Buch lesen: «Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen»
Clémentine Abel / Katja F. Cantone / Marta García García / Lilli Papaloïzos / Carine Greminger Schibli / Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner / Daniel Reimann / Christian Koch / Amina Kropp / Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat / Manfred F. Prinz / Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden / Daniel Reimann / Birgit Schädlich / Anna Schröder-Sura / Katharina Wesselmann
Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen
Neue Konzepte und Studien zu Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
[bad img format]
© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
www.narr.de • info@narr.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-8233-8385-7 (Print)
ISBN 978-3-8233-0204-9 (ePub)
Inhalt
EinleitungMehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen – Forschungsstand und neue Konzepte zur Vernetzung von Schulsprachen und Herkunftssprachen in der MigrationsgesellschaftBibliographie
Aktuelle Fragestellungen zu Mehrsprachigkeit als Lernvoraussetzung und als BildungszielMediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz: Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit in antinomischen Spannungsfeldern schulischen Fremdsprachenunterrichts1 Einleitung2 Mehrsprachigkeit und Fremdsprachendidaktik: Versuch einer Systematisierung für das unterrichtliche Handeln von Lehrpersonen3 Diskussion: Mehrsprachigkeit und Lehrerhandeln in antinomischen Spannungsfeldern4 Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht: Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz5 Zusammenfassung und Ausblick6 LiteraturDer Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) – Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren1 Einleitung2 Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA)3 Einsatzmöglichkeiten der DeskriptorenZusammenfassende ÜberlegungenLiteratur
Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts I: Alte Sprachen, Englisch und schulische Mehrsprachigkeit mit Blick auf die romanischen SprachenLatein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla1 Die Genese eines neuen Faches2 Aufbau3 Mehrsprachigkeit4. KulturgeschichteFazitBildlegenden:BibliographieI am aprendiendo linguam hispanicam. Eine Untersuchung zum metasprachlichen Bewusstsein von Spanischlernenden1 Einleitung2 Transferpotenziale beim Erwerb des spanischen imperfecto und estar + gerundio3 Empirie4 Ergebnisse5 Interpretation der ErgebnisseBibliographieCongénères dans la réception et la production de textes en français langue seconde et tertiaire en Suisse alémanique: perspectives acquisitionnelles et didactiques1 Introduction2 Contexte de l’étude3 Cadre théorique4 Questions de recherche5 Dispositif de recherche6 RésultatsRéférences
Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts II: Herkunftssprachen und Fremdsprachenunterricht„Sprachenvernetzung als Ressource?“ Eine Interviewstudie mit Lernenden und Lehrenden zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit und mündlichem Produktionstransfer im schulischen Fremdsprachenunterricht1 Einleitung: Lehrerbildung für die Migrationsgesellschaft2 Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und transferbasierte mündliche Interaktionen im schulischen Fremdsprachenunterricht2.1 Output und Interaktion: lerntheoretische und sprachenplanerische Einordnung2.2 Mehr- und mischsprachige Lerneräußerungen: Sprachenvernetzung und Multikompetenz2.3 Transferbasierte Interaktionen: Kognitivierung und language awareness2.4 Integration von Transfer und Herkunftssprachen: Status Quo3 Herkunftssprachliche Transferphänomene in mündlichen Interaktionen: lehrerseitiges Anforderungsprofil4 „Sprachenvernetzung als Ressource? Produktiver Transfer im schulischen Fremdsprachenunterricht“: Forschungsdesign und erste Ergebnisse4.1 Fragestellung und Erkenntnisinteresse4.2 Referenzstudien und methodisch-methodologische Überlegungen4.3 Methodisches Vorgehen: Datenerhebung und -auswertung4.4 Präsentation der Ergebnisse4.4.1 Die Perspektive der Lernenden4.4.2 Die Perspektive der Lehrenden4.4.3 Fallstudie Lehrperson A4.5 Zusammenschau und Diskussion der Ergebnisse5 Fazit und Ausblick: migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften6 BibliographieItalienischstämmige SchülerInnen im Fremdsprachenunterricht Italienisch: Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext1 Einleitung2 Mehrsprachigkeit an Schulen – eine Bestandsaufnahme3 Spracherwerb und Spracherhalt im Kontext von Migration4 Die Vitalität des Italienischen in Deutschland5 Vorschlag zur Sprachmittlung des Italienischen6 FazitLiteraturverzeichnisSchülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht1 Schulpraktischer und theoretischer Kontext2 Forschungsstand3 Forschungsfrage, Forschungsdesign, Stichprobe und Methode4 Ergebnisse5 Zusammenfassung zentraler Ergebnisse und Diskussion im Kontext der Forschung6 Methodenreflexion und PerspektivenBibliographieSchülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Unterricht der romanischen Sprachen (Beispiel: Spanisch) – Synopse ausgewählter Ergebnisse der qualitativen Pilotierung2. Motive für die Wahl der Herkunftssprache als Fremdsprache3. Beurteilung des herkunftssprachlichen Unterrichts5. Motivation im Spanischunterricht7. Wünsche der Schülerinnen und Schüler zu Berücksichtigung und Förderung als heritage speakers im Spanischunterricht
Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts III: Konzeptionelle Anregungen zur Entwicklung eines sprachsensiblen Fremdsprachen- und Fachunterrichts mit Fokus auf Bilingual EducationDie Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand zur Thematisierung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Spanischunterricht1 Einleitung2 Förderung der Herkunftssprachen im Unterricht romanischer Sprachen – Versuch einer Typologie3 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern4 Die Educación Intercultural Bilingüe im Spanischunterricht5 FazitBibliographieHablando de política – Urteilsbildung und Argumentation im sprachsensiblen Bilingualen Politik- und Wirtschaftsunterricht1 Einleitung2 Inhalt im Fremdsprachenunterricht3 Sprache im Fach – am Beispiel des Politik- und Wirtschaftsunterrichts4 Forschungsfragen und Methodologie5 Analyse6 Diskussion7 FazitReferenzen
Förderung der Mündlichkeit in sprachsensiblen und nachhaltigen UnterrichtssettingsSuprasegmentalia im Französischunterricht: Skalen und Niveaubeschreibungen auf dem PrüfstandEinleitung1. Bedeutung von Suprasegmentalia2. Diskussion bestehender Modelle3. Entwicklung eines komplementären Modells4. Ausblick5. BibliographieEnseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels orauxIntroduction1 Le modèle AMI2 Analyse des documents3 Conclusion et perspectivesBibliographie sélectiveMehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Überholte Dichotomien versus Identitäten des „glissando“Zusammenfassung1 Soziolinguistische und sprachpolitische Betrachtungen2 Didaktische Annäherungsversuche an sprachlich hermetische Formen – Am Beispiel des Kreolischen3 Fazit4 Quellen
Hochschuldidaktische Aspekte – Lehrerbildung: Mehrsprachigkeit und Ausbildung fremdsprachlicher LehrkräfteSprachenbiographische Lehrforschungsprojekte als Ausgangspunkt für die Reflexion sprachenpolitischen Handelns1. Anlage des Lehrforschungsprojekts und theoretische Ausgangspunkte2. Spuren des policymaking im Spracherleben – eine Detailanalyse aus der sprachenbiographischen Begleitforschung3. Sprachenbezogene Reflexionsräume eröffnenLiteraturverzeichnisMultilinguale und transkulturelle Medienkommunikation in der Fachdidaktik der romanischen Sprachen1 Einleitung2 Mehrsprachigkeit aus kulturwissenschaftlicher und fachdidaktischer Sicht3 Die didaktisch-methodische Herangehensweise4 Diskussion der Ergebnisse und AusblickBibliographische Angaben
Einleitung
Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen – Forschungsstand und neue Konzepte zur Vernetzung von Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft
Marta García García / Daniel Reimann
Mehrsprachigkeit ist seit Jahrzehnten eines der zentralen sprachen- und bildungspolitischen Anliegen der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union, Mehrsprachigkeitsdidaktik seit nunmehr beinahe drei Jahrzehnten eines der zentralen Forschungsfelder der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik (einführend z.B. Reimann 2018, bes. 29, 39-46). Der romanistischen Fremdsprachendidaktik kam bei der Entwicklung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze bezogen auf schulischen Fremdsprachenunterricht insofern eine Vorreiterrolle zu, als die romanischen Sprachen – von wenigen Ausnahmen im Bereich der slavischen Sprachen sowie den nicht unmittelbar vergleichbaren Konstellationen des Niederländisch- und Dänischunterrichts abgesehen – die einzige Sprachenfamilie darstellen, aus der regelmäßig mehr als eine Fremdsprache im Laufe einer Schullaufbahn erlernt werden kann (z.B. Französisch als zweite und Italienisch oder Spanisch als dritte Fremdsprache) (vgl. Reimann i.Vb.).
Zugleich wird landläufig festgestellt, dass die Anliegen der Mehrsprachigkeitsdidaktik noch immer zu wenig Eingang in die (Schul-)Praxis gefunden haben. Allerdings wird sich Schule in zunehmendem Maße auch an der Umsetzung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze messen lassen müssen, nicht zuletzt, seit durch Aufnahme der Bereiche Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz in die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012, 11, 23sqq.) grundlegende Bausteine der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu Kompetenzzielen des Fremdsprachenunterrichts in der Oberstufe erhoben wurden (zur Verbindung der Konzepte vgl. Morkötter 2005).
In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Veränderungen in der Schüler- (und Lehrer-)schaft ergeben, aufgrund derer Mehrsprachigkeitsdidaktik „neu gedacht“, d.h. theoretisch und konzeptionell weiterentwickelt, weiter beforscht und unterrichtspraktisch ausgestaltet werden muss. Insbesondere ist hier auch die sprachliche Heterogenität der Schülerschaft – wie auch, in zunehmendem Maße, der Lehrerschaft – zu nennen, welche die Lernvoraussetzungen im Fremdsprachenunterricht mitbedingt (z.B. Hu 2003, Volgger 2012) und in der Lehrerausbildung mit berücksichtigt werden muss (vgl. z.B. Benholz et al. 2017, Reimann et al. 2018, Strobl et al. 2019, Reimann / Cantone im Druck). Mehrsprachigkeitsdidaktik kann sich also nicht mehr nur auf Vernetzung von Schulfremdsprachen untereinander beziehen, sondern muss die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler miteinbeziehen (z.B. Schmelter 2015). Eine besondere Konstellation besteht, wenn als Fremdsprache eine Herkunftssprache gewählt wird (vulgo: „Muttersprachler/innen“ im Fremdsprachenunterricht, vgl. die Beiträge Cantone und Reimann im vorliegenden Band).
Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, einen Überblick über die neuere Geschichte der Mehrsprachigkeitsdidaktik aus romanistischer Perspektive zu geben, in deren Rahmen die Beiträge des vorliegenden Bandes zu verorten sind (zur Vorgeschichte einführend Reimann 2018, 45sq., mit weiterführender Bibliographie): Insgesamt hat sich die jüngere Mehrsprachigkeitsdidaktik im weiteren Sinne im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren intensiv entwickelt. Ausgehend von vereinzelten Vorläufern wie beispielsweise den Beiträgen Abel 1971, Barrera-Vidal 1972, Oehler 1972, Ernst 1975 und Zapp 1979 sowie 1983 zeichnet sich in den 1980er Jahren ein verstärktes Interesse für Spezifika des Lernens und Lehrens dritter und spät beginnender Fremdsprachen ab (z.B. Christ 1985), das im sog. Bochumer Tertiärsprachenprojekt, in dem Spezifika des Italienisch- und Spanischunterrichts zu ergründen versucht werden, kulminiert (vgl. die zusammenfassende Ergebnisdarstellung in Bahr et al. 1991).
In den 1990er Jahren legen insbesondere Franz-Joseph Meißner und Marcus Reinfried die Grundlagen für die Entwicklung einer „Didaktik der romanischen Mehrsprachigkeit“ (vgl. z.B. Meißner 1991 und 1993, Meißner / Reinfried 1998, weiterhin z.B. Martinez / Reinfried 2006). Weitere Veröffentlichungen reflektieren Potentiale und Erträge der Mehrsprachigkeitsdidaktik aus schulpraktischer Sicht und mit Blick auf die Lehrerbildung (z.B. Hildenbrand / Martin / Vences 2012). Parallel entwickelt sich im Kontext der Didaktik des Deutschen als Fremdsprache die so genannte „Tertiärsprachendidaktik“ weiter, die insbesondere die Sprachenfolge „Deutsch nach Englisch“ und ihre didaktisch-methodischen Implikationen untersucht (z.B. Hufeisen 1991, Hufeisen / Lindemann 1998).
In den späten 1990er und in den 2000er Jahren konzentriert sich die Forschung insbesondere auf den Bereich der Interkomprehension (vgl. z.B. Meißner 2005), also die Entwicklung rezeptiver Kompetenzen (v.a. Leseverstehen) auf der Grundlage umfassenderer Kompetenzen in anderen (hier v.a. romanischen) Sprachen. Ausgangs- und Referenzpunkt ist das Frankfurter Projekt EuroCom (vgl. Klein / Stegmann 2000), das entsprechende Pendants in romanophonen Kontexten kennt (z.B. Galatea, Galanet, EuRom 4 / EuRom 5, Interlat, InterRom, für eine Übersicht vgl. Caddéo / Jamet 2013, bes. 141-181, vgl. exemplarisch Bonvino 2011) und trotz seiner hochschuldidaktischen Konzeption auch in den schulischen Bereich zu transferieren versucht wurde (z.B. Klein 2004). Es entstanden in der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung mehrere umfassende empirische romanistisch-interkomprehensionsdidaktische Studien (z.B. Bär 2009, Mordellet-Roggenbuck 2011). Zugleich gab es, ausgehend von EuroCom, entsprechende Parallelprojekte im Bereich der germanischen und der slavischen Sprachen. Mitunter wird auch – über die o.g. interkomprehensionsdidaktischen Arbeiten im engeren Sinne hinaus – die Perspektive von Schülerinnen und Schülern empirisch erfasst (z.B. Reimann 2002, Neveling 2017).
Seit den 2010er Jahren zeichnet sich eine zunehmende Öffnung der traditionellen romanistischen Mehrsprachigkeitsdidaktik hin auch zum Englischen ab (z.B. Leitzke-Ungerer / Blell / Vences 2012, Bär 2012, Schöpp 2015, zahlreiche Beiträge von Eva Leitzke-Ungerer, z.B. Leitzke-Ungerer 2015). Der Englischunterricht nimmt seinerseits seine Verantwortung als inzwischen überwiegend erste Fremdsprache, die Zugänge zum Erlernen weiterer Fremdsprachen eröffnen kann und soll, wahr und die Englischdidaktik beginnt, diesen Aspekt empirisch zu beforschen (z.B. Jakisch 2015). In der Schweiz wurde u.a. das Transferpotential vom Englischen zur zweiten Fremdsprache Französisch in deutschsprachigen Kantonen in einem umfassenden empirischen Projekt untersucht (vgl. den Beitrag Manno / Egli Cuenat im vorliegenden Band). Die Lateindidaktik leistet ihrerseits einen Beitrag zur Mehrsprachigkeitsdidaktik, indem sie über traditionelle, exemplarische Unterrichtsmodelle zur Vernetzung der alten und der modernen Fremdsprachen hinausgehend (z.B. Einzelbeiträge wie Fischbach 1981, Knittel 1981, Metzger / Ulrich 1995, vgl. auch den Band Nagel 1997 sowie Themenhefte wie Der Altsprachliche Unterricht 4, 2005: Latein und Romanische Sprachen; 1, 2016: Latein und Spanisch) fundierte Studien mit Blick auf das Vernetzungspotential zwischen Sprachen vorlegt (z.B. Siebel 2017) und das Potential des Lateinunterrichts zur Sprachförderung insgesamt, gerade auch für mehrsprachige Schülerinnen und Schüler, beforscht (z.B. Kipf 2014, Große 2017).
Neben zahlreichen vereinzelten Unterrichtsvorschlägen, vor allem in Zeitschriften für die Unterrichtspraxis und punktuellen Aktivitäten in den meisten Lehrwerken der letzten Generationen, haben inzwischen einige wenige große Entwicklungsprojekte zu ganzen Lehrwerken geführt, die Erkenntnisse der Mehrsprachigkeitsdidaktik systematisch in Sprachlehrgänge zu integrieren versuchen. Mit Blick auf den Brückenschlag von altsprachlichem Unterricht zu den romanischen Sprachen ist für den schulischen Bereich hier die Baseler Lehrwerkreihe Aurea bulla zu nennen (Müller et al. 2016sqq., vgl. den Beitrag Wesselmann im vorliegenden Band). Für den Transfer innerhalb der romanischen Sprachen wurde in Österreich die Serie paralleler Lehrwerke Descubramos el español / Découvrons le français / Scopriamo l‘italiano vorgelegt, die jeweils für das Erlernen einer romanischen Sprache v.a. als zweiter oder dritter Fremdsprache (Oberstufe) unter systematischem Rückgriff auf Vorkenntnisse in einer der beiden anderen romanischen Sprachen konzipiert sind (Holzinger et al. 2012, Rückl et al. 2012 und 2013) und punktuell über den rezeptiven Ansatz der Interkomprehensionsdidaktik hinausgehen (vgl. Reimann 2016, 18sq.). Einen neuen Meilenstein für die romanistische Mehrsprachigkeitsdidaktik stellt auch die Erstellung des Kernwortschatzes der romanischen Mehrsprachigkeitsdidaktik (KRM) durch Franz-Joseph Meißner dar (z.B. Meißner 2016, 2018).
Etwa zeitgleich zeichnet sich sichtbar eine Erweiterung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze um eine grundlegend zweite Dimension neben der Vernetzung von Schulfremdsprachen untereinander ab, namentlich die oben bereits erwähnte Berücksichtigung so genannter Herkunftssprachen lebensweltlich bedingt mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht (zu diesem Paradigmenwechsel vgl. z.B. Reimann 2018, bes. 29sqq., Reimann 2019). Grundlegend zu Herkunftssprachen als Sprachlernvoraussetzung kann auf den Beitrag Baur / Chlosta 2010 verwiesen werden. Grundlegende Forschungsergebnisse zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit wurden in mehreren Studien vorgelegt (vgl. Hu 2003, Volgger 2012, Méron-Minuth 2018) und einzelne Fragestellungen in thematischen Sammelbänden (z.B. Fernández Ammann / Kropp / Müller-Lancé 2015, Schlaak / Thiele 2017, Willems / Thiele / Kramer 2019) oder in Zeitschriftenbeiträgen vertieft (z.B. zum Spanischen Granados / Siems 2014, Reimann / Siems 2015, Reimann 2017, zum Französischen Thiele 2015, Reimann / Tziotzios 2018). Auch ein großes, laufendes, DFG-gefördertes Projekt widmet sich dieser Fragestellung, namentlich Franzimo – Französisch als 2. Fremdsprache: interkulturell und mehrsprachigkeitsorientiert (www.romanistik.uni-wuppertal.de/de/personal/fachdidaktik/prof-dr-phil-lars-schmelter/forschung/franzimo-franzoesisch-als-2-fremdsprache-interkulturell-und-mehrsprachigkeitsorientiert.html, 09.10.2019, vgl. z.B. Schmelter 2015). Der Sonderfall von Schülerinnen und Schülern, deren Herkunftssprache zugleich die Zielsprache des Fremdsprachenunterrichts ist, wurde in der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung bislang nur in der slavistischen Fachdidaktik vertieft untersucht (einführend z.B. Brehmer / Mehlhorn / Yastrebova 2017). Zu einem romanistischen Pilotprojekt vgl. den Beitrag Reimann im vorliegenden Band sowie García García (2019a und im Druck) für den besonderen Kontext des Bilingualen Unterrichts.
Auch die Perspektive von Lehrkräften wird zunehmend als grundlegender Baustein einer Weiterentwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik beforscht. Im Bereich der romanistischen Fremdsprachenforschung wird hier neben der Gruppe der Lehrkräfte in Ausbildung (s.o., Reimann et al. 2018, Reimann / Cantone im Druck) z.B. in den Beiträgen Neveling 2012 und 2013 (Fokus Schulfremdsprachen) sowie Heyder / Schädlich 2014 und 2015 (Fokus Herkunftssprachen) auch die Sicht bereits praktizierender Lehrkräfte untersucht (vgl. Kropp in diesem Band).
Immer wieder wurde versucht, mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze in umfassendere Entwürfe zu bündeln. Im Rahmen dieses einleitenden Forschungsberichts können etwa erwähnt werden: der Schweizerische Ansatz einer integrativen bzw. integrierten Sprachendidaktik seit 1998 (vgl. das Themenheft Babylonia 4, 1998: Gesamtsprachenkonzept), das Gesamtsprachencurriculum von Hufeisen seit 2005 (vgl. Hufeisen 2005) sowie weitere, sprachsensiblen Unterricht in allen Fächern fokussierende Ansätze wie etwa das Projekt PlurCur des Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarats (vgl. Allgäuer-Hackl et al. 2015, einführend zu übergreifenden mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen vgl. Hufeisen 2018). Ein auf europäischer Ebene bedeutender Ansatz, der verschiedene mehrsprachigkeitsdidaktisch relevante Forschungs- und Handlungsfelder vereint, ist das Konzept der „Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kulturen“ des Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarats (vgl. das Handbuch Melo-Pfeifer / Reimann 2018a, weiterhin einführend z.B. Candelier 2008 und das Themenheft Babylonia 2, 2015: Les approches plurielles des langues et des cultures). Mit den „Pluralen Ansätzen“ wurde seit etwa 2005 ein Modell geschaffen, das versucht, verschiedene Ansätze des sprachsensiblen und sprachenübergreifenden Unterrichtens und einer inter- und transkulturellen Sensibilisierung in ein Gesamtkonzept mehrsprachiger und mehrkultureller Bildung zu integrieren (vgl. Melo-Pfeifer / Reimann 2018b, 15). Dabei werden im engeren Sinne vier „Plurale Ansätze“ unterschieden: Éveil aux langues u.a. im Sinne der Entwicklung von (früher) Sprachbewusstheit gerade auch im Primarbereich und Nutzung der herkunftsbedingten Mehrsprachigkeit innerhalb der Lerngruppen, Interkomprehension, integrative Sprachendidaktik und interkulturelles Lernen. Die Arbeiten des Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarats sind u.a. im Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (RePA) gebündelt worden (einführend z.B. Schröder-Sura 2018, Schröder-Sura im vorliegenden Band).
Aus diesem kurzen Forschungsüberblick wird deutlich, dass eine Vielzahl von Konzepten und Entwicklungen nebeneinander existieren. Mit Blick auch über die romanischen Sprachen hinaus wird in Fäcke / Meißner 2019 in einer großen Zahl von Einzelbeiträgen versucht, dem weiten Spektrum der Didaktik der Mehrkulturalität und der Mehrsprachigkeit mosaikartig Rechnung zu tragen.
In Hinblick auf die Entwicklung der schulbezogenen Fremdsprachenforschung und des Fremdsprachenunterrichts wurde in jüngerer Zeit mit der Denkfigur „aufgeklärte Mehrsprachigkeit“ ein integrierender Ansatz bezeichnet, der für die künftige Mehrsprachigkeitsdidaktik relevante Forschungs- und unterrichtliche Handlungsfelder konzentriert in den Blick nimmt (Reimann 2016). Dabei wird insbesondere auf
eine stärkere Berücksichtigung der Entwicklung produktiver Fertigkeiten,
die Integration weiterer Schulfremdsprachen neben den romanischen Sprachen (einschließlich der alten Sprachen),
die Berücksichtigung des Deutschen als Mutter-, Zweit- und Fremdsprache („Deutsch als Zielsprache“),
die Berücksichtigung der bereits genannten Herkunfts- und Familiensprachen,
die Entwicklung rezeptiver Varietätenkompetenzen in der Zielsprache,
die Förderung multilingualen Sachfachunterrichts sowie
die Entwicklung transkultureller kommunikativer Kompetenz
im Rahmen mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze abgehoben (vgl. art. cit., bes. 17-29).
Die vorliegende Publikation versammelt konzeptionelle Entwürfe und empirische Studien gerade auch mit Blick auf die oben genannten „blinden Flecken“ der (v.a. romanistischen) Mehrsprachigkeitsdidaktik. Dabei werden u.a. aktuelle Fragestellungen zur Entwicklung des Konzepts Mehrsprachigkeit als Lernvoraussetzung und als Bildungsziel formuliert, empirische Befunde zur Vernetzung schulischer Fremdsprachen mit Fokus auf Produktion und Interaktion diskutiert (bes. Englisch / Französisch), empirische Erhebungen sowie praxisorientierte Entwicklungsprojekte zur Integration der Alten Sprachen und der romanischen Sprachen vorgestellt, die Integration von Herkunftssprachen einschließlich der Konstellation „Herkunftssprache = Zielsprache“ im Fremdsprachenunterricht empirisch ergründet sowie schlussendlich auch der Aspekt der Interaktion in sprachsensiblen und nachhaltigen, teilweise auch in bilingualen Unterrichtssettings sowie hochschuldidaktische Aspekte der Lehrerbildung beleuchtet. Der Band geht auf die Sektion „Interaktion, Migration und Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen“ des XXXV. Romanistentags in Zürich (08.-12.10.2017) zurück. Er enthält ausgewählte, ausformulierte und nach kritischer Begutachtung überarbeitete Beiträge dieser Tagung sowie weitere, den Blick auf die hier verhandelten Fragestellungen ergänzende Aufsätze.
Die Beiträge wurden nach inhaltlichen Schwerpunkten auf sechs Sektionen verteilt: Die Beiträge des ersten Blocks Aktuelle Fragestellungen zu Mehrsprachigkeit als Lernvoraussetzung und als Bildungsziel bilden einen konzeptionellen Rahmen des Bandes. Im Beitrag von Birgit Schädlich wird eine Systematisierung der Spannungsfelder unternommen, in denen sich sowohl der Diskurs um die schulische Mehrsprachigkeit als auch das Handeln von Lehrpersonen dychotomisch bewegen, nämlich zwischen Mehrsprachigkeit als Lernvoraussetzung bzw. als Ziel der schulischen Ausbildung einerseits sowie Mehrsprachigkeit verstanden als Gegenstand bzw. als Sprachgebrauch andererseits. Im Anschluss an die Ausführungen schlägt die Autorin mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz als mögliche Ansätze vor, um diese Oppositionen konstruktiv im Fremdsprachenunterricht zu integrieren und insbesondere die Aspekte des Sprachgebrauchs und der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit mehr in den Fokus zu stellen. Andere mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze, die eher auf die Integration und Vernetzung von in der Schule erlernten Fremdsprachen abzielen, werden wie bereits erwähnt im RePA beschrieben. Im Beitrag von Anna Schröder-Sura wird mittels ausgewählter Beispiele gezeigt, welche konkreten Möglichkeiten sowohl auf curricularer als auch auf unterrichtspraktischer Ebene der Einsatz der Deskriptoren des RePA bietet.
Beide Beiträge legen somit die Koordinaten fest, in denen sich die weiteren Beiträge – teils von eher empirischem, teils von eher praktischem Charakter – verorten lassen.
Ein aus der Perspektive der romanistischen Mehrsprachigkeitsdidaktik mitunter vernachlässigter Aspekt war und ist die Berücksichtigung und Integration der Alten Sprachen als Lernvoraussetzung bei der Aneignung einer romanischen Sprache. Aber auch die empirische Fundierung der konzeptionell und unterrichtspraktisch zwischenzeitlich durchaus angeregten Integration des Englischen (s.o.) steht bis dato weitgehend aus. Diesen Bereichen widmet sich der zweite Abschnitt Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts I: Alte Sprachen, Englisch und schulische Mehrsprachigkeit mit Blick auf die romanischen Sprachen, in der aus empirischer und unterrichtspraktischer Perspektive der Fokus auf die sinnvolle Vernetzung der in der Schule erlernten Sprachen gelegt wird. Ein konkretes Beispiel dafür, wie die Sprachvernetzung in Lehrwerken gefördert werden kann, stellt der Beitrag von Katharina Wesselmann dar. Die Autorin zeigt anhand des von ihr mitkonzipierten Lehrwerks Aurea Bulla auf, wie die alte Sprache Latein ihre Funktion als Grundlage für die Aneignung weiterer Sprachen erfüllen kann: Ansätze der Interkomprehensionsdidaktik, der integrierten Sprachendidaktik sowie der Sprachenbewusstheit werden hier den jungen Lernenden in sehr ansprechender Form präsentiert. Lukas Eibensteiner und Johannes Müller-Lancé sowie Giuseppe Manno und Mirjam Egli Cuenat widmen sich der tatsächlichen Nutzung des Transferpotenzials vorgelernter Sprachen durch diejenigen Schülerinnen und Schüler, die eine zweite bzw. dritte Fremdsprache lernen. Lukas Eibensteiner und Johannes Müller-Lancé erforschen diesen Aspekt mit Blick auf das Erlernen des verbalen Aspektes im Spanischen, Giuseppe Manno und Mirjam Egli Cuenat mit dem Schwerpunkt auf Erleichterungen durch Kognaten bei der Erledigung schriftlicher Aufgaben im Französischen als Zielsprache. Trotz der Unterschiede in den untersuchten Schulkontexten und in den Forschungsdesigns fallen die Ergebnisse beider Studien sehr ähnlich aus: In beiden Fällen kann konstatiert werden, dass eine Aktivierung von mehrsprachigen Lernstrategien stattgefunden hat, gleichwohl bleibt das Transferpotenzial der vorgelernten Sprachen vielfach unausgeschöpft.
Die zweite große im einleitenden Forschungsbericht beschriebene Dimension der aktuellen Mehrsprachigkeitsdidaktik, namentlich die der Einbeziehung von Herkunftssprachen in schulische Lehr-/Lernprozesse, wird im folgenden Abschnitt Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts II: Herkunftssprachen und Fremdsprachenunterricht in den Blick genommen. Einerseits scheint es mitunter im schulischen Alltag an der Berücksichtigung von Herkunftssprachen zu mangeln, wie der Beitrag von Amina Kropp paradigmatisch zeigt. Die Autorin untersucht in ihrer Interviewstudie mit Lehrenden und (ehemaligen) Lernenden, inwiefern herkunftssprachliche Kenntnisse als Ressource für das Lernen weiterer Sprachen im Unterricht thematisiert und fruchtbar gemacht werden und stellt eine fehlende „multilinguale Überzeugung“ bei den Lehrpersonen fest. Dies steht im Einklang mit den negativen Erfahrungen der Lernenden, deren Mehrsprachigkeit sehr selten wertgeschätzt und einbezogen wurde. Aber nicht nur im Unterricht selbst, sondern auch im deutschen Schulsystem als Ganzem scheinen Defizite bezogen auf die Förderung und den Erhalt von Herkunftssprachen vorzuliegen. Dies untersucht Katja F. Cantone am Beispiel des Italienischen. Ausgehend von der Diskussion ausgewählter Fälle wird veranschaulicht, wie sehr die Eltern bei der Weitergabe der Familiensprache(n) auf sich alleine gestellt sind. Zwar scheint ein flächendeckendes, staatliches Angebot von Herkunftssprachenunterricht derzeit unrealistisch und kaum praktikabel, dennoch belegt diese Untersuchung offensichtliche, strukturelle Defizite. Einen Sonderfall mehrsprachlich kompetenter Schülerinnen und Schüler stellen die Lernenden dar, die einen zielsprachigen Hintergrund aufweisen. Diesem besonderen Fall widmet sich der Beitrag von Daniel Reimann und geht der Frage nach, wie Schülerinnen und Schüler mit Spanisch als Familiensprache im Spanischunterricht behandelt und gefördert werden. Die zentralen Ergebnisse der schriftlichen, retrospektiven Befragung an Studierenden sowie der mündlichen Interviews mit Lehrenden und Schülerinnen und Schülern zeigen, dass die Einbeziehung der „muttersprachlichen“ Lernenden in den Unterricht zum einen für die Lehrkräfte als Herausforderung erlebt wird, da sie häufig einen Balanceakt zwischen Unterforderung und hoher Exposition der Schülerinnen und Schüler (z.B. als Experte, als Modell für die Mitlernenden) darstellt. Für die (ehemaligen) Schülerinnen und Schüler selbst besteht zum anderen der Wunsch (durch Zusatzleistungen noch) mehr gefordert zu werden. Im Einklang mit anderen Beiträgen des Bandes wird ebenfalls festgestellt, dass sie nicht im vollen Bewusstsein des Transferpotenzials ihrer Sprachenkenntnisse sind bzw. dies im Unterricht nicht explizit genug einbezogen wird.