TO DIE FOR – GNADENLOSE JAGD

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Aus der Reihe: To die for #1
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TO DIE FOR – GNADENLOSE JAGD
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TO DIE FOR - GNADENLOSE JAGD
Phillip Hunter

übersetzt von Peter Mehler

This Translation is published by arrangement with Phillip Hunter

Title: TO DIE FOR. All rights reserved. Copyright © Phillip Hunter 2013

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

Überarbeitete Ausgabe

Originaltitel: TO DIE FOR

Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Übersetzung: Peter Mehler

Lektorat: Johannes Laumann

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-245-2

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

TO DIE FOR - GNADENLOSE JAGD

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 1

Ich packte ihn und warf ihn gegen die Wand. Er krachte auf den Boden, versuchte sich aufzurappeln, versuchte zu sprechen. Sein Gesicht war bleich, seine Augen weit aufgerissen und feucht. Ich hob ihn wieder auf die Beine und verpasste ihm ein paar Schläge. Er sah mich an, sein Kopf zuckte erschrocken zurück. Er versuchte sich loszureißen; versuchte dummerweise, meine Arme wegzuschlagen. Er atmete keuchend, darunter schwang ein piepsiges Wimmern mit. Er traf mich ein paar Mal am Kopf, aber die Schläge prallten ab, und ich musste ihm noch mal eine verpassen, dieses Mal härter, damit er die Klappe hielt. Von dem Schlag flog sein Kopf zur Seite.

Beckett trat einen Schritt aus dem dunklen Teil des Wohnzimmers hervor. »Das reicht.«

Ich ließ den Mann los. Da fiel mir sein Name wieder ein. Er hieß Paul Warren. Dreiunddreißig Jahre, sah aber älter aus. Klein, blasses Gesicht, Sommersprossen auf der Nase und aufgedunsene Hände. Schlitterte langsam in sein mittleres Alter rein. Er hustete eine Weile, japste nach Luft und schlotterte vor Angst. Dann tat er das einzig Kluge und sackte nach hinten zusammen, gegen die Wand, an der er stand – versuchte herauszufinden, was hier gerade passierte. Das graue Jackett seines Anzugs hing völlig verdreht an ihm, sein Hemd war an der Vorderseite zerrissen. Die Angst war verflogen und hatte ihn willenlos zurückgelassen. Das war gut.

»Komm runter«, sagte Becket zu ihm. »Du kommst schon wieder in Ordnung.«

Beckett wirkte cool, aber ich sah den Schweiß in seinem Genick und hörte die Anspannung in seiner Stimme. Er nickte mir zu und ich trat beiseite. Warren sah zu uns auf. Wir trugen schwarze Anzüge, weiße Hemden, dünne Lederhandschuhe. Hatten uns Netzstrümpfe über die Köpfe gezogen. Das war Absicht. Wir hätten auch Sturmmützen nehmen können. Warren beugte sich vornüber und würgte. Außer Speichel kam nichts nach oben. Er würgte noch einmal. Danach atmete er tiefer.

»Meine Frau«, sagte er.

Beckett drehte sich um und nickte in die Dunkelheit hinter ihm. Ein Schatten bewegte sich, eine Tischlampe flackerte auf.

Sie war jünger als ihr Ehemann, und schwanger. Wir hatten sie mit Tape an einen hölzernen Küchenstuhl gefesselt. Eine ganze Stunde lang hatte sie versucht, gegen das Klebeband anzukämpfen. Jetzt waren ihre Augen rot und geschwollen vom Heulen, ihr dunkelblondes Haar klebte an ihrer verschwitzten Stirn. Über ihrem Mund klebte noch mehr Tape und hielt den Stoffknebel an Ort und Stelle. Speichel rann aus ihrem Mundwinkel.

Der Kerl, das neben ihr stand, hieß Simpson. Er war untersetzt, mit kleinen Augen, und wie Beckett und ich gekleidet. Er griff der Frau ans Kinn, dann glitt seine Hand zum Ausschnitt ihres Pullovers hinunter. Er zog den Stoff zurück. Sie versuchte, von ihm wegzukommen, aber das Klebeband gab kein Stück nach. Unter seine Strumpfmaske bekam Simpson einen lüsternen Blick. Er sah aus wie ein Gargoyle. Aber so sah er auch ohne Maske aus. Wahrscheinlich war ich noch hässlicher. Er schob seine Hand unter ihren Pulli und grapschte herum.

Warren sprang auf die Füße. Sein fettes, rot angelaufenes Gesicht verriet pure Angst.

»Verdammt noch mal«, murmelte Beckett.

Ich hob einen Arm, hielt Warren zurück und stieß ihn zu Boden. Beckett warf Simpson einen Blick zu. Simpsons schmieriges Grinsen verflog. Er nahm die Hände von der Frau.

Ich hatte Beckett und seine Leute vor diesem Job noch nie getroffen. Aber natürlich hatte ich von ihnen gehört. Soweit ich das sagen konnte, waren sie in Ordnung. Walsh, Jenson und Beckett waren schon 'ne Weile dabei, aber Simpson war neu im Geschäft. Mir kam es so vor, als wollte er mir etwas beweisen. Was für ein harter Kerl er war. Zumindest benahm er sich so, als wollte er einem was beweisen. Die Sache mit Warrens Frau war nur Show.

Ich hatte keine Ahnung, wieso ich hier war. Simpson war ein Idiot, aber als Schläger zu gebrauchen, und es hätte ein einfacher Job für vier Leute sein sollen. Ich glaube nicht, dass sie mich wirklich brauchten, aber Kendall sagte mir, dass Beckett nach jemand Besonderen gefragt hatte.

»Er braucht jemand, der einem Angst einjagen kann«, hatte er gesagt.

Warren unternahm einen weiteren halbherzigen Versuch, zu seiner Frau zu kriechen, und ich stieß ihn mit dem Fuß zurück.

 

»Ich sagte, du sollst verdammt noch mal runterkommen«, sagte Beckett.

Die Ruhe in seiner Stimme war verflogen. Jetzt knurrte er mit zusammengekniffenen Lippen.

Warren fuhr sich mit einer zittrigen Hand übers Gesicht. Ich ging einen Schritt zurück und machte ihm ein wenig Platz. Langsam stand er auf. Er sah grimmig und wächsern aus, aber hatte es wohl endlich kapiert.

»In Ordnung«, sagte Beckett.

Wir mussten vorsichtig mit Warren sein. Wir durften ihn nicht verletzen, weil wir ihn später noch brauchten. Selbst kleine Anzeichen für einen Kampf wären schlecht gewesen. Trotzdem mussten wir ihm eine Scheißangst einjagen. Eine schwangere Frau war da ein gutes Druckmittel, aber wir durften ihr nichts tun. In ihrem Stadium hätte jede Anstrengung böse enden können, und dann wäre Warren nutzlos gewesen – zu wütend, zu verängstigt oder was auch immer.

Wir hätten die Kanonen benutzen können – Beckett und Simpson trugen welche bei sich – aber manchmal machten Kanonen den Menschen zu viel Angst. Dann waren sie zu nichts mehr zu gebrauchen. Davon abgesehen gab es wenige Dinge, mit denen man einen Mann so schnell kleinkriegen konnte wie mit einer schnellen, ordentlichen Tracht Prügel. So hat es mir Kendall zumindest erklärt, und ich glaubte ihm.

»Was wollen Sie?«, fragte Warren.

»Das Casino«, sagte Beckett.

Warren schüttelte den Kopf. »Aber … wissen Sie denn nicht …?«

»Doch, ich weiß. Ist der Zeitplan heute Nacht der gleiche?«

»Meine Frau …«

»Halt deine verdammte Fresse und hör mir zu.«

Warren schien wieder benommen, in einem schockähnlichen Zustand. Das war eine der Gefahren – immerhin befand er sich gerade in einer unmöglichen Situation. Er sank in sich zusammen und taumelte zurück, bis er gegen die Wand prallte. Er starrte seine Frau an, hin und wieder schüttelte er den Kopf. Hatte ich schon mal erlebt. Ich streckte die Arme aus und schnappte ihn mir. Er wich zurück, hob schützend seine Hände vors Gesicht. Ich zog ihn aufrecht.

Beckett stellte sich zwischen ihn und seine Frau. Dann beugte er sich nah an Warren heran. Er sprach leise, aber mit einem Grollen in der Stimme. »Hör mir zu. Deiner Frau geht es gut. Aber ich lasse diesen Mann hier … sieh ihn an. Sieh ihn dir an.«

Warren sah zu mir auf. Ich blickte zurück. Mehr musste ich nicht tun. Er sah, was ich war.

Beckett legte Warren eine Hand auf die Schulter. »Wenn er bis sieben keinen Anruf von mir bekommt, wird er deiner Frau wehtun. Er wird sie übel zurichten, und dann wird er verschwinden. Hast du verstanden?« Warren nickte. »Gut. Also, ist der Zeitplan heute Nacht der gleiche?«

Warren nickte wieder. So als hätte jemand seinen Schalter auf Automatik gestellt. »Ja«, sagte er.

»Ich möchte, dass du mir genau erklärst, wann und wie das Geld in den gepanzerten Wagen gebracht wird«, sagte Beckett, nun wieder ruhig.

Warren erklärte es ihm. Beckett machte sich Notizen und las dann laut vor, was er aufgeschrieben hatte.

»Das Casino schließt um fünf Uhr. Zwei Sicherheitskräfte sammeln das Geld zusammen und bringen es in den Zählraum.«

»Ins Prüfzimmer.«

»Genau. Wo du und der Manager den Zählvorgang und die Buchung überwachen. Der gepanzerte Van kommt Viertel vor sieben am Hinterausgang an. Über der Tür sind Überwachungskameras und es gibt ein Tastenfeld. Wenn die Sicherheitskräfte aus dem Van die richtige Nummer eintippen, öffnet sich die Tür und sie kriegen vom Wachpersonal des Casinos das Geld ausgehändigt. Soweit richtig?«

»Ja.«

»Prima. Du machst das gut. Nun, du wirst Folgendes tun: Du fährst zurück ins Casino. Wir folgen dir. Du sagst denen, dass du deshalb nach Hause gefahren bist, weil deine Frau dachte, die Wehen hätten eingesetzt, jetzt sei aber alles wieder gut. Verstanden?«

»Ja.«

»Du rufst die Sicherheitsfirma an und erklärst ihnen, dass sich die Übergabe um eine halbe Stunde verzögern wird. Das liegt innerhalb der normalen Abläufe, also werden sie keinen Verdacht schöpfen. Den Anruf machst du von deinem Mobiltelefon und passt auf, dass keiner in der Nähe ist, wenn du dort anrufst. Dann gehst du direkt ins Büro.«

»Sie werden im Casino zurückrufen und sich das bestätigen lassen.«

»Sieh zu, dass du diesen Anruf annimmst. Niemand sonst im Casino darf wissen, dass du die Sicherheitsfirma angerufen hast. Am besten, wenn sonst niemand im Büro ist. Die meiste Zeit ist dort nur eine Person, oder? Das sollte zu machen sein.«

»Was, wenn ich nicht allein sein kann?«

»Pass einfach auf, dass der Manager nicht dabei ist. Du und der Manager, ihr zwei seid die einzigen Personen, die eine Änderung im Zeitplan bestätigen können. Also, selbst wenn noch jemand anderes im Büro ist, gehst du ran. Die Sicherheitsfirma wird mit niemand anderem sprechen wollen. Wenn jemand zuhört, dann beschränke das Gespräch auf das Nötigste.«

»Okay.«

Beckett gab Warren einen Notizblock und einen Kuli.

»Jetzt schreibst du den Sicherheitscode für den Hintereingang auf.«

Warrens Hände zitterten zu sehr, um schreiben zu können. Er holte tief Luft, riss sich zusammen und schrieb dann eine Nummer auf den Block. Beckett nahm ihm den Block und den Stift wieder ab, sah sich die Nummer an und ließ sie ihn wiederholen.

»Gut. Jetzt mach dich sauber. Zieh dir ein neues Hemd an. Dann machen du, ich und Mr. Smith da drüben uns auf den Weg, steigen in unsere Wagen und fahren zurück zum Casino. Verstanden?«

»Kann ich mit meiner Frau sprechen?«

»Sicher.«

Simpson zog der Frau das Klebeband vom Mund. Sie spie den Knebel aus.

Beckett zog ein Telefon aus seiner Jackentasche und rief Walsh an. Der fuhr zusammen mit Jenson im Auto in der Gegend herum, sorgfältig darauf bedacht, Hauptstraßen und Überwachungskameras zu meiden. Die Route hatten sie gecheckt, was in einem Vorort wie diesem nicht schwer war.

»Fünf Minuten«, ließ Beckett ihn wissen.

Warren lief steif zu seiner Frau. Ein paar Schritte vor ihr blieb er stehen und zog seine Kleidung zurecht. Sie sah zu ihm auf.

»Tue einfach, was sie von dir verlangen«, sagte sie.

»Das werde ich. Geht es dir gut?«

»Ja.«

»Es wird alles wieder gut.« Er sah sie an, wusste aber nicht, was er noch sagen sollte.

»Tue es, Paul«, sagte seine Frau.

Beckett zog an seinem Ärmel.

»Es geht los.«

Simpson stopfte der Frau den Knebel zurück in den Mund und klebte das Tape wieder darüber. Alles ganz professionell. Warren beugte sich vor und küsste seine Frau auf die Stirn, dann wandte er sich um und kam zu uns zurück. Mich wollte er nicht ansehen.

»Tun Sie ihr bloß nicht weh«, sagte er zu Beckett.

»Liegt ganz bei dir.«

Ich hörte, wie sie die Treppen nach oben gingen. Die Frau schwieg und sah zu. Im Zimmer war es still. Das einzige Geräusch kam von oben. Die Dielen knarzten, eine Schranktür wurde geöffnet. Wir drei warteten. Simpson warf mir einen Blick zu, schaute dann in eine andere Richtung. Er streckte die Finger, dehnte dabei das dünne Leder, und begann, im Raum auf- und abzulaufen. Die Frau beobachtete ihn mit aufgerissenen Augen, aber er ignorierte sie jetzt. Lief hin und her, angespannter Kiefer, steifes Genick. Oben floss irgendwo Wasser in ein Waschbecken. Simpson sah zur Decke.

Das war der leichte Teil. Ich konnte nicht sagen, mit wie viel Widerstand sie rechneten, wenn sie das Casino ausraubten, aber eines war klar: Simpson war kurz davor, die Nerven zu verlieren.

Ich kannte ihn nicht. Wusste nicht, welche Jobs er schon gemacht hatte, und wie er sie gemacht hatte. Ich dachte nach.

Um ehrlich zu sein, wusste ich auch kaum etwas über die anderen. Jenson war ein großer schlaksiger Mann mit weißblonden Haaren und machte die ganze Zeit über blöde Witze, was einem schnell auf die Nerven ging. Walsh war der Kleinste der Truppe, drahtig, überall Tätowierungen. Ich hatte kaum mit ihnen gesprochen, dafür war keine Zeit gewesen. Nur wenige Tage zuvor erfuhr ich, was ich tun sollte. Beckett, Walsh und Jenson arbeiteten seit Jahren zusammen und hatten schon ein paar Dinger durchgezogen. Kendall meinte, dass sie zusammenhielten. Mir als Außenstehendem aber vertrauten sie nicht. Das war in Ordnung. Ich machte den Job nur deshalb, weil Kendall bisher immer darauf bedacht war, keine Cowboys anzuheuern.

Simpson hörte mit seiner Herumlauferei auf und sah mich an.

»He, was hältst du von der Sache?«, fragte er.

Ich wollte ihn gerade fragen, was er meint, als Beckett mit Warren im Schlepptau zurückkam. Warren sah jetzt ordentlich aus und hatte sich beruhigt. Simpson machte die Tischlampe aus. Im Zimmer wurde es dunkel. Die drei verließen den Raum. Ich hörte, wie sich die Vordertür öffnete und wieder schloss. Es war 01:45 Uhr. Seit die Frau ihren Mann angerufen hatte, war weniger als eine Stunde vergangen.

Ich zog mir einen Sessel an die hintere Wand und setzte mich. Wartete. Mir blieben noch etwa fünf Stunden.

Zuerst starrte sie mich an. Sah mir direkt in die Augen, unerschrocken, unerbittlich. Die Frau hatte Nerven. Mehr als ihr Ehemann. Ich saß da und starrte zurück. Sie hasste mich aus vollem Herzen. Ich nahm's nicht persönlich. Berührte mich nicht. Nach einer Stunde oder so hatte sie genug davon, mich zu hassen und begann, herumzuzappeln. Rutschte auf ihrem Stuhl herum, soweit es das Klebeband zuließ. Alles sie einsah, dass sie sich nicht befreien konnte, ließ sie den Kopf hängen und schloss die Augen. Ich denke nicht, dass sie eingeschlafen war. Gegen vier Uhr nahm ich eine Wasserflasche aus meinem Jackett und trank ausgiebig. Mit der Flasche ging ich zu der Frau hinüber und nahm ihr den Knebel ab. Ihr Kopf schnellte nach hinten.

»Binden Sie mich los«, sagte sie. »Bitte. Ich werde auch nicht weglaufen oder so.«

Ich hob die Flasche an ihren Mund, kippte an. Sie spuckte, versuchte zu reden, während ihr das Wasser in den Mund floss. Als sie genug hatte, nahm ich die Flasche herunter. Wartete, bis sie mit Husten aufhörte.

»Ich muss aufs Klo. Bitte. Bitte.« Ich wischte ihr den Mund ab. »Bitte.«

Ich schob den Knebel zurück und klebte das Tape wieder darüber. Sie kämpfte gegen mich an, schüttelte wild ihren Kopf, vor und zurück. Ich nahm wieder in meinem Sessel Platz und sah ihr vierzig Minuten lang zu, wie sie undeutlich bettelnd und mit Schweiß auf der Stirn gegen ihre Fesseln ankämpfte. Dann urinierte sie, ihr Körper zuckte unter ihrem Schluchzen. Danach war sie still, eingesunken auf ihrem Stuhl. Ein säuerlicher Geruch hing jetzt in der Luft, der sich mit dem süßen Blumenduft und der Wärme eines gemütlich eingerichteten Hauses vermischte. Ekelhaft.

Es war 06:52 Uhr, als mein Telefon klingelte.

»Wir sind fertig«, sagte Beckett.

Als ich aufstand, sah sie mich böse an. Ich lief in den Flur, nahm die Strumpfmaske ab, öffnete die Eingangstür und zog die Handschuhe aus. Die Tür ließ ich hinter mir ins Schloss fallen.

Draußen war es kalt. Ich brauchte etwa eine halbe Stunde zu der Bushaltestelle, die ich zuvor ausgekundschaftet hatte. Von hier aus würde ich den Bus nach Walthamstow Central nehmen und dort umsteigen. Ich dachte nicht mehr an den Job … oder Warren … oder Warrens Frau … oder Becket.

Es wurde langsam hell. Der Himmel hatte die Farbe von Beton angenommen. Ich lief an einem Spielfeld vorbei, aufgeworfen und von einer Reihe Limettenbäume bewacht, die aussahen, als hätte sie jemand mit Kohle auf graues Papier gekritzelt. Krähen schrien in der morgendlichen Stille. Ich überholte einen alten Mann, der sich irgendwohin quälte, gebeugt über eine Gehhilfe, wegen einer Sache, die er selbst nicht verstand oder die ihn nicht interessierte, einfach nur immer weiter. Ich lief an einer Reihe von Doppelhäusern in den gleichen tristen Grautönen vorbei. Grau von den Abgasen, dem sauren Regen, dem Ton von Gleichförmigkeit, so als hätte der Kontakt mit der Umgebung das Leben aus ihnen herausgewaschen. Ich lief an all diesen Dingen vorbei, nahm sie kaum wahr, interessierte mich nicht dafür.

Kapitel 2

Als ich aufwachte, was es früher Nachmittag und noch immer trüb. So etwas Ähnliches wie Tageslicht kroch durch die kleinen Fenster, gab auf halber Strecke auf und überließ das hintere Ende des Zimmers der Dunkelheit. Von unten schwirrte der Lärm der Hauptstraße herauf, ein Laster oder ein Bus dröhnte mit einem tieferen Brummen vorbei. Ich lag da, hörte zu und sah zur rissigen Decke hinauf, weit weg von allem. Wieder ein Tag, den man überstehen musste. Wieder ein Tag, den man von der Liste streichen konnte.

 

Erneut dachte ich an Brenda. Ich drehte den Kopf zur Seite und betrachtete das Bild mit dem Schiff, alt und abgetakelt, das von einem bulligen hässlichen Etwas seinem Ende entgegengezogen wurde. Ein gutes Gemälde. Wenn ich es ansah, fühlte ich etwas, aber ich wusste nicht, was es war. Wahrscheinlich ließ es mich an sie denken. Ich betrachtete es, so wie ich es oft tat, und versuchte, mir ihr Bild ins Gedächtnis zu rufen, um den leeren Moment zu füllen. Aber es fiel mir immer schwerer und schwerer, mich an sie zu erinnern, und die leeren Momente wurden immer leerer; jede Sekunde, die verstrich, trennte mich mehr von ihr, von ihrem Bild. Ich betrachtete das Gemälde immer und immer wieder, bis das Bild zu ihr wurde, oder sie zu dem Schiff. Irgendwie so.

Ich sah also das Bild an, zählte die Risse an der Decke, starrte an die Wand und betrachtete noch etwas länger das Bild, und in dieser ganzen Zeit entfernte ich mich immer weiter von ihr, Zentimeter um Zentimeter, Sekunde für Sekunde, jeden weiteren jämmerlichen Tag, solange, bis all diese kleinen Dinge zu einem einzigen undeutlichen Fleck verschwammen. Und dieser Fleck wurde trüber, dunkler, leerer. Die Jobs, die ich erledigte, bedeuteten immer weniger, solange, bis ich sie nur noch aus Gewohnheit übernahm, um irgendetwas zu tun und um die Leere davon abzuhalten, mich zu verschlingen.

»Dieses arme, alte Schiff, Joe«, würde sie sagen.

Und während der Schleier immer größer wurde, meine Erinnerungen an sie immer mehr verblassten, und ich älter wurde und müder, wurden auch die Aufträge kleiner. Jeden Tag starb ich ein wenig mehr.

Und dann bekam ich diesen Job. Einen großen Job. Und alles, was ich tun musste, war hier zu sitzen, das Bild anzusehen und zu versuchen, an sie zu denken, auf meinen Anteil zu warten und mich zu fragen, wieso ich so viel Kohle fürs Nichtstun bekam.

Ich hatte beschlossen, etwas von meinem Anteil auf die hohe Kante zu legen, auch wenn ich nicht für etwas Bestimmtes sparte. Ich hatte kaum Ausgaben. Ich sparte es einfach nur, um zu sparen. Ich war wie dieser alte Mann, der sich an seine Gehhilfe klammerte. Ich redete mir ein, dass es für Notfälle war, meine Altersvorsorge. Irgendetwas von Bedeutung.

Ich quälte mich aus dem Bett und spürte, wie meine Muskeln schmerzten. Ich duschte, rasierte mich und versuchte, etwas von der Benommenheit loszuwerden, die in diesen Tagen besonders an mir zu kleben schien. Ich machte ein paar Push-ups, Sit-ups und Dehnungsübungen für den Rücken. Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich in die Küche, kochte mir einen Tee und briet mir ein Omelett mit Käse und Zwiebeln. Omelettes waren so ziemlich das Einzige, was ich halbwegs gut kochen konnte. Wenigstens mochte ich Omelettes.

Ich setzte mich an meinen kleinen Tisch, schaltete das Radio ein und lauschte den Geschichten über Lügen, Totschlag und Massenmord, während ich aß. Die Welt hatte sich verändert. Dann kamen die Lokalnachrichten. Der Casino-Job war gleich nach einem Bericht über eine Messerstecherei in Kilburn an die Reihe. Eine Million Pfund, das war die Beute. Ich arbeitete für ein Pauschalhonorar plus zweieinhalb Prozent von der Beute. Hätte ich mich einer der Gangs in Vollzeit angeschlossen, hätte ich mehr rausholen können, aber das wollte ich nicht. Ich schaltete das Radio aus. Fühlte mich gut.

Mein Anteil betrug Fünfundzwanzigtausend. Blieben fünfzehn, falls man das Geld waschen musste. Da kannte ich mich nicht aus. Zwanzig Prozent weniger. Dazu die festen Viertausend. Machte insgesamt Sechzehntausend. Minimum. So viel hatte ich noch nie verdient. Mit sechzehntausend konnte ich es eine Weile ruhig angehen lassen. Ich hatte noch keine Idee, was ich dann machen würde, aber mir würde schon was einfallen. Vielleicht irgendwohin fahren. Keine Ahnung. Ich hatte immer die fixe Idee, irgendwann aufs Land zu ziehen, aber das war natürlich Blödsinn. Ich gehörte so sehr in die Stadt wie der Berufsverkehr.

Ich aß meine Eier, trank meinen Tee. Dann saß ich eine Weile da und dachte an gar nichts. Alles, was ich zu tun hatte, war auf Kendall zu warten, der mir sagen würde, wo und wann ich mein Geld bekam.

Ich traf Kendall vor acht Jahren. Kämpfte gegen einen Typen namens Hadley. Der war nichts Besonderes und ich hätte ihn der ersten Runde auf die Bretter schicken können. Aber er bewegte sich gut, und zu spät bemerkte ich, dass er auf einen Knock-out aus war. Er war schneller als ich, jünger, und ich konnte mit seinen Schlägen nicht mithalten. In der fünften Runde war mein linkes Auge zugeschwollen und ich verbrachte zu viel Zeit damit, es zu decken, sodass ich darüber die Rechte vergaß. Und Hadley, der vom alten Schlag war, legte für einen Linkshänder eine gute Show hin. Er verpasste mir ein paar Schläge auf mein rechtes Auge. Irgendwann platzte es auf. Ich musste nah an ihn ran und ihm die Tour vermasseln, aber mit einem zugeschwollen linken Auge und Blut im rechten, schlug ich blind um mich. Wenn ich ihn getroffen hätte, wäre er k.o. gegangen, aber so konnte ich den Mistkerl nicht finden und wurde irgendwann angezählt.

Ich stieg aus dem Ring und sie schafften mich in den Umkleideraum, wo Browne mich notdürftig zusammenflickte, mir eine Handvoll Pillen gab und sagte, dass ich wohl für eine Woche oder so Kopfschmerzen haben würde und bald damit aufhören sollte, weil ich sonst das Risiko bleibender Hirnschäden einging.

»Ich meine es ernst, Joe«, sagte er.

Ich nickte. Das kannte ich schon.

Ich ging schnell unter die Dusche, wechselte von heißem zu eiskaltem Wasser, versuchte, ein paar der Schmerzen loszuwerden und die Benommenheit aus dem Kopf zu kriegen, und als ich wieder herauskam, lief draußen ein zappeliger, Zigarre rauchender Mann in einem Kamelhaarmantel und Maßanzug herum. Er hatte dunkles, nach hinten gegeltes Haar, das an den Schläfen grau wurde, und olivfarbene Haut. Er bewegte sich wie ein junger Mann, voller angestauter Energie, aber sein Gesicht war schlaff, die hohlen Wangen und tief eingesunkenen dunklen Augen ließen ihn alt und krank aussehen. Seine beständigen Bewegungen wirkten auf mich, als ob er wusste, dass er nicht weitermachen konnte, wenn er erst einmal damit aufhörte.

Als er mich erblickte, trat er die Zigarre aus. Sah mich von oben bis unten an und nickte.

»Ich hab Sie ein paar Mal kämpfen sehen.«

Ich schnappte mir ein Handtuch und begann, mich abzutrocknen. Mir tat der Kopf weh. Mein Kopf tat immer weh. Das gehörte eben dazu. Aber ich brauchte niemanden, der es noch schlimmer machte.

»Sie haben eine starke Linke«, sagte er. »Ich hab selten jemanden mit so einer starken Führhand erlebt. Und Sie können einstecken, das muss man Ihnen lassen.« Er zögerte, sah auf seine zertretene Zigarre hinab, als wäre sie ein alter Freund, den er verloren hatte. »Aber Sie sind alt.«

Das hörte ich von allen Seiten. Den Ärzten, den anderen Boxern, der Menge.

»Sie sind zu langsam für diese Kids«, sagte er. »Die machen Sie fertig.« Er hielt mir seine Hand hin. Ich sah sie an. Sie war klein und schwitzig. »Mein Name ist Kendall. Dave Kendall. Schon mal von mir gehört?«

Hatte ich nicht, aber das sagte ich ihm nicht. Als er es leid war, seine Hand ins Leere zu halten, zog er sie zurück und benutzte sie, um sich am Ohr zu kratzen.

»Hab auch gekämpft. Crystal Kendall. Crystal, wegen meines angeknacksten Kiefers.«

Sagte mir immer noch nichts.

Er sah auf seine Uhr. Eine teure Uhr. Oder eine gute Fälschung. Er sah wie einer aus, der jemandem eine gefälschte Uhr andrehen würde. Vielleicht war er aber auch durcheinandergekommen und hatte sie sich schlussendlich selbst verkauft.

»Hören Sie, ich muss in ein paar Stunden in Deptford sein, aber bis dahin habe ich Zeit. Wie wäre es mit einem Bier?«

Ich wartete darauf, dass er zur Sache kam. Er fing an, mich zu langweilen. Roch nach Pomade und Zigarren. Bewegte sich zu viel.

»Sie reden nicht viel, stimmt‘s?«, fragte er. »Das ist okay. Ich brauche auch keinen Redner. Hören Sie, ich will Sie nicht reinlegen oder so etwas.«

Ich zog mich an. Kendall trat von den Spinden zurück und machte mir etwas Platz. Er kratzte sich wieder am Ohr.

»Sie lassen sich die Scheiße aus dem Leib prügeln. Wie oft? Zweimal die Woche? Wie lange werden Sie das noch durchhalten? Was halten Sie von einem anderen Job?«

Er zog eine neue Zigarre aus einem Päckchen in seiner Manteltasche. Er zündete sie an, blies etwas Rauch aus und sagte: »Ein einfacher beschissener Job.«

Ich setzte mich. Mein Herz klopfte. Meine Augen brannten. Meine Rippen versuchten sich loszumachen und davonzulaufen. Selbst meine Haare taten weh.

Acht Jahre später schien er sein Versprechen gehalten zu haben. Ein einfacher Job, leicht verdientes Geld. Alles, was ich zu tun hatte, war auf seinen Anruf zu warten.

Ich besaß kein eigenes Telefon. Ein paar Türen weiter war ein Zeitungsladen, und der Eigentümer, ein Typ namens Akram, nahm die Anrufe für mich entgegen. Er brachte mir eine Nachricht, und dann traf ich mich mit Kendall oder rief von einem öffentlichen Telefon zurück. Akram war außerdem mein Vermieter. Ihm gehörten drei Häuser an der Straße. Ich hatte eine Abmachung mit ihm: Er bezahlte alle Rechnungen und ich gab ihm das Geld bar auf die Hand. Nirgendwo tauchte mein Name auf. Vor Kurzem bin ich in ein Einzelzimmer umgezogen. Das habe ich gemacht, weil Akrams Verwandte aus Pakistan herüberkamen und Akram, der für sie aufkam, die Kosten so niedrig wie möglich halten wollte. Und weil seine alte Großmutter nicht mehr so gut die Treppen raufkam.

Ein Makler hätte die Dachgeschosswohnung für renovierungsbedürftig eingestuft. Der Putz an den Rändern der einfachen Fenster bröckelte und es kam kalte Luft herein. Im Sommer würde es in dem Zimmer bestimmt heiß sein. Im Februar war es scheißkalt. Der Vormieter, ein alter Mann, der Selbstgedrehte rauchte und mit jedem Tag schlimmer keuchte, wenn er die Treppen bis in den vierten Stock hinaufstieg, hatte nie genug Geld besessen, um sich einen neuen Herd oder eine Lage Farbe zu leisten. Aber das machte nichts. Die Wohnung war weit genug von anderen Leuten entfernt, und das genügte mir. Ich hatte nicht vor, allzu oft Dinnerpartys zu geben.