Kapitalmarktrecht

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bb) Spezielle Vertrauenshaftung

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Einige Spezialvorschriften des Kapitalmarktrechts sind ausdrücklich auf den Individualschutz gerichtet und stellen selbständige Anspruchsgrundlagen dar. Mit diesen Regelungen soll die Offenlegung von relevanten Informationen sichergestellt werden. Dazu zählen die verschiedenen Ausformungen der gesetzlichen Vertrauenshaftung des Kapitalmarktrechts[15]. Das sind



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Dazu wird aber auch die zivilrechtliche bzw bürgerlichrechtliche Prospekthaftung als gewohnheitsrechtliche Vertrauenshaftung gerechnet[21]. Deren Grundlage wird in einem typischerweise (Prospekthaftung ieS) oder persönlich in Anspruch genommenen Vertrauen (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, cic; Prospekthaftung iwS) gesehen[22]. Die Grundsätze der zivilrechtlichen Prospekthaftung sind jedoch nur anwendbar, wenn keine speziellen Prospekthaftungsregeln in Betracht kommen bzw diese Raum für die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung lassen[23].

cc) Allgemeine Haftungsregelungen

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Bei Verletzung einer vertraglichen Pflicht (Auskunfts-, Beratungspflicht) kann ein Anspruch auf Schadensersatz gegeben sein (§ 280 Abs. 1 BGB). In Betracht kommt auch ein Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. In Bezug auf Vertragsverhandlungen kann bei Inanspruchnahme von persönlichem Vertrauen Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (cic) verlangt werden.

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Im Rahmen von deliktischen Ansprüchen scheidet ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB regelmäßig aus, weil kein absolutes Recht (zB Eigentum, Mitgliedschaft) verletzt wird. Möglich ist aber eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm einem Schutzgesetz. Schutzgesetz ist eine Rechtsnorm dann, wenn sie zumindest auch den Schutz des Einzelnen oder einzelner Personenkreise (individueller Anleger) bezweckt und zu einem Schadensersatz führen soll[24]. Dabei kommt es laut Rechtsprechung nicht auf die Wirkung des Gesetzes an, sondern auf dessen Inhalt und Zweck sowie darauf, ob der Gesetzgeber gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelnen gewollt oder mitgewollt hat[25]. Als Schutzgesetze kommen insbesondere strafrechtliche Normen oder kapitalmarktrechtliche Spezialregelungen in Betracht.

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Schließlich kann bei Vorliegen einer sittenwidrigen Schädigung auch ein Anspruch aus § 826 BGB gegeben sein. Zwar soll zumindest bedingter Vorsatz nach der Rechtsprechung schon dann anzunehmen sein, wenn ein bloß leichtfertiges Verletzungshandeln vorliegt[26]. Allerdings können der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität sowie das Bestehen eines konkreten Schadens im Einzelfall schwierig sein[27].

3. Finanzsystemstabilität

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In einigen neuen Regelungen wird als Regelungsziel auf die „Stabilität des gesamten Finanzsystems“ abgehoben. So ist etwa eine Produktintervention bzw ein Produktverbot durch die ESMA bzw die BaFin bei Gefährdung der Finanzsystemstabilität möglich (Art. 42 Abs. 2 VO 600/2014)[28].

Zudem enthält § 14 WpHG die Befugnis der BaFin, Maßnahmen zur Sicherung des Finanzsystems zu ergreifen, wenn durch bestimmte Missstände Nachteile für die Finanzmarktstabilität bewirkt werden, wobei die getroffenen Maßnahmen grds auf höchstens zwölf Monate befristet sind (§ 14 Abs. 4 Satz 1 WpHG).

III. Rechtsgrundlagen des Kapitalmarktrechts

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Eine Kodifizierung des Kapitalmarktrechts in einem „Kapitalmarktgesetz“ existiert nicht. Es gibt vielmehr verschiedene Kodifikationen, die in großen Teilen Aufsichtsrecht (und damit öffentliches Recht), teilweise aber auch Zivil- oder Strafrecht sind und jeweils einzelne Bereiche des Kapitalmarktrechts regeln[29].

1. Nationales Recht

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Lange Zeit waren das WpHG und das BörsG die zentralen kapitalmarktrechtlichen Gesetze. Das 1998 geschaffene WpHG regelte v.a. die Transaktionen auf dem Kapitalmarkt und wurde von vielen als „Grundgesetz des Kapitalmarktrechts“ bezeichnet[30]. Das hat sich durch die seit 3. Juli 2016 geltende EU-Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation, MAR) geändert, in welcher nun zentrale Bereiche wie das Insiderhandelsverbot, die Ad-hoc-Publizitätspflicht und die Marktmanipulation geregelt sind. Das WpHG enthält jetzt für etliche Materien lediglich noch nationale Anwendungsvorschriften. In anderen Bereichen, wie etwa bei den Stimmrechtsmitteilungen, ist allerdings noch eine umfängliche nationale Regelung (im Rahmen einer Richtlinienumsetzung) gegeben.

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Das BörsG enthält im Wesentlichen Organisationsnormen für die öffentlich-rechtlich organisierte Börse als Veranstalter des Börsenhandels.

Dem BörsG fehlt im Gegensatz zum WpHG eine ausschließlich kapitalmarktrechtliche Ausrichtung. Die Börsengesetzgebung hat nicht primär den Kapitalmarkt und den Anlegerschutz im Blickfeld, sondern stellt eine Reaktion auf Missstände an den Börsen dar[31].

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Das BörsG und das WpHG werden durch zahlreiche nationale Rechtsverordnungen ergänzt. Darüber hinaus gibt es Rundschreiben[32], Merkblätter usw der BaFin, die aber keine Rechtsnormen, sondern lediglich die Verwaltungspraxis der Behörde sind[33] und damit als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften gelten[34]. Auch die Fachartikel im BaFinJournal haben keinen rechtsverbindlichen Charakter.

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Das trifft auch für den Emittentenleitfaden der BaFin zu[35], der praxisrelevante Erläuterungen enthält, die zwar die BaFin, nicht aber die Gerichte binden[36]. Der Emittentenleitfaden wird derzeit sukzessive überarbeitet[37]. Die noch nicht neu gefassten Teile werden einstweilen durch die sog. FAQ der BaFin ersetzt[38]. Jedenfalls soll das Vertrauen eines Anfragenden auf eine Auskunft der BaFin nach hM unter bestimmten Voraussetzungen ein Verschulden des Betreffenden ausschließen können[39].

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Weitere kapitalmarktrechtliche Gesetze sind etwa das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), das Depotgesetz (DepotG), das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) und das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) sowie das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), das Pfandbriefgesetz[40] sowie das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) für Massenklagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation[41].

Auch die Rechnungslegungsvorschriften (zB §§ 238 ff HGB) sind kapitalmarktrechtliche Regelungen, da sie einem der wichtigsten Ziele des Kapitalmarktrechts dienen, nämlich der Herstellung von Publizität zur Stärkung des Vertrauens der Anleger in den Kapitalmarkt[42]. Auch die gesellschaftsrechtlichen Regelungen, insbesondere die des Aktienrechts, sind für das Kapitalmarktrecht von Bedeutung[43], da mit der Aktie das wichtigste Kapitalmarktprodukt geregelt wird.

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Kapitalmarktrechtlich relevant sind darüber hinaus die strafrechtliche Vorschrift des § 264a StGB (Kapitalanlagebetrug), die auch als Schutzgesetz iS des § 823 Abs. 2 BGB angesehen wird[44], und zahlreiche weitere strafrechtliche Regelungen[45]. Diese ergänzen teilweise die speziellen Strafrechtsnormen der Kapitalmarktgesetze. Für das Kapitalmarktrecht spielen auch einige Regelungen des BGB eine Rolle, so etwa die kaufrechtlichen Vorschriften oder die Bestimmungen hinsichtlich der Übertragung und der Funktion von Wertpapieren (zB §§ 929 ff BGB). Zudem ergeben sich immer wieder auch Fragen, die das Internationale Privatrecht betreffen[46].

 
2. Europarechtliche Regelungen

a) Richtlinien und Verordnungen zum Kapitalmarktrecht

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Das europäische Recht war und ist der Motor des deutschen Kapitalmarktrechts. Mehr als 80 % der kapitalmarktrechtlichen nationalen Vorschriften basieren inzwischen auf europäischer Gesetzgebung[47]. So beruhen zB ein wesentlicher Teil des BörsG sowie das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) auf EU-Richtlinien. Die EU-Richtlinien und EU-Verordnungen gelten gemäß dem sog. Lamfalussy-Verfahren als sog. Level 1-Maßnahmen.

→ Definition:

Das Lamfalussy-Verfahren ist ein Verfahren zur Beschleunigung des europäischen Gesetzgebungsprozesses im Rahmen der Finanzdienstleistungen (Maßnahmen auf Level 1, 2, 3 usw.).

Teilweise werden die (in nationales Recht umzusetzenden) Richtlinien bzw. die Verordnungen durch EU-Durchführungsrichtlinien, die ebenfalls in nationales Recht umzusetzen sind, oder durch EU-Durchführungsverordnungen (als sog. Level 2-Maßnahmen) ergänzt. Die Verwaltungsauffassungen der ESMA wiederum sind als sog. Level 3 zu berücksichtigen, wobei diese – wie die BaFin-Verlautbarungen – zwar die Verwaltung, aber nicht die Gerichte binden.

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Hintergrund der europäischen Richtlinien zum Kapitalmarktrecht sind insbesondere die Herstellung der Kapitalverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im (Kapital-)Binnenmarkt sowie der Schutz der Anleger durch hinreichende Information. Sahen die Richtlinien lange Zeit ausschließlich eine bloße Mindestharmonisierung vor, so sind sie nun zunehmend auf Vollharmonisierung angelegt[48] (zB die Transparenzrichtlinie 2013[49]). Hier bleibt dem nationalen Gesetzgeber kaum Gestaltungsspielraum, sodass im Wesentlichen eine „Eins-zu-Eins“-Umsetzung zu erfolgen hat[50].

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Auch wenn es bislang keinen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt gibt,[51] so ist in den Richtlinien doch regelmäßig vorgesehen, dass die Zulassung eines Kapitalmarktprodukts oder die Erlaubnis einer kapitalmarktbezogenen Tätigkeit durch die Behörde des Herkunftsstaats in allen anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt wird (Europäischer Pass, single licence-Prinzip). Darüber hinaus besteht das Ziel eines single rulebook des Europäischen Kapitalmarktrechts[52] und der Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion[53].

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Eine Europäisierung des Kapitalmarktrechts erfolgt zunehmend durch unmittelbar im nationalen Recht geltende EU-Verordnungen[54]. So wurden inzwischen etwa wesentliche Teile des umgesetzten WpHG in die MarktmissbrauchsVO (MAR) „transferiert“[55]. Insofern wird inzwischen von vielen die MAR (und nicht mehr das WpHG) als „Grundgesetz“ des Kapitalmarktrechts gesehen[56]. Ebenso verhält es sich zB mit dem richtlinienbasierten WpPG, das nun weitgehend durch die EU-ProspektVO abgelöst ist[57]. Die nationalen Gesetze umfassen daher in vielen Teilen lediglich noch die Verordnung ergänzende Verwaltungsregelungen.

b) Auslegung

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Bei der Auslegung nationaler Regelungen ist zwischen angeglichenen Normen und originär deutschen Regelungen zu unterscheiden. Handelt es sich bei einer kapitalmarktrechtlichen Vorschrift um originär deutsches Recht (zB in den §§ 85, 99 ff WpHG), so finden die herkömmlichen Auslegungsregeln Anwendung, dh es ist auf den Wortlaut, die Gesetzessystematik sowie den Sinn und Zweck der Regelung abzustellen. Daneben besitzt die am Willen des Gesetzgebers orientierte historische Auslegung Bedeutung[58].

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Bei angeglichenem deutschen Recht sind die dort enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe richtlinienkonform auszulegen[59]. Das bedeutet, dass die Gerichte das nationale Recht soweit wie möglich im Lichte des Wortlauts der Richtlinie und des Richtlinienzwecks auszulegen haben[60]. Ausgelegt wird auf der Grundlage der Überlegung, dass der Gesetzgeber dem Richtlinienzweck voll gerecht werden und nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben wollte[61]. Allerdings zwingt das EU-Recht nicht zu einer Auslegung der nationalen Regelungen contra legem[62]. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssen die Gerichte der Auslegung einer Richtlinie durch den EuGH im Vorlageverfahren (Art. 267 AEUV) folgen[63].

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Umstritten ist, ob der richtlinienkonformen Auslegung Vorrang vor den Auslegungsmethoden des nationalen Rechts zukommt[64] oder ob sie als eine weitere Auslegungsmethode neben den herkömmlichen Methoden steht[65] bzw die bisherigen Auslegungsformen partiell überlagert[66]. Teilweise wird im Schrifttum davon ausgegangen, dass trotz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und trotz der Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue ein Residuum für die nationalen Auslegungsmethoden verbleibt. Diese sollen hauptsächlich der Fortbildung transformierten Rechts Grenzen setzen[67]. Die hM sieht im möglichen Wortsinn eine Grenze richtlinienkonformer Auslegung, die nicht überschritten werden kann[68].

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Zunehmend deutlich wird, dass eine Auslegung der Verordnungen (Level 1) Schwierigkeiten aufwerfen kann[69]. So fragt sich etwa, welche Entwurfsfassung bei der Ermittlung des gesetzgeberischen Willens heranzuziehen ist[70]. Immer mehr macht der EU-Gesetzgeber zudem von einem Verweis auf sog. Delegierter Rechtsakte Gebrauch, bei denen der Kommission die Befugnis übertragen wird, bestimmte Punkte, insbesondere technische Einzelheiten, zu regeln (Level 2)[71].

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Bei der Auslegung sind auch die Empfehlungen, Hinweise und Leitlinien der ESMA[72] zu berücksichtigen (Level 3). Auch wenn diese rechtlich unverbindlich sind, haben sie faktisch großen Einfluss, da sich die ESMA iS einer Selbstbindung der Verwaltung grds nach diesen richtet[73], ihnen also norminterpretierender Charakter zukommt[74]. Die Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten (in Deutschland die BaFin) haben innerhalb einer Frist mitzuteilen, ob sie der jeweiligen Auffassung folgen[75]. Insofern haben die zuständigen Behörden und ggf die Marktteilnehmer „alle erforderlichen Anstrengungen“ zu unternehmen, um den Leitlinien und Empfehlungen nachzukommen[76]. Außerdem sind im Einzelfall die Questions and Answers (Q&A) der ESMA[77] sowie die FAQ (Häufig gestellte Fragen) der BaFin zu berücksichtigen.

3. Internationales Recht

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Auch internationales Recht kann Rechtsquelle für das deutsche Kapitalmarktrecht sein[78]. So sind inzwischen die (privaten) Regeln des internationalen Rechnungslegungsrechts, die IAS (International Accounting Standards) bzw die IFRS (International Financial Reporting Standards) von der EU mit der EU-Verordnung betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards[79] übernommen worden. Sie sind damit unmittelbar anwendbares Recht. Die US-amerikanischen Rechnungslegungsregeln, die US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principles), sind dagegen für das deutsche Kapitalmarktrecht grds nicht relevant.

4. Private Regelungen und Richterrecht

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Regelungen im Rahmen der privaten Selbstregulierung können ebenfalls eine Rechtsquelle des Kapitalmarktrechts darstellen.

Beispiele:

Die Geschäftsbedingungen der Börsen, die AGB-Banken, AGB-Sparkassen, die Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte bzw für Termingeschäfte sowie auf internationaler Ebene letztendlich auch die IFRS.

Ob das Richterrecht ebenfalls als Rechtsquelle angesehen werden kann, ist umstritten. Fasst man den Begriff der Rechtsquelle weit und bezieht das Richterrecht ein, kam diesem im Kapitalmarktrecht in der Vergangenheit v.a. in Bezug auf den grauen Kapitalmarkt und den dazu entwickelten individuellen Anlegerschutz durch eine zivilrechtliche Prospekthaftung[80] Bedeutung zu.

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Schaubild: Rechtsgrundlagen im Kapitalmarktrecht


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IV. Kapitalmarktrecht zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht/Strafrecht

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In den kapitalmarktrechtlichen Gesetzen finden sich häufig sowohl Normen mit öffentlich-rechtlichem (aufsichtsrechtlichem) Charakter als auch solche, die strafrechtlicher oder zivilrechtlicher Natur sind. Während die Zuordnung einer Regelung zu einer dieser „Gruppen“ teilweise unproblematisch möglich ist (zB das Insiderhandelsverbot des Art. 14 MAR als strafrechtliche Norm), ist deren Charakter bei anderen Bestimmungen streitig[81]. Ist die Abgrenzung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht schon im Allgemeinen umstritten[82], so erlangt dies im Kapitalmarktrecht aufgrund des „Normenmixes“ besondere Bedeutung. Die Rechtsprechung hat sich bislang keiner der zahlreichen Abgrenzungstheorien angeschlossen, sondern hebt auf die jeweilige Sachverhaltsgestaltung ab.

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Eine öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Doppelnatur der Normen ist jedenfalls abzulehnen[83]. Eine Abgrenzung der privatrechtlichen von den öffentlich-rechtlichen bzw strafrechtlichen Normen des Kapitalmarktrechts ist aus zahlreichen Gründen relevant. Ist eine kapitalmarktrechtliche Regelung als öffentlich-rechtlich einzustufen, kann sie etwa, anders als privatrechtliche Bestimmungen, als zwingendes Recht nicht rechtsgeschäftlich abbedungen werden[84]. Die Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht spielt auch für die Frage nach dem Rechtsweg (ordentliches Gericht oder Verwaltungsgericht) eine Rolle.

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Regelungen des öffentlichen Rechts sind zB solche, bei denen Pflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde zu erfüllen sind (zB § 40 WpHG, Veröffentlichungspflichten der börsennotierten Gesellschaft). Diese Eingriffsnormen lassen keine über die gesetzliche Grundlage hinausgehende Erweiterung zu[85].

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Eine Abgrenzung zu strafrechtlichen Regelungen respektive Bußgeldvorschriften ist v.a. im Hinblick auf eine mögliche analoge Anwendung einer kapitalmarktrechtlichen Norm erforderlich[86]. Denn bei Straf- und Bußgeldvorschriften gilt das Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG)[87], sodass hier Auslegungsgrenze der mögliche Wortsinn ist. Innerhalb dieses Rahmens können historische, systematische und teleologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden[88]. Fraglich ist, ob sich diese für die Strafrechtsnormen geltende Grenze auch auf die Auslegung des der Sanktion zugrunde liegenden Verhaltensgebots oder -verbots auswirken. Jedenfalls besteht das Analogieverbot in Bezug auf die zivilrechtlichen Wirkungen einer solchen Norm nicht[89].

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Umstritten ist, ob eine sog. gespaltene Auslegung in Betracht kommt. Teilweise wird das bejaht[90]. Die maßgebliche Auslegungs- und Normanwendungsmethode soll von der jeweils in Frage stehenden Rechtsfolge abhängen. Die Konsequenz ist, dass ein bestimmtes Verhalten einerseits zivilrechtlich verboten sein und damit zu einer Schadensersatzpflicht führen kann, andererseits aber straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich mit dem Gesetz im Einklang steht[91]. Außerdem könnte eine aufsichtsrechtliche Regelung im Zivilrecht zu einer erweiterten analogen Anwendung führen[92]. Überwiegend wird aber zu Recht eine gespaltene Auslegung abgelehnt[93]. Begründet wird dies v.a. damit, dass eine sich über den Wortlaut einer strafrechtlichen Norm hinwegsetzende zivilrechtliche Auslegung (etwa im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB) de facto eine richterrechtliche Ausweitung des Schutzbereichs der Norm darstelle[94].

 

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Unklar ist, ob diese ablehnende Haltung auch in Bezug auf die europäischen Verordnungen zum Kapitalmarktrecht gelten kann[95]. Diejenigen, die hier eine einheitliche Auslegung favorisieren, weisen darauf hin, dass dies ansonsten eine Rechtszersplitterung zur Folge habe, da die Auslegung in den Mitgliedstaaten davon abhänge, ob die EU-Normen dort von einer strafrechtlichen oder nicht-strafrechtlichen Sanktionsnorm in Bezug genommen werden[96].