Trink aus! Den bitteren Kelch

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Karin

Die eher dicklich geratene Schülerin ruft bei Waldemar, ihrem ehemaligen Mathematiklehrer an. Die Nummer stand ja im öffentlichen Telefonbuch. Eine eher zaghafte Stimme dringt an sein Ohr. „Wolln´s net amol a ‚Dicke‘ schieb´n“ hörte er sie fragen. Dann trafen sie sich auf einem Parkplatz, der mit „Öffis“ gut erreichbar war und fuhren in eine Absteige. Sie war so erregt, dass sie ihm das Hemd aus der Hose zog, bevor die Zimmertür ganz geschlossen war. Bald darauf fanden sie sich im Bett wieder. Unter ihm liegend, zog sie ihn zu sich und ließ ihre kurzen Finger über seinen Oberkörper gleiten. Ihre klobige Figur, ihr Bauch hing trotz ihrer Jugend bereits mit dem Ansatz einer Falte über ihren Schamhügel, hatte nichts Erotisches an sich. Was ohne zärtliche Liebkosung begann, war vorerst schmerzhaft. Etwas später glätteten sich ihre Gesichtszüge wieder und sie lächelte sich in einen entspannten Schlummer. Karin wurde schwanger, obwohl sie ihn sehr darum gebeten hatte, sie nicht in diesen Zustand kommen zu lassen. Bald sah sie aus wie ein überdimensionaler Luftballon und sie litt sehr unter ihrer Fettleibigkeit und der Schwangerschaft. Waldemar war von ihrer Pein und ihrer Mühsal kaum berührt, sie trafen sich dennoch häufig an Wochenenden am Parkplatz. Ihre immer kürzer werdende Atmung erregte ihn zusätzlich und so hatte gegen Ende der Schwangerschaft nur mehr er den Spaß. Nach der Niederkunft verheimlichte sie den Namen des Kindsvaters. Sie zog weg von daheim, vorerst zu ihrer Tante. Doch der Terror dort war noch um einiges subtiler und gehässiger als zuhause, dafür wurde sie aber nicht geschlagen. Ihre Absicht, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen, schockierte Mutter und Verwandte. Doch was hätte sie tun sollen? Es abtreiben lassen, das wollte sie nicht. Die Mutter warf sie aus der Wohnung. Ihre Tochter besudelte sie mit Schande, mit der sie nicht leben konnte. Also musste sie weg, es war ihr egal wohin, einfach weg. Das wäre auch die Lösung für das Ungeborene gewesen, wenn sie schon den Kindsvater nicht ehelichen konnte. Aber die Tochter wollte eben nicht hören, also musste sie fühlen, die Tochter! So lautete der Spruch. Einen ‚Engelmacher‘ hatte die Mutter bereits kontaktiert. Sollte dabei eine Panne passieren, wäre das erträglicher als die Schande einer unehelichen Geburt. Doch Karin nahm lieber ihren Rauswurf aus der elterlichen Wohnung an, als an ihrem Zustand etwas zu ändern. Als sie auf die Gebärstation des Regionalkrankenhauses zur Entbindung kam, ließ ihre Kurzatmigkeit sie nur mehr mit mehreren Polstern im Rücken ruhen. Schlaf fand sie kaum mehr. Waldemar trat einen Höflichkeitsbesuch an. Ein Berg, der bald zu kreißen begann, erwartete ihn. So schob man sie in den Kreißsaal, von der Hebamme und einer Hilfsschwester begleitet. Karin war sehr tapfer und die Geburt ihrer Tochter war ungewöhnlich rasch und problemlos verlaufen. Ihr Schlaf war seit langem wieder tief und erholsam, wenn auch kurz.

Tante Hanni

Der Buschauffeur kennt den unaussprechlichen Ort, der ihm genannt wird. Mit etwas Unbehagen begibt sich Karin mit ihrer Tochter Dorli, wie sie sie nennt, auf die Reise zu ihrer Tante Hanni. Sie hofft abgeholt zu werden und gleichzeitig ängstigt sie sich vor der Begegnung mit Hanni und ihrer Familie. Die Busfahrt ist unbequem und schüttelt die beiden, doch Dorli scheint das nicht zu stören. Karin hat sich über die Dauer der Busfahrt nicht erkundigt und ist nach dreistündiger Fahrt in voller Erwartung ihre neue Bleibe kennen zu lernen. Als der Bus dann doch hält, steht ein Bub von etwa zehn Jahren an der Haltestelle und erwartet sie bereits. Die Begrüßungen sind rasch ausgetauscht und Karin folgt ihm zu einem Einfamilienhaus ganz in der Nähe. Hanni ist mit Küchenarbeit beschäftigt, als Karin mit Dorli im Arm eintritt, zur Begrüßung hört sie Hanni sagen „Do seids jo, es Gfris umassist“, was soviel bedeuten sollte wie

„Da seid ihr ja, ihr überflüssigen Gesichter.“ Dieser Satz war prägend für den gesamten Aufenthalt in diesem Haus. Als bald wurden Karin Aufgaben zugewiesen. Diese waren Gänsehüten, Holzarbeiten und Beerenpflücken. Auf die Reihe der Ausführung kam es nicht an. Sollte eines davon nicht zur Zufriedenheit für Tante Hanni erfüllt werden, gab es eine Mahlzeit weniger am Tag. Das bedeutet Hunger, weil die Mahlzeiten für das überflüssige ‚Gfris‘ unter normalen Umständen bereits sehr karg bemessen sind. Üblicherweise begann der Tag nach Bettenbau und Morgentoilette mit einem Brei aus Heidenmehl, das war Buchweizenmehl, mit Wasser und dazu Feigenkaffee. Danach hatte Karin zwar Appetit auf etwas Süßes, aber es gab nichts Derartiges. Der Brei war alles andere als schmackhaft, er war zum Kotzen, wie sie feststellte. Das kam auch Tante Hanni zu Ohren und von nun an gab es für sie bis auf Weiteres nur noch eine Schale Kaffee ohne Brei. Danach ging es jeden Tag zuerst zum Holzhacken, in der Mitte des kleinen Hofes befand sich der Hackstock und aus einer Nische nahm Karin die Scheite. Etwas unbeholfen nahm sie die große Hacke, die im Hackstock steckte und versuchte die Scheite zu zerteilen. Sie wusste, dass ihr dabei kein Missgeschick zustoßen dürfe, denn ihr würde nicht geholfen werden. Das nächste Krankenhaus war erst in einer Stunde erreichbar und bis dahin könnte sie verblutet sein. So gab sie sich redlich Mühe, um gut voranzukommen und trotzdem war sie vorsichtig, um sich nicht zu verletzen. Ihr blieb aufgrund der abgebrochenen Schulausbildung keine andere Wahl, wenn sie nicht ohne Brot und Bett dastehen wollte, mit Dorli am Arm, als Bettlerin durch das Land zu ziehen, musste sie diesen Gulag mitmachen. Doch dann kam ihr eine glänzende Idee. Sie wunderte sich selbst, warum sie nicht schon früher daran gedacht hatte. Aber so war sie. Sie dachte kaum an sich, immer nur daran, wie es den anderen mit ihren Handlungen geht. Das hat ihr die Mutter anerzogen und während ihrer Kindheit hat sich diese Einstellung entwickelt. Ihre Mutter schlug sie kaum, sie bekam selten eine Ohrfeige, aber ihre kreischende Stimme bewirkte in ihr einen Schmerz, den sie in den Knochen spürte, so als ob er ihre Gebeine zersägte. Waldemar war wenig erfreut, dass er sich mit Karin treffen sollte, schließlich gab es in diesem unaussprechlichen Ort kein Kurbad und die Attraktivität Karins war durch Dorli noch tiefer in den Keller gerückt. Dann kam aber doch ein Wiedersehen zustande. Sie trafen sich auf weiter Flur, etwas unromantisch, so wie diese Beziehung war, abseits der Landstraße in einiger Entfernung von Hannis Haus. Die Gänse schnatterten um ihn und es brauchte etwas Geduld sie zu beruhigen. Um sie herum war Wiese und Karin hatte keine Schuhe an. Als Waldemar sie danach fragte, begründete sie es damit, nur ein Paar zu besitzen und das wolle sie nicht mit Gänsekot beschmutzen und außerdem sei der Boden schon etwas kühl und der Gänsekot wärme sie ein wenig. Sie bringt das Thema auf ihr Anliegen, warum sie Waldemar gebeten hatte, in diese Gegend nahe diesem unaussprechlichen Ort zu kommen. Ob es ihm denn so schwer falle sie zu ehelichen und für sie und Dorli zu sorgen. Sie würde in der Stadt eine Arbeit annehmen, vielleicht als Bedienerin. Würde etwas zum Leben beisteuern wollen, damit er es nicht allein tragen müsse. Waldemar, sichtlich beschämt, fragt sie ganz unvermittelt danach, wieviel Zeit sie für die Abreise benötige. Nach kurzer Überlegung sagt sie, sie müsse noch die Gänse und Dorli versorgen. „Treffen wir uns beim Gasthof am Kirchplatz, so etwa in einer Stunde.“ Es war das zweite Glas Bier, das Waldemar gerade bestellte, als Karin zu ihm trat. Der Kellner warf ihr einen fragenden Blick zu während sie sich neben Waldemar setzte, ohne ein Getränk zu bestellen. Waldemar goss das Bier in einem Zug in sich hinein, stand auf, rief den Kellner, um zu bezahlen und die drei verließen in Windeseile die Gaststätte.

Hochzeit

Karin spielt mit Waldemar zwischen den Wäschestangen des großen Hofes Fußball. Dorli läuft lachend dem Ball nach. Die Szene strahlt Harmonie aus und Karin plant in Gedanken, wie es wäre, außer dem Bedienen der wohlhabenden Beamtenfamilie eine Arbeit in der Fabrik zu beginnen. Gerade jetzt stünden die Chancen günstig aufgenommen zu werden. Waldemar würde nichts dagegen haben, wenn sie eine Arbeit als Helferin annähme und ein paar Stunden die Woche im ersten Stock des Mehrparteienhauses die Wäsche und die gröberen Arbeiten eines Beamtenhaushalts erledigte. Die Vorbereitungen zur Hochzeit nahmen Gestalt an. Das gemeinsam genutzte Zimmer, bis jetzt lebten die beiden im Konkubinat, wurde von Karin auf Hochglanz gebracht. Die Spuren der vergangenen Tage, als noch das Preferencen das Zimmer beherrschte, waren beseitigt. Statt der schönen Wolldecke, auf der Karten und Spielkapital die Besitzer wechselten, wurde ein Tischtuch aus Damast aufgezogen. Die Aschenbecher wurden entleert und geputzt in den Küchenschrank gestellt. Die leeren Bierflaschen waren dem Greißler zurückgegeben worden. Die Betten wurden frisch überzogen und die Vorhänge gewaschen. Eine sogenannte „Fassung“ vom Greißler im jagdgrünen Rucksack nach Hause getragen, überlegt, ob schon alles für die Hochzeitstafel zuhause wäre oder ob noch etwas vergessen wurde. Karin hatte die vergangene Woche saubere Arbeit geleistet. Eine Kiste Bier und selbstverständlich zwei Flaschen Sekt leistete sich Waldemar für jene Feier, der er eigentlich gar nie beiwohnen wollte. Dafür freute sich die Kartenrunde umso mehr. Nach der sehr schlichten Zeremonie mit Ringübergabe, Kuss und Unterschrift der Brautleute, sowie der beiden Beistände, die der Kartenrunde angehörten, trat die Gruppe den Nachhauseweg an. Während der Zeremonie ging ein Starkregen mit Hagel nieder. Die Hochzeitsgesellschaft, die eher den Eindruck erweckte, mit der gestohlenen Braut unterwegs zu sein, wartete das Ende ab und ging danach durch die von Hagel gesäumten Straßen nach Hause. Der Hagel kam nicht ungelegen, Waldemar stellte darin die zwei Sektflaschen kalt, dann ging es zum Buffet. Karin zauberte schmackhafte Köstlichkeiten aus dem Einkauf. Die Kartenrunde freute sich schon auf das Bier nach dem Hochzeitsschmaus, doch zuerst stießen sie mit Sekt an und ließen das Brautpaar hochleben. Als die Kiste Bier leergetrunken war, schleppten die Beistände eine weitere Kiste als Überraschung herbei, die auch bald zur Neige ging. Waldemar verspielte an diesem Tag ein kleines Vermögen und eigentlich müsste Karin gar nicht Bedienen gehen, wenn nicht so viel Bier und verlorene Spiele tonangebend wären. Der erste Tag begann mit freundlichem Wetter, die Sonne setzte sich meistens durch und die Wolken, die der Wind vom Vortag übriggelassen hatte, waren bald verweht. Karin war als Erste aus dem Bett und gerade dabei, Kathreiner Kaffee zu kochen, ein Malzkaffee, der bekömmlich und gutschmeckend war. Bohnenkaffee war sündhaft teuer. Die leeren Bierflaschen, die Aschenbecher und die Unordnung vom Vortag beseitigte sie, während der Kaffee kochte. Waldemar wurde vom Duft des Kaffees und der Küchengeräusche angelockt und begab sich steif und schwerfällig aus dem Bett. Als Frühstück konnten noch Köstlichkeiten vom Vortag verzehrt werden. Der Sekt war allerdings bereits ausgetrunken und somit konnte man auch das Frühstück nicht als Sektfrühstück im klassischen Sinne bezeichnen. Waldemar wäre Bier auch lieber gewesen, als der Kathreiner. Zu blöd, dass er nicht zwei Flaschen weggelegt hatte und heute war Sonntag, aber er würde einfach Karin schicken, damit sie ein paar Flaschen aus dem Wirtshaus holte. Es ist zwar ein kleiner Fußmarsch nötig, doch Karin tut die Morgengymnastik bestimmt gut.

 

Dorli

Dorli entwickelt sich prächtig und sie liebt ihre Gänseschar. Die Abneigung, die Hanni gegen die unehelich geborene Dorli entwickelte, übertrug sich ausschließlich auf Karin, auf ihr Konkubinat und ihre sündige Wollust. Die Ablehnung setzte sich nach der Eheschließung weiter fort. Dorli hingegen war das liebe, herzige Binkerl, die nicht unter die Kategorie ‚Gfries umasist‘ gereiht war. Sie hatte die Herzen der Verwandtschaft recht bald erobert. Hanni war nun ihre Bezugsperson. Karin spürt nun auch die Entfremdung zwischen ihr und Dorli. Sie sehnt sich nach Geborgenheit, Liebe und häuslichen Frieden und ist dabei, ihre Tochter gegen den finanziellen Erfolg zu tauschen. Ihre Beziehung zu Waldemar beruht ja auf diesem häuslichen Frieden. Sie führt den Haushalt, holt ihm das Bier und geht bedienen, ja wofür, doch nur um seine Spielschulden auszugleichen. Über ihr Leben und ihre Lage muss sie jetzt ernsthaft nachdenken, doch je mehr sie darüber nachdenkt, desto klarer sieht sie ihre triste Lage. Wird sie jetzt für ihr jugendliches Begehren dermaßen unbarmherzig durch die zur Schau getragenen Ansichten über Sitte und Moral gestraft? Mittlerweile ist Dorli zu einem netten, liebenswerten Mädchen herangewachsen, das nicht nur am Land, sondern auch in der Stadt sympathisch erlebt wird. Die Herzen flogen ihr zu. Sie war zu ihrer Mutter gezogen, als die Schule für sie begann. Karin begleitete Dorli, um mit ihr den Schulweg bis zum Schultor zu gehen, dort wurde Dorli von einer Lehrerin der Weg in die Klasse gewiesen. Mit ihr kamen weitere Schülerinnen. Das Gebäude war ausschließlich für Mädchen bestimmt. Die Buben waren auf der gegenüberliegenden Straßenseite untergebracht. Mit 39 Erstklasslern teilte sie die Klasse. Alle waren ganz schlicht gekleidet, ein Kind hatte eine Schultüte. Die Namen wurden verlesen und die genannte Schülerin musste aufstehen und nach ein paar Worten von der Lehrerin durfte sie sich wieder setzen. Der erste Schultag war vorbei, man tratschte noch ein wenig beim Verlassen des Schulgebäudes. Dorli trat den Nachhauseweg allein an, Karin unterwies sie auf die Gefahren am Schulweg und vertraute ihr, weil sie schon so ein vernünftiges Mädel geworden war. Zuhause berichtete sie voller Freude, wie gut ihr die Schule gefalle. Die Lehrerin und die Kameradinnen sind alle so nett und sie freue sich schon auf den nächsten Tag. Am nächsten Tag fragte die Lehrerin: „Wer von euch kann schon lesen?“ Die Schülerin mit der Schultüte zeigte auf. „Welche Buchstaben kennst du?“ „Alle!“ „Kannst du sie auch schreiben?“ „Nein! Die meisten.“ „Wer kennt noch einige Buchstaben?“ Niemand zeigte auf. „Wer kann bis 10 zählen?“ Das Kind mit der Schultüte zeigt auf und vier weitere. Dorli ließ sich die Freude nicht nehmen und zeigte auch auf. „Meine Mutter hat mir gesagt, dass nur die Lehrerin uns das beibringen soll und nicht die Eltern, damit wir nichts Falsches lernen.“ „Hast recht, Dorli, ich schau nur, wer schon Vorwissen hat. Wir wollen uns im ersten Jahr Zeit lassen die Buchstaben kennenlernen und dazu Wörter in Schreibschrift schreiben. Die Bedeutung der Wörter erfahren wir beim Schreiben.“ Die Schulglocke ertönt mit ohrenbetäubendem Klang. Die Lehrerin führt die Schülerinnen in Zweierreihe bis zum Tor und mit einem lauten und deutlichen „Mahlzeit!“ dürfen sie das Schulgebäude verlassen. Dorli durfte immer ohne Begleitperson nach Hause gehen, doch sehr bald bot sich die Gelegenheit mit einem Nachbarsbuben den Weg gemeinsam zu gehen. Sie wurden aufeinander aufmerksam, als Dorli etwas langsamer ging als gewohnt und sie von einer Mutter mit ihrem Sohn einholt wurde. „Darfst du schon alleine gehen“, fragte sie. „Ja meine Mutter erlaubt das, weil ich nämlich schon ganz vernünftig bin. Vielleicht darf Max mit mir zusammen gehen, ich passe auf ihn auf.“ „Naja, vielleicht passt ihr beide auf euch auf.“ Von da an gingen Dorli und Max jeden Tag zur Schule und von dort nach Hause. Karin und die Mutter von Max saßen wie Glucken auf den beiden und erlaubten bestenfalls eine Geburtstagsfeier mit Kuchen und Limonade. Doch die beiden waren erfinderisch und so manche Liebkosung fand unter dem Deckmantel des Lernens statt. Die Sprache in der Stadt unterschied sich deutlich von der am Land und trotz großen Fleißes war nur ein mäßiger Abschluss in Deutsch und Mathematik möglich. Ihre Kreativität und ihre Sozialkompetenz trugen hingegen sehr gute Beurteilungen ein. Am Ende der Pflichtschule entschied sie sich für eine Koch- und Kellnerlehre. In einem Hotel eines beliebten Ausflugszentrums fand sie einen sehr guten Lehrplatz, der ihr auch sehr große Freude bereitete. Doch bereitete man sie auf das Ende der Behaltepflicht nach der Lehre vor, und obwohl sie bei allen sehr beliebt war, konnte man sie nicht länger anstellen. Dorli fand auch recht rasch wieder eine Anstellung in einem ländlichen Industrieort, in dem einige Arbeiter und Angestellte zum Mittagessen lieber in den Gasthof gehen als in die Kantine. Nach einer Woche sagte ein Gast, den sie gerade bediente: „Schau, Mädel, bist du aber a Feine? Bringst mir ein Krügerl frisch gezapft?“ „Na klar! Was willst denn, a Weiße oder a Hopfenperle?“ „A Weiße fürs Erste und a Weißwurscht mit an Kartoffelsalat und ona Laugnbrezn.“ „Sofort der Herr.“ „Sog ruhig Karl zu mir, bei so oana lieben Bedienung bin i öfter do.“ „Das wird mich freuen, Karl. I bin die Dorli und die Weiße kommt sofort, die Weißwurst dauert noch ein bisserl.“ „Ja, ja ich hob jo net weit zur Firma.“ „Wo bist denn?“ „In Eggelsberg unweit von do. Wo wohnst denn du?“ „Do hier im Gasthof.“ „Kann man dich hier auch besuchen?“ „Ja, aber jetzt nicht.“ „Hab ja nur gemeint.“ „Kommst morgen auch zum Essen?“ „Ist ja klar. Also bis morgen, Tschüss.“ „Jetzt muss ich dich fragen, du kommst nun jeden Mittag hierher. Arbeitest du hier in der Nähe?“ „Ja, bei einer Firma, die Steuerungen herstellt, ganz in der Nähe. Ich bin Elektrotechniker.“ „Das ist interessant.“ „Ich muss dich fragen, ob ich dich zu einem Ausflug einladen darf?“ „Gerne, ich habe nächstes Wochenende frei.“ „Wann kann ich dich abholen?“ „Um 9:00 Uhr, hier im Gasthof, wenn es dir genehm ist.“ „Gut, abgemacht.“ Es hupt wie wild vor dem Gasthof und Dorli springt förmlich ins Auto zu Karl. Ein Küsschen folgt auf das Gehupe, das sich eher wie eine Hochzeitfahrt anhört, als eine Begrüßung. „Ich habe ein Picknick geplant, am Ufer des Ibmer Moors. Das ist ein Naturschutzgebiet ganz in der Nähe. Wir können sogar einen Barfußspaziergang um den Ibmersee wagen und den Moorlehrpfad erkunden, es ist dort ganz ungefährlich, wenn man die geschützten Wege nicht verlässt. Ich habe alles dabei, auch zwei Campingsessel. Danach möchte ich dich nach Mattighofen zum Pfandlwirt entführen, wenn du einverstanden bist.“ „Das klingt ja echt cool. Also zuerst zum Moor.“ „Dann ist beim Pfandlwirt angerichtet.“ Erwidert Karl. Der Ibmersee lässt den Alltag vergessen, die kleinen und die großen Sorgen perlen ab, wie an einem Regenmantel. Wie lange wird Dorli im Gasthof bleiben können. Wird sie wieder auf Arbeitssuche gehen müssen? Die zarten Bande mit Karl würden zerbrechen, bevor sie richtig begannen. Doch im Moment sieht sie nur den gedeckten Tisch und freut sich auf ein gutes Essen und ein Glas Wein und danach wollen beide nach dem erlebnisreichen Tag nur noch über ihre Eindrücke reden und dem anderen eigene Geschichten erzählen. Es war schon im Morgengrauen als sie die Liebe einschlafen ließ, doch der Sonntag begann so, wie der Samstag endete, sie konnten nicht voneinander lassen und zum Frühstück waren sie zu spät, also setzten sie fort, was sie abends erfreute. Beim Mittagsessen sagte Karl zu Dorli etwas unbeholfen: „Darf ich dir einen Heiratsantrag machen? Ich habe zwar keine Blumen mit, aber ich lieb dich über alles, meine kleine Göttin Dorli.“ „Angenommen Karl, es ist ja recht unvermutet rasch gekommen, aber auch ich liebe dich sehr. Wann denkst du sollte das sein?“ „Bevor der Bauch zu sehen ist.“ „Hast du eins gemacht?“ „Ja, ich glaub, es war nicht zu halten.“ „Wir werden sehen, aber Hochzeit könnten wir recht bald feiern. Meinen Vater wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit niemals kennenlernen, meine Mutter würde sich sehr freuen. Noch dazu, weil ich ein uneheliches Kind bin und sie darunter sehr zu leiden hatte, das war eine Generation früher. Sollten wir ein Kind bekommen, wäre es die größte Freude meiner Mutter bereits verheiratet zu sein. Der Kellner nähert sich und kommt mit dem Tablett: „Die Hochzeitsplatte natürlich für zwei Personen und eine Flasche Pinot gris? Guten Appetit!“ Das Aufgebot konnte rasch bestellt werden und der Termin der Eheschließung wurde am Standesamt Mattighofen bekannt gemacht. Es waren wenig geladene Gäste, das Brautpaar, die Eltern von Dorli, Karin und Waldemar, Dorlis Jugendfreund Max, die Eltern von Karl, Elisabeth und Franz. Karl hatte wie Dorli keine Geschwister und trotz seiner umgänglichen Art kaum Freunde, so blieb die Anzahl der Hochzeitstafel bescheiden, aber die Stimmung umso ausgelassener. Die Tafel feierte im Pfandlhof und die Musik kam von einem jungen Trio zusammengesetzt aus Harmonika, Klarinette und Gitarre, das zur Eröffnung der Tafel den Brautmarsch aus Lohengrin spielte. Da kam Bewegung in die Gäste. Karl nahm Dorli um die Mitte und die beiden glänzten um die Wette. Es folgten Walzer, Polka und ein Boarischer nach dem anderen, bis allen die Luft knapp wurde. Dorli erlernte den Boarischen mit Wechselschritt und Drehschritt sehr rasch und die Gesellschaft war lustig und ausgelassen. Karin fragte nichtsahnend: „Werde ich nun Großmutter?“ „Das weiß nur Gott allein. Kauf bitte noch kein Gitterbett und Strampelhose, wir werden dich rechtzeitig informieren.“ Elisabeth möchte wissen: „Werdet ihr in der Gegend bleiben, oder habt ihr vor wegzuziehen? Karl hat eine gute Stelle hier und du hast auch gute Arbeitsmöglichkeiten. Sollte Nachwuchs kommen können wir aushelfen.“ „Die Lebensbedingungen hier sind ideal für euch“, meint Franz. Das Baby ließ nicht lange auf sich warten und Dorli wurde von einem 3,4 kg schweren und 51 cm großen Buben entbunden, den sie Georg tauften.

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