Andere Länder, andere Straßen

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Andere Länder, andere Straßen
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Inhalt

Impressum 2

Vorwort 3

Kapitel 1 4

Kapitel 2 7

Kapitel 3 9

Kapitel 4 12

Kapitel 5 18

Kapitel 6 23

Kapitel 7 28

Kapitel 8 33

Kapitel 9 52

Kapitel 10 62

Kapitel 11 68

Kapitel 12 78

Kapitel 13 90

Kapitel 14 124

Kapitel 15 136

Kapitel 16 172

Kapitel 17 184

Kapitel 18 200

Kapitel 19 207

Kapitel 20 219

Kapitel 21 228

Kapitel 22 242

Kapitel 23 272

Kapitel 24 278

Zahlen und Fakten 282

Noch einmal 284

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-989-7

ISBN e-book: 978-3-99107-990-3

Lektorat: Susanne Schilp

Umschlagfoto: Rad Mane; Ben Goode, Mingabr500, Michael Biehler | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Rad Mane

www.novumverlag.com

Vorwort

Liebe Leser, das nachfolgend aufs Papier Gebrachte beschreibt eine wundervolle, harte, traumhafte, extreme, lange und im Nachhinein kurzweilige, unglaubliche Reise. Alle in diesem Buch auftretenden Meinungen und Beschreibungen beruhen auf meinen Erlebnissen und darauf, wie ich die Situationen empfand. Möglicherweise ergeben sich Unterschiede zu anderen Leuten, die vielleicht etwas Ähnliches erlebt haben oder eventuell in den einzelnen von mir bereisten Ländern schon einmal im Urlaub waren. Bedenken Sie dabei, dass sehr vieles die Meinung beeinflusst, wie z. B. die Jahreszeit, die Gegend, die Religion und auch die eigene Tagesverfassung. Ich habe in diesem Buch versucht, so objektiv wie möglich zu berichten, nichts zu beschönigen, aber auch nichts Angenehmes und Unangenehmes wegzulassen. Es ist eine Geschichte, wie ich sie erlebte und überstand.

Wenn du einen außergewöhnlichen Wunsch oder Traum hast, musst du die Kraft und den Mut haben, ihn auch umzusetzen.

Diese Kraft und dieser Mut wachsen in einem starken Willen.

Wenn du diesen starken Willen nicht hast, wird es für immer ein Traum bleiben.

Kapitel 1

Wie kommt man auf die Idee, mit dem Rad einmal um unseren Planeten zu fahren?

Der Traum hat sich über viele Jahre langsam entwickelt.

Ich war jung und voller Energie, als sich aus einem kleinen Desaster ein sportlicher Ehrgeiz entwickelte. Das Desaster, das ich meine, fand an einem Sonntagmorgen nach einem langen Spiele-Abend mit meinen Brüdern statt. Es war die Zeit, als wir dem Brettspiel „Risiko“ total verfallen waren. Diese Abende waren stets begleitet von Tabak- und Alkoholkonsum, was die Kondition eines Menschen bekanntlich nicht gerade fördert. Meine Brüder Klaus und Uwe kamen auf die Idee, am Sonntagmorgen etwas zu joggen. Überzeugt von meiner sportlichen Leistungsfähigkeit verabredete ich mich mit ihnen auf Sonntagmorgen, zehn Uhr. Die beiden waren damals immer wieder mal auf der Strecke gelaufen und hatten somit einen kleinen Trainingsvorsprung. Schon gleich nach dem Start stellte sich heraus, dass ich wegen meiner Kondition nicht mithalten konnte.

Als ich die kleine Runde von fünf km hinter mich gebracht hatte, saßen meine Brüder bereits eine Weile auf dem Balkon und streckten ihre Beine über dem Balkongeländer aus. Ich war sehr deprimiert, da ich mich eigentlich den beiden gegenüber für unschlagbar gehalten hatte. Ich bot ihnen an, die Angelegenheit in zwei Wochen zu wiederholen, um meine Ehre wiederherzustellen. Ich war mir dabei absolut im Klaren, dass ich das aber nur schaffen könnte, wenn ich in diesen 14 Tagen auch etwas tun würde. So begann ich gleich am Montag mit einem leichten Lauftraining, und man glaubt es kaum, ich hörte an diesem Tag auf zu rauchen.

Leider fand der Vergleichslauf nach zwei Wochen nicht statt, aus Termingründen, auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht. Dessen ungeachtet trainierte ich aber weiter und fand immer mehr Spaß am Laufsport, auch weil ich schon nach wenigen Wochen eine sehr große Leistungssteigerung verspürte. Da ich von Haus aus ein Typ bin, der immer ein Ziel braucht, stand ich bereits vier Monate später am Start des München-Marathons und lief ihn in drei Stunden und zehn Minuten. Dieser Erfolg beflügelte mich, weiter zu trainieren und an Wettkämpfen teilzunehmen.

In den darauf folgenden Jahren lief ich einige Marathons und sogar zweimal den Ultramarathon in der Schweiz. Irgendwann war ich dann an einem Punkt angelangt, wo ich nicht mehr weiterkam. Meine Ziele, den Marathon unter drei Stunden und den 100-km-Lauf in Biel unter zehn Stunden zu laufen, hatte ich erreicht, und mehr war nicht drin. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich mein Ziel erreicht hatte und mir kein höheres stecken wollte.

In dieser Zeit entwickelte sich der Gedanke, irgendwann einmal um die Welt zu laufen. Doch dafür bräuchte ich Zeit. Nicht während meines Berufslebens als selbstständiger Fliesenleger, nein, das sollte ohne Druck stattfinden, ohne Druck, nach so einer Reise wieder normal arbeiten zu müssen. Ich kannte Geschichten über Menschen, die so etwas auch schon gemacht hatten, oder über Aussteiger auf Zeit, die sich hinterher sehr schwertaten, wieder ins normale Leben zurückzukehren. Wenn ich das anging, dann sollte es so sein, dass ich ohne Stress und Druck losliefe, um die Zeit genießen zu können, wenngleich auch der sportliche Gedanke, die Welt zu umrunden, im Vordergrund stand. Ich nahm mir nicht vor, so viele Länder und Menschen kennenzulernen wie möglich oder gar an besonders schönen oder interessanten Orten für längere Zeit zu bleiben. Für mich war tatsächlich am wichtigsten, dass ich einmal die Erde umrunde. Was alles in dieser Zeit passieren und ich erleben würde, war für mich nur ein Teil, der unweigerlich dazugehörte, aber es sollte ein wichtiger Teil werden, wie wir in den weiteren Kapiteln erfahren werden. Dieser Traum entstand also lange vor meinem Start, um genauer zu sein, fast 30 Jahre zuvor.

Jedoch ergab sich in dieser Zeit auch eine gravierende Änderung meines Traums. Da ich berufsbedingt immer größere Schwierigkeiten mit meinen Knien bekam, zwischenzeitlich auch eine Tomographie der Kniegelenke durchlief, stellte sich heraus, dass ich an beiden Knien keinerlei Knorpel mehr hatte. Der untersuchende Arzt riet mir damals davon ab, mit diesen Symptomen zu joggen oder gar längere Wanderungen zu unternehmen. Er gab mir allerdings den Tipp, dass Radfahren und Schwimmen für mich durchaus gute Alternativen seien. Also freundete ich mich nach und nach mit dem Gedanken an, meinen Traum mit dem Fahrrad zu verwirklichen. Mit viel Arbeit und auch privaten Veränderungen zogen die Jahre an mir vorbei, und schließlich setzte ich mir wieder einmal ein Ziel in meinem Leben, nämlich das Datum, an dem es losgehen sollte. Es war der 1. 4. 2019.

Kapitel 2

Die Vorbereitung

Wie geht man so ein Vorhaben an? Diese Frage beschäftigte mich lange, doch aus meinem Berufsleben kannte ich natürlich solche Überlegungen. Da hatte ich oft Situationen, in denen ich gelernt hatte, einen Punkteplan zu erstellen und einen Punkt nach dem anderen abzuarbeiten. Bei meinem Vorhaben ergaben sich folgende: Fahrrad, Strecke, Gepäck bzw. Ausrüstung, Gesundheit, Impfungen und Informationen über die Länder, die auf meiner Strecke lagen. So begann ich ca. 1,5 Jahre vorher, mich intensiv mit meinem Traum zu beschäftigen und zu planen. Zuerst informierte ich mich über das Rad, da dies einer der wichtigsten Punkte war. Wie sich herausstellte, kann man hier viel richtig, aber auch viel falsch machen. Ich war nicht unbedingt ein großer Radfahrer und hatte auch keine Ahnung, welche Unterschiede es bei den Rädern gab.

 

Ich ging zu einem nahegelegenen Fahrradfachhandel und lernte Gerhard kennen, wirklich ein Mann vom Fach, der auch schon längere Touren gefahren war. Nach mehreren Überlegungen stellten wir schließlich ein Rad zusammen, das nicht nur den extremen Strapazen einer solchen Reise standhalten konnte, sondern auch einen soliden und wenig anfälligen Standard bot. So verzichtete ich bewusst auf eine Federung an Hinter- und Vorderrad, auf Scheibenbremsen und Kettenantrieb, allesamt Komponenten, die auf einer Strecke von ca. 25000 km durchaus Probleme machen könnten, und das in Ländern, wo ich unter Umständen extreme Schwierigkeiten mit der Ersatzteilbeschaffung haben würde. Am Schluss stand auf dem Bestellschein ein Trekkingrad der Firma Campus mit Nabendynamo im Vorderrad für die Stromversorgung der Beleuchtung sowie einer USB-Schnittstelle für das Laden von Handy, Tacho, iPad und Lautsprecherbox. Das Hinterrad wurde nicht mit einer Kette getrieben, ich entschied mich für einen Riemenantrieb, der natürlich nur mit einer Nabengetriebeschaltung funktioniert. Für den Riemen gab der Hersteller auf 25000 km Garantie. Er sollte diese Reise problemlos und ohne Wartung überstehen. Vorne und hinten noch stabile Gepäckträger zur Aufnahme meiner Satteltaschen, und schon stand fest, womit ich das Projekt „Weltumrundung“ angehen würde. Ich ließ mir das Fahrrad im April 2018 liefern, um noch einen Sommer lang täglich die 15 km in meinen Betrieb zu radeln und um nicht vollkommen untrainiert auf die Strecke zu gehen. Ansonsten machte ich nichts Spezielles. Ich sah meine Strecke als Training an und wollte vorher nicht zum Radprofi werden.

Nebenbei beschäftigte ich mich immer intensiver mit der Route, die ich fahren wollte, mit der Ausrüstung, Kleidung und den Packtaschen. Parallel dazu erstellte mir meine Hausärztin einen Impfplan und verabreichte mir zu gegebener Zeit die verschiedenen Spritzen gegen unterschiedlichste Fieber und Infektionskrankheiten. In meinem Betrieb richtete ich mir eine schöne Wand ein, die ich mit einer großen Weltkarte tapezierte. Darauf steckte ich nach und nach meine vorgesehene Strecke mit Nadeln und Faden ab. Ich kam auf eine ungefähre Tourenlänge von ca. 23500 km.

Im Sommer 2018 war ich dann mit den groben Vorbereitungen so weit fertig, dass es bald losgehen konnte. Meine Nervosität stieg von Tag zu Tag. Nun arbeitete ich auf den Abschluss meines Berufslebens hin, den ich mir Ende Dezember 2018, also mit 60 Jahren, gesetzt hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deshalb nicht. Schließlich hatte ich in den letzten 45 Jahren so viel gearbeitet, dass ich mir diesen Ausflug finanziell und auch als Frühaussteiger locker leisten konnte. Familiär sah die Sache jedoch etwas anders aus, was nach und nach in den nächsten Kapiteln ersichtlich wird.

Kapitel 3

Die letzten Wochen vor dem Start

Mein Vorhaben hatte sich natürlich im Laufe der Zeit in meinem ziemlich großen Bekanntenkreis herumgesprochen. So kamen die unterschiedlichsten Feedbacks. Viele sahen darin eine sagenhafte, wenn auch schwierige Reise. Andere meinten, das Vorhaben sei nicht realisierbar, und wieder andere bezeichneten mich als verrückt. Manche aus dem engeren Bekanntenkreis prognostizierten eine totale Veränderung meiner Person und meiner Familie. Eine so lange Reise würde nicht spurlos an einem vorübergehen. Realitätsverlust, Schwierigkeiten beim Wiedereintritt ins normale Leben und Heimweh, alles wurde diskutiert und kritisiert. Es wurde sogar darüber gesprochen, dass mir meine geliebte Arbeit und mein Geschäft fehlen würden, da ich im Bekanntenkreis als Workaholic galt. Allgemein wurde die Geschichte aber so betrachtet, dass man abwarten müsse. Vielleicht waren das auch nur alles Sprüche von mir, die sich noch legen würden, und die Sache verliefe im Sand. Nur meine Frau wusste: Wenn ich etwas sage, dann meine und mache ich das auch. Sinnloses, träumerisches Geschwätz war nie mein Ding. Trotz aller Skepsis waren dann aber die Geschenke, die ich zu meinem 60. Geburtstag erhielt, also 4 Monate vor meinem Start, alle auf die Fahrradtour abgestimmt. Vom Flickzeug bis zum alten Ledersattel, der später noch eine wichtige Rolle spielen sollte, war alles dabei.

Die Zeit danach verging wie im Flug. Weihnachten, Neujahr und die „Fasnet“, die bei uns im Elztal streng gefeiert wird, gingen an mir vorbei, als hätte jemand der Zeit ein Doping verpasst. Oft dachte ich, dass ich nicht mehr alles gerichtet bekomme. Fahrradkleidung für jedes Wetter kaufen, Medikamente und Verbandszeug besorgen, Werkzeug richten, Ersatzteile zum Mitnehmen festlegen, letzte Impfungen, großer Gesundheitscheck, Camping- und Kochausstattung und ein Minimum an normaler Kleidung aussuchen, all das stand auf meiner Checkliste. Als ich alles zusammen hatte, konnte ich dann Mitte März zum ersten Mal probeweise packen. Nach häufigem Ein- und Auspacken hatte ich schließlich in einer bestimmten Reihenfolge alles so in meinen zwei vorderen, zwei hinteren Satteltaschen und einer Gepäckrolle verstaut, dass ich jeden Gegenstand mühelos finden konnte.

Da stand es dann, mein Rad, aufgesattelt und beladen mit 35 kg Gepäck. Nur mit dem Nötigsten, aber allem, was ich für die Dauer meiner Reise brauchte, machte ich am 29. 3. 2019 eine erste kurze Testfahrt, um zu sehen, wie sich mein Gefährt im bepackten Zustand fahren ließ. In meiner Euphorie, die ich zu dem Zeitpunkt verspürte, fühlte sich die Sache gut an.

Blieb nur noch eines zu tun. Das Richten meiner wichtigsten Tasche, der Lenkertasche, in der ich alles ganz Wichtige verstaute: mein Bordbuch, eine in Leder gebundene Mappe, die ich von meinem Sohn Bastian und seiner Frau zum Geburtstag bekommen hatte, mit Fächern für Ausweise, Bargeld, Bankkarten und einem Notizblock, in dem ich jeden Kilometer meiner Reise dokumentieren wollte, außerdem ein Taschenmesser, ein Geschenk von meinem Stammtisch zum Abschied, eine Nacht- und eine Sonnenbrille, Pfefferspray für alle Arten von Angriffen und sonstiges Kleingerödel, was man so braucht. Zur Navigation hatte ich für die erste Zeit eine große Europakarte, mein Handy und mein iPad eingepackt.

Dann war es so weit. Das letzte Wochenende brach an. Ich verabschiedete mich am Freitagabend bei meinem engsten Freundeskreis mit einem kleinen Umtrunk im Bistro meines ältesten Bruders Werner. Am Samstag und Sonntag plagten mich selbst die Gedanken und Bedenken meiner Freunde, die letzten, die einsahen, dass es mir ernst und die Reise nicht mehr zu stoppen war. Susi z. B. brachte die gefährlichen Länder ins Spiel, während mir die meisten die lange Strecke und die von mir angesetzte Zeit nicht zutrauten.

Zu Hause herrschte eine komische Stimmung, die von mir und meiner Frau jedoch unausgesprochen blieb und unterdrückt wurde. Die beiden großen Kinder meiner Frau aus erster Ehe, Denise und Robin, kamen klar mit dem Gedanken, dass ich nun eine Weile nicht da war. Denise, die selbst kurz zuvor nach dem Abi ihre Auszeit in Neuseeland, Australien und Thailand genossen hatte, sah darin natürlich in ihrer Reiselust etwas Großes. Während meine erwachsenen Söhne Bastian und Fabian schon längst mit meiner Reise einverstanden waren, machte sich mein Sohn Nico (damals 14 Jahre alt) andere Gedanken. Er wusste, dass ich seinen nächsten Geburtstag nicht mit ihm feiern konnte und auch an Weihnachten und eventuell bei seiner Schulentlassung nicht da sein würde. Auch die Möglichkeiten, dass ich nicht zurückkehren könnte oder einen geliebten Menschen nie wieder sehen würde, wurden von mir in einem hinteren Winkel des Gehirns bearbeitet.

Alles Dinge, die mir im Vorfeld klar waren, die mich aber nach und nach immer mehr belasteten, je näher ich dem 1. 4. 2019 kam. Alles war mit Sicherheit anders, als wenn ein junger Kerl, ohne Verpflichtungen und nur mit den berechtigten Sorgen seiner Mutter und seines Vaters, sich auf so eine Reise begeben würde. Aber es gab kein Zurück mehr. Die Zeit der monatelangen Vorbereitung und zahllosen Nächte, in denen ich über Strecke, Schwierigkeiten, andere Menschen und Kulturen, Heimweh und vieles mehr nachgedacht hatte, waren nun vorbei. Die Reise ging los.

Kapitel 4

Es geht los …

Der erste Tag und die Reise durchs Heimatland Deutschland

Pünktlich um 6 Uhr am Morgen des 1. 4. 2019 schlug der Wecker Alarm. Er überraschte mich aber nicht und noch weniger riss er mich aus einem Tiefschlaf. Die Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Unruhe, Nervosität und die Tatsache, dass ich nun mein eigenes geliebtes Bett für lange Zeit nicht haben würde, dass ich ab jetzt nicht mehr selbstverständlich neben meiner Frau einschlief und aufwachte, sorgten dafür, dass es eher ein leichtes Duseln als ein Schlafen gewesen war. Also raus aus den Federn und die restlichen Dinge einpacken. Noch eine Tasse Tee, und schon war die letzte Stunde in den eigenen vier Wänden verflogen. Punkt 7 Uhr standen mein Bruder Uwe und mein Freund Bernd mit ihren Rädern hinterm Haus. Mein Bruder begleitete mich bis zur Wilhelmshöhe, was von uns aus gesehen nach 20 km die erste kleine Passhöhe war, aber auch gleichzeitig der erste Test, wie ich mit meinem Gepäck und Rad am Berg zurechtkam. Bernd, mein alter Motorradkumpel, begleitete mich bis Mittwochmorgen und hatte hierfür leichtes Gepäck aufgeschnallt.

Als ich die Wohnung verließ und mein vorgepacktes Rad aus dem Fahrradraum holte, hatte sich zu meiner Freude bereits eine kleine Versammlung aus Freunden, Nachbarn und Geschwistern gebildet. Dann ging alles sehr schnell. Ich bin nicht unbedingt ein Freund von langen Abschieden. Ich klickte meine Lenkertasche ein, begrüßte die zum Spalier Angetretenen und verabschiedete mich gleichzeitig bei ihnen. Meine Schwester Gisela machte noch ein paar Bilder und Videos. Zum Schluss kam der schwierigste Teil, auf Wiedersehen und eine letzte Umarmung für meine Kinder und meine Frau. Tschüss und ab! Es war schwer. Auf der einen Seite gab ich alles für lange Zeit auf, was mein Leben ausmachte, Familie, Freunde, Hobbys und vieles mehr. Keiner, der so etwas startet, darf glauben, dass das so spurlos an einem vorbeigeht. Auf der anderen Seite stand eine Reise mit Abenteuern und vielen ungesehenen Orten.


Der erste Berg war geschafft. Abschied von meinem Bruder links.

Mit diesen Gedanken fuhr ich die ersten Kilometer, ohne um mich herum etwas wahrzunehmen. In das Gespräch meiner beiden Begleiter Uwe und Bernd konnte ich mich nicht einklinken, da mir viel zu viel durch den Kopf ging. Doch schon bald begann im Oberprechtal die erste Steigung. Da ich noch keine besonders gute Kondition hatte, von den Muskeln in den Beinen auch keine Übermensch-Leistung zu erwarten war und meine Auflagefläche auf dem Sattel nun bald zu schmerzen begann, wurden die ersten 20 km gleich zur Prüfung. Nach zwei Stunden war der erste Berg aber Geschichte und der zweite Abschied an diesem Tag stand an. Auf der Wilhelmshöhe machten wir noch ein paar Fotos. Schweren Herzens sah ich meinen Bruder nur noch von hinten, bis er in der nächsten Kurve für lange Zeit aus meinem Blick verschwand. Ihm fiel der Abschied auch nicht gerade leicht, da er als Extremsportler selbst ein kleiner Weltenbummler ist.

Also gut, aufsitzen und weiterfahren war die Devise, weil ich mir vorgenommen hatte, am ersten Tag ein ordentliches Stück weit zu kommen. 60 km waren das Minimum, das ich mir auferlegt hatte, und das auch im Schwarzwald, wo die Strecke eher ein steiles Auf und Ab war als eine lockere Ausfahrt in einer ebenen Landschaft. Zusätzlich belasteten mein Rad auch noch die gut 40 kg Gepäck und mich meine 20 kg Übergewicht. Aber wir kamen gut voran.

Am Abend fanden wir eine Pension in einem kleinen Ort hinter Tuttlingen, in der wir nach einem guten badischen Abendessen eine erholsame Nacht mit schweren Beinen verbrachten. Auch Bernd, der gut 20 Jahre jünger und etwas fahrraderfahrener als ich war, hatte seine Probleme mit den steilen Anstiegen gehabt. Immerhin hatten wir 93 km mit 1288 Höhenmetern geschafft. Am nächsten Morgen starteten wir früh, gleich nach dem Frühstück, um 7.30 Uhr saßen wir bereits wieder auf den gepackten Rädern. Das Tagesziel hieß Memmingen, von unserem Startpunkt aus gesehen 115 km entfernt. Die Strecke durch die südschwäbische Landschaft war sehr schön, aber auch sehr hügelig. In Erwartung eines besonderen Ereignisses, das nicht eintrat, flogen die Kilometer an uns vorbei. Das Einzige, das sich bei mir einstellte, war ein Unwohlsein in meinem Magen, das ich auf den Balkanspieß, den ich am Tag zuvor an einer Imbissbude verdrückt hatte, zurückführte. Das geht ja gut los, dachte ich mir und machte mir gleich zu Beginn schon meine Gedanken über meinen eher empfindlichen Magen. Wie würde das wohl in den Ländern werden, in denen sehr scharf gekocht und auf die Sauberkeit kein großer Wert gelegt wurde?

 

Am Abend quartierten wir uns im Zentrum des kleinen Städtchens Memmingen ein. Wieder hatten wir einen riesigen Hunger und aßen gut. Um die „Läuse“ in meinem Bauch zu vertreiben, nahm ich ein altbewährtes Hausmittel zu mir, das eigentlich bei solchen Symptomen immer half. Es ist ein Hirsch auf der Flasche, ist braun, und man trinkt es aus kleinen Gläsern. Wenn man zu viel davon schluckt, stellen sich am nächsten Morgen leichte Nebenwirkungen wie Kopfweh und Schlafbedarf ein. Da es aber unser letzter Abend für lange Zeit sein sollte, tranken wir ungeachtet der Nebenwirkungen eine ordentliche Menge davon, auch um sicherzugehen, dass der Magen wieder zur Ruhe kam.

Es war ein schöner Abend, für eine lange Zeit der letzte, den ich mit einem Freund und einem bekannten Gesicht verbringen sollte.

Am Morgen hatten sich die Beschwerden in meinem Magen verzogen, dafür machten sich aber die beschriebenen Nebenwirkungen in meinem Kopf bemerkbar. Schlimmer waren aber die Gedanken daran, dass um 11 Uhr der Bus, mit dem Bernd zurück nach Hause fahren sollte, pünktlich am Busbahnhof stehen würde.

Nach einem kleinen Frühstück standen auch wir dort und wechselten die letzten Worte. Ich wartete nicht, bis der Bus abfuhr, um mir den Anblick zu ersparen, wie er mit meinem Kumpel um die Ecke bog. Eine letzte herzliche Umarmung, ein beherzter Schwung auf mein Rad und, schwupp, war ich mit feuchten Augen und einem mordsmäßigen Stein im Bauch unterwegs Richtung Osten.

Jetzt war es endgültig vorbei mit Bekannten und Heimat. Ab jetzt war die Reise so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Alleine, nichts Vertrautes mehr für lange Zeit, dafür aber frei. Keine geschäftlichen und privaten Verpflichtungen mehr. Nur der Himmel, die Straße, mein Fahrrad und ich. Gedanken über die lange Strecke, die vor mir lag, machte ich mir keine. Das neue Leben, das von nun an begann, galt es zu genießen und zu erleben.

Das Wetter machte es mir einfach. Es war beginnendes Frühjahr, und ich fuhr einer vom Westen her kommenden Schlechtwetterfront voraus. Während es bei mir zu Hause noch ein letztes Mal zu schneien begann, radelte ich bei angenehmer Temperatur und blauem Himmel in Richtung österreichischer Grenze durch Bayern. Eigentlich hatte ich mir für diesen Tag keine lange Strecke vorgenommen, da ich ja ziemlich spät loskam, aber das Wetter war so schön, und es lief erstaunlich gut. In der Hoffnung, gegen Spätnachmittag eine passende Unterkunft zu finden, radelte ich einfach so vor mich hin. Leider waren die Übernachtungsmöglichkeiten in der Gegend sehr dürftig. So kam es, dass es schon dunkel war, als ich ca. 5 km vor dem Ammersee im Tannenhof bei Dießen eine Unterkunft fand. Aus den geplanten 30 bis 40 km waren am Tagesende wieder 86 km geworden. Auf die Frage der Wirtin, wo ich denn mit meinem Rad hinfahre, antwortete ich nicht gerne ehrlich, da es sich nach drei Tagen unterwegs noch sehr großspurig anhörte, einmal um die Welt fahren zu wollen.

Ich hatte zwar schon ein ordentliches Stück geschafft, kam mir aber sehr blöde vor, wenn ich über mein Vorhaben reden musste. Ich war schließlich noch nicht einmal im Ausland.

Am Morgen packte ich wieder mein Fahrrad, das ich zum ersten Mal mit in mein Zimmer nehmen durfte. Dies war mir eigentlich am liebsten, da ich mir dann um mein wichtigstes Utensil keine Sorgen zu machen brauchte.

An diesem Morgen überraschte mich das Wetter mit sehr feuchtem Nebel. Die Tagesroute führte mich vorbei am Ammer- und Starnberger See, die ich aber leider wegen des Nebels nur schemenhaft zu Gesicht bekam. Insgesamt war es ein unangenehmer Tag, der sich durch Kälte und Feuchtigkeit auszeichnete. Als Tagesziel hatte ich Rosenheim vor Augen, das ich nach 113 km auch erreichte.

Läuft gut, dachte ich, und bereits nach 4 Tagen war ich fähig einzuschätzen, was ich mir pro Tag zumuten konnte. Ich hatte zu Beginn meiner Reise ja keine Ahnung gehabt, wie weit ich im bergigen Gebiet kommen würde. Mit der Komponente „Gegenwind“ hatte ich noch gar nie gerechnet, was aber im Verlauf meiner Reise ein nicht unwichtiger Faktor wurde. An diesem Tag konnte ich auch gleich einen ersten Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Noch weit vor Rosenheim bot mir meine Straße ein Gefälle von 18 % an, was ich nach längerem Bergauffahren gerne annahm, und ich erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 75,72 km/h. Nicht ungefährlich, dachte ich mir, aber meine Angst vor Geschwindigkeit hält sich in Grenzen. Am nächsten Tag stand dann schon der erste Grenzübertritt auf dem Programm, von Rosenheim nach Salzburg, vorbei am Chiemsee, wobei ich den schneebedeckten Gipfeln der Alpen immer näher kam. Die Landschaft war herrlich. Ich lag der mir folgenden Schlechtwetterfront immer noch einen Tag voraus. Auf einer steilen Abfahrt ca. 20 km vor Salzburg erreichte ich mit meinem vollbepackten Fahrrad wieder eine Spitzengeschwindigkeit von 70,5 km/h. So kam ich bereits am frühen Nachmittag in Salzburg an. Ja, das war’s mit Deutschland. Ich befand mich in Österreich, und in mir kam langsam das Gefühl auf, dass ich nun echt unterwegs war. Tschüss, Deutschland für lange Zeit, was mir an dieser Stelle aber nicht bewusst war, genauso wenig wie die vor mir liegenden Länder und Ereignisse. Lass es auf dich zukommen, war täglich meine Parole.