Vollweib

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Mit der Haut als sensibles Organ oder erotischen Zonen haben sich Männer hingegen noch kaum befasst. Von selbst kommt ihnen das nicht in den Sinn. Und selbst darauf hingewiesen, empfinden sie Streicheleinheiten als unmännlich und inaktiv. Hier hatte ich schon immer Vorteile gegenüber meinen weiblichen Konkurrentinnen. Da ich mit den pupertierenden Burschen aufgewachsen war, forderte ich von Männern einfühlsam und sprachgewandt und ohne jede Scheu, was mich glücklich machte.

Und ich liebe Streicheleinheiten, küssen und kuscheln. Ich konnte noch nie genug davon bekommen. Wenn ein Mann das selbst nach einfühlsamer Anleitung nicht bringen konnte, wurde er von der Bettkante gestoßen. Das war eine Seite an mir, für die manche Männer mich hassten. Trotz meiner feuchten Lage, entspanne ich mich bei jedem meiner Rückblicke mehr. Ich hatte, einmal aufgewacht, später viel erlebt, sogar sehr viel. Und das auf allen Ebenen.

»Gott, hab ich schon viel Glück gehabt in meinem Leben. Bitte, bitte, schenk mir dieses Glück nur noch ein letztes Mal. «

°

Als ich eben auf den Gipfel einer Welle getragen wurde, sah ich ein Schiff. Es war unglaublich nah.

„Danke, so schnell hätte ich das wirklich nicht erwartet!“, durchschoss mich ein Gedanke. Ich schrie, was meine strapazierten Lungen hergaben. Mein Herz raste wie wild. „Vielleicht ein großes Fischerboot?“ spekulierte ich. Die Hoffnung stirbt zuletzt!! Gott! Die waren so nah, würden mich die noch überfahren, anstatt zu retten?

Ich musste noch eine Rakete riskieren. Vorsichtig entnahm ich dem Notfallkoffer eine der Rettungsraketen und verschloss ihn sofort wieder, bevor eine Welle ihn mit Wasser füllen konnte. Dann zerbiss ich wie schon zuvor die Plastikfolie, welche die Rakete vor Feuchtigkeit schützen sollte. Mit dem richtigen Ende nach oben halten und an der Schnur ziehen. Das war ja inzwischen fast schon zur Routine geworden. Es klappt diesmal auch auf Anhieb. Die Rakete schoss mit einem Feuerschweif nach oben und explodierte mit einer orangen Kugel. So hatte ich wirklich reelle Chancen, gesehen zu werden. Wenn es ein Fischkutter war, konnte ich nur hoffen, dass nicht alle besoffen waren und selbst bei diesem Wellengang mit Autopilot fuhren oder schliefen. Ich nahm das kleine Paddel und begann mit meiner restlichen Kraft wie verrückt zu rudern. Mit kurzen, euphorischen Schlägen versuchte ich, etwas näher an das Schiff heranzukommen. Ich paddelte bis ich kraftlos und beinahe bewusstlos auf den Boden meines Dingis sank. Waren Sekunden oder Minuten vergangen? Als ich endlich die Kraft hatte, mich wieder aufzuraffen, lag die schmerzliche Wahrheit klar und offensichtlich auf der Hand. Man hatte mich nicht bemerkt. Außerdem war ich mit meinem verzweifelten Paddeln sicherlich keinen Schlag von der Stelle gekommen. Der Wind, die Strömung und die starke Dünung arbeiteten unbarmherzig gegen mich. Das Schiff entfernte sich bei jedem Sichtkontakt auf einem Wellenberg immer mehr und mehr, und war kurz darauf hinter dem Horizont verschwunden. Ohhh Hoffnung, wo bist Du geblieben?

°

Dennoch, trotz ihrer Fürsorge hätte sich meine Mutter einmal beinahe selbst das sprichwörtliche Ei ins Nest gelegt. Noch vor meinen ersten Erfahrungen mit Jungs, als ich vierzehn war, glaubte mein Vater, dass es an der Zeit wäre, aus dem verwilderten Mädchen eine verantwortungsbewusste Frau zu machen. Am besten dafür geeignet schien ihm ein Ferienjob zu sein.

Hätte ich einen Jungen, würde ich ihn zur schönsten, erfahrensten, nettesten Dirne bringen, die ich finden kann.“

Um mich ja nicht aus den Augen zu verlieren, fragte Mutter den Bäcker, der noch nicht einmal ein Einheimischer war, aber jeden Tag Brot in die Siedlung, ja bis ans Haus brachte, nach einem Ferienjob. Die Idee mit mir als Bäckergehilfin gefiel beiden ausgezeichnet. Dem Bäcker allerdings aus ganz anderen Gründen.

Selbst als er den Vorschlag machte, dass ich ja aus organisatorischen Gründen – Bäckergehilfen müssen ziemlich früh aufstehen – bei ihm im Haus, also oberhalb der Bäckerei übernachten könnte, ahnte meine Mutter nichts. Der Bäcker war ja ein ehrenwerter Mann, und jeden Tag am frühen Morgen einige Kilometer bis zur Backstube zu fahren, wäre für mich zu mühsam und gefährlich gewesen. Doch die Gefahr lauerte ganz wo anders.

Es hat keinen Tag gedauert, da saß er schon an meinem Bett.

Wie es mir denn so gehe, und so... „hast du dich schon an die Arbeit gewöhnt…“ und … ob ich immer mit Pyjama schlafen würde und … das würde da unten doch ein bisschen einschneiden und so, „oder nicht?“ … „Lass mich doch mal fühlen, ja, sehr eng …“

Ich wusste damals nichts von „Sexunholden“. Irgendeine besondere Art von ›Mädchenfreund‹, eine Tiroler Spezialität? oder doch nicht? Der Bäcker jedenfalls entpuppte sich schnell als ein geiler Wicht und Kinderverführer. Über Sex oder gar Kinderschänder war bei uns nie gesprochen worden. Heute kann ich es ja laut denken, der Bäcker lebt nicht mehr, die Mutter kann ihn somit nicht umbringen. Damals hatte ich in meiner Naivität Stress! So oder so. Ich wollte sehr bald keine Semmel mehr backen und auch sonst nichts anbrennen lassen, und schon gar nicht meine Muschi. Nicht durch die Hand oder das Ungeheuer dieses Bäckers! Ich wusste in meiner Naivität nur, da läuft irgendetwas nicht richtig, durfte es aber niemandem sagen. Und so blieb ich weiter in den Fängen des auf Teens geilen Meisters. Der ließ sich immer neue Schikanen einfallen, um mich für meine erfolgreiche Zurückhaltung zu bestrafen. So musste ich mit dem vollen Brotkorb den Berg hoch radeln, und immer früher aufstehen, um die anstrengendsten Arbeiten in der Backstube zu erledigen.

Ich schwitzte bei der Arbeit und noch mehr zu Hause, wenn meine Mutter wissen wollte, wie es denn bei dem netten Bäcker so wäre. Zum Glück hatte er noch andere Opfer aus dem Ort, die inzwischen alles angesehene Hausfrauen waren. Der Bäcker ersann sich immer neue Möglichkeiten, wie er mich gefügig machen könnte, meiner naiven Mutter fiel jedoch immer noch nichts auf. Nach einigen fehlgeschlagenen Wochenendbergtouren schöpfte sie nicht einmal Verdacht, als der Bäcker ihr scheinheilig vorschlug, zum Edelweißpflücken wäre doch eine kurze Lederhose am geeignetsten.

»Na, ja sicher doch.«

Original Tiroler Lederhosen haben vorne eine blattgroße Klappe bzw. ein Tor mit zwei Knöpfen. Und selbst ohne dieses Tor ist viel Platz für eine Bäckerhand. Meine Mutter steckte mich also in eine dieser Lederhosen. Ich schwitzte Blut und Wasser. Keine Ausrede, die ich erfand, half. Ich musste auf die Bergtour.

Zum Unterschied von zu Hause gab es auch immer sehr gute Jausen und Getränke während solcher Touren. Nach dem Motto der bösen Hexe: „ Zeig mir doch deinen Finger, äähh deine Nippel, werden sie auch schön groß und hart?“

Der Bäcker dachte bei Finger aber wohl an etwas anderes. Also auf der Höhe, wo das Edelweiß nun mal wächst und sonst die brave Heidi-Sennerin singt, wurde wieder ein Versuch gestartet, aus der Jungfrau eine Hure zu machen. Nachdem die Bemühungen meines geilen Verführers bei mir zu landen bis dato gescheitert waren, wollte der grausige Unhold, dass ich bei ihm doch noch etwas zuwege bringen sollte. So packte er neben der Jausenwurst auch seine Wurst zwischen den Beinen aus. Er wollte, dass ich daraus eine Hartwurst machen sollte. So wie die Salami, in die ich so gerne biss. Das hier war aber etwas anderes, und ganz sicher wollte ich da nicht rein beißen oder daran lutschen. Viel Glück und die entsprechende Naivität ließen mich mit meinen mit Krallen bestückten Fingern so ungeschickt und extrem fest zugreifen, dass dem Schwein ein für allemal die Lust daran verging.

Der frustrierte Sexunhold lief daraufhin wie verrückt den Berg hinunter, ich stolperte hinterher und hätte mir beinahe das Genick gebrochen, bei diesem wilden Abstieg. Im Anschluss fuhr er noch wie verrückt die kurvenreiche Bergstraße hinunter und ich hatte berechtige Angst um mein junges Leben. Nach einigen weiteren Racheaktionen, die ich irgendwie glücklich überstand, war auch diese Episode nach einiger Zeit unbeschadet überstanden. Der Bäcker blieb trotz allem erfolglos. Inzwischen kann ich sogar darüber lachen. Einige Mitschülerinnen hatten weniger Glück, waren weniger standhaft oder sitthaft – je nach Sprachgebrauch – und leiden teilweise noch heute darunter. Meine Mutter ahnt bis heute nichts. Der Bäcker wurde Jahre später mit allen dörflichen Ehren beerdigt. Ich wundere mich, dass es ein Bäcker war und nicht der Pfarrer oder ein sonstiger Kirchenfürst. Oder verdränge ich da doch noch etwas? Heutzutage deckt man diese sexuellen Übergriffe ja vermehrt auf. Zu meiner Jugendzeit waren die Medien wohl noch nicht so sensationsgeil.

°

»Grrr«, Eine Welle hatte mich kurzzeitig mit unbarmherziger Kraft auf den Boden des Dingis gedrückt. Das wurde ja immer lustiger. Ich spuckte prustend Salzwasser aus, das ich im Mund hatte. Einen Teil davon hatte ich unfreiwillig verschluckt, den Rest hustete ich aus meinen Lungen heraus. Wenn das so weiter ging, musste ich mir über meine letzte Liegestätte keine Gedanken machen. Nach meiner Berechnung trieb ich jetzt an die 30 Stunden im Meer und der Sturm hatte nur unmerklich nachgelassen.

°

Ich hasste Beerdigungen und hatte meiner Familie gegenüber schon sehr früh den Wunsch geäußert, dass ich auf keinem Fall in so einem Loch im Boden begraben werden wollte.

Ich hatte einmal zufällig in den Bergen eine Mulde entdeckt, in der eine braune Masse von Würmern brodelte – wie in einem vulkanischen Schlammloch in Neuseeland. Aus dem Würmermeer schaute noch der Kopf einer wohl im vergangenen Winter abgestürzten Gämse heraus. »Brrr«, denke ich heute noch bei dem grässlichen Anblick und dem bestialischen Gestank. Ich wollte nicht von Würmern aufgefressen werden, da schon lieber von Haien. Na ja, d e r Wunsch konnte schneller in Erfüllung gehen, als mir lieb war.

 

»Wenn mich niemand hier draußen findet, dann besteht diese Gefahr wohl ohnehin nicht mehr«, dachte ich bei mir, »so erledigen sich manche Wünsche von selbst.«

Ich wollte einmal verbrannt werden und hatte bereits meine Brüder gebeten, meine Asche vom Gipfel eines meiner geliebten Berge in den Wind zu streuen. Ich dachte da an den wunderschönen Hochfeiler, der, obwohl um die 3.500 Meter hoch, verhältnismäßig leicht von Südtirol aus bezwingbar ist.

Noch wollte ich aber nicht aufgeben. So schnell sollten mich die Haie nicht bekommen. Ich war schon immer gut im Durchhalten gewesen. Und das nicht nur bei Abenteuern, nein, besonders auch beim Kampf um Männer.

°

So wie bei Christian. Gott, hatte mich der Blitz getroffen.

»Chriiiiiiiiiiiiistiiiiiiiaaaaaaaan !«, schrie ich laut über die Wellenkämme.

Chris war aus dem allerfeinsten Haus unseres Ortes. Sohn aus der Nobelvilla in bester Lage und was so dazugehört. Der Stiefvater war ein angesehener Direktor einer der größten Firmen im Osten Österreichs. Chris Mutter hatte ein bewegtes Leben hinter sich und Chris und seine zwei Schwestern waren von verschiedenen Männern.

Jo, mein Bruder, durfte seinen Schwestern Annette und Maria Klavierunterricht geben. Deren Mutter wollte mit dem Geld für die Stunden auch etwas zu den Studiengebühren meines Bruders beitragen.

Ich beneidete meinen Bruder darum und war wieder einmal sehr frustriert. Auch die Tatsache, dass Jo nie an Henco, einem riesigen, scharfen Schäferhund, vorbeikam, ohne dass ihn die Hausherrin an der Einfahrt abholen musste, änderte nichts daran. Ich hingegen musste nur kurz schreien: „Aus Henco, verschwinde!“, und der Hund zog den Schwanz ein, und weg war er. Jedenfalls war der Hausherr verärgert, weil der Hund ja ein Wachhund sein sollte. Nur die Tatsache, dass ich die einzige Person im Bekanntenkreis war, die mit Henco auf diese Weise umzugehen wusste, rettete diesen wahrscheinlich vor dem Hundefriedhof.

Diesbezüglich hatte ich immer schon Begabungen, die mir zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht weiterhalfen.

Jo jedenfalls war in der Familie aufgenommen und durfte den Kids das Klavierspielen beibringen. Dabei hätte ich das doch viel besser gekonnt. Ich stand auf Chris, aber der spielte mit mir, und nicht das Piano.

Als ich Chris das erste Mal sah, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Ich durfte kurzfristig Jo ersetzten, der sich die Grippe geholt hatte, und urplötzlich hatte auch Chris Interesse am Klavierunterricht. Er war für mich wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Chris hatte schwarze, lockige Haare und die wunderschönsten grünen Augen, die ich in meinem bisherigen Leben gesehen hatte. Darüber hinaus hatte er ein Grübchen am Kinn und eine Nase, wie von einem griechischen Bildhauer. Sie gab seinem Gesicht den Gesamteindruck eines männlichen Engels. Ich vergaß für einen Moment das Atmen und wäre beinahe kollabiert. Dieser Bursche hatte das bezauberndste Lächeln der Welt und schaute während der ganzen Stunde mehr auf mich als auf die Klaviertasten. Mein Herz fing an zu rasen und meine Hände zitterten so sehr, dass ich ihm kaum etwas Vernünftiges auf den Tasten vorspielen konnte. Mein Mund war so trocken wie eine Sanddüne in der Sahara. »Mein Gott, ist dieser Adonis schön«, durchfuhr es mich.

Ich fühlte, wie mir gleichzeitig heiß und kalt wurde, und noch immer war ich wie gelähmt. Dabei sollte ich ihm doch die Mondschein Sonate von Beethoven beibringen, zumindest den ersten Satz davon. Ich konnte meine Blicke nicht von ihm abwenden. „Oh, Gott, jetzt kommt er auch noch näher.“ Chris war auf dem ohnehin kleinen Klaviersessel noch näher an mich herangerückt, um die tieferen Tasten besser zu erreichen. So nahe, dass seine Oberschenkel und seine Hüfte meine entsprechenden Körperteile berührten. Dabei schaute er mir immer wieder tief in die Augen und fragte lasziv. „Und, ist das so gefühlvoll genug?“ Gleichzeitig bewegte er seine wunderschönen langen, schmalen Finger anmutig über die Tastatur. In meinem Kopf explodierte dabei ein Feuerwerk der Gefühle.

»Mit diesem Mann will ich bis zum Ende meiner Tage glücklich sein.«

Der Blick in seine Augen und die Berührung seines Körpers auf dem engen Klaviersessel gingen mir durch und durch. Ich fühlte seine Wärme und der Geruch seines männlichen Körpers raubte mir fast den Verstand. Er benutzte kein Parfüm. Es war sein eigener Geruch nach sonnengebräunter, wilder Männlichkeit. Ich nahm den großräumigen Salon um uns herum kaum mehr war. Auch nicht das Stimmengewirr seiner Schwestern und seiner Mutter aus der Küche. Jeder Blick in seine grünen Augen verschlug mir sofort den Atem.

Dabei sah auch er mir so tief in die Augen, so unendlich tief, dass ich das Gefühl hatte, mich völlig zu verlieren. Wenn seine wunderschönen langen, schwarzen, lockigen Haare mich berührten, fuhren kalte Schauer über meinen Rücken. Ich kann mich noch erinnern, dass er die Initiative ergriff und mich fragte, ob ich Lust hätte, um unseren Dorfsee zu spazieren. Ich war überglücklich, und willigte sofort mit klopfendem Herzen ein.

Doch Chris spielte offensichtlich mit meiner Unerfahrenheit. Männer können das mit siebzehn schon sehr gut. Er hatte schnell begriffen, dass ich hoffnungslos in ihn verliebt war. Aber ich war nur ein einfaches Lehrerkind. Zwar inzwischen trotz meiner Burschikosität ein ausgesprochen schönes und ansehnliches Mädchen, aber eben ohne gesellschaftlichen Status.

Wir führten trotzdem sehr anregende und intensive Gespräche. Selbst zu dieser Zeit konnte ich, auch ohne Gymnasium, schon recht anregende Konversation betreiben. Dies allerdings erst, wenn ich die erste Schüchternheitsphase einmal überwunden hatte. Und das konnte bei mir dauern. Eigentlich war mein Bruder ja der Klavierlehrer der Familie. Da nützte es auch nichts, dass ich spürte, Chris hätte gerne – oder sogar viel lieber – mich als seine Klavierlehrerin. Mein Bruder hatte verständlicherweise kein Interesse daran, das für ihn wertvolle und notwendige Geld zu verlieren, bzw. ein Treffen für mich zu arrangieren. Für ihn war die Kohle viel zu wichtig. Beinahe wäre ich Jo auf eine Art losgeworden, die ich niemals gewollt hätte. Beim Baden fiel ihm der elektrische Fön in die Badewanne. Er war bereits klinisch tot, als wir die Fensterscheibe endlich eingeschlagen und die Tür des Badezimmers aufgebrochen hatten. Othmar, unser jüngster Bruder und Draufgänger hat heute noch gut sichtbare Narben an seinem Arm, verursacht durch das zerbrochene Glas der Fensterscheibe. In Ermangelung eines brauchbaren Gegenstands hatte er in der Eile und wohl auch im Schock einfach seinen Arm zum Einschlagen des Fensters benutzt. Mein Vater und mein Onkel Max holten Jo schließlich mit Mund zu Mund Beatmung und Herzmassage wieder zurück ins Leben. Nach einiger Zeit im Krankenhaus hatte sich mein Bruder so weit erholt, dass er auch das Abitur noch mitschreiben konnte.

Auch Chris Familie war sehr um meinen Bruder besorgt gewesen. Und ich selbst wollte sicher nicht auf diese Art ›Land gewinnen‹, aber natürlich durfte ich jetzt öfter mit Chris Klavier spielen oder spazieren gehen. Ich wurde auch immer wieder zu diversen Familienfeiern eingeladen und übernahm so nach und nach den freundschaftlichen Part für meinen Bruder, der ja auch in der Großstadt und im Gymnasium viel mehr Mädchen kennenlernte, als ich Gelegenheit hatte, Jungs kennen zu lernen. Jo war außerdem sehr beschäftigt. Für Klavierstunden hatte er in dieser Phase der Abiturvorbereitungen ohnehin keine Zeit.

Ich war kurzzeitig sehr glücklich. Dennoch erkannte ich schon bald den Klassenunterschied. Eine Lehrertochter in einer Beziehung mit dem Sohn eines Konzerndirektors, konnte das auf Dauer gut gehen?

Chris bekam passendere Verehrerinnen am Tableau serviert, man bewegte sich ja in entsprechenden Kreisen. Diverse Partys, Familienfeiern, kostspielige Urlaube, und das alles im besonderen, entsprechenden Rahmen. Immerhin erfuhr ich im Laufe eines Familienabends, dass man im Urlaub in Kroatien sogar splitternackt herumlaufen konnte.

»Nein Hermann, doch nicht diese Dias!«, warf sich Chris Mutter vor die Leinwand, wenn der Stiefvater nach einigen Gläsern Wein etwas freizügig schon mal Nacktfotos von der Familie auf die Wand projizierte. Zu dieser Zeit war das eine absolute Sensation für mich. Ich hatte beinahe einen Herzstillstand. Meine heimliche Liebe lächelte mich in seiner wunderschönen natürlichen Nacktheit und Geilheit, mit einem Schwanz wie ein Pferd, von der Leinwand an.

Ich starrte auf seine unglaubliche Männlichkeit und glaubte, sogar auf dem Bild zu erkennen, dass sein Schwanz kurz davor war, sich steil aufzurichten. Die wunderschöne maskuline Form seines durchtrainierten Körpers ließ mich erschauern und ein weiterer verschämter Blick zwischen seine wohlgeformten Schenkel raubte mir beinahe den Verstand. Dabei wäre für mich der Abend auch ohne die Nacktaufnahmen eine Sensation gewesen. Aber Chris und nackt? Nackte Männer mit Schwänzen waren ja nichts Neues für mich und ich wurde auch nicht rot dabei! Ich musste an das Hosen runter Spiel denken, lachte spontan, und erfuhr nie, ob Chris nun darüber oder über den Vater oder die Mutter verärgert war. Ohne meine heimlichen Erlebnisse mit meinen Brüdern wären nackte Männer für mich sensationelle Traumvorstellungen geblieben. Traumvorstellungen für ein Mädchen aus einer Familie, in der sich die Mutter bei einer Bikini Werbung vor den Fernseher stellte, damit ihre Buben ja keine halbnackten Frauen zu Gesicht bekämen. Damit erreichte sie jedoch nur, dass meine Brüder mich als Anschauungsobjekt benutzten und mich stolz ihren Freunden präsentierten. Hätte meine Mutter gewusst, wie viele Schwänze ich schon in der Hand gehabt hatte, es hätte sie wohl der Schlag getroffen. Am Abend warteten meine Brüder dann auf der Terrasse, bis sich eines der Touristenmädchen in ihrem ebenerdigen Zimmer zum Schlafen oder Duschen auszog. Mit an den Glasscheiben plattgedrückten Nasen staunten sie dann onanierend über Busen und behaarten, schwanzlosen Schritt. Bis sie der Bruder eines dieser Mädchen ertappte und seiner Schwester von den Spannern berichtete. Vorbei war es mit der Peep-Show. Meine Brüder bekamen vom Vater des Mädchens am nächsten Morgen eine saftige Ohrfeige. Verrückte Welt!!! Wie sollen Burschen bei diesen verklemmten Ansichten der Erwachsenen eine vernünftige Einstellung zu Sex und Erotik erlangen? Heute weiß ich, dass meine Eltern immer schon so weit entfernt von der gesellschaftlichen Realität lebten, dass wir diesbezüglich eher das Leben von Inselbewohnern führten, als von in die Gesellschaft integrierten Dorfbewohnern. Wie wenig Ahnung sogar unser Lehrer Smokie von Sexualmedizin hatte, oder sagen wir, wie hervorragend unwissend er auf dem Gebiet der Sexualität war, bewies er uns mit einem Ausspruch, den er selbst voll und ganz glaubte, nämlich:

»Jeder Mann hat nur 2.000 Ergüsse zur Verfügung, also Jungs, onaniert nicht ständig, geht sparsam damit um, sonst könnt ihr später keine Kinder mehr zeugen.«

Gleich mal nachgerechnet. Da hätten meine Brüder wohl schon im jungen Alter von 25 Jahren keinen ›Schuss‹ mehr zur Verfügung gehabt. Und mit 55 Jahren kommen die ganz leicht auf über 10.000 Mal Abspritzen. Wenn ich an solch’ hilflose Erziehungsansätze denke, bekomme ich heute noch ein Gefühl der Ohnmacht und Verzweiflung. Unserer Gesellschaftsfähigkeit hat dies alles sicher nicht gedient. Trotz einer spürbaren Zuneigung zu meiner Person, hatte Chris schon bald an jedem Finger gesellschaftsfähigere Verehrerinnen. style='color:#00000A'>Trotzdem, zu den wenigen Highlights dieser Monate, ja Jahre, zählte eine Stunde an einem verregneten Nachmittag auf seinem Bett. Chris kuschelte sich anschließend an unsere Klavierstunde sehr gefühlvoll an mich. Frauen lieben es, wenn man ihnen den Rücken krault, das fördert die Zusammengehörigkeit und schüttet ein Kuschelhormon namens Oxytocin aus, hatte ich in einem dieser Jugendmagazine gelesen. Ich muss dann wohl sehr feinfühlig und einfühlsam seinen Rücken gekrault haben. Ich erinnere mich noch wie heute an die zwanzig Minuten, in denen ich anschließend um den Schaft seines erigierten Penis gestrichen habe. Mehr als den seitlichen Rand hätte ich mich nie getraut zu berühren … und das war schon aufregend genug. Chris drehte sich damals nach endloser Zeit mit feurigen Augen zu mir um und fing an, mich leidenschaftlich zu küssen. Ich weiß bis heute nicht, was damals noch daraus geworden wäre. Unser Vorspiel hatte in diesem Fall zu lange gedauert. Wir hörten noch während unserer ersten Küsse, dass seine Eltern zurück waren. Heute weiß ich, dass das meine erste Gelegenheit gewesen wäre, ihn für mich zu gewinnen. Sicher unbewusst hatte auch Chris mir das gegeben, was Frauen sich von einem guten Liebhaber erwarten, nämlich Zärtlichkeit und Einfühlungsvermögen. Aber Chris war wohl zu aufgeregt, und ich dadurch spürbar genervt, ja sogar enttäuscht. Und dann waren ja auch seine Eltern zurück. Aus und vorbei war es mit unserem ersten, gemeinsamen sexuellen Erlebnis.

 

Wochen danach hatte Chris eine neue Favoritin. Eine sogenannte Schicki Micki Braut aus dem Brückental. Sie liebte wilde Partys, Alkoholexzesse, Marihuana und starke Gespräche. Ich hatte noch nicht einmal Erfahrung mit Ersterem und konnte da nicht mithalten. Ich stürzte deshalb schon bald in ein tiefes Loch der Verzweiflung. Trotz alledem wurde ich immer noch zu diversen Partys eingeladen. Wohl mehr von Chris Mutter, die schnell erkannt hatte, dass von mir die geringere Gefahr ausging. Sie wusste ja nichts von meinen Hosen runter und diversen Fingerspielen mit meinen Jungs in der Schilfhütte.

Bezeichnend für diese Zeit war auch eine Episode auf Chris Abiturball. Mit seinem dunkelblauen Anzug von Versace, der seine traumhafte Figur und besonders seine durchtrainierte Muskulatur wunderbar zur Geltung brachte, im Schritt so eng geschnitten, dass mich der Anblick auch ohne Tanzeinlage zum Schwitzen brachte, war er der uneingeschränkte Star des Abends. Jo und ich waren von Chris Mutter als Tischpartner eingeladen. Brav bzw. adrett waren wir ja, und eben harmlos.

Als gute Tänzerin und mit viel Musik-und Rhythmusgefühl erfüllte sich sogar ein Traum von mir. Ich war Chris Tanzpartnerin, bis ein Uhr jedenfalls, und solange seine Mutter alles im Blickfeld hatte. Die Vorkehrungen der Mutter waren umsonst. Schon bald war meine große Liebe mit der Schicki Micki Braut verschwunden. Als sie wieder auftauchten, sah, spürte und roch man direkt, was inzwischen gelaufen war. Mich überkam ein Gefühl von Ohnmacht und Verzweiflung.

Ich hatte eine riesengroße Wut auf meine und Chris Mutter. Den Einfluss der Venus auf mein erotisches Verhalten in dieser Gesellschaft musste ich von meiner Geburt bis ins hohe Alter aufgrund meiner überdominanten Mutter verdrängen, verstecken und stark vernachlässigen. Meine pubertären erotischen Lernprozesse mit meinen Brüdern und deren Freunden einmal ausgenommen.

°

Als ich später neben Kunst auch Psychologie studierte, lernte ich, dass in jedem Menschen, selbst im Mann, eine schwelende, intensive, laszive und verführerische sexuelle Kraft sein sollte. Diese wunderschöne Energie musste selbst ich als Hexe, aufgrund gesellschaftlicher Normen und meiner religiösen Erziehung viel zu lange unterdrücken. Ich kann mich im Nachhinein erinnern, dass sie schon immer stark ausgeprägt war, und nur zu gerne hätte ich mit den verführerischen Künsten einer gelebten Venus Chris erobert. Venus ist das Feuer tief in mir drinnen. Das einfühlsame, romantische Wesen in mir hatte jedoch eben aufgrund dieser Eigenschaften trotz der Hexe, die diese Venus in Rebecca verkörperte, keine Chance, bei Chris zu landen.

Diese leidenschaftliche, laszive, geheimnisvolle Venus verkörpert all das, was in mir aufgrund meiner Erziehung verdrängt wurde. Ich war zwar als Jugendliche ausgesprochen gutaussehend, wurde vielfach sogar als schöne Prinzessin bezeichnet, von meiner Mutter auch eher als diese erzogen und gekleidet, als passend zu der Draufgängerin, die tief in mir verborgen war. Da durfte nichts Feuriges, Animalisches an mir und in mir wohnen, das die Leidenschaft von Chris in diesen Tagen hätte wecken können.

Oft artete das in eine Konkurrenz zwischen Vater und Tochter aus, die meine Mutter noch sehr stark geschürt hatte, indem sie Benzin in das lodernde Feuer goss. Der Vater als Elite Sportler und Macho, konnte trotz der tief in ihm schlummernden künstlerischen Feinfühligkeit, deren Gene ich offensichtlich geerbt habe, nicht gegen die Mutter ankommen, die meine Selbständigkeit immer wieder stark untergrub, indem sie nicht aufgab, mich zu Ihrer Vorzeigetochter zu machen. Es war dies ihre unbewusste Botschaft an das männliche Geschlecht und gegen dieses Machogehabe der Männer. So wurde ich auch oft für meine Einfühlsamkeit und Sensibilität und Zurückhaltung gelobt, und nie für meine männlichen Eigenschaften, die ich mit meinen Brüdern, Ellbogen einsetzend, raufend, schreiend, und mit männlichem Imponiergehabe, umso mehr auslebte.

Ich hatte beinahe aufgegeben, eine Frau sein zu wollen, hatte mich mich dezidiert für ein Leben abseits meiner Artgenossinnen entschieden und war so zur Hexe geworden. Erst mit den Jahren entwickelte ich eine Leidenschaft zu Büchern und eine Sehnsucht nach gedanklicher Tiefe.

Wie ich schon erwähnte, die Zeit war geprägt von leidenschaftslosem sozialem Verhalten und freudlosem Lernen in der Schule. Ich denke, der Einfluss der Venus fehlte so sehr, dass ich mich nicht einmal danach sehnen konnte. Wie auch, die Abwesenheit meiner Fraulichkeit war mir ja nicht einmal bewusst!

Venus ist nämlich nicht nur das Weibliche in der Frau. Sie verkörpert auch die sexuelle Entsprechung des Männlichen. Sie ist der muskelprotzende Mann aus der Sportartikel Werbung. Sie ist der honigfarbene Cognac oder Whisky und auch das unbekümmerte Lachen der Männer über einen Blondinenwitz.

Sie ist ein Porsche, Ferrari oder Jaguar, aber auch der Sprung mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug, der Adrenalin-Schub beim Bungeejumping oder die Abfahrt durch eine Steilrinne im Tiefschnee. Sie ist beim Aufziehen des Segels einer schnittigen Yacht dabei und beim lebenslustigen, verrucht orgastischen Sun-Downer. Dabei, nach einem Segeltörn in der romantischen Bucht, wenn alle nackt ins Wasser springen und danach das Salz auf der Haut als knisternde Erregung empfinden.

Venus im Mann verkörpert muskulöse Harmonie im Sport und gerechten Ausgleich der männlichen Ästhetik zur weiblichen Sinnlichkeit. Wir hören Venus im Plätschern der Wellen am Rumpf, im Singen des Windes in den Segeln, in der eleganten Form eines Sportwagens, im Brunftschrei des Löwen bevor er das Weibchen aus seinem Rudel zur Begattung wählt.

Wann immer ich mit meinen Fingern über den muskulösen Körper eines Mannes streichle, wird er mich vergöttern. Venus ist in seiner Selbstverherrlichung und Erotik. Venus drückt sich in Chris Hemmungslosigkeit und in seinem Machogehabe aus, aber auch in seiner Feinfühligkeit und seinem guten Geschmack.

Venus machte ihn auch zu einem einfühlsamen, zärtlichen und gleichermaßen romantischen Liebhaber, wie ich ihn mir immer gewünscht hatte.

Als Göttin der Liebe und Fülle verkörpert Venus das Angenehme und Lustvolle auf unserem Planeten. Also warum um alles in der Welt musste gerade ich diesen so positiven Aspekt unterdrücken?

Die Venus unserer Gesellschaft ist zu recht frustriert. Was immer erfolgreiche Männer in Form von Geld, Status und Macht besitzen, scheint ihnen an wahrer Liebe und persönlichem Glück zu fehlen. Immer wieder musste ich feststellen, dass bei Männern selbst im größten Erfolg die Angst bleibt, als Liebhaber gleichermaßen wie als Wirtschaftsikone zu versagen. Übrig bleibt die Verherrlichung der Statussymbole als Ersatzbefriedigung. Chris mochte sich nach Frauen sehnen, aus denen er seine „Göttin“ machen durfte, die all die Leere auffüllen konnte, die auch mein Leben prägte. Und genau deshalb sollte Chris mein „Gott“ sein.