Die Totenbändiger - Band 5: Hinterhalt

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Aus der Reihe: Die Totenbändiger #5
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Die Totenbändiger - Band 5: Hinterhalt
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Table of Contents

Hinterhalt

Was bisher geschah

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Vorschau

Impressum

Die Totenbändiger

Band 5

Hinterhalt

von Nadine Erdmann


Was bisher geschah


Die Wahl der Repräsentanten, die sich bei den Gilden Londons für einen Platz der Totenbändiger einsetzen sollen, hat stattgefunden. Sue wurde zwar nicht zur Repräsentantin für die Medizinergilde gewählt, aber man bittet sie, die Gilde der Lehrer und Erzieher zu übernehmen.

Cornelius Carlton wurde zum Repräsentanten für die Gilde der Industriellen gewählt. Ungeachtet seines Wahlsiegs sinnt er auf Rache, da Gabriel, Sky und die Ghost Reapers ihm auf der Gildenversammlung in die Parade gefahren sind und eine Kontrolle der Vorgänge in der Akademie durchgesetzt haben. Er stellt Nachforschungen über Sues Familie sowie die Ghost Reapers an.

Währenddessen wird Cam weiter von Topher und Emmet schikaniert. Aus Rache für die Anzeige bei der Polizei versucht Topher, Cam einen Ladendiebstahl in die Schuhe zu schieben. Außerdem spannt er zwei Mitschülerinnen ein, die in der Schule das Mobbing für ihn übernehmen. Cam wird im Materialkeller eingeschlossen. Enge und Dunkelheit lösen bei ihm eine Panikattacke aus, die zu einem Flashback führt: Zum ersten Mal erinnert er sich an seine Gefangenschaft in der Holzkiste.

Jules und Ella müssen ebenfalls erkennen, dass ihre Mitschüler ihnen bisher nicht ihre wahren Gesichter gezeigt haben. Jules bekommt Stephens Einfluss in der Schule zu spüren, als der ihm einen Denkzettel dafür verpasst, dass die Hunts Topher angezeigt haben. Jules hält zu Cam und wendet sich von Stephen und dem Basketballteam ab.

Teagan verlangt von Ella zu Äquinoktium ein Video, in dem sie mit Jaz einen Geist bändigt. Da Ella und Jaz es ablehnen, weil es zu gefährlich wäre, droht Teagan ihnen, sie in der Schule schlechtzumachen.

Gabriel, Sky und Connor werden zu einem Einsatz in einer Seniorenwohnanlage gerufen, wo sie mehrere Leichen vorfinden, die anscheinend von einem Wiedergänger getötet wurden. Vieles am Tatort ist allerdings seltsam, nicht zuletzt das Verhalten des Wiedergängers selbst. Als die drei gemeinsam mit Thad die Bestie aufspüren und vernichten, wird Gabriel verletzt. Noch in derselben Nacht erfahren sie, dass die Wohnanlage in Flammen steht.

Kapitel 1


Freitag, 20.September

Brandgeruch hing in der Luft, als Sky und Connor zur zerstörten Wohnanlage der Elderly Flowers liefen. Sie hatten hinter dem Ring aus Reportern aber außerhalb des Zauns der Anlage geparkt, weil sich im Inneren bereits etliche Autos von Feuerwehr und Polizei, Leichenwagen, Vans der Forensiker, ein Baustellenfahrzeug und etliche zivile Wagen von Kollegen, Statikern und Brandursachenermittlern quetschten. Ein Constable hielt am Tor Wache, ließ Sky und Connor aber mit einem knappen Nicken passieren, als sie ihre Dienstausweise zeigten.

»Himmel«, murmelte Sky betroffen, als sie zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Katastrophe sah.

Die schmucken Bungalows, die um eine Grünanlage mit Seerosenteich und liebevoll gepflegten Büschen und Beeten angesiedelt waren, waren kaum wiederzuerkennen. In der letzten Nacht hatten die zehn Häuser im Schein von nostalgischen Laternen gelegen und hätte es nicht die übel zugerichteten Leichen der Bewohner gegeben, wäre die Elderly-Flowers-Wohnanlage das perfekte Idyll gewesen. Jetzt sah es so aus, als wären Brandbomben in die Häuser eingeschlagen. Fenster und Türen waren herausgeflogen, Dächer halb eingestürzt und von zwei der Bungalows stand kaum noch mehr als die Außenmauern. Alle Häuser wiesen massive Brandspuren auf. Vereinzelt stieg sogar noch immer Rauch aus den Ruinen und verkohlte Deckenbalken ragten in den trüben Morgenhimmel. Die Vorgärten waren ebenfalls ein Opfer der Flammen geworden oder mit Asche und Trümmern verwüstet. Schmutzige Löschwasserpfützen zogen sich über die Straße. Feuerwehrleute untersuchten in Teams die Häuser, um letzte Glutnester zu finden und die Toten zu bergen. Gerade wurden zwei Leichensäcke in einen Van geladen, die in die Gerichtsmedizin gebracht werden sollten.

Sky schluckte. »Stell dir vor, wir wären noch hier gewesen, als das alles in die Luft geflogen ist.«

»Nein, das stelle ich mir lieber nicht vor«, gab Connor zurück. Auch ihm ging der Anblick nahe.

»Hey ihr zwei!« Chief Inspector Darrow stand mit Theo und einem stämmigen Mann, der die Uniform der Brandermittler trug, vor der Ruine von Haus Nummer 8 und winkte sie zu sich. »Da seid ihr ja schon. Geht es euch gut?« Er musterte die beiden, als sie zu ihnen herüberkamen.

Sky mochte Darrow. Er stand kurz vor der Pensionierung und seine Jahre als leitender Ermittler bei der Mordkommission hatten ihn zu einem aufmerksamen Beobachter gemacht, dem nicht viel entging. Außerdem war er trotz all der Gräueltaten, die er im Laufe seiner Dienstjahre hatte aufklären müssen, nicht abgestumpft oder verbittert, sondern immer noch voller Mitgefühl und bei jedem neuen Fall festentschlossen, ihn zu lösen und den Opfern und ihren Angehörigen Antworten und Gerechtigkeit zu bringen.

»Ja, wir sind okay«, antwortete Connor. »Danke der Nachfrage.«

»Und Gabriel?«

»Er wird wieder«, versicherte Sky. »Aber er darf erst nächste Woche zurück in den Dienst.«

Theo schnaubte, sagte aber nichts, als er sich einen herausfordernden Blick von Sky einfing.

»Sie gehören zu der Spuk Squad, die letzte Nacht hier den Tatort sichern sollte?« Der Blick des Brandermittlers, glitt kurz über die Totenbändigerlinien an Skys Schläfe.

Sky nickte.

»Das sind die Sergeants Hunt und Fry«, stellte Darrow sie vor. »Das ist Chief Etheridge von der Abteilung für Brandursachenermittlung.«

Sky schätzte ihn auf Anfang fünfzig.

»Es tut mir leid, dass einer aus Ihrem Team verletzt wurde. Gut zu hören, dass es nichts Ernsteres ist.«

»Danke, Sir. Können Sie schon sagen, wie es zu dem Feuer gekommen ist?«, fragte Connor.

»Es war Brandstiftung. Den bisherigen Ermittlungen nach wurden die Leichen in den Häusern mit einem Brandbeschleuniger übergossen und angesteckt. Zusätzlich wurden in den Küchen die Gasherde aufgedreht, was zu den Explosionen geführt hat.«

»Durch das Anzünden der Leichen sieht es für uns so aus, als wäre den Tätern wichtig gewesen, Beweise an den Toten zu vernichten«, sagte Darrow. »Denkbar wäre zwar auch, dass jemand die Identitäten der Toten verschleiern wollte, doch bisher sehen wir keinen Grund zu der Annahme. Trotzdem lassen wir die Identitäten natürlich von der Gerichtsmedizin überprüfen. Die Leichen sind zwar stark verbrannt, aber DNA-Tests sollten hoffentlich noch möglich sein. Für uns wäre jetzt aber vor allem wichtig zu wissen, wie ihr die Anlage hier gestern Abend vorgefunden habt. Eure Tatortfotos haben wir bereits gesehen, aber es scheint nur welche aus den ersten drei Häusern zu geben.«

Sky nickte und deutete zu den gegenüberliegenden Bungalows. »Wir waren im Haus Nummer 1 und fanden dort drei Leichen, von denen wir denken, dass es Humphrey und Patricia Townsend waren sowie Stanley Cooper, einer der beiden Pförtner. Cooper war äußerlich unverletzt, daher liegt die Vermutung nahe, dass er von den Geistern der Townsends getötet worden ist. Die Leichen der Townsends dagegen wiesen Anzeichen eines Angriffs durch einen Wiedergänger auf. Gleiches galt für die Leichen, die wir in den beiden Nachbarhäusern Nummer 2 und Nummer 3 gefunden haben.«

 

»Bevor wir die Anlage weiter systematisch untersuchen und die Geister der Toten bändigen konnten, hörten wir jemanden in Haus Nummer 8 randalieren«, übernahm Connor und wies auf die Ruine des Bungalows, vor dem sie gerade standen. »Wir haben nachgesehen und sind dabei auf einen Wiedergänger gestoßen, der wie von Sinnen war. Wir konnten ihn zwar vernichten und seinen Geist bändigen, aber da Gabriel dabei verletzt wurde, mussten wir die Wohnanlage danach verlassen, um ihn medizinisch versorgen zu lassen.«

Darrow nickte verständnisvoll.

»Ist Ihnen während der Untersuchung des Tatortes irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen, das uns zusätzliche Hinweise geben könnte?«, fragte Etheridge.

»Was den Brand angeht, leider nicht«, antwortete Sky bedauernd. »In den Häusern, in denen wir uns aufgehalten haben, gab es keinerlei Gasgeruch, und die Leichen waren auch nicht mit Brandbeschleunigern übergossen worden. Das hätten wir gemerkt und entsprechend Meldung gemacht. Wer immer hier alles in Brand gesteckt hat, ist erst nach uns hier gewesen.«

»Dann muss er es aber ziemlich knapp abgepasst haben«, klinkte Theo sich ins Gespräch ein und scrollte durch die Informationen auf seinem Smartphone. »Thads Meldung über Gabriels Verletzung kam um kurz nach halb elf und der erste Notruf wegen des Feuers ging um kurz vor Mitternacht bei der Notrufzentrale ein.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf das Chaos in der Wohnanlage. »Wer immer das hier vorbereitet hat, muss also kurz nach euch gekommen sein und verdammt schnell gearbeitet haben, um die Gasleitung zu manipulieren und in allen zehn Häusern die Leichen zu übergießen und anzuzünden.«

Sky war nicht oft mit Theo einer Meinung, aber hier musste sie ihm ausnahmsweise mal zustimmen. »Das klingt wirklich verdammt knapp. Könnte das ein Täter alleine überhaupt bewerkstelligen?«, fragte sie an Etheridge gewandt. »Wenn er das Feuer im ersten Haus entzündet, hätte er dann genug Zeit, um in allen anderen Häusern ebenfalls noch Feuer zu legen, bevor im ersten alles durch das Gas in die Luft fliegt?«

Etheridge nickte. »Wenn ein Zünder mit Zeitverzögerung oder Fernsteuerung eingesetzt wurde, könnte es durchaus nur eine Person bewerkstelligt haben. Allerdings müsste sie dann trotzdem sehr schnell gearbeitet und genau gewusst haben, was sie tut, denn zehn Häuser in dieser kurzen Zeit zu präparieren, ist tatsächlich eine Leistung.«

»Haben Sie denn in den Trümmern entsprechende Vorrichtungen gefunden, die auf zeitverzögerte oder ferngesteuerte Zünder hindeuten?«, erkundigte sich Connor.

»Bis jetzt noch nicht. Aber meine Leute werden alles genau untersuchen. Sollten wir etwas Aufschlussreiches finden, melden wir uns bei Ihnen, und natürlich bekommen Ihre Abteilungen unseren Bericht.«

Da Sky und Connor keine hilfreichen Informationen zum Brand beisteuern konnten, verabschiedete Etheridge sich und kehrte zu seinem Team zurück, um sich auf den neusten Stand der Dinge bringen zu lassen.

Als er ging, tauchte Thad am Tor auf und kam zu den vieren herüber. Aufgrund der Vorfälle der letzten Nacht hatte er bei ihrem Commander Bericht erstatten müssen.

»Wie war es bei Pratt?«, fragte Sky.

»Er nimmt unsere Squad als Team außer Dienst, bis Gabriel wieder einsatzbereit ist. Uns so kurz vor Äquinoktium nur zu dritt gegen Seelenlose vorgehen zu lassen, ist ein Risiko, das er nicht bereit ist, einzugehen.«

»Vernünftig«, meinte Darrow.

Thad nickte. »Er will das jetzt auf Stadtratsebene eskalieren lassen, damit wir endlich Verstärkung bekommen.«

Theo schnaubte. »Ich hoffe, das gilt auch für andere Abteilungen und nicht nur für die Spuk Squad. Ich muss jetzt schon seit über einer Woche in der Mordkommission einspringen.«

Darrows eigentlicher Partner war bei der Renovierung seines Hauses von einer Leiter gestürzt und fiel wegen eines gebrochenen Beins noch mindestens zwei Monate für den Außendienst aus.

»Vor Beginn der dunklen Jahreszeit will ich zurück in den Innendienst. Dafür habe ich mich schließlich beworben, nicht fürs Aufklären von Mordfällen.«

Thad bedachte Theo mit einem genervten Blick. »Ich lasse mir vielleicht später ein paar Tränen für dich kommen, okay? Vorher werden wir zwei uns mit Darrow diese Wohnanlage hier vornehmen und sie mit Hilfe der Statiker auf versteckte Kellerräume untersuchen.«

»Was?!«

Sky konnte sich nur mit Mühe ein schadenfrohes Grinsen verkneifen, als sie die Panik in Theos Augen aufflackern sah.

»Ich soll nach einem Keller suchen, in dem die alten Knacker hier vielleicht Geister und Wiedergänger gehalten haben?!«

»Exakt«, gab Thad zurück. »Pratt legt unsere beiden Teams zusammen, bis Gabriel zurück in den Einsatz darf. Solange ermitteln wir gemeinsam, was hier bei den Elderly Flowers passiert ist. Und eine Theorie, die überprüft werden muss, ist die, ob die Bewohner Geistersammler waren und ihnen ein paar der Biester gestern ausgebüxt sind.«

»Ein paar?«, hakte Theo nach und machte keinen Hehl daraus, was er davon hielt. »Das klingt so, als müssten wir damit rechnen, dass da noch mehr sein könnten.«

»Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Aber keine Sorge.« Thad zog einen Rucksack von seiner Schulter, holte zwei Auraglue-Waffen, Nachfüllkartuschen sowie zwei Magazine mit Silberkugeln heraus und reichte sie Theo und Darrow. »Ihr bekommt dafür die richtige Ausrüstung.«

Theo starrte ihn ungläubig an.

»Ja was?«, fragte Thad ungeduldig. »Im Notfall musst du nur zielen und schießen, genau wie bei menschlichen Angreifern. Das wirst du ja wohl auch als Innendienstler hinkriegen. Wenn du deine Schießprüfung nicht bestanden hättest, hätte Pratt dich kaum der Mordkommission zugeteilt. Also jammere jetzt hier nicht rum, sondern mach deinen Job.«

Wütend nahm Theo die neue Ausrüstung entgegen und warf einen finsteren Blick zu Sky und Connor. »Und das alles nur, weil Gabriel so blöd war, sich von einem Wiedergänger erwischen zu lassen. Ich wette, er musste nur mal wieder den Helden spielen und –«

»Gabriel hat den Helden nicht gespielt«, fiel Sky ihm schneidend ins Wort und musste sich zusammenreißen, um ihm keine reinzuhauen. »Er hat mir das Leben gerettet. Er ist also wirklich ein Held. Und du solltest jetzt besser deine armselige Klappe halten und nicht über Dinge reden, von denen du nicht den Hauch einer Ahnung hast, klar?«

Theo funkelte sie wütend an, doch bevor er etwas erwidern konnte, sagte Darrow: »Kinder, vertragt euch bitte. Wenn unsere Teams in diesem Fall zusammenarbeiten, könnt ihr euch nicht ständig gegenseitig an die Gurgeln gehen.«

»Das zu verhindern, dürfte schwer werden«, meinte Thad trocken. »Aber zum Glück haben wir ja verschiedene Spuren, denen wir nachgehen müssen.« Er wandte sich Connor und Sky zu. »Ihr zwei fahrt rüber zum Tower und seht zu, dass ihr dort mit einem der Wissenschaftler reden könnt. Vielleicht haben die eine Erklärung für das seltsame Verhalten des Wiedergängers – und für seine roten Augen.«

»Was?!«, schimpfte Theo sofort empört. »Warum soll ich hier nach einem geisterverseuchten Keller suchen, während die beiden irgendwelche harmlosen Wissenschaftler befragen dürfen? Es ist deren Job, in Keller zu kriechen und Geister zu killen, nicht meiner!«

»Du warst aber gestern Nacht nicht hier und hast den Wiedergänger nicht gesehen«, gab Sky genervt zurück. »Es macht mehr Sinn, dass Leute zum Tower fahren, die auch Ahnung von dem haben, wonach sie fragen, oder nicht?«

»Außerdem können wir dann gleich neue Ausrüstung für die nächsten Tage besorgen«, ergänzte Connor.

»Wofür braucht ihr denn Ausrüstung, wenn eure Squad außer Dienst ist?«, ätzte Theo.

»Nur weil wir nicht als Team in den Einsatz gehen können, heißt das nicht, dass wir nicht einzeln in Bereitschaft sind, falls eine andere Squad Unterstützung braucht«, knurrte Sky. »Spuk Squads helfen einander. Nennt man Teamwork und das kann Leben retten. Das ist aber vermutlich etwas, das ein Innendienst-Sesselfurzer wie du nicht nachvollziehen kann.«

Bevor das Wortgefecht noch weiter ausufern konnte, stieß Connor Sky gegen den Arm und wandte sich Richtung Tor. »Komm, wir gehen.« Zu Thad und Darrow gewandt fügte er hinzu: »Wir melden uns, sobald wir neue Infos haben.«

Während sie zum Auto zurückliefen, zog Sky ihr Handy aus ihrer Jackentasche. Gabriel hatte eine Nachricht in ihre Chatgruppe gepostet und wollte wissen, was sie am Tatort erfahren hatten.

Connor stöhnte, als er die Nachricht ebenfalls las. »Wenn wir ihm erzählen, dass wir mit Theo zusammenarbeiten müssen, sollten wir den Fall besser gelöst haben, bis dein Dad Gabe zurück in den Dienst lässt. Sonst haben wir sofort einen neuen Mordfall an der Backe.«

Sky schnaubte. »Wir lassen Theo einfach unauffällig verschwinden. Der ist so ätzend, den vermisst kein Mensch. Im Gegenteil. Vermutlich verleiht das Revier uns noch einen Orden.« Sie kickte mit Wucht einen kleinen Kiesel vom Gehweg in die Hecke. »Willst du Gabe anrufen oder soll ich?«

Connor schlang seinen Arm um sie und zog dabei mit einem vielsagenden Grinsen den Autoschlüssel aus ihrer Hosentasche. »Ruf du ihn an. Ich glaube, es ist besser, wenn ich fahre.«

Kapitel 2


Der quadratische Gebäudekomplex des Towers thronte am südöstlichen Ende der City of London nahe der berühmten Tower Bridge am Themseufer. Gebaut als Ringburg mit zwei Reihen aus dicken Festungsmauern hatte der Tower in früheren Zeiten als Hochsicherheitsgefängnis für besonders grausame Straftäter gedient, bis die Burg vor einem guten Jahrhundert schließlich zu einer Forschungseinrichtung umgewandelt worden war, um Geister und Wiedergänger in ihren unterschiedlichen Stadien zu studieren. Wissenschaftler erhofften sich, die Seelenlosen durch Beobachtungen und verschiedene Versuchsreihen besser zu verstehen, um so Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung sowie wirksame Waffen zur Vernichtung zu entwickeln. Gerade in Ballungsgebieten wie London mussten Lösungen für den Umgang mit Geistern gefunden werden, da die geballte Lebensenergie in Großstädten die Wesen magisch anzog. Hier im Tower waren Auraglue und Silberboxen entwickelt worden und die Wissenschaftler experimentierten unentwegt an neuen, noch besseren Möglichkeiten, Geister zu bekämpfen.

Die Burganlage war riesig und Sky und Connor kannten nur einen Bruchteil des Areals. Sie zeigten ihre Dienstausweise am Tor und wurden wie üblich, wenn sie Geister ablieferten, zum Ostflügel geschickt. Dort befand sich im Keller der Verbrennungsofen, in dem die Geister eingeschmolzen wurden, die man zur Vernichtung freigab. Jeder Geist, der in eine Silberbox gebannt wurde, musste von den Spuks in seiner Stärke klassifiziert werden. Die Wissenschaftler entschieden dann, ob sie diese Klasse für ihre Versuchsreihen gebrauchen konnten. War der Geist für ein Vorhaben passend, wurde er in eins der Verliese im Westflügel gebracht und dort kontrolliert in einer speziell gesicherten Zelle aus der Silberbox gelassen. Hatten die Forscher jedoch keine Verwendung für ihn, wurde der Geist entweder als Trainingsobjekt eingelagert oder er landete samt Silberbox im Verbrennungsofen. Die extrem heißen Temperaturen, die dort herrschten, sowie die chemische Reaktion des schmelzenden Silbers, das sie umschloss, vernichteten die Geister endgültig. Da Silber sehr kostbar war, wurde es anschließend recycelt und zu neuen Silberboxen oder Silberkugeln verarbeitet. Leider ließ sich dieser Vorgang allerdings nur drei bis vier Mal wiederholen, da das Silber durch die chemische Reaktion bei jedem Einschmelzen von Geistern Qualität einbüßte.

Geister, die zu Trainingszwecken gelagert wurden, dienten vor allem den Spuk-Ausbildern der Polizeischule als Übungsmaterial und wurden regelmäßig zur Ausstattung des Trainingsgeländes abgeholt. Doch auch Privatpersonen mit speziellen Genehmigungen konnten Geister bekommen, um in den Trainingsräumen des Towers gegen sie anzutreten. Viele Totenbändiger nahmen diese Möglichkeit wahr, wenn sie damit begannen, ihren Kindern das Geisterbändigen beizubringen. Da die Trainingsgeister nach Stärken klassifiziert wurden, waren sie berechenbarer als ihre Artgenossen in der freien Natur und konnten den Fähigkeiten der Kinder entsprechend ausgewählt werden.

 

Nachdem Connor den Wagen geparkt hatte, betraten er und Sky den Tower durch den Seiteneingang, der zur Geisterabgabe führte. Ein älterer, ziemlich umfangreicher Wärter saß am Tresen und lächelte ihnen freundlich entgegen, als sie die beiden Silberboxen mit den gefangenen Geistern der letzten Nacht zu ihm schoben.

»Na, was haben Sie da für uns?« Sein Namensschild wies ihn als Ron Bellard aus.

»Einen Schatten im oberen Kräftespektrum«, gab Sky Auskunft, »und den Geist eines Wiedergängers.« Sie reichte Bellard die entsprechenden Papiere.

»Ein Wiedergänger?« Der Wärter seufzte. »Normalerweise sind die bei unseren Forschern immer heiß begehrt, aber mittlerweile hatten wir dieses Jahr schon so viele von den Biestern hier in London, dass ich tatsächlich nachfragen muss, ob der hier ins Verlies geht oder vernichtet werden soll. Schrecklich, oder? Wer weiß, was an Äquinoktium hier los sein wird. Und die dunklen Monate kommen dann ja erst noch.« Wieder seufzte er und strich sich über seine Glatze. »Ich habe das Gefühl, es wird in jedem Unheiligen Jahr schlimmer.«

Connor deutete auf eine der Boxen. »Den Geist dieses Wiedergängers sollten sich die Forscher auf jeden Fall ansehen. Der Wiedergänger, aus dem er stammt, wies einige ungewöhnliche Merkmale auf. Ich weiß zwar nicht, ob man an seinem Geist noch welche davon wiederfinden kann, aber er sollte definitiv von Experten untersucht werden.«

»Hier gibt es doch sicher ein Forschungsteam, das sich besonders auf Wiedergänger spezialisiert hat, oder?«, erkundigte sich Sky. »Wäre es möglich, dort jemanden zu sprechen? Wir hätten da ein paar dringende Fragen.«

Bellard nickte. »Doktor Michaels.« Er griff nach dem Hörer eines Telefons. »Ich rufe sie an und frage nach, wer aus ihrem Team für Sie Zeit hat.«

»Das wäre klasse, vielen Dank.«

Eine Viertelstunde später saßen sie im Westflügel in Doktor Michaels Büro. Die Silberbox mit dem Geist des besonderen Wiedergängers lag zwischen ihnen auf Michaels’ Schreibtisch.

»Das ist wirklich außergewöhnlich«, sagte die Wissenschaftlerin nachdenklich, als Connor und Sky mit ihrem Bericht geendet hatten.

Sky schätzte sie auf Anfang vierzig und sie entsprach in keinster Weise dem typischen Bild einer Wissenschaftlerin mit weißem Kittel, Brille, streng zurückgesteckten Haaren und leicht weltfremdem Auftreten. Fiona Michaels trug Jeans mit einer hellen Bluse, hatte einen unkomplizierten Kurzhaarschnitt und wirkte auch sonst eher praktisch veranlagt. Sky und Connor hatten anhand der Nachfragen der Wissenschaftlerin schnell gemerkt, dass sie Wiedergänger nicht nur theoretisch studierte, sondern selbst schon dem ein oder anderen gegenübergestanden hatte. Michaels hatte außerdem zwei ihrer Mitarbeiter zu ihrem Gespräch mitgebracht. Lee Joplin und April White waren beide Anfang dreißig, ähnlich lässig gekleidet wie Michaels und sie waren beide Totenbändiger.

»Haben Sie eine Erklärung für die roten Augen?«, fragte Sky. »Oder für die Raserei? Dass Wiedergänger brutal und aggressiv sind, ist zwar nicht ungewöhnlich, aber eigentlich lassen sie das unserer Erfahrung nach nur an ihren Opfern aus und zerlegen nicht ihre Umgebung.«

Michaels schüttelte den Kopf. »Rote Augen bei einem Wiedergänger – dieses Phänomen ist mir in der Tat noch nie untergekommen. Es gäbe aber einiges, was an Ursachen dafür denkbar wäre.«

»Was zum Beispiel?«

»Eine Möglichkeit wäre eine Mutation des Wiedergängers, in etwa so wie ein Gendefekt oder auch schlicht eine Laune der Natur. Eine andere Ursache könnten Krankheiten gewesen sein. Dabei gäbe es zwei verschiedene Möglichkeiten. Zum einen eine Krankheit, die die komplette Kreatur befallen und sich auf irgendeine Art und Weise auch auf ihre Augen ausgewirkt hatte. Zum anderen könnte es natürlich auch etwas gewesen sein, das nur ihre Augen betraf. Eine Infektion durch Bakterien oder Viren zum Beispiel. So etwas könnte durch Umwelteinflüsse ausgelöst worden sein oder auch durch eine Verletzung.« Sie zögerte einen Moment und schien kurz über etwas nachzudenken, dann fuhr sie fort. »Uns ist bisher noch nie ein kranker Wiedergänger begegnet. Die Exemplare, die wir hier im Tower haben, wurden von uns aus Geistern herangezüchtet. Sie haben keinen Kontakt zur Außenwelt, daher ist die Infektionsgefahr durch Krankheiten oder Verletzungen äußerst gering. Aber ich werde gleich veranlassen, dass man uns verschiedene Krankheitserreger schickt, um entsprechende Testreihen zu starten. Das gewalttätige Verhalten, dass Sie gestern beobachten konnten, könnte auf eine Art Tollwut hindeuten. Sollte eine solche Seuche unter den Wiedergängern umgehen, oder wenn sie sich an tollwütigen Tieren anstecken können, müssen wir das wissen.«

»Gäbe es denn auch noch andere Ursachen, die zu Gewaltausbrüchen bei einem Wiedergängern führen könnten?«, erkundigte sich Connor.

»Na ja, diese Geschöpfe in Raserei zu treiben, ist eigentlich nicht weiter schwierig«, antwortete Michaels. »Wiedergänger verhalten sich in dem Punkt ähnlich wie wilde Tiere. Wenn sie sich bedroht fühlen oder wenn sich jemand ihrer erlegten Beute nähert, reagieren sie aggressiv. Das werden Sie bei Ihren Einsätzen ja sicher selbst schon zur Genüge beobachtet haben.«

Connor nickte.

»Je nachdem wie sehr man sie reizt, steigert sich die Wut des Wiedergängers und damit auch sein Aggressionsverhalten«, fuhr die Wissenschaftlerin fort. »Gleiches gilt, wenn Wiedergänger gequält werden oder man ihnen Schmerzen zufügt. Auch darauf reagieren sie mit Wut und Aggressivität. Meistens richten die sich als Erstes gegen ihren Peiniger, es kann sich aber auch auf die Umgebung ausweiten. Vor allem, wenn eine Person nicht mehr greifbar ist.«

»Schmerz zufügen? Wie meinen Sie das?«, hakte Connor nach.

»Es gab eine Versuchsreihe, in der wir Wiedergänger verschiedenen Arten und Intensitäten von Licht ausgesetzt haben, um herauszufinden, welche Lichtquellen effektiven Schutz bieten und wie stark diese Quellen sein müssen«, antwortete diesmal Michaels Mitarbeiterin April White. »Je unwohler die Biester sich im Licht gefühlt haben und je mehr Schmerzen die Helligkeit ihnen zugefügt hat, desto aggressiver wurden sie. Und weil kein Mensch bei ihnen im Versuchsraum war, haben sie ihre Wut am Raum selbst ausgelassen und ihn ähnlich zerlegt, wie Sie es beschrieben haben. Die Versuchsreihe wurde videodokumentiert. Wenn Sie wollen, suche ich Ihnen die entsprechenden Dateien heraus und schicke sie Ihnen zu.«

»Gerne. Danke. Als Vergleich zu dem, was wir gestern bei unserem Wiedergänger beobachtet haben, könnte das interessant sein.«

»Das heißt, es könnte durchaus sein, dass man unseren Wiedergänger irgendwo gefangen gehalten und gequält hat und er seine Wut dann an seiner Umgebung ausließ, sobald er draußen war«, rekapitulierte Sky.

»Im Prinzip schon«, schaltete sich nun auch Lee Joplin in das Gespräch ein. »Dagegen spricht jedoch Ihre Beschreibung des Tathergangs. Sie haben die Leichen der Bewohner in unversehrten Häusern der Anlage gefunden und sind erst später auf den randalierenden Wiedergänger aufmerksam geworden. Korrekt?«

»Ja«, bestätigte Sky. »Das bedeutet, dass ihn erst nach dem Morden und Fressen etwas wütend gemacht haben müsste.«

Joplin nickte. »Dann sieht es nicht nach einem Ausbruch aus Gefangenschaft mit entsprechender Raserei aus.«

»Sie sagten, der Wiedergänger hatte Narben oder Striemen am Körper?«, fragte Michaels nach.

»Zumindest glaube ich das«, antwortete Connor. »Ich habe ihn allerdings nur kurz gesehen. Wir waren in einem engen Raum mit dem Biest und unser Partner war bereits verletzt worden. Sobald das Deckenlicht den Wiedergänger geblendet hat, haben wir geschossen und er verwandelte sich zurück in einen Geist. Ich habe ihn nur für eine, vielleicht zwei Sekunden gesehen und mich dabei auf den Kopf konzentriert. Ich bin mir aber relativ sicher, dass sein Oberkörper dunkle Flecken und Striemen hatte. Und ich glaube auch, dass die Haut an seinem Hals dunkler war als der Rest seines Körpers. Eventuell durch Striemen oder Narben, die eine Kette oder ein Halsband hinterlassen haben könnten. Es wäre allerdings auch möglich, dass das Deckenlicht einfach nur einen täuschenden Schatten geworfen hat.«

Michaels tippte nachdenklich mit ihrem Zeigefinger gegen ihr Kinn. »Körperliche Qualen wie Schläge, Peitschenhiebe oder Elektroschocks würden einen Wiedergänger natürlich auch in Raserei verfallen lassen. Wenn man sie ihm gerade erst zugefügt hatte, könnte das erklären, warum er sich zuerst normal verhalten und die Bewohner getötet hat, um zu fressen, und später dann ausgerastet ist.«

Sky runzelte die Stirn. »Aber das würde bedeuten –«

»– dass jemand mit Ihnen in der Wohnanlage war, der den Wiedergänger vorsätzlich aggressiv gemacht hat«, vollendete White den Satz. »Vielleicht wollte Sie jemand aus dem Weg räumen. Sie sagten, die Wohnanlage sei angezündet worden. Das spricht ja sehr dafür, dass jemand Beweise verschwinden lassen wollte. Vielleicht haben die Täter einen Wiedergänger zum Töten der Bewohner benutzt, um sich selbst nicht die Hände schmutzig zu machen. Aber bevor sie ihre Tat unauffällig zu Ende bringen und wieder verschwinden konnten, sind Sie aufgetaucht. Deshalb haben die Täter den Wiedergänger in Raserei getrieben, um Ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und als Sie mit dem Biest abgelenkt waren, sind die Täter geflohen.«