Ich kann mir die Arbeit nicht leisten

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Ein Anruf kam von der Chefin. Der Firmenchef aus dem Westen möchte Frank-Peter auch weiterhin beschäftigen, wenn er es wünscht, werden die Weichen dahingehend gestellt. Mit Verweis auf den vereinbarten lokalen Einsatz lehnte Frank-Peter dankend ab und ließ über Torsten an den Chef übermitteln, dass er am kommenden Montag nicht mehr hier antreten werde, weil er nur als Urlaubsvertretung die Stelle ausgefüllt habe. Das habe nichts damit zu tun, dass er sich nicht wohl gefühlt habe, aber er ist für die kommende Woche bereits verplant. Bewusst hat Frank-Peter keine direkte Ablehnung einer Montagetätigkeit durchblicken lassen, um seine Zeitarbeitsfirma nicht zu diskreditieren. Eine Entscheidung mit Folgen. In der darauf folgenden Woche bekam Frank-Peter einen Anruf von seiner Chefin. Ullrich Geibel, der Inhaber der Firma habe bei einer Mitarbeiterin der Zeitfirma angerufen und diese „rund“ gemacht. Er verlangt Frank-Peter auf der Baustelle, sobald dieser wieder verfügbar ist. Mit Frank-Peter sollte aber nicht direkt gesprochen werden. Frank-Peter verteidigte Ullrich Geibel, der am Wochenende seinen 50. Geburtstag gefeiert habe und davon wohl noch etwas angetüdelt gewesen sein könnte. Außerdem sieht ja jeder die Dinge so, wie er es selbst gern haben möchte. Zusagen wären jedenfalls nicht gemacht worden. Im Gespräch mit Torsten habe dieser Frank-Peter gegenüber erwähnt, dass der Kollege, den Frank-Peter die vierzehn Tage vertreten hat, nicht so zuverlässig sei. Dieser habe zwei Gänge: langsam und ganz langsam. Wenn er auf der Baustelle gerufen wird, vergeht oft eine Ewigkeit, bis er sich meldet. Die Arbeit gehe ihm nicht sonderlich von der Hand. Da aber Ullrich Geibel von der Hausbaufirma Druck bekommt, diese ihrerseits die Rüsterbrigaden auf 39 erhöht hat und die Produktion von Fertighäusern wieder hochfährt (sehr zu Lasten der Qualität, wie die Rüster dies kommentierten), wolle Ullrich Geibel ab der folgenden Woche zwei Monteure von der Zeitarbeitsfirma abfordern. „Gibt es hier im Umfeld keine Arbeitszeitfirmen, müssen da aus Leipzig die Leute herangeholt werden?“, fragte Frank-Peter Torsten. „Einige wenige gibt es hier, wir hatten auch schon Leute von denen. Aber die meisten vermitteln nur für lokale Arbeiten, Montage will keiner machen und dann passiert es, dass wir absolute Pflaumen bekommen, die wir nach zwei Tagen wieder abmelden müssen.“ Für ihn, Torsten, rechnet sich das nicht. Die Zeit für das Anlernen und kontrollieren fehle ihm bei der eigenen Arbeit. Allein ist er oft schneller und gewiss, dass ihm später nicht noch Probleme aus verdeckten Fehlern zu schaffen machen werden.

Die dritte Woche begann mit einem chaotischen Hin- und her. Erst sollte der Montag „beschäftigungsfrei“ sein, weil es bei der angekündigten Elektrikerfirma Bauverzug in den Aufträgen gab. Am Montag wäre also Abrechnung der Stundenzettel möglich. Dann ein Anruf, dass doch noch am Sonnabend abgerechnet werden muss. Am Montag und Donnerstag gibt es Arbeit als Müllmann in Wölzen, dafür ist Ausrüstung erforderlich, die auch noch abgeholt werden muss. Die Tage dazwischen gelten als Rufbereitschaft. Mit der Abgabe der Stundenzettel gab es die nachgewiesenen Tankkosten und 50 Euro für die eigene Fahrzeugnutzung während der Montage. Auslöse gab es nicht, weil die Unterkunft vom Westchef bezahlt wurde! Später erfuhr er von anderen Kollegen aus seiner Zeitarbeitsfirma, dass diese einen Leihwagen für diese Fahrten erhalten hatten.

Am Montag, den 21. Juni begann der Einsatz als Müllmann, als Beifahrer. Das ist wichtig, denn der Fahrer, dessen Arbeit Frank-Peter großen Respekt entgegen brachte, fährt das große Auto und hilft nur an absoluten Schwerpunkten. Frank-Peters Aufgabe bestand darin, in der Kleinstadt Mölben die gelben Säcke einzuladen. Christian, der Fahrer warnte Frank-Peter, dass die gelben Säcke von fünf Wochen eingesammelt werden müssten und es sehr, sehr viel werden würden. Es wurden viele. Einmal musste das Auto zu Firma zurück um den Inhalt zu entsorgen. 5,6 Tonnen erbrachte die erste Fahrt. Wenn man vom durchschnittlichen Gewicht eines „gelben Sackes“ von weniger als einem Kilo ausgeht, kann man sich vorstellen, wie viele dieser Beutel Frank-Peter mit einem „Bückling“ von der Straße aufklauben und über die hintere, recht hohe Bordwand in das Fahrzeug befördern musste. In der orangefarbenen Arbeitskleidung staute sich die Wärme. Die Gummihandschuhe sammelten ebenfalls Schweiß, der beim Ausziehen wie ein kleiner Wasserfall heraus lief. Die Fahrten zwischen den einzelnen, vermutlich willkürlich von den Bürgern gewählten Ablagestellen der gelben Säcke durfte Frank-Peter auf dem Tritt am Heck des Fahrzeuges mitfahren. Der Kopf befindet sich dann genau in Höhe der Hecköffnung mit den zum Teil bereits zerstampften Müllsäcken. Aus diesem Konglomerat von fauligen und gärenden Lebensmittelresten, man stelle sich nur eine alte Fischbüchse vor, waberte ein bestialischer Gestank. Dem drohenden Brechreiz konnte Frank-Peter nur begegnen, indem er den Kopf seitwärts vom Fahrzeug in den Fahrtwind hielt. Probleme gab es mit Säcken, die bereits seit Tagen auf der Straße deponiert worden waren und von Krähen zerhackt oder von Katzen zerrissen worden waren. Auch von Bürgern sehr nachlässig gepackte Säcke mit scharfkantigen Blechdosen gehörten zu denen, die sich während des Transports in das Fahrzeug zerlegten und den Inhalt auf die Straße verteilten. „Den Besen hatte man mir geklaut“, beteuerte Christian. So musste, zwar mit Handschuhen, aber jedes Krümel einzeln mit der Hand aufgesammelt werden. „Einmal haben sich Bürger beschwert, weil ich nicht alle Krümel von der Straße aufgefegt hatte“, erklärte Christian. „Ich musste dann noch mal dorthin und die Straße kehren. Natürlich in meiner Freizeit!“

Es gab auch Lichtblicke. Von Bürgern, die, so vermutete Frank-Peter, auch Dinge entsorgt bekamen, die nicht bereits durch den grünen Punkt bezahlt worden waren (Plaste aus DDR-Zeiten), bekam Christian einen Beutel mit zwei Päckchen Kaffee, die er redlich mit Frank-Peter teilte. Die ortsansässige Großküche, die mehr als vereinbart entsorgt wurde, wartete ihrerseits mit zwei Freikarten für Mittagessen auf. „Das darf man in der Firma nicht erzählen“, bemerkte Christian, „wir haben unterschrieben, dass wir alles, was wir von den Kunden als Zuwendung bekommen, in der Firma abgeben müssen. Das kostenlose Mittagessen würden wir als Geldwertevorteil angerechnet bekommen“. Weiter erzählte Christian mit leicht verbittertem Unterton: „Früher gehörten wir zu den stadteigenen Firmen von Otrecht und hatten ein Einkommen nach öffentlichem Tarif. Dann wurde die Firma privatisiert, man macht die gleiche Arbeit und bekommt etwa den halben Lohn dafür. In seiner Familie ist jetzt die Frau Hauptverdiener. Sie arbeitet in der Gemeinde wo er wohnt als Sekretärin im Bürgermeisteramt. Auch die beiden Fahrzeuge, auf die sie angewiesen sind, sind über die Frau zugelassen und versichert. Die Rubrik „öffentlicher Dienst“ beschert diese Vorteile, die zu nutzen sie gezwungen sind. Christian war vor der Wende Taxifahrer in Leipzig. Dann erbte er das Haus der Schwiegereltern und begann es umzubauen und zu renovieren. Als die Wende kam, fand er eine Anstellung als Hausmeister in einem Ferienobjekt, an dem er sich auch finanziell beteiligte, als es von einigen Kollegen von der Treuhand übernommen wurde. Nach fünf Jahren kam dann das Aus. Seine Frau hörte von dem Job bei der Entsorgungsfirma und er bewarb sich mit 50 Jahren. Der Chef der Entsorgungsfirma hatte zuvor mit einer Reihe junger Leute schlechte Erfahrungen gemacht. Zum einen wollte ein Teil von ihnen „nur“ Auto fahren, zum anderen wanderten die jungen Leute bereits nach kurzer Zeit in die alten Bundesländer ab. Zurück blieb das Chaos in der Firma, die Gefahr lief, die Konzession zu verlieren. Christian erhielt die Stelle, musste aber zähneknirschend klein bei geben, als der Entsorger privatisiert wurde und der Verdienst bedeutend gekürzt, nach seinem Reden halbiert, wurde. „Aus deiner Firma haben wir auch Fahrer“, sagte Christian zu Frank-Peter. „Die sind seit Jahren hier und können auch alle Autos fahren. Gelegentlich haben diese mit dem Chef gesprochen, ob er sie nicht direkt einstellt und jedes Mal eine Absage bekommen. So wären sie für den Chef billiger, ließ dieser durchblicken.“ Frank-Peter sollte bei seinem nächsten Einsatz die Bekanntschaft eines Fahrers machen, der von der gleichen Zeitarbeitsfirma wie er kam und der mit vier weiteren Kollegen der Zeitarbeitsfirma seit über fünf Jahren als Kraftfahrer arbeitete. Manchmal gab es mehr Zeitarbeiter als Festangestellte, erfuhr Frank-Peter später. Auch seien schon einmal einigen Festangestellten gekündigt worden, nicht aber Zeitarbeitern. Am Abend, nach über 13 ½ Stunden Arbeit hatte Bewegung und Schweiß in diskrete Körperregionen den so genannten „Wolf“ geschnitten, schmerzhafte Hautirritationen am Rektum. Sicherlich eine Ursache dafür, dass sich wenige Wochen später unangenehme und störende Hämorrhoiden meldeten. Frank-Peter hielt tapfer durch, wurde auch von seinem Kollegen gelobt, der sofort von weit jüngeren Kollegen erzählte, die sich bereits mittags ins Auto setzten und unter Weinkrämpfen den nahenden Kreislaufkollaps ankündigten. Von der Arbeitszeit wird eine Stunde für die Mittagspause abgezogen, die in Summe aber nicht genommen werden konnte. Christian wollte nicht erst um neun zu Hause sein. Die Arbeitszeiten in dieser Firma waren alles andere als kalkulierbar. Zum Teil sind dafür objektive Gründe zu nennen, wie der nicht planbare Aufwand an zu entsorgendem Gut. Zum anderen hatte Frank-Peter den Eindruck, dass die bedingungslose Ausbeutung der Angestellten und Zeitarbeiter bis zur physischen Grenze, einige kämen nie vor 19 : 00 Uhr von der Tour zurück, preiswerter ist, als weitere Leute einzustellen und eventuell Schichtbetrieb einzuführen. Die Festangestellten und Leiharbeiter (Kraftfahrer) erhielten den gleichen Lohn, wurde Frank-Peter erzählt. Es sind exakt 8,02 Euro. Nur beim Zeitarbeiter werden ausschließlich sieben Stunden ausbezahlt und die überschüssige Stunden auf ein Zeitkonto gut geschrieben, um davon bei Auftragsflauten den Lohn zu bezahlen. Die auftragsbedingten Schwankungen der Wirtschaft bekommt auf diese Art und Weise der Letzte in der Kette zu spüren, der Zeitarbeiter. Auch von den jährlich in der Müllfirma zu Weihnachten ausgezahlten Zuwendungen sieht der Zeitarbeiter nichts.

 

Der nächste Einsatz sollte am Donnerstag sein, dazwischen ist so genannte Rufbereitschaft, die eine ständige Erreichbarkeit und den sofortigen Start bis 10 Uhr einschließt. Eigentlich müsste diese Zeit entsprechend einer schwammigen und unverständlich formulierten Passage im Tarif von der Firma bezahlte Zeit sein, schließlich hält sich ja Frank-Peter in dieser Zeit permanent für die Firma zur Verfügung. Frank-Peter erfuhr von Kollegen dieser Zeitarbeitsfima, dass die Chefin die Rufbereitschaft nicht bezahlt und von den Mitarbeitern diese Verfügbarkeit erwartet. Modernes Sklaventum, konstatierte Frank-Peter. Abends kam ein Anruf, dass auch am Mittwoch das Erscheinen beim Entsorger verordnet wird. Planungen im privaten Bereich sind bei den unkalkulierbaren Arbeitszeiten unter diesen Umständen irrelevant.

Der Mittwoch brachte die Bekanntschaft mit Wilhelm Brandt, 60 Jahre alt und seit fünf Jahren als Zeitarbeiter in der Entsorgerfirma. Es wurde Papier in Dobernig und Umgebung geholt, eine vergleichsweise einfache Arbeit, wenn Frank-Peter an den Montag dachte. Nur die undichte Hydraulik am Heck des Fahrzeuges, die während der Fahrten auf dem Trittbrett die Jacke versaute, ärgerte Frank-Peter. Mit diesen Sachen muss Frank-Peter abends mit seinem Auto wieder nach Hause fahren. Wenn er sich damit das Fahrzeug verschmutzt, bekommt er von seiner Frau mächtig Ärger. Sie ist es, die dieses Fahrzeug normalerweise nutzt. Frank-Peter hat es nur, weil „sein“ Fahrzeug in der Werkstatt war.

Feste Arbeitszeiten gibt es, wie schon erwähnt, nicht. Auch Mittwoch blieben nach Abzug der Pause netto 10 ½ Stunden. „Man kann nie wissen, wie viele Papiertonnen die Leute auf die Straße stellen“, bemerkte Wilhelm Brandt, der ihm auf der Fahrt zum Einsatzort seine ganze Lebensgeschichte erzählte und dabei selbst intime Details seiner Seitensprünge nicht ausließ. Wilhelm Brandt war schon immer Kraftfahrer. Nach der Wende wurden die Arbeitszeiten immer unkalkulierbarer, der Stress schröpfte seine Batterie und wenn er abends nach Hause kam, ging nichts mehr. „Meine Frau hat sich nun jemand gesucht, der sie besser vögeln kann und mich und die beiden Töchter zurück gelassen. Inzwischen ist sie aber tot, Kehlkopfkrebs. Das habe ich ihr jedoch nicht gewünscht“. Die Scheidung war schnell vollzogen. Damals verdiente er 1500 DM, die Frau 750 DM. Das „neue“ Scheidungsrecht sieht vor, dass er in diesem Fall für die Rente einen Versorgungsausgleich zu zahlen habe. Ihm wird also seine mögliche Rente um entscheidende Beträge gekürzt, auch wenn die Frau nun keine Rente mehr bekommt und er inzwischen vergleichsweise wenig verdient. Nach einem Jahr habe er sich auf Anraten seiner Kinder eine Bekannte gesucht, achtet aber penibel darauf, sie nur „Bekannte“ zu nennen und in ihrem Haus ein „eigenes“ Zimmer zu bewohnen, um dem Finanzamt oder wenn es darauf ankommt, im Falle von Hartz IV, der Arge keine Angriffsflächen zu bieten. Wilhelm Brandt erzählte Frank-Peter von seinen kleinen Schiebereien mit Sand und Schotter zu DDR-Zeiten, die fest in das damalige Berufsleben eingebunden waren. Als Kraftfahrer gehörte man schon zu den „Privilegierten“. Im Februar sollte Wilhelm Brandt vom Entsorger „abgemeldet“, sprich „entlassen“ werden. Die Fürsprache der Kollegen, dass er ja die Touren kennt und fast alle Autos fahren kann, machte die Entscheidung rückgängig. Der Chef der Entsorgerfirma, Herr Aurich, soll früher selbst Kraftfahrer gewesen sein. Erst wurde er Disponent und nach der Wende Chef. Andere, die ihn von früher kannten, erzählten unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass Aurich früher viel Scheiße gebaut hatte. Jetzt tut er sich gottgleich fehlerfrei und ist verantwortlich für ein angespanntes Klima in der Firma. Dabei kann man manchmal gar nichts dagegen machen, wenn man in den engen Straßen an einem Baum oder Ast den Rückspiegel einbüßt. Einmal hatte Wilhelm Brandt unterwegs ein Brötchen gekauft und beförderte das Einpackpapier in die Mülltonne der Firma, als er zum Feierabend eintraf. Sofort wurde er zum Chef gerufen. „Wieso entsorgen sie ihren Hausmüll bei uns in der Firma“, wurde er barsch gefragt. Wilhelm Brandt wusste anfänglich gar nicht, worum es eigentlich geht, bis ihm das Licht aufging und er seinem Ärger Luft machte.

Für den Donnerstag stand Sperrmüll in Tollensee und Schabitz auf dem Plan, wieder war Frank-Peter als Beifahrer für Wilhelm Brandt eingesetzt. 11,52 Tonnen wurden mit zwei Wagenladungen zusammengetragen, mehr als zwei Drittel davon durch Frank-Peter allein. „Sperrmüll sieht eigentlich anders aus“, bemerkte Frank-Peter zu Wilhelm, als er die aufgestapelten Schutthaufen an den Straßenrändern bemerkte. „Hör auf, wer weiß wie lange das noch so gehen wird“, empörte sich Wilhelm Brandt. „Die Leute legen alles vor die Haustür, Papier, Plaste, alte Fernseher, Reifen, Bauschutt, kurz, alles was in einem Haus nach einer Renovierung oder einem Erbfall anfällt. Wenn sie wenigsten eine Flasche Bier oder ein paar Euro geben würden.“ Diese Zuwendungen gab es. Bei drei kleinen Asbestplatten waren zwei Flaschen Bier hinter dem Lichtmast versteckt. Frank-Peter fragte Wilhelm Brandt: „Nehmen wir die Asbestplatten auch mit?“ „Nein, auf keinen Fall!“ „Aber hier stehen zwei Flaschen Bier.“ „OK, ich habe mich geirrt, es sind Spanplatten im Asbestplattendesign, lade sie auf!“ Eine kleine Gärtnerei hatte zwei große Paletten verdorbener Himbeeren, die nur noch mit grauen Pelzköpfchen aus der Verpackung schimmerten und eine Palette Plastverpackung. Wilhelm Brandt kannte sich mit den speziellen Geschäftsbedingungen vor Ort aus und die Paletten wurden gleich mit dem Gabelstapler in den LKW befördert. An der nächsten Straßenecke kam der Gärtner erneut mit seinem Stapler. Auf der Palette waren zwei große Melonen, eine Stiege Erdbeeren und zwei Stiegen Spargel. Beinahe zu viel für den eingeschränkten Stauraum im Fahrerhaus des LKW.

Zum Feierabend erkundigte sich Frank-Peter nach seinem Einsatz am nächsten Tag, denn Wilhelm Brandt rechnete fest mit ihm und hatte schon die Stellen für Frühstück und Mittag in die Fahrtroute kalkuliert und entsprechende Verhaltensregeln ausgegeben: „Beim Frühstück bezahlst du den ersten Kaffee und der zweite ist umsonst. Mittag können wir im Drahtseilwerk essen, da ist es sehr preisgünstig und bedeutet für uns keinen Umweg.“ „Wir sind morgen voll und brauchen sie nicht“, sagte die Disponentin. „Melden sie sich bei ihrer Chefin!“ Diese rief gegen 21 : 00 Uhr an und legte den nächsten Tag als Rufbereitschaft fest. Frank-Peter hat selbst noch keine Erfahrung damit und auch nicht zur möglichen finanziellen Regelung. Sein Kollege auf dem LKW erklärte ihm jedoch glaubhaft, dass es dafür in dieser Firma keine Vergütung gebe. Man erwartet Leistung, nämlich sofort bei Anruf in die Spur zu gehen, muss sich zu Hause aufhalten, weil je nach Einsatz verschiedene Arbeits- oder Arbeitschutzkleidung zu wählen ist und kann privat bis 10 : 00 Uhr nichts unternehmen. Diese Wartezeit wird aus dem bereits gefülltem Stundenkonto, also aus bereits geleisteter Arbeit berechnet. Damit werden doppelte Leistungen nur einmal vergütet. Prompt kam am nächsten Tag 7 : 00 Uhr ein Anruf, man müsse auf die Rufbereitschaft von Frank-Peter zurückgreifen. Der Entsorger habe bei der Neuen Messe in Leipzig ein Auto mit einem Fettabscheider, bei dem ein zweiter Mann „zum Knöpfchendrücken“ gebraucht würde. Frank-Peter bekam die Telefonnummer des Fahrers und zog sich die orangefarbene Arbeitsschutzkleidung an, zu der die noch immer hydraulikölverschmierte Jacke vom Mittwoch gehörte. In diesem Augenblick klingelte erneut das Telefon und der Einsatz wurde abgeblasen. Der Bereichsleiter Aurich habe einen in der Nähe befindlichen eigenen Mitarbeiter umgesetzt. Es ist schon eigenartig, ging es Frank-Peter durch den Kopf. Während die Festangestellten oder die beim Entsorger fest angestellten Zeitarbeiter wenigstens noch einige soziale Einrichtungen nutzen konnten, wie etwa eine Dusche oder die Möglichkeit zum Umziehen, gab es für ihn dies Möglichkeiten nicht. Es wurde erwartet, dass er in Arbeitssachen auf einen kleinen Wink seiner Chefin hin mit seinem privaten Fahrzeug zum Einsatz fährt und die Gefahr einer völligen Verschmutzung billigend in Kauf nimmt. Auch Anrufe mit seinem privaten Telefon werden unabgesprochen erwartet. Bei der Sperrmüllabfuhr bekam Frank-Peter Farbe über Hosen, Schuhe und T-Shirt, als er mit Wilhelm Brandt eine alte Kommode in das Auto hob. Zum Glück war die Farbe bis zum Feierabend trocken, als er in sein Auto stieg. Die Chefin war in einer anderen Beziehung kulant. Frank-Peter war bei seiner Montagetätigkeit ein Werkzeug abhanden gekommen. Es war kein Baumarktwerkzeug, sondern Profitechnik und die 20 Euro schmerzten. Mit Sicherheit war es nicht geklaut worden, sondern bei dem Chaos auf der Baustelle verloren gegangen. Frank-Peter durfte es neu besorgen und bekam die Summe mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Kulanz ersetzt. In der vorhergehenden Zeitarbeitsfirma konnte er wählen zwischen Werkzeug von der Firma und der Verwendung eigenen Werkzeugs, wofür er Werkzeuggeld erhielt. Hier wurde die Nutzung eigenen Werkzeugs vorausgesetzt, weil man dann angeblich besser auf das Werkzeug aufpasst, so die Chefin.

6. Ein verheißungsvoller Arbeitgeber

Freitagnachmittag gab es die versprochene Order für die kommende Woche. Frank-Peter sollte sich bei einer Firma mit Status GbR in der Holbestraße melden und es würde von dort nach Halle gehen. Auf dem Rückweg fuhr Frank-Peter dort vorbei. Es handelte sich um ein Bürogebäude, also bezüglich einer Elektrofirma eher eine Briefkastenadresse. Leider war 15 : 30 Uhr niemand mehr da, auch der telefonische Ansprechpartner war nicht erreichbar. Frank-Peter hätte gern gewusst, in welchem Outfit er am Montag erscheinen soll und welcher Art sein persönliches Werkzeug sein sollte. Dafür war die Internetpräsenz der Firma professionell. Und auch eine funktionierende Telefonnummer konnte Frank-Peter finden und erhielt Ordner, etwas zum Kabelschneiden mitzunehmen.

Während der körperlich oft schweren Arbeit verspürte Frank-Peter niemals Müdigkeit und auch die Erschöpfung hielt sich in Grenzen. Anders am Wochenende. Eine schmerzhafte Müdigkeit bemannte sich seiner und ließ ihn die Fernsehsendungen, wenn überhaupt, nur noch als Hörspiel wahrnehmen. Hinzu kam, dass seine Frau vor wenigen Tagen an der Bandscheibe operiert worden war und nun eine Reihe weiterer Handgriffe der täglichen Kleinarbeit von ihm und der noch im Haushalt lebenden Tochter übernommen werden musste. Am Sonnabend war Frank-Peter seit langem wieder mal in seinem Garten, der zusehends dem Verfall preisgegeben war. Mit dem Auto war es nur eine Fahrt von zehn Minuten, seine Frau jedoch war krank, er die Woche über in den alten Bundesländern oder nach einem langen Arbeitstag für den Garten zu kaputt. Wenn er nach Hause kam, war als erstes eine Dusche oder ein Bad und neue Wäsche angesagt. Der Hunger war das geringere Übel, der Durst marterte mehr. Und dann, nach 20 : 00 Uhr noch in den Garten zu fahren, wo man zu dieser Zeit sowieso keinen Rasen mehr mähen kann, stellte keine Option dar. Der Garten existierte jedoch noch und die Grillwurst schmeckte am Wochenende auch mal ohne Bier ganz gut.

Die neue Arbeitswoche startete am 28. Juni, nachdem bei zwei Großhändlern Ware abgeholt worden war, mit einer Fahrt nach Unterkribbel. Hier sollten in einem Kühllager von Kaufland Telefonleitungen gezogen werden. „Die Arbeitszeit beginnt auf der Baustelle“, erläuterte Conny. Die Materialbeschaffung von den beiden Großlagern ist also privates Hobby! Vielleicht würde sich einen Rechtsanwalt finden, der den Arbeitsort in Leipzig als Beginn der Arbeitszeit einklagen könnte, aber dafür hatte Frank-Peter Sommer kein Geld und keine Zeit. Die geplante Aufgabe erwies sich vor Ort als kleine Nebenaufgabe, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten jedoch nicht an einem Tag fertig gestellt werden konnte. Die eigentliche Aufgabe sollte darin bestehen, eine Menge Datenkabel in Schaltschränke und an neu errichtete Arbeitsplätze der Zwischenetage zu bringen und anzuschließen. Ein Teil der Kabel war von einer anderen Firma verlegt worden und wartete in Ringen gebündelt an markanten Punkten auf den eigentlichen Kraftakt. Andere Kabel waren außer Sichtweite und es war ungewiss, ob sie an irgendeiner Stelle in den abgehangenen Decken auf ihre Neuentdeckung warteten oder schlichtweg vergessen worden waren. Conny, 23 Jahre alt, telefonierte lange mit seinem Chef und mit der Firma, welche die Leitungen verlegt hatte. Am Ende kam heraus, dass vermutlich die ganze Woche hier gearbeitet werden muss, wenn jedoch noch Kabel zu ziehen wären, können daraus locker 14 Tage werden. Zum Glück für Frank-Peter befand sich im Auto die Jacke eines Kollegen, denn 2 °C wäre auf Dauer für das T-Shirt die unpassende Kleiderordnung. Conny, eigentlich Cornelius, erzählte Frank-Peter, dass sie in der Regel 10 Stunden ohne Pause durcharbeiten, damit sie bei akzeptablen Stunden auch einen Feierabend haben. Für Frank-Peter sah die Woche bezüglich Arbeitszeit nicht sonderlich rosig aus. Zwar musste er sich 7 : 00 Uhr in der Firma einfinden und kam 17 : 30 Uhr dahin zurück, aber diese 10 ½ Bruttostunden brachten für den Stundenzettel „nur“ acht anzurechnende Stunden, seine eigene Fahrzeit zur Firma natürlich nicht mitgerechnet. Wenn dann am Freitag keine Beschäftigung für Frank-Peter möglich ist, weil Conny dringend auf eine andere Baustelle muss, werden für die Abrechnung nicht einmal die 35 Stunden Mindestarbeitszeit erreicht. Er hat ja seinen Untervertrag mit dem Arbeitgeber, namentlich mit dem der Leipziger Anschrift und nicht mit einer Baustellenanschrift. So kann man auch seinen Gewinn maximieren. Frank-Peter glaubt nicht, dass Conny ebenfalls nur die Zeit auf den Baustellen gut geschrieben bekommt, es wird wohl ein weiteres Mittel sein, die modernen Arbeitssklaven zu schröpfen. Indes war die Arbeit anspruchsvoll aber im Gegensatz zu den bisherigen Tätigkeiten körperlich nicht so aufreibend. Die Temperaturunterschiede waren für den Kreislauf anstrengend. Gerade noch Arbeit in der 2° C „warmen“ Kühlhalle, musste dann in den Zwischendecken und in den darüber liegenden Dachgeschossdecken Kabel verlegt werden, wo die Technik der Klimageräte ihre warme Luft hinein pustete. Der Weg im Dachbereich erinnerte Frank-Peter an einen Hindernislauf. Er schlängelte sich über Rohrbrücken und krabbelte auf den Knien unter tief liegenden Betonträgern hindurch. Anfangs musste sich Frank-Peter noch die einzelnen Arbeitsschritte für spezielle Installationen zeigen lassen, die Technik schreitet rasant voran und diese Art Technik, die hier verbaut wurde, hatte Frank-Peter noch nicht in den Händen gehabt. Dann ging ihm die Arbeit jedoch locker von der Hand und – obwohl nicht ganz so schnell wie Conny – brauchte er sich bezüglich der Qualität seiner Arbeit nicht zu schämen. Conny, sehr rührig, vermochte jedoch nicht in einer Weise vorausschauend die Arbeit zu organisieren, die für einen reibungslosen Ablauf erforderlich gewesen wäre. Für die sicher seltenen „groben“ Arbeiten, etwa das Verlegen der Kabel in den Zwischenebenen, auf Betonpfeilern oder auf Kabeltrassen mit der Erstellung der notwendigen Durchbrüche fehlte das Werkzeug selbst am dritten Tag. Lange Bohrer, Kegelbohrer, Schutztüllen für die Kabel, alles kleine Dinge, welche den Fortgang der Arbeit ungemein behinderten, ebenso Prüfgeräte für die Verfolgung nicht bezeichneter Kabel. Aus diesem Grund war am Donnerstag die Arbeit eher als ursprünglich geplant zu Ende. Der Freitag war für Frank-Peter frei geplant, da Conny auf eine andere Baustelle musste, die er aber nicht näher erklärte. „Das ist nicht schön“, kommentierte Frank-Peter. „Dein Chef fordert Leute an und dann ist keine Arbeit da. Ich komme so nicht einmal auf die Mindeststundenmenge von 35 Stunden!“ Man einigte sich, dass die fehlenden drei Stunden für die Mindeststundenzahl als Vorgriff auf Stunden der kommende Woche geschrieben werden sollte. Conny unterschrieb den Stundezettel.

 

So verschwiegen wie Conny zu seinen Arbeiten für den Chef am Freitag war, in anderen Dingen war er mehr als offenherzig. Im Gemüsekühllager sah er ein junges Mädchen, die sofort seinen Testosteronspiegel explodieren ließ. Lange überlegte er, wie er den Kontakt herstellen könnte und borgte sich schon mal zehn Euro, um das Mädchen zu einem Kaffee in die Betriebskantine einzuladen. Dann fehlte im entscheidenden Moment doch der Mut und Conny sah „sein“ Mädchen gerade noch auf dem Weg nach Hause aus der Halle entschwinden. Für den Montag nahm er sich erneut vor, Arbeiten in der Gemüsehalle vorzutäuschen um mit dem Mädchen in Kontakt zu kommen. „Die lächelt so süß, wenn ich sie anschaue“, verriet er Frank-Peter. Auf der Heimfahrt erkannte Conny seine Lieblingsmusik auf seinem Lieblingssender. Er drehte die Musik auf eine Lautstärke, die bei längerem Genuss eine sichere Anwartschaft auf die Benutzung von Hörgeräten gebracht hätte und begann hinter dem Lenkrad, seinen Körper im Rhythmus der Musik zu bewegen. Zum Glück klingelte sein Handy und Conny drehte die Lautstärke zurück. Bei den Unterhaltungen waren die Reaktionen von Conny nicht vorherzusagen. Ohne richtig das Gesagte zu erfassen, nahm Conny bei belanglosen Themen urplötzlich ohne erkennbaren Grund eine Kontrastellung ein.

Auch die folgende Woche gab es Arbeit an gleicher Stelle. Montag hatte Conny sein Betriebshandy vergessen. Die Fahrt auf die Baustelle wurde also mit einem Umweg zur Wohnung von Conny gestartet. Dienstag verschlief es Conny, Frank-Peter musste 40 Minuten warten. Die Werkzeuge für die im Kühllager zu verrichtenden Arbeiten wirkten bis auf die teuren Messgeräte eher amateurhaft, so genanntes Heimwerkerniveau. Der Akkuschrauber war den Aufgaben nicht gewachsen, die Akkus schon am Ende ihres Berufslebens. Einen Kegelbohrer für stufenförmig zu vergrößernde Bohrungen für Kabeldurchführungen hatte Conny von einer anderen Firma auf der Baustelle geborgt. Der Chef brachte eine Lochkreissäge, ein für diese Aufgabe untaugliches Teil. Nur Frank-Peter hatte einen Hammer in seinem privaten Handwerkzeug. „Für solche groben Arbeiten sind wir nicht vorbereitet“, kommentierte Conny. Zum Glück fand man mit Hilfe eines netten Mitarbeiters der Errichterfirma für das automatische Kleinteilelager eine Lösung, die mit der schwachbrüstigen Akkumaschine gerade noch zu bewältigen war. Auf der Heimfahrt erzählte Conny, dass er abends Frauenbesuch erwartet. Er würde etwas Leckeres kochen. Dann gibt es einen schönen griechischen Wein und danach geht es zur Sache. Dafür gebrauchte er aber andere Worte, die hier so nicht wieder gegeben werden können. Bisher sei er jedes Mal, wenn er Frauenbesuch hatte, zur Sache gekommen. Im Januar hatte er sich von seiner langjährigen Freundin getrennt und eine lange Zeit gebraucht, bis er den Kopf für andere Beziehungen wieder frei hatte. Dafür lebte er sich jetzt aus. Sein Rekord waren an einem Abend drei Mädchen, die sich nur um 30 Minuten bei den Besuchen verfehlten. „Das war ganz schön knapp“, erzählte Conny mit breitem Grinsen.

Auch am Mittwoch hatte Conny das Betriebshandy nicht bei sich. „Der Akku ist wohl runter?“, fragte Frank-Peter. Conny nickte. Die Arbeiten waren so gut von der Hand gegangen, dass gegen 16 : 00 Uhr alles geschafft war. Da kam Conny mit der Hiobsbotschaft: „Morgen haben wir keine Arbeit für dich, ich muss auf eine andere Baustelle!“ „Aber am Freitag bleibt es beim Einsatz ab Nachmittag?“, fragte Frank-Peter. Conny tat erstaunt. „Wer hat etwas von Freitag gesagt?“ Frank-Peter hatte von Conny sogar erfahren, wo der Einsatz sein sollte, im Petersbogen in Leipzig. Am ersten Tag in dieser Firma war er vom Chef gefragt worden, ob ein Einsatz an besagtem Freitag am Nachmittag bis zum Abend für Frank-Peter möglich wäre, was Frank-Peter bejahte, was vom Chef mit offensichtlicher Freude aufgenommen wurde. „Am Freitag haben wir für dich auch nichts“, sprach Conny. „Dein Einsatz ist damit heute beendet!“ Frank-Peter hatte das Gefühl, als ob mit verdeckten Karten gespielt wird. Sicher gab es am Folgetag noch Arbeit auf dieser Baustelle, wenn die Lieferung vom Großhandel endlich eintrifft. Dann wäre aber Arbeit für einen und auch nur für begrenzte Zeit möglich. Aus den Äußerungen von Conny den Kontaktpersonen gegenüber vermutete Frank-Peter auch diese Option.