Coast Mountains

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Coast Mountains
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Oliver Auschner

Coast Mountains

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Roman

Havarie..

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Impressum neobooks

Roman

Coast Mountains

Vancouver Island

Pazifik, Kanadisches Hoheitsgebiet...British Columbia..

Kanada 2009, Juni

Havarie..

An jenem Tag begab es sich, wie es nicht sein sollte. Mark trieb von Gott und der Welt verlassen irgendwo im nirgendwo...verlassen von der Welt und seinem Schicksal ergeben. Er schluchzte laut auf und wimmerte vor sich hin. Nur die Wellen an seinen nackten Füßen umspülten ihn sanft und immerzu.

Soweit hatte er es gebracht. Er konnte nicht stolz auf sich sein. Im Gegenteil, hätte er mehr Kraft gehabt in diesem Augenblick, hätte er sich einfach von seinem kleinen Rettungsboot gerollt.

Zu keiner Bewegung fähig starrte er vor sich hin, starrte auf die immer wieder anrollenden Wellenberge, mit dem ständigen auf und ab. Immer und immer wieder. Es gibt kein Entrinnen aus dieser Situation. Er hatte es soweit kommen lassen und nun musste er mit der Situation fertig werden. Seine kleine Welt bestand nur noch aus einem ca. drei Meter langen Rettungsboot ganz in gelb und aus Blech. So eins wie man es hinter sich herzieht und hofft, es doch nie benutzen zu müssen. Im Boot lag noch eine alte halb aufgeblasene verdreckte Luftmatratze. Mehr hatte er nicht.

*

Er lag seitlich auf dem Rand der Matratze und starrte aufs Wasser. Es hatte eine graue Farbe angenommen, da sich Wolken vor die Sonne geschoben hatten und der Wind wieder zunahm. Er blickte kurz auf und bekam wieder diese außergewöhnliche Angst, immer dann wenn er die Situation nicht unter Kontrolle hatte, nicht wusste, was unter ihm war und nichts gegen die Wellen machen konnte. Mark richtete sich auf. Er war nass von oben bis unten. Nichts trockenes war mehr zu finden. Zu essen hatte er seit 2 Tagen nichts mehr. Fische fangen gelang ihm nicht. Das einzige was ihm blieb war eine Coca Cola Flasche, eine Rettungsweste, eine Leuchtpistole und ein kleines grünes Plastik Paddel.

*

Vor 4 Tagen war er mit seinem gerade in bar gekauften Kutter an der Küste der Coast Mountains in Port Hardy Richtung Norden aufgebrochen. Dieser Trip kostete seine letzten Ersparnisse, er hatte nun nichts mehr, kein bisheriges Leben, kein Auto, nur die paar Habseligkeiten, die er vorher noch im Hafen gekauft hatte, in einen dieser Store aus Blech und Holz, wo es alles gab und niemand viel fragte. Mark packte den Wagen voll...Konserven, Lebensmittel, Alkohol, Werkzeuge, Kettensägen eine Goldwaschpfanne, eine Angelausrüstung, Netze, eine Schrotflinte nebst Munition sowie die Wetterfeste Kleidung. Der Kassierer im Laden, ein junger pickliger Mann, wahrscheinlich unterbezahlt, dachte Mark so bei sich, sah kurz auf und fragte Mark beiläufig wo es denn hingehen sollte?. ..Nach Nordwest... fischen...jagen. Der Mann sah nicht einmal auf , er nickte nur, sah Mark kurz teilnahmslos an und kassierte ab. Zusammen mit 7 Kanistern Sprit bezahlte Mark an die 800 Dollar Cash.

Es tat ihm eigenartiger Weise nicht mehr leid. Er wusste was er wollte. Es war wie eine Befreiung für ihn, sich zu lösen und in Richtung Nirgendwo aufzubrechen. Genau wusste er noch nicht wohin, nur so eine vage Vorstellung schwebte ihm vor, aber er hatte Seekarten, ein wenig Kenntnisse, wie man mit einem Kompass umgehen muss und eine Portion Abenteuer dabei. Wieder an Bord kochte er sich erst mal auf der kleinen Gasflamme einen Kaffee setzte sich an die Back und rechnete nochmal alles durch.

Mit der Brille auf der Nase studierte er genau die Karten vor ihm. British Columbia Coast Mountain... Vancouver Island, eine Landkarte Westkanada, und eine Seekarte, in der die kleinen Inseln eingetragen waren. Außerdem fand er noch im Steuerhaus diverse Seekarten von seinem Vorgänger, die aber mehr für einen richtigen Seefahrer gedacht waren, mit Hinweisen für Untiefen, Gefahrenstellen, sowie Hinweise für die Bojen, Tonnen und ausgewiesene Fischereigebiete.

Sie konnten ihm zwar nicht die Navigation abnehmen, aber so konnte er sich wenigstens einigermaßen orientieren. Außerdem wollte er sowieso immer in Küstennähe bleiben. Sein erstandenes Boot war ein alter Fischerkahn, ca. neun Meter lang mit Kajüte und Deckaufbau ganz in grün. Die besten Jahre hatte der Kahn längst hinter sich gebracht, Farbe blätterte überall dort ab, wo welche dran war und der Rost fühlte sich auch ganz wohl. Auf einer der Außenplanken stand in verblassender roter Farbe der Name des Kutters...Maretta..

Sein Vorbesitzer, ein alter Fischersmann hatte keine Lust mehr die Lizenz fürs Fischen zu erneuern, die jedes Jahr neu erworben werden muss und gut sichtbar an den Scheiben des Ruderhauses befestigt wird. Ein Kaufvertrag wechselte den Besitzer, ohne langes Nachgefrage und Gerede.

Der alte Fischer aus Campell River verkaufte es ihm ohne Umschweife für 10.000 Dollar. Handeln wollte er nicht. Mit einem Handschlag war der Deal schnell und hastig besiegelt. Es war ihm anzusehen, dass er den schnellen Dollar machen wollte. Das einzige was er Mark noch auf den Weg gab, war, dass die Maschine ein altes Mädchen sei und manchmal eben zickte. Aber ein wenig Geschick, viel Öl und guter Glaube wird das schon richten. Er grinste, zeigte dabei seine gelben Zähne, spukte seinen lange gekauten braunen Priem ins Wasser, zog alles aus seinem Hals derbe hoch und spukte nochmals, als sei es ein Ritual für ihn. Mark sah angewidert weg. Dann übergab er Mark die Papiere, die Schlüssel, tippte sich an die Mütze und verschwand eilig vom Pier. Er drehte sich noch einmal um, rief Mark zu,..dass er noch ein neues Funkgerät einbauen solle.., schüttelte beim umdrehen den Kopf, lachte kurz, winkte ihm zu und ging.

Als Mark in Port Hardy ankam, wusste er schon wie sein neues Leben weitergehen sollte. Am Hafen verkaufte er seinen Truck, einen alten Pick Up und kaufte sich davon das Boot. Nun hatte er was er wollte. Ein Boot, ein Ziel und den Drang nochmal neu anzufangen. In der kleinen Kombüse war es stickig und heiß, er hatte schon Durchzug gemacht, aber auch in Kanada gibt es sehr heiße Sommer, besonders hier im Süden.

Mark stopfte sich eine Pfeife, sein altes Laster und lehnte sich auf einer alten Holzbank im Heck entspannt zurück. Morgen früh wollte er aufbrechen. Er zog genüsslich an der Pfeife, Rauchkringel tanzten vor ihm her und es roch nach Vanillepudding gemischt mit Teer und Farbe. Die anderen Schiffe knarrten so wie seines am Steg und das Hafenwasser umspülte alle mit der gleichen öligen Regenbogenfarbe.

Am Abend machte Mark noch die Bekanntschaft mit einem Anliegernachbar. Der hatte eine sehr teure und schicke große imposante Motorjacht. Es war die ..Tracy.. Er und seine Frau wollten Vancouver Island umschiffen und in Victoria wieder festmachen. Whalewatching ganz privat, meinten sie und lachten. Beide kamen aus Holland und wanderten vor Jahren aus. Sie unterhielten sich aber in Landessprache, ganz so als ob es keine andere Sprache gäbe. Mark verabschiedete sich nach einer Stunde von den beiden und ging auf seinen Kutter...komische Leute dachte er bei sich und überprüfte beim Taschenlampenschein nochmal die Maschine. Ein alter Diesel. In der Bilge schwamm ein schmutziges Wasser -ölgemisch und schimmerte regenbogenfarben im Lampenschein. Er überlegte, ob er es noch abpumpen solle. Er kniete vor der Luke, kratzte sich am Ohr und konnte sich nicht recht entscheiden..aber wohin? Die Hafenbehörde würde es auf alle Fälle spitz bekommen, und dann wäre er fällig. Er entschied sich das dann wenn überhaupt draußen auf See zu machen. Er sah sich den Ölstand und den Kraftstoffvorrat an, nickte zufrieden, schloss behutsam die Luke und legte sich im Vorderschiff in die Koje.

Er rechnete nochmal im Kopf nach und kam auf ca. 700 Km, die er damit weit kommen würde also auf alle Fälle bis nach Prinz Rupert, um dann aufzutanken.

Dann schlief er traumlos ein.

*

Am nächsten Morgen weckten ihn die Möwen. Er sah auf die Uhr im Steuerhaus, 5.30 Uhr. Die Sonne ging gerade auf. Das Wetter war schön. Kein Wind, keine Wolke und kein Nebel oder Dunst im Hafen. Er streifte sich die Hosenträger über, wischte sich über seinen Bart und startete mit einem Knopfdruck die Maschine.

Wie ein alter Traktor kam der Motor bullernd ganz langsam in Gang, verschluckte sich ein paar mal und lief dann recht ordentlich. Mark ließ sich Zeit, kochte sich noch einen Kaffee, überprüfte nochmal das Boot und die Ausrüstung.

Im Hafen war es noch recht ruhig, seine Nachbarn hatten noch die Gardinen vor den Bullaugen zugezogen und außer dem Gekreische der Möwen war es still.

Es war 7 Uhr als Mark alleine ablegte. Er stand auf dem Steg und warf nacheinander die Heck- und die Bugleine auf das Boot und sprang hinein. Mit einem Kaffeepott bewaffnet, stellte er sich im Steuerhaus ans Ruder. Vorher warf er noch einen Blick auf das winzige kleine gelbe Rettungsboot. Es zottelte in ca. zehn Meter an einem dünnen Tau hinter ihm her, wie ein unartiges Kind, was nicht an die Hand der Mutter will. Mark ließ den Hafen von Port Hardy auf der linken Seite hinter sich und fuhr die Queen Charlotte Strait Richtung Nordosten. Eine Wasserstraße zwischen den Coast Mountains und Vancouver Island, so an die 5 bis 10 Kilometer breit und übersät mit kleinen Inseln und Islands.

 

Es war kaum Verkehr auf dem Wasser, nur ein paar Fischerboote kamen ihm entgegen mit dem üblichen Schwarm Möwen drum herum. In weiter Ferne zogen große Schlepper riesige Container voll mit Holz und Sägespänen vorbei, hin zu den großen Papierfabriken. Und ganz vereinzelt waren Angler in ihren kleinen schaukelnden Booten zu sehen. Er tuckerte Richtung Nordost auf die offene See und beobachtete dabei in großer Entfernung mit dem Fernglas die ersten Wale und kurz darauf keine hundert Meter von ihm entfernt einen Buckelwal, der gerade zum Luftholen auftauchte, hörbar ausblies und gleich darauf wieder mit seiner großen Fluke verschwand. Das Wasser hatte eine schwarze finstere Farbe angenommen, da die Sonne noch nicht aufs Wasser schien. Auf der Steuerbordseite sah er die Berge der Coast Mountains und einige ihrer vorgelagerten Inseln. Er steuerte nach Karte in Richtung Galvert Island, um dann Kurs nach Bella Bella zu nehmen. So richtig festgelegt hatte er sein Ziel noch nicht.

Er wusste nur eins, ein zurück gab es für ihn nicht mehr. Soweit das Boot ihn fahren würde, würde er fahren, um dann in einer wahrscheinlich gottverlassenen Menschen leeren Gegend neu anzufangen.So richtig mit Blockhütte bauen und alles was ein Einsiedler so macht. Gold waschen, jagen, fischen. Er hoffte insgeheim es bis nach Alaska zu schaffen, aber das war eigentlich auch egal.

*

Mark wischte sich das Wasser aus den Augen. Das Grauen stand ihm ins Gesicht geschrieben und er starrte in seinem Rettungsboot vor sich hin. Schlecht von der Schaukelei wurde ihm schon lange nicht mehr. Er hatte ja nichts im Magen, fühlte sich aber hundeelend, konnte kaum noch klar denken und sprach mit sich selbst.

Kleine Schaumkämme bliesen auf den meterhohen Wellen vor sich hin. Er war ein nichts in der See. Nur ein winziger Punkt auf einer riesigen Leinwand aus Wasser und Horizont. Seine orangefarbene Öljacke war der einzige Farbfleck in dem grauen Nichts.

Seit zwei Tagen trieb er auf dem Pazifik, ziellos und ohne Möglichkeit einzugreifen. Ab und zu sah er am Horizont Land, konnte aber nichts tun, um dieses zu erreichen. Das Boot drehte ständig die Richtung, je nachdem woher der Wind blies. Was er noch hatte war ein kleines grünes Paddel, mit dem er ab und zu versuchte zu rudern. Er gab aber schnell auf. Ständig hatte er das Gefühl nicht von der Stelle zu kommen, ob er ruderte oder nicht, es gab keinen Hinweis für ihn, ob er sich fortbewegte. Es zermürbte ihn derart, das er einen Tag zuvor in einem Wutanfall sein zweites Ruder weit weg warf, schreiend und fluchend.

Besonders nachts hatte er unheimliche Angst. Immer dann wenn es so stockfinster war, ohne einen Stern an Firmament. Nichts, aber auch gar nichts, erinnerte ihn dann noch am Leben zu sein.

Seine Augen waren offen obwohl er einschlief, zusammengekauert und ängstlich wie ein Kind, allein gelassen von den geliebten Eltern. Niemand war mehr da. Keiner konnte ihm

mehr helfen. Alles was ihm geblieben war, war er selbst. Er hatte keinen Besitz mehr, niemanden den er anrufen konnte und kein rechtes Lebensgefühl mehr. Alles war aus. Er hatte sich selbst in diese Sackgasse gebracht. Sein Kopf war auf die angewinkelten Knie gestützt, die Arme um die Beine geschlungen, liefen ihm die Tränen, ohne dass er es merkte.

Er trieb auf dem Wasser dahin, Stunde um Stunde, Tag für Tag.

Was war geschehen?. Alles ging ihm immer und immer wieder durch den Kopf. Was hatte er falsch gemacht?

*

Als er in Port Hardy startete war die Welt noch in Ordnung. Tolles Wetter und super Sicht machten ihm die Fahrt zur Freude. Er hatte stundenlang nicht viel zu tun. Konnte sich aufs Karten studieren konzentrieren, ab und zu ein Pfeifchen rauchen und sich seines Lebens erfreuen. Mark leistete sich sogar den Luxus in der Abenddämmerung kurz vor Galvert Island keine 100m vom felsigen Ufer zu ankern, kurz zu baden und zu angeln. Er warf eine Angelrute aus und sprang nackt und übermütig ins tiefblaue Wasser. Kurz darauf zog er sich an einem Seil wieder an Bord. Seinen Fang einen schönen silberfarbenen Chinook angelte er mit Anchovis am Doppeldrilling. Die Rute dafür war noch an Bord vorhanden. Er genoss den Fisch mit Bier und schön durchgebraten. Einfach nur lecker. Der Lachs wog gute 10 Pfund und Mark konnte ihn nicht aufessen. Den Rest warf er einfach über Bord.

Dann ging er schlafen. Von weitem sah sein Kahn aus, wie ein Fischer oder Anglerboot.. Die Dunkelheit verschluckte ihn und nur seine Positionslampen über dem Ruderhaus verrieten, wo er war. Der Mond kam hinter den Wolken hervor und überzog sein Boot und das Wasser silberfarben, wie aus einer Spraydose leicht aufgetragen.

Am zweiten Tag seiner Reise lichtete er morgens gegen 6 Uhr den Anker stellte sich seinen obligatorischen Kaffee ins Steuerhaus und fuhr langsam tuckernd weiter. Immer wieder musste er leicht gegensteuern, da Strömungen seinen Weg kreuzten. Nach etwa zwei Stunden Fahrt bemerkte er kleine Unregelmäßigkeiten am Motor. Er klang anders und der kleine Schornstein zog eine ungewöhnlich schwarze Wolke hinter sich her. Mark ahnte nichts Gutes, öffnete die Holzklappe im Boden des Bootes, um nach dem rechten zu sehen. Es war gegen 9 Uhr, als er die Bodenluke wieder verschloss. Er hatte den Öldruck geprüft, die Schläuche auf Dichtigkeit untersucht, konnte aber nichts aussergewöhnliches feststellen. Das Boot tuckerte wieder vor sich hin. Seit einigen Stunden war er bereits an Galvert Island vorbeigefahren, hatte Land auf der Steuerbord sowie auf der Backbordseite wie es sein sollte. Zerklüftete Felsen wechselten sich ab mit kurzen weißen Stränden und dann wieder Urwald, uralte tote Moos behangene Riesenbäume, die von weitem wie Totempfähle aussahen. Er überlegte krampfhaft was er tun sollte und nahm sich vor, Richtung Namu näher an die Küste zu fahren, um dort zu ankern und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Laut Karte war dort ein Flugzeug eingetragen. Während der Fahrt holte er die bereits ausgeworfenen Angel wieder ein. Er hatte jetzt andere Sorgen als sich ums Essen zu kümmern.

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Nach weiteren zwei Stunden begann der Motor wieder zu stottern. Schwarzer Rauch quoll aus dem eisernen Schornsteinrohr. Mark war entsetzt. Schnell stoppte er den Motor in der Hoffnung alles würde gut werden. Auf diese Situation hatte er sich nicht vorbereitet. Er geriet in Panik. Mit Kraft öffnete er die Bodenluke und wurde sofort von dichtem, beißendem Qualm eingehüllt. Er nahm den einzigen Feuerlöscher aus dem Ruderstand in die Hand, drückte auf den Hebel und hielt den Schlauch in den Motorraum. Es geschah nichts. Der Feuerlöscher war leer oder defekt. Er warf den Stahlzylinder schreiend ins Wasser und tobte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er nicht einmal einen Überlebensanzug an Bord hatte und einen Rettungsring hatte er auch noch nicht gesehen. Im Augenwinkel sah er das kleine Rettungsboot, was an der Leine in ca. zehn Meter vor sich hin trieb. Er war jetzt ungefähr drei Kilometer von Land entfernt. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, als er sich in aller Eile das Mikrofon vom Funkgerät griff. Es war tot. Seine Kabel hingen aus dem Elektrokasten an der Holzwand neben dem Ruder, bis dahin war es ihm noch nicht aufgefallen. Er hatte keine Möglichkeit Hilfe anzufordern, geschweige denn, sich retten zu

lassen. Der Kutter schaukelte langsam auf und ab und drehte sich um die eigene Achse. Mark war ratlos. Er starrte minutenlang in den qualmenden Motorraum, unfähig zu handeln. Was sollte er tun. Mit dem Beiboot war es die einzige Möglichkeit um an Land zu kommen. Gerade als er das kleine Boot mit der Hand heranziehen wollte, um seine Sachen darauf zu verstauen, zischte es bedrohlich, Er drehte sich um. Eine kleine Stichflamme entzündete sich in der Bilge und züngelte sich am Dieselschlauch entlang hoch zur Maschine. Mark schrie. Er war kein erfahrener Seemann, aber er wusste, er musste jetzt und sofort von Bord. Er sah sich noch kurz um, griff sich sein Messer, seine Uhr, warf die Leuchtpistole und eine halbvolle Flasche Cola in eine Plastiktüte, verknotete sie fahrig und warf sie über Bord. Er drehte sich um und sah mit Schrecken, dass sich das Feuer bereits im gesamten Maschinenbereich ausgebreitet hatte und meterhoch war. Jeden Augenblick drohte die Explosion.

Mark sprang so wie er war in voller Montur mit Öljacke, Stiefel und Hose ins dunkelblaue Wasser. Er tauchte unter und kam nach einer gefühlten Ewigkeit erst wieder an die Oberfläche. Er schnappte röchelnd nach Luft und hatte Mühe sich an der Wasseroberfläche zu halten. Über ihm schaukelte der Kutter als sei nichts gewesen. Mark hatte entsetzliche Angst unterzugehen. Seine Sachen, besonders die Stiefel zogen ihn runter, er schluckte Wasser, verschluckte sich, würgte, schrie, hustete und tastete mit beiden Armen rudernd nach der Leine vom kleinen Boot. Endlich konnte er sie fühlen und hielt sie krampfhaft fest. Er tastete sich an der Leine entlang und fühlte endlich das Boot. Mit letzter Kraft schaffte er es, sich halb in das Boot zu ziehen. Er lag nun bäuchlings halb im Boot. Die Beine waren noch im Wasser als eine ohrenbetäubende Explosion die Stille zerriss. Die Maschine war in die Luft geflogen. Schwarzer Rauch nahm ihm die Sicht. Er hörte das Feuer auf dem Boot prasseln. Er selbst war nur ca. zehn Meter vom Boot entfernt, hing immer noch mit der Leine am Kutter fest. Als ihn eine noch gewaltigere Explosion aus dem Rettungsboot schleuderte.

Die Tanks waren explodiert. Mark trieb benommen im kalten Wasser und ging langsam unter. Der Kutter neigte sich knarrend auf die Backbordseite und nahm Wasser auf. Es zischte laut und mit einem jammervollem knarren begann der Kutter zu sinken. Mark immer noch benommen vom Knall und fast taub, hörte sein eigenes schreien kaum. Sein Kopf tauchte immer wieder unter Wasser Er krallte sich voller Angst an der Leine vom Beiboot fest. Erst jetzt sah er den Kutter wieder, der schon zur Hälfte im Wasser versank.

Mit dem Bug nach oben und Luft auspressend verschwand das Boot immer schneller und mit einem letzten Wellenschlag versank es in den Fluten. In seiner Panik merkte Mark erst unmittelbar nach dem Untergang der Maretta, das er immer noch mit der Leine vom Beiboot fest hing. Da tauchte er auch schon mit einem brutalen Ruck mitsamt dem Beiboot unter. Festgekrallt an der Leine, mit weit aufgerissenen Augen und ausatmender Lunge versank er mit dem Boot in die Tiefe. In seiner Todesangst versuchte er instinktiv mit dem Messer, das er immer noch mit der linken Hand festhielt die Schnur zu kappen, um nicht weiter in die Tiefe gezogen zu werden. Die Luft ging ihm langsam aus. Der Druck auf den Ohren wurde qualvoll. Den Tod vor Augen und kurz davor die gequälte Lunge wieder mit Luft zu füllen, tief einzuatmen, also unmittelbar vor dem Ertrinken war er nicht mehr er selbst.

*

Auf der Wasseroberfläche bildete sich ein Ölfilm. Stille trat an die Stelle, wo vor knapp einer Minute die Tragödie ihren Lauf nahm. Nur eine einsame Möwe beobachtete von weit oben die Szenerie. Plötzlich tauchte ein kleines gelbes Boot auf, dann kurze Zeit später Mark. Er war dem Ertrinken nahe, holte tief Luft, erbrach sich, hustete und würgte nach Luft. Er röchelte und konnte kaum einatmen. Er klammerte sich nur noch an der Schnur fest, die er eben noch durchschneiden konnte, bevor er von der Maretta mit in die unendliche Tiefe gezogen werden sollte.

Ab und zu sah er kurz auf, sah sich um. Er hatte ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Ein Schiff, ein Boot oder auch einen Hubschrauber. Aber wer sollte ihn schon suchen? Und schon gar nicht mutterseelenallein auf dem Wasser im Nirgendwo. Mark hatte keine Ahnung, wo er sich ungefähr befand. Einen Kompass hatte er nicht. Sein GPS Sender hatte schon vor langer Zeit noch an Land seinen Geist aufgegeben. Gestern noch hatte er in weiter ferne ein Schiff ausmachen können, was aber zu weit entfernt war um ihn zu bemerken. Es war sicher eine der BC Fähren, die in diesen Gewässern regelmäßig und zuverlässig ihre Wasserstraßen nutzten.

Mark konnte froh sein, sich im Sommer in diese Situation gebracht zu haben, obwohl es ihm schon leid tat und er sich eher tot als lebendig wünschte. Er fror elendig, war nass bis auf die Knochen. Seine Haut war blau, fleckig und aufgedunsen. Sein Gesicht war rot gebrannt, die Lippen aufgeplatzt und spröde. Alles tat ihm weh.

 

Die Abenddämmerung setzte ein. In weiter Ferne sah Mark eine orangene Sonne ins Meer versinken. Ganz langsam verschwand sie hinter Wolken, um dann ins Meer zu tauchen. Es wurde wieder stockdunkel. Der Wind hatte sich gelegt und das Boot schaukelte einigermaßen erträglich vor sich hin. Mark hatte nun seit 2 Tagen kein Land mehr gesehen. Als er sich in großer Eile in das Boot gerettet hatte, konnte er noch nicht ahnen, das es wohl seine letzte Fahrt werden würde. Lange noch sah er die zerklüfteten Felsen der Mountains. Er versuchte ständig sie im Blick zu behalten und ruderte. Vergebens.

Nach zwei Tagen verschwanden die Berge aus seinem Blickfeld. Ab diesem Zeitpunkt wusste er, dass er den Fehler seines Lebens gemacht hatte. Er hatte keine Ahnung von Strömungen, Gezeiten und Wellengang.

Sein Ziel war eigentlich, nur an der Küste entlang auf unbewohntes Gebiet zu gelangen, wo er erst mal seine Ruhe hätte. Er hatte sein geliebte Frau verlassen, ohne einen Ton zu sagen, ohne sich zu verabschieden. Er wollte einfach nur weg und es sollte für immer sein. Kanada, das Reich der Wildnis musste doch auch für ihn einen Platz bieten können, an dem er bis zum Ende leben könnte.

Er legte sich so gut es ging auf die Seite, zog sich die triefende alte Luftmatratze unter sich und versuchte krampfhaft die Augen zu schließen. Er wollte einfach nur schlafen. Was ihm auf wundersame Weise auch für mehrere Stunden gelang. Als er wach wurde, konnte er sich nicht mehr bewegen. Er schrie vor Schmerzen. Seine Knochen waren steif. Er lag nur da und starrte vor sich hin.

Es wurde langsam wieder hell. Der Morgengrauen setzte ein. Ein diesiger nebliger Tag kündigte sich an. Als Mark einen kleinen Schluck Cola getrunken hatte, rollte er sich auf die andere Seite. Das Wasser in der Jacke tropfte ihm aus den Ärmeln. Über dem Bootsrand konnte er das tiefschwarze Wasser sehen. Er traute seinen Augen nicht. Das, was da so zäh im Wasser schwamm war Kelp...Seetang.

Mark richtete sich auf dem Ellenbogen auf und schaute sich um. Zu sehen war nichts, gar nichts. Zu hören auch nichts. Wie in Watte gehüllt waren seine Sinne aufgehoben. Er fasste ins Wasser und zog einen Strang nach oben. Es war ein langes braunes Blatt, das kein Ende nahm. Er riss ein Stück ab und steckte es in den Mund. Seine aufgesprungenen Lippen taten ihm weh. Stoisch begann er zu kauen. Es schmeckte salzig und konnte kaum zerkaut werden. Er holte mit den Fingern die einzelnen Fasern aus dem Mund, besah sie sich und steckte sie wieder rein. Wie ein Wiederkäuer kaute er vor sich hin.

Beim essen fiel ihm ein, das er nachts die Geräusche von Walen gehört hatte. Es mussten mehrere gewesen sein. Vermutlich Orkas, aber genau wusste er es nicht.

Es war ihm auch egal, ob Orkas, Grauwale oder Buckelwale...sie alle konnten ihm nicht helfen, eher nur gefährlich werden, sollte er zufällig ihren Weg kreuzen. Mark sah auf seine Hände, ballte sie zur Faust, mehrere male. Die Hände waren blass blau, kaum Blut drin. Auch das Pumpen brachte nicht viel. Er setzte sich auf und lehnte sich an den Rand des Bootes. Das war es dann wohl, dachte Mark und sah ins Nichts. Wenn ich nicht sobald wie möglich hier runter komme, werde ich hier drauf verrecken. Niemand würde ihn finden. Das Meer würde alles für ihn erledigen. Er musste kurz lächeln, als er daran dachte niemanden Kosten für die Beerdigung zu hinterlassen. Er würde einfach weg sein, als sei er niemals da gewesen. Er hatte nichts mehr, keine Erinnerung an schöne Zeiten in seinem Leben, keine Hoffnung auf Besserung. Was soll es noch Schlimmeres geben. Er musste an die Filmszene in dem Film ..das Leben des Brain.. denken, als sie einen steinigen wollten und ihm drohten..und der Delinquent sich hinstellte sie auslachte und brüllte..was soll denn noch schlimmer werden...hä?..was?....so kam er sich jetzt auch vor. Was konnte ihm noch passieren. Früher oder später würde er einfach einschlafen, oder sich noch stundenlang elendig quälen vor Hunger und Durst.

Er schaute kurz auf, dachte etwas gehört zu haben außer den monotonen Wellenschlägen. Es klang wie eine aufschlagende Welle. Er hob nochmals den Kopf aus dem Boot und lauschte angespannt.

Nein..da war nichts..oder doch..da..wieder..die Wellen klangen mit einem mal anders.....er blinzelte in das Sonnenlicht..die Wellen spiegelten sich. Er hob die Hand vor die Augen....ein heiserer Laut drang aus seiner Kehle..... dann erstarrte er...

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