Zwei Männer gewannen auf Rudolf Einfluss, die seine Stimmung vollständig veränderten, was freilich auch im Zusammenhang mit dem auf und ab gehenden Laufe seiner Krankheit stehen mochte. Der eine war der aus Tirol gebürtige Philipp Lang, der sich ihm zuerst in geschäftlichen Angelegenheiten nützlich erwiesen hatte. Ein Juwelier nämlich bot dem Kaiser mehrere Säcke voll Edelsteine, Rubine, Smaragde und Opale, zum Kauf an und forderte eine verhältnismäßig geringe Summe dafür, die aber bar ausgezahlt werden sollte, da der Kaiser ihm bereits viel Geld schuldete und er Ursache hatte zu zweifeln, ob er jemals befriedigt werden würde. Aus der Finanzkammer kam der Bescheid, dass kein Geld vorhanden sei, nicht einmal das Notwendige könne bestritten werden, es hätte sich sogar der Apotheker endlich geweigert, die Datteln, Morsellen und den Rosenzucker auf die kaiserliche Tafel zu liefern, wenn er nicht zuvor wenigstens teilweise ausgezahlt würde. Wenn der Kaiser die Edelsteine haben wolle, ließ man ihm sagen, solle er sie aus seiner eigenen Schatulle zahlen, und deutete an, er müsse doch durch die Goldmacherei, für die er so viel aufwende, genug erübrigt haben. Hierüber geriet der Kaiser in Zorn und tobte und jammerte abwechselnd, dass er Blutsaugern ausgeliefert und von Räubern umringt sei. In dieser Not erbot sich Philipp Lang, einen Ausweg zu finden, und behauptete sogar, dass dies leicht und dass nur das Ungeschick oder der böse Wille der Finanzräte an einer solchen Verlegenheit schuld sei. Erstens gebe es mehrere reiche Leute in Prag, die dahin bearbeitet werden könnten, dass sie eine passende Summe herliehen; ferner sei es bekannt, dass einige von den wohlhabendsten Zünften der Städte sich zusammengetan hätten, um auf die Ausschaffung der Juden aus Prag anzutragen, und dass sie dahin beschieden seien, sie möchten es unterlassen, da es bei Hofe unliebsam aufgenommen werden würde. Dies sei ein großer Fehler gewesen; denn den Zünften sei an der Sache viel gelegen, und sie würden gewiss den höchsten Preis dafür gezahlt haben. Die Juden trügen ihm aber doch noch mehr, wendete der Kaiser ein. Es sei ja auch nicht seine Meinung, sagte Lang, die Juden auszuweisen; einstweilen könne man aber doch den Zünften eine gewisse Aussicht eröffnen und sie zahlen lassen, das übrige könne man getrost der Zukunft überlassen. Man würde eine Untersuchung einleiten und auch die Judenschaft vernehmen, die sich gewiss dem Kaiser auch ihrerseits nicht verächtlich empfehlen würde. Überhaupt, sagte Philipp Lang, würde der Kaiser viel mehr Mittel haben, wenn seine Umgebung redlich sei; er sei arm und habe reiche Diener, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen; er, Philipp Lang, könnte ihm über manches die Augen öffnen, wenn der Kaiser ihn beschützen und seiner Huld versichern wollte.
Diese Andeutung bezog sich auf Matkowsky, und da dem Kaiser das sichere und trostreiche Wesen Langs zusagte, fand derselbe bald Gelegenheit, noch mehr Verdacht auf den begünstigten Kammerdiener fallen zu lassen. Matkowsky sei keineswegs von Ergebenheit gegen den Kaiser erfüllt, sondern sei ein Werkzeug der böhmischen Protestanten und habe deswegen durch falsche Anklagen den Grafen Rumpf gestürzt, der das Haupt der katholischen Partei gewesen sei. Durch seinen Argwohn und seine Befürchtungen habe er den Kaiser mit einem schwarzen Netz von Schwermut umgarnt und ihn krank und ohnmächtig gemacht. Wozu die Melancholie und die Furcht? Er sei der mächtigste Monarch der Erde, die Einkünfte der reichsten Länder ständen ihm zu Gebote, er brauche gewissermaßen nur wie ein Zauberer einen Ring zu drehen, so sei die Erfüllung seiner Wünsche schon da, wenn er nur seine Kraft und sein Vermögen recht erkennte und anwendete. Was vermöchte sein Bruder Matthias gegen ihn? Derselbe sei ein vorzeitig gealterter Mensch, ohne Nachkommenschaft, arm und von ihm abhängig, eine Puppe in den Händen des Bischofs von Wien, der doch schließlich nur des Kaisers Untertan sei. Der Kaiser solle Matkowsky entfernen, der einen unheilvollen Schatten auf sein Gemüt geworfen habe und ein nichtswürdiger Ketzer sei; bei einem Prozess würde sich ergeben, dass er ein großes Vermögen besitze, welches dem Kaiser abgestohlenes Gut sei, und die Konfiskation desselben würde billigerweise die kaiserliche Kasse füllen.
Dieser Rat wurde befolgt und erwies sich nützlich, indem Matkowsky in der Tat ein nennenswertes Vermögen besaß, wovon Philipp Lang sich die größere Hälfte aneignete, während der Rest an den Kaiser kam.
Der andere Günstling des Kaisers war Graf Hermann Christoph Rußworm, ein schöner, heißblütiger Offizier, der sich in den Türkenkriegen mehrfach hervorgetan hatte und nun der höchsten Stufe militärischer Macht zustrebte. Dieser herrschsüchtige und rücksichtslose junge Mann war weder unter den Hofherren noch beim Kriegsrate, noch bei seinem Vorgesetzten, dem Feldmarschall Adolf von Schwarzenberg, beliebt, ja sein Verhältnis zu diesem war so misslich, dass er sich kaum länger hätte halten können, wenn jener nicht kurz nach seinem großen Siege bei Papa vom Tode wäre hingerafft worden. Rußworm hoffte in die offene Stelle einzutreten, wozu der Kaiser auch geneigt gewesen wäre; aber er getraute sich nicht, einem so jungen Menschen gegen den allgemeinen Wunsch eine so verantwortungsvolle Würde zu übertragen, und so erhielt sie der Herzog Philipp Emanuel von Mercoeur, ein Mann, der mit dem Ruhme der Kriegserfahrung den edler Sitten vereinigte.
Auf der Reise nach Ungarn jedoch wurde Mercoeur in Nürnberg von einem bösartigen Fieber ergriffen. Durch den Arzt auf die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs hingewiesen, bat er den Rat der Stadt um Erlaubnis, einen katholischen Geistlichen kommen zu lassen, der ihm die Sterbesakramente reichen sollte, wurde aber abschlägig beschieden, weil das den städtischen Satzungen zuwiderlaufe und ein bedenkliches Beispiel geben könne. Als der Zustand des Kranken sich gegen den Abend verschlimmerte, schickte er noch einmal an den Rat, der die Antwort gab, zu so später Stunde könne man nicht so viele Herren zusammenbringen, dass ein gültiger Beschluss zustande komme, man wolle die Sache am folgenden Morgen in Erwägung ziehen und ihm dann Bericht sagen. Von seinem Sterbebette aus ließ Mercoeur dem Rate sagen, er habe nicht gewusst, dass die Angelegenheit so schwierig sei, und bitte um Verzeihung, dass er den Herren eine solche Ungelegenheit bereitet habe; worauf er seinen Geist aufgab.
Doch erfüllte sich Rußworms Hoffnung noch nicht sogleich; erst als auch der Nachfolger des Mercoeur, Graf Solms, eines plötzlichen Todes gestorben war, beförderte Rudolf seinen Liebling zum Oberbefehl. Wenn der stolze Mann im glänzenden Harnisch vor den Kaiser hintrat, so glich er dem Ritter Georg, der sich von seinem himmlischen Herrn zum Kampfe gegen den Sündendrachen weihen lässt. Wenn er schwur, dass der Kaiser ihm Gott auf Erden sei, dass er seinen Namen unter Heiden und Ketzern groß machen, ja seinen besten Freund und eigenen Bruder um des Kaisers willen niederstoßen würde, so fühlte dieser, dass es dem jungen Kriegshelden damit Ernst sei und dass er sich auf seine Ergebenheit durchaus verlassen könne. Rußworm zweifelte niemals weder an den Rechten des Kaisers in irgendeiner Beziehung noch an seiner eigenen Fähigkeit und Unüberwindlichkeit. Mit der Erlaubnis, frei zu reden, ausgestattet, erzählte er dem Kaiser, sein Heer, soweit es deutsch sei, sei ihm ganz ergeben und würde unter seiner Leitung jeden Feind besiegen, wäre es nur nicht durch die Trägheit und Selbstsucht des Kriegsrates und durch die Zweideutigkeit der welschen1 Offiziere gehemmt. Die Welschen, die ja die Mehrzahl der hohen Stellen innehätten, die Basta, die Gonzaga, die Belgiojoso und viele andere, umgarnten wohl das kaiserliche Ohr mit schmeichlerischen Worten, meinten es aber nicht ehrlich; das Schicksal des Reiches sei ihnen, den Fremden, gleichgültig, sie wollten nur ihre Taschen füllen, säßen wie habgierige Geier über den ihnen anvertrauten Provinzen und verließen sie, selbst vollgesogen, als ausgemergelte Wüsten. Der Kaiser sei zu milde, er habe das Schwert über den Erdkreis und solle seine Schärfe der Welt zeigen. Die Ketzer spotteten seiner und rühmten sich, er sei ihnen heimlich zugetan oder er fürchte sich, sie offen zu bekämpfen; wollte er nur einmal seine Majestät scheinen lassen, so würden sie geblendet niederfallen, und die alte Kaisermacht würde sich erneuern.
Siegesnachrichten vom Schauplatze des Türkenkrieges trugen dazu bei, den Kaiser in Vorstellungen von unerschütterlicher Macht zu wiegen. Der Bildhauer Adriaen de Vries erhielt den Auftrag, ihn geharnischt, in olympischer Haltung, gleichsam als einen Jupiter darzustellen, und durfte sogar zuweilen in Rudolfs Gegenwart, mit Benutzung seiner Person arbeiten. Der ihm von Philipp Lang dargebrachte Glückwunsch, dass er nach Überwindung der hässlichen Krankheit als ein anderer Herkules vergnügt und vergöttlicht aus der Asche des Scheiterhaufens steige, leuchtete ihm ein, und er beeilte sich, die Erde soweit wie möglich vor seiner Macht erzittern zu lassen.
Staunend und mit Kopfschütteln hörten die Prager zu, wie auf den Gassen und Plätzen unter Trompetenschall ein jahrhundertaltes Edikt verlesen wurde, welches die Anhänger der Böhmischen Brüderunität mit dem Tode bedrohte. Der protestantische Herrenstand überlegte sich, ob etwas vorzunehmen, etwa ein Aufstand einzuleiten sei; aber da geraume Zeit verging, ohne dass dem wunderlichen Erlass etwas Weiteres folgte, vielmehr alles beim alten blieb, ließ man es hingehen. So konnte dem Kaiser berichtet werden, das Edikt sei vom ganzen Volke mit stillschweigender Unterwürfigkeit aufgenommen, worauf eine weit schärfere Maßregel, um Ungarn zu schrecken, erfolgte: es wurden nämlich alle Gesetze und Verordnungen bestätigt, die seit König Stephans Zeiten zum Schutze der katholischen Religion erlassen waren.
Dies gewaltsame Gesetz, das nichts weniger als die Ausrottung des Protestantismus bedeutete, schlug in Ungarn, das sich ohnehin in einem Zustande dauernder Gärung befand, als ein Zeichen zum Aufruhr ein, der sogleich auch Siebenbürgen ergriff und Mord und Blutvergießen in dem wilden Lande hervorrief. Unbehagen erfasste die habsburgische Familie und auch die kaiserlichen Räte; denn wenn man die schwierige Stimmung der Protestanten im Reich bedachte und wie sie jederzeit im trüben zu fischen geneigt wären, ferner, dass der Kaiser kein Geld hatte und infolgedessen auch kein zuverlässiges Heer aufbringen konnte, um einer großen Kriegsmacht zu widerstehen, so hatte es das Ansehen, als steuere man unaufhaltsam dem Abgrunde zu. Der Grausamkeit der Basta und Belgiojoso, die zuerst zur Durchführung des Ediktes, dann zur Niederwerfung des Aufstandes nach Ungarn geschickt waren, gelang es wohl, das Feuer an einzelnen Orten zu ersticken, aber es flammte stets an anderen desto heftiger auf, und schließlich hielt es der Kriegsrat für notwendig, Basta, den unmenschlichen Neapolitaner, zurückzurufen, damit das kaiserliche Regiment nicht vollends verhasst gemacht werde. Die Feinde Bastas, an deren Spitze Rußworm stand, ergriffen die Gelegenheit und verlangten die Bestrafung dieses Teufels, der unter dem Vorwande der Religion seiner Lust an Quälerei und Blutvergießen gefrönt, eine Menge Menschen wahllos dem Henker überliefert und durch Verhöhnung und Vergewaltigung der Opfer seinen Namen fluchwürdig gemacht habe. Rußworm selbst leitete das Gericht, vor dem sich Basta zu verantworten hatte, und zweifelte nicht am Untergange seines Gegners, dem eine Reihe schändlicher Vergehen nachgewiesen waren, als der Prozess plötzlich eine andere Wendung nahm, indem Basta eine Vollmacht des Kaisers vorlegte, nach welcher er über seine Verwaltung Ungarns niemandem sollte Rechenschaft abzulegen haben und jedes ihm gut dünkende Mittel zur Bekämpfung des Aufstandes sollte anwenden dürfen. Außer sich vor Entrüstung, eilte Rußworm zum Kaiser, der denn auch leugnete, die Vollmacht ausgestellt zu haben; Basta, meinte er, müsse sie sich wohl auf betrügerische Weise verschafft haben. Im ersten Augenblick fühlte sich Rußworm erleichtert; aber wie er von der Burg herunterstieg, sank seine Stimmung. Die Miene des Kaisers, sein unsicherer Blick, der schnelle Wechsel der Farbe auf seinem blassen Gesicht schwebten ihm vor und wollten ihm nicht gefallen; er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kaiser die Unwahrheit gesagt habe. Er dachte sich den Zusammenhang so, dass Lang, von Basta bestochen, Rudolf die Unterschrift abgelistet habe; man wusste ja, dass er die Geschäfte hasste und sie sich gern von seinem Kammerdiener abnehmen ließ. Rußworm bemerkte, dass die Richter im Allgemeinen den Worten des Kaisers keinen Glauben schenkten, und wenn dies auch nicht geradezu ausgesprochen wurde, so fiel doch dementsprechend das Urteil milde aus, was anfangs niemand für möglich gehalten hatte.
Diese Niederlage Rußworms ermutigte seine italienischen Feinde, und selbst unter seinen früheren Anhängern waren manche, die es ihm jetzt verdachten, dass er, dessen Laufbahn von Gewalttätigkeiten keineswegs frei war, einen Kameraden hatte richten wollen. Es war an einem warmen Sommerabend im Jahre 1605, als er, von einer Audienz beim Kaiser heimkehrend, an einer Straßenecke auf Francesco Belgiojoso stieß, der, festlich in Weiß gekleidet, im Begriffe schien, eine Gesellschaft aufzusuchen. Zwischen ihnen entspann sich ein Wortwechsel und Kampf, in dessen Verlaufe Belgiojoso von einem Diener Rußworms erstochen wurde; ob der Italiener, wie Rußworm behauptete, ihm aufgelauert hatte, um ihn zu überfallen, und er in der Notwehr sich befunden hatte, ließ sich zunächst nicht feststellen. Da es nicht das erste Mal war, dass Rußworm einen Gegner im angeblichen Zweikampf getötet hatte, rechnete er auch diesmal mit Sicherheit darauf, dass die Untersuchung unterdrückt werden oder nur zu einer leicht zu ertragenden Scheinstrafe führen würde.
Indessen das gefängnisartige Zimmer, in dem er verwahrt, und die Rücksichtslosigkeit, mit der er behandelt wurde, machten ihn stutzig, und vollends als er die vielen Anklagepunkte las, die die Grundlage eines gegen ihn eingeleiteten Prozesses bilden sollten, erschrak er und begriff, dass es auf seinen Untergang abgesehen war. Er wurde da nicht nur beschuldigt, den Belgiojoso getötet, sondern auch den Herzog von Mercoeur und den Grafen Solms ermordet zu haben, die seinem Ehrgeiz im Wege gewesen wären, ja er sollte den schmählichen Ausgang eines Feldzuges gegen die Türken verschuldet haben, den der junge Erzherzog Ferdinand in so unzureichender Weise geführt hatte, dass Rußworm, als er zu seiner Hilfe herbeieilte, das unglückliche Ende nicht mehr abwenden konnte. In dieser Bedrängnis wusste Rußworm keinen Mann von Einfluss am Hofe, der für ihn hätte wirken wollen, nur auf die Gnade des Kaisers hoffte er; zuweilen jedoch fiel ihm dessen blasses Gesicht und seine furchtsame Haltung von jenem Tage ein, wo er ihn wegen Bastas Vollmacht befragt hatte, und dann wurde ihm bange zumute. Sollte es wahr sein, was Graf Kinsky, den er als einen evangelischen Böhmen verachtete, gesagt haben sollte, dass die heilige kaiserliche Majestät ein hohles Binsenrohr und ein feiger, zweizüngiger Lügner sei? Er verscheuchte den Gedanken und sprach sich selbst Zuversicht ein; wenn er nur zu ihm gelassen würde, dachte er, würde er Rudolf wie sonst für sich gewinnen.
Unter der Dienerschaft des Kaisers war einer, der Ofenheizer Blahel, der Rußworm anhing, und diesem gelang es, sich mit dem Gefangenen in Verbindung zu setzen. Blahel hatte früher des Kaisers Vertrauen besessen, aber in der letzten Zeit, klagte er, sei er von Philipp Lang verleumdet und verdrängt worden. In dem düsteren Stübchen, das Rußworm nicht verlassen durfte, saß der geängstigte Mensch und weinte, seit Tagen sei es ihm nicht möglich gewesen, allein mit dem Kaiser zu sprechen, Lang sei der Schwarzen Kunst mächtig und habe den alten Herrn behext. Er könnte entsetzliche Dinge von Lang sagen, wenn er es sich getrauen dürfte; auch Rußworms Schicksal wäre in seiner Hand, und Rußworm hätte einen großen Fehler begangen, dass er sich nicht Langs Gunst zu erwerben versucht hätte. Nein, sagte Rußworm, mit den Zähnen knirschend, Lang sei ein schnöder Jude und ehrloser Mensch, vor dem erniedrige er sich nicht, lieber wolle er sterben. Ach, sagte Blahel, warum er sich so aufblasen wolle? Selbst der Erzbischof von Prag, der Herr von Lamberg, hätte Lang seinen größten Beförderer genannt und ihn ganz untertänig zu seiner Konsekration eingeladen; und der Erzherzog Matthias hätte erst kürzlich einen Brief an ihn geschrieben, in dem er ihn seinen insonders hochvertrauten, vielgeliebten Herrn und Freund genannt hätte. »Wenn ich ihn sähe«, sagte Rußworm, »würde ich ihm ins Gesicht speien.«
»Es ist nun auch doch zu spät«, sagte Blahel, »er hasst Euch so, dass ein Sack voll Goldstücke ihm nicht Euren Kopf aufwägen würde.«
Ein Vetter Rußworms, der sich dem Kaiser zu Füßen werfen wollte, wurde nicht vorgelassen, und ein anderer Versuch, der zu seiner Rettung unternommen werden sollte, verschlimmerte nur seine Lage. Seit nämlich im Reiche die Frage, wer Rudolfs Nachfolger werden sollte, besprochen wurde, zogen einige evangelische Fürsten in Betracht, ob Maximilian, der Herzog von Bayern, sich dazu schicken und bereit finden lassen würde. Sie berechneten, dass dadurch Bayern für immer von Österreich getrennt und die katholische Partei gespalten würde; nur fragte es sich, ob Maximilian, der das durchschauen musste, für einen so gewagten Schritt zu gewinnen wäre. Auf vorsichtige Andeutungen antwortete der Herzog ausweichend und dachte bei sich, dass er die stachelige Krone nur dann nicht ausschlagen würde, wenn er dabei von österreichischer Seite keine Gefahr liefe. Er tat einige unvorgreifliche Schritte, indem er Rußworm, den ruhmvollen Feldherrn und Günstling des Kaisers, mit dessen Bewilligung in seinen Dienst nahm und indem er einen Gesandten nach Paris schickte, der insgeheim zu erforschen hatte, wie seine Bewerbung etwa aufgenommen werden würde. Der Kaiser war es wohl zufrieden, einen so mächtigen und angesehenen Reichsfürsten gegen seinen Bruder ausspielen zu können, andererseits erfüllte ihn die Anmaßung des Bayernherzogs, der ihm überhaupt nicht geheuer war, doch mit Widerwillen, und seine Fürbitte zugunsten Rußworms schien ihm damit im Zusammenhang zu stehen. Der von Lang angeregte Verdacht, Rußworm habe ohne Zweifel von den verräterischen Plänen des Herzogs gewusst, wohl mit daran geholfen, erbitterte den Kaiser dermaßen, dass er nicht länger zögerte, sondern den vielen Stimmen nachgab, die den Tod des unbezähmbaren Feldherrn forderten.
Ein bänglich weissagendes Gefühl beschlich Rußworm, als ihm hinterbracht wurde, dass seine Diener, die beim Tode des Belgiojoso zugegen gewesen waren, gefoltert und, obwohl man kein Geständnis von ihnen habe erpressen können, hingerichtet wären. Blahel hatte die Exekution mit angesehen und schlich sich in der Dunkelheit zu Rußworm, um ihm davon zu erzählen. Der eine habe ein freches Lied gepfiffen und deshalb von dem Jesuiten, der neben ihm gegangen sei, eine Maulschelle empfangen, was die anderen begleitenden Pfaffen getadelt hätten, sodass es unter diesen fast zu einer Schlägerei gekommen wäre; der andere wäre, seiner Meinung nach, vor Angst gestorben, als ihm die Schlinge um den Hals gelegt worden wäre; denn er hätte nicht das wenigste gezappelt. »Die haben es hinter sich«, sagte Blahel, »wenn es mit uns nur auch schon vorüber wäre.« Am folgenden Tage wurde er wegen der entdeckten Zwischenträgerei mit Rußworm verhaftet, und dieser hörte nun nichts mehr von draußen.
Daran, dass er zum Tode verurteilt werden würde, zweifelte er nicht mehr; aber dass das Urteil ausgeführt würde, das glaubte er doch nicht, im letzten Augenblick würde die Gnade des Kaisers dazwischentreten.
Es war ein dunkler Novembertag, als ihm angekündigt wurde, dass er sein Gefängnis verlassen müsse, um nach dem Rathause übergeführt zu werden: ein weiteres Zeichen des nahen Endes. Die lange Haft hatte ihn so schwach gemacht, dass er ohne Hilfe die steile Treppe nicht hinuntersteigen konnte. Das Zimmer, das ihm angewiesen wurde, war größer und luftiger als das vorige, die Tür war von Soldaten bewacht, die bloße Schwerter in der Hand und Gewehre über der Schulter hängen hatten. Im Laufe des Tages wurde ihm das Todesurteil zur Kenntnis gebracht, und gleichzeitig kam der Jesuit, der ihn vorbereiten und seine Beichte empfangen sollte. Anfänglich gebärdete sich Rußworm ungestüm entrüstet als das Opfer boshafter Ränke und tyrannischer Willkür; aber die verständnisvolle Milde des Geistlichen machte ihn allmählich zugänglicher. »Ich glaube Euch«, so etwa sagte dieser, »dass rachsüchtige Feinde die Ursache Eures Todes sind, auch mag es sein, dass jener Belgiojoso nicht von Eurer Hand gefallen ist oder dass er Euch nach dem Leben stellte; aber anstatt an Eure Feinde und ihr Unrecht zu denken, vergleicht Euch mit jenem Mercoeur, der, ein tadelloser Held, durch den Willen Gottes unter Ketzern sterben musste, oder vergleicht Euch mit dem Herrn Christus, unserem Heiland, der zwischen Missetätern am Kreuze hing. Scheint es Euch dann noch, als ob Ihr schuldlos littet? Ist kein Flecken auf Eurem Gewissen, den mit Eurem Blute tilgen zu dürfen Euch lieb sein sollte?«
Rußworm wurde hierauf schweigsam und nachdenklich. Da der Pater ihn nach einer Weile fragte, ob er das heilige Abendmahl zu nehmen wünsche, bat er, zunächst eine Weile allein bleiben zu dürfen; er fühle das Bedürfnis, in sein Inneres einzukehren und sich mit Gott zu versöhnen, bevor er das Sakrament empfinge.
Dunkel zusammengeballt waren Gefühle und Gedanken in der Seele des Feldherrn emporgestiegen; es graute und gelüstete ihn zugleich, sie zu entwirren. Er trat an das Fenster und sah in die unruhige Spätherbstnacht hinaus: wie eine Herde hungriger Wölfe jagte der Wolkenhimmel über die schaudernde Stadt hin. Vor der kalten, nassen Luft, die durch die Fugen drang, zog Rußworm unwillkürlich seinen Mantel dichter über sich zusammen. Es fiel ihm auf einmal die langvergangene Zeit ein, wo er sich vor der Dunkelheit in die Arme der Mutter geflüchtet hatte. Wie hatte ihn einst ihr Kuss beseligt, mit dem sie zuweilen, wenn er fragend zu ihr aufsah, ihm die Augen schloss! An seinem Bette hatte sie das Lutherlied gesungen, und er erinnerte sich plötzlich deutlich an das trotzige Blitzen ihrer schönen Augen, das sich für ihn mit dem Gesang verknüpfte. Wie hatte er später, als Katholik, dies Lied so hassen können, dass er, wenn er es in einer Kirche singen hörte, sich kaum zurückhalten konnte, mit seinen Soldaten einzubrechen und den Ketzern mit dem Schwerte das Maul zu stopfen? Hatte er sich überhaupt immer zurückgehalten? Fast nie mehr hatte er an seine Kindheit zurückgedacht; der Tag seines Religionswechsels hatte ihn von der Wurzel seiner Vergangenheit losgerissen und den Stürmen des Schicksals preisgegeben. In die blendende Zukunft stürzte er sich, deren Gipfel er in einem Anlauf nehmen wollte, einen Gipfel des Ruhmes, des Reichtums, aller irdischen Genüsse. Wer ihm dabei im Wege stand, den betrachtete er als seinen Feind; niemals war es ihm in den Sinn gekommen, das Recht der anderen und eigenes Recht oder Unrecht abzuwägen.
Ein graues Schloss im Elsaß stieg vor ihm auf, dessen unheilvolle Schwelle seine Erinnerung nie wieder betreten hatte; nun tat er es unwillig, mit der Hand den Griff des Fensterkreuzes umklammernd. Im Auftrage seines damaligen Vorgesetzten, des Marschalls Bassompierre, hatte er es besetzt und zugleich den Schutz einer vornehmen Dame und ihrer Tochter übernommen, die sich dorthin geflüchtet hatten. Die Mutter war schöner; aber das Mädchen, fast noch Kind, hatte ihn wie einen Gesandten Gottes angesehen, dessen Beruf es sei, das Böse auf Erden zu bekämpfen, und ihr bewundernder, unbewusst sich hingebender Blick hatte ihn hingerissen. Nachdem er sie verführt hatte, schien es ihm, als habe sie schuld an der ärgerlichen Sache, und die Empörung und Verzweiflung der Mutter und das Flehen des Kindes erregten eine so grausame Lust in ihm, dass er die Geschändete in einer wilden Nacht seinen trunkenen Kameraden überließ. Er fühlte keine Reue, sondern Wut und Hass, als er die entehrenden Worte hören musste, mit denen Marschall Bassompierre ihm seine unritterliche Tat vorwarf. Vor schmachvoller Strafe rettete ihn die Flucht, und schon wähnte er sich sicher, als ein zufälliges Abenteuer ihn wieder in die Hände des Marschalls führte, der unverzüglich das Todesurteil an ihm vollziehen wollte.
Damals war er verfallen. Warum büßte er nicht willig seine ersten Verbrechen? War es Gott, der ihm noch einmal die Freiheit gab, damit er sich durch edle Taten entsündigte? Er jedoch hatte die Frist benützt, um sich desto tiefer in die Hölle zu verstricken. Jetzt schien es ihm, als habe er, während er sich der zweiten glücklichen Flucht gerühmt und sie als Gewähr betrachtet habe, dass er gefeit vor Gefahren sei, zutiefst in der Brust das Bewusstsein getragen, dass er ein entronnener Verbrecher sei. Er sah sich, wie er den Soldaten, den Kameraden, den Vorgesetzten erschien: stolz, gefürchtet, bewundert, gehasst; wie ihm nichts genügte und eine sinnlose Ungeduld ihn vorwärts trieb. Die Siege, die ein anderer errang, freuten ihn nicht, die Ehren, die anderen zuteil wurden, schmerzten ihn schlimmer als Wunden. Ermordet hatte er weder Schwarzenberg noch Mercoeur, noch Solms; aber hätte er sie nicht sterben lassen, wenn es in seiner Macht gewesen wäre? Gewiss war, dass ihr Tod ihm willkommen war und dass er sich einbildete, Gott habe alle diese Männer hingemäht, damit er aufstiege. Er, der alle hasste, die über ihm waren, vergab niemals Neid oder Eifersucht und Widersetzlichkeit, die sich gegen ihn richteten. Er sah sich bei Raab, als die Türken besiegt und in die Flucht geschlagen waren, wie er, trunken vom Schlachten, triefend und klebend von Schweiß, Schmutz und Blut, durch das verlassene Lager der Türken voll der von ihnen zurückgelassenen Schätze ritt, deren größter Teil ihm, als dem Feldobersten, zufallen musste. Als sein Blick auf zwei Offiziere fiel, die sich über einen Haufen kostbarer Waffen hergemacht hatten und eben einen krummen Säbel aus geätztem Silber mit einem edelsteinbesetzten Knauf in den Händen hielten, übermannten ihn Zorn und Gier, sodass er vom Pferde sprang und sie Diebe schalt, die sich seines Eigentums bemächtigten. Der eine von ihnen erschrak und entschuldigte sich, insofern es nicht erlaubt war zu plündern, solange der Feind noch verfolgt wurde; der andere, ein Neapolitaner, gab eine gereizte Antwort, die zu rächen sich Rußworm vorbehielt. In Prag war es, Jahre nachher, als er in das Zimmer dieses Mannes drang, ihm ins Gesicht schlug und ihn, als er den Degen zog, im raschen Zweikampf erstach. Der war nicht der einzige, der von seiner Hand gefallen war.