DIE GOLDENE FEDER

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
DIE GOLDENE FEDER
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Marianne Labisch (Hrsg.)

Die goldene Feder
Geschichten aus dem alten Orient

Ein Geschichtenweberprojekt

Ausser der Reihe 55

Marianne Labisch (Hrsg.)

DIE GOLDENE FEDER

Geschichten aus dem alten Orient

Ein Geschichtenweberprojekt

Außer der Reihe 55

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: September 2021

p.machinery Michael Haitel

Titelbild & Illustrationen: Gerd Scherm

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 253 9

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 844 9

Vorwort

Liebe Leser,

als Kind hat mich die magische Welt aus Tausendundeiner Nacht fasziniert. Ich liebte diese schwebenden Teppiche, die Pluderhosen, die Dschinns, die angeblich böse waren, aber doch Wünsche erfüllten, die blauen Rosen, die ich niemals in einem Laden finden konnte, die kleinen Diebe, die auf den Basaren ihr Essen zusammen stibitzen. Auch die wunderhübschen Frauen, die mit hauchdünnen Schleiern ihr Gesicht verhüllten und ihre Hüften schwingen ließen.

Gut, ich gebe zu, dass es dort Eunuchen und Harems gab, gefiel mir weniger, aber zum Märchen gehörte immer auch etwas dazu, dass einem nicht so gefiel, nicht wahr? Der böse Wolf, die Hexe und andere Gestalten. Die Magie des Orients erschien mir weit befremdlicher und interessanter, als die unserer eigenen Märchen.

In Zeiten der Zuwanderung, in denen oft ganze Völkergruppen vorverurteilt und verunglimpft werden, wollten wir die alte Magie des alten Orients wiederaufleben lassen, wenn auch in leicht abgewandelter Form. Sie werden sehen, dass es bei uns Mädchen und Frauen gibt, die Mittel und Wege finden, sich nicht in das ihnen zugedachte Frauenbild zu fügen. Bei vielen orientspezifischen Fragen habe ich Professor Dr. Moustafa Nawito zurate gezogen, der mir als gebürtiger Ägypter dabei helfen konnte, grobe Fehler zu vermeiden. Er hat zwar gemeint, unser Frauenbild stimme nicht mit dem damals geläufigen überein, aber wir bewegen uns mit den Geschichten in diesem Band nah am Märchen, und dort darf auch mal etwas geschehen, das es in der Realität vielleicht nie gegeben hat. Es könnte allerdings auch sein, dass so manche Orientalin doch geschickter war, als es überliefert worden ist.

Wir entführen Sie in den zauberhaften, fernen, alten Orient.

Ich wünsche gute Unterhaltung.

Marianne Labisch


Marie-Kristin Jagst
Der Dschinn in der Teekanne

Das Blinken des Cursors auf meinem Tablet verspottete mich. Mein Kopf steckte voll Daten und Fakten, die aufgeschrieben werden wollten. Aber mein Blick wanderte wieder zu diesem einen Buch im Regal gegenüber. In der Bibliothek gab es Tausende Wälzer, aber die goldene Schrift auf dem Buchrücken schien mich anzuziehen. Ich hatte keine Zeit für Ablenkung. Mein Professor erwartete meine Arbeit in drei Tagen und ich hatte nichts geschrieben. Ich konnte ihn vor mir sehen. Hanna, Sie sind nicht dumm, aber wenn Sie sich nicht anstrengen, werden Sie in meinem Fach durchfallen. Ich versuchte, mich zusammenzureißen. Wenn ich einfach mal in das Buch schaute, konnte ich mich danach vielleicht konzentrieren. Der Student neben mir packte gerade seine Sachen und ging. Ich erhob mich ebenfalls und schlich zu dem Buch. Warum nur hatte ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun? Weil du keine Zeit für solche Kindereien hast, beantwortete ich mir die Frage selbst.

Als meine Finger das glatte Leder berührten, überrollte mich eine Gänsehaut. Das fand ich einfach lächerlich. Ich würde mir das Buch kurz anschauen und dann weiterarbeiten. Oben lugte eine Seite aus dem Einband hervor. Diese Stelle schlug ich auf und fand einen zusammengefalteten Brief. Irritiert stellte ich das Buch zurück und faltete das Schreiben auseinander. Mit seinen vergilbten Rändern sah es uralt aus. Ein muffiger Geruch stieg von dem Brief auf. Er schien handgeschrieben. Schwungvoll verliefen fremde Buchstaben über das Blatt. Ein kurzer Text: An den Erretter. Wenn du dies liest, hat dich mein Hilferuf erreicht. Ich werde es wissen und dich erwarten. Ich brauche dringend deine Dienste.

In dem Moment, in dem ich mich noch wunderte, warum ich die Schrift lesen konnte, tat sich unter mir der Boden auf und ich fiel. Ich wollte schreien, aber mir blieb die Luft weg. Und schon befand ich mich wieder auf festem Boden. Ich öffnete die zugekniffenen Augen und klappte stattdessen den Mund auf. Was geschah hier? Träumte ich? Vielleicht hatte ich mir bei einem Sturz den Kopf angestoßen?

Ich befand mich mitten auf einem orientalischen Markt.

Ich fühlte die brennende Sonne auf meinen nackten Armen und schmeckte Staub auf meinen Lippen. Überall eilten Menschen an mir vorbei oder hielten sich an Ständen auf. Ihre Stimmen drangen fremdartig zu mir und doch verstand ich, was sie sagten. Die Gerüche überwältigten mein Gehirn. Süßer Zimt vermischte sich mit schweren Fleischgerichten und dem trockenen Geruch der staubigen Straße. Einige der Umstehenden hatten mich bemerkt und sahen mich irritiert an. Männer zeigten auf mich und Frauen schlugen ihre Schleier vors Gesicht.

Ich sah an mir herunter. Ich trug einfache Jeans und eine süße weiße Bluse mit rosa Blümchen. Der Ausschnitt befand sich etwas tiefer, aber ich war nun mal nicht schlank. Mit knapp zehn Kilo zu viel wollte ich meine Attribute zeigen, um meine Röllchen zu kaschieren. Die Frauen hier trugen bunte Flatterhosen und hochgeschlossene Kaftane. Sie hatten sich Tücher locker um die Haare gelegt. Mit einer Hand bedeckte ich den Ansatz meiner Brüste und drehte mich dabei einmal im Kreis. Gerade als Panik in mir aufsteigen wollte, rannte eine junge Frau auf mich zu. Mit weit aufgerissenen Augen zerrte sie ihren Schleier vom Kopf und wickelte ihn mir um Haare und Schultern.

»Allen Magiern sei Dank, du bist da.« Mit diesen Worten nahm sie meine Hand und zerrte mich die Straße entlang. Völlig perplex ließ ich es geschehen. Dabei betrachtete ich ihren Rücken und die langen schwarzen Haare, die nun offen über ihre Schultern flossen. Mit einer blauen Pumphose und einem lila Kaftan, der ihr bis zu den Knien reichte, trug sie ähnliche Kleidung wie alle Frauen hier. Trotz ihrer schlanken, kleinen Gestalt umfasste mich ihr Griff fest. Mit kleinen, schnellen Schritten bogen wir um eine Ecke und in ein schmuckloses Lehmhaus. Wie alle Häuser erschien es sehr niedrig mit winzigen Fenstern. Zusammen umschlossen die Behausungen die Straße wie Mauern eines Labyrinthes. Im Inneren umfingen mich Kühle und ein angenehmer Duft nach fremdartigen Blumen.

»Mein Name ist Ayla. Ich bin so froh, dass du hier bist.«

»Ich heiße Hannah.« Meine Stimme war nur ein Flüstern.

»Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mit jemand anderem gerechnet hatte. Nicht, dass ich nicht dankbar bin. Versteh mich bitte nicht falsch. Der Zauber hat gute Arbeit geleistet und er wird seine Gründe gehabt haben …«

Sie redete weiter und weiter. Dabei begleiteten ihre schlanken Hände jedes ihrer Worte. Der Inhalt dessen, was sie mir sagen wollte, rauschte wie Wasser an mir vorbei. Ich war unfähig, es aufzunehmen. Mein Gehirn weigerte sich, diese ganze Kulisse als real anzunehmen. Ich kam mir vor, als stünde ich auf einer Bühne und hätte meinen Text vergessen oder ihn nie gekannt. Meine neue Freundin mit den flinken Händen sprach von Zaubern und Auserwählten und Feldzügen und mein Verstand machte Feierabend. Nachdem ich einmal einen Auffahrunfall gehabt hatte, hatte sich mein Kopf ähnlich leicht und wolkig angefühlt. Vielleicht litt ich unter einem Schock. Selbst der plötzlich panische Gesichtsausdruck der jungen Frau, holte mich nicht aus meiner Wolke zurück.

Wieder griff sie nach meiner Hand. »Hörst du das?«

Ich lauschte und vernahm nur das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.

»Die Wachen kommen. Sie müssen von deiner Ankunft Wind bekommen haben.«

Vor einem Teppich sank sie auf die Knie und rollte ihn zur Seite. Eine Falltür kam zum Vorschein und wurde geöffnet.

»Schnell da runter.«

Ich musste ein paar Mal blinzeln, um zu verstehen, dass sie mich meinte.

»Na los. Sie werden gleich hier sein.«

Ich konnte mich nicht bewegen. Das sollte doch ein Scherz sein. Ich konnte mich nicht in einer Wüstenstadt befinden. Ich war keine Auserwählte und schon gar nicht kämen hier jetzt Wachleute mit Säbeln herein. Wie zur Bestätigung meiner Gedanken krachte die Tür gegen die Wand und eben diese Wachen quollen in den Raum und natürlich hingen Krummsäbel an ihren Gürteln.

Ein irres Lachen stieg in mir auf. Ich musste den weißen Hasen verpasst haben, der mich in den Kaninchenbau gelockt hatte.

Mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck blickte Ayla zu mir hoch und sprang in das schwarze Loch. Vielleicht hätte ich ihr folgen sollen, anstatt den Verstand zu verlieren, denn der schmerzhafte Griff, mit dem ich an die raue Wand gedrückt wurde, vertrieb den Nebel aus meinem Kopf. Mit erschreckender Klarheit drangen die vorher gedämpften Geräusche zu mir durch.

 

»Schnell, ihr nach!«, brüllte der Mann, der mich an die Wand quetschte. Mit unnötiger Brutalität drehte er mir den Arm auf den Rücken. Ich biss die Zähne zusammen und wimmerte. Ich konnte kaum atmen, so sehr fixierte er mich. Aber den Geruch von Nelken und sein Atem, der nach schwerem Rotwein roch, nahm ich wahr.

Warum war ich nicht in den verdammten Tunnel gesprungen?

Eine Wache steckte den Kopf aus dem Loch im Boden. »Es ist wie in einem Labyrinth da unten. Ich fürchte, sie ist weg.«

»Dann sucht weiter«, schnauzte der Anführer. »Wir bringen diese hier weg.«

Der Druck auf meinen Arm verschwand, dafür stieß man mich Richtung Tür.

»Hören Sie«, wagte ich einen Versuch. »Für wen auch immer Sie mich halten, das ist ein Missverständnis.«

Mit einer Hand am Säbel zerrte er mir Aylas Tuch vom Kopf. Meine blonden Haare kamen zum Vorschein. Die restlichen Männer im Raum sogen den Atem ein und machten ein merkwürdiges Zeichen mit einer Hand.

Dachten die etwa, ich würde sie verhexen oder so? Das war lächerlich. Hatten die noch nie eine Blondine gesehen?

»Du bist eindeutig diejenige, von der unsere Sultanin gesprochen hat. Haar so hell wie die Sonne.« Er machte ebenfalls dieses Zeichen und damit beantwortete sich meine Frage.

Auf der Straße empfingen mich diese trockene Hitze und etliche Menschen, die sich vor dem Haus versammelt hatten.

»Zieh das Tuch über deine Haare«, herrschte mich der Anführer an.

Ich gehorchte. »Wo bringt ihr mich hin? In den Palast zu dieser Sultanin?«

Die Männer lachten freudlos.

»Niemand geht in den Palast.« Damit wurde ich vorwärts geschubst, auf eine Horde Kamele zu, die sorgfältig aufgereiht am Rand der Straße warteten. Der feine Herr Anführer dirigierte mich auf das erste der Tiere zu, über dessen Rücken ein rotes Tuch hing. Ich stemmte die Füße in den Boden. War das sein Ernst? Ich konnte nicht reiten und ich hatte Angst vor Tieren, die größer als mein Kater Charlie waren. Mein Entführer zeigte kein Mitleid mit mir. Ohne Anstrengung setzte er mich auf den Rücken des Kamels und schwang sich hinter mich. Umständlich erhob sich das Tier und ich rutschte gefährlich zur Seite. Mit einem harten Griff wurde ich zurückgezerrt.

»Aber wo bringt ihr mich denn hin?«, versuchte ich erneut mein Glück. »Wenn ihr mich einfach zurück nach Hause schicken könntet, würde ich keinen Ärger machen. Ich verspreche es.« Ich wusste, ich hörte mich weinerlich an, aber das war mir egal. Ich befand mich seit einer halben Stunde hier, wo auch immer hier sein mochte, und hatte schon mehr als genug von diesem Ort.

»Niemand kann dich dorthin zurückschicken, von wo du kamst«, setzte mich mein Begleiter ungerührt in Kenntnis.

Aber das konnte nicht sein. Ich konnte ja schlecht hierbleiben. Ich hatte ein Leben zu Hause. Seit drei Semestern studierte ich alte Sprachen. Ich hatte zwar gerade keinen Freund, der mich vermissen würde und meine Eltern wohnten am anderen Ende des Landes, aber ihnen würde auffallen, wenn ich nicht anrief. Also zumindest in zwei, drei Wochen. Seit meine beste Freundin vor sechs Monaten mit ihrem Liebhaber durchgebrannt und nach Mallorca in ein Ökodorf gezogen war, hatte ich zwar keine Freunde mehr, aber ich musste mich um meinen Kater kümmern. Der Streuner kam zwar alleine rein und raus und sein Futterspender war randvoll …

Okay, das führte zu nichts. Es vermisste mich keiner, es wartete niemand auf mich und mein Kater verschwand oft tagelang, bevor er zum Fressen kam und dann wieder verschwand. Wie kam diese Ayla nur darauf, dass ich hierbleiben und einer mir völlig Fremden helfen konnte? Zumal sie sich aus dem Staub gemacht hatte und ich auf diesem stinkenden Kamel durch die glühend heiße Wüste ritt.

Halt! Stopp! Wo war die Stadt geblieben?

Umständlich verrenkte ich mir den Kopf, um an meinem Entführer vorbei nach hinten zu sehen. Wir mussten vor Kurzem durch das weit offenstehende Stadttor geritten sein und ich hatte es nicht mitbekommen.

»Wo bringt ihr mich hin?«

Ich bekam keine Antwort.

»Ich habe etwas gefragt.« Ich stieß dem Kerl den Ellenbogen in die Rippen. Er zuckte nicht mal.

Ich versuchte es noch ein paar Mal, aber ich bekam nur ein gegrunztes »Sei still«, zu hören.

Schon nach kurzer Zeit spürte ich das erste Prickeln eines beginnenden Sonnenbrandes auf meinen Armen. Nicht nur meine Haare waren hell, auch meine Haut verfügte kaum über nennenswerte Pigmente. Ich versuchte den Schal von Ayla weiter über meine Arme auszubreiten, aber wie sehr ich auch an ihm zerrte, er war zu klein.

»Ich bekomme einen Sonnenbrand«, wandte ich mich nach hinten.

»Was bekommst du?«

»Einen Sonnenbrand. Auf meinen Armen.«

»Du meinst einen Sonnenstich. Auf deinem Kopf«, äffte er meinen Tonfall nach.

»Was? Nein.« Ich sah ihn irritiert an. »Meine Haut wird ganz rot von der Sonne.« Ich zeigte nach oben zum Himmel.

»Wieso tut sie das?«

War das sein Ernst? Bekamen diese Leute hier etwa nie Sonnenbrand? »Ich brauch etwas, um meine Arme vor der Sonne zu schützen.«

»Ich habe nichts und es ist mir auch egal.« Damit schien das Gespräch beendet.

Abwechselnd bedeckte ich die freien Stellen meiner Haut mit den Händen, aber ich konnte sehen, wie meine Arme sich röteten. Wenn diese Barbaren vorhatten, mich in der Wüste auszusetzen, damit ich wie ein Hühnchen im Backofen schmorte, dann würde ich echt sauer.

Bevor die Furcht in mir hochkriechen konnte, tauchte vor uns eine Stadtmauer auf. Sie reichte nicht besonders hoch, dennoch breitete sich Erleichterung in mir aus. Sie würden mich nicht zum Sterben in der Wüste zurücklassen.

In der Stadt bewegten wir uns geradewegs, durch enge Gassen, auf einen freien Platz zu. Hatte zwischen den gedrungenen Häusern noch gespenstische Ruhe geherrscht, so bestand auf dem Markt fleißige Geschäftigkeit. Ein hölzernes Podest am hinteren Rand schien das Ziel der Anwesenden zu sein. Die wenigen umstehenden Buden luden zum Essen ein.

Auf der Plattform versammelte sich eine Reihe Menschen. Die Ketten um ihre Fuß- und Handgelenke ergaben in der ersten Sekunde keinerlei Sinn für mich. Bis mich die Erkenntnis überflutete und mir eiskalt die verbrannten Arme hochkroch.

Ich befand mich auf einem Sklavenmarkt. Ich presste mir die Hände auf den Magen, um die plötzliche Übelkeit einzudämmen. Sie hatten vor, mich zu verkaufen. Auf einem Markt. An andere Menschen. Denen ich dann gehörte.

Unsanft zerrte mich der Anführer der Wachen von dem Kamel und die Treppe des Podestes hoch. Alle Umstehenden richteten ihre Aufmerksamkeit auf mich. Ein ekliger, fetter Kerl watschelte zu uns herüber. Er trug einen groben Strick und mein Entführer streckte ihm meine Arme entgegen. Er band das Seil um meine roten Handgelenke, was scheußlich wehtat. Ich wurde in die Reihe der anderen Sklaven geschubst.

»Wer sie kauft, ist der Sultanin egal«, wandte sich der Anführer an den Fetten.

Hilfe suchend sah ich zu den beiden Männern vor mir in der Reihe. Sie hatten schlanke Muskeln an Armen und Brust, aber ihre Augen sahen eingefallen aus. Als müssten sie schwere Arbeit verrichten und bekämen dafür zu wenig Nahrung.

Als der Dicke zu uns kam, sahen sie schnell weg. Der abstoßende Kerl wollte nach meinem Gesicht greifen. Ich wich seinem Griff aus und starrte ihn böse an. Er grinste nur und grapschte nach Aylas Tuch, das er mir vom Kopf zog. Seine Augen wurden rund und sein Mund klappte auf. Die Männer neben mir wichen zurück und versuchten, dieses Zeichen zu machen, was mit zusammengebundenen Händen schwierig erschien. Der Händler setzte ein Grinsen auf, breiter diesmal. Ich konnte förmlich sehen, wie er in Gedanken das Geld zählte, das er für mich bekommen würde. Kritisch musterte er meine Jeans und wickelte flink das Tuch um meine Hüften. Zufrieden nickte er und watschelte davon.

Mit wild klopfendem Herzen beobachtete ich die Auktion. Männer und Frauen wurden hier wie Tiere verkauft. Die Umstehenden schrien durcheinander, zeigten mit Fingern, wie viel sie bezahlen wollten, und nach kurzer Zeit versammelten die Bieter eine Traube Gefesselter hinter sich. Als Letzte stand ich nun allein auf der Plattform. Als der Händler zu mir kam, herrschte plötzlich Stille. Vielleicht hatte ich ja Glück und niemand würde mich kaufen wollen. Dann müsste mich der Widerling freilassen.

Doch die Stille dauerte nur kurz. Lauter und heftiger als zuvor brüllten die Käufer durcheinander. Sie überboten sich gegenseitig immer weiter. Nach einiger Zeit schieden mehr und mehr aus. Zum Schluss boten noch eine ältere Frau mit zwei muskelbepackten, schwarzen Leibwächtern und ein schmieriger Kerl, der schon drei andere wunderschöne Frauen gekauft hatte. Ich musste nicht lange überlegen, welchem Gewerbe er diese armen Mädchen zuführte. Der goldene Schneidezahn, der bei jedem Grinsen aufblitzte, die vielen goldenen Ringe und Ketten schrien geradezu Bordell.

Es schüttelte mich. Wenn dieser Mann mich kaufte, würde ich … Weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht. Eine Gruppe Kamelreiter preschte auf den Platz und wirbelte roten Staub auf. Die Männer waren von Kopf bis Fuß in schwarzen Stoff gekleidet. Einer von ihnen kam direkt vor dem Podest und dem fetten Kerl zum Stehen. Er warf ihm ein Säckchen vor die Füße und starrte ihn an, ohne etwas zu sagen. Umständlich hob der Händler es auf. Aus dem Inneren ließ er sich goldene Münzen auf die Hand rieseln. Wieselflink zählte er das Geld und rief die Summe dem Bordellbesitzer und der Puffmutter zu. Die Frau schüttelte empört den Kopf und wandte sich hoch erhobenen Hauptes zum Gehen. Der Schmierlappen kramte in allen Taschen seiner speckigen Weste und zählte sein Geld. Dann nahm er seine Ringe ab und hielt sie dem Händler hin.

»Vergiss es, Hamil«, sagte der Händler. »Das reicht nicht.«

Der Mann brüllte und zeigte auf mich. »Aber ich will sie haben. Einer meiner Kunden würde ein Vermögen für sie zahlen.«

»Ja, ich weiß, wen du meinst. Da hat das Mädchen wohl Glück gehabt.«

»Du räudiger Bastard einer Dschinnhure«, keifte der Mann.

Der Händler beachtete ihn nicht. Er gab dem Beduinen auf dem Kamel ein Zeichen, indem er hoheitsvoll mit der Hand wedelte.

Die schwarzen Augen des Mannes richteten sich auf mich. Sie waren mit Kajal umrandet, was ihn exotisch und bedrohlich zugleich aussehen ließ. Als er mir die Hand reichte, musste ich schlucken. Aber im Grunde hatte ich keine Wahl. Es hieß: er oder der Bordellbesitzer.

Ich hielt meine gefesselten Hände hoch. Mit einer fließenden Bewegung griff er unter sein Gewand, zückte einen Dolch und trennte das Seil durch. Dann hielt er meine Handgelenke fest. Er betrachtete die Rötung und strich von dort aus zu der hellen Haut weiter oben.

Er griff nach meiner Taille und zog mich vor sich aufs Kamel. Mit beiden Händen öffnete er die schwarzen Stoffbahnen um seinen Körper und schlang sie um mich. Mir wurde schlagartig heiß, aber auf eine angenehme Art. Dann setzten wir uns in Bewegung und verließen die Stadt. Ich hoffte, ich würde diesen verfluchten Ort nie wieder sehen.

»Wo bringst du mich hin?«

»Sie wird es dir erklären.« Mit dem Kopf deutete er auf den Reiter neben uns.

Erst jetzt fiel mir auf, dass er viel zu klein für einen Mann war. Als die Frau den Schleier abnahm, erkannte ich Ayla.

»Warum hast du sie so eingewickelt, Kamil?«

»Ihre Haut ist so weiß wie der Wüstensand und zu viel Sonne verbrennt sie.«

»Es tut mir leid, dass wir so spät kamen.« Beschämt senkte Ayla den Kopf.

»Nein«, sagte ich. »Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte dir folgen sollen, anstatt durchzudrehen.«

»Es war zu wenig Zeit, um dir alles zu erklären. Ich verstehe nicht, wie die Wachen uns so schnell finden konnten.«

»Sie ist eine Hexe. Das sage ich dir schon lange«, grollte Kamil.

»Das glaube ich nicht, aber mit rechten Dingen ging das sicherlich nicht zu.«

»Ihr redet von der Sultanin, nicht wahr?«

Überrascht sah Ayla mich an.

»Sie war es, die mich verkaufen lassen wollte. Der Wachmann sagte, ich sollte möglichst weit weg gebracht werden.«

Ayla nickte. »Sie traut sich nicht, dich zu töten. Der Zauber in dem Brief war sehr mächtig und könnte sich gegen sie wenden.«

»Du meinst den Brief, den ich gelesen habe, bevor ich hierher kam?«

 

»Ja, genau. Ich habe einen hohen Preis für seine Magie bezahlt.«

Als sie schwieg, redete Kamil für sie weiter. »Zauberer sind selten bei uns und sie verlangen immer das, was man am wenigsten zu geben bereit ist. Ayla musste ihm ihre Fruchtbarkeit schenken. Sie wird keine weiteren Kinder bekommen können.«

»Ich hoffe, mein Opfer war nicht zu hoch und du hilfst uns.«

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. »Aber ich bin doch nur eine Studentin. Bei was könnte ich euch schon helfen?«

Kamil hielt an und zeigte nach vorne. »Ich lade dich in mein Heim ein, da kann Ayla dir alles erklären.«

Vor uns tauchte flimmernd eine kleine Stadt aus Zelten auf. Aber keine kleinen dreieckigen Dinger, in denen kaum zwei Personen schlafen konnten, sondern riesige, bunt geschmückte Häuschen aus Tuch. Kinder saßen vor den Eingängen auf Teppichen und spielten. Daneben saßen Grüppchen von Frauen, unterhielten sich, tranken Tee oder bestickten Kleidung.

Als sie uns bemerkten, standen sie auf und winkten. Die Kinder liefen auf uns zu und fassten nach Kamils oder Aylas Stiefeln.

Als wir absaßen, enthüllten sich unter den schwarzen Kutten meiner Begleiter weitere Frauen. Wie die Männer in der Gruppe trugen sie Stiefel, Pluderhosen, lederne Harnische und viele Waffen.

Ayla führte mich von den neugierigen Blicken weg in das größte Zelt. In seinem Inneren hätte fast meine winzige Wohnung Platz gefunden. Rotgoldene Teppiche bedeckten den Boden. Es gab eine Schlafstatt mit Fellen, mehrere Truhen und einen niedrigen Tisch mit wunderschönen Verzierungen. Elegant ließ sich Ayla davor in einen Schneidersitz sinken. Ich versuchte gar nicht erst, es ihr gleich zu tun. Ich ließ mich fallen und steckte die Beine irgendwie seitlich unter meinen Hintern.

Kamil, zwei weitere Männer, die aussahen wie Brüder, und eine der Kriegerinnen gesellten sich zu uns. Kamil balancierte ein Tablett mit einer Kanne Tee und fünf Gläsern. Nachdem er allen eingeschenkt hatte, begann Ayla zu erzählen.

»Wie du weißt, habe ich einen mächtigen Zauber in einen Brief eingewoben. Er sollte mir jemanden schicken, der uns gegen die Sultanin helfen kann. Sie sitzt zu Unrecht auf dem Thron. Seit ihr ältester Sohn Abdal gestorben ist, gibt sie ihren Enkel als ihren Letztgeborenen aus. Aber das ist eine Lüge. Sie muss einen Zauber gewirkt haben, um sich zu verjüngen und alle zu täuschen. Jetzt herrscht sie mit eiserner Hand. Sie unterwirft nach und nach die freien Stämme der Wüste. Schließt Pakte mit verfeindeten Sultanen, indem sie ihnen hohe Tribute zahlt, in Form Tausender starker Männer und unserer schönsten Töchter. Wenn sie so weitermacht, richtet sie unser Land zugrunde.«

»Und der kleine Prinz«, fügte Kamil hinzu, »ist erst zehn Jahre. Sie hält ihn wie einen Gefangenen und wird ihn mit ihren Lehren für immer verderben.«

Betretene Stille herrschte im Zelt. Ayla betrachtete konzentriert ihre Fingernägel und schien nichts hinzufügen zu wollen.

Dann musste ich eben die Bombe platzen lassen. »Es tut mir wirklich leid, aber bei deinem Zauber muss etwas schiefgelaufen sein. Ihr habt definitiv die Falsche erwischt. Vielleicht sollte ich den Brief gar nicht lesen. Eventuell bin ich dem Richtigen nur zuvor gekommen.«

»Nein«, sagte Ayla bestimmt. »Das kann ich nicht glauben. Es muss einen Grund geben, warum der Zauber dich gefunden hat.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann weder zaubern, noch beherrsche ich eine Kampfsportart. Ich kann nicht mit Waffen umgehen.« Dabei überlief mich ein Schauer. »Ich bin doch nur eine Studentin für alte Sprachen sonst nichts.«

Beinahe kamen mir die Tränen, als ich sah, wie Ayla in sich zusammenfiel. Sie hatte so viel aufgegeben und damit doch nur mich bekommen. Konnte man sich noch nutzloser fühlen?

»Wartet!« Bei dem Ausruf der Kriegerin zuckte ich zusammen. »Vielleicht gibt es doch etwas, was du tun kannst. Wir unterhielten uns doch über die verwunschene Höhle.« Fragend sah sie Ayla an.

»Diese Höhle ist nicht magisch. Es befindet sich rein gar nichts von Bedeutung in ihr.«

»Aber erinnere dich an diese komischen Schriftzeichen an der Wand. Niemand konnte sie lesen oder sagen, woher sie stammen.«

Langsam nickte Ayla. »Ja, vielleicht hast du recht. Sie könnte es entziffern.« Ihr hoffnungsvoller Blick fiel auf mich.

Ich nickte und hoffte, dies nicht irgendwann zu bereuen.

Enthusiastisch sprang Ayla auf. »Wir brechen gleich morgen früh auf. Mein Bruder wird dich wieder zu sich aufs Kamel nehmen, dann sind wir am schnellsten.«

Nach einem schnellen Frühstück aus einer Art Fladenbrot, Datteln und undefinierbarem Trockenfleisch brachen wir kurz nach Sonnenaufgang auf. Es war noch früh und Tau hatte sich an den Zeltwänden gebildet. In kleinen Rinnsalen lief es den Stoff hinunter und wurde von langen Schalen aufgefangen.

Die angenehme Frische hielt nicht lange an. Sobald die Sonne komplett über den Horizont kroch, nahm die Hitze zu und ich hätte mir am liebsten die schwarzen Stoffbahnen des Umhangs vom Körper gerissen. Ayla hatte mich genötigt, meine Jeans und die Bluse gegen Pluderhosen und Kaftan einzutauchen. Meine blonden Haare sollte ich unter einem blauen Tuch verbergen.

Nach endlosen Stunden, in denen ich an Kamil gelehnt immer wieder einnickte, erreichten wir unser Ziel. Hätte ich gewusst, dass wir uns auf dem Weg ins Paradies befanden, meine Begeisterung wäre nicht so mäßig ausgefallen.

Vor meinen Augen schälte sich eine Oase aus der Wüste. Ein riesiger See erstreckte sich vor uns. An einer Seite wurde er von einem Bergkamm flankiert. Palmen und Binsen umsäumten seine Ufer. Vögel saßen in den Kronen oder badeten im flachen Wasser. Ich konnte kaum still sitzen und sah Kamil aus dem Augenwinkel lächeln.

»Warum habt ihr eure Zelte nicht hier aufgeschlagen?«

»Man würde uns zu leicht finden. Unsere Stämme sind frei und wir handeln mit allen, die uns etwas anzubieten haben. Das gefällt der Sultanin nicht und das heißt, wir leben gefährlich.«

Ich nickte und schaute wieder auf die glänzende Wasseroberfläche. Alle um mich herum ergriff eine freudige Aufregung. Die Männer und Frauen konnten nicht schnell genug von ihren Kamelen rutschen, um ihre Hände ins Wasser zu tauchen. Ayla zog ihre Stiefel aus und watete ins kühle Nass. Ich schloss zu ihr auf und wir lächelten uns an.

Nachdem sich alle erfrischt hatten, führten uns Ayla und ihre Kriegerin Sahida am Ufer des Sees entlang Richtung Bergkamm. Ich konnte keine Höhle entdecken. Als Ayla stehen blieb und nach unten zeigte, musste ich zweimal hinsehen, um das Loch am Fuße des Berges zu erkennen.

»Da müssen wir runter?«

Sahida nickte. »Keine Angst. Wir haben uns schon umgesehen, es gibt nichts Gefährliches da unten.«

Skeptisch schaute ich zu dem schwarzen Eingang, aber Sahida kniete sich bereits hin und ließ ihre Füße hineinbaumeln. Dann stieß sie sich ab und verschwand.

»Siehst du. Alles gut. Ich lebe noch«, schallte es herauf.

Ayla und die Brüder Farid und Mahir verschwanden ebenfalls in dem Loch. Kamil sah mich lächelnd an und was hatte ich so einem hübschen Gesicht schon entgegenzusetzen? Ich ließ mich also ebenfalls in die Höhle fallen.

Kurz darauf sprang Kamil zu uns herunter. Natürlich kam er wie eine Katze auf den Füßen auf. Ayla, die eine Fackel trug, stand einige Meter von uns entfernt. Die Höhle war nicht groß und an der Wand bei Ayla, mit dickem grünem Moos überwuchert.

»Hier, schau.« Sie fuhr mit den Fingerspitzen am Felsen entlang.

Ich trat zu ihr und folgte ihrer Hand mit dem Blick. Tatsächlich waren dort Schriftzeichen eingeritzt. Mein Herz setzte vor Erleichterung einen Schlag aus, als ich die Sprache erkannte. Es handelte sich um Keilschrift. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich. die Zeichen zu entziffern. Je nach Region unterschieden sich die Zeichen, dazu kam, dass dieselben Symbole eine unterschiedliche Bedeutung haben konnten, je nachdem, welche Worte ihnen vorausgingen.

Alle sahen mich gespannt an.

»Ich weiß, um was für eine Art Schrift es sich handelt, aber …«

»Oh, wirklich?«, fiel mir Ayla ins Wort. »Und was steht da?«