Buch lesen: «Der Heilige Geist und das Auto»
REINHOLD STECHER
Der Heilige Geist und das Auto
Mit Bischof
REINHOLD STECHER
durch das Jahr
Herausgegeben von Klaus Egger
im Auftrag der Diözese Innsbruck
Tyrolia-Verlag · Innsbruck-Wien
Die Bibelzitate sind der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift entnommen.
Wir danken der Katholischen Bibelanstalt für die freundliche Abdruckgenehmigung (Jes 40,3–5; Joh 1,1.14).
© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2015
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung und Layout: Tyrolia-Verlag
Das Umschlagbild zeigt die Universitätsstraße in Innsbruck; links der Eingang in die Hofkirche, rechts die Eingänge zum Franziskanerplatz und in die Altstadt Lithografie: Artilitho, Lavis (I)
ISBN 978-3-7022-3472-0 (gedrucktes Buch)
ISBN 978-3-7022-3473-7 (E-Book)
E-Mail: buchverlag@tyrolia.at
Internet: www.tyrolia-verlag.at
Inhalt
Vorwort
Noch lebendig kann ich mich an die Predigt von Bischof Reinhold Stecher bei meiner Priesterweihe 1994 erinnern. Das Evangelium vom Wachsen der Saat hat nahegelegt, dass der Bischof in die Rolle des Bauern schlüpft und uns Weihekandidaten die Kunst der Seelsorge im Bild der bäuerlichen Tätigkeit erschließt. Ein Beispiel unter vielen. Wer hätte damals und zu Lebzeiten von Bischof Stecher gedacht, dass ein Papst jene Prinzipien von Verkündigung und Predigt in Erinnerung ruft, die wesentliche Eckpunkte für Reinhold Stecher gewesen sind?
„Die Homilie ist der Prüfstein, um die Nähe und die Kontaktfähigkeit eines Hirten zu seinem Volk zu beurteilen. In der Tat wissen wir, dass die Gläubigen ihr große Bedeutung beimessen; und sie, wie die geweihten Amtsträger selbst, leiden oft, die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen. … Ein Prediger ist ein Kontemplativer, der seine Betrachtung auf das Wort Gottes und auch auf das Volk richtet. Auf diese Weise macht er sich vertraut, ‚mit den Wünschen, Reichtümern und Grenzen, mit der Art zu beten, zu lieben, Leben und Welt zu betrachten, wie sie für eine bestimmte Menschengruppe charakteristisch sind‘, achtet dabei auf das konkrete Volk mit seinen Zeichen und Symbolen und antwortet auf seine besonderen Fragen. … Eine der nötigsten Anstrengungen ist zu lernen, in der Predigt Bilder zu verwenden, das heißt, in Bildern zu sprechen. … Die Bilder hingegen helfen, die Botschaft, die man überbringen will, zu schätzen und anzunehmen. Ein anziehendes Bild lässt die Botschaft als etwas empfinden, das vertraut, nahe, möglich ist und mit dem eigenen Leben in Verbindung gebracht wird. Ein gelungenes Bild kann dazu führen, dass die Botschaft, die man vermitteln will, ausgekostet wird; es weckt einen Wunsch und motiviert den Willen im Sinne des Evangeliums. … Wenn man sich an die Sprache der anderen anpassen will, um sie mit dem Wort Gottes zu erreichen, muss man viel zuhören, das Leben der Leute teilen und ihm gerne Aufmerksamkeit widmen. … Ein anderes Merkmal ist die positive Sprache. Sie sagt nicht so sehr, was man nicht tun darf, sondern zeigt vielmehr, was wir besser machen können. Wenn sie einmal auf etwas Negatives hinweist, dann versucht sie immer, auch einen positiven Wert aufzuzeigen, der anzieht, um nicht bei der Klage, beim Gejammer, bei der Kritik oder bei Gewissensbissen stehen zu bleiben.“ (Aus: Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“, 2013)
Im Rahmen des Diözesanjubiläums „50 Jahre Diözese Innsbruck“ im Jahr 2014 haben in allen Regionen unseres Kirchengebietes „Konzilstage“ stattgefunden. Ziel war es, mit engagierten Christinnen und Christen jene Anliegen zu suchen und zu besprechen, die „unter den Nägeln brennen“. Als ganz wesentliche Fragen sind dabei durchgehend die Weitergabe des Glaubens und die Sprache in Liturgie und Kirche benannt worden. Wie heute den Glauben weitergeben? Wie den Glauben so ins Wort bringen, dass die Menschen seine Schönheit und Tragkraft verstehen? Mögen die Predigten von Bischof Reinhold Stecher jenen, die sie im Lesen betrachten, und jenen, die sich von ihren Worten berühren lassen, ein großes Stück Freude am Glauben erschließen! Und möge das Auto unseres Glaubens einen neuen Turbo erhalten.
Jakob Bürgler
Generalvikar der Diözese Innsbruck
Einführung
DER PREDIGTPREISTRÄGER
Bischof Reinhold Stecher wurde am 22. November 2010 in Bonn für sein Lebenswerk mit dem Ökumenischen Predigtpreis ausgezeichnet. In der Begründung heißt es:
„Die Predigten Stechers zeichnen sich durch theologischen Tiefgang aus, verbunden mit einer hohen Bildhaftigkeit und Anschaulichkeit. Sie atmen den Geist der Freiheit eines Christenmenschen und sind stets mit einer Portion Humor gewürzt. Sie machen nachdenklich und lassen seine Zuhörer schmunzeln. In alledem ist dem profilierten Prediger seine faszinierende Tiroler Heimat Sprache Gottes an den Menschen von heute.“
Er selbst schreibt in der Meditation „Der Heilige Geist und das Auto“:
„Immer, wenn ich von den tiefsten und überwältigendsten Wahrheiten unseres Glaubens sprechen soll, stoße ich auf diese Schwierigkeit: Ich spüre das ganze Unvermögen meiner Sprache. Ich fühle mich an den Grenzen meines Denkens und meiner Mitteilungsmöglichkeit. Und doch soll ich die Botschaft weitersagen, dass sie da und dort ankommt. So geht es mir jetzt: Wie soll ich von dem reden, der alles erfüllt und alles bewegt – dem Heiligen Geist?
Mit dem Blick auf das Vorbild unseres Herrn wage ich es, auf die Suche nach Bildern und Vergleichen in unserer Lebenswelt zu gehen. Es war auf der Heimfahrt von einer Firmung, am späten Abend, durch das nächtliche Land. Da hat sich in mein Sinnen über den Geist Gottes das Auto in die Meditation gedrängt.“ (Die ganze Meditation findet sich auf Seite 73.)
In diesen wenigen Sätzen bringt Reinhold Stecher auf den Punkt, was ihn im Blick auf seinen Verkündigungsauftrag als Priester und Bischof bewegt. Man fühlt sich geradezu an den Abschluss der Gleichnisrede im Markusevangelium erinnert, wo es heißt: „Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? Es gleicht einem Senfkorn … Durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten“ (Mk 4,30.33).
Immer wieder hat Reinhold Stecher dieses Suchen nach Bildern und Vergleichen umgetrieben, um die Botschaft des Evangeliums so zu verkünden, dass sie dem Menschen von heute zugänglich wird. Wenn Jesus gesprochen hat, dann sind die Menschen in Scharen gekommen, um ihn zu hören. Er hatte eine gute Nachricht für alle, die arm dran sind und sich nach einem erfüllten Leben sehnen, das mehr ist als bloßer Alltag, das ein Fenster öffnet zu dem, was die wahre Höhe und Tiefe des Lebens ausmacht, zu einem Leben, über dem sich ein offener Himmel zeigt, das zu einem menschlichen Miteinander motiviert.
Aus dem reichen Predigtschatz von Reinhold Stecher sollen in diesem Band Texte vorgelegt werden, die heute genauso aktuell sind wie zu der Zeit, da sie gesprochen wurden. Sie möchten die Leserin, den Leser, begleiten auf ihrer Suche nach Wegweisern für ein Christenleben im Hier und Heute, durch den christlichen Jahreslauf mit seinen großen und kleinen Festen, als Ermutigung an großen Lebenswenden, im Blick auf prägende Vorbilder und auf einen geerdeten Glauben im Alltag des Lebens.
Ehe wir diese Predigtschatztruhe nun öffnen, möchte ich Sie zu einem Blick hinter die Kulissen einladen. In einem Vortrag für Diakone mit dem Titel „Kleiner Küchenleitfaden für Predigt und Verkündigung“ hat Reinhold Stecher aus seinen reichen Erfahrungen in etwas gelockerter Form ein „Kochbuch“ zur Predigt zusammengestellt. Darin heißt es unter anderem:
„Variiere dein Menü je nach deinen Gästen! Kranke brauchen Trost, Kinder brauchen Fröhlichkeit, Intellektuelle brauchen Weisheit, die den Hausverstand nicht verachtet und doch nicht von dieser Welt ist, Fernstehende brauchen Erinnerung an das, was ihnen fehlt, einen Verstärker für die Hoffnung, die unter der Asche der Enttäuschung ja doch glimmt, … und alle brauchen die befreiende Wahrheit Jesu.“
Reinhold Stecher hat sich in seinen eigenen Predigten genau an dieses Rezept gehalten. Er hat seine jeweiligen Zuhörer in ihrer eigenen Welt und Lebenssituation abgeholt und ihnen den Tisch des Heils gedeckt.
Die in diesem Band abgedruckten Texte stammen alle aus der Zeit zwischen 1980 und 2011. In Einzelfällen wurden Personennamen und situationsbedingte Hinweise, die heute überholt sind, ausgeblendet. Der Vorspann zu den einzelnen Kapiteln, Überschriften und kleinere Hinweise zu manchen Texten stammen vom Herausgeber.
Innsbruck, im Sommer 2015 | Klaus Egger |
WEGWEISER ZUM CHRISTSEIN
Im Jahr 2002 hat Reinhold Stecher im Wiener Rathaus die Festansprache zum 50. und 25. Bischofsjubiläum von Kardinal Franz König und Weihbischof Helmut Krätzl gehalten. Das Wirken der beiden großen Kirchenmänner hat er im Bild des Wegweisers aufleuchten lassen (vgl. Reinhold Stecher, Mit gläubigem Herzen und wachem Geist, S. 262–268). Wenn man diese Rede heute liest, dann kann man darin auch ein Selbstporträt von Bischof Stecher entdecken. Auch er gehörte und gehört zu den großen Wegweisern für Kirche und Gesellschaft, für ein Christsein im Hier und Heute.
Neben Vorträgen und öffentlichen Stellungnahmen waren es vor allem seine Hirtenbriefe in der Fastenzeit, die in einer Zeit sich überstürzender Ereignisse Orientierung geschenkt haben und immer noch schenken. Die hier abgedruckten Schreiben an alle Christinnen und Christen nehmen sich aus wie vier kräftige Säulen, die das Leben tragen können.
Erste Säule: Das Christentum ist eine „Ja“-Religion. Es geht um das Ja zu Gott, zur Gesellschaft, zur Kirche, zum Gemeinwohl und auch zur Fröhlichkeit und zum Humor.
Zweite Säule: Die Freude an der Schöpfung, die sich in dankbarem Lobgesang zum Ausdruck bringt, dabei aber die Sorge um unsere Umwelt nicht aus den Augen verliert. Der große Trost: Gott segnet auch unsere Welt.
Dritte Säule: Die Heilige Schrift. Nach alter Tradition sind uns Menschen zwei Bücher geschenkt, in denen Gott zu uns spricht – das eine: die Natur und das andere: die heiligen Texte der Bibel. Der „Gang zur Quelle“ führt den Menschen zum Wasser des Lebens.
Vierte Säule: Das große Atemholen am Sonntag. Zu einem gesunden Lebensrhythmus gehören Arbeit und Ruhe, das Erleben von Gemeinschaft und die Begegnung mit dem Geheimnis, das wir Gott nennen. All das schenkt die Feier des Sonntags.
Diese vier Säulen stecken den großen Rahmen ab, in dem sich ein frohes und gelingendes Christsein entfalten kann.
Das große „Ja“
Das ganze Universum, die Heilsgeschichte, die Heilige Schrift hallen wider vom großen „Ja“ Gottes. Es beginnt schon bei der Schöpfung, wo der Ewige zu allem, was wird, seinen bejahenden Gruß ausspricht: „Und Gott sah, dass es gut war …“ Und dieses „Ja“ schwingt im Worte Jesu: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn dahingab …“ Das „Ja“ Gottes weht noch durch die letzten Seufzer am Kreuz und es strahlt aus dem Friedensgruß des Auferstandenen. Dieses „Ja“ Gottes fordert das „Ja“ unseres Herzens heraus. Das Christentum ist eine „Ja“-Religion. Freilich ist dieses „Ja“ ein „Trotzdem-Ja“, zu dem man sich auf dem Hintergrund von Zweifel, Unsicherheiten, Traurigkeit und Schuld durchringen muss. Und dieses „Ja“ schließt auch immer wieder ein „Nein“ ein, nämlich das zum Bösen. Aber ich glaube, dass man dieses „Nein“ sehr schwer sagen kann, wenn kein „Ja“ im Herzen schwingt. Wenn ein schwieriges „Nein“ gesagt werden muss, kann man es eigentlich nur jemandem zuliebe sagen. Das gilt schon für jedes Kind.
Das tiefste „Ja“ muss das zu Gott hin sein. Ich möchte allen wünschen, dass dieses Urvertrauen, diese „Ja“-Haltung zu Gott hin neu aufblüht. Wer sie im Herzen erfährt, weiß, was der Glaube wert ist.
Das „Ja“ der Solidarität
Unsere gesellschaftliche Situation erfordert ein bewusstes „Ja“ des Mitgefühls und der Mitverantwortung zum anderen hin. Natürlich gilt das zunächst für den engeren Kreis der Menschen, mit denen wir unmittelbar das Leben teilen. Aber heute muss dieses „Ja“ darüber hinausgehen. Wir spüren doch alle, dass sich unter dem Druck wirtschaftlich schwierigerer Zeiten Egoismen, Rücksichtslosigkeiten und reine Privatinteressen ausbreiten. Und so wächst die Gleichgültigkeit gegenüber denen, die im Schatten leben. Es gibt sie immer, die „Stillen im Lande“, die sich nicht gut artikulieren können und über keine besonderen Beziehungen verfügen, die um ihren Arbeitsplatz im bedrängten Betrieb, um ihre Wohnung, ihre Rückzahlungen, ihre Zukunft, ja auch um ihr tägliches Auskommen bangen müssen. Wenn wir nicht immer wieder das weite „Ja“ der Solidarität in unseren Herzen tragen, mit allen Konsequenzen, die es bedeutet, dann können wir die Probe unserer Zeit nicht bestehen. Dieses „Ja“ der Solidarität macht uns ja erst zu einem Volk, und ohne dieses „Ja“ wären wir nur ein bunter, wilder Haufen von Egoisten.
Das „Ja“ zur Kirche
Auch wenn ich um ein „Ja“ zur Kirche bitte, die immer noch die seine, nämlich die Kirche Christi ist, ist mir bewusst, dass dieses „Ja“ für viele nicht ganz selbstverständlich ist. Es geht im Trend der Zeit, die von Institutionen ganz allgemein nicht viel hält, leicht verloren. Selbst bei bewussten und engagierten Christen kann dieses „Ja“ in Missmut, Kritik und Ungeduld untergehen. Aber wir müssen es einfach durch alles Menschliche hindurch sagen. Es weht doch auch tausendfaches und liebenswertes Gutes durch diese Kirche. Sagen wir also unser „Ja“ in der konkreten Arbeit der Pfarrgemeinden und Gemeinschaften! Sagen wir es in den vielen Initiativen für Hilfsbedürftige, Einsame, Behinderte, Kranke, Sterbende, Flüchtlinge und Hungernde, sagen wir das „Ja“ in unseren Gottesdiensten, im Gebet und in der Musik. Sagen wir es auch zu dem vielen guten Willen, der in den Gremien unserer Diözese aufbricht. Und wenn irgendwo in einem Herzen der Gedanke an einen geistlichen Beruf aufkeimt, den das Reich Gottes ja so dringend braucht, dann möchte ich auch zu diesem leisen „Ja“ ermutigen!
Das „Ja“ zur Demokratie
Auch unser Gemeinwesen kann ein „Ja“ dringend brauchen. Der erste Petrusbrief, der die Christen zu einer konsequenten Haltung in einer pluralistisch-heidnischen Welt aufruft, sagt trotzdem „Ja“ zum damaligen römischen Staat, der wahrhaftig mehr Schönheitsfehler hatte als der unsere. Dieses so notwendige „Ja“ zum Staat und seinen Institutionen wird untergraben, wenn überbordende Kritik, Aggression und Derbheiten den Ton angeben. Manchen ist nicht wohl, wenn sie nicht jeden Tag eine Fuhre Jauche auf die Wiesen der Öffentlichkeit fahren können. Was soll da noch wachsen? Natürlich lebt eine Demokratie auch von der Kritik – aber sie braucht auch eine Kultur der Kritik. Demokratische Autoritäten benötigen Kontrolle, aber sie brauchen auch ein Mindestmaß an Respekt. Wenn das verweigert wird, werden sich immer mehr redliche und sachkundige Menschen weigern, in der Politik tätig zu sein. Der bloße christliche Hausverstand müsste uns verpflichten, das „Ja“ zu unserem Rechtsstaat zu sagen, trotz seiner Schönheitsfehler. Denn als Alternative wartet nur die Diktatur, die Herrschaft der großen Sprüchemacher und Gewaltmenschen. Vielleicht müsste uns für dieses „Ja“ zu unseren demokratischen Gemeinden, unserem Land und unserem Staat auch so etwas wie eine Dankbarkeit bewegen. Dieses Gemeinwesen hat uns immerhin die besten Jahrzehnte unserer Geschichte beschert.
Das „Ja“ zur Freude
Und noch ein „Ja“: Es ist wie ein kleiner heller Sonnenschein, der über die Wasser der Zeit huscht und da und dort eine Welle aufblitzen lässt. Es ist das „Ja“ zur Fröhlichkeit und zum Humor. Beides gehört zum Christen, sozusagen als Ausweis seiner Echtheit. Mir ist immer aufgefallen – in der Kirche und in der Welt –, dass der Fanatismus und die Enge die Gesichter versteinern und verfinstern. Wir dürfen doch nicht Christus zum Lügner machen, der gesagt hat, er wolle, dass seine Freude in uns und damit unsere Freude vollkommen sei (vgl. Joh 15,11).
Der Christ und die Schöpfung
Heute möchte ich eine Saite des Glaubens und des Gewissens der Seele anschlagen, von der ich hoffe, dass ich sie bei vielen Menschen unseres Landes zum Schwingen bringen kann. Es ist die Saite der Freude an der Schöpfung. Gott hat uns ein so schönes Stück Welt zur Heimat geschenkt, dass uns diese Freude an der Schöpfung eigentlich in die Wiege gelegt sein müsste.
Diese Freude an Gottes Schöpfung spürt das Kind, das sein Kätzchen streichelt, die Mutter, die ihr Neugeborenes anschaut, der fotografierende Wanderer, der die Landschaft einfängt. Diese Freude muss uns durchströmen, wenn wir die Wasserhähne aufdrehen und reines Quellwasser herauskommt, selbst in der großen Stadt. Sie muss in uns aufrauschen, wenn die Kabine der Seilbahn über die Bergwälder streift oder wir als Skifahrer die Bögen hinunterziehen.
Jeder Mensch wird von dieser Freude an der Natur berührt. Für den Glaubenden müsste sie einen volleren Ton bekommen. Wenn der Glaube lebendig ist, wird das Lied der Schöpfung zum Lobgesang.
Der Lobgesang
Ich freue mich beim Breviergebet immer auf die Stelle, wo zum Sonntagmorgengebet der Lobgesang der drei Jünglinge im Feuerofen (Dan 3,51–90) drankommt. In diesem herrlichen Lobpreis aus dem Alten Testament wird die Schöpfung zum großen Orchester. Da beginnt alles zu singen: die Wolken und die Gestirne, der Fluss, der durchs Tal schwingt, der Raureif im Gesträuch am Bachrand, der Spatzenschwarm auf dem Hausdach und die Blumen in meiner Tischvase. Und wenn ich das so in meinem Fastenhirtenbrief schreibe, dann ist das nicht irgendein poetischer Überschwang, sondern eben die Sprache des Heiligen Geistes im Gotteswort.
Von dieser ehrfürchtigen und dankbaren Schau der Natur müssen wir ausgehen. Denn die Schöpfung ist heilig. Und wehe der Natur und dem Leben, wenn dem Menschen nichts mehr heilig ist!
Die Sorge
Im 20. Jahrhundert ist eine große Wende in der Beziehung von Mensch und Schöpfung eingetreten. Früher stand der Mensch weitgehend hilflos vor den Naturgewalten und musste sich vor ihnen fürchten. Jetzt sind die Rollen fast vertauscht: Die Natur muss sich vor dem Menschen fürchten.
Es geht ein Zittern um die Erde. Die Fische zittern vor den Abwässern, die Schmetterlinge vor den Pestiziden. Viele Tiere zittern bei unnötigen, quälenden Experimenten, Tannennadeln und Buchenlaub zittern vor den Abgasen. Die Bergblumen zittern vor der nächsten Schubraupe, die für immer das Aus bedeutet. Hunderttausende von Embryonen zittern im Mutterleib vor der Abtreibung; ja, die ganze Erde hüllt sich nur noch zitternd in den strahlenschützenden Ozonmantel, den wir ihr systematisch zerfetzen. Jahrmillionenlang hat die „unvernünftige“ Natur mit ihren feinen Mechanismen und Instinkten für ein gewisses Gleichgewicht in den Lebensräumen gesorgt. Aber der Mensch, der sich nicht auf Instinkte verlassen kann, sondern mit Geist und Herz diese Welt „bebauen und behüten“ soll (Gen 2,15), kann mit Habgier und Hochmut viel zerstören.
Es gibt natürlich echten Fortschritt, um den wir alle froh sind. Aber wenn man heute sieht, wie diese energiegeladene, hochentwickelte und durchorganisierte Zivilisation in entscheidenden Fragen der Umwelt und des Lebens danebenfährt, dann kommt einem wirklich der alte Autofahrerspruch in den Sinn: „Was nützt der Tiger im Tank, wenn der Esel am Steuer sitzt?“