Andere Länder, andere Straßen

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Das Schiff verfügte nicht über sehr viele Ablenkungsmöglichkeiten. So fand ich mich in der kleinen Bar wieder, die sich am Rande des Raumes lag, wo die Mahlzeiten zu genau festgelegten Zeiten eingenommen wurden.

An dieser Bar deckten sich auch die ganzen Trucker, die nach und nach eintrudelten, mit sehr viel und starkem Alkohol ein, den sie aber überwiegend in ihren Kabinen konsumierten. Unter allen Passagieren, mindestens 97 % von ihnen Lkw-Fahrer, waren aber auch ein paar Weltenbummler, die sich nach und nach ebenfalls an der Theke der Bar einfanden.

Ein guter Zeitpunkt, um sich kennenzulernen, und ich musste feststellen, dass nicht nur ich einen verrückten Traum lebte. Da war zum einen eine junge Frau, die sich irgendwo in Sibirien ein Pferd mieten oder kaufen wollte, um damit um einen großen See zu reiten, zwei junge Kerls, die schon seit Jahren ihren Urlaub damit verbrachten, in großen Städten im Osten die Fußballstadien zu besichtigen, ein älteres Ehepaar aus Kanada, das drei Monate im Jahr in der Weltgeschichte rumreiste und last, but not least ein weiteres älteres Ehepaar, das mit dem Wohnmobil wohl schon den ganzen Osten einschließlich Orient bereist hatte. Also, für Gesprächsstoff war gesorgt, und so bemerkten wir gar nicht, wie die Leinen gelöst wurden und sich das Schiff langsam vom Festland in die mittlerweile dunkle Nacht hinaus ins Schwarze Meer schob.

Ukraine ade, Georgien, ich komme …


Dorfleben in der Ukraine.


Angekommen in Kiew.


Endlos lange Straßen mit ordentlichen Steigungen.


Geschafft. Ankunft in Odessa am Schwarzen Meer.


Auffahrt zur Fähre nach Batumi (Georgien).

Kapitel 9

Wunderschönes Georgien

Das Schiff, auf dem ich das Schwarze Meer überquerte, hatte den sehr deutschen Namen „Greifswald“, was mich wunderte. Deshalb stellte ich Recherchen an.

Die Greifswald wurde in Rostock 1988 gebaut und war zunächst als Eisenbahnfähre zwischen der ehemaligen DDR und der Sowjetunion in der Ostsee eingesetzt. 1994 wurde die Fährverbindung eingestellt, da es die DDR nicht mehr gab. So wurde das Schiff umgebaut und ans Schwarze Meer verlegt, was mir zugutekam, da auf dem Schiff alles in Deutsch angeschrieben stand. Die Überfahrt war ruhig und entspannend, es gab ja mit den anderen Weltenbummlern genügend zu besprechen. An Bord ging es eher etwas militärisch zu, zumindest was die Essenszeiten betraf, die lautstark über alle Bordlautsprecher durchgegeben wurden.

Ein Zuspätkommen hatte zur Folge, dass dieses Essen an dir vorüberging, da nichts nachgereicht wurde. Das machte mir aber nichts aus, weil ich ja eh nichts anderes zu tun hatte. Meine Reiseberichte und Tageseintragungen waren auf dem Laufenden, und WLAN gab es an Bord nicht. Während der Zeit auf der Fähre hatte ich also keine Verbindung nach Hause.

Das Schiff fuhr am ersten Morgen ziemlich dicht an der Halbinsel Krim vorbei, und in mir wurden wieder die Gedanken wach, wie es wohl wäre, wenn ich jetzt über die Krim radeln würde.

Wenn, wenn wenn, ich befand mich jetzt aber auf der Fähre nach Batumi (Georgien) mit ca. 100 Lkw-Fahrern, die gerne ein Gläschen zu sich nahmen, einem Haufen Eisenbahnwaggons und 2 Händen voll Weltenbummlern. So verging der 2. Abend an Bord eigentlich auch recht schnell. Mit meinem Zimmerkollegen hatte ich ebenfalls keine Probleme, und ich schaute gespannt der Ankunft in Georgien entgegen.

Am Mittag des 2. Tages standen so ziemlich alle Reisenden an Deck und hielten Ausschau nach Delfinen, die sich von Zeit zu Zeit mit einem kräftigen Sprung aus dem Wasser zeigten. Gleichzeitig suchte aber auch jeder ungeduldig den Horizont nach den ersten Umrissen von Georgien ab. Von weitem müsste man es eigentlich sehen können, dachten wir, da rechts in Fahrtrichtung der kleine und links der große Kaukasus mit seinen über 5500 m hohen Bergen lag.

Am Spätnachmittag war es dann so weit. Nach ca. 40 Stunden auf dem Schwarzen Meer wurden die ersten Umrisse der Berge sichtbar und wenig später die ersten hohen Gebäude der Stadt Batumi. Als wir der Stadt und dem Hafen immer näher kamen, war ich doch etwas irritiert. Eine solche Skyline hatte ich hier nicht erwartet. Sehr viele Hochhäuser prägten den Anblick dieser Stadt, und wer vermutet, dass es sich um normale Wohnsilos handelte, der liegt falsch. Architektonische Leckerbissen machten unter den Augen der Erstbesucher dieser Stadt ihre Aufwartung. Erst später bekam ich mit, dass diese Stadt auch den Beinamen „Dubai des Schwarzen Meeres“ trägt. Die Einfahrt in den Hafen dauerte eine kleine Ewigkeit, oder es kam mir nur so vor. Es wurde langsam Abend, und ich hatte noch keine Unterkunft, keine Ahnung also, wo ich heute Nacht schlafen würde.

Als das Schiff endlich festgemacht hatte, begann das übliche Prozedere. Die Zollbeamten kamen an Bord und hatten in der Messe ihre Laptops aufgebaut. Die Lkw-Fahrer versuchten sich vorzudrängeln, doch der Zoll nahm zu meiner Freude zunächst alle anderen Passagiere dran. Ebenfalls zu meiner Freude gab es keine Gepäckkontrolle, ein kurzes Gespräch über Sinn und Zweck des Aufenthaltes, und schon war der Stempel von Georgien in meinem Pass, gefolgt von dem freundlichen Spruch der Grenzbeamtin: „Welcome to Georgia.“

Ich fuhr mit dem Aufzug runter zur Transportebene und erschrak erstmal. Als ich in Odessa mein Rad an eine dicke Leitung gebunden hatte, war die Ladeebene noch vollkommen leer gewesen.

Nun war der ganze Platz voll mit Eisenbahnwaggons, die nur einen minimalen Abstand zur Außenwand hatten. Fahrrad bepacken und rausfahren oder schieben, das ging nicht. Also alles einzeln vortragen. Die Laderampe war jedoch noch nicht runtergefahren, und so packte ich schon mal alles auf mein Rad und wartete, bis sich etwas bewegte. Es tat sich aber nichts, und mich und das Festland trennten ca. 80 cm Höhenunterschied und ein Schritt. Also nahm ich es selbst in die Hand, stellte mich auf die Rampe und zog mein vollbepacktes Rad alleine über dieses letzte Hindernis. Die daneben stehenden Hafenarbeiter machten nicht den Anschein, als wollten sie mir helfen. Schweißgebadet hatte ich es geschafft und fuhr immer noch etwas verunsichert aus dem Hafengelände. War es das wirklich, ganz ohne Gepäckkontrolle und ohne weitere Grenzkontrolle? Es war so und mittlerweile bereits 22 Uhr.

Ideale Zeit, um in einer großen, fremden Stadt ein Zimmer zu suchen.

Die Hafengegend stellte sich nicht gerade freundlich und einladend dar. Dunkle Gestalten standen auf der Straße herum, und an den Häusern nagte schon schwer der Zahn der Zeit. Dieses Bild passte so gar nicht zu dem Anblick der Skyline, den ich vom Schiff aus gehabt hatte. Schließlich kam ich dann aber doch an ein ordentlich aussehendes, kleines Hotel und mietete mich für die nächsten 3 Tage ein.

Der folgende Morgen warf ein besseres Bild auf diese Stadt und auf das neue Land, in dem ich mich befand. Ich zog zu Fuß los, um mir die Stadt anzusehen, die vom Schiff aus so viel versprochen hatte. Ich war angenehm davon überrascht, was ich vorfand. Schöne Gebäude, eine unwahrscheinlich lange und breite, sehr schön angelegte Uferpromenade, die jede Art von Freizeitsport möglich machte. Die Restaurants boten sehr gute, deftige, georgische Speisen an, und das Leben schien in diesem Land nicht viel von dem unseren abzuweichen. Den Plan, doch noch nach Sotschi zu kommen, hatte ich noch immer im Hinterkopf. Deshalb ging ich in eines der Tourist-Info-Büros, die es hier in reichlicher Zahl gab, und genau hier und an diesem Morgen erfuhr ich, warum meine Entscheidung in der Ukraine, nicht über die Krim zu fahren, richtig gewesen war.

Hier in Batumi gab es 3 Möglichkeiten, nach Sotschi zu kommen.

1 Ich konnte mit der Schnellfähre von Batumi nach Sotschi fahren. Das wäre auch recht günstig und schnell gewesen. Dieser Fährbetrieb war aber schon vor einiger Zeit wegen politischer Spannungen mit Russland eingestellt worden. Das Schiff liege aufgebockt im Hafen, wurde mir erklärt, was ich später noch sehen konnte.

2 Ich konnte nach Sotschi fliegen. Um darüber Infos zu bekommen, fuhr ich mit dem Rad extra raus zum Flughafen und musste erfahren, dass es keinen Direktflug gab und dass der Flug ins ca. 300 km entfernte Sotschi mich 650 Euro gekostet hätte. Dies war es mir nicht wert, und so blieb nur noch die letzte Möglichkeit.

3 Ich konnte mit dem Rad an der Küste entlangfahren.

Von hier an begann dann die große, politische Aufklärungsstunde. Die nette Dame erklärte mir, dass zwischen Batumi und Sotschi der kleine Staat Abchasien liegt, der eigentlich zu Georgien gehört, aber lieber autonom sein möchte. Völkerrechtlich wird Abchasien von nicht vielen Ländern dieser Erde als eigener Staat anerkannt. Wie auch immer, für mich war die Sache aber so, dass, wenn ich über diesen Landstreifen gefahren wäre, ob jetzt von Batumi aus oder von der Krim kommend, mir Georgien bei meiner Rückkehr die Einreise verweigert hätte. Also, alles richtig gemacht. Georgien war mir wichtig, da ich ja Ende des Monats meinen Freund Peter in Tiflis treffen wollte, und das wäre anderenfalls gründlich in die Hose gegangen.

 

Nun hatte ich Hausaufgaben zu erledigen. Ich war nur runde 400 km von Tiflis entfernt und hatte noch fast 4 Wochen Zeit, bis Peter kam. Das war schon lange vor meiner Abfahrt so besprochen und gebucht. Peter hatte gute Bekannte in Tiflis, die ihm versichert hatten: Wenn dein Kollege mit dem Rad nach Tiflis kommt, dann gibt es ein großes georgisches Fest. Aber was sollte ich so lange machen? Für die 400 km hätte ich trotz der Berge maximal 5 Tage gebraucht. Es musste also eine Ausweichroute her. In die benachbarte Türkei wollte ich nicht fahren, und in den im Osten liegenden großen Kaukasus zog es mich auch nicht wirklich. Also blieb nur Armenien übrig, wofür ich mich dann auch entschied. Mein neues Ziel für die nächsten drei Wochen war geboren. Von Batumi durch den kleinen Kaukasus nach Jerewan in Armenien, von dort aus an den Sevansee, der am Rande von Bergkarabach liegt, und schließlich wieder zurück nach Georgien in die Hauptstadt Tiflis. Nachdem dies feststand, verbrachte ich noch ein paar erholsame Stunden in der interessanten Stadt Batumi, in der es viel zu sehen gab.

Am Morgen des 10. 5. machte ich mich dann also bei herrlichem Wetter wieder auf den Weg, der mich durch ein stetig ansteigendes Tal in Richtung Goderdzi-Pass führte. Ich genoss die wunderschöne Landschaft, die hier schon kräftig im Frühjahrsmodus war. Die Bäume blühten herrlich, und die Wiesen waren saftiggrün. Die ländliche Gegend war erwartungsgemäß nicht ganz so fortschrittlich wie Batumi, und je näher ich dem Pass kam, desto ärmlicher wurde es.

Noch am Fuß des Passes kam ich durch ein kleines Dorf, in dem ich drei alte Männer auf der Dorfbank vor dem Rathaus antraf. Sie baten mich, bei ihnen zu rasten, und ich hatte wieder einmal Glück. Einer von ihnen hatte früher über 20 Jahre in Deutschland gearbeitet und sprach sehr gut Deutsch. Sie waren sehr freundlich und interessiert an meiner Reise. Ich unterhielt mich gut eine halbe Stunde mit den dreien, von denen einer christlichen und zwei muslimischen Glaubens waren. Mir wurde aber versichert, dass das in dieser Gegend hervorragend klappe, worin sich alle einig waren. Worin sie sich nicht einig waren, war die Entfernung zur Passhöhe. Während die Muslime meinten, dass es noch 15 km so steil den Berg hoch gehe, glaubte der Christ an 14 km.

Eine Aussage, die mich nicht glücklicher machte, da ich bis zu diesem Ort mein Fahrrad eher schob, weil die Steigung ein Fahren nicht immer möglich machte. Außerdem konnte man die Straße von nun an auch nicht mehr als Straße bezeichnen. Die harten Winter in dieser Gegend hatten den ehemals asphaltierten Belag zerfressen und aufgesprengt. Vom Asphalt war nur noch schemenhaft etwas zu sehen.

Weiter ging es nach dieser schönen Begegnung mit Einheimischen, und der Weg wurde immer steiler. Schließlich kam ich an einem Skigebiet vorbei, wo gerade für überwiegend reiche, russische Gäste ein komplett neues Dorf mit Liftanlagen und allem Drum und Dran aus dem Boden gestampft wurde. Ich erzählte dies später einem Georgier und glaubte nicht, dass reiche Russen auf dieser Straße zu dem Skigebiet fahren würden. Er erklärte mir, dass die alle mit dem Hubschrauber kämen, was natürlich wiederum Sinn machte.

Ab hier gab es dann auch kein ordentliches Flussbett mehr. Das Schmelzwasser, das in Strömen den Berg runterkam, suchte sich seinen Weg selbst, und das war oft der Weg, auf dem ich mein Fahrrad schob. An zwei Stellen war es so steil, dass ich mein Gepäck abschnallen musste, hochtragen und dann das Fahrrad holen. Endlich war es geschafft. Inmitten von schnell abtauenden Schneemengen stand ich am Gipfelwegweiser und konnte lesen, dass ich mich von 0 auf 2025 m Höhe gekämpft hatte. Ein Schrei der Erleichterung, aber auch ausgelöst von anderen Emotionen, ging durch meine Kehle. Bei herrlichem Wetter und sagenhafter Weitsicht genoss ich den Blick, den ich bis zum großen Kaukasus hatte.

Dann die Abfahrt, den Lohn für den stundenlangen Anstieg abholen! Leider war die Straße auf der Seite des Berges nicht wirklich besser, und ein vorsichtiges und konzentriertes Abfahren war angesagt. Auf der anderen Seite traf ich ein Pärchen, das mit dem Motorrad von Deutschland aus hier war. Die beiden bereiteten mich auf zwei Bachüberquerungen vor. Die hatte ich mir allerdings nicht so vorgestellt, wie ich sie dann wenig später vorfand. Das Schmelzwasser kam links vom Berg runter, überquerte den Weg in einer Höhe von ca. 30 cm und stürzte neben dem Weg ins Tal. Keine Chance, diese Stellen trockenen Fußes zu überqueren. Also, Zähne zusammenbeißen, mit dem Fahrrad durchrennen und aufpassen, dass ich nicht im losen Kies stecken blieb.

Es funktionierte, auch wenn diese halbe Minute, die es dauerte, ausreichte, um meine Füße fast taub zu machen. Das Wasser war derartig kalt, dass ich die nächste Stunde meine Füße nicht mehr spürte. Bevor ich am Abend bei Leuten in einem Städtchen privat unterkam, traf ich noch einen Thailänder, der mit seinem Fahrrad unterwegs zum Nordkap war. Er konnte schon 5 Monate Reisezeit vorweisen. Schade, dass es noch zu früh war zum Übernachten. Er wollte noch mindestens hoch zum Pass, sonst hätten wir an Ort und Stelle zusammen gecampt.

Auf meiner weiteren Route sah ich dann die Schmelzwasserbäche zu einem enormen Fluss anwachsen, Wasser, auf das ich auf meiner weiteren Strecke immer wieder einmal traf, bis es als Fluss Kura ins Kaspische Meer floss. Weiter ging die Reise durch die georgischen Städte Aspindza und Ninotsminda. Das waren auch gleichzeitig die letzten vor Armenien.

Ninotsminda lag bereits wieder auf 1930 m Höhe und war mit ordentlichem Gegenwind im Hochland eine weitere sportliche Herausforderung. Oft musste ich lange nach einem halbwegs windstillen Platz suchen, um mir mein Mittagessen mit meinem Gaskocher zuzubereiten. Zudem war der Wind auch wieder etwas frischer geworden. Die Bäume wurden mittlerweile mein Höhenmesser. An ihnen konnte ich jetzt erkennen, auf was für einer ungefähren Höhe ich mich befand. Das Leben hier oben war von Armut geprägt, doch die Leute machten mit dem, was sie hatten, einen recht zufriedenen Eindruck.

Der letzte Morgen, den ich noch zum Teil in Georgien hatte, brachte mich aber dann doch auf den Gedanken, dass ich nun am Ende der Welt angelangt war. Eine Straße, wie ich sie noch nicht erlebt hatte, führte zur höchstgelegenen Grenze meiner bisherigen Reise. Auf dieser Straße, die Löcher und Mulden hatte, in denen ganze Autos verschwanden, quälten sich schwer beladene Sattelzüge, die beim Durchfahren der Löcher auseinanderzubrechen drohten. Es war unglaublich, das mit anzusehen, und meine Hoffnung bestand darin, dass es nach der Grenze wieder besser weitergehen würde. Das Grenzgebäude war in dieser Hochebene von weitem zu sehen und machte im Gegensatz zu den Häusern der Umgebung einen recht ordentlichen Eindruck. Der Grenzer blickte mich in seinem Häuschen erstaunt an, als er mich mit meinem Rad kommen sah. Nach den üblichen Fragen ließ er mich aber anstandslos passieren, da ich nach Armenien visumfrei einreisen durfte. Ich befand mich auf über 2000 m Höhe und in meinem 7. Land.


Ankunft in Batumi (Georgien).


Passhöhe Goderdzi.


Die Landschaft in Georgien ist fast unschlagbar.


Nicht weit von der Grenze zu Armenien (aber auch zur Türkei).

Kapitel 10

Armenien, klein und stolz

Armenien ist nicht besonders groß und ich denke, auch nicht besonders reich. Das machte sich gleich nach der hochgelegenen Grenzstation bemerkbar. Die Straßen waren zwar etwas besser, sie als gut zu beschreiben, wäre aber übertrieben. Mein Weg führte mich über die Stadt Gyumri nach Jerewan, die Hauptstadt von Armenien. Gyumri war die erste Stadt, die ich nach der Grenze erreichte, und ich war sehr begeistert vom Stadtkern. Schöne Plätze, Einkaufsmeilen und Kneipen luden mich ein, hier nach den anstrengenden Bergetappen einen Tag Pause zu machen. Mit der Zeit hatte ich kein Problem, ich lag meinem Zeitplan bereits wieder voraus. Das Wetter war schön, und ich fand ein gutes Bett mitten im Zentrum.

Diesen Tag genoss ich sehr, und obwohl ich eigentlich nicht unbedingt ein Museumsfan bin, schaute ich mir ein Museum über Geschichte und Brauchtum der Armenier an. Es war sehr interessant, zumal weit ab von meiner Heimat sogar eine Singer-Nähmaschine ausgestellt war.

Die Fahrt nach Jerewan war dann eigentlich eher eine Abfahrt. Ein paar kleinere Anstiege und schon ging es zügig voran in die Hauptstadt. Da es noch recht früh am Tag war, als ich mitten im Zentrum stand, gab ich mir nur eine halbe Stunde Mittagspause und fuhr danach noch einige Kilometer in Richtung Sevansee, um schon ein paar Höhenmeter hinter mir zu haben. Jerewan liegt etwa 1000 m tiefer als der Sevansee. Nach weiteren 15 km steil bergauf war die Luft raus, und ich nahm mir in einer Pension ein Zimmer. Schließlich wollte ich mir am nächsten Tag die Hauptstadt ansehen und musste das Ganze ja zurückfahren. Die Besichtigungsfahrt mit dem Rad war dann eher wieder ein Trainingstag. Zwar ging es in die Stadt nur bergab, dafür bestand das Stadtgebiet aus mehreren Schluchten und Hügeln.

Einen ebenen Fleck gab es nur im Regierungsviertel, wo man auch die schönsten Plätze und Gebäude besichtigen konnte. Auffallend war, dass die Geschäfte und die Gastronomie hier am Morgen sehr schleppend in die Gänge kamen. Es war bereits 11 Uhr, bis sich die Stadt langsam zu füllen anfing. Da war ich schon fast fertig mit meiner Besichtigung. Am Mittag traf ich dann noch eine schwäbische Reisegruppe, die mir fast nicht glauben wollte, dass ich mit dem Rad hier war.

Zurück in meiner Unterkunft verpflegte ich mich mit einem Vesper auf meinem Zimmer und verfolgte per WhatsApp, wie Bayern zum wiederholten Male Deutscher Meister wurde.

Dann ging es weiter an den Sevansee. Es hatte in der Stadt einen ersten heißen Tag mit 30 Grad gegeben, und diese Wärme spürte man immer noch.

Je höher ich aber kam, desto kühler wurde es, und das Wetter schlug um. Als ich am Mittag den Sevanseee erreichte, war es noch schön, obwohl vom Westen her dicke Wolken heranflogen.

Die Suche nach einem Zimmer verlief schnell. Die meisten Hotels am See hatten noch geschlossen, da um diese Jahreszeit noch nicht viel los war. Also musste ich nehmen, was ich bekam. Eigentlich kein Problem, aber die Unterkunft war mitten in der Pampa, und meine Vorräte waren aufgebraucht. Als ich mir etwas besorgen gehen wollte, begann es zu regnen, wie ich es lange nicht gesehen hatte. Daher war Zimmerparty angesagt, mit einem kleinen Pack Nudeln, einer kleinen Dose Soßenkonzentrat und drei Bier, die ich an der Rezeption ergattern konnte.

Nach dem Essen versorgte ich noch meine Schürfwunden, die ich mir bei einem leichten Sturz beim Überqueren einer Fahrbahn zugezogen hatte, ein blöder Sturz, den ich mir leicht hätte ersparen können. Ich wollte schnell über eine zwei- spurige, vielbefahrene Straße kommen, schob mein Rad kräftig an und wollte dann elegant aufs Rad springen. Dabei blieb ich mit meinem rechten Bein an meiner Gepäckrolle hängen und fiel nach links auf die Straße. Das muss lustig ausgesehen haben, mir tat es aber sehr weh. Die vorbeifahrenden Autos nahmen von mir wenig Notiz, als ich da, bedeckt mit meinem eigenen Rad, mitten auf der rechten Fahrbahn lag.

Nun, Gott sei Dank war nicht mehr passiert, und mit den paar Schürfwunden, die ich an Knie, Oberschenkel und Ellenbogen hatte, konnte ich gut leben.

Am nächsten Morgen war dringend Geldwechseln angesagt. Leider schüttete es immer noch wie aus Eimern, und zum ersten Mal zog ich meine komplette Regenkleidung an, um halbwegs trocken ins 5 km entfernte Städtchen Sevan zu kommen. Dort betrat ich eine Bank, in der ca. 50 Leute vor den Schaltern warteten. Als ich eintrat, war es, als ob in den Wildwest-Filmen ein Fremder einen Saloon betritt. Auf einmal war alles still, und unzählige Augen wurden auf mich gerichtet.

 

Wow, dachte ich, das kann ja hier eine Zeit lang dauern. Doch als sich die Leute wieder ihren Tagesgesprächen widmeten, sprach mich ein Mann an, ob ich Geld wechseln wolle. Ah, ich hatte einen kleinen Hellseher getroffen. Er erklärte mir, dass sich der Schalter zum Geldwechseln ganz hinten befinde. Das war ein hilfreicher Hinweis, und so war mein Problem mit dem Geld schnell gelöst, da ich der Einzige war, der Geld wechseln wollte.

Das Problem mit dem Regen war jedoch noch nicht gelöst. Aber ich dachte mir, dass mich so ein Regentag auf keinen Fall aus dem Gleichgewicht bringen konnte, und radelte weiter in der Hoffnung auf Wetterbesserung. Ich hatte mir vorgenommen, in drei Etappen um den See zu fahren. 220 km lagen vor mir, die geprägt von Regen, starkem Gegenwind und wenig Sonnenschein waren. Der See und die Landschaft drumherum standen unter Naturschutz, und ich vermutete ein sauberes Ufer und Umland. Leider war das nicht der Fall. Was die Armenier unter Naturschutz verstehen, bleibt für mich ein Geheimnis. Nur zu oft kam ich an Uferstellen vorbei, an denen Unmengen von Treibgut und abgeladenem Müll, bestehend aus Plastikflaschen und sonstigem Unrat, zu sehen war. Die kleinen Ortschaften rund um den See machten einen ärmlichen Eindruck. Die einzige Einnahmequelle schien hier der Tourismus zu sein, der aber, bedingt durch die hohe Lage des Sees, nur einen kurzen Zeitraum im Jahreskalender stattfinden kann.

Nach einer erstklassigen und einer furchtbaren Übernachtung kam ich am 3. Tag der Umrundung mit gemischten Gefühlen wieder in Sevan an. Es ist eigentlich ein sehr schöner See, der wirklich sehenswert ist. Jedoch könnte hier viel mehr gemacht werden, wenn man wollte. Vor allem müsste die Vermüllung unter Strafe gestellt werden, um dieses Naturschutzgebiet attraktiv zu halten.

Am Morgen des 23. 5. 2019 trat ich dann wieder in die Pedale und nahm die letzten 270 km durch die Berge des kleinen Kaukasus nach Tiflis in Angriff. Eine steinige, unbewaldete Berglandschaft war auf dieser Höhe mein Begleiter, doch alles andere als uninteressant.

Das Wetter besserte sich, und nur abends, wenn ich meine Tagesziele erreicht hatte, begann es meist zu regnen. An Wasser konnte hier kein Mangel sein. Aus allen Ritzen der Berge sprudelten Quellen und Bäche. Die Strecke war sehr schön, und die Leute waren nett. Einzige negative Erfahrung, die ich machte, waren zwei Tunnels mit einer Länge von ca. 2 km, die ich durchfahren musste. Beide Tunnels waren unbeleuchtet und hatten keinen Zentimeter Platz zwischen Fahrbahn und Tunnelwand. An der Einfahrt standen zwei Tunnelwächter, die penibel meine Beleuchtung kontrollierten. Die zwei hätte ich eigentlich nicht gebraucht, denn unbeleuchtet wäre ich niemals durch diese Tunnels gefahren. Stattdessen hätte ich so lange gewartet, bis mich ein Lkw mitgenommen hätte. Es war auch mit meiner Beleuchtung ein Himmelfahrtskommando, das ich mit Angstschweiß gottlob gut überstanden habe. Zum Glück ging es in beiden Tunnels leicht bergab, und so konnte ich den hinter mir fahrenden, uralten Lkw gut vorausfahren.

Am letzen Abend in Armenien übernachtete ich nochmals in einem kleinen Dorf unweit der Grenze zu Georgien bei einer netten Familie. Der Sohn des Hauses hatte aus sämtlichen Materialien, die es gab, zumeist Schrott, verschiedene Zimmer auf dem riesigen Grundstück, das er sein Eigen nannte, gebastelt. Ich war begeistert von seinen Ideen und seiner Kreativität, wenn auch alles noch nicht fertig war. Eigentlich war es ein Chaos, das noch sehr viel Arbeit brauchte. Zudem unterhielt er einen kleinen Streichelzoo mit unzähligen Tieren, was von den Einheimischen an den Wochenenden gerne angenommen wurde.

Der Abend war eine Bereicherung für mich, da ich den Stolz dieser Menschen auf ihr Land kennenlernen konnte. Aus nichts etwas machen, darin liegt unter anderem ihre Stärke. Ich unterhielt mich noch sehr lange mit Hovik, mit dem ich auch heute noch per WhatsApp in Kontakt stehe.

Der nächste Tag brachte mich dann wieder zurück nach Georgien. Auf einer wunderschönen, neuen Straße fuhr ich bis zur Grenze, die ich am 25. 5. 2019 gegen 11 Uhr überquerte. Mein Endziel hieß Bolnisi, die letzte Station vor Tiflis.

Danke, Armenien, für ein paar wunderbare Tage in diesem kleinen, aber schönen Land.


In der Hochebene zwischen Georgien und Armenien

bist du mit dem Pferd oft besser dran.

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