Sieben Tage

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Oliver Auschner

Sieben Tage

Der Hof

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Hof

Impressum

Der Hof

Es ist stockdunkel im Zimmer, kein Licht, nicht mal der Mond kann etwas dazugeben. Josef liegt mit offenen Augen da und starrt an die Zimmerdecke. Er versucht es zumindest, „sind die Augen nun auf oder zu“? Nur an den Muskelbewegungen der Augen bemerkt er, dass er ins Nichts sah. „Verflucht noch mal“ schimpfte der Alte, es ist, als wäre man schon tot.

Neben ihm lag seine Frau im tiefen Schlaf. „Wenn sie so ruhig liegt, ist sie bestimmt wieder in einer anderen Welt und träumt“ murmelte er leise vor sich hin. Josef versuchte sich leise auf die andere Seite zu drehen und sich die Decke bis über die Augen zu ziehen, aber das Bett, das verfluchte Bett ließ das überhaupt nicht zu, ließ jede Bewegung in einem knarrenden und quietschenden Laut zum Inferno werden. „das halte ich nicht aus“ wetterte Josef und schnellte hoch. Nun saß er auf dem Bett und war sich sicher, dass er gleich aufstehen würde, seine Pantoffeln suchen würde, um in die Küche zu gehen. Anna hat das alles nicht gestört, sie lag noch immer so da und schlief den Schlaf der Gerechten. „Na ja“ dachte Josef und stieg aus dem Bett. Es war aus der guten alten Zeit, aus richtigem Holz und hatte Stahlfedern, die es jeden hören ließen, der sich auf sie setzte.

Vorsichtig angelte sich Josef die Latschen und stand nun fest auf seinen Beinen. Mit der rechten Hand suchte er nach dem Morgenmantel, der immer am hinteren Bettende lag und zog ihn sich in völliger Dunkelheit über. Eine Hand vors Gesicht, die andere Hand tastend ging er leise und vorsichtig zur Tür, ertastete die schmiedeeiserne Klinke, öffnete diese und schloss die Tür hinter sich. Kaum war sie zu, atmete er erleichtert in der Finsternis auf, machte sich auf dem Flur Licht und ging nun schlurfend in die Küche. „Gut, dass Anna nicht aufgewacht ist“ dachte der Alte. Es ist nicht gut, wenn sie merkt, dass er nachts aufsteht. „Was soll das, die Nacht ist zum schlafen da, leg dich hin und gib Ruhe“. Es fällt ihm nun mal schwer, die Stunden der Nacht über die Runden zu bekommen, aber wenn ihm Anna dann auch noch erzählt, dass er gefälligst liegen bleiben soll, ist es vorbei mit der Nachtruhe. Lieber stehe ich auf und gehe ein wenig hin und her. Das still liegen ist nichts für mich, dachte Josef, der sich gerade auf einem Stuhl in der Küche niederließ.

Die Küchenuhr an der Wand über der Kommode zeigte an, was er befürchtet hatte, es war erst 02.20 Uhr. „Es ist jedes Mal dasselbe“ grummelte Josef vor sich hin und ärgerte sich über den gesunden Schlaf seiner Frau und darüber, dass er zu nachtschlafender Zeit im Haus herumschlich und sich langweilte.

„Ich werde mir einen Tee kochen und mal sehen, ob ich die gestrige Zeitung noch finden kann. Nachdem er sich Wasser in den Kessel gefüllt hatte und diesen auf die Herdplatte stellte, ging er auf die Suche. „Hoppla“ na das ist ja ein Ding, dachte der Alte und freute sich, die Suche gar nicht erst beginnen zu müssen. Anna hatte die Zeitung auf seinen Stuhl gelegt, in der weisen Voraussicht, dass ihr lieber Mann sie sowieso wieder in der Nacht suchen würde. Das Teewasser fing an zu summen und schließlich goss sich Josef ein Glas mit dem kochenden Wasser ein, ließ ein Teeei mit Inhalt hinein und schüttete sich zwei Teelöffel Zucker hinterher. „So lasse ich mir das gefallen“ dachte er, setzte sich auf seinen Stuhl, rückte näher zum Licht heran und vertiefte sich in die Lektüre.

„Mein Gott, die Zeit vergeht aber heute überhaupt nicht“. Josef sah erneut auf die Uhr 03.38 Uhr. Die Zeitung hatte auch nicht viel Neues zu bieten, außerdem hatte er sie am Nachmittag schon so gut wie ausgelesen. Josef erhob sich, faltete die Zeitung zusammen und legte sie wieder auf seinen Stuhl, so als ob er sie gar nicht angefasst hätte. Als er an das Küchenfenster ging, um heraus zu sehen, kam urplötzlich dieser verdammte Schmerz wieder, der ihn fast lähmte und zwang, sich an der Tischkante festzukrallen. „Verflucht“ zischte er durch die Zähne und zwang sich, sich nicht setzen zu müssen. Sein Kopf fühlte sich an, als ob er an einem Stromkabel angeschlossen wäre, seine Arme fingen an zu kribbeln und die Luft wurde ihm knapp. „Gehe hin, wo du hergekommen bist und lass mich in Ruhe, du Teufel“ keuchte er. Langsam, ganz langsam kamen seine Lebensgeister zurück. Schweiß- gebadet stand er vor dem Fenster und hielt sich noch immer am Tisch geklammert, so dass seine Finger ganz weiß wurden... Zwei, dreimal holte er tief und lange Luft, immer noch in sich hineinhorchend, um nicht noch mal die Schmerzen heraufzubeschwören und schlich gebückt nach Halt suchend zur Abwäsche, wo er sich mit dem kalten Wasser das Gesicht kühlte und die heißen Hände immer wieder unter den Hahn hielt. „Lange mach ich das nicht mehr mit“ dachte Josef und überlegte, wie er das seiner Frau sagen sollte und ob es sich überhaupt lohne, darüber zu sprechen. Er wusste genau, was sie sagen würde. Da er aber die Ärzte hasste und noch nie in einem Krankenhaus war, was das Thema für ihn auch schon wieder erledigt.

Josef ging wieder auf den Flur, nahm sich den Türschlüssel zum Hof und schloss die Holztür auf. Sofort schlug der Hund an. Sein Gebell weckte auch die anderen Hunde im Dorf, die aber nach kurzer Zeit wieder Ruhe gaben.

Die kalte Winterluft raubte ihm für kurze Zeit die Sinne. Lichtblitze durchzuckten ihn und die Augen fingen an zu tränen. Er hatte nicht mal die Zeit sich umzuschauen und nach dem Hund zu suchen, so fror er plötzlich. Er verschloss die Tür wieder, legte den Schlüssel wieder auf die Anrichte und schlurfte in die Küche. Das Teeglas stellte er vorsichtig in die Abwäsche, sah sich noch einmal um und ging wieder ins Bett. Vorher hatte ihm die Uhr 04.45 Uhr angezeigt. „Gott sei Dank“ dachte Josef, die Nacht ist so gut wie vorbei. Er fühlte sich jetzt müde und zerschlagen, wie nach einem Tage auf seinem Hof.

Langsam fielen ihm die Augen zu und der Schlaf überkam ihn und hüllte ihn die gleiche Dunkelheit ein, wie der Raum war, schwarz und unendlich. Anna drehte sich zu ihm und sah ihn kurz an, dann lächelte sie in sich hinein, rollte kurz mit den Augen und schüttelte kurz den Kopf. Sie hatte wohl bemerkt, dass Josef sich wieder heimlich aus dem Bett geschlichen hatte. Nach kurzer Zeit lagen beide wieder in ruhigem tiefen Schlaf und die Nacht hatte Zeit, sich an den folgenden Tag zu verlieren.

Im Dorf herrschte absolute Stille, wie man sie nur aus eiskalten Winter- tagen kennt, wenn alle Fenster geschlossen sind, alle Geräusche gedämmt werden durch den Schnee und die eisige Luft, wo sich die Tiere aneinander schmiegen, um die Wärme zu halten. Nur die weißen Rauchfahnen aus den Schornsteinen waren sichtbar als der Tag anbrach.

„Josef, .... Joooseff“, langsam öffnete Josef die Augen. Jetzt, wo die Wintersonne durch das beschlagene Fenster brach und die Sonnenstrahlen sich im gesamten Zimmer verfingen und in den Gardinen verschwanden, war ihm doch etwas seltsam. „In der Nacht nicht schlafen können und Tags am liebsten im Bett bleiben wollen, das sind die richtigen“ grummelte Anna. Hatte Anna ihn gerufen oder war das ein Traum? Er dreht seinen Kopf zur Seite und sah die leere Betthälfte. War dann wohl doch nicht geträumt, dachte er und überlegte, ob er nun einfach liegen bleiben soll oder um des lieben Frieden willen sich erheben und das Tagwerk beginnen sollte. Anna kam wieder ins Zimmer. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Mitleid und einem Lächeln an, „komm Josef, du musst noch einheizen. In der Küche habe ich schon geheizt, aber die Wohnstube ist noch kalt, steh auf und beweg dich.

Ehe er zum Sprechen kam, zog sie die Gardinen mit einem Ruck zur Seite und Josef hielt die Hand vor die Augen. „Himmel“, ich steht ja schon auf. Schwerfällig rollte er sich auf die Seite und setzte sich auf die Bettkante. „Also“..., was „also“ fragte Anna, die vor ihm stand und die Hände in die Hüften stützte. „Also heißt, du hast gewonnen und ich meine Ruhe“, sagte Josef in einem verschmitzten Ton und verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. Beide standen sich jetzt am Sonntagmorgen in ihrer Schlafstube gegenüber und sahen sich an. „Guten Morgen Frau“ sagte Josef und erwartete den Gegengruß – „Guten Morgen du alter Narr“ war die etwas barsche Antwort seiner Frau. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand wieder in Richtung Küche, wo sich der Wasserkessel lautstark bemerkbar machte.

Josef holte tief Luft und verschwand in die Badestube, wo man ihn laut pfeifen hörte. Das konnte ihm keiner nachmachen, er konnte trällern wie eine Nachtigall. Mit seinen 85 Jahren war er sowieso nicht wie seine Altersgefährten. Er war eine kleiner drahtiger Mann, dessen Gesichtszüge sich in den Jahren verhärtet hatten, aber die Lachfalten an den Augen verrieten einen umgänglichen und lustigen Opa, wie seine Enkel ihn letztens riefen. „Lustiger Opa“, so was dachte Josef, als er sich mit dem Rasiermesser langsam den Hals hoch die Barthaare rasierte.

Kurze Zeit später hörte man ihn in der Wohnstube den Ofen in Gang bringen. Anna hatte in der Zeit schon die Betten aufgeschüttelt und die Fenster weit geöffnet. Die klare Winterluft durchzog das ganze Haus, machte einen fröstelnd aber war eine Wohltat für die Lungen der beiden Alten.

 

Beim Frühstück fragte Anna ganz beiläufig, ob Josef in der Nacht mal wieder aufgestanden sei. Dieser schielte mit einem Blick auf die zusammengefaltete Zeitung und wollte die Frage gerade mit Entrüstung verneinen, als sein Blick auf das Teeglas fiel. „Ja, ich konnte mal wieder nicht schlafen und da bin ich halt wieder aufgestanden“ gab er zu und schlürfte seinen Kaffee ganz langsam herunter, um Zeit für die anstehende Diskussion zu sammeln. „Weißt du“ sagte Anna, es ist mir ja eigentlich egal, aber andererseits auch wieder nicht. „Du solltest dich doch vielleicht mal dem Doktor vorstellen, der wird dir schon helfen.

„Der wird mir schon helfen“ dachte Josef, in die Holzkiste wird er mir helfen. „Nein, ich brauche keinen Medizinmann“ sagte Josef und erhob sich, stellte seinen Stuhl ordentlich an den Tisch und ging hinaus.

Anna hatte schon des Öfteren mit ihm über seine Schlafstörungen gesprochen, genützt hat es jedoch gar nichts. Er ist ein richtiger „Sturkopf“ dachte sie. Den Kopf in die Arme gestützt, saß sie noch immer am Tisch und hatte sich am Rand der Kaffeetasse fest geguckt. Erst das Hundebellen auf dem Hof brachte sie wieder zu sich und sie räumte den Tisch ab und setzte Wasser für den Abwasch auf.

Josef rief ihr vom Flur aus zu, dass er mit dem Hund hinterm Haus über die Koppel bis hin zum Krebsbach laufen wolle. „Ja, ja geh du nur Mann“ dachte sie und goss sich das heiße Wasser in die Schüssel. Vom Fenster aus konnte sie ihn beobachten, wie er über den Hof lief, ihr zuwinkte und im Zwinger verschwand.

Die Sonntag verlaufen für Anna fast immer gleich. Frühstück machen, abwaschen, Mittag vorbereiten, die Betten machen, Mittag kochen, abwaschen, Kuchen backen für die Kinder und die Enkel, Kaffee kochen, abwaschen und zu guter Letzt Abendbrot zubereiten und die Küche wieder in den Urzustand versetzten. Josef machte sich nicht viel aus Küchenarbeit. Wenn man sagt, nicht viel, dann heißt das, überhaupt nichts. Die Küche ist für ihn der Raum zum Essen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Anna machte das nicht viel aus. Sie hatte fast vierzig Jahre lang als Magd beim Großbauern gearbeitet. Sie war es gewohnt, hart zu arbeiten. Aber innerlich hoffte sie jedes Mal auf eine bisschen Unterstützung von ihrem Mann. Mit den Jahren fällt ihr die Arbeit immer schwerer, aber anzumerken ist es ihr nicht. 83 Jahre ist sie im Sommer geworden. Es war eine schöne Feier, sinnierte sie beim Abwasch nach und verging sich in Erinnerungen. Diese waren so plastisch, wie die Filme, die ihre Kinder mit den neumodischen Kameras aufnehmen können, um die Feier zu jeder Zeit wieder ansehen zu können. Der Abwasch war fast beendet, als Anna aus ihrer Träumerei erwachte. Sie sah wieder aus dem Küchenfenster, was vollständig beschlagen war durch das heiße Abwaschwasser. Trotzdem konnte sie die Umrisse ihres Mannes und einen herum springenden schwarzen Schatten wahrnehmen. Beide verschwanden gerade hinter dem Zwinger und die gewohnte Stille zog wieder ein. Sie setzte sich noch einen Augenblick an den Küchentisch, wischte mit der flachen Hand noch einmal über das Wachstuch auf dem Tisch, als ob sie einen vergessenen Krümel wegwischen wollte und nahm sich die sauber zusammen gefaltete Zeitung vom Stuhl.

Sie wusste genau, wenn sie jetzt die Zeitung liest, schläft sie bestimmt wieder ein. Das ist ihr schon ein paar Mal passiert, aber es war nur ein kurzer Schlaf, ein Nickerchen. Die Brille in der Hand, blätterte sie die Zeitung auf, schob sich die Brille auf die Nase und begann die gestrige Zeitung noch einmal zu lesen.

Josef holte einige Male tief Luft und blieb stehen. Er drehte sich langsam um und sah seinen Schäferhund auf sich zu rennen. „Na komm“ rief er und ging langsam weiter. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Kein Wind war zu spüren und die Wärme der Sonnenstrahlen waren wohltuend im Gesicht. Mit einem Hecheln war der Hund nun an seiner Seite und sah ihn mit großen braunen Augen an. Es war ein schönes Tier. Josef hatte ihn von einem befreundeten Nachbarn aus dem Nachbardorf geschenkt bekommen, als dieser plötzlich mit fünf Welpen dastand und nicht imstande war, die Tiere zu töten. Da Josef immer einen Hund an seiner Seite hatte und sein Vorgänger vor drei Jahren gestorben war, nahm er das Tier zu sich. Er hatte es nicht bereut. Auch dieser Hund war treu und anhänglich. „Ein Wachhund wirst du zwar nicht mehr aber zum Bellen reicht es ja noch. Er kraulte den Kopf des Tieres und ging weiter in Richtung Felder. Der Weg war sehr schmal, es war eigentlich nur ein Trampelpfad, den sich die Kinder als Abkürzung zum Sportplatz gelaufen hatten. Links und rechts säumten mittelgroße Eichen und sehr hohe Pappeln den Weg. Es war ein richtiges Dickicht. Hier kommt man auch nur im Winter lang, dachte Josef, und freute sich schon auf den kommenden Sommer. Jetzt lag die Landschaft mit ihrer weißen glitzernden Schneepracht vor ihm. Der Hund hatte Mühe ihm mit großen Sprüngen zu folgen, da er den Weg verließ und nun im knöcheltiefen Schnee weiterlief.

Bei beiden sah man den weißen Atem, der wie Rauch aus einem Schornstein aufstieg und wieder schnell verschwand. Das ganze hatte etwas von einer Dampflok, die bei voller Fahrt ständig das typische Pfeifen hören lies und dabei weiße Wolken ausstößt. Josef schaute sich um. Das Dorf war kleiner geworden, die hohen Pappeln waren bereits weit weg und der Sportplatz war gar nicht mehr zu sehen.

Nur noch weiße Landschaft, die in den Augen Schmerzen verursachte. Josef kniff die Augen zusammen, rief den Hund und ging weiter in Richtung Bach, der in etwa einen Kilometer zu finden ist. Vor einiger Zeit hatte er beobachtet, wie ein Fuchs auf Jagd ging. Da er aber den Hund dabei hatte und der Wind ungünstig stand, bemerkte der schlaue Fuchs die beiden recht schnell und verschwand in der weißen Landschaft. Eine Krähe flog über sie hinweg und schimpfte lautstark dabei. Josef beobachtete sie im Augenwinkel und rieb seine Handflächen aneinander. Der Wind hatte etwas aufgefrischt und fing an den Händen und Ohren zu zwicken. Kleine Schneewolken trieben über die Weite und hüllten alles wie in einem Nebel ein. Josef blieb stehen und orientierte sich neu. „Es hat keinen Sinn noch weiter zu gehen“ entschied er sich. Ehe er am Krebsbach ankommt und dort erfroren als Eisblock im Frühjahr wieder auftaut, ziehe ich lieber die warme Stube vor. Sprach es, drehte sich um, pfiff nach dem Hund und ging etwas schneller durch den jetzt eisigen Wind in Richtung Dorf. Die Krähe beobachtete die Szenerie von oben und verhielt sich jedoch still, da der Hund genau unter ihr entlang lief. Er hielt die Nase noch für kurze Zeit nach oben und nahm ihre Witterung auf, hatte aber keine Zeit mehr zu überlegen, ob sich die Jagd lohnt oder nicht, denn sein Herrchen pfiff nach ihm. Außerdem war das jetzt auch kein Wind mehr, sondern ein regelrechter Sturm mit weißen Wolken und Schneetreiben. Beide Gestalten eilten wieder Richtung Dorf, waren kaum zu sehen in diesem Flockenwirbel. Ihre Spuren waren nach kurzer Zeit weggefegt. Eine jungfräuliche, weiße Ebene blieb übrig, die im Schneetreiben nicht mehr zur Ruhe kam und der Wind wehte mit lautem Heulen um die Bäume, die vor kurzem noch still in der Sonne glitzerten. Josef hatte Tränen in den Augen, seine Nase lief und die Hände wurden nun doch langsam kalt. So eine Aufregung in meinem Alter, nein. Er konnte sich nicht erinnern, so einen schnellen Wetterumschwung erlebt zu haben. Vielleicht damals im Krieg als sie nach Osten zogen und dort ihren bittersten kalten Winter aller Zeiten erlebten....und in der Gefangenschaft aber nicht hier...

Anna schreckte hoch, sie lag auf der Zeitung, das Gesicht in den verschränkten Armen. Die Brille war ihr von der Nase auf den Tisch gerutscht. Ihre Augen waren noch nicht ganz klar und eine Haarsträhne wanderte in ihrem Gesicht herum.

Sie hörte den Hund bellen und kurz darauf den schimpfenden Josef, der im Eiltempo auf den Hof lief, den Hund in den Zwinger sperrte, die Tür sicherte und dann schnell auf das Küchenfenster zukam. Anna sprang auf, strich sich den Rock glatt und lief in die Speisekammer, die an die Küche angrenzte. Mit geübten Fingern holte sie die Kartoffeln aus der Miete und setzte sich anschließend an den Tisch. Sie schälte gerade die erste Frucht, als Josef in die Küche trat. Er war völlig durchnässt im Gesicht, seine Hände waren ganz blau und die Ohren ganz rot. Sie sprang auf „Jesus, dass du auch immer so übertreiben musst“. Sie holte ihm ein trockenes Handtuch und zog dem alten Mann die Strümpfe aus. „Das ist wieder typisch für dich“ schimpfte sie. Josef hörte überhaupt nicht zu. Er war völlig aus der Puste und so richtig wohl war ihm auch nicht. „Kannst Du mir bitte einen Tee kochen?“ fragte er. Anna setzte Wasser auf und setzte ihre Trocknungsaktion an dem Mann fort. „Muss ich jetzt immer mitkommen oder was“? Sie rieb seinen Kopf mit dem Handtuch, das sie noch kurz auf den Ofen gelegt hatte, mit kräftigen Händen ab und übergab es ihm. „Hier du Held, den Rest kannst du ja wohl allein oder“?

Josef rieb sich die Hände, schnäuzte sich und fing an, seine nackten Füße immer abwechselnd zu reiben. Langsam kamen seine Lebensgeister zurück und ein kleines Lächeln überkam ihn, als er seine aufgebrachte Frau so ansah. „Was gibt’s denn da zu grinsen“? fragte sie. Ich habe hier die Arbeit und du kommst nach Hause, bist ein halber Eisblock und ich darf dich dann wieder tagelang pflegen, so was aber auch“. Langsam beruhigte sie sich wieder und schälte die Kartoffeln weiter. Josef überlegte in dem großen Handtuch eingewickelt, was er jetzt wohl tröstendes sagen kann. „Ich dachte, das Mittag ist schon fertig“. Ihr Blick kreuzte den seinen und er merkte, dass dies wohl ein nicht sehr großer Trost gewesen sein musste. Beide schwiegen jetzt. Anna schälte eine Kartoffel nach der anderen und Josef saß einfach nur so da und sah ins Leere. „Tu was, damit dir wieder warm wird oder setz dich an den Ofen, aber mach was, sitz hier nicht einfach nur rum“. Anna hatte die Situation wieder voll im Griff und Josef merkte, dass es in der Tat besser für ihn wäre, sich eine Arbeit zu suchen. Er überlegte und kam zu dem Schluss, erst mal aus dem Schussfeld von Anna zu gehen. „Ich hole mir jetzt trockene Sachen und werde dann in der Wohnstube nach dem Feuer sehen“, sprach es und war kurz darauf verschwunden. Anna hörte ihn in der Nachbarstube nach Sachen kramen. „Himmel, diese Männer“. Sie hörte es schon an den Geräuschen, die Josef machte, dass er nicht das Richtige fand und nun dabei war, den ganzen Schrank auseinander zu nehmen. Sie sprang auf, wischte sich die Hände an der Kittelschürze sauber und ging schnell in die Schlafstube, wo Josef, immer noch barfuß und nur mit Unterwäsche bekleidet, fast im Schrank lag und in den letzten Ecken des Schrankes nach Sachen wühlte. „Josef, gehst du da weg“. Anna wurde ganz rot im Gesicht vor Wut über so viel Unbeholfenheit. Sie kam an den Schrank, machte für Josef genau sichtbar nur eine Griff und hatte frische Socken sowie ein ordentlich zusammengelegtes Hemd und eine schöne dicke Cordhose in der Hand.

„Das ist Zauberei“ dachte Josef, nahm wortlos die Sachen und lief in die Wohnstube, wo er sich in seinen Ohrensessel setzte. Langsam begann er die Socken überzustreifen und sich anzuziehen. Der Ofen spendete Wärme und es dauerte nicht lange, da fing Josef sich wieder an wohl zu fühlen. Seine Glieder wurden schwer, die Wärme war wohltuend und einschläfernd. Sein Kopf fiel auf die Seite und bald war ein leises Pfeifen und summen zu hören, fast so wie der Wasserkessel auf dem Herd.

Anna hatte noch ein wenig in der Schlafstube zu tun, sie legte gleich die neue Wäsche in den Schrank, sortierte die Fächer und achtete genau auf die Anordnung der Wäsche in Josef seinem Schrank. „Seine Sachen wird er nie alleine finden“ dachte sie etwas verärgert und konnte sich über so viel Unbeholfenheit nur wundern. Aber so kannte sie ihn. Josef war schon immer in dieser Beziehung wie ein Kind. Was den Haushalt angeht, ist er nie bei der Sache gewesen. Auch hörte er ihr kaum zu, wenn sie ihm etwas erzählte, da er es nicht für so wichtig einstufte. Josef war schon immer der Meinung, Anna macht das schon. Nicht das sie die Hosen anhätte, aber er wollte mit der Hausarbeit verschont bleiben. So war das damals bei seinen Leuten auf dem Hof und so sollte es auch bleiben. Anna kam aus der gebückten Stellung aus dem Schrank, verschloss diesen wieder und ging wieder in die Küche, wo die Arbeit wartete.

 

Auf dem Weg dorthin lugte sie kurz durch die Stubentür und sah Josef in der Schlafhaltung im Sessel sitzen. Sein Kopf war nach vorne auf die Brust gefallen und er schien fest zu schlafen. Nach seinem Schnarchen zu urteilen, musste er gleich eingeschlafen sein. Sie nahm vorsichtig die Klinke in die Hand und verschloss fast geräuschlos die Tür.

In der Küche angekommen, nahm sie ihre Arbeit wieder auf, putzte das Gemüse und dachte an allerlei Sachen. Sie freute sich schon, morgen wollten die Kinder sie und Josef mit dem Auto abholen und in die Wohnung der Kinder fahren. Der älteste, der Martin, hatte ja Geburtstag und da der Junge sein Glück in der Stadt gefunden hatte, war es kein Problem mit dem Wiedersehen. Die Kinder kamen öfter auf den Hof. Besonders die Enkel hatten ihre Freude an dem Haus, dem Hof mitsamt Hund, den Katzen und dem riesigen Auslaufplatz.

Man merkte ihnen die Enge der Wohnung an. Josef sagte ihnen immer, dass sie halt Stadtkinder seien. Aber er freute sich mit ihnen und spielte manchmal mit ihnen mit.

Anna stand auf und ging mit dem Topf zur Spüle, reinigte das Gemüse unter eiskaltem fließenden Wasser, schnitt es klein und stellte es anschließend auf den Herd. Die Kartoffeln verbreiteten schon den eigenen Duft, es dampfte schon auf dem Herd und die Fensterflügel fingen an zu beschlagen. Der Geruch des Mittagessens verfing sich schon im ganzen Haus. Auch Josef fing an, die Nase zu heben. Sein Ausflug hatte ihm einen gehörigen Appetit bereitet. Er rieb seine Augen, massierte sein Gesicht und blieb weiter bewegungslos sitzen. Die Ruhe war einschläfernd. Nur die entfernten Geräusche aus der Küche waren zu hören. Er sah sich um. Die Wanduhr tickte leise und gleichmäßig. Josef fingerte in seiner Weste eine silberne Taschenuhr zutage und ließ den Sprungdeckel aufklappen. Er verglich beide Uhren mit einem zufriedenen Gesicht und steckte schließlich die kleine Uhr, die an einer silbernen Kette hing, zurück in die Westentasche. Noch war Zeit, bis Anna in rufen würde. Vielleicht würde sie auch in der Stube den Tisch decken. So genau wusste er das nicht. Aber da er ja schon am Tisch saß, würde sie ihm schon sagen, was zu tun ist und was nicht.

Er schloss seine Augen und öffnete sie wieder, hörte auf die Geräusche, die ihn umgaben. Da war die Wanduhr, die sowieso bald anfangen würde zu schlagen, da waren die Küchengeräusche, die seinen Hunger wieder in Erinnerung riefen. Die Fenster in der Wohnstube waren nicht beschlagen, so dass er die Bäume auf der anderen Straßenseite sehen konnte. Sie waren vollständig weiß, die Kronen der Bäume wiegten sich hin und her. Kein Sonnenstrahl spiegelte sich wieder. Es war immer noch der Schneesturm am toben, der Josef schon vor Stunden zum Rückmarsch zwang. Josef atmete tief ein und wieder aus. Er freute sich, dass er in seinem Ohrensessel sitzen konnte, der Ofen seine Wärme an ihn weitergab und draußen die Welt unterging. „Gut, dass wir kein Viehzeug mehr haben“ dachte er und ließ den Blick weiter nach rechts schweifen, wo die Scheune zu sehen war. Es war eine Scheune, wie Kinder sie sich vorstellen. Groß, aus rotem Backstein, mit einem Spitzdach aus roten Dachziegeln, kleinen Flügelfensterchen und einem großen dunkelbraunen Holztor, in dem noch eine kleine Tür in Mannesgröße eingearbeitet war. Jetzt sah man nicht viel vom Gebäude, der Sturm zottelte am Dach herum und ließ immer wieder Schneewalzen vom Dach sausen. Die Dachrinne war bereits völlig überfordert und hatte bereits imposante Ausmaße angenommen. Immer mehr Schnee sammelte sich dort und ließ der Rinne keine Chance, sich zu befreien. Josef dachte mit Sorge an die Folgen. Im letzten Winter musste die Rinne erneuert werden, da sie durch die Schneelast zerborsten war.

Sein Blick fiel auf einen rechteckigen Kasten auf dem Dach, der ebenfalls als Schneehindernis diente. Die Abluft hatte heute keine große Bedeutung mehr. Aber genau auf dieser hatte Josef vor Jahren schon mit den Kindern ein großes Wagenrad befestigt. Es hatte gewaltige Ausmaße und war nicht leicht dort oben zu befestigen. Es hat sich aber über die Jahre bewährt. Jedes Frühjahr hatten dort seine Störche ihr Zuhause gefunden und dankten es ihm stets mit Nachwuchs und im Sommer mit stundenlangem Geklapper. Vom Nest war jetzt nicht mehr viel zu sehen. Vereinzelte Strohhalme ließen sich vom Wind treiben oder flogen einfach weg.

„Wenn das Wetter heute so bleibt“ überlegte Josef, „ist es Essig mit dem Rausgehen“. In den vier Wänden zu hocken empfand er als nicht sehr angenehm. Gestern war er auch nur kurz draußen. Die Nachbarn hatten ihn gebeten, den Bullen zu füttern, den sie noch als einziges Tier im Stall nährten, um ihn dann später zu verkaufen. Es war gleich der Nachbarhof, also nur einiger hundert Meter entfernt. Das Wetter spielte auch schon am Samstag nicht mit und so war er nach einigen Minuten wieder im Haus.

„Seitdem ich nichts mehr zu tun habe, merkt man erst, dass die Zeit nicht mehr vergeht“. Josef dachte gerade an vergangene Zeiten, als die Tür aufging und Anna das Zimmer betrat. Sie war puterrot im Gesicht und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Kommst du essen“? fragte sie und wartete die Antwort gar nicht erst ab, weil es ja nur so eine Redewendung war. Josef war sich bewusst, dass seine Frau kurz nach dem Mittag kochen immer etwas gereizt war und er tat gut daran, sich einfach an den Tisch zu setzen und abzuwarten.

„Hast Du wieder geschlafen“? fragte sie ihn. „Ja, ich bin wohl eingenickt“ antwortete er vorsichtig. „Gib mal deinen Teller her, willst du so viel“? fragte sie und hielt ihm den Teller hin. „Ja ja das reicht, ist gut so“ grummelte er. Beim Essen herrschte bei beiden stets Ruhe, es wurde kaum gesprochen. Heute hörte man sogar den Wind im Ofenrohr pfeifen. „Mistwetter“ sagte Josef. Anna sah kurz auf, nickte und aß weiter. „Bei diesem Wetter wird es ja heute ein ruhiger Sonntag“, versuchte er Anna aus der Reserve zu locken. Aber diese ließ sich nicht stören und war schon fast fertig mit Essen. Josef merkte, dass er auch besser essen sollte, um Anna nicht zu verärgern. „Das hast du wieder gut hingekriegt“ versuchte er sie zu loben. „Du bist schon eine gute Köchin“ sagte er und sah sie an. Anna kannte diese zwei Sätze seit Jahrzehnten, freute sich aber immer wieder zu hören. Beide waren satt. Josef hatte sich noch zwei Kartoffeln auffüllen lassen, um die Soße restlos vom Teller zu tilgen. Anna stand auf, nahm die Schüssel zur Hand und begann für die Katze und dem Hund das Essen zu bereiten. Beide hatten es gut bei den Alten.

Josef saß noch immer auf seinem Stuhl und versuchte aus dem Fenster zu sehen. Die Scheiben waren aber immer noch vollständig beschlagen, so dass er nur Umrisse sehen konnte.

Der Kessel mit dem Wasser für den Abwasch fing an, sich wieder zu melden und dampfte vor Ungeduld in die Küche. Anna hatte wieder zu tun. Josef hatte die Hände zusammen gefaltet auf den Tisch gelegt und sah ihr zu.

„Morgen holen uns die Kinder ab, der Martin hat ja Geburtstag, das weißt du ja, nicht“? „Wann denn“? Na so zum Kaffee. Ich muss aber noch was besorgen. Da fahr ich gleich morgen früh los und bin ein einer Stunde wieder da“. Warum sie mir nicht sagt, dass sie in den Dorfkonsum fährt, verstehe ich nicht, dachte Josef. Mehr Möglichkeiten sind ja nicht vorhanden. Obwohl..., vielleicht fährt sie ja auch mit den Nachbarn in die nächste Stadt, wo es mehrere Geschäfte für alles Mögliche gibt. „Ich werde nicht fragen“, dachte er bei sich. Sie wird es mir ja doch gleich verraten.

„Hast Du was dagegen, wenn ich morgen früh mit Else und Heinz nach Satow fahre“? Hab ich doch gewusst, dachte Josef. „Nein, hab ich nicht, fahr mal ruhig und bringe mir auch was mit, was Schickes“. Er wusste nur zu gut, dass es Anna nicht leicht fiel, für ihn etwas zu besorgen. Dabei hatte er nie ungewöhnliche Wünsche. Mal eine Zigarre, mal ein wenig Schnupftabak. Meistens war es aber nicht der Richtige. „Ob du mitkommen willst“? Anna fragte nun schon zum zweiten Mal. „Nein, nein, ich hab sowieso noch zu tun“. „Ach so, was denn“? Na .. mhm, also draußen, da muss ich noch was richten, hat der Sturm kaputt gekriegt“.

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