Die Jägerin - Die Anfänge (Band 1)

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Die Jägerin - Die Anfänge (Band 1)
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Nadja Losbohm

Die Jägerin - Die Anfänge (Band 1)

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1. Der Entschluss

2. Das Interview

3. Warum bin ich nur immer so höflich?

4. Der heilige Michael?

5. Ich leuchte

6. Noch kannst du es beenden

7. Ein Techtelmechtel in der Telefonzelle

8. Mein Ururururgroßvater

9. Keine Flüche, keine Schimpfwörter

10. Das Getrappel kleiner Füßchen

11. Der Unterricht beginnt

12. Frischluft-Koller

13. Mangelndes Bewegungstalent

14. Stille Tränen in der Kirche

15. Triumph über Pater Michael

16. „Sie haben geflucht, Pater!“

17. Die Verlegenheit des Paters

18. Ich könnte kotzen!

19. Die Ada-Welt

20. Weihrauch und Latein

21. Tackern Sie sich ihre Kleidung enger!

22. Schneewittchen und die Angst vor den 7 Zwergen

23. Pater Michaels Sehnsucht

24. Wie soll ich vergeben, wenn mir nicht vergeben wurde?

25. Komm raus, komm raus, kleines Monster!

26. Tänzer und tödliche Maschine

27. Zu langsam

28. Mir ist langweilig!

29. Ich möchte dich nur für einen Moment festhalten

30. Zweifel

31. Darf ich dich Mike nennen?

32. Möchtest du, dass ich bleibe?

33. Narben der Vergangenheit

34. Ich zähle nicht zur Kategorie normalerweise

35. Endlich wieder ein Kaffeekränzchen

36. Die Entscheidung

37. Die Sünde des Paters

38. Der Weg unter die Oberfläche

39. Schmerzende Worte

40. Sightseeing

41. Ein schwieriger Fall

42. Ein verlorener Kampf

43. Abschied

Impressum neobooks

Prolog

Verbirg mich vor der Schar der Bösen,

vor dem Toben derer, die Unrecht tun.

Sie schärfen ihre Zunge wie ein Schwert,

schießen giftige Worte wie Pfeile,

um den Schuldlosen von ihrem Versteck aus zu treffen.

Sie schießen auf ihn, plötzlich und ohne Scheu.

Sie sind fest entschlossen zu bösem Tun.

Sie planen, Fallen zu stellen,

und sagen:

„Wer sieht uns schon?”

(Die Bibel, 2. Buch der Psalmen, Psalm 64, 3-6)

Der Schein des Mondes war so hell. Man brauchte gar keine anderen Lichter, die einem den Weg leuchteten. Es war Vollmond. Und Vollmondnächte waren die schlimmsten Nächte. Da drehten alle Geschöpfe irgendwie durch.

Und warum wurde immer zur gleichen Zeit an mehreren verschiedenen Stellen gebaut?

Grr! Ich hasse diese Stadt, schoss es mir durch den Kopf, als ich in die Hauptstraße bog, die von vorn bis hinten und von links nach rechts aufgerissen worden war. Ich lief im Slalom um die rot-weiß gestreiften Signalpfosten herum, hüpfte über Absperrbänder und sprang im letzten Moment über eine metertiefe Baugrube hinüber. Wie eine Katze landete ich in einem Haufen aus Sand, der hinter der Grube lag. Er war feucht vom Nieselregen, der schon die ganze Nacht vom Himmel herunterkam. Der Sand klebte an meinen Händen und den Schuhen. Ich freute mich jetzt schon darauf, die getrockneten Verkrustungen im Tageslicht zu sehen. Aber ich hatte keine Zeit, um mich länger darüber zu beklagen. Ich musste das Monster weiter jagen, das vor mir und meinem Schwert auf der Flucht war. Es war immer das Gleiche mit diesen Viechern. Sobald sie die Klinge sahen, gerieten sie in Panik und rannten davon. Und ich musste hinter ihnen her. Und ich hasse es zu rennen! Noch dazu war diese Kreatur so verflixt schnell, dass mir die Zunge bereits bis zu den Knien hing. Aber ich war niemand, der schnell aufgab. Wäre doch gelacht, wenn ich dieses Drecksvieh nicht erledigen könnte. Ha!

Das Monster raste auf allen vieren die gesperrte Straße entlang. Seine Glieder waren so dick wie Baumstämme und der Rücken so breit wie ein Schrank. Seine Haut war dunkelgrün und überall mit ekligen Pocken übersät, die aussahen, als würden sie gleich aufplatzen und mich mit einer stinkenden, giftigen Brühe übergießen.

Wieso gibt es eigentlich nie gutaussehende und wohl duftende Monster?, fragte ich mich plötzlich dabei.

Nun gut, es waren Ausgeburten der Hölle, und in der Hölle war es nun mal nicht schön. Im Nacken des Monsters saßen etliche Stacheln, die in ihrer Anordnung wie ein Kragen aussahen. Das Monster drehte seinen Kopf nach hinten und sah sich nach mir um. Ich winkte ihm fröhlich zu, um ihm zu signalisieren, dass ich immer noch guter Dinge war, es fertigzumachen. Seine gelben Augen stierten mich wild an. Es grunzte wie ein Schwein, was mir sagte, dass es nach unserer halbstündigen Hetzjagd durch meine Heimatstadt allmählich Probleme mit seiner Ausdauer bekam. Das Monster schaute wieder nach vorn, und in einem weiten Bogen sauste es um die Ecke. Ich sammelte alle meine noch verfügbaren Kräfte und folgte seinem Weg. Als ich um die Ecke gebogen war, blieb ich verblüfft stehen. Der Angsthase war weg! Einfach so! Wie vom Erdboden verschluckt.

Ich fragte mich, ob diese Viecher neuerdings gelernt hatten zu fliegen, hob verwundert den Kopf und suchte den Himmel über mir ab. Aber da gab es nichts weiter zu sehen als die matt leuchtenden Sterne, über denen ein feiner Schleier Smog hing.

Langsam tat ich einen Schritt nach dem anderen und schlängelte mich weiter durch die Baustelle. Ich duckte mich unter einem Absperrband hindurch. Ein Stapel Bretter versperrte mir die Sicht. Vorsichtig lehnte ich mich vor, um dahinter zu schauen. Aber wieder nichts. Von irgendwoher kam ein Knacken. Ich drehte mich um die eigene Achse, und meine Augen huschten hierhin und dorthin, konnten aber keinen Pockenhaufen entdecken. Ich lief ein paar Schritte rückwärts, und als ich mich wieder umdrehte, stieß ich mit der Heckklappe eines Lasters zusammen. Vor Schreck schrie ich auf. Als ich erkannte, was es war, musste ich hysterisch kichern.

Ada, altes Mädchen, du bist heute ganz schön schreckhaft!

Ich lief langsam und vorsichtig um das Gefährt herum. Ich duckte mich sogar, um darunter zu sehen, ob das Monster sich an der Unterseite festkrallte. Aber Fehlanzeige! Meine Geduld wurde ziemlich strapaziert. Solche Spielchen stahlen meine kostbare Zeit. Meine Wut auf diese Kreatur wurde immer größer.

Ich ließ den Laster hinter mir und sah vor mir eine längliche und schmale, aber tiefe Baugrube. Balken ragten aus ihr heraus, die die Seitenwände stabilisierten, und die gelben Signallichter blinkten mich an. Langsam schritt ich an der Grube entlang und versuchte, in der dunklen Tiefe etwas zu erkennen. Ich hatte die Hälfte schon hinter mir gelassen, als ich ein wohlbekanntes Grunzen vernahm.

 

Aha! Da haben wir dich endlich!

Mit der Spitze meines Schwertes deutete ich in die Grube. Ich wollte dem kleinen Monster ein bisschen Angst einjagen. Zu dumm nur, dass es sich so sehr erschreckte, dass es mit einem Satz aus dem Loch sprang. Dabei rammte es mich mit voller Wucht. Blödes Mistding!

Ich stürzte nach hinten und konnte gerade noch rechtzeitig meinen Fall mit den Händen abfangen. Der Schmerz schoss mir sofort über die Handflächen in die Gelenke und die Arme hinauf, bis hoch zu den Schultern. Ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich es nicht hatte kommen sehen. Ich hätte es wissen müssen nach allem, was ich schon erlebt hatte. Aber es dauerte nicht lang, und ich richtete meine Wut auf denjenigen, der sie mehr verdiente. Sollte es ruhig versuchen mich zu stoppen. Ich würde immer wieder aufstehen!

Ich wirbelte herum und starrte das Pockenmonster an. Es hockte wenige Meter entfernt von mir auf dem Asphalt und glotzte mich mit seinen gelben Augen an.

„Na, los! Bringen wir es zu Ende. Wir sind doch beide erledigt, meinst du nicht?“, sprach ich und ließ das Schwert in meiner Hand kreisen.

Das Monster grunzte zurück. Ich deutete das als Einverständnis.

Ich stürzte geradewegs auf es zu. Das Ding hatte nicht genug Zeit, um zu realisieren, was geschah und starrte nur auf seine Pockenbrust, in der das Schwert steckte. Mitten in seinem Herzen. „Hättest du mich nicht die ganze Zeit rennen lassen, wäre ich vielleicht netter zu dir gewesen“, flüsterte ich ihm zu und zog das Schwert wieder aus der todbringenden Wunde. Mein Schatz war über und über besudelt. Irgh, eklig!

Als ich das sah, wurde ich nur noch wütender auf das Monster und sah zu ihm auf. Es stand immer noch da und glotzte mich fassungslos an. Mein Gesicht verzog sich vor Ärger. Wieso fiel es nicht einfach tot um?

„Nein. Ich wäre auch dann nicht nett zu dir gewesen, selbst wenn du mich nicht hättest rennen lassen“, sagte ich und gab dem Ekelpaket einen Schubs. Mit einem merkwürdigen Quieken fiel es nach hinten über, und ich verspürte endlich Genugtuung. Wer mich rennen ließ und auch noch mein Schwert beschmutzte, musste bestraft werden.

So einfach war das in meiner kleinen Ada-Welt.

1. Der Entschluss

Meine Schimpftiraden hatten immer noch kein Ende gefunden, als ich durch das Portal der Kirche getreten war. „Blödes Drecksvieh! So ein widerliches, dummes, ekliges, stinkendes, hässliches Mistding!“, murmelte ich und lief mit stampfenden Schritten hinunter in die Abgründe meines Zuhauses. Mein Kopf rauchte nahezu von meiner Wut, und am liebsten hätte ich irgendetwas zerdeppert. Aber ich wusste, dass ich dann Ärger von ganz oben bekommen würde. Also schimpfte und meckerte ich weiter vor mich hin, um wenigstens ein bisschen von dem Dampf abzulassen, der in meinem Innern brodelte. Schließlich erreichte ich den Raum, zu dem ich gelangen wollte: das Labor. Hier lagerten meine Waffen, und jetzt wollte ich sie einfach nur noch loswerden.

Ich blubberte immer weiter vor mich hin und nahm Pater Michael, der in dem Raum war und an etwas bastelte, kaum wahr.

„Ah, du bist wieder zurück.“

Ich wirbelte herum und sah ihn finster an.

„Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte er und starrte mich schuldbewusst an. Auf dem schwarzen Stoff seiner Soutane entdeckte ich Holzstückchen und Hobelspäne.

Er werkelt also wieder an den Kruzifixen, dachte ich. Ich kehrte ihm wieder den Rücken zu und fing an, mein Schwert zu schrubben. „Diese blöden Monster! So was Ekliges und Widerwärtiges“, grummelte ich, ohne auf seine Frage zu antworten.

„Deiner Laune nach zu urteilen, war es keine gute Nacht“, hörte ich die Stimme des Paters plötzlich näher bei mir sagen.

Ich schielte nach rechts und sah aus dem Augenwinkel, dass er fast neben mir stand. „Tss! Es war zumindest keine gute Nacht für die Monster. Für mich war es aber eine. Aber ich hasse es, wenn das passiert!“, sagte ich mit Verachtung und streckte ihm das immer noch verschmierte Metall entgegen.

Pater Michael zuckte vor der scharfen Klinge zurück. „Bitte, richte es nicht auf mich, Ada. Nicht ich war es, der es besudelte“, meinte er und schob das Schwert mit der Hand beiseite, sodass es nun ins Nichts deutete.

Verärgert murmelte ich weiter vor mich hin und rieb an der Klinge herum. Ich wollte mein Schmuckstück schnellstens von dem Dreck befreien. „Das geht nicht so weiter, Pater“, sagte ich, als ich das Gröbste bereinigt hatte.

„Bitte, wie meinen?“, fragte er zurück und schaute mich erstaunt an.

„Ich kann das nicht mehr lange allein schaffen“, sagte ich ihm.

Pater Michael legte den Kopf schief und musterte mich eindringlich. Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Mhh, deine Vorgänger haben es auch allein geschafft“, bemerkte er.

Wütend funkelte ich ihn an. „Tja, meine Vorgänger waren Männer und nicht wie ich sch….“, begann ich zu erwidern.

Aber die erhobene Hand des Padres brachte mich zum Schweigen. „Ahahah! Sag es nicht!“, forderte er mich auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich hatte für einen Moment vergessen, dass wir diese gewisse Unannehmlichkeit, die uns noch ins kirchliche Haus bevorstand, nicht aussprachen. Ich seufzte und versuchte erneut, mein Anliegen in Worte zu fassen. „Ich schaffe es nicht mehr lange allein. Es muss etwas passieren.“

„Ich nehme an, dass du auch schon weißt, was passieren muss“, bemerkte der Pater und sah mich mit einem süffisanten Lächeln an.

„Ja, allerdings“, antwortete ich und legte das blitzblanke Schwert zurück in sein Bettchen aus Samt und Glas. „Ich gehe an die Öffentlichkeit“, verkündete ich und wandte mich zum Padre um.

Er glotzte mich mit großen Augen an. Sein Mund stand offen, so entsetzt war er über meine Aussage. Er brauchte einige Zeit, um die Sprache wiederzufinden. „Oh nein, Ada! Auf. Gar. Keinen. Fall!“, erwiderte er, wobei er jedes einzelne Wort extra scharf betonte und dazu noch heftig seinen dunklen Haarschopf schüttelte.

„Oh, doch! Das werde ich. Ich habe keine andere Wahl. Es gibt leider keine weiteren Jäger, die meine Arbeit mit erledigen könnten, wenn ich eine Zeit lang ausfalle wegen dieser Sache…du weißt schon“, sagte ich und wackelte mit den Augenbrauen. Ich stocherte nur zu gern in der Wunde herum, und mit großer Belustigung sah ich, wie sich sein Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse verzog.

Pater Michael warf mir einen warnenden Blick zu. „Vorsicht, Ada, du solltest mich nicht reizen!“

Tss, das würde mir im Traum nicht einfallen, dachte ich grimmig. „Du siehst doch sicher ein, dass die Menschen beschützt werden müssen?“, fragte ich ihn. Er nickte umgehend. „Und wenn ich nicht auf Patrouille gehen kann, wer soll die Menschen dann vor dem beschützen, was in der Dunkelheit auf sie lauert?“

Der gute Pater hatte keine Antwort parat. Genau wie ich bereits vermutet hatte. „Wenn ich sie nicht beschützen kann, dann müssen es die Menschen selbst tun. Sie müssen gewarnt werden, damit sie eine Chance haben.“

Pater Michael presste die Lippen fest aufeinander, sodass nur noch ein schmaler Streifen zu sehen war. Er wollte etwas entgegnen, aber er wusste auch, dass ich Recht hatte. Also schwieg er und nahm mir lieber die Pistole mit den Silberkugeln mit Samthänden ab, bevor ich sie an ihm ausprobieren konnte.

2. Das Interview

Klopf, klopf.

„Ist das Teil an? Okay, dann fangen wir mal an“, sagte der Reporter und sah mich erwartungsvoll an.

Es war fünfzehn Uhr nachmittags, und ich saß auf einer unbequemen Holzbank im Mittelschiff der Kirche. Mir gegenüber der Reporter Dan Meyers. Er war einer von diesen Schickimicki-Typen, die ich nicht leiden konnte. Seine braunen Haare glänzten von dem Gel, das er sich heute Morgen hinein geschmiert hatte. Seine Zähne blendeten mich, so weiß waren sie durch unzählige Bleaching-Sessions bei seinem Privatzahnarzt. Das Gesicht war glatt rasiert, und seine Haut war dunkelbraun von unendlichen Solarium-Besuchen. Ich hatte nie verstanden, wie sich die Leute so etwas antun konnten. Aber zum Glück liegen die Schönheitsideale bei jedem Menschen anders. Hätte man mich gebeten, sein Alter einzuschätzen, hätte ich es nicht gekonnt. Aber durch meine Recherchen wusste ich, dass er dreiundvierzig Jahre alt war und krampfhaft versuchte, sich jünger erscheinen zu lassen.

„Und wie soll ich anfangen?“, wollte ich wissen.

Er legte den Kopf schief. „Vielleicht sagen Sie als erstes einfach, wie Sie heißen, wie alt Sie sind und was Sie beruflich machen.“

Ich nickte und rutschte nervös auf meiner Bank herum. Ich fühlte mich wie in einer Selbsthilfegruppe, in der ich mich an meinem ersten Tag outete. „Also gut. Nun, ich heiße Ada Pearce, bin vierundzwanzig Jahre alt und arbeite als Vampirjägerin und Monsterschreck.“ Als die letzte Silbe in dem Raum verklungen war, glotzte mich der Reporter durch seine Brille erstaunt an. Was hatte er erwartet, was er hier hören würde? Ein Märchen von guten Feen, die in einem rosa Wunderland herumschwirren und nur mit ihrem Feenstab etwas fuchteln müssen und schon ist alles wieder in Ordnung? Blödsinn! So etwas gibt es nicht! Aber ich kann erzählen, was es wirklich gibt. Gruselige Missgeburten, mit zwei Köpfen, mehr als dem üblichen Augenpaar, deren Haut übersät mit Pocken ist und stinkt wie mein Hausmüll, wenn der bei 30 Grad Celsius im Schatten in seiner Plastiktüte vor sich hin fault. Es gibt Vampire in dieser Stadt, die im Schutz der Dunkelheit nach Beute jagen. Auch hinter mir sind sie her.

Ich machte eine bedeutungsschwangere Pause, damit der Reporter diese Neuigkeit erst einmal verdauen konnte. Er glotzte mich aber nur weiter ungläubig an. Ich rutschte erneut nervös auf der Bank herum und fügte dann mit einem unsicheren Lächeln hinzu: „Na ja und dann sind da noch die üblichen Verrückten, die sich für eben solche Geschöpfe der Hölle halten.“

Der Reporter lachte kurz auf, wurde aber sofort wieder ernst und lehnte sich nach vorn. „Also, ehrlich, Miss Pearce. Glauben Sie im Ernst, ich nehme Ihnen irgendetwas davon ab? Ich bitte Sie! Pockenmonster und Vampire? Zuletzt habe ich darüber in einem Buch gelesen, das meiner vierzehnjährigen Nichte gehörte.“

Ich konnte nicht anders und ahmte diesen schmierigen Kerl nach. Auch ich lehnte mich nach vorn und lächelte ihn süffisant an. „Also ehrlich, Mister Meyers. Können Sie wirklich so dumm sein und nicht daran glauben? Was denken Sie wohl, woher die Autoren ihre Ideen herhaben, mhh? In jeder Legende steckt immer ein Funken Wahrheit. Oh, ich liebe diesen Spruch“, seufzte ich und fasste mir theatralisch ans Herz. Nach einer kurzen Schwärm-Phase für Pater Michaels Zitat, blickte ich den Mann mir gegenüber an. „Seien Sie nicht blöde, Mann! Wenn Sie etwas noch nie gesehen haben, bedeutet es nicht, dass es nicht da ist! Ich habe Ihre Artikel gelesen, in denen Sie sich über die Monster unter Kinderbetten und in Schränken ausgelassen haben. Ich weiß, dass Sie sich oft über diese Ammenmärchen lustig gemacht haben, und genau deshalb habe ich Sie für dieses Projekt ausgewählt“, sagte ich und deutete mit einem abgebrochenem Fingernagel auf ihn. „Es wird Zeit, dass die Bevölkerung von der Gefahr erfährt, die in unseren Straßen lauert!“ Ich setzte mich wieder zurück und suchte nach einem Anzeichen dafür, dass der Reporter die Flucht ergreifen wollte. Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich erwartungsvoll zurück.

Ich nickte nur kurz und sagte: „Ich erzähle Ihnen meine Geschichte. Und wenn Sie mir dann immer noch nicht glauben, nehme ich Sie gern einmal mit auf eine meiner Touren und zeige Ihnen, was sich unter den Steinen unter unseren Füßen befindet.“ Mein Gesicht verzog sich bei diesen Worten zu einem diabolischen Grinsen. Und ich war zufrieden, als ich sah, wie der Reporter mit großen Augen auf den grauen Stein unter uns blickte und angsterfüllt an seinem Kragen herumfingerte, um den Knoten seiner Krawatte zu lockern.

3. Warum bin ich nur immer so höflich?

Wir sind hier in der St. Marys Kirche. Als ich in das Wohnhaus gleich nebenan einzog, wusste ich noch nicht, was unter ihren Mauern im Verborgenen liegt. Für mich war es eine Kirche wie jede andere auch. Das Einzige, was mir neu war, war die Tatsache, dass sie nicht von jedem x-beliebigen Menschen betreten werden konnte. Nur Gemeindemitglieder dürfen hinein und auch nur an Sonn- und kirchlichen Feiertagen. Ich war nicht religiös und Sonn- und Feiertage bedeuteten für mich nur eines: Ausschlafen! Daher schenkte ich der Kirche kaum Beachtung. Meine Wohnung war wesentlich interessanter. Ich liebte sie. Sie war nicht besonders groß und nicht luxuriös eingerichtet. So was brauchte ich nicht. Ich hatte mir das Geld für die Möbel mühsam zusammengespart und war stolz darauf, dass die Einrichtungsphase nach fast drei Jahren endlich vollendet war und ich meinen einundzwanzigsten Geburtstag in Ruhe feiern konnte. Nun ja, ich feierte ihn allein. Ich machte mir auch selbst ein Geschenk und hatte mir über das Internet ein paar echt tolle T-Shirts bestellt, die ich schon seit einer Ewigkeit hatte haben wollen. Ich wartete schon einige Zeit darauf und lauerte jeden Tag auf den Lieferanten. Als es dann soweit war, war ich natürlich nicht zu Hause. Als ich an meinen Briefkasten ging, fischte ich zahlreiche Werbeflyer und Gratiszeitungen heraus. Zwischen zwei Menükarten für Pizza und Vietnamesisch fand ich schließlich die Infokarte, die mir sagte, dass mein Päckchen bei einem Nachbarn auf mich wartete. In dieser Hinsicht hatte ich Glück, denn es hatte jemand das Päckchen angenommen. Das war nicht immer so. Für gewöhnlich ließen die Nachbarn ihre Türen verschlossen. Sie wollten in Ruhe gelassen werden. Als ich aber den Namen las, bei wem ich mich melden sollte, zog ich einen Flunsch. Es war Mister Hawk. Dieser grimmige Kerl? Och, nöö!

 

Ich begegnete eigentlich selten jemandem aus dem Haus. Und Mister Hawk war jemand, dem ich auch nicht gern über den Weg lief. Er war ein verschrobener alter Mann. Ich hasste es, wie er mich von oben bis unten musterte, wenn wir uns im Fahrstuhl begegneten. Er tat das auch stets völlig ungeniert, während ich mich immer versteifte und in die hinterste Ecke drängte. Ich mochte ihn nicht!

Ich schaute auf meine Uhr und seufzte. Verdammt! Es war schon kurz vor halb zehn Uhr abends! Da kann man doch nicht bei Fremden klingeln. Und schon gar nicht bei dem Miesepeter! Ich musste also wohl oder übel bis zum nächsten Tag warten.

Am nächsten Morgen wartete ich bis elf Uhr. Ich dachte, das wäre eine vernünftige Zeit. Zwischen Frühstück und Mittagessen. Dann lief ich die Treppen hinunter bis zu Mister Hawks Etage. Treppe runter war für mich in Ordnung. Aber Treppe rauf… da nahm ich lieber den Fahrstuhl. Ich drückte auf den Klingelknopf und die wohlbekannte Melodie ertönte, die bei allen Mietern im Haus einprogrammiert war. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich endlich hinter der Tür Geräusche hörte, die mir sagten, dass Mister Hawk herankroch. Schon bei dem Gedanken an ihn schüttelte es mich.

Er schloss das Sicherheitsschloss auf, löste die Sicherheitskette und drehte dann den Schlüssel vom Wohnungstürschloss herum. Mit einem Knarren öffnete sich die Tür einen Spalt weit und ein großes, rundes graues Auge glotzte mich an. Sofort musterte es mich wieder von oben bis unten.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Guten Tag, Mister Hawk. Bei Ihnen wurde ein Päckchen für mich abgegeben. Ada Pearce“, sagte ich und zeigte ihm meine Infokarte vom Paketdienst. Er grummelte etwas vor sich hin. Ich beugte mich vor und fragte: „Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?“

Die Tür öffnete sich etwas weiter und seine gesamte Gestalt trat in Erscheinung. Ich bekam im wahrsten Sinne des Wortes einen hervorragenden Blick auf seine große Nase, auf deren Spitze eine Warze saß, bei der es mir vorkam, als würde sie mich jeden Moment anspringen wollen. Er hatte schmale Lippen, die von zahlreichen tiefen Falten umgeben waren. Von seinen weißen Haaren war nur noch ein Kranz übrig. Die Stirn hatte sich bis zum Hinterkopf verlängert. Er trug ein hellbraunes langärmeliges Hemd und eine blattgrüne Weste. Diese Auswahl an Farben passte so gar nicht zusammen und schrie geradezu nach der Mode-Polizei. Dazu hatte er eine schwarze Hose gewählt, und an den Füßen saßen dunkelrote Puschen. Das Schickste an ihm war noch der Stock, auf den er seine gebeugte Gestalt stützte.

„Es ist etwas schwer. Ich kann es Ihnen nicht reichen. Sie müssen es sich selbst nehmen“, wiederholte er sich. Mister Hawk trat beiseite und deutete in eine Ecke. Ich betrat seinen Flur und sah sofort mein Päckchen. Es war tatsächlich etwas schwerer. Hatte ich denn wirklich so viel bestellt? Ich klemmte es mir unter den Arm, bedankte mich artig bei Mister Hawk, dass er das Päckchen angenommen hatte, und verließ seine Wohnung. Ich wollte nicht noch länger in dieser Gruselgruft bleiben.

„Miss Pearce?“

Verdammt! Was denn noch?

„Ja?“, fragte ich und drehte mich mit einem aufgesetzten Lächeln zu ihm um.

„Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?“

„Ja, sicher!“

Blöde Kuh! Warum musst du so nett sein?

„Meine Hände sind zittrig und schwach. Es wird in der Gemeinde gerade wieder für Bedürftige gesammelt, und ich habe eine Kiste mit Kleidern von meiner verstorbenen Frau, die in die Kirche hinübergetragen werden müsste. Könnten Sie das vielleicht machen?“, bat er mich.

Ich hatte ja schon zugesagt. Für einen Rückzieher war es jetzt zu spät.