Red Dirt Heart: Flammende Erde

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Aus der Reihe: Red Dirt Heart #1
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Red Dirt Heart: Flammende Erde
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Überarbeitete Neuauflage (ePub) April 2020

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2014 by N.R. Walker

Titel der Originalausgabe:

»Red Dirt Heart«

Published by Arrangement with N.R. Walker

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2020 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Überarbeitung: Susanne Scholze

ISBN-13: 978-3-95823-815-2

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


Aus dem Englischen von Betti Gefecht

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die Autorin des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Die Sutton Station liegt mitten im Outback Australiens und Charlie Sutton hat alle Hände voll damit zu tun, die Farm in der unwirtlichen Landschaft am Laufen zu halten. Der amerikanische Student Travis, der Charlie vier Wochen lang zur Hand gehen soll, bringt da ein bisschen Abwechslung in die Alltagsroutine. Doch bald weiß Charlie nicht mehr, ob er das noch so gut findet, denn Travis geht ihm unter die Haut wie kein anderer und bringt sein geordnetes Leben ziemlich durcheinander. Charlie erkennt schnell, dass Widerstand zwecklos ist, aber damit fangen seine Probleme gerade erst an. Ihre gemeinsame Zeit wird schließlich irgendwann ein Ende haben, oder?

Kapitel 1

Worin der amerikanische Kerl auftritt – mit blauen Augen und entwaffnendem Lächeln und so – und mein Leben zum Teufel geht.

Die Sonne ging gerade unter, als ich von meinem Motorrad stieg, den Ständer nach unten kickte, damit es stehenblieb, und das Tor schloss. Ich war den ganzen Tag draußen auf den südlichen Weiden gewesen, um ein letztes Mal die Zäune und die Pumpen der Wassertröge zu überprüfen, bevor wir das Vieh aus dem Norden heruntertreiben würden. Ich hatte den Pick-up hinten auf dem Hof gesehen, als ich ankam und wusste daher, dass George zu Hause war.

George war mein Vorarbeiter. Er war in den Fünfzigern, mit grauem Haar und sonnengegerbter Haut. Solange ich mich erinnern konnte, arbeitete er schon hier. Aber er war mehr als nur ein loyaler Angestellter. Er war mein Freund und in vielerlei Hinsicht mehr ein Vater für mich, als mein alter Herr es je gewesen war.

Er war den ganzen Tag unterwegs gewesen, war schon vor Sonnenaufgang aufgebrochen und nach Alice Springs gefahren. Wir sind hier gute drei Stunden von der nächsten Stadt entfernt und mit einer Einkaufsliste so lang wie sein Arm – verfasst von unserer Station-Köchin Ma, die auch seine Ehefrau war – hatte er ein paar Stunden in der Stadt zu tun, bevor er sich schließlich zum Flughafen begab, um den eigentlichen Grund für diese Fahrt abzuholen: einen amerikanischen Studenten der Agrarwissenschaft namens Travis Craig.

Als mein Vater noch die Farm betrieb – oder die Station, wie wir es nennen –, hatten wir jedes Jahr junge Leute aus dem Ausland zu Gast, die als Teil irgendeines Diversifikations-Austauschprogramms ein paar Wochen bei uns verbrachten. Mein alter Herr sagte immer, das wäre ein guter Weg herauszufinden, was in anderen Ländern so gelehrt wurde. Aber ich glaube eher, ihm gefiel es einfach, am Ende der Trockenperiode noch ein zusätzliches Paar Hände zur Verfügung zu haben. Als dann Ende Juli jemand anrief und fragte, ob wir interessiert wären, noch einmal einen Studenten aufzunehmen, da schien mir das eine gute Idee zu sein. Auch weil das letzte Mal nun schon ein paar Jahre her war. Nun aber kam ich nicht umhin, mich zu fragen, ob dieser Travis Craig eine Hilfe oder eher eine Belastung sein würde.

Ich fuhr auf den Hof und parkte das Motorrad im Schuppen. Ich ging davon aus, dass alle das Bike gehört und mitbekommen hatten, dass ich angekommen war, also begab ich mich direkt zum Haus. Wie die meisten Farmhäuser, die vor fast hundert Jahren erbaut worden waren, war es ein Wetterschenkelhaus mit einem alten Blechdach und einer umlaufenden, überdachten Veranda zum Schutz vor der Hitze.

Auf den Stufen zur Veranda trat ich den roten Staub von meinen Stiefeln und versuchte, ihn auch von meiner Jeans zu wischen. Dann nahm ich meinen Hut ab, öffnete die Tür und ging hinein. Ein Koffer und eine Reisetasche standen bei der Vordertür und aus der Küche waren Stimmen zu hören.

»In der Küche«, rief George.

Ich folgte dem Klang des Geplauders und dem Geruch von etwas Leckerem und fand so etwas wie eine Versammlung in der alten, im Landhausstil eingerichteten Küche vor. Der abgenutzte, solide Holztisch in der Mitte des Raumes war mit Tellern mit Scones und Tabletts mit Tassen und Tee vollgestellt und drei Personen saßen auf Stühlen um ihn herum – mein Vorarbeiter George, seine Frau, unsere Köchin Ma, und ein Fremder mit kurzen, hellbraunen Haaren und blassblauen Augen.

George war als Erster auf den Füßen und der Mann neben ihm folgte schnell seinem Beispiel. »Hier ist der Boss, Charlie Sutton«, stellte George mich förmlich vor. »Charlie, das ist Travis Craig.«

Travis schien ungefähr zweiundzwanzig Jahre alt zu sein, also nicht viel jünger als ich. Während ich selbst etwas stämmiger gebaut war, mit mattbraunen Haaren und langweiligen braunen Augen, war er ein paar Zentimeter größer als ich, schlank und muskulös. Er streckte mir seine Hand entgegen und lächelte. »Mr. Sutton. Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.« Sein Akzent klang anfangs seltsam, aber sein Lächeln war breit und warm.

Ich wischte mir die Hand an meinem Hemd ab und hielt sie ihm entgegen. »Travis«, sagte ich mit einem Nicken. »Bitte nenn mich Charlie.«

Er wirkte auf mich nervös und etwas unsicher, also dachte ich, ich sollte besser die allgemeine Aufmerksamkeit von ihm ablenken. »Mensch, Ma«, sagte ich mit einem Blick auf all das Essen auf dem Tisch. »Wie viele Leute willst du denn füttern?«

»Hab ich für dich gemacht. Sind deine Liebsten«, sagte sie.

»Sind das Kürbis-Scones?«, fragte ich.

»'türlich«, sagte sie stolz. »Ihr Jungs könnt sie als Nachtisch verputzen.«

Ich streckte die Hand aus, um mir einen zu schnappen, aber Mas Hand war sofort da und hielt mich auf. »Nicht mit diesen Schmutzfingern, Mister. Und nimm gefälligst deinen Hut von meinem Tisch.«

George lachte mich aus und ich sah Travis an und grinste. »Ich kann nicht gewinnen.«

Ma stand auf. »Geh und zeig Travis sein Zimmer, und dann kannst du dich fürs Abendessen waschen«, sagte sie zu mir. Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Küchenwand. »Vierzig Minuten, Jungs.«

Ich schob meinen Stuhl vom Tisch zurück und stand auf und Travis nahm das als sein Zeichen, dasselbe zu tun. Auf dem Weg zur Tür sah ich, dass Ma mir den Rücken zuwandte und schnappte mir schnell einen der gebutterten Scones vom Tisch.

»Charlie Sutton!«, rief Ma aus. Erwischt.

Ich grinste, als ich mir den Scone in den Mund schob, aber dann verschwand ich schnell durch die Tür und somit aus der Flugbahn irgendwelcher Küchenutensilien, die Ma möglicherweise auf mich abfeuern würde. Normalerweise drohte sie mir nur, etwa mit einer Suppenkelle oder einem Handtuch, aber über die Jahre – besonders als ich ein Teenager gewesen war – hatte ich gelegentlich dem einen oder anderen Kochwerkzeug ausweichen müssen, wenn ich versuchte zu naschen, während sie noch kochte.

Ich ging immer noch lachend den Flur entlang und Travis war direkt hinter mir. Er lächelte mich an und ich musste erst kauen und meinen Mundvoll Diebesgut herunterschlucken, bevor ich sprechen konnte. »Ich zeige dir dein Zimmer«, sagte ich zu ihm. Ich hängte meinen Hut wie immer auf den mittleren Haken, dann nahm ich seinen Koffer und überließ ihm die Reisetasche. »Du wirst hier im Haupthaus schlafen, solange du hier bist. Es gibt drei Katen für die Arbeiter, aber die sind alle belegt. Du wirst die anderen Jungs beim Abendessen kennenlernen.«

Ich führte ihn durch eine Tür an der Seite der Diele zu einer Tür in der Mitte des Flurs. »Dein Zimmer«, sagte ich, ging hinein und legte seinen Koffer auf dem breiten Bett ab. Es gab eine Kommode und einen Kleiderschrank und das Fenster war geöffnet, aber die Vorhänge bewegten sich nicht. »Dein Zimmer geht nach Osten. Du kriegst hier die frühe Morgensonne, nicht die Nachmittagshitze.«

»Es ist ein wunderschönes Haus«, sagte Travis. Sein Akzent war schwächer, als er mit sanfter Stimme sprach.

»Danke«, antwortete ich mit einem Lächeln. Es war ein wunderschönes Haus, gebaut in den Zwanzigerjahren, mit Holzfußböden und hohen Decken. »Es ist alt und muss instand gehalten werden, aber wir kümmern uns gut darum.«

»Heutzutage baut keiner mehr so schöne, große Häuser wie dieses«, sagte er. »Selbst bei uns zu Hause gibt es nur noch wenige traditionelle Farmhäuser.«

 

»Wo genau ist bei euch zu Hause?«, fragte ich. »Texas, oder?«

Travis schob seine Reisetasche aufs Bett. »Richtig, Sir. Johnson City ist ein Stück westlich von Austin. Meine Familie hat dort eine Ranch.«

»Rinder, ja?«

»Ja, Sir. Brahmane.«

»Bitte nenn mich nicht Sir.«

»Tut mir leid. Das ist eine Angewohnheit, die meine Mom mir eingebläut hat.«

»Schon gut«, sagte ich beschwichtigend. »Ich suche nur jedes Mal nach meinem Vater, wenn ich das Wort höre. Ich bin Charlie und wir duzen uns hier alle.«

»Okay.« Travis nickte, aber sah nach unten auf sein Gepäck auf dem Bett. Er war ein paar Zentimeter größer als ich mit meinen eins achtundsiebzig und ziemlich gut gebaut. Er trug ein kariertes Hemd, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, dazu amerikanische Jeans und modische Cowboystiefel. Aber am meisten fiel mir auf, dass, wenn er so nach unten blickte, ich die Linie seines Nackens sehen konnte. Gebräunt, muskulös, mit kurz geschorenem Haar, das aussah, als würde es sich wirklich weich anfühlen…

»Es tut mir leid«, sagte er und riss mich aus meinen abschweifenden Gedanken. »Ich schätze, ich hatte mir den Boss einfach sehr viel älter vorgestellt…«

Ich studierte ihn für einen Moment. »Ist das ein Problem?«

Er hob ruckartig den Kopf und riss die Augen auf. »Oh nein, nicht im Geringsten«, sagte er hastig. »Es ist nur, mein Vater erwähnte einen Mann namens Charles, der in seinem Alter war und nicht in meinem…«

»Charles war mein Vater«, erklärte ich ihm. »Und sein Vater vor ihm und wahrscheinlich auch der davor.«

Er nickte und blickte erneut auf seine Habseligkeiten auf dem Bett. »Mein Name ist auch Familientradition.«

Meine Anwesenheit hier im Zimmer war ihm offensichtlich ein bisschen unangenehm, also hielt ich es für das Beste, ihn erst mal in Ruhe zu lassen, damit er sich hier einrichten konnte. Ich ging zur Tür und sagte: »Ich überlasse dich dann mal dir selbst. Badezimmer ist links am Ende des Flurs. Mein Zimmer ist die erste Tür rechts von der Diele.« Ich wusste nicht genau, warum ich das sagte, deshalb fügte ich hinzu: »Falls du irgendwas brauchst, meine ich. Und George und Ma wohnen auch hier im Haus, in dem Schlafzimmer hinten beim Wintergarten, aber sie sind so leise wie die Mäuschen. Du wirst von ihnen keinen Piep hören, bis es Zeit fürs Frühstück ist.«

Darauf lächelte Travis mich an. »Danke.«

»Ich schätze, ich sollte dir noch die Regeln des Hauses erklären«, sagte ich. Besser gleich alle Formalitäten aus dem Weg schaffen, dachte ich.

»Regeln?«

»Jepp, Regeln. Frühstück ist um Punkt sechs. Wenn wir auf dem Hof oder in der Nähe sind, wird um zwölf Uhr zu Mittag gegessen. Wenn wir während des Tages weiter draußen sind, packt Ma in der Regel das Mittagessen ein und bringt es zu uns raus oder wir packen uns selbst was und nehmen es mit. Abendessen ist exakt um sechs –« Ich sah auf meine Armbanduhr, »– was in zwanzig Minuten ist, deshalb lass ich dich jetzt in Ruhe, damit du dich frisch machen kannst. Oh, und nur zur Information: Auf Sutton Station gibt es keinen Alkohol. Die Crew fährt für gewöhnlich jeden zweiten Freitag nach Alice, um einen draufzumachen, aber hier wird nicht getrunken.«

»Nach Alice?«

»Alice Springs«, erklärte ich. »Die Einheimischen sagen nur Alice, nicht Alice Springs. Keine Ahnung, warum.«

Travis nickte erneut und lächelte beinahe. »Okay.«

»Und die Jungs werden wahrscheinlich versuchen, es dir ein bisschen schwer zu machen, du weißt schon, so als Greenhorn, aber sie meinen das nicht so«, sagte ich lächelnd. »Ist ein guter Haufen. Aber du wirst anfangs erst mal mit mir arbeiten, da werden sie keine Lust haben, irgendwelchen Blödsinn zu versuchen.«

»Danke«, sagte er, diesmal mit einem halben Lächeln.

»Wie gesagt, du wirst beim Abendessen alle kennenlernen«, sagte ich ihm. »Wir essen alle im Haupthaus. Die meisten großen Farmen haben separate Quartiere, wo die Arbeiter essen, aber wir haben nur sechs Vollzeitkräfte… na ja«, ich korrigierte mich, »sieben mit dir, also essen wir hier im Haus. Und sie haben alle Angst vor Ma. Sie hat ihre Regeln bei Tisch und die Crew respektiert sie.«

»Mehr Regeln?«

Ich grinste ihn an. »Sei pünktlich, sei sauber, sei dankbar. Trag ein Shirt und Schuhe, aber niemals einen Hut am Tisch.«

Travis lachte leise – ein tiefer, kehliger Laut. »Klingt ganz wie meine Mom.«

Ich musste ebenfalls lachen. »Kann sie ein Nudelholz werfen und damit deinen Kopf treffen?«

»Aus zwanzig Metern Entfernung«, grinste Travis. »Aber wenn du es aus der Küche rausschaffst, ohne erwischt zu werden – weißt du, was dann das Schlimmste ist?«

Wir sagten im Duett: »Irgendwann musst du wieder nach Hause.«

Wir lachten und er schien sich schon deutlich wohler zu fühlen, als ich ging und ihn auspacken ließ. Ich machte mich zunächst sauber, wusch mein Gesicht und meine Hände und kämmte mir sogar die Haare, dann ging ich zurück in die Küche. Ich küsste Ma auf die Wange, um mir ihre Vergebung für den Scone-Diebstahl zu sichern, und schnappte mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank.

»Scheint ein wirklich netter Bursche zu sein«, sagte Ma.

»Scheint so, ja.«

»Was meinst du, hält er durch?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Er ist auf einer Farm zu Hause, also wer weiß…?« Ich trank einen Schluck Wasser. »Ich hoffe es auf jeden Fall.«

Ma lächelte über dem Topf auf dem Ofen. »Er ist irgendwie niedlich.«

»Ma«, warnte ich. »Bitte lass das.«

»Ist nur eine Feststellung, Liebes«, sagte sie. Dann hielt sie die Hand auf. »Reich mir den Pfeffer, bitte.«

Und damit war die Unterhaltung darüber, wie niedlich Travis war, glücklicherweise beendet. Ich würde die nächsten vier Wochen mit dem Mann arbeiten müssen. Er war Gast in meinem Haus und ich war für sein Wohlergehen verantwortlich. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, in dieser Weise an ihn zu denken.

Zehn Minuten später spazierte er in die Küche, frisch geduscht, putzmunter, gekleidet in Jeans und T-Shirt, und er roch sauber und nach einem Deodorant, das ich nicht kannte. Ich drehte mich wieder zur Spüle und versuchte, das Aufwallen nicht so ganz unschuldiger Gedanken zu ignorieren.

Mist.

Ma summte: »Mh-hm«, sodass nur ich es hören konnte und es hörte sich verdächtig nach Dachte ich's mir doch an. Ich wollte gehen, aber sie hielt mich auf. »Deckt den Tisch für mich, Jungs.«

Es war sinnlos, Ma in ihrer Küche zu widersprechen, also öffnete ich seufzend die Tür zur Speisekammer und forderte Travis mit einem Nicken auf, mir zur Hand zu gehen. Ich platzierte Soßen und Gewürzgläser auf einem Tablett und drückte es ihm in die Hand, dann suchte ich im Kühlschrank nach Senf. Ich schnappte mir das Besteck und Travis folgte mir ins Esszimmer, wo wir schließlich den Tisch fürs Abendessen deckten.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich ihn.

»Oh, sicher, es ist nur…« Er schüttelte den Kopf. »Ist egal.«

»Nur raus damit. Ich fühl mich nicht so schnell auf den Schlips getreten.«

Er lächelte und atmete geräuschvoll aus. »Es ist nur… du bist der Boss, richtig?«

»Ja.«

Er warf einen Blick zurück zur Küchentür und fuhr leise fort: »Aber Ma kommandiert dich herum… und sie hat dich gescholten, mit vollem Vor- und Nachnamen… Wenn meine Mom das bei mir gemacht hat…« Er schüttelte den Kopf. »Ich wusste dann immer, das bedeutet nichts Gutes.«

Ich musste darüber lachen. »Die Küche ist ein Bereich, wo jeder frei sprechen kann. Außerdem ist Ma dort der Boss; das ist ihr Reich. Aber wir reden dort nicht wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wir reden… wie eine Familie.« Ich zuckte die Schultern. »Ma und George haben mich praktisch großgezogen.«

»Oh.«

Ich lächelte, um keine gedrückte Stimmung aufkommen zu lassen. »Außerhalb der Küche läuft es anders. Ich weiß nicht, warum. Ist immer schon so gewesen.«

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt aber inne, als George das Zimmer betrat. »Das Abendessen riecht gut. Wir sollten jeden Tag Besucher aus Übersee haben.«

»Das Abendessen ist immer gut. Vergiss das lieber nicht«, sagte Ma hinter ihm und stellte zwei Schüsseln mit geschmortem Gemüse in die Mitte des Tisches.

George lächelte, als er sich setzte. »Brauchst du Hilfe, Schatz?«

Sie verdrehte die Augen und ging wieder hinaus, um gleich darauf mit Schüsseln voller Grünzeug und Bratensoße zurückzukehren. Ich setzte mich an das Kopfende des Tisches, mit George zu meiner Rechten, und bedeutete Travis, sich an meine andere Seite zu setzen. »Nimm Platz.«

»Sollte ich nicht Ma beim Reintragen helfen?«

George prustete. »Nur wenn du Todessehnsucht verspürst, Sohn.«

»Das hab ich gehört, Joseph Brown«, sagte Ma und warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu. Sie stellte eine Platte mit Roastbeef auf den Tisch. »Ich helfe euch Jungs nicht bei eurer Arbeit, ihr helft mir nicht bei meiner.«

Ich lächelte sie an und sie zwinkerte mir zu. Als sie wieder weg war, sah Travis mich und George mit offensichtlicher Verwirrung an. »Joseph Brown?«

»Das ist mein richtiger Name«, sagte George. »Aber ich bin hier seit zwanzig Jahren Vorarbeiter, deshalb nennen sie mich George. So wie George Foreman, wegen Vormann… Vorarbeiter, klar?«

»Richtig«, sagte Travis mit einem Grinsen. »Natürlich.«

Genau in diesem Moment hörten wir das Klappern der Hintertür und den Klang von Stimmen und Schritten auf den Holzdielen, und dann betraten die sechs anderen Farmarbeiter das Esszimmer. Ich hatte erwartet, dass Travis vielleicht ein bisschen eingeschüchtert sein würde, aber zu meiner Überraschung stand er auf.

»Leute«, sagte ich, »das ist Travis Craig, der Bursche aus Amerika. Travis, das hier sind Fish, Trudy, Bacon, Mick, Ernie und Billy.«

Travis trat vom Tisch weg, um jedem die Hand zu schütteln. Sie stellten sich selbst noch einmal vor, wobei sie freundlich lächelten, den armen Kerl aber gleichzeitig taxierten. Er hielt sich jedoch recht gut. Zum Wohle aller fügte ich hinzu: »Travis, wenn du irgendwelche Fragen hast und weder ich noch George sind hier, dann gehst du und fragst Billy. Er ist mein erster Mann bei der Viehzucht, stimmt's, Billy?«

»So isses, Boss.«

Billy war ein Aborigine, ein australischer Ureinwohner: dunkle Haut, schwarzes, drahtiges Haar und ein Lächeln, das die gesamte untere Hälfte seines Gesichtes einnahm. Er war außerdem ein verdammt guter Farmarbeiter, der sich mit Rindern auskannte, und er verstand die Natur dieses Landes. Er arbeitete hier seit etwa sieben Jahren und ohne ihn wäre ich aufgeschmissen.

Nachdem alle Platz genommen hatten, ging es los und der Amerikaner zu meiner Linken wurde mit Fragen gelöchert.

»Kannst du reiten?«

»Ja.«

»Ein Bike fahren?«

»Motorrad? Ja.«

»Wie alt bist du?«

»Dreiundzwanzig.«

»Lebst du auf einer Farm?«

»Ja. In der Nähe von Austin, Texas.«

»Na ja, bist jetzt schon besser als der letzte Typ«, sagte Mick mit einem Schnauben. »Der arme Kerl aus… wo war der her?«

»England«, antwortete ich.

»Armer Junge«, sagte George. »Die Sonne hätte ihn fast gebraten. Das ist jetzt allerdings schon ein paar Jahre her.«

»Konnte nicht reiten, als er hier ankam«, sagte Fish. »Das Lustigste, was ich je gesehen hab.«

»Was hat er hier gemacht?«, fragte Travis. »Wenn er gar keine Ahnung hatte?«

»Es war so eine Studentenaustausch-Sache«, sagte ich. »Er studierte Agrarwissenschaft und wollte anscheinend wissen, wie Farmer in der Wüste so leben.« Dann fügte ich hinzu: »Ich war nicht hier.«

In diesem Moment kam Ma mit einem Korb frisch gebackener Brötchen zurück ins Zimmer. Das war immer das Letzte, was sie auf den Tisch stellte, bevor sich alle auf ihre Portionen stürzten.

»Danke, Ma!«, riefen alle im Chor.

»Das sieht wirklich gut aus, Mrs. Ma«, sagte Billy. Er schenkte ihr sein typisches, entwaffnendes Grinsen und sie klopfte ihm auf die Schulter.

»Okay«, war alles, was sie sagte, und das war für jedermann am Tisch das Zeichen zu essen.

Ich muss zugeben, Mas Regeln, was die Tischmanieren anging, waren ein Geschenk des Himmels. Sicher, diese Leute hatten sich ihr Essen verdient. Sie arbeiteten hart und dabei bekam man Hunger – ich war mir ziemlich sicher: Wäre Ma nicht da gewesen, um sie alle im Zaum zu halten, dann hätten sie mit den Fingern gegessen.

 

Aber die Höflichkeit setzte sich durch, zumindest so weit, wie es das Leben im Outback erlaubte. Sie benutzten Besteck, baten höflich darum, Schüsseln weiterzureichen oder dass jemand die Butter herüberreicht, und das alles sogar mit Bitte und Danke.

Während des Essens waren wir still, aber als alle satt waren, kam die Unterhaltung langsam in Gang. Travis antwortete höflich, wenn er etwas gefragt wurde, aber die meiste Zeit über beobachtete er nur und hörte zu, während jeder am Tisch aufgeregt über den bevorstehenden letzten Viehtrieb redete und über die Verheißungen der Regenzeit.

Regen.

Das bedeutete viel Arbeit für mich und meine Leute, aber wir hatten eine gute Saison gehabt und ich hatte ein wirklich gutes Team. Im Gegenzug dafür wurde gut für sie gesorgt. So lief das hier.

Nachdem Ma die Scones, die sie am Nachmittag gebacken hatte, zusammen mit Marmelade und Sahne serviert hatte – die flugs verschlungen worden waren –, gingen alle wieder nach draußen und das Haus war still. Ich ging in mein Büro und George nahm Travis mit raus auf die vordere Veranda, um mit ihm zusammen den Sonnenuntergang zu beobachten.

Während ich ein bisschen liegen gebliebenen Papierkram aufarbeitete, konnte ich Teile ihrer Unterhaltung mitanhören. Nicht dass ich absichtlich gelauscht hätte, aber sie saßen in der Nähe meines Fensters.

»Das ist wirklich wunderschön«, sagte Travis. »Ich glaube nicht, dass ich jemals ein solches Orange am Himmel gesehen habe.«

»Ja, es ist wunderschön«, antwortete George. Nach einem kurzen Moment des Schweigens fragte er: »Wie gefällt's dir so weit?«

»Alle sind sehr nett«, antwortete Travis sofort. »Ich gebe zu, ich hatte mir Charlie älter vorgestellt. Ich hätte nicht gedacht, dass der Boss eines Betriebs wie diesem in meinem Alter ist.«

Bei der Erwähnung meines Namens spitzte ich die Ohren. Ich legte die Papiere aus der Hand und lauschte.

»Er ist ein wirklich guter Mann«, sagte George. »Ich hab vor ihm für seinen Dad gearbeitet und ich werde so lange für Charlie arbeiten, wie er mich haben will. Er ist ein harter Boss. Lässt sich von keinem die Butter vom Brot nehmen und erwartet viel, aber er ist fair. Anfangs, als er die Farm übernommen hat, wollten viele der Männer nicht für ihn arbeiten. Nichts gegen Charlie, ganz im Gegenteil – um genau zu sein, hielten sie ihn für zu streng. Aber das bedeutete nur, dass die Männer, die genug Eier in der Hose hatten, um zu bleiben, die besten waren.«

Ich musste darüber lächeln, aber ich hörte ihnen nicht länger zu und konzentrierte mich stattdessen auf die E-Mails, Rechnungen und Briefe. Das war der Teil meiner Arbeit, den ich am wenigsten mochte, und ich versuchte jeden Abend nach dem Essen, ein paar Stunden lang mit dem ganzen Papierkram auf dem Laufenden zu bleiben, der mit dem Betrieb der Station einherging.

Es wurde bereits ziemlich spät, als ich den Laptop herunterfuhr und aufstand, um ins Bett zu gehen. Auf dem Weg durch die Diele zu meinem Zimmer bemerkte ich, dass die Vordertür immer noch offenstand. Ich streckte meinen Kopf nach draußen, um sicherzugehen, dass ich nicht irgendwen im Dunkeln sitzen ließ, wenn ich die Lichter ausmachte, und entdeckte Travis, der allein auf einem der Verandastühle saß.

Ich fragte mich, ob etwas nicht stimmte und öffnete die Tür langsam etwas weiter. »Alles in Ordnung?«

Er sah zu mir herüber und lächelte. »Alles bestens«, sagte er. »Es ist nur so schön hier draußen.« Ich setzte mich neben ihn und er fügte schnell hinzu: »Ich halte dich nicht vom Schlafen ab, oder?«

»Ach was«, sagte ich, lehnte mich in meinem Stuhl zurück und seufzte. »Nachts ist es wirklich schön hier draußen.«

»Es ist unfassbar still.«

»Hast du Jetlag oder so?«, fragte ich.

»Nein, nein«, sagte er. »Ich war vier Tage in Sydney, bevor ich hier raus geflogen bin. Den ersten Tag hab ich geschlafen.«

Ich nickte, unsicher, was ich sagen sollte. Ich war noch nie besonders gut darin gewesen, Konversation zu halten.

»Du hast ein tolles Team«, sagte er. »Sie scheinen eine nette Truppe zu sein.«

»Das sind sie. Sie werden dich vielleicht ein bisschen triezen, um zu sehen, ob du was taugst, aber das meinen sie nicht böse.«

»Kann ich dich was fragen?«

Ich starrte hinaus in die Dunkelheit und fragte mich nervös, was da jetzt wohl kam. »Sicher.«

»Was hat es mit all den Spitznamen auf sich? Jeder hat irgendeinen komischen Namen.«

Ich lachte. »Keine Ahnung, wir Aussies machen das halt so. Auch wenn sich ein Name nicht abkürzen lässt, kürzen wir ihn ab. So wie Fish die Kurzform von Fisher ist. Aber Ernies richtiger Name ist Chris. Keinen Schimmer, wo da der Ernie-Teil herkommt.«

»Und Bacon?«

»Na ja, er kommt von einer Schweinefarm…«

Er warf den Kopf zurück und lachte. Es war ein tiefes Grollen, das es unmöglich machte, nicht zu lächeln. Es unmöglich machte, ihn nicht anzusehen. »Und Trudy ist die einzige Frau?«

»Ja«, nickte ich. »Aber lass dich nicht täuschen. Sie ist die Härteste von allen und hat einen höllischen rechten Haken.«

Travis machte große Augen. »Sie hat dich geschlagen?«

»Nicht mich. Aber ich hab davon gehört. In der Stadt dachte wohl irgendein Typ einmal, er könnte was nicht so ganz Anständiges zu ihr sagen, und na ja –« Ich schüttelte den Kopf. »Das sollte man wirklich lassen.«

Er lachte. »Ich werd's mir merken.«

»Also«, versuchte ich, das Thema zu wechseln. »Ein Abschluss in Agronomie?«

»Agrarwissenschaften, ja«, sagte er. »Bodenbeschaffenheiten, Klimaeigenschaften, Produktion, dieses Zeugs.«

»Wenn du die Ökoregionen von Texas studiert hast, warum wolltest du hierher kommen?«, fragte ich. »Ich meine, wir haben hier völlig andere Böden, anderes Klima, anderes Getreide, andere Jahreszeiten, andere Produktionssysteme. Ich war noch nie in Texas«, gab ich zu, »aber ich bin ziemlich sicher, was die menschliche Interaktion mit dem Land angeht, ist das hier alles sehr weit weg von dem, was du studiert hast.«

Travis sah mich an, oder vielmehr, starrte mich an. Ein Lächeln breitete sich langsam über seinem Gesicht aus. »Du klingst, als wüsstest du, wovon du redest.«

»Tu nicht so überrascht«, spöttelte ich. »Ich weiß über ein bisschen mehr Bescheid als nur über den roten Staub hier.«

»Du hast Agrarwissenschaften studiert?«

»Hab ich«, antwortete ich. »Ich hab allerdings keinen Abschluss. Ich musste zurückkommen, um den Betrieb zu übernehmen.«

»Wie weit bist du gekommen?«

»Hab von vier Jahren drei geschafft.«

Er verzog das Gesicht. »Oh Mann. Das ist echt Scheiße«, sagte er leise, aber dann blickte er hinaus in die Dunkelheit, so als würde er verstehen, was Verantwortung bedeutete. »Ich habe einen Abschluss«, sagte er. »Und du sprichst von den Unterschieden in Bodenbeschaffenheit und Produktion, als würde es deshalb keinen Sinn für mich machen, hierher zu kommen. Aber das ist genau der Grund, warum ich hier bin. Weil hier alles anders ist.«

Und dann redete er darüber, dass er lernen wollte, außerhalb dessen zu denken, was er wusste. Er behauptete, bereits über die Farmwirtschaft in Texas Bescheid zu wissen und dass die Wissenschaft dahinter zu akademisch war. Was sollte es bringen, zu lernen, was er bereits wusste, sagte er. Aber er konnte nicht aus einem Buch lernen, wie wir hier die Wüste bewirtschafteten. Er sagte, was er wirklich lernen wollte, sei, wie man die gleichen Ziele unter so völlig verschiedenen Bedingungen erreichte.

Ich fragte ihn, warum das für ihn so wichtig sei. »Wenn du am Ende doch nur texanisches Farmland bewirtschaften wirst, welchen Unterschied macht es dann, wie wir die Dinge hier draußen erledigen?«

»Ich weiß theoretisch, wie man bei uns zu Hause den größtmöglichen Ertrag erzielt«, sagte er. »Aber wenn ich lerne, wie jemand anderes das Gleiche unter komplett anderen Voraussetzungen erreicht, dann muss mir das beim Bewirtschaften einer Ranch auch zugutekommen.« Er war für eine Weile still. »Ich schätze, ich bin ein bisschen ein Querdenker.«

Ich lächelte ihn an. »Nun, ich hoffe, ich kann genauso viel von dir lernen wie du von mir.«

Er lehnte sich im Stuhl zurück und hob das Handgelenk vor sein Gesicht. »Verflixt! Sieh mal, wie spät es schon ist!«

Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war fast ein Uhr morgens. Mann, wir hatten stundenlang geredet.