Abendland

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I. Einleitung oder: »Das neue Reich«

»Die reichische Idee wird in Gestalt

der europäischen Einigung neu erstehen.«

(Otto von Habsburg, 1977)

Carl Schmitt hat 1927 in seinem Begriff des Politischen mit seltener Klarheit herausgearbeitet, daß und inwiefern Begriffe politische Kampfbegriffe sind*: »Worte wie Staat, Republik, Gesellschaft, Klasse, ferner: Souveränität, Rechtsstaat, Absolutismus, Diktatur, Plan, neutraler oder totaler Staat usw. sind unverständlich, wenn man nicht weiß, wer in concreto durch ein solches Wort getroffen, bekämpft, negiert und widerlegt werden soll.« Politische Begriffe haben nicht nur – und nach Schmitt nicht einmal vorrangig – einen analytischen Wert, sondern verfolgen stets eine polemische Absicht: »sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden, deren letzte Konsequenz eine (in Krieg oder Revolution sich äußernde) Freund-Feindgruppierung ist.«1

In die Reihe derjenigen Begriffe, die die politischen Gruppen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – und noch darüber hinaus – polarisierten und polarisieren sollten, gehört an prominenter Stelle auch der des Abendlands.* Bei Schmitt selbst spielt der Abendland-Begriff expressis verbis zwar keine Rolle.** Er verwendet an seiner Stelle aber, und mit spezifisch nationalistischer Engführung, den Begriff des Reiches***, der von anderen, zumal von den katholischen Reichsvisionären, mit Europa und dem Abendland synonymisiert wird. Abendland – Reich – Europa, diese begriffliche Trias bildet eines der Zentren, wo immer es in der Weimarer und der ersten Österreichischen Republik um reaktionäre Visionen und konservative Revolutionen geht.

Sicherlich, die Interpretationen und Inhalte sind verschieden: Was Oswald Spengler im Untergang begriffen zu sein scheint, das wird für die katholisierenden Gegenrevolutionäre zum Kristallisationspunkt eines neuen Aufgangs: das »christliche« Abendland. Zwar stehen auch sie unter dem Eindruck der »fundamentalen Wende« von Aktium2, aber im Gegensatz zu Spengler und Schmitt, die eine neopagane, ja antichristliche Ordnung mit vorbereiten wollen, geht es ihnen, wie den Hoch- und Spätromantikern des 19. Jahrhunderts, um die Restauration der »integralen Tradition« Europas (Leopold Ziegler), das heißt einer tendenziell christ-katholischen.

Auch der junge Schmitt war ihr einmal verpflichtet, freilich nicht zuletzt deshalb, weil er schon in ihr das römisch-imperiale Element als bestimmend erkannt hatte. Im Gefolge Spenglers brauchte er es nur zu verabsolutieren, um wie dieser Cäsarist und Imperialist im modernen – faschistischen – Sinn zu werden. Ein Telos, dem – weil dem Geist der Zeit und ihrer Machtverhältnisse entsprechend – auch die christlich-mittelalterlich orientierten Reichstheologen nur schwerlich ausweichen können. Sie stehen gleichfalls unter dem Bann des imperialistischen Fundamentalsatzes: »Du aber, Römer, gedenke mit Macht der Völker zu walten,/Dies sei deine Berufung – des Friedens Gesetze zu ordnen, / Schon den, der sich gefügt, doch brich den Trotz der Rebellen!«.3 So hatte ihn Vergil, der »Vater des Abendlands« (Theodor Haecker), in jener Zeit formuliert, die für Schmitt »zentral ist und so lange es bleiben wird, wie dieser Äon besteht«, »die Beziehung unserer Gegenwart auf die Zeitwende, mit der unser Äon einsetzt, die Zeit der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus.«4

Vergils Satz ist die politische Pointe des »Alten Testaments des gesamten europäischen Westens«, als das Rudolf Borchardt Vergils apologetisches Rom-Gedicht5, die Äneis, 1930 bezeichnet. Er kann Vergil, wie Haecker in seinem Vater des Abendlands vom selben Jahr, die »anima naturaliter christiana« nennen und doch, wie der (prä-) faschistische Schmitt, auf ein cäsaristisches und imperialistisches Preußen-Deutschland hinarbeiten, das das Wilhelminische an Konsequenz und Radikalität bei weitem übertreffen soll. Schmitt-Schüler wie Christoph Steding und Robert Hepp betrachten ein solches Preußen-Deutschland als Land der »vollendeten Reformation«6, das heißt – neopagan – als den providentiellen Ort, wo die jüdisch-christliche Negation des sakrosankten und nur insofern wirklich souveränen, da totalen Staates rückgängig gemacht wird. Dieser Staat, und nur er, soll – nach dem Weimarer »Interregnum« – wieder und erst recht »Freund und Feind« bestimmen können, so wie es Schmitt im Begriff des Politischen postuliert hat.

Daß die Weimarer Republik ein »Interregnum«, also eine »schreckliche, kaiser-« oder führerlose »Zeit« gewesen sei, diese geschichtsphilosophische ›Einsicht‹ ist noch für Armin Mohlers Interpretation der Konservativen Revolution bestimmend.7 Und Steding, dem selbst der Bolschewismus nur eine Begleiterscheinung des Verfalls Europas, das heißt des Reiches zu sein schien8, begriff die gesamte Neuzeit als einen fortlaufenden Prozeß der Dekomposition des Reiches und deswegen – Schmitt folgend – »als ein Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen«.9 Aber in diesem tiefen Verfall – in den Jahren 1931/32 kulminierend – hatte er den »unerschütterlichen Glauben«, daß sich »Deutschland […] mitten in einer neuen Reichsgründungszeit« befinde.10

1. Deutsche Romanitas per translationem imperii

Die gesamte konservativ-revolutionäre Akademikergeneration des preußischen Deutschland stand unter dem Eindruck von Arthur Moeller van den Brucks programmatischem Buch Das dritte Reich und seiner Losung: »Preußen muß sein«. So dichtete etwa der mit Moeller und vor allem Martin Spahn verbundene Eduard Stadtler, wie dieser ein katholischer Preuße, 1931: »Preußen muß wieder preußisch werden / Soll das Reich nicht untergehen.«11 Für andere freilich war das Reich gerade an Preußen gescheitert; Moellers Freund und Nachlaßverwalter Hans Schwarz sprach daher in gewollter Analogie zu dem von Schmitt konstatierten »antirömischen Affekt« von einem »antipreußischen Affekt«.

Selbst solchen Preußen wie Steding oder gar Spahn und Stadtler blieb nicht verborgen, daß die von ihnen angestrebte berufsständische Ordnung katholisch-mittelalterlich war.12 Sollte das Reich großdeutsch werden, mußte es notwendig – wie dialektisch auch immer – antipreußisch werden; der Faktor des habsburgischen Österreich war mit Königgrätz nicht endgültig aus der mitteleuropäischen Politik verschwunden. Was die »Legitimität« angeht, so wußte – nach einem Wort Wilhelms II. – kein geringerer als Bismarck, »daß die echte Krone in Wien sei«.13 Und mit dem Legitimitätsproblem stellte sich erneut die Glaubensfrage.*

Auch in dieser Hinsicht verteidigen Katholiken – gerade 1933 – nachdrücklich ihr »›Erstgeburtsrecht‹ auf das Reich«14. Nicht dualistisch wie Lutheraner, sondern analogisch, sind sie mit Reinhold Schneider überzeugt, daß »das Innerste eines jeden Reichs die Bitte ist: ›Zu uns komme Dein Reich !‹ Denn aus dieser Bitte leuchtet das himmlische Vorbild in das irdische, der Gottesstaat in den Weltstaat, der auf jenen angewiesen ist.«15 Schneider, der »im Ringen um das Reich […] den Inhalt« seiner »Lebensarbeit« sieht16, nennt »das Reich […] die größte Konzeption einer christlichen Ordnung auf Erden«17.** Andere wiederum wollen zu seiner – wie sie meinen – reinen, und das heißt monistischen Urgestalt zurück, so wie sie für das Abendland das antike Rom verbindlich geboten hätte; sie stellen auf einen Neopaganismus ab. Doch »Roma« bleibt gerade auch für Katholiken »aeterna«, und nicht nur im Blick auf Deutschland. Nicht zuletzt hierin sind sie mit Schneider einig, für den alle europäischen Völker irgendwann – kurz oder lang – am Imperium Romanum und seinem Erbe Anteil gehabt haben. Allerdings bleibt für alle Reichstheologen oder zumindest -visionäre unbestreitbar, daß das deutsche Volk das »Reichsvolk« ist.*** »Romanitas« – die nicht zuletzt auch den »imperialen Katholizismus« der Epoche qua Kirche bestimmt – und Deutschtum sind mutatis mutandis die Konstitutiva der deutschen Reichsideologie: eine deutsche Romanitas per translationem imperii.

2. Das Reich als »complexio oppositorum«

Ihr Ende – in jedem Sinn – erreicht die Reichsideologie im Nationalsozialismus, der gerade auch in dieser Hinsicht eine »complexio oppositorum« ist, je nach der Situation einmal mehr hier oder dort den Akzent setzend: Begann er in Potsdam als »Drittes Reich« Wirklichkeit zu werden, so endete er – nach der kurzen »großdeutschen« Reichs-Phase – beim »Reich« einfach und schlechthin, als dem Umfang nach mittelalterliche Verhältnisse hergestellt worden waren und sich damit eine mittelalterliche Analogie überhaupt anbot. Das war Hitler, einem Romano- und Ekklesiophilen von Graden, auch ideologisch genehm. Im Zeichen des Rußland-Feldzuges fehlt in der nationalsozialistischen Propaganda sogar das Stichwort Abendland nicht; die Auseinandersetzung mit »dem Osten« wird in Analogie zu den verschiedenen »Verteidigungs«-Unternehmungen »des Westens« gesetzt.

Die Reichs- wie dann die Abendland-Ideologie ist keine einheitliche und kann es bei den historischen Unterschieden, die ihre jeweilige Gestalt im 20. Jahrhundert bestimmen, auch gar nicht sein. Zu Beginn des Jahres 1933 werden die Unterschiede noch offen beim Namen genannt, und ein freilich gezähmter Ideologienkampf ist durchaus im Gange. Aber bereits damals tritt hinter dem »Daß« der neuerlichen Reichsgründung die ihr konkret zu gebende Gestalt zurück; sie kann es, weil weithin die historischen Kostüme nur Kostüme sind, ein quid pro quo: Was ins Gewicht fällt, ist, daß die »›Republik‹ […] in den Hintergrund getreten« ist. Positiv gewendet: »Es ist [überhaupt] wieder vom ›Reich‹ die Rede […] An voreiligen und abwegigen Antworten fehlt es gewiß nicht. Verheißungsvoll für die Zukunft aber ist die Entschiedenheit, mit der das Reich von den verschiedensten Menschen und Kreisen als die politische Aufgabe unseres Volkes schlechthin gesehen wird.«18 Diese Worte des katholischen Reichstheologen Auguste Schorn sind durchaus repräsentativ: Hinter dem unbändigen Willen zum Reich verblassen die zum Teil unversöhnlichen Differenzen der angestrebten Gestaltungen.

 

3. Neo-Vergilische Reichsapokalyptik

Eine weitere Gemeinsamkeit: Ob katholisch, protestantisch oder einfach »deutschgläubig«, ob österreichisch, rheinisch oder preußisch, klein-deutsch, groß-deutsch oder europäisch – die konservativ-revolutionären Intellektuellen sind am Vorabend der nationalsozialistischen Machtergreifung von einer eschatologischen Erregtheit erfüllt; ihre Bücher, Artikel und Gedichte haben alle etwas von Apokalypsen.* Selbst Schneider notiert sich am 18. April 1933 in einem Fragment aus dem Umkreis von Auf Wegen deutscher Geschichte** über den »Roland« von Quedlinburg: »Arm und Leib waren ihm zerschlagen worden vom Unverstand später Jahrhunderte: so lag er lange, nicht mehr als ein Steinhaufen, im Hof; aber das Gewesene ersteht wieder, ob wir es wollen oder nicht: seine Teile fügen sich zusammen; der alte Trotz und Stolz haucht ihnen Leben ein; die Gebärde ist noch erhalten, ob auch die Spuren des Leidens nicht mehr vergehen: und es ist mit dem Roland nicht anders als mit dem alten Reich der Deutschen.«19

Ihren ersten Höhepunkt hatte die gegenrevolutionäre Apokalyptik zum Beginn der endgültigen Krise der Republik und ihres Pluralismus: 1930, womit auch sie dem Kompensationsgesetz der Apokalyptik getreu war. 1930 war das zweitausendste Geburtsjahr Vergils. Auch auf Ideologenebene bot sich die »fundamentale Parallele« an, die Spengler, unter dem Eindruck der apokalyptischen Stimmung des August 1914 und in Erwartung eines deutschen Sieges – vergleichbar dem Roms über Karthago –, bereits während des Krieges zum hermeneutischen Ausgangspunkt seines Untergangs des Abendlandes gemacht hatte.*

So wies Minn in seinem 1930 in der rechtskatholischen Allgemeinen Rundschau von Georg Moenius erschienenen »Vergil«-Aufsatz ausdrücklich auf »unsere schmerzhafte ›Gleichzeitigkeit‹« mit »der augusteischen Epoche« hin und beschäftigte sich ausführlich-affirmativ mit der Vergil-Ideologie des faschistischen Italien.20 Schmitt schließlich, der noch in den fünfziger Jahren »trotz aller hegelisch-stalinistischen Geschichtsdialektik […] kein anderes Mittel geschichtlichen Selbstverständnisses« kennt als eben »die große historische Parallele«21, schloß wiederholt Aufsätze mit dem verballhornten Vergil-Vers: »Ab integro nascitur ordo.« Reichsapokalyptisch einen völkerrechtlichen von 1939/40: »Die Tat des Führers hat dem Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen. – ›Ab integro nascitur ordo.‹«22

Am nachdrücklichsten zog Werner Bergengruen in seinem zunächst 1937 erschienenen und dann 1950 wieder aufgelegten Ewigen Kaiser die augusteisch-vergilische Parallele als apokalyptische. So spricht er den »ewigen Kaiser« im Titelgedicht an: »Vergil umkränzte deine Pforten«** – wie Bergengruen es jetzt wieder tut. Und immer noch ist der Kaiser, um apokalyptisch zu werden, der »Verwandler der Zeit«; im Gedicht gleichen Namens imaginiert Bergengruen: »Es kreißen Aufgang / Und Niedergang, / Die Hügel beben / Dir zum Empfang. //Der Leib der Länder / Wirft sich in Krämpfen, / Die Lüfte dampfen / Von Geisterkämpfen. // Tritt aus dem Berge, / Wirf auf dein Panier.«23

Bergengruen beschwört – wie selbstverständlich und in ›legitimer‹ Vergil-Rezeption – den Kaiser im Kyffhäuser: Friedrich II. von Hohenstaufen. »Selbstverständlich«, obwohl Bergengruen gerade auch in der Tradition der christlichen Vergil-Rezeption steht, aber eben in der hellenistisch-römischen Christentumstradition, wie Verse des Gedichts Das Licht im Aufgang zeigen, die gleichsam die geschichtstheologische Zusammenfassung der Bergengruenschen Reichsapokalyptik darstellen: »[…] Engelscharen tragen nieder / den neubereiteten Äon.« »Äon« und »Engelscharen« – der Hellenismus hindert Bergengruen nicht, sondern ermöglicht ihm, Augustus mit Christus zusammenzudenken und von einer »neuen Fülle der Gezeiten« zu sprechen.24

4. Konservative Utopie des Abendlandes

Wie Haecker geht es Bergengruen – der »ewige Kaiser« ist »Herr und Hirt des Abendlands«25 – um die Auferstehung des christlichen Abendlands*; aber selbst bei christ-katholischen Autoren – wie bei Peter Wust vor dem zweiten Krieg und Erich Przywara in und nach diesem Krieg – kann jenes Epitheton fehlen. Wust schreibt: »Daß unser Volk, ja, daß das Abendland wieder auferstehe, das allein ist mein Gedanke bei Tag und Nacht.«26 Und für Przywara »träumt« die »gegenwärtige Stunde des Abendlands« »utopisch« von »einem neuen Abendland«27. Das Zurücktreten des spezifisch Christlichen zugunsten des generell Konservativen findet sich noch in Bergengruens Nachwort von 1950, mit dem er die Neuauflage seines Gedicht-Zyklus von 1937 rechtfertigt: »Was mich bewogen hat, nach anderthalb Jahrzehnten den Zyklus von neuem und unverändert vor die Öffentlichkeit zu stellen, das ist nicht zuletzt die gewaltige geschichtliche Aufgabe, die heute vor den abendländischen Völkern, ja, vor denen der Erde steht: die Pflicht, das Widerstrebende in höheren Zusammenfassungen zu einen, wie sie im augusteischen Kaiserreich der Antike, im römisch-deutschen des christlichen Mittelalters ihre Vorformungen gehabt haben.«28

Diese Aufgabe steht vor den abendländischen Völkern als solchen; zumindest nach diesen Ausführungen Bergengruens weiß man nicht, worin sie sich wesentlich von jener Aufgabe der zwanziger bis vierziger Jahre unterscheidet. Bergengruens Sprache ist und bleibt die der Reichsvision des Zwischenkriegs; sein Nachwort von 1950 endet mit den Worten: »Es steht der Dichtung nicht zu, die Formen künftiger europäischer und übereuropäischer Zusammenschlüsse vor ihr Urteil zu laden und Erwägungen darüber anzustellen, auf was für Schultern die ehemals kaiserliche Aufgabe in Zukunft ruhen werde. Wohl aber darf sie in ihrer Weise daran erinnern, daß jene Zusammenfassungen der Völker, auf die wir hoffen, von den nämlichen seelischen und geistigen Kräften getragen sein werden, die dereinst das Bild des alten Reiches geformt haben. Und so wird etwas von ihm weiterleben und des Kaisers ewige Gestalt überall dort zugegen sein, wo Steine zum überwölbenden Bau des neuen Völkerhauses zusammengetragen werden.«29

*Im eigentlichen Sinne geht es bei Schmitts konkreter Begriffsbildung weniger um Kampfbegriffe als um »Kampfmythen« (vgl. C. Schmitt, Hugo Preuss. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 5 sowie R. Faber, »›Begriffsgeschichte‹ und ›Mythologie‹. Methodologische Vorüberlegungen zur Kritik des ›politischen Kampfbegriffs‹ Abendland«, in: Aufmerksamkeit. Klaus Heinrich zum 50. Geburtstag, hrsg. von O. Münzberg und L. Wilkens, Frankfurt/M. 1979, S. 140–150).

*Im zweiten Nachkrieg erringt die Abendland-Ideologie noch größere öffentliche Erfolge als im ersten, obgleich sie direkt aus ihm herrührt, immunisiert durch den Scheinheiligenschein des ›Widerstands‹.

**Immerhin ist es gerade im Zusammenhang seiner Unterscheidung zwischen »hostis« und »inimicus«, die er zur »Entpolitisierung« von Matth. 5,44 und Luk. 6,27 verwendet, daß Schmitt schreibt, »in dem tausendjährigen Kampf zwischen Christentum und Islam« sei »niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder den Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern« (Der Begriff des Politischen, Berlin3 1963, S. 29). Und nach Denis de Rougemont stammt »die erste Erwähnung Europas nicht nur als geographische, sondern auch als menschliche Einheit, d.h. des Europäers, der diesen Kontinent verteidigt, […] aus der Chronik der Schlacht von Poitiers im Jahre 732, wo Karl Martell die Araber besiegte«. Das Reich Karls des Großen sei nur der »Höhepunkt dieses frühen Bewußtseins der europäischen Einheit« (europa. Vom Mythos zur Wirklichkeit, München 1962, S. 11). Sein Reich ist das »Abendland der Kreuzzüge« und ihre Zeit »die Zeit des Abendlandes« (E. Rosenstock, Die europäischen Revolutionen, Jena 1931, S. 40 und 39). »[…] die Geschichte lehrt uns, daß es eines gemeinsamen Feindes, einer gemeinsamen Gefahr bedarf, damit Europa ist«, wie Gonzague de Reynold, einer der Gewährsleute de Rougemonts, im Sinne Carl Schmitts generalisiert (Portugal. Gestern – heute, Salzburg/Leipzig 1938, S. 12).

*** In Anknüpfung an den Begriff des Politischen heißt es in Schmitts Über die drei Arten des Rechts, »der höchste […] und deutscheste […] Ordnungsbegriff« sei das »›Reich‹ als eine […] konkret-geschichtliche […] Freund und Feind von sich aus unterscheidende […] politische […] Einheit« (Hamburg 1934, S. 44).

*Otto Westphal – durchaus ein preußischer Nationalsozialist und schließlich nationalsozialistischer »Trotzkist« – meinte nach dem zweiten Weltkrieg resümieren zu müssen: »›Nicht Glaube und doch noch Glaube‹ (Bismarck): daran ist das (zweite) Reich großgeworden und gescheitert« (Weltgeschichte der Neuzeit 1750–1950, Stuttgart 1953, S. 106).

**Oder um Albert Mirgeler zu zitieren: »Wir halten […] die Reichsordnung für die wesentliche Verkörperung einer christlichen Politik. Sie repräsentiert eigentlich die Herabkunft der Gnade in den politischen Bereich.« Und, so fährt Mirgeler konsequent fort: »Es handelt sich für uns […] um ein neues Reich, das in seiner Vollendung wieder dem im Mittelalter offenbarten Typus des Reiches entspricht« (»Katholizismus und deutsche Politik«, in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. von A. E. Günther, Heilbronn 1932, S. 30 und 32).

*** Reichstheologisch heißt es – wieder bei Mirgeler: »Es ist […] die politische These des deutschen Katholizismus, daß die Deckung von deutsch und christlich im mittelalterlichen Reich verwirklicht worden ist, und daß sich hier die besondere Stellung Deutschlandes im Raume der christlichen Welt offenbart hat« (ebd., S. 30).

*Wilhelm Stapel nennt seinen Christlichen Staatsmann von 1932 ausdrücklich eine Apokalypse.

**Der Untertitel dieses nach dem Kriege nicht mehr aufgelegten Buches Schneiders lautet: »Eine Fahrt ins Reich«.

*Spenglers Freund Ernst Droem (Pseudonym für Adolf Weigel) erzählt, daß jener sein Werk anfänglich »Die Erfüllung des Abendlandes« habe nennen wollen (vgl. H. Petriconi, Das Reich des Untergangs – Bemerkungen über ein mythologisches Thema, Hamburg 1958, S. 140). – Noch zu Beginn des Jahres 1947 postulierte J. Burnham die Alleinherrschaft der »demokratischen Weltordnung« unter Erinnerung an die Zeit der Punischen Kriege: »Der Kommunismus kann unterdrückt werden und unterdrückt bleiben. Wenn die Demokratie gerettet werden soll, dann muß er unterdrückt werden […] Wir sind dabei, die Punischen Kriege und die Bürgerkriege jenes Höhepunkts der Zeit der Unruhen zu führen, die Kriege der Vernichtung« (vgl. E. Nolte, Deutschland und der kalte Krieg, München und Zürich 1974, S. 227).

 

**Bergengruen hat die Äneis-Verse I, 278f. mit dem Kernwort: »imperium sine fine dedi«, samt Ligurinus’ Beschwörung der translatio imperii, als Leitsprüche seinem Ewigen Kaiser vorangestellt.

*Dichtungsimmanent und gleichsam metaphysisch ist sie ermöglicht durch die Verse: »Du [ewiger Kaiser] bist das Bild der ersten Welt / und der Zukünftigkeiten« (W. Bergengruen, Der ewige Kaiser, Graz 21950, S. 19).