Sky-Troopers 2 - Die Beutewelt

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Aus der Reihe: Sky-Troopers #2
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Kapitel 5

Elunt, Stadt der Shanyar, Mahnmal des Krieges gegen die Flachgesichter,

in der Bucht von Elunt, an der Westküste des Kontinents Shanyar.

Eigentlich sollte jeder Angehörige des Volkes der Shanyar einmal in seinem Leben Elunt sehen. Elunt, das in doppeltem Sinne ein Mahnmal für das Volk geworden war. Für den Niedergang und die Wiedergeburt einer Stadt, die man durchaus als Symbol für die Shanyar nehmen konnte. Aber nicht jedem Mitglied des Volkes war es vergönnt, die Stadt zu sehen. Zum einen, weil es zu viele Wesen des Volkes gab, und zum anderen, weil es zu gefährlich gewesen wäre, einen solchen Pilgerstrom zuzulassen. Ein Pilgerstrom, der Elunt zum Ziel der Flachgesichter gemacht hätte. So, wie es vor so vielen Jahren schon einmal geschehen war. Damals, als der Krieg begann. Jener Krieg, der nun schon so lange andauerte und schon so viele Leben gekostet hatte. Jener Krieg, der das alte Elunt zerstörte und nun, endlich, bald enden würde.

Nahed-Sha-Elunt konnte diesen Augenblick kaum erwarten. Jeden Tag ersehnte er das Ende des Krieges aufs Neue herbei. Jeden Morgen, an dem er hinaufging in die alte Stadt, um sich vor Augen zu führen, warum die Shanyar kämpfen und siegen mussten.

Das alte Elunt war eine blühende Stadt gewesen. Eine Metropole, die sich um die gewaltige Lagune herum an den Ufern erstreckt hatte, bis in die Ausläufer des Gebirges, welches die Stadt vom Rest des Kontinentes abgeschirmte. Auch jetzt, nachdem sie zerstört war, strahlten ihre Ruinen etwas von der Macht aus, über welche sie einst verfügt hatte. Noch immer war das Bild der alten Ordnung zu erkennen. Die breiten Alleen und Straßen, die Vielzahl der einst hoch aufragenden Gebäude, in denen die Shanyar ihr Leben verbracht und Freuden und Leiden miteinander geteilt hatten. Man konnte das riesige Theater sehen, dessen Kuppel und Mauern nun eingestürzt waren, dessen steinerne Sitzbänke aber noch zu erkennen waren. Den einstigen Palast, von dem aus Nahed-Sha-Elunts Urgroßvater einst das Volk regiert hatte. Mit Weisheit und Güte, wo es möglich war, und mit unnachgiebiger Härte, wo es erforderlich wurde.

Am beeindruckendsten wirkte die Ruine des Ratsgebäudes. Es war ein gewaltiges Gebäude aus weißem Stein gewesen, welches dem Hohen Rat des Volkes als Tagungsort gedient hatte. Groß genug, um einen guten Teil der Bewohner Elunts an den offenen Ratsversammlungen teilhaben zu lassen. So war es auch an jenem Tag gewesen, als die Flachgesichter Elunt angegriffen hatten. Aus diesem Grunde wurde die alte Stadt zum Fanal für den Untergang, den Widerstand und die neu erstarkte Macht der Shanyar.

Das Ratsgebäude war eigentlich ein Komplex aus mehreren Gebäuden und so hatten die Flachgesichter ein sehr großes Geschoss verwendet, um es zu zerstören. Fast alle Mitglieder des Hohen Rates und viele Bewohner Elunts waren damals im Flammensturm umgekommen. Kaum jemand war in der Lage gewesen, das Feuer zu bekämpfen, denn die Bewohner der Stadt hatten genug damit zu tun, selbst am Leben zu bleiben. Dann, als der Angriff endete, erschuf man aus dem brennenden Ratsgebäude ein Symbol. Man hielt das Feuer gezielt am Brennen und inzwischen stand dort, wo sich vermutlich einst das Rednerpult des Sprechers befand, die hohe schwarze Säule mit der ewigen Flamme des Unvergessens. Inzwischen brauchte man die Flamme nicht mehr mühsam mit Brennstoff zu füttern. Aus der neuen Stadt Elunt war eine Gasleitung zur Säule verlegt worden, und solange das neue Elunt Bestand hatte, solange würden auch die Flamme des Unvergessens und das Volk der Shanyar Bestand haben.

Nahed-Sha-Elunt hatte an diesem Morgen lange am Strand der Lagune gestanden. An jener Stelle, wo der Blick frei durch eine der einst prachtvollen Alleen auf die Ruine des Ratsgebäudes und die Flamme des Unvergessens fallen konnte. Sein Blick fand nicht nur die Spuren des Todes, sondern auch die neuen Lebens. In den Fugen des aufgebrochenen Straßenbelages hatten Moose und Gräser zu sprießen begonnen, Kletterpflanzen rankten an rußgeschwärztem Mauerwerk. Bunte Blüten boten Trost beim Anblick vergangenen Sterbens.

Nahed trug die eng anliegende Hose des einfachen Volkes und darüber den wertvollen Überwurf aus der Haut des Dornfisches. Das Wasser perlte rasch an den Schuppen ab und verlieh dem Dornfisch eine unglaubliche Schnelligkeit. Nahed liebte den Überwurf, der in der Sonne rasch trocknete und dabei geschmeidig blieb. Er schätzte die schillernden Farben, auch wenn sie das Gewand sehr auffällig machten. Nahed wäre in dem Gewand ein willkommenes Ziel für ein Flachgesicht gewesen und die ihn begleitenden Lanzer achteten aufmerksam auf die Umgebung. Aber die Gefahr war gering. Schon lange war kein Flugwagen der Flachgesichter mehr gesehen worden und ihre Schiffe standen unter Beobachtung und waren weit entfernt.

Rechts in der Lagune lagen mehrere große Kriegsschiffe der Stadt Elunt vor Anker. Gedämpft klangen Kommandos herüber, mit denen die Seeleute trainiert wurden. Nahed war froh, dass der Kanonendrill erst später einsetzen würde, wenn er wieder in der neuen Stadt war. Er hasste den rollenden Donner der Salven und die stinkenden Wolken aus Pulverdampf, die dann mit dem Wind über die Lagune trieben.

Auch wenn er, Nahed-Sha-Elunt, der oberste Herr der Stadt und ihrer Kämpfer war, so verabscheute er es doch, Leben sinnlos zu vergeuden. Jeden Morgen, wenn er die Flamme des Unvergessens ansah, betete er für die Seelen der Toten und jene, die noch sterben würden, bis man die Flachgesichter endgültig bezwungen hatte. Er bedauerte, dass es noch viele Leben kosten würde, denn nur der Tod des Feindes konnte den Shanyar Frieden bringen.

Als die Flachgesichter vor so vielen Jahren dem Volk der Shanyar begegnet waren, da schienen sie, bei all ihrer abstoßenden Hässlichkeit, doch intelligente und verständige Wesen zu sein. Es gab Handel zwischen den Völkern, bis die Flachgesichter mit den blauen Kleidern damit begannen, tiefe Löcher in den Boden zu graben. Es war heiliger Boden und die Priester hatten dagegen protestiert. Doch die Schänder hatten weitergemacht. Schließlich hatten sich die Shanyar erhoben und die Fremden von den Gruben und dem heiligen Boden vertrieben. Dann waren ihre Flugwagen gekommen. Feuer und Tod waren aus dem Himmel gefallen und die Eisenschiffe des Feindes beherrschten die Meere. Jetzt, nach so vielen Generationen, waren die Angreifer geschwächt und das Volk der Shanyar erstarkt. Bald musste es endlich vorbei sein. Der Tod der Flachgesichter würde Shanyar den Frieden bringen.

Nahed-Sha-Elunt spürte den leichten Wind, der von der See her seinen Nacken streichelte und er roch den typischen Geruch des von Leben erfüllten Wassers. Er liebte das Wasser und die See, welche die neue Stadt Elunt beherbergte. Dennoch freute er sich auf die Zeit, in der das Volk endgültig wieder Besitz von seinem Land nehmen konnte. Die meisten Städte lagen noch immer auf dem Land, weit entfernt von der letzten Insel des Feindes, aber das neue Elunt war in den Wassern der Lagune entstanden. Eine Meisterleistung seiner Erbauer, denn die höchste Erhebung der Stadt lag noch immer zwanzig Längen unter der Oberfläche. Tief genug, um vor den Waffen der Flugwagen zu schützen, auch wenn das kristallklare Wasser die Stadt nicht verbergen konnte.

Einmal, ein einziges Mal, hatten die Flachgesichter ihre Schiffe nach Elunt entsendet. Sie bezahlten teuer dafür und ihre Wracks lagen jetzt vierzig Tausendlängen vor der Lagune auf dem Meeresgrund. Es war eine gewaltige Schlacht gewesen, die sich vom Tageslicht durch die Nacht ins Tageslicht erstreckte. Eine Schlacht, welche die Verteidiger enorme Verluste kostete. Hunderte hölzerner Schiffe versanken zwischen den Metallrümpfen der Angreifer. Ihr Holz war längst verfallen, aber die Wracks der Metallschiffe würden noch lange auf dem Grund vor sich hin rosten.

Vor vierzig Jahren hatte zum letzten Mal ein Schiff der Flachgesichter die Lagune gefunden. Nun ruhte sein Rumpf in der Tiefe der Lagune, dicht mit Muscheln und Korallen bewachsen. Er war jetzt Heimstatt für viele Wasserbewohner und so hatte ein Werkzeug des Krieges doch noch einen Sinn gefunden, wie Nahed fand.

Er rümpfte bedauernd seinen kurzen Nasenrüssel. Es war an der Zeit, in das neue Elunt zurückzukehren und mit dem Botschafter der Stadt Balmenea zu sprechen. Entscheidungen mussten getroffen werden, und Nahed konnte die seine nicht länger hinauszögern.

Er wandte sich dem Wasser zu und gab das Zeichen mit der Hand, während er den weichen, weißen Sand unter seinen Füßen spürte. Er fühlte die Wärme an seinen Fußsohlen und griff in den Nacken, um den Lufthelm nach vorne zu ziehen. In geringen Tiefen hätte er ihn nicht gebraucht. Seine Lungen waren in der Lage, genug Sauerstoff aus dem Wasser zu filtern. Aber in den Tiefen, in denen der Zugang zu Elunt lag, war der Wasserdruck zu hoch und die Mitglieder des Volkes brauchten die Atemhilfen, um ihn zu erreichen.

Der Helm kippte über Naheds Kopf und er vergewisserte sich, dass die beiden Riegel einrasteten. Die flexible Membrane des Halsstückes schmiegte sich eng an seine Haut. Nahed spürte an dem Druck im Helm, dass alles richtig saß, und schmeckte die unangenehm trockene Luft des Tanks, der vor seiner Brust lag und über einen flexiblen Schlauch mit dem Helm verbunden war. Die Wellen begannen seine Füße zu umspielen, dann die Beine und schließlich ließ Nahed sich langsam ganz ins Wasser gleiten. Für einen Augenblick klatschten Wellen gegen seinen Helm und behinderten seine Sicht, dann tauchte er ganz unter.

Er wusste, dass die Lanzer der Stadtgarde folgen würden. Mit schussbereiten Flammenlanzen und in dem ehrerbietigen Abstand, den die Tradition und die Vorsicht verlangten. Er achtete nicht auf die Männer, spürte aber an den Vibrationen im Wasser, dass sie bei ihm waren.

 

Nahed genoss den Ausblick in die Lagune und die Stadt, welche sie barg. Die Ufer stiegen relativ steil an und flachten erst wenige Längen vor dem Strand ab. Das hatte die alte Stadt zu einem hervorragenden Hafen gemacht und die Tiefe der Lagune machte sie zu einem guten Schutz für das neue Elunt. Über sich sah er die metallbeschlagenen Unterwasserrümpfe der ankernden Kriegsschiffe und die langen Ketten, die zu ihren Ankern am Grund der Lagune führten.

Neben den Rümpfen dreier großer Schiffe lag der kleinere eines der alten Kampfboote. Nahed erkannte es an dem kurzen Stumpf, der wie ein stielartiger Auswuchs am Bug des Unterwasserschiffes zu sehen war. Einst hatte sich dort eine massive Stange befunden, in die man die Oktranen einschirren konnte. Zwei der großen Tentakelfische waren mühelos in der Lage, ein solches Schiff über die Meere zu ziehen. Die Fischlotsen hatten sie vom Vorderkastell des Schiffes aus gelenkt und Nahed konnte sich noch gut daran erinnern, wie die Lotsen die überlangen Stangen aus dem Bugkastell über die Tentakelfische hinweg schoben. An diesen Stangen befestigte man die Köderfische. Hielt man sie dicht vor das Maul der Oktranen, so schwammen die Raubfische relativ langsam, mit weit geöffnetem Hornschnabel, um die Beute anzusaugen, hielt man die Köder weiter vor, so trieb die Fressgier die Oktranen mit raschen Tentakelbewegungen durch das Wasser. Man konnte nur männliche Oktranen als Zugfische verwenden und auch nur dann, wenn man sie in jungen Jahren fing. Dann war es noch möglich, den Bullen den mittleren Peitschententakel zu entfernen, der ihren Geschlechtstrieb begründete. Kastrierte Bullen waren genügsam und zahm. Geschlechtsfähige Bullen erwiesen sich hingegen stets als unberechenbar.

Inzwischen wurden die Tentakelfische nicht mehr eingesetzt. Im Kampf gegen die Flachgesichter hatte sich sehr früh gezeigt, wie anfällig die Oktranen gegen Geschosse waren, die im Wasser explodierten. Die Druckwellen betäubten oder töteten die empfindlichen Raubfische auch auf größere Entfernung und machten das von ihnen gezogene Schiff hilflos. So hatten die Shanyar, aus der Not heraus, sehr rasch eine effektive Besegelung für ihre Wasserfahrzeuge entwickelt.

An den Steilhängen wuchsen unter Wasser Korallen und Muscheln. Tangpflanzen wiegten sich in der sanften Strömung des Wellengangs vor und zurück, und zahllose Fische unterschiedlicher Größen und Farben eilten umher, um zu fressen oder gefressen zu werden. Die Bewohner des Wassers waren nicht immer friedlich, aber dies galt ebenso für die des Landes.

Nahed sah unter sich das Wrack des Flachgesichterschiffes, spürte an seinem Körper, wie er von der warmen Strömung kurz in eine kalte geriet, und erschauerte ein wenig. Auch wenn er unter Wasser geboren worden war, so würde er doch niemals ein wirklicher Wasserbewohner. Er freute sich darauf, eines Tages in einem Haus auf dem Land zu wohnen, in seinem Park zu sitzen und zu spüren, wie die Sonne seine Haut erwärmte. Seine Urgroßeltern hatten ihm von diesem Gefühl berichtet und Nahed war begierig, es selbst zu erfahren. Seine wenigen Besuche in den Landstädten seines Volkes gaben ihm einen Vorgeschmack, was es bedeutete, sein Leben an Land zu verbringen. Er würde die See wohl vermissen, wenn er dies einmal selber tat.

Durch das klare Wasser sichtbar, ragte weit vor ihm die Säule des Wachtturms von Elunt auf. Vom Grund der Lagune erhob er sich, erbaut aus weißem Stein und schwarzem Eisen. Dort achteten Beobachter darauf, dass sich kein Feind unbemerkt der Stadt nähern konnte. Es würden wohl keine Schiffe der Flachgesichter sein, aber es gab große Meeresbewohner, die den Gebäuden der Stadt gefährlich werden konnten, und kleinere Raubfische, die Jagd auf die Tangsammler der Shanyar machten. Unter der durchsichtigen Kuppel des Wachtturms konnte Nahed die Silhouetten der Wachen erkennen. Eine von ihnen hatte ihn gesehen und grüßte.

Einst waren die Flachgesichter weit ins Innere des Landes vorgestoßen und hatten viele Städte und kleine Siedlungen bedroht. Jetzt waren sie schon seit langem zurückgetrieben worden und herrschten nur noch über die große Insel, weit vor der Küste Elunts. Elunt war die Stadt, die dem Feind am nächsten lag und trug die Hauptlast des langen Kampfes. In den letzten Jahren war die Stadt selbst nicht mehr bedroht worden, denn die Schiffe der Städte Shanyars waren zahlreich und der Feind wagte sich kaum noch in die Nähe der Küste.

Die neue Stadt Elunt bestand aus einer Vielzahl von Kuppeln unterschiedlicher Größe. Sie alle waren aus den zartblauen Kristallplatten gebaut, die man in metallene Rahmen eingefügt hatte. Die Konstruktionen enthielten keine Luft, sondern dienten als Schutz gegen die Angriffe der Flachgesichter oder feindseliger Meeresbewohner. Nur die Gebäude innerhalb der Kuppelbauten waren mit Atemluft gefüllt. Große und kleine Gebäude reihten sich aneinander, die meisten in der traditionell sechseckigen Form des Volkes. Es gab nur wenige überdachte Wege, die meisten führten innerhalb der Bauwerke hindurch. Die Gebäude schimmerten im Glanz zahlreicher erleuchteter Fenster. Ihre Reflexe mischten sich mit dem Sonnenlicht, das von der Oberfläche den Grund erreichte. Kleine Fische schwärmten über sorgfältig angelegten Beeten mit bunten Wasserpflanzen. Nur wenige Shanyar waren zu sehen, das Tragen der Atemlufthelme außerhalb der Innengebäude war zu unbequem und wurde möglichst gemieden. Lediglich zwei Gruppen junger Shanyar wurden von mehreren Erwachsenen in die Benutzung der Atemhilfen eingewiesen. Die Kampfschwimmer des Volkes übten außerhalb der Stadt.

Nahed-Sha-Elunt schwamm zur Ostseite der Kuppel, wo sich der Hauptzugang zur Stadt befand. Neben sich sah er eine Gruppe von Tangsammlern, die mit ihren Netzen über den Grund der Lagune schwammen. Ein Stück weiter trieb ein Wasserwagen in der leichten Strömung. Seine Ballasttanks waren teilweise geflutet, da die Ladefläche bereits mit Tang gefüllt war. Zwei gezähmte Bauchflosser waren angeschirrt, hielten sich und den Wagen mit sanften Flossenschlägen in Position. Einer von ihnen war unruhig. Vielleicht hatte er im Wasser den Geruch eines geschlechtsreifen Weibchens wahrgenommen oder ein Fisch hatte seinen Jagdtrieb geweckt. Aber der Fahrer des Wasserwagens beruhigte den Bauchflosser, indem er langsam über dessen Rücken strich.

Eigentlich bevorzugte das Volk Getreide und Fleisch, aber der lange Krieg hatte es genügsam gemacht und der Tang war nährstoffreich. Immerhin brachten in der letzten Zeit die Schiffe und Karawanen der anderen Städte zunehmend Brot, Fleisch und Gemüse nach Elunt. Ein Zeichen dafür, dass die Handelswege kaum noch durch die Flachgesichter bedroht wurden.

Einige Erwachsene waren dabei, die Kuppeln der Stadt von Muscheln und Algen zu befreien. Lediglich an den beiden Energiekuppeln war dies nicht erforderlich, da die Abstrahlung ihrer Wärme einen Bewuchs verhinderte. Die Stadt bezog ihre Energie aus unterirdischen Wärmequellen. Hitze aus dem Erdinneren wurde in Wasserdampf umgeformt, der die Turbinen antrieb. Sie hatten den Bau des neuen Elunt erst möglich gemacht. Leider waren die Turbinen noch zu groß, um wirkungsvoll in Schiffe eingebaut werden zu können, aber die Forscher arbeiteten daran. Nahed konnte durch die Kristallkuppel die gewaltigen Aggregate und die winzigen Gestalten der Techniker erkennen.

Vor dem Zugang zur Stadt standen drei Lanzer der Wache, deren metallbeschwerte Gurte sie am Grund hielten. Notfalls konnten die Männer sie rasch lösen, um sich einem Feind zu stellen. Sie legten die Flammenlanzen ehrerbietig an die Schultern und Nahed nickte ihnen grüßend zu.

Einer der Lanzer wandte sich zur Seite und strich mit einer Hand sanft über eine bestimmte Stelle der Schleuse. Diese schien aus einer halbkugeligen graugrünen Blase zu bestehen, die an der Vorderseite der Kuppel wuchs. Ungefähr in der Mitte dieser Blase befand sich eine längliche Einkerbung, welche die Wache berührte. Ein sanftes Beben schien durch die Schleuse zu gehen und an der Einkerbung wurde ein Wallen sichtbar. Die Kerbe dehnte sich zu einem Schlitz, der sich zu einem riesigen Oval weitete. Die dahinter liegende Kammer bot wenigstens hundert Kämpfern Raum und bestand aus einem grau-roten und zerfurcht wirkenden Material. Wenn man genauer hinsah, erkannte man auch hier leichte Bewegungen. Ein leichter Sog schien Nahed und seine Begleiter in die Schleuse hineinzuziehen. Tatsächlich war die Schleusenkammer eine riesige Wasserpflanze, deren Fähigkeiten sich die Shanyar zu Nutze machten. Sie hatten die Schleusenkuppel direkt an die Pflanze gebaut, die einen röhrenartigen Körper besaß und flach auf dem Boden lag. Die Pflanze saugte Wasser durch das eine Ende ihres Leibes ein und ließ es durch das andere ausströmen. Den Shanyar gelang es, sie so zu manipulieren, dass die Öffnungen auf ihre Berührungen reagierten. Die Schleusenpflanze wurde zur Belohnung mit Wasserlebewesen gefüttert. So konnten beide Seiten mit der ungewöhnlichen Symbiose zufrieden sein.

Nahed schwamm in die offene Schleuse hinein und seine Leibwachen folgten hinter ihm. Erneut wurde der Mundschlitz der Pflanze manipuliert, der sich nun schloss. Es wurde dunkel in der Schleuse, die eigentlich der Verdauungstrakt der Pflanze war, doch hier konnte man keine Lichtkörper installieren. Sie würden zu einer Entzündung des Pflanzenwesens führen. Die Shanyar warteten gleichmütig in der Dunkelheit darauf, dass die manipulierte Pflanze den zweiten Teil des Verdauungsprozesses einleitete. Sie spürten, wie der Wasserspiegel zu sinken begann, als die Pflanze Wasser aus ihren Membranen presste und dabei versuchte, kleinste Wasserlebewesen in ihre Magenwände zu saugen. Nahed und seine Begleiter waren als Nahrung einfach zu groß und außer Gefahr. Nach einigen Augenblicken verengte sich die Kammer. Der hintere Schlitz begann, sich zu öffnen. Licht fiel ein und das Restwasser strömte aus dem Pflanzenleib. Es sickerte durch Bodengitter in die Auffangtanks hinter der Schleuse.

Die Gruppe verließ die Schleuse und die Stadt umfing sie, mit einer Mischung aus dem typischen Geruch der See und wilden Blumen des Landes. Überall waren Beete mit Rasen, Blumen und sogar Bäumen angelegt worden, die ihren Teil zur atembaren Luft beitrugen. Vor zehn Jahren waren die Pflanzen von einer Faulkrankheit befallen worden und man hatte die Stadt evakuieren müssen, bis man genug erkrankte Pflanzen durch gesunde Exemplare ersetzt hatte.

„Ich brauche eure Dienste nun nicht mehr“, wandte sich Nahed an die Lanzer. „Ihr könnt euch erfrischen gehen. Sollte ich euren Schutz erneut benötigen, so werde ich euch rufen lassen.“

Er schlenderte die Hauptstraße entlang und ließ sich Zeit. Zeit, die Stadt zu sehen und seine Gedanken zu ordnen. Er war sich noch immer nicht sicher, was er dem Botschafter der anderen Stadt sagen sollte. Sein Blick glitt über die Bewohner Elunts. Erwachsene und Kinder gingen ihrem Tagewerk nach, als befände sich die Stadt im tiefsten Frieden und nicht im Überlebenskampf gegen die Flachgesichter.

Die Gebäude folgten alle der sechseckigen Grundform, aber die Seitenlängen waren nicht immer gleich, sodass sich eine überraschend abwechslungsreiche Architektur bot, denn die einzelnen Häuser waren teilweise wie Waben angeordnet, manche ragten über die Kanten unterer Gebäude hinaus oder waren wie die Stufen einer Wendeltreppe angeordnet. Es schien schwer vorstellbar, dass alle diese Gebäude von Wasser umgeben waren, solange man nicht aus einer der Fensteröffnungen auf die Fische blickte. Das Stück überdachter Straße, dem Nahed zum Regierungssitz folgte, führte zwischen den Gebäuden entlang und das Kristall der Schutzhülle erlaubte es, die Wasserlebewesen zum Greifen nahe zu erleben. In regelmäßigen Abständen erhoben sich die Rahmen der Stützkonstruktion. An jedem Gebäude befanden sich metallene Drucktüren, die im Gefahrenfall geschlossen werden konnten und die Häuser versiegelten.

Als er das Tunnelsegment verließ und das daran anschließende Gebäude betrat, weitete sich die Straße zu einer Einkaufszeile. Von den vielfarbigen Reflexen, die durch die Wasserspiegelungen hervorgerufen wurden, abgesehen, hätte es sich fast um den Marktplatz einer Landstadt handeln können. Brunnen spien Wasserfontänen in steinerne Becken, Bänke luden zum Sitzen und Plaudern ein und rechts und links der Straße reihte sich Händler an Händler. Kleidung aus den Stoffen der Landstädte wurde ebenso angeboten wie die Schuppenhautgewänder Elunts. Feine Holz- und Metallarbeiten lagen in den Auslagen und darunter viele Dinge, die sich im Leben als nützlich erwiesen oder es angenehmer gestalten konnten. Auch Nahrungsmittel gab es nun wieder in großer Anzahl und Vielfalt.

 

Einer der Händler erkannte Nahed und eilte auf ihn zu. „Verzeih, wenn ich dich einfach anspreche, Sha-Elunt, doch die Neugier der Stadt ist groß. Hast du entschieden?“

Nahed kräuselte ablehnend den Nasenrüssel. Es stand den Bewohnern Elunts zu, seine Entscheidung zu erfahren, doch der Herr der Stadt wollte sich nicht drängen lassen. „Die Entscheidung ist noch nicht gefallen, Händler. Ich lasse sie verkünden, wenn es an der Zeit ist.“

Der Händler merkte, dass er in seinem Eifer ein wenig zu weit gegangen war und zeigte entschuldigend die Handflächen. „Verzeiht, Herr, ich wollte euch nicht verstimmen. Meine Söhne dienen in der Marine Elunts.“

Nahed nickte bedächtig. „So dienen sie der Stadt, wie auch ich auf meine Weise. So sollten wir nun beide tun, was unsere Pflicht ist.“

Der Händler zeigte nochmals die Handflächen und zog sich zurück. Nahed war verärgert über die Störung, die ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte. Aber er konnte den Mann verstehen. Die Entscheidung Naheds würde großen Einfluss auf das künftige Schicksal Elunts und seiner Bewohner haben und niemand konnte sie ihm abnehmen. Es war seine Pflicht, sie zu treffen. Nahed seufzte leise, als ihm bewusst wurde, dass jeder seiner Schritte ihn jenem Augenblick entgegen trug, an dem er sie verkünden musste.

Das Regierungsgebäude des neuen Elunt war von einer eigenen Kuppel geschützt. Hier gab es ein metallenes Tor, vor dem Lanzer der Stadtgarde Wache hielten.

„Willkommen zurück, Sha-Elunt“, grüßte der Wachführer und legte die Flammenlanze salutierend an die Schulter.

Nahed erwiderte den Gruß, indem er den Handrücken der rechten Hand kurz an die Stirn legte. „Befindet sich Yehed-Sha schon im Palast?“

Der Wachführer nickte. „Der Kampfherr ist schon da. Auch Korus-Sha-Dor, Sha-Elunt.“ Die Wache zögerte kurz. „Der eine begleitete den anderen, Sha.“

„Ich verstehe.“ Nahed nickte und legte der Wache anerkennend die Hand auf die Schulter. „Ein wichtiger Hinweis, Kämpfer.“

Nahed trat durch das Tor in den Tunnel, der zum Hauptgebäude führte. Der gestreute Kies knirschte leise unter seinen Schritten. Der Unterschied der groben Körner zu dem weichen Sand am Strand der Lagune erschien Nahed als Symbol für die unerfreulichen Momente, die nun kommen würden. Also hatten sich Yehed-Sha und Korus-Sha-Dor verbündet, um Naheds Meinung zu beeinflussen. Eigentlich sollte es den Herrn der Stadt Elunt nicht wundern. Auch wenn Nahed die Stadt regierte, so war Yehed immerhin ihr oberster Kampfherr. Er unterstand Naheds Befehl, aber als Truppenkommandeur der Stadt verfügte er über Einfluss. Nahed konnte Yehed nicht ignorieren, und das hatte sich Korus zu Nutze gemacht.

Er betrat das Haupthaus durch das zweite Tor, nahm dankbar eine Erfrischung entgegen, die ihm ein Bediensteter reichte. „Die Shai-Elunt wartet in der Bibliothek auf Euch, Sha-Elunt“, raunte der Mann. „Sie ist in Sorge und will Euch sprechen, bevor …“

„Ich kann es mir denken“, unterbrach Nahed und spürte erneut aufflammenden Unmut.

Glaubte denn jeder Bewohner Elunts an diesem Tag, seinen Herrn manipulieren zu können? Er leerte den Pokal, reichte ihn dem Bediensteten zurück und unterdrückte seinen Ärger, während er sich zur Bibliothek begab.

Als er die wasserdichte Tür öffnete, sah er die Shai der Stadt Elunt, die an einem der hölzernen Regale lehnte und sich nun zu ihm umwandte. Bijana verkörperte noch immer das Urbild eines Weibchens. Ihre vollendeten Formen ließen einen Mann nur zu leicht verdrängen, welch wacher Geist in diesem Körper steckte. Bijana entsprach Naheds Alter und war seit nunmehr fünfzehn Jahren mit ihm verbunden. So wie Nahed als Sha der Stadt fungierte, erfüllte Bijana ihre Aufgabe als Shai. Sie war weit mehr als nur die Frau des Stadtherrn. Als oberste Priesterin der Stadt schien Bijana für Nahed ein Gegenpol zu dem Kampfherren. Yehed besaß viel Einfluss auf die Kämpfer und Männer der Stadt, Bijana hingegen auf die Frauen und Mütter. Es wäre schwer gewesen zu entscheiden, wer über die größere Macht verfügte.

„Yehed und dieser Korus sind im Kartenraum“, sagte sie grußlos. Diese unübliche Unhöflichkeit verriet Nahed, welche Sorgen sich seine Frau machte. „Ich glaube, sie sind sich längst einig.“

„Das denke ich auch.“ Nahed trat zu ihr, nahm sie kurz in die Arme und rieb seinen Nasenrüssel zärtlich an ihrem. Für einen Augenblick versteifte Bijana sich, doch dann erwiderte sie die liebevolle Geste. Nahed löste sich von ihr. „Sie wollen, dass ich die Stadt in den Krieg schicke. Dass wir Elunt und das Volk nicht mehr nur verteidigen, sondern den Tod endgültig in das Inselreich der Flachgesichter tragen.“

Bijana blickte auf die zahllosen Bücher und Schriftrollen, welche die Regale füllten. Sie enthielten das Wissen unzähliger Gelehrter, Gelehrter des Wissens und des Geistes. Doch in den letzten Jahren war nicht oft Gelegenheit zu philosophischen Betrachtungen gewesen, obwohl Bijana gelegentlich erwähnte, gerade in Zeiten des Krieges sei Philosophie besonders wichtig. Sie erwecke das Gewissen der Krieger. Nahed hatte die Erfahrung gemacht, dass sich nur sehr wenige Krieger für geistvolle Gedanken interessierten. Ihr Interesse galt dem Überleben.

„Und?“, murmelte sie schließlich. Sie versuchte ihrer Stimme einen neutralen Klang zu geben, aber Nahed spürte ihre Anspannung. „Hast du dich entschieden?“

Er erwiderte ihren Blick und seine Stimme klang fest. „Krieg.“

Bijana nickte. „Ich dachte es.“ Für einen Moment schien ihr Nasenrüssel zu schrumpfen, ein Zeichen dafür, wie betroffen sie war. „Dann solltest du zu ihnen gehen und ihnen deinen Entschluss mitteilen. Sie sind bestimmt begierig, die frohe Nachricht zu hören.“

„Du bist keineswegs froh gestimmt.“ Nahed hatte die seltsame Empfindung, sich vor ihr rechtfertigen zu müssen. „Es gibt keinen anderen Weg. Elunt ist das Symbol unseres Verlustes. Hier in der alten Stadt brennt die ewige Flamme des Unvergessens. Wenn das Volk der Shanyar in den Krieg zieht, dann darf Elunt nicht fehlen.“

Bijana zuckte leicht mit der Nase. „Ginge es darum, unser Leben zu verteidigen, dann würde ich dir zustimmen. Aber was ihr plant, ist kein Krieg, Nahed-Sha-Elunt. Ihr plant die Ausrottung der Flachgesichter.“

Nahed-Sha-Elunt erwiderte nichts. Er verspürte den Wunsch, sie tröstend in den Arm zu nehmen und seinen Nasenrüssel an ihrem zu reiben, aber er wusste, dass sie diese Geste ablehnen würde, denn er und sein Entschluss waren der Grund für ihre Trauer. Er fühlte sich ein wenig hilflos, als er die Bibliothek verließ und in den Gang hinaustrat.

Der Kartenraum des Regierungssitzes lag im Obergeschoss und Nahed passierte eine metallene Schleuse, bevor er über die Treppe in das obere Stockwerk trat. Die druckdichte Tür des Kartenraums stand offen und Licht fiel in den Gang. Naheds bloße Füße spürten den Läufer aus grünem Rasen, der den Gang bedeckte. Kein gewöhnlicher Bodenbelag und Nahed hatte ihn mit Bedacht gewählt. Immer wenn er zum Kartenraum ging, in dem die Geschicke des Kampfes geplant wurden, erinnerte ihn der Rasen an das Land, von dem die Bewohner Elunts vertrieben worden waren.

Als Nahed den Raum betrat, standen Yehed-Sha und Botschafter Korus-Sha-Dor über den Kartentisch gebeugt und taten geschäftig, dabei hatten sie Naheds Schritte sicherlich gehört. Nahed räusperte sich und die beiden Shanyar richteten sich auf. Der Botschafter zeigte ein unbeteiligt wirkendes Gesicht, obwohl gerade er die treibende Kraft hinter den Kriegsbestrebungen war. Kaum jemand hasste die Flachgesichter so sehr wie Korus-Sha. Drei seiner Söhne waren gefallen und sein Weib hatte die Last des Kummers nicht mehr ertragen. Nahed konnte den Schmerz des Botschafters verstehen, aber durfte Schmerz zu blindem Hass führen?