Trink aus! Den bitteren Kelch

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Trink aus! Den bitteren Kelch
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Michel Tapión

Trink aus! Den bitteren Kelch

Die Täuschung

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Danksagung

Fiktive Biographie

Zeittafel

Sexmaschine

Hanne

Julie

Barkarole

Karin

Hochzeit

Dorli

Georg

Schule

Praktikum

Studium

Kredit

Bipolare Störung

Klausur

Anita

Bertls Fragen

Entscheidung

Identität Bertls

Anitas Aussage

Karoline

Stuttgart I März 1988

Sommer 1988

Stuttgart II Juni 1989

Angela

C-Kurs

Schwierige Aufgabe

Korrespondenz

Besuch von Anna

Baklava zur Vesper

Sommer 1989

Zurück

Kur Sarnersee September 1989

Therapie

Myriam

Spaziergang

Gleichzeitigkeit

Traum

Balance

Oktober 1989

Graz, Weihnacht 1992

Juni 93

Bewerbung

Projekte

Wohnung einrichten

Kiew, November 2018

Quälende Selbstgespräche

Bertls Spruch „Trink aus!“

Kleine Freuden zum Fünfziger

Kassel, 17. Dezember 2018

Die Waldmenschen

Impressum neobooks

Danksagung

Mit Dank an

Anneliese, Julia und Hans

Fiktive Biographie

Karin Dorli Georg

1931 1948 1968

°1949 °1967 °1987

Waldemar Karl Anna

1913 1947 1966

Myriam Bertl Anita

1964 1965 1949

Zeittafel

1968 Geburt Georgs

1882-87 Höhere Technische Lehranstalt Braunau

1885 Ferialpraktikum Egglesberg

1987 Fachabitur

1987 Physikstudium

Herbst 87 Klinikaufenthalt

Nov 87 Eheschließung mit Anna

1988 Stuttgart I

1989 Stuttgart II

Sommer 89 Klinikaufenthalt

Herbst 89 Kur beim Sarnersee

1989-93 Lerngemeinschaft

Juni 93 Sponsion

Herbst 93 Industrietätigkeit

1994-2002 Wohnungserwerb

2018 Briefverkehr mit Myriam

Sexmaschine

Die Tage der Jugend waren turbulent. An die kleinen Sünden erinnere ich mich gerne zurück. An jenen Waldspaziergang mit den Nachbarskindern. Als sich Helga im Moos präsentierte ist mir unvergesslich. Jahrzehnte später, ich war seit meiner Jugend immer wissbegierig und ich besuchte einen, nein mehrere, Sprachkurse. Mit den Kursteilnehmerinnen hatte ich immer Glück. Sie waren nett und sympathisch, sie erzeugten immer eine angenehme Stimmung. Bis Julie in mein Leben trat. Im Englischkurs war gerade Pause. Da startet Julie auf mich zu und sagt laut genug, dass alle im Raum mithören konnten: „Du bist ein Steiger!“ „Ich bin kein Bergmann!“ „Du weißt schon, was ich meine. Ein Frauenverwutzler!“ „Nein! Ich bin kein Bergmann.“ „Ich fotz dich ein.“ „Frauen sind auch gewalttätig, was ich schon immer behauptet habe.“ „Mit meinen Brüsten watsche ich dich ab, bis du vom Sessel fällst.“ „Was habe ich dir getan?“ „Nur damit du weißt, was du mit deinem restlichen Geld machen sollst.“ „Warum glaubst du, dass ich soviel überflüssiges Geld habe? Ist das eine ganz besonders schräge Anmache, die du gerade startest? Ich nenne dich Queen of Drague.“ „Du möchtest doch ein Kind zeugen, oder?“ „Wer sagt dir das?“ „Das ist doch der größte Wunsch aller älteren Herren vor ihrem Ableben, wenn sie noch keine Kinder gezeugt haben. Dein Leben könntest du bequem zwischen meinen Brüsten aushauchen. Ein schöneres Ableben kannst du dir gar nicht vorstellen und ich mir auch nicht, als das, dich im Liebesspiel umzubringen auf ganz legale Weise. Du in mir, ein neues Leben voll der Hoffnung in mir und du hättest den Spaß gehabt nämlich wunderschön zu sterben und ich einen vollbrachten legalen Mord. So als Realitystory der anderen Art. Ist das was für dich? Keine Sorge! Ich werde dein Geld sinnvoll verwalten und kann mich und das Kind damit versorgen.“ „Was ist, wenn ich zwischen deinen schönen Brüsten nicht nach, sondern während des Aktes versterbe oder weiter am Leben bleibe, sehr zu deinem Unmut?“ „Im ersten Fall lebe ich gut mit deinem Geld und werde den Geldsegen genießen. Im zweiten spielen wir das Spiel solange es noch geht. Sex bis zum Umfallen oder bis zum Herzinfarkt! Du bist meine Sexmaschine. Ich leere dich aus. Ich will dich!“ Conny, unsere language teacher, beendet die Pause und wir begeben uns auf unsere Plätze. „Wir machen weiter mit Grammatik. Letzte Woche haben wir uns mit der past tense beschäftigt, heute wollen wir das present perfect näher anschauen.“ Julie begibt sich wieder auf den Platz, dieses Mal ganz neben mir und verdrängt damit Gwendolyn, was ich ein wenig bedauere. Sie war eine sehr sympathische Lesbe und sie weckte Erinnerungen in mir, als ich noch keine Herzschmerzen hatte.

Hanne

Ich denke zurück an die Begegnung mit Hanne, es ist lange her, sie hatte eine feste Freundin und einen Ehemann und war hoffnungslos vernarrt in mich. Die Freundin, Hanne und ich sahen uns oft beim Getränkeautomaten im Postamt, wo wir beide beschäftigt waren und ich eine Stelle als Praktikant hatte. Hanne war für mich schöner als die legendäre Helena, die aufgrund ihrer Schönheit den trojanischen Krieg ausgelöst hatte. Ich trank gerade Wasser, Hanne kam immer mit ihrer Freundin und sagte „Wosch, der schauft a Woscher.“ Sie bezahlte mir ein typisches Limonadengetränk dieser Gegend und ich war selig. Wir standen beim Automaten, ich trank den Sprudel und sie sagte komplett aus dem Zusammenhang gerissen: „Gib mir dei Hoand. Na los, ich muass spürn, ob sie kalt ist. Jo, is eh schein woam. Wüllst du dir aus mein Körble wos ausihulen?“ Ich war bass erstaunt, sie meinte wahrlich ihren Bra damit. „Was meinen sie damit, Hanne?“ „Suach´s dir´s ous, rechts oder links, wölches wüllst du? Aber sachte.“ Die Freundin dazu: „Dann isch er hin!“ Hanne wollte unbedingt wenigstens eine Nacht mit mir verbringen, auch ein ganzer Tag wäre ihr recht gewesen. Doch die Freundin war dagegen. Aber nicht nur die, sie gab aber nicht auf und organisierte, nach Dienstschluss ein Gespräch mit ihrem Mann, der Freundin und mir, etwas abseits des Einganges zum Postamt, wo beide beschäftigt waren. Sie stellte mich ihrem Mann vor, der auf mich einen sehr seriösen Eindruck machte. „Grüß Gott!“ „Schönen guten Tag!“ Erwidert ihr Ehemann. „Hanne hat mir schon viel erzählt von dir. Sie hat Feuer gefangen und ist dabei in Liebe nach dir zu verbrennen.“ „Liebe ist ein großes Wort. Hanne ist wunderschön, doch mir geht es nicht um Schönheit, die kann sehr kurzlebig sein.“ „Hanne ist süchtig, liebessüchtig. Kannst du sie heilen?“ Da reißt die Lesbe das Wort an sich. „Sie liebt nur mich, ihre Lesbe! Wir haben eine wundervolle Beziehung. Sie liebt mich von ganzem Herzen, die Männer verwirren sie nur. Immer, wenn sie bei dir war, wollte sie mehr von mir, bis wir nicht mehr konnten, bis uns die Nacht total erschöpfte. Am nächsten Tag waren wir beide wie in Agonie, mussten es aber wieder tun und immer wieder, wir beantragten manches Mal Krankenstand, wir konnten nicht voneinander lassen. Das zieht sich dann tagelang dahin. Ich sage Hanne immer, sie soll sich scheiden lassen, die Männer tun ihr nicht gut.“ Ihr Mann wirft ein: „Ich verlange kaum Sex von ihr, nur wenn sie es ausdrücklich möchte“. „Der Sex mit dir genügt ihr nicht, du kannst sie nicht zufrieden stellen. Als Nymphomanin braucht sie mich.“ „Hanne, was möchtest du? Wohin soll dein Weg dich führen, willst du dich scheiden lassen? Wovon willst du leben? Fragt ihr Ehemann. Das Geld von der Post reicht gerade für zwei Wochen. Wovon wollt ihr leben? Du kannst noch deine Vorliebe zum Beruf machen, ich rate dir jedoch ganz vehement davon ab.“ „Hanne, ich weiß nicht, ob ich dich heilen könnte, aber ich möchte eine Partnerin finden, Schönheit und Sex sind eher zweitrangig. Hanne, bist du bereit meine Partnerin zu werden? Ich suche eine treue Gefährtin, für mich zählen nur innere Werte.“ „Hanne, hast du gehört!“ „Innere Werte!“ „Der Sex verabschiedet sich bald, man arbeitet sich daran ab und man ist des Partners oder der Partnerin bald überdrüssig, es bleiben Lustlosigkeit und ein fahler Geschmack zurück, man sehnt sich bald nach einem anderen Partner oder Partnerin. Oder es herrscht Polygamie, wenn auch für die Frau mehrere Männer erlaubt sind, wie in einer Kommune. Kinder, die aus dieser Beziehung hervorgehen, leiden am meisten darunter, nicht ihren leiblichen Vater zu kennen. Die Kommune ist die ideale Form freien Sex ausüben zu können, wenn die Sexpartner das wollen, können sie ihren Bedürfnissen freien Lauf lassen. Die Partnersuche ist gänzlich unproblematisch. Jeder sucht sich für das Liebesspiel eine interessante Partnerin und wechselt das Spiel sooft wie gewünscht. Doch die Kinder klagen an. Ich strebe eine stabile, langfristige Beziehung an. Ich möchte eine Familie gründen und keine Sommerliebe leben. Ich habe ganz klare Vorstellungen davon, welche Eigenschaften meine Partnerin mitbringen muss. Hanne, deine Lesbe liebt dich wahrlich und lässt mich nicht an dich heran, wir können nicht zusammenkommen. Ich wünsche dir noch viele orgastische Freuden und das dir deine Libido bis ins hohe Alter bewahrt bleibt. Ich sage dir, lebe wohl und küsse dich zum Abschied auf die Wange, wenn du das erlaubst! Ich sage dir adieu und meine besten Wünsche begleiten dich!“

 

Julie

Conny bringt einen Beispielsatz „I have never been in New York.” „Das present perfect drückt eine Handlung aus, die in der Vergangenheit begonnen hat und in der Gegenwart noch nicht abgeschlossen ist.“ „She has never got love” sagt Julie sehr zur Verwunderung aller. Ich ziehe den Kopf ein und halte Julies Äußerungen weiterhin für eine schräge Anmache. Aber, so geht es mir durch den Kopf, was, wenn sie wirklich so sexbedürftig ist, wie sie sich gibt? Auch wenn ich dem Projekt Sexmaschine ablehnend gegenüberstehe, der Gedanke beginnt sich zu manifestieren. Wollte sie mich verrückt machen? Ist sie verrückt? Verrückt nach einem älteren Mann, den bald die Manneskraft verlässt oder sucht sie nur eine lukrative Geldquelle, was sonst? „Coup de foudre“ hat bei ihr der Blitz eingeschlagen oder lebt sie ihre Jugend auf provokante Art, zwischen Mordgelüsten und Liebesdrang aus? Ich hingegen wanke zwischen dem Gedanken des Schönsterbens und der mit den Jahren stärker werdenden Sehnsucht nach Sex. Es muss doch ein schönes Gefühl sein in den Armen einer jungen Frau sein Leichentuch gebettet zu bekommen. Ich wollte doch immer schon gesund sterben. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit? Gefangen von diesen schwermütigen Gedanken verlasse ich den Kurs und will nachhause, da steht Julie in der Tür, hakt sich bei mir ein und begleitet mich. Doch der Weg führte nicht zu mir, sondern in ihre Garçonnière. Erst in ihrem Bett sehe ich wieder klar. Ich hatte eine kleine Kreislaufschwäche, es wurde mir schwarz vor Augen aufgrund dieser Aussichten. Julie legte mich sanft auf ihr Bett, gab mir Wasser und meine Augen bettelten sie an, da streifte sie ihre Bluse ab und ich begann zu zittern als ich ihren ‚Bra‘ öffnete. Am nächsten Morgen suchte ich Julie, ich fand aber nur einen Zettel mit den Anweisungen, die ich auszuführen hatte. Da war zuerst duschen, das gelbe Handtuch benutzen, Kaffeemaschine ist betriebsbereit, Brötchen und Butter findest du auch, ich werde gegen 17 Uhr zurück sein. Falls es dich langweilt sind Bücher im Schrank und der Fernseher hat 16 Kanäle. Bis bald. Den Tag vertrieb ich mir mit der Zeitung, die ich genau studierte, auch fand ich Nachrichten in französischer Sprache im TV, die über das Verkehrsproblem in Paris berichteten. dann kochte ich mit dem vorhandenen Gemüse ein Ratatouille und wartete auf Julie. Der Tag schien ewig zu dauern, mir fehlte meine zukünftige Mörderin. Als viertel nach fünf die Türe aufgesperrt wurde, war ich erleichtert. Julie trat mit einem Einkaufssack im Arm ein und war erstaunt über meine Kochkünste. Der Duft von Tomaten, Zucchini, was halt so da war und würzigen Kräutern erfüllte das Zimmer. Wir plauderten über ihre Arbeit, sie war Bibliothekarin und erzählte, sie wolle schon seit langem einen ungewöhnlichen Krimi schreiben. Als sie mich im Kurs sah, sei ihr die Idee gekommen, mich als ihr Opfer auszuwählen. Einen Mord begehen, ohne dafür gestraft zu werden und eine ungewöhnliche Geschichte zu schreiben, das möchte sie mit mir verwirklichen. Dabei soll alles mit viel Lust und Freude abgehen. Das Opfer solle mit einem Lächeln das Leben beenden und sie könne sich ihrer Geschichte erfreuen.

Barkarole

„Erzähl aus deinem Leben“: sagt sie mit sanfter Stimme. „Ich habe auch alle Lust dazu und beginne mit der Ursache meiner Herzprobleme und den drei schicksalsbestimmenden Frauen dazu.“ Ich schleppte mich noch abends mühsam in den dritten Stock eines Altbauhauses, die Füße steif und wie bleiummantelt zwangen mich bereits im ersten Stock zur Rast, der Puls pochte laut in meinen Ohren, der Entschluss den zweiten Stock zu erklimmen kostete Überwindung, der dritte Stock war für mich wie eine Besteigung des Nanga Parbat. Dabei spürte ich das Erklimmen jeder Stufe als kleines Zucken in meiner Brust, das nachließ, wenn ich rastete. Ich war mir meiner Herzschwäche bewusst, doch der behandelnde Arzt hatte seine Ordination da oben und ich habe keinen anderen gefunden, der bereit gewesen wäre, mich noch, um diese Zeit zu behandeln. Endlich stand ich vor einer blendendweiß lackierten Türe, die sich mir wie ein Tor zu einer uneinnehmbaren Festung entgegenstellte. Statt der Pechnase sehe ich einen Namen auf poliertem Messing in schwarzer Schrift und überlege, ob ich mich schon bemerkbar machen solle. Ich hatte noch einige Minuten bis zum vereinbarten Termin, die wollte ich noch abwarten, ehe ich mich entschließen konnte, Einlass zu begehren. Ich könnte ja auch aufgerufen werden, sagte ich mir. Daher ist Warten ratsamer, um nicht nach Luft ringend keinen ganzen Satz herausbringen zu können. Die paar Minuten bis zum vereinbarten Termin waren vergangen, ich zauderte noch, denn ich wollte ja nicht überkorrekt erscheinen. Fünf Minuten möchte ich noch zuwarten. Doch der Zeiger, auf den ich starrte, zeigte keine Veränderung. So entschloss ich mich, klopfte einmal etwas zaghaft und dann zwei, drei Mal kräftig. Eine Stimme drang durch die Tür und gab die Erlaubnis einzutreten. Ein mittelgroßer Mann im weißen Mantel saß am Ende des Raumes vor mir. Ich nannte meinen Namen, bedankte mich noch einen Ordinationstermin zu so fortgeschrittener Stunde erhalten zu haben und machte einen Schritt in den Raum. Ich hatte die Adresse von einer Bekannten erhalten und kam aus dem Staunen nicht heraus. „Nehmen Sie dort drüben Platz!“ Die Stimme, die mir entgegenschallte, war energisch und befehlend. „Haben Sie Ihre Geschichte dabei?“ wurde ich gefragt. „Ja, ich kann sie erzählen.“ Ich war erstaunt über die mir zugewiesene Sitzgelegenheit. Der Raum hatte etwas Unheimliches, Beklemmendes an sich. Seitlich, rechts der Eingangstür, befand sich eine große Tafel, ihr gegenüber waren erhöhte Sitzreihen angebracht. Vom Hörensagen vermutete ich, dass dies ein Hörsaal sein musste, in dem ich jetzt meine Geschichte erzählen sollte. Ich hatte davor noch nie einen Hörsaal gesehen. In der Folge arbeitete mein Hirn auf Hochtouren und die Gedanken überschlugen sich beinahe. Welchen Titel hatte dieser Arzt? Wie sollte ich ihn nun anreden? Wieso fand die Ordination in einem Hörsaal statt? Diese Fragen hätte ein aufmerksamerer Blick auf die Messingtafel geklärt, doch ich war zu sehr mit mir beschäftigt. Etwas seltsam schien dieser Ort dennoch. Warum musste ich acht Meter entfernt platznehmen, wenn ich mich doch bequem gegenübersetzen hätte können. Da sich mein Gegenüber in Schweigen hüllte, begann ich meine Geschichte zu erzählen, die sich aus der Liebe zu drei Frauen, entwickelte. Als ich noch ein Jüngling war verließ meine Mutter meinen Vater, denn sie lebten in Scheidung. Sie zog mit mir aufs Land. Dort hatte ich jede erdenkliche Freiheit und Spielräume ungeahnten Ausmaßes. Soweit mich meine Füße trugen, konnte ich durch Wiesen und Wälder streifen. Es gab nur Weite, die ich ausgiebig erkundete. Eines schönen Sommertages traf ich ein hübsches Mädchen meines Alters. Wir kamen sofort ins Gespräch und von nun an trafen wir einander jeden Tag. Wir vereinbarten keinen Zeitpunkt auch keinen Ort, wir fanden uns dort wo wir das letzte Mal auseinander gegangen waren, gänzlich ohne Absprache. Wir pflückten Heidelbeeren und Pilze, erkundeten die Lichtungen, die an die Wälder grenzten, weil wir leise waren störten wir das Wild nicht und sahen so manches scheue Reh am Waldrand. Uns genügte nicht nur der Anblick, uns genügte auch die Nähe des jeweils anderen und wir waren glücklich. Eines Tages entdeckten wir ein aufgelassenes Sägewerk und mussten es sogleich erforschen. Als der Besitzer uns bemerkte und uns eine Tracht Prügel verabreichen wollte, konnten wir gerade noch davonlaufen. Ein anderes Mal stießen wir auf eine Wasserschleuse, die Wasser aus einem Weiher an eine angrenzende Mühle leitete. Die Seerosen und andere Pflanzen am Rand unterstrichen dieses Idyll. Das Wasser war frisch, aber nicht zu kalt und da wir kein Badezeug dabei hatten zogen wir uns aus und genossen diese herrliche Erfrischung. Dabei kamen wir uns nahe und ganz scheu und ehrfurchtsvoll berührten sich unsere Lippen. Plötzlich explodierten unsere Gefühle und trafen uns mit erheblicher Wucht und wir glaubten uns auf einem Vulkan. Es wurde uns zu eng im Wasser und wir begaben uns auf die Wiese. Bald waren wir eng umschlungen und spürten unsere Körper bis zur Ekstase. Am nächsten Tag war ich wieder bei der Schleuse, doch das Mädchen kam nicht, auch am übernächsten nicht. So oft ich auch noch diesen Ort aufsuchte, ich sah es nie wieder. Wir zogen nochmals weg, wieder zurück in die Stadt. Ich hatte andere Weggefährten, die ich aber nicht so schätzte und so begann ich mich nach geeigneteren Freunden umzusehen. Da war einmal Justi, sie wohnte gleich nebenan. Wir kamen uns nahe beim Brunnen, von wo wir Wasser holten und trafen einander fast täglich dort, plauderten und waren uns gewogen. Obwohl ich um einiges jünger war als sie, hatte ich den Eindruck, sie beginnt mich immer stärker zu umgarnen und versucht mich in ihr Nest zu locken. Auch hatte ich oft Post von Mädchen, denen ich begegnet war, doch Mutter hatte den Schlüssel zum Postfach und gab die Briefe nicht heraus. So hatte ich keinen Kontakt zu Mädchen, nur Justi zog das Netz immer enger. Eines Abends klopfte sie an die Tür, begehrte mit einem simplen Vorwand Einlass kurz danach balgten wir uns, landeten zuerst auf dem Sofa und danach am Boden. Zu allem Unglück kam Mutter nach Hause, die uns beide in dieser Lage sah und uns aus der Wohnung wies. Des Daches über dem Kopf entledigt, suchte ich zuerst Unterschlupf bei Justi, doch das war mir bald zu gefährlich. Sie hatte Panik keinen geeigneten Mann mehr zu finden, um noch Mutter zu werden und ich wollte mich nicht mit Justi vermählen. So zog ich auch bei Justi aus und suchte eine Garçonnière. Schuftete jeden Tag in einer Werkstätte. Da fiel mir ein blondes Mädchen auf. Es trug ein schwarzes Kostüm, kam gerade von der Rauchpause und ich dachte mir: Nur nicht diese Schlampe! Es kam anders. Das Mädchen lud mich etwas später zum Fünfuhrtee zu sich und ich fand es sehr attraktiv und sympathisch. Wir tranken Tee, knabberten Kekse und erzählten so vor uns hin. Es kam der Mai und es blieb bei dieser einen Einladung. Ich fühlte, wie die Gedanken zu kreisen begannen und mich immer mehr beherrschten. Ich bedrängte das Mädchen, machte ihr einen Heiratsantrag, doch es ließ mich abblitzen. Ich wurde daraufhin von unsagbar qualvollen Herzschmerzen befallen und die Gedanken waren nicht mehr zu ertragen. Ich glaubte mich davon befreien zu können, wenn ich mich vor meine Arbeitsmaschine kniete und betete, denn ich war zu dieser Zeit sehr gläubig und in der Glaubensgemeinschaft praktizierten wir öfters diese Form des Kniens beim Beten. Der Meister fand mich, als er noch seine Runde ging und da ich in dieser Haltung verharrte, rief er den Sanitäter, der mich in die Klinik brachte. Die Herzschmerzen sind heute zwar verschwunden, doch die Gedanken an dieses Mädchen nicht. So nehme ich seit Jahren Medikamente gegen diese Sehnsucht.

 

Trink aus!

Julie ergreift nach meiner Erzählung das Wort: „Ich habe ja gewusst, du bist ein Steiger. Aber jetzt sollst du kräftig essen.“ „Du machst mir ein Essen, Julie? Fein, was gibt es heute?“ „Ich mache dir eine Eierspeise aus 5 Eiern.“ „Warum das?“ „Ich bereite dir jetzt deine Henkersmalzeit, damit du für deine Reise über den Fluss Lethe gerüstet bist. Heute Abend wirst du sterben! Zumindest wollen wir es versuchen. Wir machen es dieses Mal ganz anders.“ „Wie?“ „Das wirst du dann schon sehen. Zuerst musst du gut essen, es ist deine letzte Mahlzeit.“ „Ich dusche mich noch vorher.“ „Ja tu das. Damit du als Leiche rundherum schön bist. Ich möchte mich nicht mit dir blamieren müssen. Setz dich aufs Bett und dann leg dich auf den Rücken! Ja so ist es gut. Lege deine Hände an, so wie die Haltung der Soldaten bei der Befehlsausgabe. Hände an die Hosennaht, damit ich mich bequem auf dich setzen kann und du dir nicht weh tust und nicht herumfuchteln kannst. Ich setze mich auf dich, du brauchst keine Panik haben, es ist gleich vorbei. So, ist das angenehm für dich? Spürst du jetzt meine Mitte? Spürst du den heißen Kelch, ja noch etwas mehr zu mir. Trink jetzt daraus, er schmeckt ein bisschen bitter, aber das ist gleich vorbei. Spürst du die ausströmende Glut? Gib mir ein Zeichen indem du versuchst den Kopf zu heben. Ja, so ist es gut Ich drücke mich noch fester an dich. Du sollst dich nicht mehr bewegen können. Gib noch ein Zeichen, ja, das geht gut. Herrlich das Gefühl dich so nah bei mir zu spüren. „Trink!“ „Trink ihn leer, den Kelch, schluck!“ „Grumpf!“ „Schluck! Trink!“ „Grumpf!“ „Schluck!“ „Grumpf, grumpf, grumpf, grumpf.“ „Ja, das macht Spaß. Soll ich dir ein bisschen Verschnaufpause lassen? Nein eher nicht, das wäre nur Quälerei. Trink ihn ab, den See.“ „Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf.“ „Komm, ein bisserl geht schon noch!“ „Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grum. Grum. Grum.“ „Das ist schön, deine Bauchmuskeln reichen nicht aus, um mich abzuwerfen. Ich bin auch ein bisschen durchwachsen und du bist untrainiert, darum geht es recht flott ins Grab. Wir alle müssen dorthin, aber wir haben es nicht so schön wie du. Du kannst mir dankbar sein.“ „Gru. Gru. Gr. Gr. Grrrrrch. Grrrchhh. Gchchch. Chchch. Chch. Chhhhhhh. Chhh.“ „Gleich sind wir am Ende, deine Beine zappeln noch fuchtig, doch gleich ist es vorbei. Was hast du nur, ist er nicht schön, dein letzter Akt. Nur noch ein bisschen. Ein ganz kleinwenig noch und es kehrt Ruhe ein in deine Beine. So es ist vollbracht.“ „Hachachahh. Chacha.“ „Wenig.“ „Chach.“ „Nicht.“ „Cha. „Nicht mehr. Du zappelst nicht mehr. Ausgezappelt, Zappelphilipp. Du gibst dich auf. Herrlich! Das Projekt Sexmaschine ist geglückt. So mag ich es gerne. Ein Mann, der vor mir kapituliert! Schön! Ich habe dir ja gesagt, es ist bald vorbei. Nun, zum Abschied kommt, was ich dir versprochen habe, ich watsche dich noch mit meinen Brüsten ein, aber ganz liebevoll, du kleiner Hampelmann. Auch wenn du nichts mehr fühlst und spürst, sie sollen dir Ersatz für die Totenglocken sein. Dein Leben war schön, hat dir Freude bereitet und dein Sterben war fast schmerzlos und vor allem sehr kurz, du wolltest doch immer gesund sterben.“ Ich möchte auf die Straße laufen und vor Freude singen und tanzen. Ich habe mir das Projekt Sexmaschine ausgedacht und dann wurde es, wie ein Kind, einfach geboren. Wogen des Wohlgefühls durchziehen meine Brust. Ich erschaudere und erbebe ob der geglückten Tat, welch wunderbares Gefühl. Ich bin glücklich wie kaum je zuvor. Jetzt geht es an die Schreibarbeit. Bald steht mein erster Roman „Trink aus! Den bitteren Kelch. Die Täuschung“ im Regal. Jetzt schreibe ich meine ungewöhnliche Geschichte vom vorzeitig fremdbestimmten Sterben.