Wohlstand, Demokratie und weiter?

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Wohlstand, Demokratie und weiter?
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Robert Kiauka

Wohlstand, Demokratie und weiter?

Mechanismen, Krisen und Entwicklungen - Sichtweisen eines Querdenkers

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Einleitung: Die demokratische Frage

Über den Autor

Teil 1: Wachstum

Ein Maß für das Wachstum- das BIP

Wachstum und Zufriedenheit

Grenzen des Wachstums?

Konjunktur und Schulden

Fortschritt und Automatisierung

Wettbewerb um Wachstum

Zusammenfassende Betrachtung

Teil 2: Wirtschaft und Gesellschaft – Kapitel: Banken

Die Eurokrise

Leistung und Innovation

Lobbyismus

Vermögen, Schulden, Steuern

Deutschland, die Finanzen und noch ein bisschen mehr

Zusammenfassende Betrachtung

Teil 3: Ökologie – Kapitel: Der Klimawandel

Energie

Landnutzung und Ernährung

Abfall, Schadstoffe und Umwelt

Zeit für Kröten

Zusammenfassende Betrachtung

Teil 4: Demokratie in der Defensive – Kapitel: Ein Blick über den Tellerrand

Dinge, die das Volk nicht gewollt haben kann

CETA, TTIP, TISA: Internationale Abkommen in den Mühlen der Demokratie. Oder vielleicht umgekehrt?

Eine neue Partei?

Ein Lichtblick

Teil 5: Entwicklung der Demokratie – Kapitel: Der Status quo

Sofortmaßnahmen und Erste Hilfe

Demokratisierung der Gewaltenteilung

Die Europäische Union

Neue Formen der Demokratie

Demokratisches Lernen

Zusammenfassung

Epilog

Bemerkungen und Quellen

Impressum neobooks

Einleitung: Die demokratische Frage

Kulturen, Völker, Reiche und Staaten entstehen, blühen auf und verschwinden wieder. Als erstes Beispiel fällt einem Europäer dabei wahrscheinlich Rom ein. Ein kurzer Abriss: 753 – Rom sprang aus dem Ei. Höhepunkt und größte Ausdehnung unter Kaiser Augustus um Christi Geburt. Dabei und in den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich Rom innerlich zu seinem Nachteil, die fein austarierten Machtstrukturen wichen einer zunehmenden Machtkonzentration, verbunden mit ausufernder Dekadenz der Oberschicht. In der Folge brach Rom schließlich unter zunehmendem Druck von außen zusammen. Als ein Antrieb für diesen Druck von außen werden neuerdings auch klimatische Veränderungen diskutiert1.

Wenden wir uns anderen Erdteilen und Zeiten zu: Klimatische Veränderungen, diesmal aber hausgemacht, werden auch als mögliche Ursache des Untergangs einer Hochkultur angesehen, die bis vor Kurzem in aller Munde war: Der Kalender der Mayas endete mit dem Jahr 2012. Unsere Zivilisation besteht offensichtlich weiter, die Mayas hingegen haben viel früher zu viel Wald gerodet und sind Opfer der daraufhin einsetzenden Dürren geworden, so die Theorie2. Unzweifelhafte Ursache für den Niedergang des Großteils der indigenen Kulturen beider Amerikas war hingegen mit dem Expansionsdrang der Europäer etwas ganz Anderes.

Schauen wir nach Asien: Angkor, das Reich der Khmer im Mittelalter im heutigen Kambodscha. Die Khmer hatten ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem entwickelt und betrieben damit eine für damalige Verhältnisse bemerkenswert effiziente Landwirtschaft. Trockenheiten sollen dieses Bewässerungssystem lahmgelegt haben und damit zumindest einen Faktor beim Niedergang Angkors darstellen3.

Entstehung, Blütezeit, Niedergang. Was bedeutete das für die betroffenen Menschen? Wann haben sie den drohenden Untergang kommen sehen? Und was hätten sie unternehmen können?

Der Grund dafür, dass dabei Klimaveränderungen seit einiger Zeit gehäuft als Ursachen oder Mitverursacher diskutiert werden, liegt auf der Hand: Klimaänderungen als mögliche Bedrohung der gegenwärtigen Zivilisation.

Aber nicht nur Kulturen und Staaten scheinen eine begrenzte Lebensdauer zu haben. Denken wir ca. 25 Jahre zurück: Mit dem real existierenden Kommunismus verlor gleich eine ganze Staatsform im Wettstreit der Systeme und verabschiedete sich von der Bildfläche, so zumindest schien es. Demokratie und Marktwirtschaft moderner Prägung befanden sich auf dem Siegeszug und expandierten. Blütezeit. Auch der Arabische Frühling gut 20 Jahre später ließ einen leicht die Demokratie auf dem Siegeszug wähnen. Die weiteren Entwicklungen sorgten dann aber hier wie da auch wieder für Ernüchterung.

Das Beispiel Türkei zeigt, dass auch eine länger währende Demokratie durchaus wieder abgeschafft werden kann. Mit den Gefährdungen der polnischen und ungarischen Demokratien kommen die Einschläge näher an Westeuropa heran. Und auch in den Kernländern moderner Demokratie offenbart sich bei etwas genauerem Hinsehen eine Reihe von Problemen, erinnert sei an Banken- und Staatsschuldenkrisen. In der Europäischen Union, gerne als Garant für Frieden und Wohlstand gesehen, zeigen sich Zerfallserscheinungen und mittlerweile wird schon ihre Zukunft insgesamt angezweifelt. Befindet sich vielleicht auch die Demokratie insgesamt schon nicht mehr auf einem Siegeszug, sondern im Niedergang?

Die angeführten Problematiken machen deutlich, wie hoch der Grad der Verflechtung und gegenseitigen Abhängigkeit in der globalisierten Welt ist. Wesentliche Probleme betreffen nicht nur einzelne Staaten.

Damit sind wir bei der zentralen Frage dieses Buches: Kann die Demokratie Antworten und Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit finden und sich nachhaltig entwickeln oder hat sie ihre Blütezeit schon überschritten und geht ihrem Ende entgegen?

Schaut man auf die mächtigste der modernen Demokratien, könnte man geneigt sein, diese Frage schnell und eindeutig zu beantworten: Schon die Wahl von George. W. Bush im Jahr 2000 konnte einen an der Zukunftsfähigkeit der Demokratie zweifeln lassen. Der Mann, der unfreiwillig wohl eine höhere Spruchquote erreichte als Paul Panzer und Kaya Yanar bei der Arbeit. Okay, hinfallen ist keine Schande, aber liegen bleiben, heißt es. Aber Bush wurde ja wiedergewählt. Und dann kam Trump. Aber man sollte nicht zu voreilig sein. Trump wurde 2016 wie schon Bush 2000 nur mit der Minderheit der Stimmen zum Präsidenten gewählt4, das etwas merkwürdige amerikanische Wahlsystem machte es möglich.

Davon abgesehen sind die USA nicht die gesamte Demokratie, es gibt andere demokratische Staaten mit anderen Systemen. Wenden wir uns im Folgenden daher eingehender und grundsätzlicher Problematiken und Lösungsmöglichkeiten zu. Auf die USA können wir zu gegebener Zeit zurückkommen.

Über den Autor

Aufgewachsen noch zu Zeiten des Kalten Krieges, habe ich mir schon als Jugendlicher bisweilen Gedanken über Vorteile und Schwachstellen der verschiedenen Systeme gemacht. Auf ein Studium der Mathematik und Physik in Münster folgte das Referendariat in Wolfsburg und eine Tätigkeit als Studienrat in Moringen bei Göttingen an einer kooperativen Gesamtschule. Dann Einsatz als Auslandsdienstlehrkraft für 3 Jahre an der Deutschen Schule in Moskau. Da bin ich aus Interesse an dem Land hingegangen und das Zusammenleben mit meiner späteren Frau, die aus Jekaterinburg im Ural kommt, wurde so deutlich erleichtert. Bis etwa zum Antritt meiner Stelle in Moskau 2009 war ich politisch interessiert, aber nie selber aktiv gewesen. Die Eurokrise war dann der Auslöser für die Entscheidung, das zu ändern, und ich begann, mich in diese und weitere Thematiken einzuarbeiten. 2012 zurück in Deutschland, tätig in Osnabrück am Gymnasium „In der Wüste“, fing ich dann an, bei den FREIEN WÄHLERN (FW) mitzuarbeiten. Das war damals nach den Linken die größte Partei, die sich gegen die praktizierte Euro-Rettungspolitik wandte. Auch deren Anspruch, Sachpolitik ohne wahltaktische und interessengeleitete Zwänge zu betreiben, kam mir entgegen und der Rest von deren Programmatik schien mir damals ebenfalls akzeptabel. Für die FW trat ich dann auch 2013 bei der Bundestagswahl als Direktkandidat in Osnabrück an. Die dabei gemachten Erfahrungen waren ein Anstoß, dieses Buch zu schreiben und stellenweise werde ich mich darauf beziehen. Aber politisch aktiv werden war nur das eine, ich hatte Feuer gefangen für die Theorie und verfolgte weiter thematische Sendungen und verschlang einiges an Literatur. Da gibt es sehr viele gute, detaillierte Angebote, aber was manchmal fehlt, sind die übergeordneten Zusammenhänge, die mir auch erst nach und nach klar wurden. Das war der wesentliche Grund für dieses Buch. Als ich bei den FW anfing, war mir klar, dass Kompromisse notwendig sein würden, eins zu eins wird wohl kaum jemand seine Überzeugungen in einem Parteiprogramm wiederfinden. Im Laufe der Zeit waren es dann aber doch eine ganze Reihe Kröten, die es zu schlucken galt. Insofern: Es geht in diesem Buch nicht um Werbung für die FW. Es sei denn, Sie mögen Kröten.

 

Teil 1: Wachstum

Früher war häufiger zu hören, wir leben vom Wachstum. Das hat mich gewundert, ich dachte eigentlich, wir leben von dem, was allgemein so produziert wird und nicht nur von dem, was mehr produziert wird. Jetzt habe ich den Spruch eine Weile nicht mehr gehört, aber darin, dass wir möglichst viel Wachstum brauchen, sind sich offensichtlich fast alle Politiker einig. Kritik gibt es auch, und das schon länger, sie setzt sich anscheinend aber nicht durch. Zu Recht? Und warum denn nun unbedingt Wachstum? Nähern wir uns den Gründen dafür sowie der Kritik daran Schritt für Schritt.

Ein Maß für das Wachstum- das BIP

Ja ja ja jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt … –

Wenn Sie auch schon zu den nicht mehr ganz jungen Semestern gehören, erinnern sie sich vielleicht noch an das Lied der Gruppe Geier Sturzflug von 1982? Mittlerweile redet man vom Bruttoinlandsprodukt, vielleicht, weil es sich leichter abgekürzt aussprechen lässt: BIP. Das BIP ist zunächst eine volkswirtschaftliche Größe und gibt den Wert der in einem Jahr erbrachten bzw. produzierten Güter und Dienstleistungen an5. Je mehr das sind, desto besser müsste es doch allen gehen. Und das Wachstum des BIP gibt die Steigerung in Prozent im Vergleich zum Vorjahr (oder auch zum Vorquartal, je nach Wahl) an, also sollte das möglichst hoch sein. Das so quantifizierte Wachstum wird in kurzen Abständen in den Medien veröffentlicht, womit das BIP eine Bedeutung als eine Art Wohlstandsindikator und damit wiederum als ein Erfolgsbarometer der Politik erhält. Und weil die Menschen natürlich neugierig sind, belässt man es nicht bei den Daten für die Vergangenheit, sondern veröffentlicht auch ständig Prognosen für die Zukunft, deren Verlässlichkeit aber eher gering ist6. Bereits hier setzt die Kritik an: Rainer Grießhammer führte schon 1984 im Öko-Knigge7 das Beispiel eines Unfalls an: Wenn Sie mit dem Auto gegen einen Baum fahren, erfordert das in der Folge eine Menge von Dienstleistungen (Abschleppdienst, Reparatur, Ärzte …), durch die nur der Zustand vor dem Unfall soweit wie möglich wiederhergestellt wird, besser wäre es Ihnen aber auf jeden Fall ohne Unfall ergangen. Das BIP wird so aber gesteigert. Aus diesem Beispiel jetzt die völlige Unbrauchbarkeit des BIP als den erwünschten Indikator zu folgern, ist aber falsch. Solange Unfälle rein zufällig und unabhängig von bewussten Maßnahmen auftreten, spricht das Beispiel überhaupt nicht gegen das BIP als Indikator. Schnellere Autos, bessere Sicherheitsausstattungen wie Knautschzonen, Airbags usw., Tempolimits und die Art des Straßenbaus beeinflussen in einem gewissen Maße aber schon die Unfallhäufigkeit und die die daraus folgenden Schäden. Nehmen wir zwei weitere Beispiele: Wenn Sie eine neue Waschmaschine kaufen und diese so gebaut ist, dass sie schon nach 4 Jahren den Geist aufgibt, der Hersteller sie aber zu einem nur unwesentlich höheren oder sogar gleichen Preis auch mit 8 Jahren Laufzeit anbieten könnte, so wird auch dadurch das Wachstum angekurbelt, ohne dass Sie einen Vorteil haben. Für den Hersteller kann sich seine Entscheidung lohnen, wenn das seine Konkurrenten ähnlich halten oder auch, wenn genug Kunden von vorhandenen besseren Maschinen nichts wissen, also durch Marktversagen. Denken Sie als weiteres Beispiel an den Gang zum Arzt: Der wird hoffentlich die für Sie beste Behandlung wählen. Aber was ist, wenn ihm eine andere, oder sogar eine völlig überflüssige Behandlung höhere Einkünfte bringt? Die Beurteilung für den Patienten ist hier sicherlich schwieriger als für den Käufer der Waschmaschine.

Welche Dienstleitungen und Produkte haben den Menschen also wirklich genützt, welche waren eigentlich nicht nötig? Das wird sich allgemein kaum festlegen lassen. Das BIP muss als Indikator nicht völlig unsinnig sein, aber es wird deutlich, dass es zumindest eine Unschärfe enthält, dass es nicht eins zu eins den Nutzen für die Gesellschaft wiedergibt.

Was im BIP auch nicht abgebildet wird, ist die Verteilung der Produkte: Es macht ja einen Unterschied, ob alle gleichmäßig teilhaben oder ob etwa eine kleine Gruppe übermäßig profitiert.

Auch wie man die Güter und Dienstleistungen erfasst und bewertet, lässt Spielraum. Wie sieht das etwa beim Ehrenamt aus? Davon haben die Leute etwas, aber es fließt ja kein Geld, wie also bewerten? Oder Schwarzarbeit: Davon haben die Beteiligten sogar sehr viel, wenn sie nicht auffliegen, die Gemeinschaft aber eben nicht. Tatsächlich wird Schwarzarbeit beim offiziellen BIP berücksichtigt, kann aber natürlich nur geschätzt werden. Auch Schmuggel und Drogenhandel wird nach aktuellen Richtlinien der EU mit einberechnet. Spätestens hier zeigt sich, dass Spielräume bei der Berechnung des BIP eher nach oben ausgereizt werden. Der Grund ist klar: Wenn das BIP das Erfolgsbarometer ist, möchte man es möglichst hochtreiben. Auch die Schuldenquote sinkt dadurch, da ja üblicherweise die Schulden in Relation zum BIP angegeben werden8.

Aber auch, wenn man davon ausgeht, dass das die Angabe der Produktion nicht künstlich in die Höhe getrieben wird: Es gibt weitere Kritik an ihr als Wohlstandsindikator.

Wachstum und Zufriedenheit

Wie oben schon erwähnt: Die Notwendigkeit zum Wachstum wird heute ungebrochen, wenn nicht sogar mehr denn je betont. Historisch betrachtet ist das gar nicht selbstverständlich. Vielmehr gingen Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler eher von einem Ziel aus, das es zu erreichen galt: Da und da wollte man hin, bis dahin muss man sich anstrengen, dann hat man es geschafft. So hatte der heute hauptsächlich für eine andere Theorie bekannte Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes vor ca. 100 Jahren vorausgesagt, dass bis zum Ende des 20. Jahrhunderts Wachstum nötig sei, dann hätten die Menschen alles, was sie bräuchten und könnten im Status quo verbleiben9. Das Wachstum bis zum Jahr 2000 hatte er tatsächlich erstaunlich gut vorausgesagt10, seine Annahme, damit reiche es denn aber auch, trifft offensichtlich gar nicht zu. Warum? Dazu ein Beispiel:

Treffen sich zwei alte Bekannte, der eine knallt drei Fotos auf den Tisch: Mein Haus, mein Boot, mein Auto! Der Andere legt ganz entspannt drei Fotos hin, die sein Haus, Boot und Auto zeigen, alles noch ein bisschen luxuriöser, und lächelt überlegen. Dann kommt der Jingle: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse …

Die Werbung zeigt einen wesentlichen Antrieb für unsere Mühen: Anerkennung. Anerkennung für unsere Leistungen, die sich zumindest unter anderem gut vergleichbar darin zeigen, was wir verdienen und uns erarbeitet haben. Auch wenn, oder gerade wenn sie sich nur im neidischen Blick unseres nur flüchtig bekannten Gegenübers ausdrücken. Noch etwas böser und überspitzt kommt dies in einem Spruch zum Ausdruck, der mindestens seit den 80ern kursiert:

Was ist Lebensstandard? Wenn man Geld ausgibt, das man nicht hat, um Dinge zu kaufen, die man nicht braucht, damit man Leuten imponieren kann, die man nicht mag.

Ganz so negativ muss man den Wettbewerb um Prestige gar nicht sehen, es liegt halt in der Natur des Menschen. Aber das führt eben, zumindest unter anderem, auch dazu, dass einzelne Menschen und damit die Gesellschaft nicht bei einem bestimmten Status quo aufhören, noch mehr haben zu wollen. Dazu kommt noch Druck am anderen Ende: Der Standard, der von den Menschen erwartet wird, nicht um sich abzuheben, sondern einfach, um dazu zu gehören, steigt auch. Der Punkt ist nun: Aus Sicht einer Gesellschaft als Ganzes ist das Streben einzelner nach Anerkennung über Erwerb möglichst vieler Güter und möglichst hohen Konsum kein Grund, insgesamt Wachstum anzustreben. Denn Anerkennung funktioniert in diesem Kontext ja hierarchisch. Wachstum in der Gesellschaft führt dazu, dass im Schnitt alle mehr haben und damit die Position des Einzelnen in der Hierarchie im Schnitt unverändert bleibt. Aber es geht nicht nur um Anerkennung bzw. Bewegung in der Hierarchie. Vielleicht wollen Sie etwas Bestimmtes erreichen oder haben, weil es Ihnen damit besser geht, ganz unabhängig von Anderen? Am Beispiel von Urlaubsreisen lässt sich das verdeutlichen: Vielleicht war es früher mal Standard, seinen Urlaub an der Nord- oder Ostsee zu verbringen. Wer es sich leisten konnte, fuhr nach Mallorca. Jetzt ist Malle Standard und punkten kann man mit den Malediven. Die bringen dann heute bei Facebook oder Instagram die gleiche Anerkennung wie früher die Dias von Mallorca. Aber vielleicht haben Mallorca oder die Malediven ja noch andere Vorzüge für die, die dorthin fahren? Besseres Wetter zum Beispiel? Ich war mit meiner Frau und meinen russischen Schwiegereltern im Sommer 2014 für 7 Tage an der Nordsee, 7 Tage Regen. Sanktionen nicht nur beim Warenaustausch, sondern auch beim Wetter, so muss ihnen das vorgekommen sein.

Anderes Beispiel: Kleidung. Kleider machen Leute. Wer sich abheben will, trägt sündhaft teure Markenklamotten. Marken werden dann teilweise auch erwartet, um nicht blöd angesehen zu werden, besonders bei Jugendlichen verbreitet. Und natürlich muss alles immer neu und modisch sein. Und in so großer Menge vorhanden, dass die Umgebung am besten gar nicht merkt, wenn man denn doch ein Teil zum zweiten Mal trägt. Kleine schadhafte Stellen gehen gar nicht, es sei denn, sie sind vom Designer ersonnen und absichtlich hinzugefügt worden. Mehr Kleidung im Rahmen von mehr Wachstum hebt dann alles nur auf ein neues Niveau, im Schnitt erlangt dadurch niemand mehr Anerkennung. Aber es gibt sicherlich Menschen, denen Mode, verschiedene Stile usw., auch unabhängig vom Vergleich mit anderen, Freude bereitet.

Welcher Teil des Wachstums fußt also nun auf dem Kampf um Prestige und ist damit für die Gesellschaft nutzlos und welcher Teil hat einen Wert für sie? Auch wenn das nicht pauschal zu beantworten ist, so liegt doch nahe, dass entsprechend den obigen Überlegungen Produktion bzw. Wachstum überschätzt wird. Und wenn Wachstum alle Individuen einer Gesellschaft beim Kampf um Anerkennung nicht unterstützen kann, worin kann es sie denn dann unterstützen?

Hier wird es dann philosophisch, es stellt sich so etwas wie die Frage nach dem Sinn des Lebens. Eine mögliche kurze Antwort: Glück. Schon seit dem Anfang der USA heißt es in deren Verfassung denn auch, jeder Mensch habe das Recht nach Glück zu streben. Glück zu quantifizieren scheint schwierig zu sein, aber es stellt sich die Frage, wodurch der Mensch denn glücklich wird. Robert und Edward Skidelsky geben in ihrem Werk Wie viel ist genug? als erstrebenswertes Ideal ein gutes Leben an und nennen als Voraussetzungen dafür die Werte Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit, Muße, Harmonie mit der Natur und Freundschaft11. Man kann das lange fortführen und diskutieren, Religion ist ja z. B. noch gar nicht erwähnt worden, aber Philosophie ist hier nicht das Hauptanliegen. An dieser Stelle reicht es, von den oben erwähnten Werten Gesundheit und Sicherheit als wesentliche Voraussetzungen für Glück, Zufriedenheit, ein gutes Leben, oder welche Formulierung man denn bevorzugt, zu identifizieren, die in direktem Zusammenhang mit Dienstleistungen stehen, nach deren Erhalt oder Steigerung sich Wachstum also ausrichten sollte. Als weitere solche Voraussetzung, ein wesentlicher Faktor auch der weiteren Skidelsky-Werte, kann man noch Bildung nennen. Diese Voraussetzungen finden sich denn auch in den Grundrechten wieder, die insbesondere demokratische Staaten ihren Bürgern zusichern.

 

Klar dürfte geworden sein: Das BIP bzw. sein Wachstum kann nur einen Faktor darstellen bei dem, was eine Gesellschaft und damit die Politik für die Menschen anstreben sollte und woran man sie messen kann. Es wurde versucht, andere Indizes zu konstruieren, z. B. den sogenannten Human Development Index, durchsetzen konnten sie sich aber bislang alle nicht. Es scheint eben doch nicht so einfach zu sein, das Glück oder die Zufriedenheit einer Gesellschaft mit einer einzigen Zahl wiederzugeben. Eigentlich ist es ganz ähnlich wie beim persönlichen Einkommen: Man möchte schon gerne viel verdienen, aber seinen Lebenssinn wird kaum jemand alleine damit messen wollen. Und selbst betrügen wird man sich auch nicht wollen, insofern wird man verschiedene mögliche Einkommen bei der Wahl eines Jobs nur als ein Kriterium unter vielen sehen. Die Situation bei einer ganzen Gesellschaft ist dabei natürlich noch viel komplexer. Bis hierher hat sich allerdings noch kein Grund gezeigt, der gegen Wachstum spricht. Dazu im Folgenden: