Buch lesen: «Stalingrad - Die stillen Helden», Seite 7

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Dr. Ernst Jordan, Chef der 2. San.Kp. 100


Dr. Anton Reisegger, Chirurg der 2. San.Kp. 100


Dr. Walter Spiering

Oberarzt Dr. Karl Mick,140 1. Sanitäts-Kompanie der 100. Jäger-Division141, berichtet über das Feldlazarett: „Mit Dr. Senker142 gemeinsam fuhr ich Ende August 1942 an den Don, wo er die Chirurgie des Feldlazaretts 100 übernahm. Er hatte damals einige Tage Fieber, war dann aber die ganze Zeit gesund. Das Feldlazarett richtete sich dann in der Ortschaft Nowo-Alexejewskij ein, wo es bis zum Schluß lag; der Ort lag etwa 40 km westlich von Stalingrad. Chef des Lazaretts war Dr. Schuster143, ein unangenehmer Mensch. In diesem Lazarett war ich auch mit Dr. Jungwirth144 zusammen, den ich schon vom Studium in Wien her kannte. Dr. Senker und Dr. Hatzl145 waren die Operateure.

Dr. Hans Gnilka


Dr. Fritz Senker, Chirurg des Feldlazaretts 100

Als weitere Ärzte des Feldlazaretts sind zu nennen: Unterarzt Dr. Karl Stenitzer146 aus Wien, Assistenzarzt Dr. Johann Bartosch147, Assistenzarzt Dr. Berger148 und Unterarzt Dr. Zsutty149, der mit einer der letzten Maschinen aus dem Kessel ausgeflogen wurde.


Dr. Adalbert Zsutty, Inter-nist im Feldlazarett 100

Sehr bald wurde ich als Truppenarzt zu einem Infanteriebataillon versetzt, das in einem Tal lag, das direkt zur Wolga hinunter führte; der Kollege in einer Kompanie war gefallen. Als ich eines Tages zum Gefechtsstand mußte, wurde ich durch einen Granatsplitter am Arm verwundet, zum Wagenhalteplatz gebracht und dann zum Feldlazarett 100 zurücktransportiert. Dort wurde ich von Dr. Schuster behandelt, er legte mir einen Gips am Arm an. Danach kam ich in die Behandlung und Obhut von Dr. Senker und arbeitete über einen Monat im Feldlazarett in der Chirurgie, sobald ich wieder aufstehen konnte. Am 10. Oktober erhielt ich noch das Verwundetenabzeichen.

Mit Dr. Senker verstand ich mich sehr gut. Er arbeitete jeden Tag, bis alles versorgt war, und wir wunderten uns oft, wie er alles so mit Ausdauer und peinlicher Gewissenhaftigkeit verrichten konnte. Seine Spezialität waren Kopfschüsse, darunter auch ein Patient aus Amstetten, ein Bäckerbub, der Dr. Senker vor dem Krieg immer das Gebäck ins Haus gebracht hatte. Die Narkosen machten ein Unteroffizier und ich. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten saß ich immer neben Dr. Senker. Er erzählte mir auch, daß er bis höchstens zum Ende dieses Winters in Rußland bleiben wollte, weil er sich um seine kranke Frau und die Kinder sorgte, wobei er selber gesund war und sich über sein eigenes Leiden, eine Ischialgie, nicht beklagte. Mir half er letztlich unendlich, als er sich energisch für meinen Rücktransport in die Heimat einsetzte. So schied ich am 15. November von meinen Kollegen, um gemeinsam mit dem Internisten, Oberarzt Dr. Scheitz150, die langwierige Rückreise ins Heimatgebiet anzutreten.“151

Dr. Wilhelm Hatzl, der als Angehöriger der 1. Sanitäts-Kompanie nach einer Hepatitis als Patient ins Feldlazarett eingewiesen wurde: „Reihenweise erkrankten die Leute an Gelbsucht und wurden dann in die Heimat geschickt, um weitere Infektionsquellen auszuschließen. Mein Divisionsarzt meinte jedoch, nein, Ärzte brauchen wir dringend, ich solle das in unserem Feldlazarett auskurieren. Ich blieb also dann circa 4 Wochen im Feldlazarett, das war von Anfang September bis Mitte Oktober, kurierte mich dort aus und bekam von zu Hause süße Mehlspeisen, weil das bei Hepatitis das einzig Verträgliche war. Und weil ich nun einmal dort war, blieb ich gleich da eingesetzt als 2. Chirurg neben dem bereits dort tätigen ersten Chirurgen Primarius Senker aus Amstetten.

Wir wurden vom Donbogen direkt als Armeereserve in die Umgebung von Stalingrad befohlen; Dimitrijewka152 hieß der Ort. Dort schlugen wir das Feldlazarett auf; es sollte aber nicht dabei bleiben: Im Kessel wurde es nämlich praktisch der Hauptverbandplatz, weil wir direkt hinter der Kesselfront lagen und all die Verwundeten, die dort anfielen, zu versorgen hatten. Die Unterkünfte waren Gebäude aus Stein und Holz, jedoch keine Höhlen. Wie viele Verwundete dort lagen, weiß ich nicht, wohl Dutzende. Das Dorf war mit Verwundeten belegt, meist von der 3. I.D. (mot.)153. Am 19. November war der Kessel bei Kalatsch geschlossen, und wir saßen in der Mausefalle drinnen. Wir konnten uns niemals vorstellen, daß wir im Kessel aufgerieben würden, nachdem schon so viele Kessel aufgebrochen worden und die dort eingeschlossenen Truppen befreit worden waren; bisher hatte das immer geklappt. Es kam dann soweit, daß es hieß, wir sind jetzt eingeschlossen und müßten alle Soldbücher vernichten, damit nichts in feindliche Hände geriet. Unser Divisionsarzt, ein Aktiver, war, glaube ich, gerade im Urlaub, und die ersten Fleckfieberfälle traten bereits auf, denn die Läuse wurden immer zahlreicher. Man konnte kaum desinfizieren. Da beschlossen der Apotheker und ich, uns gegen Flecktyphus zu impfen; diese Impfung erhielten sonst nur das Sanitätspersonal und die über 40 Jahre alten Soldaten. Der Impfstoff war damals noch sehr teuer und wurde nur in geringen Mengen produziert. Aber nachdem ohnehin alles vernichtet wurde, sagten wir uns: Dann impfen wir uns eben auch. Das war mein Glück, denn auf diese Weise überstand ich dann später den Flecktyphus.

Als der Divisionsarzt wieder zurückkam, wollte er uns vor ein Kriegsgericht stellen, weil wir vorschriftswidrig das Serum verwendet hätten, das aber sonst ja vernichtet worden wäre. Denn in einer Bestandsaufnahme war vermerkt worden, daß der Apotheker und ich das Serum bekommen hatten. Es wurde dort alles schriftlich festgelegt; die Soldbücher wurden verbrannt, damit sie dem Feind nicht in die Hände fielen – die hätten ruhig dem Feind in die Hände fallen können –, aber nicht diese Bestandsaufnahme.“154

Ende Oktober wurde noch Dr. Michael Breuer155 mit fünf Kollegen zum Feldlazarett versetzt, damals in Nowo Alexejewskij. „Als wir ankamen, sagte der Chef: ‚Was soll ich mit euch machen, ich habe gerade keine Beschäftigung für euch!‘ Nach einer Woche teilte er uns ein, und da ich alphabetisch der erste war, versetzte er mich gleich an die Nordfront.“156 Ein Kollege drängte sich aber vor, sodass Dr. Breuer schließlich im Feldlazarett blieb.

Sanitätsunteroffizier Franz Sperdin157 wurde im Juli 1942 der 1. Sanitäts-Kompanie der 100. Jäger-Division zugeteilt. „Im Juli 1942 erfolgte der Vormarsch in Richtung Woronesch, mein Einsatz bei der Lazarettstaffel. Als Nachkommando ging es weiter über Ostrogosch und Nowy Oskol bis Millerowo. Bei Perekopka im kleinen Donbogen lagen Hauptverbandplatz und Verwundetensammelstelle. Zweimal wurden wir eingekesselt. Nach dem Übersetzen über den Don bei Dmitrijewka lag die Kompanie zwischen Don und Wolga in Ruhestellung. Im September tat ich einige Wochen Dienst als ‚Revierbulle‘ bei der Sanitätskompanie; die Krankheiten blieben damals ziemlich die gleichen, u. a. Wol hynisches Fieber. Meine Chefs jedoch wechselten des öfteren, so daß ich Vergleiche anstellen konnte, wer mit seinen Methoden bzw. Medikamenten größeren Erfolg hatte. Im September/Oktober erhielt ich eine Infanterieausbildung bei einer Alarmkompanie im Raum Aleksejewka und Karpowka.

Als sich ab 19. November der Kessel schloß, empfahl Oberarzt Dr. Gruber158, letztmalig für lange Zeit nach Hause zu schreiben. Bereits drei Tage später war der Kessel vollkommen geschlossen. Im Dezember erlebte ich in der Nähe des Flugplatzes Pitomnik schwerste Bombardierungen und Artilleriebeschuß bei Verwundetentransporten mit der Ju 52. Es folgten Weihnachfeier und Neujahr in düsterer Stimmung.“


Dr. Bernhard Bulach

Die Sanitäts-Kompanien der 305. Infanterie-Division

Im besetzten Teil Frankreichs waren zwei neue Sanitäts-Kompanien für die gut ausgerüstete 305. Infanterie-Division159 aufgebaut worden, die eine motorisiert und die andere bespannt. Zur letzteren gehörte Dr. Günther Diez: „Zu Beginn der Offensive war die 1. Sanitätskompanie planmäßig mit Ärzten und Dienstgraden besetzt: Ein Chefarzt160, vier Ärzte – drei Chirurgen und ein Internist161 –, ein Zahnarzt162, ein Apotheker und ungefähr 100 Sanitäter gehörten zum medizinischen Personal einer Kompanie. Die Ärzte waren Anfang dreißig, die Sanitäter und Soldaten gut zehn Jahre jünger, zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Jahren.

Wir waren ein Hauptverbandplatz, kein Übernachtungsinstitut, und die ärztliche Versorgung war genormt. Wenn einer einen glatten Durchschuß und einen Verband erhalten hatte, wurde er von uns nur weiterverfrachtet. Am schlimmsten waren die Verletzungen durch die Stalinorgel, die wir am meisten fürchteten. Ein Durchschuß von einer Gewehrkugel ist glatt, ein Metallsplitter von einer Granate reißt Fetzen. Ich ging jede Stunde durch die bei einem schweren Angriff sich immer wieder neu füllenden Reihen von Verwundeten, um zu unterscheiden: Wen mußten wir sofort drannehmen, und wo hatte es noch Zeit? Ein Hirnverletzter, der zwar furchtbar aussah, mußte bis abends auf den Abtransport warten. Mit dem, was auf dem HVP vorhanden war, konnte man ihm nicht sehr viel helfen. Er kam weit nach hinten und wurde dort operiert. Kam jedoch ein Verwundeter mit Bauchschuß, mußte ich ihn sofort als nächsten auf den Op-Tisch bringen oder sogar eine laufende Operation unterbrechen, denn bei Bauchschüssen drangen Erde und Fetzen der Kleidung mit den Splittern in den Bauchraum; die Infektionsgefahr war groß, und Penicillin gab es noch nicht. Daher mußte man alles tun, was man ohne Medikamente tun konnte: Die Wunde ausräumen, nachoperieren. Bauchverletzungen waren häufig, weil der Bauchraum vorn die größte Fläche war, die am meisten auffing. Jemanden mit einem nicht blutenden Durchschuß am Bein konnte man liegen lassen; war aber eine Arterie durchschossen, mußte operiert werden.

Für die große Operationstätigkeit waren wir nicht da. Einige Kilometer weiter vorn hatte der Truppenarzt erste Hilfe geleistet und den Verwundeten einen Verband angelegt. Wir entfernten dann den Verband, schauten, ob wir die Verwundung sanieren konnten, und schickten dann die Verletzten sofort weiter, manchmal zehn, manchmal zwanzig Kilometer auf Pferdefuhrwerken nach hinten zur nächsten Verladestation; wie weit, hing davon ab, wo es Wasser gab.


Zahnarzt Dr. Bulach, 1. San.Kp. 305, bei der Zahnbehandlung

Uns wurde gesagt: Um die und die Uhrzeit beginnt die Truppe den Angriff; dann hatten wir aufnahmefähig zu sein. Die andere Sanitätskompanie stand abfahrbereit da. Wenn wir mit Verwundeten volliefen, mußten sie über uns hinweg der Truppe schon gefolgt und einsatzbereit sein. Dabei sah ich viel, sehr viel Elend! Um damit fertigzuwerden, um weiterarbeiten zu können, versuchte man, dieses Elend von sich fernzuhalten, was nur zum Teil gelang.

Manchmal hatten wir auch gefangene Russen zu versorgen. Zuerst wurden unsere Leute behandelt, dann die Russen. Gelegentlich tauschten wir die Russen auch aus. Wenn die Russen laufen gingen, blieben die Kabel ihrer Telefone liegen. Hatten wir zu viele Russen da, für die wir keine Verpflegung kriegten, nahm der Divisionsarzt Kontakt auf, wo das Kabel eben hinführte. Hatte er auf der anderen Seite einen russischen Arzt erwischt – die sprachen fast alle deutsch –, sagte er: ‚Wir haben dreißig Leute da, wir können sie nicht abtransportieren; holt sie ab!‘ Unbewaffnete russische Soldaten kamen dann und holten ihre Verwundeten, und wir bekamen im Austausch ein paar eigene Leute. Das ging auch später noch, als den russischen Ärzten verboten worden war, mit uns zu sprechen.

Da waren auch die Pfarrer und Priester; manchmal war morgens Gottesdienst. Wir hatten zwei Geistliche, einen katholischen163 und einen protestantischen, die mit den Soldaten zu Gott beteten. Wenig später hieß es, antreten, und es kam der Befehl zum Angriff und die Leute sollten losziehen, Russen totschießen. Auf dem gesamten Vormarsch sahen die Soldaten in den russischen Soldaten den Feind, der sie totschoß. Was war das für eine Religion, die die Geistlichen verkündeten! Der Bevölkerung gegenüber war man distanziert. Ich hatte mit ihr nur zu tun, wenn ich jemanden suchte, der meine Hemden wusch. Waren wir in einem Dorf, kamen die Frauen und wollten Tabletten haben. Die tauschte ich dann gegen das Waschen meiner Hemden.


Pfarrer Franz Müller

Was die Leute von den Russen hielten, war häufig von der Propaganda beeinflußt, und es gab den Kommissarbefehl; bei unserer Truppe wurden die Kommissare sofort ausgesondert. Aber dann kamen wir in die Dörfer und sahen, wie die Russen lebten, die von der Propaganda als Untermenschen geschildert wurden. Selten waren ja alle geflohen, nur der Bürgermeister, der Politische Kommissar und die jungen Leute waren fort. Die anderen waren geblieben, und dann sah man: Die sind ja wie unsere Bauern, die sind wie wir auch.

Die Leute in meiner Kompanie waren zwischen den Kriegen groß geworden, ein Gemisch aus vaterländischen Verbänden, Schützenvereinen, Stahlhelm und Hitlerjugend. Aus denen kamen sie, und daraus war der Nationalsozialismus aufgeblüht; es war ein jahrelanger Prozeß, der den Leuten vorausgegangen war. Und die ganz Jungen, die aus der HJ kamen, die tönten wie die Nationalsozialisten, aber denen stopften sie den Mund schon auf dem Vormarsch nach Stalingrad; schon vor dem Don war vom Nationalsozialismus kaum noch etwas zu sehen und zu hören, auch kein SS-Mann. Die Leute sagten sich, wir sind Landser, Gott hat uns dazu verdammt, und jetzt müssen wir gucken, dass wir heil heimkommen!

Der Vormarsch ging über die schwarze Erde der Ukraine und über den sandig-lehmigen Boden der Donsteppe. Im August gab’s extreme Wetterverhältnisse. Erst Trockenheit, dann verwandelten sturzbachartige, heftige, wenn auch kurze Regengüsse die Wege in grundlose Schlammassen. Die Sanitätskompanie hatte zum Kranken- und Verwundetentransport vier pferdebespannte Krankenwagen mit Ballonbereifung. Schon bei trockenen Wegen war der Marsch beschwerlich. Als Bespannung standen uns sogenannte Belgier zur Verfügung. Ich erinnere mich, daß an einem Regentag, trotz Vorspannes und Mannschaftshilfe, nur vier Kilometer zurückgelegt werden konnten. Wir schoben unsere Karren selbst oder baten vorbeifahrende Panzer, uns ein Stück durch die aufgeweichte Steppe zu helfen. Bei gutem Wettter aber hatten wir einmal sechzig Kilometer an einem Tag geschafft! Bei Regen war es am vorteilhaftesten, am Straßenrand abzuwarten, bis der Weg wieder abgetrocknet war. Dies konnten sich natürlich nur die nicht unbedingt erforderlichen Teile der Einheit leisten. Durch Weitermühen wurden die Pferde und Mannschaften so überanstrengt, daß es in keinem Verhältnis zu der kurzen, erzwungenen Wegstrecke stand. Außerdem wurde der Weg für Nachfolgende unbrauchbar gemacht. Ich glaube, daß niemand außer der deutschen Militärführung pferdebespannte Wagen für den Verwundetentransport über die weiten Entfernungen in Rußland für günstig hielt.

Die Futtermittel wurden unzureichend nachgeliefert. Dadurch verendeten die Pferde, weil sie mit dem bodenständigen Futter nicht auskamen. Die schlechten Wasserverhältnisse trugen auch ihren Teil dazu bei. Pferde, die die sich zurückziehende Rote Armee zurückließ, mußten angespannt werden. Schließlich wurden Ochsen, Kamele, landwirtschaftliche Maschinen und wieder fahrfähig gemachte Feindpanzer zur Fortbewegung benutzt. Die Verhältnisse waren bei den der Sanitätskompanie zugeteilten Wagen des Krankenkraftwagenzuges ähnlich. Die Ersatzteile mußten teilweise aus Österreich geholt werden, so daß dauernd Personal unterwegs war. Die Benzineinteilung war unzureichend. Einmal mußten alle Kraftwagen, auch die für den Krankentransport, ihr Benzin abgeben, damit eine steckengebliebene Panzerdivision weiter konnte. Wurden Feindpanzer abgeschossen, so eilten unsere Fahrer dorthin, um vielleicht noch Treibstoff zu erwischen. Oft war nur so ein Vorwärtskommen möglich.

Parallel zu uns sah man in der Ferne manchmal eine andere Einheit über die Steppe ziehen. Als einmal eine solche neben uns ziehende Einheit vor uns ein Wasserloch erreichte, stellte es sich heraus, daß es Russen waren! Es war ja schwer zu erkennen, wer da neben uns zog, denn wir trugen ja auch russische Beuteuniformen. Wenn die eigene Hose kaputt war, dann zog man einem toten Russen eine aus; das war nichts Besonderes, und die Russen handhabten es nicht anders. Während wir uns auf dem Vormarsch befanden, waren die Russen neben uns auf dem Rückmarsch. Waren sie vor uns in einem Dorf an der Wasserstelle eingetroffen, so warteten wir eben, bis sie weg waren, und dann gingen wir hin.

Je weiter sich der Vormarsch von der Versorgungsbasis entfernte, um so häufiger mußten Gerätewagen, die mit Unnötigem beladen waren, stehenbleiben. Wertvolle Ladungen wurden, so gut es ging, untergestellt oder vergraben. Die Einsatzmöglichkeit für die Sanitätskompanie wurde natürlich trotz häufigen Um- oder Zusammenlegens immer ungünstiger. Als der Don erreicht war, besaßen wir nur noch wenige Pferde. Aus Futtermangel und wegen des ungünstigen Klimas wurden sie in westliche Erholungsräume geführt. Somit war die Einheit praktisch unbeweglich geworden.

Dringend notwendige Verbandmittel und Medikamente waren auf dem Dienstwege kaum mehr zu beschaffen. Am 14. November 1942, fünf Tage bevor die Russen angriffen, schickte mich mein Divisionsarzt also ohne Ziel in das rückwärtige Gebiet, um für Abhilfe zu sorgen. Zur Unterstützung hatte ich ein Begleitschreiben mit der Bitte um Hilfe bei mir. Mit einem Feldwebel flog ich vom Flugplatz Pitomnik weit entfernt nach Stalino164, einer größeren Stadt im Südosten der Ukraine und Zentrum für das Donezgebiet; dort hoffte ich auf Erfolg. Nach dreitägigem Suchen fand ich 25 Kilometer außerhalb einen sogenannten Sammelsanitätspark; das waren vier Häuser und mehrere Baracken. Von dort aus wurden zwei Armeen mit Sanitätsmaterial versorgt. Ich sah, es war mehr als genug da, aber zunächst bekam ich natürlich nichts. Daraufhin suchte ich den maßgebenden Apotheker der Heeresgruppe B in Stalino auf. Er stellte fest, daß ein Mangel an Sanitätsmaterial bei der 6. Armee unmöglich wäre. Alles Erforderliche, was ich brauche, sei bereits unterwegs. Täglich sollten am Don 24 Güterzüge mit Nachschub entladen werden, darunter auch genug Sanitätsmaterial. Tatsächlich wurden am Ende dieser einzigen, von Westen kommenden, eingleisigen Bahn täglich höchstens 14 bis 15 Züge entladen. Im Allgemeinen waren es aber nur fünf bis sechs. Sehr leicht konnte die feindliche Luftwaffe diese Strecke unterbrechen, ohne großes Risiko konnten einzelne Personen sie unbrauchbar machen. Unsere Überwachung war mangelhaft und die Haltepunkte lagen sehr weit auseinander. Ich sagte ihm, daß ich auf dem Flug nach Stalino die Bahnstrecke und überall ausgebrannte und ausgeplünderte Züge gesehen hatte; fast nichts sei angekommen.

Weiter behauptete der Heeresapotheker, ein Empfang von Sanitätsmaterial beim Sammelsanitätspark sei unzulässig und bis jetzt noch nicht vorgekommen. Das, was ich ihm erzählte, stimmte nicht mit den eingegangenen Berichten überein. Er wurde wütend; der Versuch einer telefonischen Rückfrage bei meinem Divisionsarzt verlief ergebnislos. Er wollte mich nun sogar festnehmen und zur kämpfenden Truppe zurückschicken: ‚Woher weiß ich, daß Sie aus Stalingrad, daß Sie von der Front kommen?‘ Für mich wäre dies keine Verschlechterung gewesen, für meinen Auftrag aber ein ergebnisloses Ende. Den Ausschlag gab schließlich meine arg mitgenommene Uniform. Ich war bestimmt der am schlechtesten angezogene Offizier in Stalino. Man glaubte mir wenigstens, daß ich der Fronttruppe angehöre.

Meine fünf großen Anforderungsbogen wurden unterschrieben. ‚Nach Maßgabe des Möglichen‘ sollten die Wünsche erfüllt werden. Das Mögliche hieß, daß er in meiner Liste die Nullen strich: Aus einer 10 wurde eine 1, aus 50 wurden 5 und aus 100 wurden 10. Aber zurück im Sanitätspark hatte ich Glück; der Feldwebel, der das Material herausgab, verstand meine Betrübnis und setzte eine zwei vor die fünf. So bekam ich wenigstens die Hälfte. Es war wie in einem bürokratischen Irrenhaus! Ebenso erhielt ich statt 20 Thermosflaschen zwölf. Dafür mußte ich aber 500 Wolldecken, die ich dringend brauchte, liegenlassen, weil ich zu deren Transport zur Stadt keinen Kraftwagen mehr bekam. Die Verwundeten brachten nämlich zum Verbandplatz selten eine Decke mit. Beim Abtransport mußte jedem mindestens eine mitgegeben werden. So war der Deckenvorrat beim Hauptverbandplatz bald aufgebraucht. Gerne hätte ich eine der achtzehn praktischen, fahrbaren Entlausungsanlagen, große, liegende Fässer, die im Garten des SSP standen – leider waren sie zu groß –, mitgenommen, aber ich bekam keine, obwohl die Verlausung der Soldaten in Stalingrad unbeschreiblich war. Und Verlausung bedeutete Fleckfieber und für viele auch den Tod. Die Hilfe, die wir dringend brauchten und die ich vor Augen hatte, war aber nicht vorgesehen! Zum Sammeln des Gerätes und der Medikamente stellte die Ortskommandantur in Stalino einen Raum zur Verfügung.

Wie nun meine Schätze zur Einheit bringen? Mit der Bahn erschien es mir zu langwierig und zu unsicher. Als ich nach einer entsprechenden Dienststelle der Luftwaffe suchte, hatte ich Glück. Ich stand in meiner zerrissenen Uniform am Straßenrand und versuchte verbotenerweise, ein Auto anzuhalten. Endlich stoppte eines, und ein Major der Luftwaffe nahm mich mit. Zuerst schiß er mich an und wollte mich verhaften, bald aber erkannte er in mir einen Schwaben, einen Landsmann. Wir verstanden uns gleich besser; der Name des kommandierenden Generals meiner Division war ihm gut bekannt. Mit diesem Namen gab es aber zwei Generale. Klärend war, daß der andere weniger trank als meiner. Die beiden Herren waren also Schulkameraden. Er nahm mich also mit zum Flugplatz. Beim VIII. Fliegerkorps wurde ich nach kurzem Warten direkt zum obersten Quartiermeister gebracht. Nach einigen Fragen erhielt ich die Erlaubnis, am Abend wieder anzurufen. Transportraum war vorhanden, aber kein Nachschubgut. Nach langem Hin und Her, es war wieder mal nicht vorgesehen, hatte ich Glück und durfte fünf Transportmaschinen beladen. Ein Lazarett borgte mir nochmals die Autos zum Transport der Kisten auf den Flugplatz. Der Flug verlief glatt.

Die Russen hatten kleine, leichte Flugzeuge, tuchbespannt; man sah, wie sie dort die Bomben rausschmissen. Im Landeanflug auf Pitomnik wurde meine Maschine von so einer russischen gerammt. Wir befanden uns schon sehr dicht über der Landebahn; unser Flugzeug sackte durch und krachte auf die Piste. Trotzdem krochen wir mit heilen Knochen aus dem Wrack, der größte Teil des Materials kam gut an, und die Sanitätskompanie konnte wieder aus dem Vollen schöpfen. Das neu errichtete ‚Erholungsheim‘ für Rekonvaleszenten wurde gut eingerichtet.

Auf dem Vormarsch durch die Steppe litt die Truppe sehr unter Wassermangel. An manchen Tagen war kein Tropfen aufzutreiben. Die Dörfer und Wassertümpel in der Steppe waren so dreißig bis vierzig Kilometer auseinander. Das Wasser war dreckig, und die kärglichen und verschmutzten Wasserstellen mußten für Mensch und Tier ausreichen. Die Wasserdesinfektionsgeräte des Heeres waren unzulänglich und zu klein; wir mußten sie ständig laufen lassen. Brauchbare chemische Mittel, wie feindliche Armeen sie hatten, fehlten. Banale Enteritis, vor allem Ruhr, Typhus abdominalis und Paratyphus, häuften sich; die Leute bekamen Fieberanfälle und Durchfall. Wenn man merkte, es gab sich in ein bis zwei Tagen wieder, war’s gut, sonst mußten sie zurückgebracht werden. Die bereits eingeführten Sulfonamide und andere einschlägige Medikamente waren nicht so ausreichend vorhanden, um diesen Massenerkrankungen wirksam entgegentreten zu können. Die Lagerung der Kranken in Zelten war unmöglich so durchzuführen, wie es notwendig gewesen wäre. Der Abtransport war während des Vormarsches wegen der großen Entfernungen riskant und kam deswegen meist nicht in Frage. Geeignete Krankenkost fehlte außerdem. Auch die Truppenverpflegung war so ungeeignet wie nur möglich. Bei großer Hitze gab es entweder nur Pferdefleisch oder nur Erbsen, nur Frischkonserven oder nur Rübenmarmelade. Das Brot war derart glitschig und naß, daß es nur geröstet genießbar war. Gemüse oder Obst wurde nie herangeschafft. Es gab einen Befehl, sich aus dem Land zu ernähren, aber es gab kaum Landwirtschaft zwischen Don und Wolga. Die kleinen Gehöfte in der Steppe konnten den Bedarf der Truppe bei weitem nicht decken. Und kam man zu einer Kolchose, war sie leer. Wir konnten uns nicht aus dem Land ernähren, aber wir waren bespannt. Langsam haben wir die Pferde aufgefressen, schon lange, bevor wir Stalingrad erreichten. Motorisierte Einheiten hatten es viel schwerer, bei ihnen blieb der Kochtopf leer.

Weil unsere Pferde langsam in den Kochtopf wanderten, wurden sie, wenn es ging, durch Ochsen und Kamele ersetzt. Die ungarische Armee aber setzte Juden als Zugtiere ein, Juden, die in Ungarn festgenommen worden waren und die man in die Kalmükensteppe gebracht hatte. Dort sah ich, wie sie Karren und Fuhrwerke ziehen mußten: Sechzehn Mann zogen ein Fuhrwerk; es war zum Erbarmen!

Die Fliegenplage wurde gräßlich; wenn man essen wollte, war sofort alles schwarz von Fliegen. Weder bei den Schlächterei-Kompanien, noch bei den Truppenküchen, noch bei den Sanitätseinheiten waren wirksame Gegenmittel vorhanden, und diese Plage blieb uns erhalten, wenn wir weiterzogen; die Fliegen folgten den Pferden. Der Seuchenverbreitung durch diese Plage konnte kaum Einhalt geboten werden. Wanzen und Flöhe belästigten uns, als wir im November in den Zelten nicht mehr schlafen konnten und in die vorhandenen Häuser einzogen. Die Verlausung nahm zu, als die Kälte einsetzte. Um nicht zu frieren, fiel die tägliche Kontrolle dann meist aus. Das Wolhynische Fieber verbreitete sich so sehr, daß die Kranken abtransportiert werden mußten. Später, nach gründlicher Entlausung, wurden Neuinfekte nicht mehr beobachtet. Vereinzelt hörte ich geringe Klagen über rückfällige Beschwerden.

Während des Vormarsches über die Steppe mußten wir häufig Brandwunden versorgen. Durch Selbstentzündung, durch Brandgeschosse des Gegners oder durch abgeworfenes Phosphor entstanden Steppenbrände.

Eine neue Krankheit trat in den Vordergrund, die Malaria. Ein spezieller Fortbildungskursus wurde für einen Teil der Sanitätsoffiziere der 6. Armee am Don abgehalten. In diagnostischer und therapeutischer Hinsicht hatten wir großen Nutzen. Einfache, praktische Epidemiologie, wie sie in der Gefangenschaft notwendig wurde, kam zu kurz165.

Ein praktisches und hygienisches Tropenzelt wurde uns gezeigt. Ein hervorragendes Fliegenvernichtungsmittel wurde uns vorgeführt. Voll Neid betrachteten die Kursusteilnehmer diese so dringend notwendigen Dinge. Etwa ab Ende Juli 1942 war nur noch die Hälfte der Verpflegungsration herangeschafft worden. Im Hinterland sollten Reserven für eine Schlammperiode geschaffen werden. Die fehlende Hälfte sollte aus dem Lande entnommen werden. Aber dieses Land war Steppe, aus der sich für die Armee wenig entnehmen ließ. Auch das Fischen im Don schloß die Lücke nicht. Die Bekleidung der Truppe war so sehr abgetragen, daß häufig russische Uniformstücke getragen werden mußten. Viel zu wenig wurde nachgeliefert. Der persönliche Vorrat war in der Steppe liegengeblieben.

Sichtlich verminderte sich die Arbeitsmöglichkeit der Sanitätsdienste. Bis dahin bestanden bei der Sanitätskompanie zwei Operationsgruppen, die einander ablösten. Von da ab waren Dauerleistungen wie früher nicht mehr möglich. Wir mußten am Don warten; die Brücken waren zerstört. Zwei Wochen lagen wir vor dem Fluß. Geräte wurden geputzt, die Kisten, in denen unser Material lag, neu gepackt. Manchmal schoß die russische Artillerie.

In unzureichender Kampfstärke, mit schlechter Ausrüstung und Bekleidung, mit unzureichender Verpflegung und mit meist mangelhafter ärztlicher Versorgung wurde der Donübergang am 22. und 23. August 1942 nördlich von Kalatsch erzwungen und die Eroberung Stalingrads versucht166. Die anfängliche Igelstellung der am 23. August abends in Stalingrad eingedrungenen Truppen wurde durch Panzergeleitzüge versorgt. Verwundete wurden auch auf diese Weise 90 Kilometer zurückgeschafft. Ein erneuter Vorstoß vom Don aus brachte eine zusammenhängende Front, die wie ein Finger vorragte. Ein Kriegslazarett wurde nahe am Don errichtet. Ein großer Krankensammelplatz entstand in Gumrak, einem Rangierbahnhof, auf der Steppenhöhe westlich der Stadt Stalingrad. Erdkeller wurden angelegt und als Lazarette eingerichtet. Güterwagen dienten behelfsmäßig zur Unterbringung von Verwundeten. Die HVP der Divisionen lagen meist im Bereich der feindlichen Infanteriewaffen. Die Front in der schmalen, langgestreckten Stadt bedingte dies.

Wir errichteten unseren Verbandplatz, wenn es ging, in Kirchen; dort konnten wir die Verwundeten und Kranken unterbringen. Unseren ersten Platz hatten wir in der Kirche von Gorodischtsche, einem Vorort ungefähr zehn Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt. In der Sakristei war der Operationsraum, und im Kirchenschiff lagerten wir die Verwundeten. Die Front war nicht weit entfernt, und ab und zu wurden wir auch beschossen. Die Russen hatten im allgemeinen aber Respekt vor dem Roten Kreuz. Es war ein tragischer Unfall, wenn ein Lazarett unter Beschuß geriet, und man versuchte daher dort, wo man war, so lange wie möglich zu bleiben. Das hatte auch mit der wachsenden Zerstörung zu tun, denn als die Stadt mehr und mehr zu einem einzigen Trümmerhaufen wurde, fand man keine Plätze mehr, wo man hinkonnte.“

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