Abendland

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II. Verteidigung und Ausbreitung des Abendlandes: »Euro-Amerika«

»Ex occidente lux.«

(Leopold Ziegler, Das heilige Reich der Deutschen, 1925)

1. Die Verteidigung des Abendlandes*

Werner Bergengruen verkörpert exemplarisch die Kontinuität der Konservativen Revolution: Vom ersten Weltkrieg an und über den zweiten hinaus ist sie ganz wesentlich eine abendländische. Die explizite oder zumindest implizite Reichsform der Abendland-Ideologie ist das außenpolitische Pendant ihres Ständestaatsgedankens. Wenn Robert Hepp vom »Reich« als dem »Zusammenhang aller Teile mit dem Ganzen« spricht1**, so ist das politisch ganz im Sinn von Carl Schmitt, wenn dieser auch umfunktioniert wird: Ständestaat und abendländisches Reich sind Reaktionen auf die radikale Revolution des Bolschewismus. Richtet sich der Ständestaat gegen das innere Proletariat, dann das Reich gegen das äußere, das russisch-sowjetisch ist. Selbst in Richard Coudenhove-Kalergis programmatischem Pan-Europa heißt es apodiktisch »Die ganze europäische Frage gipfelt in dem russischen Problem. Hauptziel der europäischen Politik muß die Verhinderung einer russischen Invasion sein. Dies zu verhüten gibt es nur ein Mittel: den Zusammenschluß Europas.«2 Eine solche Deutung des Abendlandes bzw. Europas erfüllt zwei Funktionen: Sie legitimiert sich als Verteidigungshaltung und fixiert zugleich das Feindbild, das in der mystifikatorischen Sprache der »Abendländer« »östlich-asiatisch« heißt.

Noch in den fünfziger Jahren spricht Robert Schuman »von der kommunistischen oder asiatischen Gefahr«3. Und Bergengruen liefert im Titelgedicht Der ewige Kaiser auch die Stichworte für diese Verwendung von Abendland als politischem Kampfbegriff: »Schon gärt’s im Schlammgrund der Gezeiten, / schon drohn durch Nebel durch Geröll / der Steppen unermessne Weiten, / der Tiefen brodelndes Gewöll. // … schon kündigt sich in Vorgesichten / Europas letzte Hunnenschlacht. // Erhebe Konstantins Standarte, / entblöße Karls geweihten Stahl!«4 In diesen Versen, die in den kalten Krieg ab 1947 ebenso gut passen wie in den – zeitweise auch heißen – vor 1945, nennt Bergengruen drei wesentliche Topoi jeder militanten Abendland-Ideologie: die asiatische »Steppen«-Barbarei, die immerwährende »Schlacht« mit deren »Hunnen« und die konstantinisch-karolingische Kreuzzugsform dieser Schlacht: »In hoc signo vinces«.

Haecker, dem der »Hunnen«-Topos gleichfalls nicht fremd ist*, geht hinter die Katalaunischen Felder nach Aktium zurück, das Vergil »durchaus klar […] als […] Entscheidung zwischen dem Geist des Westens und dessen Idee der Ordnung und des Lichtes und des Maßes und des Vertrauens und dem des Ostens mit seiner Maßlosigkeit und Verzweiflung, Chaos und Grauen« gesehen habe, als Entscheidung »gegen den Osten, der angeführt war von einem zügellosen Verräter des eigenen westlichen Geistes, eine Möglichkeit, die immer von neuem wieder und heute und künftig furchtbarer denn je aufstehen kann«5. Die Schwierigkeit, daß die Fronten nicht eindeutig sind, ergibt sich immer wieder – Haecker umgeht sie in seinem Fall nur scheinbar, wenn er Antonius einen »Verräter der eigenen westlichen Kultur« nennt: Wie definiert sich der Osten, das heißt, wie definiert ihn – in unserem Zusammenhang – der Westen?

a) Römisches Kriterium der Ost-Bestimmung

Verteidigungshaltung und Feindbestimmung aufgrund des Abendlandbegriffs implizieren nicht, daß der Westen sich positiv selbst definiert, gleichsam als Voraussetzung seiner Ost-Definition. Vielmehr folgt die Selbstbestimmung aus dieser Abgrenzung, wie Ernst Jünger noch 1953 affirmiert: »Marathon und die Thermopylen, Byzanz und Rhodos, die katalaunischen Felder, Wien und Wahlstatt: an solchen Punkten wendet die Geschichte sich immer wieder ihrer Hauptrichtung, dem großen [Ost-West-]Thema zu. An solchen Orten wird das Abendland gemessen mit dem umfassendsten Maße, gewogen mit dem schwersten Gewicht. Es wird auf seinen Sinn, auf seine Einheit zurück geworfen und in ihm wieder hergestellt, wenn es dessen bedarf.«6

Der »Osten« ist der jeweilige Feind, ideologisches Kriterium dabei freilich die römische Tradition oder doch zumindest Analogie. In den Augen eines französischen Nationalisten kann – vom äußersten Westen her – Preußen-Deutschland, das sich von jeher als »Bollwerk gegen den Osten« empfand*, selbst östlich erscheinen, gleichsam als Vorwerk Asiens; Maurice Barrès fragt am Vorabend des ersten Weltkriegs: »Wenn ich mich an [die Klassizisten**] Corneille, an Racine halte, spürt ihr dabei nicht, daß ich wie andere, vielleicht sogar stärker, jenen Strom von Nihilismus und jene schwarzen Delirien über mich habe ergehen lassen, den das tiefe Asien über Deutschland hinweg zu uns sendet?«7* Und Barrès kann, auch nach dem Krieg, in Deutschland selbst – was den Widerstand gegen das Deutsch-Asiatische angeht – mit Unterstützung rechnen, bei jenem entschieden römisch-katholischen Deutschland Haeckers und seiner Freunde:

Der Schmittianer Hermann Hefele gelangt »gern und leicht zu der Meinung, daß gerade heute, wo in Deutschland, dem alten Kreuzungspunkt geistigen und kulturellen Lebens, durch Literatur, Kunst und Politik verbreitet und gefördert, das asiatische Lebensgefühl mit seinem Element des Grenzenlosen und der Auflösung so breiten Raum gewonnen hat, der im Katholizismus verkörperten wesentlich römischen Form europäischen Geistes die große Aufgabe der Klärung und Festigung des deutschen Wesens zukomme, seine Wiederannäherung an die formbestimmte und objektiv gehaltene Art Roms.«8

Mit abendländischer Verallgemeinerung und antibolschewistischpreußischer Zuspitzung zugleich schreibt auch der bayerische Katholik Moenius: »Die abendländische Kultur hat sich dank der ihr innewohnenden römischen Substanz dem preußischasiatischen Bolschewismus entgegengestellt, und sie wird auch weiterhin die starke Mauer bilden, an deren Quadern sich die Hengste aus dem Stalle Attilas die Schädel zerschmettern. Der Katholizismus« – offensichtlich weithin synonym mit der »abendländischen Kultur« – »bietet aber auch jenen Schutz dar, der gegen die feineren Vergasungen durch einen asiatischen Geist notwendig ist, wie er durch alle Ritzen und Fugen eines geistig nicht mehr festgefügten Europas dringt.«9 Moenius glaubt – obwohl siegesgewiß – selbst im geographischen und eigentlich romanischen Westen asiatische Miasmen zu erkennen.** Aber Deutschlands und Europas Osten, auch im geographischen Sinne, bleibt der primäre Feind, das heißt jene Welt, die ausdrücklich nicht römisch(-katholisch) ist.

b) Telos des antiorientalischen Affekts: Antikommunismus

Das Katholische ist aber nicht unabdingbar; der katholische Charles Maurras-Verehrer Moenius selbst entgeht bei seinen »Romanitias«-Beschwörungen kaum einem bloßen Kultur-Katholizismus. Auch Adolf Hitler – nach Carl Amery ein vulgärer Maurras10 – nimmt Rom zum zentralen Kriterium Europas und damit die »Kultur«, was heißt, daß selbst für ihn Germanien in der Antike »asiatisch« war.* In einem seiner »Tischgespräche« erklärt Hitler: »Die Versetzung nach Germanien war für den Römer etwas ähnliches wie für uns eine Zeitlang die Versetzung nach Posen.«11 Mit diesem Zitat ist andererseits aber klar, wo heute Asien beginnt. Im Tischgespräch des 23. September 1941 macht Hitler es ausdrücklich: »Die wirkliche Grenze zwischen Asien und Europa ist die, ›die die germanische von der slawischen Welt trennt‹«.12** Asiatisch ist heute alles Nicht-Germanische; »darum«, so fährt Hitler fort, »ist es unsere Pflicht, sie dorthin zu legen, wo wir sie haben wollen.«13

Das ist die nackte, eingestandenermaßen aggressive Stimme des völkisch-rassistischen Nationalsozialismus (die die Willkür der Ost-West-Bestimmung überdeutlich macht). Mehr konservativ-abendländisch formuliert Generalfeldmarschall von Reichenau, neben von Blomberg der erste unter den nationalsozialistischen Reichswehrgenerälen, in seinem Armeebefehl vom 10. Oktober 1941: »Das wesentlichste Ziel des [Rußland-] Feldzuges ist die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis.«14 Bei von Reichenau mag noch eine subjektive Disposition dazukommen, aber sein Befehl spricht die Sprache der offiziellen Propaganda, wie sie in einer vertraulichen Mitteilung des Propagandaministeriums vom 30. Juni 1941 festgelegt wurde; dort wird der »Aufbruch Gesamteuropas gegen den Bolschewismus« gepriesen und »Hitler als […] Heerführer Europas, seiner gemeinsamen Kultur und Zivilisation«15. Die Mitteilung spricht vom »Unternehmen Barbarossa« als der »Geburtsstunde des neuen Europa«.16 Und daß dieses ›werde‹, wollte zum Beispiel auch der Außenpolitiker des Goerdeler-Kreises von Hassell, wenn er fragt, welche Politik Deutschland, »das Herz Europas, gegenüber dem russischen Osten treiben muß, wenn es unter seiner Fahne statt des Unterganges den Aufstieg des Abendlandes heraufführen will.«17 Hitler selbst spricht den Abendland-Jargon – in der Stunde von Stalingrad. Sein Telegramm an den deutschen Oberkommandierenden Paulus vom 24. Januar 1943 lautet: »Die Armee […] leistet durch ihr heldenhaftes Ausharren einen unvergeßlichen Beitrag zum Aufbau der Abwehrfront und der Rettung des Abendlandes18

 

Für bare Münze genommen wurde die abendländische Sprachregelung der nationalsozialistischen Propaganda vor allem im katholischen Europa – war es doch die eigene Sprache: Schon in ihrem Hirtenbrief vom 24. Dezember 1936 hatten es die deutschen Bischöfe für ihre Pflicht gehalten, Hitler »in diesem Abwehrkampf [gegen den Bolschewismus, der sich auf dem Vormarsch nach Europa befindet] mit allen Mitteln zu unterstützen, die ihnen aus dem Heiligtum zur Verfügung stehen«19.* Und post festum, eine Woche nach der deutschen Invasion in Rußland, erklärt Pius XII. in einer Rundfunkansprache, es fehle jetzt »nicht an Lichtblicken, die das Herz zu großen heiligen Erwartungen erheben«. Er nennt »großmütige Tapferkeit zur Verteidigung der Grundlagen der christlichen Kultur und zuversichtliche Hoffnung auf ihren Triumph«.20 Pius XII. führt konsequent fort, was spirituell mit dem Aufruf Pius XI. zu einem »Gebetskreuzzug gegen die UdSSR« am 10. Februar 1930 begonnen hat, gleichsam als außenpolitisches Pendant zum Antikommunismus der Enzyklika Quadragesimo anno.*

Wie der Katholizismus kein notwendiges Element der Abendland-Ideologie war, so konnte auch der Nationalsozialismus keine Exklusivität als Bollwerk gegen das »Asiatische« beanspruchen. Haecker schrieb schon 1932 in seinen Betrachtungen über Vergil. Vater des Abendlands, in denen er zugleich einen polemischen Antinationalsozialismus dokumentierte: »Wir leben nicht unter der Herrschaft des personalen Antichrist, wenn wir auch weithin unter der Herrschaft seiner Ideen leben, ja wahrscheinlich die Welt seit Julian Apostata politisch keinen so antichristlichen Willen erlebt hat wie heute Rußland unter dem Bolschewismus«21. Antinationalsozialismus und Antibolschewismus schließen sich keineswegs aus. Mehr noch: Antinationalsozialistische »Abendländer« sahen gerade auch im Nationalsozialismus asiatische Barbarei: einen weiteren Totengräber des »Westens«; indem sie ihn – wie die Widerständler – politisch in engste Nähe zum Bolschewismus rückten. So, schon vor der »Machtergreifung«, Ernst Robert Curtius in Deutscher Geist in Gefahr; dort heißt es: »Nur aus eigener Substanz kann der deutsche Geist nicht leben. Wer ihn vom Westen und vom Süden löst, treibt ihn in den Osten und das heißt, in den Untergang. Die Geistfeindschaft unseres Nationalismus würde unter normalen geschichtlichen Verhältnissen nur zur Barbarei führen – was schon nicht wenig ist. Aber in der heutigen Schicksalsstunde Europas bedeutet Barbarei nur die Vorstufe des Bolschewismus. Eine Bewegung, die den Geist leichtfertig preis gibt, muß von dem Materialismus verschlungen werden, der heute nicht mehr eine harmlose Liebhaberei von Freidenkervereinen, sondern eine bis an die Zähne bewaffnete Weltmacht ist. Unsere Nationalisten sollten es sich in letzter Stunde überlegen, ob sie Geist und Seele unseres Volkes in diesen Abgrund stürzen wollen.«22 Curtius’ Ausführungen sind in vielfacher Hinsicht aufschlußreich: Der Bolschewismus ist östlichster Osten, barbarischste Barbarei und der sehr negativ eingeschätzte deutsche Nationalismus deswegen so negativ, weil er dem Bolschewismus den Weg bereitet, oder er tut das, weil er negativ ist.

Solcher Antinationalismus kann sich unverändert über 1945 hinaus halten; gerade auch gewesenen National(sozial)isten bietet er sich als »Bewältigung der Vergangenheit« an – den traditionellen Antibolschewismus nur noch verstärkend: Auch die Nazis waren (im Grunde) Bolschewiken. – Pannwitz, ein Jünger Nietzsches, Georges und Hofmannsthals, gibt 1954 ein Beispiel hierfür; bis in die antiorientalische Mystifikation hinein handelt es sich um die Diktion der Konservativen Revolution: »In der Aera von Hitler, dem Nachfolger Lenins und Vorgänger Stalins, hat die westeuropäische Politik sich bereits der asiatischen genähert, der die osteuropäische vollkommen verfallen ist« – einschließlich von »mehr als einem Drittel« Deutschlands, das »heute […] vom Osten« besetzt ist. »Wir werden durch Rußland«, schreibt Pannwitz, »vielleicht ein mongolisches Ostdeutschland bekommen.«23 Und, am rassistischen Charakter dieser Aussage keinen Zweifel lassend, warnt er – immanent konsequent – vor jeder Verhandlung mit Osteuropa, das er immerhin nur »als Vorland Asiens« erachtet. »Jedes Mal, wo man [mit ihm] zu Einigungen zu gelangen hoffte, tat sich alsbald das Bodenlose auf. Es ist ein ohnmächtiges und lebensgefährliches Anempfinden und ein dekadenter Kontinental-Exotismus, wenn unsere Menschen der dominanten Hochkultur in jene der dominanten Primitivität sich mehr oder weniger vermischen wollen.«24

Steding schrieb bereits 1937/38, in »Erinnerung« an die »asiatischen« Kommunisten im Deutschland der Weimarer Republik: »Mit dem Zerfall des Reichs« im 16. Jahrhundert »und das heißt auch derjenigen Rassen, die Europa bis dahin getragen hatten, mit dem Siegeszug der erst ›demokratischen‹, heute demokratisch-bolschewistischen Rassen ist der Feind plötzlich mitten unter uns. Er versucht in jedem Einzelnen aufzustehen und in ihm das europäische geschichtliche Bewußtsein auszulöschen zugunsten eines Unterbewußtseins, das längst überlagerten, gefesselten, vorgeschichtlichen, seit Jahrtausenden nicht mehr virulent gewordenen Erbanlagen und rassischen Komponenten zugehört. Wie weit der Appell an diese Erbanlage jedes Mitteleuropäers, die unserer geschichtlichen Welt gegenüber nur zerstörend wirken kann, gehört wurde, zeigt die Stimmenzahl, die in Deutschland und Europa die kommunistische Partei gewonnen hatte und die sie außerhalb Deutschlands noch gewinnt. Es zeigt sich in Deutschland vor allem daran, daß die Physiognomie der kommunistisch verhetzen Arbeiter und Intellektuellen tatarisiert wurde oder allgemeiner gesprochen die Züge von geschichtslosen Unterrassen annahm.«25

Obgleich sich allenfalls ein Emigrant wie Pannwitz noch rassistische Töne erlauben darf – was sich durchhält, auch nach 1945, ist die europäisch-gegenrevolutionäre Emphase und mit ihr das bolschewistisch-»asiatische« Feindbild. 1954 betont etwa W. Hermann, ein Sprecher des BDI: »Die gesamte westdeutsche Industrie fühlt sich der westlichen Welt engstens verbunden und ihr verpflichtet. Aus der abendländischen Kultur und ihren überkommenen Gesetzen leitet sie die beschwingenden Kräfte allen Widerstandes gegen eine asiatische Überflutung her. Sie wird diesen Kampf bis zum Ende führen und hofft ihn zu bestehen!«26 Noch dieser – nun zentral ökonomische – Antikommunismus, diese Außenpolitik als (klassenkämpferische) Innenpolitik, bedient sich des okzidental-antiorientalischen Jargons.

c) Ost-West-Auseinandersetzung als »ew’ge Schlacht« und permanenter Kreuzzug

So sehr auch die russische Revolution von 1917 die Abendland-Ideologie beflügelte, so schien die konkrete Gefahr aus dem »Osten« manchen nicht hinreichend zu sein für die Legitimation ihres »Verteidigungskampfes«. Zur Abwehr des Bolschewismus wurden wieder und wieder große historische Linien ausgezogen, Parallelen und Analogien gebildet, die die Auseinandersetzung mit dem Osten zur entscheidenden oder ewigen Schlacht stilisierten – in jedem Fall schicksalhaft für den Westen.

Unter der Überschrift »Traditionen verpflichten« schreibt A. H. Vogel, Präsident der Industrie- und Handelskammer Augsburg, in der offiziellen Festschrift zur Tausend-Jahrfeier der Lechfeldschlacht 1955: »Heute wie vor tausend Jahren haben wir uns im politischen und religiösen Raum zu bewähren. Aber untergangsdrohender noch als damals steht heute der dialektische Materialismus Moskauer Prägung, der schon fast ganz Asien in seine Knechtschaft gezwungen hat, vor der Freiheit des Westens, auch vor den Toren Augsburgs. Eine ›Lechfeldschlacht‹ wird diesmal nicht die Entscheidung bedeuten. Ein größeres Ringen um Seele und Bestand des westlichen Kulturlebens steht uns bevor. Europäische Ideologien des 19. Jahrhunderts haben den längst ausgehöhlten russischen Chiliasmus überwuchert, westlicher Erfindergeist hat Asien die modernsten Mordwaffen zu gebrauchen gelehrt, nachdem wir schon mit für den Orient wenig geeigneten Industrialisierungsmethoden diese ihren alten Kulturen religiös verhafteten Völker ihren Penaten entfremdet und damit ihrem ethischen Kraftstrom entzogen hatten. Mit von uns gelieferten Giften verseucht, treten die von totalitären Machtwahn-Tyrannen geknechteten und angetriebenen Völker Asiens gegen unsere westliche Welt an«27.

Damit greift Vogel einen Gedanken Carl Schmitts auf. Der hatte sechs Jahre zuvor, in seinem ersten Aufsatz nach dem Krieg, betont, »daß die historische Parallele der physischen und seelischen Regeneration, die das Römische Imperium durch die germanischen Stämme der Völkerwanderung erfuhr, für unser Jahrhundert nicht zutrifft, weil auch die angeblich neuen und jungen Völker das Gift der Zivilisation in ihren Adern tragen […] Ebensowenig können wir uns damit trösten, daß Europa zu allen Zeiten von Osten und Westen, Süden und Norden überflutet ist. Denn die Besonderheit der gegenwärtigen Lage besteht gerade darin, daß heute nicht fremde Zivilisation, sondern Ergebnisse und Ausgeburten des eigenen europäischen Geistes auf uns eindringen. So nähern wir uns wieder dem Standort Donosos. Die geschichtlichen Parallelen zergehen, und uns erprobt jetzt der präsente Gott.«28 Die uns bevorstehende Lechfeldschlacht, sagt der gegenrevolutionäre Apokalyptiker Schmitt, ist die Schlacht aller Schlachten: »Europas letzte Hunnenschlacht«29; oder prophetisch: der Krieg Jahwes selber.

Vogel schreibt im weiteren Verlauf seiner Darlegungen: »Die alte Auseinandersetzung Ost-West, die über Jahrtausende hin das Wagnis Europa immer wieder bedroht hat, ist neu in geradezu gigantischen Ausmaßen aufgerufen zu einer Menschheits-Entscheidung.«30 Und er fragt, die Parallelität zu früher nicht so entschieden wie Schmitt negierend, indem er heute nur ein quantitatives Auf-die-Spitze-Treiben konstatiert: »Wird die geheimnisvolle Hand wieder in den Lauf der Geschichte eingreifen, um den Sinn des Abendlandes trotz des Versagens bis in führende Schichten hinein noch einmal weiterzuführen?«31 Auf keinen Fall »durch Angebote von Neutralität und friedlichem Verhalten«, wie Bundesaußenminister Heinrich von Brentano – bei der Augsburger Lechfeldfeier – 1955 betont; auch »der heilige Ulrich hat das nicht getan«32.

Indem Vogel die Lechfeldschlacht zur »alten« Ost-West-Auseinandersetzung verallgemeinert, die nach Schneider unserer Kultur überhaupt »Thema und Inhalt« gegeben hat33*, beschwört er die von Gertrud von le Fort 1932 so genannte »ew’ge Schlacht«34, für sie symbolisiert in der der Katalaunischen Felder. In ihrem Reich des Kindes von 1934 läßt sie einen Mönch im Regensburger Kloster St. Emmeran prophezeien: »Immerdar, wenn die Völker des Abendlandes wanken und untereinander zerfallen, so erhebt sich der Sturm aus Asia, – also war es, als das Reich der Römer versank, und also wird es sein bis an das Ende der Zeiten.«35 So auch heute, will die Autorin sagen. Steding macht die Reprojektion ausdrücklich: »Heute treten die Kosaken oder Türken oder ›Hunnen‹ aus der Zeit Heinrichs I. auf in der Verkleidung der Bolschewisten und Marxisten, die die Tatarisierung Europas in der Weise erstreben, daß einmal die Direktiven für die Erhaltung unserer Welt vom tatarisierten Moskau gegeben werden«36.

Umgekehrt ist die Bekämpfung des Bolschewismus, die das Dritte Reich als »seinen vorzüglichen Beruf« erblickt, »die Fortführung des alten Weltkampfes, den das Reich und Europa führt, seitdem seine Staatenwelt als Erbe Roms in das Licht der Geschichte trat. Es ist der Kampf, den Pippin und Karl der Große und die Goten gegen Sarazenen, die Sachsenkönige und -kaiser und der schlesische Herzog Heinrich der Fromme gegen die Ungarn und die ostelbischen Vorposten Asiens, die späteren Kaiser gegen die Türken und die mit diesen verbündeten Franzosen geführt haben.«37 Auf ähnliche Traditionen beruft sich Moenius noch 1948: »Karl Martell setzte dem Vormarsch der Sarazenen 732 bei Poitiers ein Ende, in einer Schlacht, die zu den Entscheidungsschlachten des Westens gehört wie Actium, die Besiegung Hannibals, die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern oder 1686 Wiens Rettung aus der Türkennot.«38*

Vom römischen Sieg über Hannibal war auch Oswald Spengler – schon im ersten Weltkrieg – beeindruckt; sein Untergang des Abendlandes ging von der Erwartung eines deutschen Sieges aus, bei dem die Rolle Preußen-Deutschlands mit der Roms nach den punischen Kriegen (dem Analogon des Weltkriegs) gleichgesetzt wurde. Den zivilisatorischen Aufstieg dieses siegreichen, harten, imperialistisch expandierenden Deutschlands sah Spengler als die Aufgabe der kommenden Jahrhunderte.39 Hitler steht in seiner Nachfolge, wie der Alldeutschen überhaupt. Und auch er beschwört, wie die »Abendländer« des Jahres 1955, die Schlacht auf dem Lechfeld als eine »Abwehrschlacht gegen den Osten«40. Er tut es im Rahmen der Reichstagsrede vom 11. Dezember 1941, die ein einziges Zitieren der »ew’gen Schlacht« ist und ihrer Stationen von den Griechen und Römern an: ein geballtes Stück Abendland-Ideologie im Dienst des imperialistischen Eroberungskrieges im »Osten«.

 

Wie Pius XII. Hitlers Kampf mit dem »Bolschewismus« katholischabendländisch segnete, so feiert er noch 1955 die Lechfeldschlacht – in einer Linie mit der von Tours/Poitier und Wien – und in Worten, die aus Hitlers Reichstagsrede des Jahres 1941 stammen könnten; mit seltener Ausdrücklichkeit wird der Zitat-Charakter der Lechfeldschlachtfeier offenbar: »In Tagen abendländischen Bekenntnisses – heute, wo die abendländische Kultur unter schwerster Bedrohung steht, ist die Erinnerung an die Schlacht auf dem Lechfelde wie geschaffen. – Der Sieg des Königs und nachmaligen Kaisers Otto des Großen über die Ungarn […] hat das christliche Abendland vor einer unheimlichen Gefahr aus dem heidnischen Osten gerettet.«41*

Und es gab Zeiten, in denen die Päpste sich nicht mit Segnungen begnügten, sondern auch militärisch gegen den Osten kämpften; der Mariane Pacelli selbst beschwört bei anderen Gelegenheiten die Seeschlacht von Lepanto, in der eine päpstlich-spanisch-venezianische Koalition die Türken entscheidend schlug. Über die Errichtung eines lateinischen Kaisertums in Konstantinopel im Jahre 1204 schreibt Westphal, dieses Kaisertum habe, »auch wenn die Venezianer, die die treibende Kraft waren, nicht in allem nach den Wünschen des Papstes handelten, die immer beanspruchte Herrschaft der römischen über die griechische Hemisphäre des Christentums verwirklicht und den weströmischen über den oströmischen Gedanken – Augustus über Antonius – zum ersten Mal wieder zum Siege«42 geführt. Ernst Niekisch weist in diesem Zusammenhang, gleichsam von der Gegenwart nach rückwärts schauend, mit Recht darauf hin, daß Rußland nach 1453, als Konstantinopel von den Türken erobert wurde, die Funktion des »Gegenpols« gegen Rom übernommen habe, die einst Byzanz erfüllt hatte.43

Wir haben zum Schluß mit Vorzug zwei nichtkatholische Autoren zitiert; die gezogenen Linien und Parallelen sind nämlich in vatikanischen Köpfen eine Realitat (gewesen*), was die massive Unterstützung der kroatischen Ustaschen in ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die orthodoxen Serben exemplifizieren kann44: Im Schatten der großen »abendländischen« Auseinandersetzung mit dem »Dritten (Gegen-)Rom«, begleichen klerikal-faschistische Kommandos alte Rechnungen mit den »Byzantinern« – und der Papst gibt seinen Segen dazu.

Was sich im Terror der mit Mussolini und Hitler verbündeten kroatischen Ustaschen äußerte, war eine einfache Fortsetzung der mittelalterlich-barocken Kreuzzüge. Die übrigen Faschisten säkularisierten ihre Methoden gleichsam. Selbst ein Neopaganer wie der italienische Kulturphilosoph Julius Evola verstand sich auf sie zu berufen, als er – Herausgeber der Protokolle der Weisen von Zion – die Züge der Kreuzfahrer »Züge […] des Westens gegen das semitische Asien« nannte45. Und zweifellos hatte der Kreuzzug das Juden-Pogrom impliziert. Vor allem aber trug jede Schlacht des Westens gegen den Osten den Charakter des Kreuzzugs; le Fort nennt die »ew’ge Schlacht« – immanent richtig – die »Schlacht des Christ«, wobei es sich um den »Christus Imperator Maximus« Ludwig Derleths handelt. In seinen Proklamationen erscheint zusammengeballt das Pathos all jener in der Geschichte immer wieder auftretenden Gemeinschaften, die versuchten, eine geistlich bestimmte Herrschaft aufzurichten, »Kreuz und Schwert« zu vereinen.46

Weltgeschichtlich als erster – und mit nachhaltigem Erfolg – versuchte das Konstantin, den man deswegen den »Großen« nannte. Er wird explizit oder wenigstens implizit immer aufgerufen, wenn das Kreuz zum Schlagen und Stechen benutzt wird: »In hoc signo vinces«.* Es sei noch einmal an die Verse aus Bergengruens Titelgedicht Der ewige Kaiser erinnert: »schon kündigt sich in Vorgesichten / Europas letzte Hunnenschlacht. // Erhebe Konstantins Standarte, / entblöße Karls geweihten Stahl!«47 Die »ew’ge Schlacht« der Le Fort ist – als die »Schlacht des Christ« – eine konstantinisch-karolingisch-ottonische. Unter dem Eindruck des spanischen Bürgerkrieges, der von klerikal-faschistischer Seite ausdrücklich als Kreuzzug verstanden wird, schreibt Schneider 1936 in den monarchistischen Weißen Blättern seines Freundes Freiherr von Guttenberg: »Wie der deutsche Kaiser in der Ungarnschlacht die heilige Lanze erhob, so werden die Völker in der schwersten Gefahr des heiligen Symbols bedürfen.«48 Anfang der vierziger Jahre predigt Schneiders Freund Erich Przywara: »Gerade heute, in der Stunde des vollendeten ›Sturm aus dem Osten‹« leuchten die beiden Namen »›Jesus und Maria‹ […] als Morgenrot in der äußersten Nacht auf«, der »Schlachtruf«, in dem »unsere Vorfahren […] ein christliches Abendland gegen alle ›Stürme aus dem Osten‹ verteidigten«49.

»Heute«, meint Haecker zur selben Zeit, muß das »christliche Abendland« auch gegen Deutschland verteidigt werden.50 Haecker apperzipiert den Kreuzzugscharakter des nationalsozialistischen Krieges,* aber ohne daraus zu einer Selbstkritik des Katholizismus und seiner eigenen Tradition durchzustoßen, die, als gegenüber dem Nationalsozialismus frühere, auch dessen »Kreuzzug« präjudiziert haben könnte. Friedrich Heer weist auf diesen Zusammenhang immer wieder hin. 1968 faßt er, der bereits 1949 den »zweiten Konstantin«51 Karl den Großen als »Erzvater des europäischen Totalstaates«52 bezeichnet hat, Hitlers Apokalypse wie folgt zusammen: »Der böse Drachen [des Sowjetmarxismus] trägt seine Fahnen zum Sturme vor – ihm aber tritt siegreich der neue Konstantin eines neuen Weltalters, Adolf Hitler, entgegen, der weiß: ›In hoc signo vinces.‹ Allein das Hakenkreuz besitzt die Glaubenskraft und Waffenkraft, diesen apokalyptischen Weltfeind zu zerschmettern.«53

Zumindest in den dreißiger Jahren, mehr oder weniger auch noch danach, war unter Katholiken nicht nur keine Selbstkritik à la Heer möglich, sondern man affirmierte sogar zeitgenössische Kreuzzüge.** Wenn nicht in jedem Fall die nationalsozialistischen, dann doch wenigstens die christ-katholischen, die ohne Duldung und Beihilfe der Nationalsozialisten gleichfalls unmöglich waren.* Wir denken vor allem an den spanischen Bürgerkrieg, in bezug auf den Schneider – im Unterschied zu 195554 – die Lechfeldschlacht positiv zitiert hat. Und tatsächlich, wie der deutsche Kaiser in ihr »die heilige Lanze« erhob55, so wurden »in Spanien die faschistischen Mordautos mit Heiligenbildern geschmückt« und riefen »tausendfünfhundert erschossene Arbeiter ein Te Deum hervor«56 – wie die getöteten Ungarn auf dem Lechfeld 955.