Was glaubst du?

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Inhaltsverzeichnis

Im Kloster am richtigen Platz

Hinter Gittern und dennoch Gott ganz nah

Homosexuell und katholisch

Als hätte es die Ehe nie gegeben

Für sie ist Gott die Liebe

Auf dem Friedhof tobt das Leben

Das Kreuz auf der Schulterklappe

Das Kreuz mit den zwei Kirchen

Kreuz in der Kirche, Apfel auf dem Handy

Bei ihm dürfen Soldaten weinen

Glorias Tochter heiratet katholisch

Die Glaubensformel des Olaf Müller

Der Hüter über den Predigtfaden

Er ist da, wenn es keinen Trost gibt

Herr Grünwald, darf man über Gott lachen?

Weil er glaubt, vergibt er den Nazis

Dieser Mann schweigt wie ein Grab

Er traut Mitmenschen mehr als Gott

Mit Gott für Kirche und Vaterland

Eine Rückkehr im inneren Frieden

Der „Chef“ ist das Maß aller Dinge

In der Medizin ist auch Platz für Gott

Leben im „Vorzimmer des Sterbens“

Impressum

Im Kloster am richtigen Platz
Mit 19 Jahren hat sich Christina Vögerl fürs Kloster entschieden. Jetzt ist sie Deutschlands einzige Novizin bei den Mallersdorfer Schwestern.


Schwester Chiara hat keine Zweifel an ihrer Entscheidung:„Jeder muss seinen Weg gehen.“ Foto: Schönberger

Von Dagmar Unrecht, MZ

Mallersdorf. Antenne Bayern hört sie noch immer gern. Doch ansonsten unterscheidet sich Schwester Chiaras Alltag grundsätzlich von dem ihrer Altersgenossen: Armut, Gehorsam, Keuschheit. Das sind seit gut einem Jahr die Koordinaten in ihrem Leben. Mit 20 Jahren ist sie mit Abstand die jüngste Schwester im Kloster Mallersdorf und zugleich das jüngste Ordensmitglied in ganz Deutschland. Seit April vergangenen Jahres lebt sie im Kloster. Ihre Kleider hat sie verschenkt, jetzt trägt sie schwarze Ordenstracht. Am weißen Schleier ist sie als Novizin zu erkennen. Ihr dunkelblondes Haar liegt als Pony über der Stirn, die Ohren sind vom Schleier bedeckt. Eine Kreuz-Brosche aus Metall, das Erkennungszeichen der „Armen Franziskanerinnen von der heiligen Familie zu Mallersdorf“, hat sie angesteckt. „Jeder muss seinen Weg gehen“, sagt die junge Frau mit Nachdruck in der Stimme, „ich fühle mich am richtigen Platz“.

1993 kommt Christina Vögerl in Bad Kötzting im Landkreis Cham zur Welt. Ihre Mutter ist Religionslehrerin, die Familie geht am Sonntag regelmäßig in die Kirche. „Mein ganzes Umfeld war religiös geprägt“, erzählt sie. Christina singt im Kirchenchor und übernimmt den Lektorendienst im Gottesdienst. Schon während der Firmvorbereitung denkt sie über das Klosterleben nach. Jahrelang hat sie das Thema im Hinterkopf. 2009, sie ist erst 16 Jahre alt, wagt sie den ersten Schritt: Das Kloster Mallersdorf bietet jungen Frauen Schnuppertage an, um das Leben der Ordensschwestern kennenzulernen. Drei Tage und zwei Nächte verbringt Christina im Kloster, nimmt an den Gebeten und Gottesdiensten teil. „Das war eine gute Gelegenheit, um ins Gespräch zu kommen“, erinnert sie sich. „Ich bin zur Ruhe gekommen und habe Kraft geschöpft.“ Drei Jahre später, im Oktober 2012, steht sie erneut vor der Klosterpforte. Inzwischen hat sie ihr Abitur gemacht und studiert in Gießen Medizin. Sie verbringt „Stille Tage“ in Mallersdorf und genießt die Zeit fernab vom Konsumdenken. „Ich bin mit der konkreten Frage hingefahren, ob ich ins Kloster will oder nicht.“ Drei Nächte bleibt sie und ist sich danach schon ziemlich sicher, dass hier ihre Zukunft liegt. „Ich wollte die Entscheidung nicht jahrelang hinausschieben“, erzählt sie. Drei Monate später kommt sie zum dritten und letzten Besuch auf Probe nach Mallersdorf, dann steht ihr Entschluss: „Ich habe mich gefragt: Was kann es Bedeutenderes geben als Christus?“, beschreibt sie nüchtern ihre Gedanken. Ihre Antwort fällt eindeutig aus ohne schwärmerisch zu klingen: „Christus ist das Wichtigste, also folge ich ihm.“

Einzige Tochter

So logisch die Entscheidung aus Sicht der jungen Frau sein mag, ihr Umfeld tut sich schwer damit. „Für meine Mutter und meinen Vater war es schwierig, ihr bin ja ihr einziges Kind“, erzählt sie. Ihre Eltern seien überrascht gewesen, hätten es aber geahnt. Als diese hören, dass man auch als Klosterschwester einen Beruf erlernt, sehen sie die Entscheidung ihrer Tochter mit weniger Sorge. Enge Freundinnen loben Christinas Mut. „Das passt zu dir“, sagen sie. Aber Christina bekommt auch abfällige Kommentare zu hören. „Im Kloster ist es schlimmer als bei der Bundeswehr“, wird sie gewarnt. Heute kann sie darüber lachen. Damals wollte sie zunächst nicht, dass ihr Entschluss in ihrer Heimatstadt gleich an die große Glocke gehängt wird. Zu ihrer offiziellen Einkleidung am 28. Dezember 2013, bei der sie ihre Ordenstracht erhält und nach einem halben Jahr Vorbereitung ins sogenannte Noviziat aufgenommen wird, lädt sie außer ihrer Familie nur die drei besten Freundinnen ein. Die Feier findet im schlichten Rahmen einer Vesper statt, dabei ist es auch für den Orden ein besonderes Ereignis: Christina ist die einzige Novizin in Deutschland, nur in Afrika hat der Orden noch zwei weitere Anwärterinnen.

Aus Christina Vögerl wird mit dem Noviziat Schwester Chiara. „Den Namen habe ich beim Gang über den Friedhof entdeckt“, erzählt sie. Jede der mehr als 800 Ordensschwestern heißt anders. Ein Gelübde hat sie noch nicht abgelegt, das Noviziat ist eine zweijährige Probezeit, erst danach folgt die zunächst zeitlich begrenzte Profess. Schwester Chiara könnte also im Moment jederzeit ihre wenigen Sachen packen und die Klostermauern hinter sich lassen. Doch diese Option spielt für sie keine Rolle. „Wenn ich nicht daran glauben würde, dass es die richtige Entscheidung war, hätte ich es erst gar nicht gemacht.“ Was sie so sicher sein lässt, ist schwer zu fassen. Eine Art „Gotteserlebnis“ hatte die junge Frau jedenfalls nicht. Aber das macht ihr keinen Kopf, Schwester Chiara neigt nicht zum Grübeln. Der Verzicht auf eine Partnerschaft und eigene Kinder sei ihr zwar sehr bewusst, sie habe vor ihrem Klostereintritt auch „mal einen Freund“ gehabt, erzählt sie. Dass die Beziehung auseinandergegangen sei, habe aber mit ihrem Gang ins Kloster nichts zu tun. Was sie so sicher macht, dass sie sich nicht eines Tages verlieben könnte? „Man weiß nie, was kommt“, entgegnet sie gelassen.

Frage der Berufswahl

Die nächste wichtige Entscheidung ist die Berufswahl. Schwester Chiara möchte studieren, als Fächer kommen sowohl Medizin als auch Theologie infrage. Das Thema hat aber noch Zeit, sie soll sich erstmal einleben. „Jede Schwester hat einen anderen Charakter, darauf muss ich mich einstellen“, sagt sie. Morgens um kurz vor fünf beginnt ihr Tag mit einem Morgengebet. Vormittags arbeitet sie in der Küche. Auch die Nachmittage sind ausgefüllt: Sie übt mit Kindern aus Migrationsfamilien Deutsch, besucht alte Ordensschwestern im Altenheim des Klosters und hilft in der Wäscherei. Dazu kommen mehrere Gebetszeiten täglich und der Unterricht zu den Ordensregeln. Im Kloster wohnt die junge Frau in einer kleinen Ausbildungsgemeinschaft zu der auch ihre Noviziats-Leiterin gehört. „Wir frühstücken zusammen, der Rahmen ist familiärer als im großen Speisesaal“, erzählt Schwester Chiara.

Drei Wochen Urlaub hat sie im Jahr, Zeit um Familie und Freunde zu besuchen. Im ersten Noviziatsjahr dürfen ihre Eltern nur vier- bis fünfmal zu ihr ins Kloster kommen. Ansonsten sind die sozialen Kontakte der Ordensschwester eingeschränkt. „Der Freundeskreis dünnt sich aus“, räumt sie ein. Vier bis sechs enge Freunde seien ihr geblieben, besucht hätten sie sie aber noch nicht. Die junge Schwester nimmt es pragmatisch: „Das Leben draußen ist nicht immer leicht, genauso ist es hier drin.“

Hinter Gittern und dennoch Gott ganz nah

Was glaubst Du?“ – Die MZ besuchte einen Sonntagsgottesdienst in der Justizvollzugsanstalt Regensburg. Welche Rolle spielt der Glaube im Gefängnis?

 

Einfache, aber sehr persönliche Botschaften: Drei Gottesdienste halten Pater Clemens (r.) und Gefängnisseelsorger Hans Kerscher jeden Sonntag in dem Gebetsraum unter dem Dach der Justizvollzugsanstalt Regensburg. Foto: Stöcker-Gietl

Von Isolde Stöcker-Gietl, MZ

Regensburg. „Ich war im Gefängnis und ihre seid zu mir gekommen“, heißt es im Matthäus-Evangelium. Jeden Sonntag folgt Kapuzinerpater Clemens diesem Ruf. Durch die langen, dunklen Gänge, vorbei an den Sicherheitsschleusen, bahnt er sich seinen Weg durch die Justizvollzugsanstalt Regensburg. Hier liegt ein wichtiger Auftrag der Kirche. Es sind keine „verlorenen Schäfchen“, die es auf den rechten Weg zurückzugeleiten gilt. „Es sind Menschen wie du und ich“, sagt der 72-Jährige, „oft einsam, von lieben Menschen getrennt.“ Pater Clemens und Gefängnisseelsorger Johann Kerscher setzen bei den Sonntagsgottesdiensten auf die Kraft des Heiligen Geistes, weniger auf die ihrer Worte. Sie möchten das Herz erreichen und hoffen, dass die Botschaften ankommen. Dafür brauchen sie keinen Weihrauch und kein Glockengeläut.

Teil einer Schicksalsgemeinschaft

Rund 200 Gefangene sitzen derzeit in der Justizvollzugsanstalt Regensburg ein. Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene mit einer Haftdauer bis zu einem Jahr. Darunter auch 20 Frauen. Sie haben sich wegen Drogenmissbrauchs, Diebstahl oder Körperverletzung schuldig gemacht. Manchmal sind mutmaßliche Mörder oder Sexualstraftäter unter den Gottesdienstbesuchern. Sie sind Teil dieser Schicksalsgemeinschaft, die sonntags das Wort Gottes hört. Menschen, mit Sorgen und Problemen, Menschen, deren Leben aus der Bahn geraten ist. Hier, in dem kleinen, provisorisch eingerichteten Gotteshaus unter dem Dach der Justizvollzugsanstalt, wird nicht über sie geurteilt. Das ist Aufgabe der Gerichte.

Es ist 8.15 Uhr. Ding, dong, dong. Das ist das akustische Zeichen, dass nun der Gottesdienst beginnt. Mit Handschlag begrüßen Pater Clemens und Seelsorger Kerscher die 14 Frauen. „Guten Morgen, schön Sie zu sehen.“ Sie sind schweigsam. Die ungeschminkten Gesichter sind blass. Eine aus ihrer Gruppe ist zwei Tage nach der Haftentlassung ums Leben gekommen. „Das wird heute ein stiller Gottesdienst des Gedenkens“, sagt der Kapuzinerpater. Er hat Kerzen dabei und eine Muttergottes aufgestellt. Auf dem Altartisch stehen Seidenblumen in zwei leeren Kompottgläsern, daneben die Osterkerze und zwei künstliche Kirschbäume. Der Raum wird jahreszeitlich geschmückt, erläutert Kerscher. Es sei reizvoll, in dem Mehrzweckraum mit den kahlen Wände, den Neonlampen und der Überwachungskamera ein spirituelles Ambiente zu schaffen. Nach Ansicht von Pater Clemens sei es „die schönste Gefängniskapelle“, die er kenne; „weit und hell“.

Der Gottesdienst beginnt mit Stille und einer Meditation. Der Kapuzinerpater spricht von der Sehnsucht der Menschen nach Glück und Geborgenheit und dass sie oft den falschen Weg wählen. „Wir sind nicht daheim bei uns, wir weichen uns selbst aus.“ Passend dazu stimmt er auf seiner Gitarre „Wohin soll ich mich wenden“ aus der Schubert-Messe an.

Der Geistliche spricht sehr leise, schaut dabei abwechselnd eine der Frauen an. „Da gibt es Frauen, die von ihren Partnern geschlagen und gewürgt werden und trotzdem besuchen sie ihn in der Haft, weil sie sich einsam fühlen und nicht alleine sein wollen.“ Er ermutigt die Anwesenden, die meisten von ihnen noch sehr jung, nach ihrem eigenen Weg zu suchen und sich selbst zu finden. „Heimat ist dort, wo ich mich angenommen weiß.“

Pater Clemens wählt sehr einfache Worte, wiederholt das Gesagte mehrmals. Er will, dass seine Botschaften ankommen. „Ich versuche den Menschen den Glauben nahe zu bringen, dass sie geliebt sind“, sagt er. „Es werden sich in meinen Predigten immer einzelne sehr deutlich angesprochen fühlen. Ich will Impulse geben und einen Denkprozess in Gang bringen.“ Das Schicksal von Obdachlosen, Abhängigen und Strafgefangenen ist seit über drei Jahrzehnten sein Lebensinhalt. Er feiert nicht nur mit ihnen Gottesdienste, er bekocht und beherbergt sie auch. Manchmal sieht man den Kapuzinerpater in Strafprozessen sitzen. Er ist der seelische Beistand derjenigen, denen das Leben übel mitgespielt hat.

Die Frauen folgen den Worten still und in sich gekehrt. „Bei den Männern ist es da schon deutlich unruhiger“, sagt Kerscher, der seit über 30 Jahren in der Gefängnisseelsorge arbeitet. „Wenn alle versammelt sind, wie zum Beispiel an Weihnachten, fühle ich mich schon ein wenig wie ein Dompteur“, meint Pater Clemens und lächelt dabei. Doch er weiß, dass die meisten der rund 60 sonntäglichen Gottesdienstbesuchern die Zeit zur inneren Einkehr nutzen. „Es ist mehr als eine schöne Abwechslung im Gefängnisalltag. Das würde sich bald abnutzen.“

Die Seelsorger wollen auch niemanden bekehren. Sie wollen da sein und Angebote machen. Jeder kann, niemand muss sie nutzen. Auch religiöse Grenzen gibt es nicht. Ob katholisch, evangelisch oder russisch-orthodox, ob Muslim oder keiner Religion zugehörig: Alle die zuhören wollen, sind willkommen.

Buße braucht seine Zeit

Ob der Gottesdienst Anlass für die Gefangenen ist, sich mit ihrer Tat auseinanderzusetzen? Pater Clemens denkt kurz nach. Dann schüttelt er den Kopf. „Ich habe festgestellt, dass die Gefangenen in Regensburg sich weniger mit dem Thema Buße beschäftigen. Vor dem Strafprozess spielt das keine große Rolle, da sind die Menschen viel mehr mit sich selbst und ihrer Situation beschäftigt. Da sucht man auch eher nach Entschuldigungen. In der Justizvollzugsanstalt Straubing schaut das ganz anders aus.“ Dort, wo Menschen eine sehr lange Strafe absitzen oder in Sicherungsverwahrung leben, ist viel Zeit zum Nachdenken. Manchmal auch zum Umdenken. „Ich habe Menschen getroffen, die im Innersten bereuten. Aber genauso Menschen, die mich enttäuscht haben.“ Ein Häftling, der noch jahrelang nach seiner Verurteilung die Tat bestritt, hat nach acht Jahren bei Pater Clemens reinen Tisch gemacht. „Es ist ein langer Weg, sich der Tat zu stellen“, sagt Seelsorger Kerscher.

Es geht auf 9 Uhr zu. Pater Clemens legt eine CD auf und beendet den Gottesdienst mit einer musikalischen „Einladung“, wie die Beatles sich der Nähe von „Mother Mary“ bewusst sind: „Let it be – Lass es gut sein“. Anschließend bittet er die Frauen, Kerzen für die Verstorbene anzuzünden. Viele wischen sich Tränen aus dem Gesicht, schluchzen. Dann verlassen sie, begleitet von zwei Vollzugsbeamtinnen, den Gottesdienst-Raum. Pater Clemens und Gefängnisseelsorger Kerscher bleiben nur wenige Minuten Zeit, um sich auf die folgende Männergruppe vorzubereiten. Nach dem dritten Gottesdienst wird Pater Clemens heimfahren und für Obdachlose, Drogenabhängige und ehemalige Strafgefangene kochen. An seinem Tisch ist für die Menschen Platz, die die Gesellschaft ausgeschlossen hat. Ein Hüter von Gottes Schafen, nach denen niemand mehr sucht.

Homosexuell und katholisch
Der Theologe Michael Brinkschröder ist schwul. Ein Austritt aus der Kirche kam für ihn aber nie infrage, denn er will sie von innen heraus verändern.


Michael Brinkschröder engagiert sich heute ganz offen in der Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche“. Aber es war kein leichter Weg für ihn, sich offen zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen. Foto: Meyer-Tien

Von Katia Meyer-Tien, MZ

München. Es hätte alles so einfach sein können für den Jungen, der auf einem Bauernhof im ländlichen Fürstenau aufwuchs. Die Eltern waren katholisch, viele Freunde auch. Er war Messdiener, Jugendgruppenleiter, glaubte fest an Gott und Jesus Christus und wollte Theologie studieren. Doch einfach war nichts für Michael Brinkschröder.

Brinkschröder ist heute 47 Jahre alt, ein fröhlicher Mann, der in einem verwohnten Münchner Altbau lebt. Im langen Flur reihen sich die Bücher meterhoch an der Wand, neben dem Schreibtisch steht ein Duden neben dem neuen Testament und der Bibel „in gerechter Sprache“. Brinkschröder ist katholischer Religionslehrer, doch wie er dazu wurde, das war „ein Eiertanz“, denn Brinkschröder ist schwul.

Das Thema war tabu

Wann er gemerkt hat, dass er sich für Männer interessiert, das kann Brinkschröder heute nicht mehr genau sagen. Dass da irgendwas war, war ihm früh klar. Aber schwul sein? Homosexuell? Das ist Sünde. Lernte er von seinem Religionslehrer. Sonst war das Thema Tabu, über so etwas sprach man nicht.

Also versuchte auch Brinkschröder, nicht darüber nachzudenken. Bis er ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem katholischen Kinderheim machte, unter der Aufsicht erzkonservativer Nonnen, und ihm die Jugendlichen nachriefen: „Du bist ja schwul, das sieht man doch!“. Brinkschröder geriet in Panik. Wollte es nicht wahrhaben, und dann die Angst: Sah man ihm das wirklich an? Würde er seinen Job verlieren? Schwul leben und bei der katholischen Kirche arbeiten, das geht nicht. Es war nicht das letzte Mal, dass sich Brinkschröder mit diesem Dogma konfrontiert sah.

Bis heute tut sich die katholische Kirche schwer im Umgang mit Homosexuellen und Transgendern. Sehr schwer. Wer nicht ins klare Schema des konservativen Wertesystems passt, der wird bestenfalls ignoriert. Schlimmstenfalls ausgegrenzt. Offiziell ist gleichgeschlechtliche Sexualität Sünde. Levitikus: „Du sollst nicht bei einem Manne liegen, wie Du bei einer Frau liegst; es ist ein Gräuel“

Brinkschröder studierte trotzdem Theologie. Oder vielleicht gerade deswegen. Er hatte die Erzkonservativen kennengelernt, für die seine sexuelle Orientierung abnormal ist, die ihn kompromisslos ablehnen.

Aber er kannte auch die andere Seite der Kirche. Die, die er als Kind und Jugendlicher als großartige Gemeinschaft erlebt hatte. Eine offene, helfende Kirche, die sich weltweit für Menschen in Not einsetzt: „Die Kirche der 1970er und frühen 1980er Jahre war für mich der Inbegriff von Fortschritt“, sagt Brinkschröder heute, „damals waren die Befreiungstheologie und auch der Feminismus sehr lebendig“. Dann aber, in den späten 1980er und 1990er Jahren seien alle progressiven Strömungen innerhalb der Kirche abgewürgt worden. Mit dieser Kirche wollte er sich auseinandersetzen. Sie verstehen. Und die Dogmen überwinden, zurück zu einer offenen und progressiven Kirche.

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