür zur Rechenschaft ziehen und hart bestrafen. Fluchtartig verließ er mit hochrotem Kopf den Basar, bestieg sein Maultier und ritt so schnell nach Hause, dass ihm seine Diener kaum folgen konnten.

Kaum angekommen, rief er so laut und wütend nach Leila, dass diese vor Schreck ganz blass wurde.

„Du dummes Weib, was hast du getan? Kannst du nicht Gold von Gurke unterscheiden? Was hast du mit meinem Geld gemacht, das ich dir vorhin gegeben habe? Hast du es vielleicht ins Gurkenfass gelegt?“, brüllte er wutschnaubend und fügte noch hinzu: „Du hast wohl schon lange nicht mehr die Peitsche gespürt?!“

Zitternd vor Angst stand die kleine Frau vor ihm.

„Welche Gurke, wovon sprichst du, mein Herr und Gebieter?“ fragte sie zaghaft.

„Du weißt genau, wovon ich spreche, falsches Weib! Von der Gurke spreche ich, die du mir an Stelle des Geldes in meinen Geldbeutel gesteckt hast!“

„Warum sollte ich eine Gurke in einen Geldbeutel stecken?“, fragte Leila verwundert und schaute ihren Mann an, als habe der den Verstand verloren. „Außerdem“, fügte sie hinzu und deutete auf Muck, den kleinen Lakai, der eben erst zusammen mit den anderen Dienern ganz atemlos angekommen war, „hat der da gesehen, wie ich deinen Geldbeutel so, wie du ihn mir gegeben hattest, in deine Jackentasche gesteckt habe.“

Der kleine Muck bestätigte dies durch heftiges Nicken. Osman, der Türke, war ratlos. Das alles grenzte an Zauberei. Nein, das war Zauberei! Allah hatte sein Gebet nicht erhört und der böse Geist trieb weiterhin seinen Schabernack mit ihm.

Nach dieser Erkenntnis wusste Osman genau, was zu tun sei: er musste noch einmal in die Stadt reiten, in der Moschee Allah um Vergebung seiner Sünden sowie um Befreiung von dem Dämon bitten und dem Imam einen größeren Geldbetrag als Spende für die Moschee und die Armen geben. Außerdem musste er der unschuldigen Leila, die er so grob beschimpft und sogar mit Peitschenhieben bedroht hatte, zur Wiedergutmachung ein sehr kostbares Geschenk kaufen. Da kam nur teuerster Goldschmuck in Frage.

Wieder wollte er seinen Geldbeutel mit Goldstücken füllen, da fiel ihm ein, dass jedes Mal, wenn er das Gold in einem Behältnis mit sich geführt hatte, es von dem bösen arabischen Dschinn in wertloses Zeug, wie Steine oder Gurken, verwandelt worden war. Man musste das Geld also ganz einfach offen und für alle Welt sichtbar vor sich her tragen, so dass es auch Allah gut sehen und bewachen konnte.

Glücklich über diesen klugen Einfall, bat Osman seine Frau, ihm ihre lange goldene Halskette zu leihen. Er würde sie ihr heute abend wieder zurückgeben und noch wertvolle Ohrringe dazu. An dieser Kette befestigte er nun viele Goldmünzen und hängte sie sich um den Hals. Dann begab er sich ins Speisezimmer und ließ sich von seinen Dienern ein Fladenbrot, eine leckere Hammelkeule, geschnittenen Weißkohl mit Öl, Essig, Pfeffer und Kümmel, Weintrauben, Apfelsinen, Feigen, türkischen Honig und kühle Limonade servieren. Nach dem Essen ruhte er ein Stündchen, wobei er genüsslich seine Nargileh rauchte, trank dann noch einen starken Mokka und bestieg sein Maultier. Die Diener folgten ihm zu Fuß.

4 /13 Das Tor

Ali hatte inzwischen in Erfahrung gebracht, durch welches Stadttor der reiche Türke Bagdad verlassen hatte. Zwar hatte er an diesem Tage soviel erbeutet, wie noch nie in seinem ganzen Leben zuvor, dennoch befürchtete er, es könne zu wenig sein, um die Wette zu gewinnen. Deshalb begab er sich zum "Tor der untergehenden Sonne" im Westen der Stadt, in der Hoffnung, der Türke würde noch einmal zurückkehren, um seinen Einkauf zu vollenden. Der schlaue Ali hatte sich nicht getäuscht. Kaum war er am Stadttor angekommen, sah er schon die sich nähernde türkische Truppe. Entzückt entdeckte Ali mit seinen scharfen Augen auch die in der Sonne glänzende, geldbehängte Goldkette vor Osmans dickem Bauch. Bei Sonnenuntergang, in knapp einer Stunde, würde der Muezzin von dem hohen Minarett zum Maghrib-Gebet in der großen Moschee rufen. Deshalb strömten schon jetzt viele Leute, die außerhalb der Stadt wohnten oder arbeiteten, durch das Westtor. Ali beschloss, seinen Diebstahl hier zu begehen, weil er erstens ungern zweimal hintereinander am selben Ort arbeitete, denn im Basar und auf dem Markt war er heute ja schon erfolgreich tätig gewesen. Die Basaris hatten natürlich schon weitererzählt, dass der Türke einmal mit Steinen und ein andermal mit einer Gurke bezahlen wollte und sich dabei halb totgelacht. Jetzt waren die Leute sicherlich aufmerksamer, denn nicht alle glaubten an Gespenster und böse Geister. Der zweite Grund war, dass er sich beeilen musste, da seine Arbeitszeit mit anbrechender Dunkelheit endete und der dritte Grund, dass er schon einen schönen Plan hatte, in dem die stachligen Opuntienfrüchte, die eine alte Bäuerin am Stadttor zum Kauf anbot, eine Rolle spielten. Vor dem Tor entstand jetzt ein Gedränge, weil eine Frauengruppe mit ihren Kindern den Durchgang blockierte. Die Kinder wollten nämlich unbedingt Opuntienfrüchte haben, und während ihre Mütter mit der alten Bäuerin noch um den Preis feilschten, grapschten die ungeduldigen Buben und Mädchen schon frech nach den Früchten. So entstand ein großes Gezeter und Gekicher. Jetzt war auch noch ein Bauer mit seinem breiten Handkarren voller Melonen für den Abendmarkt hinzugekommen und versuchte, sich an der Gruppe vorbei durch das enge Tor zu quetschen. In dieses kleine Chaos stieß nun die türkische Karawane. Auf diesen Augenblick hatte Ali gewartet. Blitzschnell nahm er aus dem Korb der Bäuerin eine dieser stachligen Opuntienfrüchte und warf sie klatschend auf den dicken Hintern des türkischen Maultiers. Erschrocken bäumte sich das sonst so temperamentarme Tier hoch auf und machte dann einen gewaltigen Satz nach vorn, wo es abrupt auf seinen Vorderhufen wie zu einem kurzen Handstand stehen blieb. Dabei schlug es heftig mit seinen Hinterbeinen aus und traf den Karren mit den Melonen. Der kippte um. Der Bauer fluchte, die Frauen kreischten, die Kinder schrieen, die Straßenköter bellten, und alle rannten wie kopflos umher und stolperten über die runden Feldfrüchte. Die türkischen Diener waren ganz verwirrt, denn ihr Herr war plötzlich nicht mehr da. Das war kein Wunder, denn auch ein guter Reiter wäre auf dem bockenden Maultier wohl kaum im Sattel geblieben, geschweige denn Osman. Der dicke Türke war wie eine Kanonenkugel durch die Luft gesaust und hinter einem Gebüsch kopfüber im weichen Sand gelandet. Das ging so schnell, dass es niemand gesehen hatte, außer Ali. Der war sofort bei dem bewusstlosen Osman, nahm ihm die goldene Münzkette ab und verschwand mit seiner Beute ungesehen durch das "Tor der untergehenden Sonne". Unterdessen suchten die Diener immer noch in dem Chaos aus Menschen, Tieren und Melonen nach ihrem Herrn. Da endlich hörten sie hinter dem Gebüsch ein lautes Stöhnen. Osman war aus seiner Ohnmacht erwacht und hatte Kopfschmerzen. Aus einigen Stöcken, die sie in der näheren Umgebung fanden, bauten die Diener eine Art Sänfte und trugen ihren dicken Herrn, denn reiten konnte Osman in seinem Zustand nicht mehr, nach Hause. Vorneweg ritt der kleine Muck auf dem Maultier, das sich wieder beruhigt hatte. Erst weit nach Sonnenuntergang erreichte der Krankentransport das rettende Zuhause. Auch Ali war in seinem Haus angekommen und wurde neugierig von seiner Frau Fatima und Said, dem hübschen Nachtdieb, empfangen. “Na, wie groß ist denn deine Beute?”, fragten beide wie aus einem Mund. Ali legte das gestohlene Geld auf den Tisch – es waren genau tausendundeins Goldmünzen. Mit glänzenden Augen betrachteten die beiden seinen Schatz. Wie alle Frauen liebte auch Fatima jede Art von Schmuck und band sich sofort Leilas kostbare Goldkette um ihren schlanken Hals, während Ali stolz erzählte, wie er an das viele Geld gekommen war. „Jetzt musst du zeigen, was du kannst, mein lieber Said“, forderte daraufhin Fatima den Nachtdieb auf. Nachdem sie sich herzlich voneinander verabschiedet hatten, trat Said hinaus in die Nacht.

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