GESCHICHTEN AUS DONNAS KASCHEMME

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GESCHICHTEN AUS DONNAS KASCHEMME
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Monika Niehaus

Geschichten aus Donnas Kaschemme

Fantastische Storys vom Rande der Milchstraße

mit einem Nachwort von Jörg Weigand

und Bildern von Rainer Schorm

AndroSF 137

Monika Niehaus

GESCHICHTEN AUS DONNAS KASCHEMME

Fantastische Storys vom Rande der Milchstraße

mit einem Nachwort von Jörg Weigand

und Bildern von Rainer Schorm

AndroSF 137

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Februar 2021

p.machinery Michael Haitel

Titelbild & Illustrationen: Rainer Schorm

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Korrektorat & Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: Schaltungsdienst Lange oHG, Berlin

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 229 4

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 865 4


Geschichten aus Donnas Kaschemme

Donnas Kaschemme am Rande der Milchstraße ist keine besonders vornehme Kneipe, aber Donna, die resolute rothaarige Wirtin, braut das beste Bier in diesem Teil des Alphaquadranten.

Für ihre Stammgäste, Humanoide wie Aliens, ist Donnas Kaschemme so etwas wie ein zweites Zuhause. Es sind raue Kerle, die ein gutes Bier schätzen und kein Blatt vor den Mund nehmen. Der beste Geschichtenerzähler ist Willi, Wurmlochscout und Kopfgeldjäger, wegen seiner kleinen Statur und Wendigkeit auch »Wurmlochwiesel« genannt. Da er ständig pleite und ständig durstig ist, versucht er immer wieder, Quoxx, dem reichen Kuiper-Belter, ein paar Bierchen abzuluchsen. Quoxx ist ein gewitzter Händler, der es mit dem Gesetz nicht immer so genau nimmt, und er streitet sich ständig mit Willi.

Und dann gibt es da noch den Ich-Erzähler, der als Chronist getreulich alles berichtet, sich selbst aber im Hintergrund hält.

Gäste aus allen Teilen der Galaxie, ob Gnurks, Chamäloide oder Algebraner, sind übrigens in Donnas Kaschemme immer willkommen, besonders dann, wenn sie etwas Interessantes zu erzählen haben.

Monika Niehaus

Düsseldorf, im Frühjahr 2020

Angeregt wurden die Kaschemmen-Geschichten von den »Phantastischen Miniaturen«, Kurzgeschichtensammlungen der Phantastischen Bibliothek Wetzlar. Sie werden herausgegeben von Thomas Le Blanc und stehen jeweils unter einem bestimmten Motto; in »Ihr Haar zerbrach wie blaues Glas« geben die Kneipenwirtin Donna, Willi, das Wurmlochwiesel, und Quoxx ihren Einstand.

Freibier

Willi wischte sich den Bierschaum vom Mund, betrachtete sein leeres Glas und sah sich hoffnungsvoll um. »Ich könnte noch ein Bier vertragen …«

Donnas Kaschemme ist nicht gerade eine vornehme Kneipe. Sie liegt ein wenig ab vom Schuss, am äußersten Rand der Milchstraße auf einem unbedeutenden Planeten namens Terra, aber dafür findet sich hier so manch seltsamer Vogel ein.

Willi, genannt das Wurmlochwiesel, gehört zu Donnas Stammgästen, wenn er in diesem Teil des Quadranten weilt. Er ist einer der besten Wurmlochscouts der ganzen Galaxis und ein erfolgreicher Kopfgeldjäger, aber da er auf alles wettet, was Beine hat, ist er ständig pleite. Kurz gesagt, er ist ein penetranter Schnorrer.

Willi räusperte sich: »Neulich, auf Morphos, da habe ich ein Weib getroffen, ein Weib, sage ich euch …«

Wir unterhielten uns weiter, als hätten wir nichts gehört, und ließen ihn zappeln. Schließlich erbarmte sich Donna und brachte ihm ein neues Bier. Wir rückten unsere Tische zusammen.

Willi nahm einen tiefen Schluck. »Also, auf Morphos wartete ich auf einen Gewährsmann, der mir wichtige Informationen über einen untergetauchten Banker verkaufen wollte. Wie sich herausstellte, war der Gewährsmann eine Frau, und was für eine …«

Seine Hände zeichneten üppige Kurven in die Luft. »Groß, mit wunderbarer Figur, eine Taille, die ich mit meinen Händen umfassen konnte und einem prächtigen Hintern … aber das Tollste war ihr aquamarinblaues Haar, das ihr wie ein Wasserfall bis auf die Hüften fiel! Wir wurden rasch handelseinig und erledigten das Geschäftliche. Schon im Gehen wandte sie sich plötzlich um. Ich sei ihr auf den ersten Blick sympathisch gewesen, und seit sie verwitwet sei … ob wir nicht unser Geschäft … sie machte eine einladende Handbewegung.«

Er grinste breit. »Ich gebe zu, ich musste schlucken. So ein Angebot erhält ein alter Bock wie ich nicht alle Tage. Fast hätte ich bedauert, sie beim Feilschen über den Tisch gezogen zu haben.«

In diesem Augenblick begann das Licht zu flackern, um schließlich ganz zu verlöschen, und Donna, die auf solche Notfälle vorbereitet war, reichte Kerzen herum.

Willi hatte die Gelegenheit genutzt, sich unauffällig ein neues Bier vom Tablett zu angeln. »Auf ihrem Zimmer wollte ich gleich zur Sache kommen, doch sie bat mich, mich umzudrehen, während sie sich für unser Tête-à-Tête bereit mache. In meinen unteren Gefilden regte sich bereits, was sich bei einem Mann in einer solchen Situation eben regt, aber als Gentleman tat ich ihr natürlich den Gefallen. Ihren Striptease wollte ich mir aber nicht entgehen lassen und linste über die Schulter. Fast wären mir die Augen aus dem Kopf gefallen …«

Willi warf einen Blick in die Runde und stellte zufrieden fest, dass alle wie gebannt an seinen Lippen hingen. »Blauschopf hatte ihr Gewand fallen lassen und holte ein paar Mal tief Atem, als wolle sie ihren Körper aufpumpen wie einen Ballon. Die Atmosphäre schien auf einmal geladen mit Elektrizität. Plötzlich ertönte ein seltsam klirrendes Geräusch. Ihr blaues Haar zerbarst wie Glas, und ihre Körperhülle platzte längs der Mittellinie auf. Aus dem Inneren quoll eine monströse Gestalt mit Wespentaille, einem gewaltigen Hinterleib und mehr Beinen, als einer Frau gut tut.

Wie hypnotisiert drehte ich mich um. Acht Augen funkelten mich an, jedes einzelne eisblau und diamanthart. Trotz meiner heftigen Gegenwehr wickelte sie mich mit routinierten Beinbewegungen, die auf lange Übung schließen ließen, in einen endlos langen Seidenfaden, der aus ihrem Hintern quoll. Dann senkten sich zwei dolchartige Klauen auf mich herab, aus denen milchiger Magensaft troff …«

Willi machte eine Kunstpause, und Donna schob ihm unaufgefordert ein neues Bier zu.

»Und dann?«, tönte es von allen Seiten.

»Und dann?« Willi ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern, und um seinen Mund spielte ein seltsames Lächeln. »Dann lutschte das Biest mich bis auf den letzten Tropfen aus.« Der Kerzenschein ließ seine Augen rötlich aufleuchten. »Das, was hier bei euch am Tisch sitzt, ist ein Geist.«

Das Tohuwabohu, das daraufhin in Donnas Kaschemme losbrach, können Sie sich nicht vorstellen. Aber wenn Sie mal in der Gegend sind und eine gute Geschichte auf Lager haben, schauen Sie doch vorbei – für eine gute Story lässt Donna schon mal eine Runde Freibier springen.

»Ihr Haar zerbrach wie blaues Glas«, Hrsg. Thomas Le Blanc und Falko Löffler, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2011

Wenn Sie bisher nicht wussten, was ein »Gnurk« ist, so können Sie diese Bildungslücke nun schließen.

Das Duell

Donnas Kaschemme ist nicht gerade arm an seltsamen Typen, doch ein Gnurk war hier auf Terra am Rand der Milchstraße nun wirklich etwas Besonderes. Gnurks sehen aus wie eine Kreuzung zwischen Erdferkeln und Ferengi. Sie sind Globetrotter und Glücksritter. Und sie gelten als die unverschämtesten Aufschneider in der ganzen Galaxie. Da der Gnurk angeblich von Adel und sein Name für Nicht-Gnurks unaussprechlich war, erlaubte er uns, ihn einfach »Baron« zu nennen.

An jenem Abend hockten wir mit Willi, dem Wurmlochwiesel, zusammen, als sich der Baron zu uns setzte. Willi ist seines Zeichens Kopfgeldjäger und unser lokaler Champion, was fantastische Geschichten angeht. Donna brachte ungefragt eine Runde Bier. Über ihren Gläsern maßen sich die Kontrahenten mit zusammengekniffenen Augen. Allen war klar, dass es zu einem Showdown kommen würde.

»Auf Plutonia hab’ ich mal ein Dreihorn erlegt …«, eröffnete Willi die Partie.

»Dreihörner« – der Baron machte eine wegwerfende Handbewegung – »Dreihörner sind doch trivial! Ja, wenn Sie schon mal einen Paradoxwolf gejagt hätten …« Und an die erwartungsvolle Runde gewandt: »Ich war mit meinem windschnellen Windhund hinter einem besonders flinken Exemplar her, aber je schneller der Hund rannte, desto mehr Vorsprung gewann das Vieh. Schließlich hatte ich einen Geistesblitz: Ich befahl dem Hund, rückwärts zu laufen, und in Nullkommanichts hatte er Meister Isegrim eingeholt. Von den Einheimischen wurde ich sehr gelobt für meinen guten Einfall!«

Und bevor Willi Luft holen konnte, legte der Gnurk nach: »Ein andermal war ich in einer wirklich brenzligen Lage. Ich war von Dorfbewohnern gebeten worden, sie von einer schrecklichen Raubkatze zu befreien, die die Raumzeit im ganzen Sektor unsicher machte. Ich hatte mich kaum umgedreht, als ich plötzlich den heißen Atem der Bestie im Nacken spürte. Ich erkannte sofort, dass es sich um einen dieser Quantentiger handelte. Das Biest hatte sich von hinten herangeschlichen! Und meine Quantenbüchse lag noch im Zelt – ich war so gut wie verloren! Ich zermarterte mir das Hirn … und dann schleuderte ich ihm die Schrödingergleichung entgegen. Und hast du nicht gesehen, lösten sich seine Umrisse auf und das Biest kollabierte wie ein angestochener Luftballon.«

 

Rundum ertönte beifälliges Gemurmel. Donna stellte dem Gnurk noch ein Bier hin. Der Baron nahm einen tiefen Schluck und warf Willi einen Blick zu, doch der hielt den Kopf gesenkt. Die Partie stand eindeutig zugunsten des Gnurks.

Der beeilte sich, seinen Vorteil zu nutzen: »Und damals Draconia … der König flehte mich an, seine flachsblonde Tochter zu retten, die vor der Drachenhöhle angekettet war. Ich richtete mein Fernrohr auf den Höhleneingang. Der Drache war wirklich ein gewaltiges Vieh, aber ich bin nicht umsonst weit in der Galaxie herumgekommen.« Er grinste selbstsicher in die Runde. »Daher erkannte ich sofort, dass es sich um ein Exemplar der Spezies Draco simulatus handelte, einen sogenannten Scheindrachen. Also wies ich meinen Burschen an, mir zu folgen. Kaum wurde der Drache meiner gewahr, fing er an, Feuer zu spucken, doch ich drehte einfach mein Fernrohr um, und je näher ich kam, desto kleiner wurde er, bis mein Bursche ihn schließlich in seinen feuerfesten Rucksack stecken konnte. Dann führte ich die wunderschöne, flachsblonde Prinzessin heim ins Schloss.«

Der Gnurk machte eine nonchalante Handbewegung. »Ich kann nur sagen, sie war mir wirklich sehr, sehr dankbar … aber der Kenner genießt und schweigt.«

Er grinste Willi siegessicher an, wobei seine Fangzähne aufblitzten: »Sie zweifeln doch nicht etwa an meinen Worten, Willi?«

Willi wischte sich den Bierschaum vom Mund. »Ganz im Gegenteil, Baron. Ich weiß, dass Sie die Wahrheit sprechen!«, entgegnete er kühl. »Mir macht nur Ihr Gedächtnis Sorgen!« Er beugte sich vor: »Erinnern Sie sich etwa nicht mehr daran, dass ich der Bursche war, der Sie da rausgehauen hat, als die Eunuchen der Prinzessin Sie einen Schwanz kürzer machen wollten? Wir sind wirklich im allerletzten Moment davongekommen!«

Einen Augenblick herrschte Totenstille, dann begann die ganze Kneipe wie ein Mann zu klatschen und zu johlen. Als sich die Aufregung endlich legte, war der Platz des Gnurks leer. Er hatte sich offensichtlich aus dem Staub gemacht – natürlich, ohne seinen Deckel zu begleichen.

Donna trägt solche Verluste mit Fassung. Ihr geht eine gute Geschichte über alles. Wenn Sie also gerade in der Gegend sind, schauen Sie doch mal vorbei in unserer Kaschemme. Sie werden sich bestimmt nicht langweilen.

»Invasion der Gnurks«, Hrsg. Thomas Le Blanc und Jörg Weigand, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2012

Die »Böse Seite des Mondes« zu würfeln, ist wirklich ziemliches Pech. Hier hat der Kuiper-Belter Quoxx seinen ersten Auftritt, der sich zu Willis Intimfeind entwickeln soll.

Willi ist ein Ehrenmann

Donnas Kaschemme am Rande der Milchstraße kennen Sie ja inzwischen und auch Willi, das Wurmlochwiesel, unseren Champion im Geschichtenerzählen. Willi ist der beste Kopfgeldjäger im ganzen Quadranten, aber ständig abgebrannt. Und da er in der trockenen terranischen Luft unter starkem Durst leidet, auch immer auf Ausschau nach möglichst kostenlosen Drinks.

Diesmal saß er ganz gegen seine üblichen Gewohnheiten wortlos an unserem Tisch und nippte an seinem Bier.

»He, Willi, warum so trübsinnig?«, wollte Quoxx wissen, ein notorisch knauseriger, vierschrötiger Kuiper-Belt-Bewohner, der Willi für einen Schnorrer hält und seinen Geschichten nicht immer den nötigen Respekt zollt. »Warst du nicht hinter diesem Hochstapler, diesem Gnurk, her, der mit dem Sparschwein der Raumschrottgilde durchgebrannt ist?«

Willi nickte. »War ich.«

»Und heulte der Gildenmeister nicht nach seinem Kopf und winkte mit einer Menge Zaster?«, bohrte Quoxx weiter

Willi nickte wieder. »Hat er.«

Quoxx beugte sich vor. »Aber du hast ihn nicht schnappen können?«

»Doch, schon.« Willi blieb einsilbig.

»Warum bist du dann noch immer so pleite, dass du dich den ganzen Abend an einem Bier festhältst?«

Willi warf einen vielsagenden Blick auf das Tablett, mit dem Donna gerade an unseren Tisch trat, und Quoxx bedeutete ihr mit einer knappen Handbewegung, Willi ein frisches Bier zu geben.

Willi nahm einen tiefen Schluck. »Nun, wie Quoxx schon sagte, war auf den Kopf des Gnurks eine fette Prämie ausgesetzt, und so heftete ich mich an seine Fersen. Der Kerl kannte eine Menge Tricks, doch ich« – und hier versuchte Willi, bescheiden zu lächeln, was ihm gründlich misslang – »ließ mich nicht abschütteln. Schließlich trieb ich ihn am Rand einer Singularität in die Enge, überwältigte ihn und bugsierte ihn auf mein Raumschiff. Ich brauchte nur noch nach Terra zurückzukehren, ihn abzuliefern und meine Prämie einzustreichen.« Er verstummte und rieb sich das Kinn.

Quoxx machte Donna ungeduldig ein Zeichen, ein weiteres Bier zu bringen. »Du hattest ihn also im Sack – was konnte denn da noch schief gehen?«

Willi wischte sich den Schaum vom Mund und grinste verlegen. »Nun, wie sich herausstellte, war der Gnurk gar kein so unebener Kerl, wenn man ihn näher kennenlernte – ein wenig großmäulig, aber kein Vergleich zu seinem Vetter, der uns vor einiger Zeit mit seinen Lügengeschichten einzuwickeln versucht hat. Und er verstand, dass Geschäft nun mal Geschäft ist und ein Kopfgeldjäger von Kopfgeld lebt, und ergab sich in sein Schicksal. Irgendwann schlug er dann vor, die Zeit auf der langen Heimreise mit einem Würfelspielchen zu verkürzen – zum Glück hatte er ein Sechserpack Sonne-und-Mond-Würfel dabei. Es lief alles prächtig, und die Reise verging wie im Flug. Der Gnurk wurde immer kleinlauter, während ich ihm abknöpfte, was vom Sparschwein des Gildenmeisters noch übrig war. Wir hatten schon den Saturnorbit passiert, als er seinen letzten Einsatz, eine silberne Uhr, auf den Tisch legte und ›all in‹ verlangte. Die Chancen standen haushoch zu meinen Gunsten, ich war ihm fünf Sonnen voraus, und die Uhr war wirklich ein Prachtstück. Ich schüttelte also den Becher, warf …« – Willi machte eine Kunstpause, und Quoxx schob ihm ungefragt noch ein Bier zu – »… und konnte meinen Augen nicht trauen: Alle sechs Würfel zeigten bad moons!«

Ein mitfühlendes Stöhnen ging durch die Runde. Sechs Mal die böse Seite des Mondes! Das war wirklich verfluchtes Pech.

»Damit hatte er mir nicht nur meinen ganzen Gewinn, sondern auch die gesamte Prämie abgeknöpft, die auf seinen Kopf ausgesetzt war.« Willi straffte die Schultern und hob das Kinn. »Ich musste ihn laufen lassen. Spielschulden sind nun mal Ehrenschulden, und niemand soll sagen, dass Willi, das Wurmlochwiesel, kein Ehrenmann ist …«

Einen Moment verschlug es uns die Sprache, dann brandete Applaus auf, und wir alle standen auf, um Willi auf die Schulter zu klopfen und ihm zu versichern, dass wir niemals an seinem Charakter gezweifelt hätten. Donna brachte eine Runde Freibier – »Willi hat gewettet, dass er dem Kuiper-Belter mindestens drei Bier abschwatzt«, raunte sie mir ins Ohr – und wir ließen sie und Willi gebührend hochleben.

Also, wenn Sie das nächste Mal in unserer Gegend sind und eine gute Geschichte hören wollen, kommen Sie vorbei, auch wenn Donnas Kaschemme etwas ab vom Schuss liegt.

»Die böse Seite des Mondes«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2012


Wenn Karl May heute lebte, würde er Fantasy schreiben und sich »Auf sehr fremden Pfaden« bewegen.

In der Klemme

In Donnas Kaschemme ging es wieder einmal hoch her. Sie liegt zwar ein wenig abseits am Rand der Milchstraße, aber hier ist immer etwas los, vor allem, wenn Willi, das Wurmlochwiesel, auf einen Sprung vorbeischaut, und das tut er eigentlich ständig. Er kommt von Berufs wegen viel herum und hat immer eine gute Geschichte auf Lager. Willi ist nämlich Kopfgeldjäger, auch wenn er ständig pleite ist, weil er gern ein Spielchen macht und dabei vom Pech verfolgt wird.

Nicht alle Gäste in Donnas Kaschemme schätzen Willi so wie ich. Das gilt besonders für Quoxx, einen vierschrötigen Kuiper-Belt-Bewohner, den Willi kürzlich hochgenommen hat. Seitdem sinnt er auf Rache. Daher ahnte Willi nichts Gutes, als er sich zu uns setzte.

»Hast du uns nicht vor einiger Zeit von deinem Abenteuer auf dem Salzmond Jod II erzählt?«, begann Quoxx ganz freundlich und winkte Donna herbei, um eine Runde Bier zu bestellen, was angesichts seiner üblichen Knauserigkeit höchst verdächtig war.

Willi nickte vorsichtig.

»Wie du mit deinem treuen Begleiter über diesen Salzsee geritten bist und die Schurken, die du verfolgtest, euren Führer weggepustet haben?«, fuhr der Kuiper-Belter fort.

»Ich erinnere mich, als wäre es heute gewesen«, bestätigte Willi und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. »Ohne Führer waren wir so gut wie verloren. Jeden Augenblick drohte uns der Salzsee zu verschlingen. Wir brachen ein, rafften uns wieder auf, brachen wieder ein, bis wir schließlich festen Boden unter den Füßen gewannen.« Er schüttelte erinnerungsträchtig den Kopf. »Doch unsere Reittiere, unsere ganze Ausrüstung, alles war unter der tückischen Salzkruste verschwunden …«

»Das muss schrecklich gewesen sein …«

Willi nickte. »Schauderhaft, sag’ ich euch!«

»Was für ein eigenartiger Zufall!« Quoxx ließ Willi nicht aus den Augen, während er ein altes, stockfleckiges Buch aus der Tasche zog und aufschlug. »Durch die Wüste. Hab's auf einem Flohmarkt in Nix-Wie-Weg entdeckt. Wenn du mal einen Blick drauf werfen möchtest … das Kapitel heißt Der Todesritt.« Er schob Willi das Buch herüber.

Willi begann zu lesen, und seine Augen wurden immer größer. »Das … das ist eine Unverschämtheit, eine bodenlose Unverschämtheit! Welcher Schuft wagt es, meine Geschichten zu klauen?«

»Nun, der Autor war Reiseschriftsteller … lebte wohl so gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts.« Quoxx entblößte seine Hauer und lächelte sein Warzenschweinlächeln. Jetzt hatte er diesen windigen Kopfgeldjäger am Wickel!

Willi schien nicht zu merken, dass wir alle ihn teils erwartungsvoll, teils besorgt anstarrten, sondern schüttelte nur den Kopf. »Kenn’ ich nicht … oder warte! Ist das so ein Kleiner mit Schnauzbart?«

Quoxx beäugte das Bild auf der Rückseite des Buches. »Könnte hinkommen …«

»Reiseschriftsteller! Dass ich nicht lache! Lehrer wollte der damals werden!« Willi schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass die Gläser tanzten. »Ich war hinter einem Schrottschmuggler her, als eine Wellengleichung in meinem Quantencomputer kollabierte und das Schiff ein paar Hundert Jahre zurück in die Vergangenheit katapultiert wurde. War eine Sauarbeit, den Schlamassel zu reparieren, hat mich fast eine Woche gekostet. Und in dieser Zeit bin ich bei dem jungen Schnauzbart untergekrochen. Hatte Grips und Fantasie, der Kerl, das muss ich sagen.«

Der Bierschaum auf seiner Oberlippe zitterte. Die Sache schien ihm wirklich an die Nieren zu gehen. »War sehr interessiert und hat mir Löcher in den Bauch gefragt. Also hab’ ich ihm beim Basteln meine Abenteuer erzählt … war ganz versessen darauf … hat sich dauernd Notizen gemacht. Und so dankt er es mir!« Anklagend wies er auf das Impressum. »Hat nicht mal meinen Namen erwähnt …«

Willi hob den Kopf und sah in die Runde. »Freunde! Ich bin Opfer eines schändlichen Plagiats geworden!«

Willis Augen waren so blau, so offen und ehrlich – wer von uns hätte seine gerechte Entrüstung nicht nachempfinden können? Wir alle gaben unserem Unmut über diesen Schreiberling lautstark Ausdruck, und Quoxx blieb nichts übrig, als in den allgemeinen Chor der Empörung einzustimmen und noch eine Runde zu bestellen.

Wenn Ihnen daher die eine oder andere von Willis Geschichten, die ich zusammengetragen habe, bekannt vorkommen sollte, dann zeigt das nur, dass Willi schon häufiger in eine Zeitschleife geraten ist. Aber wenn Sie selbst eine gute Geschichte aus dem Hut zaubern können, dann schauen Sie doch mal vorbei, Sie wissen ja, wo Sie Donnas Kaschemme finden.

 

»Auf sehr fremden Pfaden«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2013