Sky-Troopers 2 - Die Beutewelt

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Aus der Reihe: Sky-Troopers #2
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Kapitel 4

Direktorats-Flottenbasis Arcturus, im Orbit um die Sonne Arcturus,

36,7 Lichtjahre vom solaren System entfernt.

Während Joana in ihrer Liftkabine nach oben glitt, spürte sie, wie die Schwerkraft fast unmerklich nachließ. In den Anfängen der Raumfahrt waren Rotation und Fliehkraft zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft genutzt worden. Seit über hundert Jahren benutzte man hierfür die Schrieber-Aggregate, die, im Zusammenhang mit den Schrieber-Platten, die gewünschte Schwere erzeugten. Dabei bildeten die Platten den Boden eines Decks. Allerdings konnte man nicht jede Ebene mit diesen Platten versehen, denn die Schrieber-Schwerefelder benötigten Abstand zueinander, um sich nicht gegenseitig aufzuheben. Auch ließ die Schwerkraft, mit zunehmender Entfernung zu den Platten, allmählich nach. Während in der Einkaufspassage der Arcturus-Basis eine Schwerkraft von knapp einem Gravo bestand, was dem Normalgewicht auf der Erde entsprach, verringerte sich dies in der obersten Ebene des gewaltigen Diskus auf 0,76 g. Dies galt für die obere „Schale“ der Basis und, in genau umgekehrtem Sinn, auch für die untere, denn das Schrieber-System wirkte gleichermaßen nach oben und unten. In einer riesigen Station wie der Flottenbasis machte sich das bemerkbar, während diese Eigenheit in Raumschiffen normalerweise keine Bedeutung besaß. Sie verfügten nicht über solche Abmessungen, und wenn man in ihnen Aggregat und Platten im untersten Deck montierte, genoss die Besatzung ein normales Empfinden der Schwere und von „oben“ und „unten“. Inzwischen war die Nutzung von Schriebers Erfindung derart in den Alltag der Raumfahrt eingebunden, dass sich kaum noch jemand Gedanken darüber machte. Dies galt auch für Joana, die das Gefühl der „Leichtigkeit“ registrierte, deren Gedanken aber bereits dem bevorstehenden Treffen mit ihrem Vater galten.

Sie befand sich schon seit etlichen Monaten auf der Basis, dennoch kannte sie nur einen Bruchteil von ihr. Vom großen Hangar, über die Einkaufspassage, bis hin zur kleinsten Abstellkammer, gab es über hundertzwanzigtausend verschiedene Räume. Von den über vierzigtausend Menschen, die sich derzeit hier aufhielten, gehörten nur fünftausend zur Stammbesatzung, und selbst diese mussten immer wieder die Hilfe ihrer Implants in Anspruch nehmen. Es gab hartnäckige Gerüchte über ganze Arbeitertrupps aus der Bauzeit der Station, die sich einst verlaufen hatten und deren Überreste noch nicht gefunden waren.

Obwohl Arcturus als die Hauptbasis der Direktoratsflotte galt, gehörten nur zweitausend Männer und Frauen zur militärischen Besatzung. Bei der Hälfte handelte es sich um Techniker und Wartungspersonal. Fast die doppelte Anzahl an Menschen arbeitete für die Firmen und Konzerne, deren Schiffe und Waren Arcturus als Umschlagplatz und Zwischenlager nutzten. Zehntausende dienten als Besatzungen der Schiffe, allerdings waren darunter auch die Troopers jener Regimenter, welche auf den großen Trägerschlachtschiffen stationiert waren und auf ihren nächsten Einsatz warteten.

Joanas Ziel lag im oberen Pol-Turm der Basis, der sich nochmals einen Kilometer über den Diskus erhob und von einer Kugel gekrönt wurde. Dort befanden sich die Einrichtungen und Quartiere für das militärische Führungspersonal. Während die Kabine nach oben glitt, passierte sie innerhalb ihres Schachtes die zahlreichen Segmente, mit denen die einzelnen Decks im Falle eines Notfalls luftdicht abgeriegelt werden konnten. Bisher waren sie, außer bei den vorgeschriebenen Übungen, noch nie genutzt worden. Die Brandmeldeanlage und das Feuerbekämpfungssystem waren äußerst effektiv. In den über hundert Jahren, seit dem Bau der Basis, hatte es nur drei ernste Zwischenfälle gegeben.

Deck für Deck blieb unter Joana Redfeather zurück und der Blick in den sichtbaren Teilbereich der Hauptgänge änderte sich nur unwesentlich. Zierelemente und Farbgestaltung ähnelten einander, ebenso wie die überall präsenten Pflanzenkübel. Nur die Farbcodierungen und Bezeichnungen auf den Hinweisschildern schienen aufzuzeigen, dass sich die Kabine dem Ziel näherte.

Sie erreichte jenes Deck, auf dem sich die Räume ihres Vaters befanden, machte im richtigen Moment einen kleinen Schritt und befand sich nun im „Kommandobereich“ der Flottenbasis. Hier herrschte der Anblick von Uniformen der Direktorats-Streitkräfte vor und an den Zugangsbereichen des Decks standen Sky-Troopers, deren Wachdienst keiner Bedrohung, sondern militärischen Gepflogenheiten zu verdanken war.

Hier oben kannte sie sich aus und so ging sie zielstrebig zum Vorzimmer des Befehlshabers der Flotte. Sie tippte kurz an ihr Implant, dessen Codesequenz den Zugang freigab, und trat ein. Obwohl man sich Mühe gegeben hatte, den Raum durch Pflanzen und individuelle Ausgestaltung ein wenig gemütlich zu gestalten, strahlte er dennoch eine gewisse Geschäftigkeit und Sachlichkeit aus. Vier große Arbeitsplätze waren mit Bildschirmen und Bedienelementen förmlich übersät und die Männer und Frauen, die an ihnen ihren Dienst versahen, beobachteten oder regelten nicht nur den Betrieb der Basis, sondern auch die Meldungen und Funksprüche über Schiffsbewegungen im gesamten Einflussbereich des Direktorats. Dabei wurde die Fülle dieser Daten bereits durch die eigentliche Kommandozentrale der Station gefiltert. An den Kommandeur gingen nur jene Informationen, die in seinem Vorzimmer als relevant eingestuft oder von ihm angefordert wurden.

Auch hier standen an der Innenseite des Zugangs zwei Troopers, die Joana freundlich zunickten, sie aber nicht grüßten, da sie Zivilkleidung trug.

Die Männer und Frauen an den Arbeitsplätzen beachteten sie kaum und so schritt die junge Frau an ihnen vorbei. Vor der Tür, die zum Büro ihres Vaters führte, blieb sie kurz stehen. Natürlich hätte sie es mit ihrem Implant öffnen können, doch sie wusste, dass „der alte Indianer“ die traditionelle Weise bevorzugte. So legte sie die Hand leicht gegen das Öffnungssystem und wartete kurz, bis eine kleine Diode in sanftem Grün aufglühte und die Teile der Tür vor ihr auseinanderglitten.

Der Raum war abgedunkelt und die indirekte Beleuchtung spendete nur wenig Licht. Das meiste kam von ein paar dezent angestrahlten Vitrinen, welche Erinnerungsstücke des Oberkommandeurs und seiner Vorgänger enthielten, einer kleinen Lampe auf seinem Schreibtisch und von der riesigen Scheibe aus Klarstahl, welche eine Längswand vollständig einnahm und vom Boden bis zur Decke reichte. Im Augenblick waren nur wenige Sterne zu erkennen, denn das Licht der Sonne überdeckte sie und würde sie erst wieder sichtbar machen, wenn sich die Basis weiter um ihre Achse gedreht hatte.

John Redfeather, Hoch-Admiral der Direktorats-Flotte und damit Befehlshaber aller Raumstreitkräfte, inklusive der Marine und der Raumkavallerie, stand direkt vor der Panoramascheibe. Seiner Angewohnheit entsprechend hatte er die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt. Er wippte unmerklich auf den Fersen, was Joana verriet, dass ihr Vater angespannt war und sich mit einem Problem auseinandersetzte. Seine hochgewachsene Gestalt war schlank, das Haar, ebenso wie das Joanas, von blauschwarzer Farbe. Auch seine Haut zeigte den leichten Anflug einer kupfernen Tönung und verriet die reinrassige indianische Abstammung. Er war einer der drei Häuptlinge des Stammes der Sioux und hatte in seiner Jugend die beiden langen Zöpfe getragen. Mit dem Eintritt in die Offiziersakademie des Direktorats hatte er sie abschneiden müssen, doch die große Federhaube, Zeichen seiner Häuptlingswürde, begleitete ihn an jeden seiner Dienstorte. Während der Rettungsmission für die Hanari befand sie sich an Bord des Trägerschlachtschiffes D.C.S. Trafalgar, nun war sie Blickfang in einer der Vitrinen im Büro des Hoch-Admirals.

„Die Büffel sind zurück.“ Die sonore Stimme des Vaters klang leise und abwesend.

„Die Büffel?“

John Redfeather wandte sich halb um und lächelte versonnen. „Es ist schön, dich zu sehen, mein Kleines. Komm zu mir.“

Sie trat neben ihn und schmiegte sich in seinen Arm. „Also, was hat es mit den Büffeln auf sich?“

„Ich habe dir oft von unserem alten Stammesgebiet auf der Erde erzählt, nicht wahr? Von den Paha Sapa, den heiligen schwarzen Bergen unserer Vorfahren. Seit die Menschheit die alte Heimat wegen der Umweltzerstörungen verlassen musste, hat sich dort viel getan. Die Natur erholt sich von uns und in unseren alten Jagdgründen streifen wieder große Büffelherden durch das Land. Ich habe sie gesehen. Eine der Beobachtungsdrohnen hat es aufgezeichnet.

„Ich weiß, man überlegt, ob man die Erde, zumindest zu einem kleinen Teil, wieder besiedeln soll. Aber, offen gesagt, mich zieht es nicht dorthin. Ich bin auf dem Mars geboren und dort ist meine Heimat.“

John zog sie etwas enger an sich. „Vielleicht wird man die Pläne zur Rückbesiedelung sogar ganz aufgeben. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, mein Kleines, und viele Dinge werden sich ändern. Als die Erde evakuiert wurde, gab es nicht besonders viel Auswahl. Die Menschheit hat auf dem Mars, den Asteroidenstationen und einigen erdähnlichen Welten in fernen Systemen gesiedelt. Aber die Auswahl war ja, wie ich schon sagte, nicht besonders groß. Man begnügte sich oft mit Bedingungen, die kaum mehr als das Überleben ermöglichten.“ Er deutete mit einer ausholenden Geste über das Panorama, welches sich jenseits des Klarstahls bot. Nun wird sich das grundlegend ändern. Mit dem Überlichtantrieb benötigten wir viele Monate und sogar Jahre, um eine Welt zu erreichen, jetzt hat man den Nullzeit-Sturz entwickelt. Selbst zu den fernsten Sternen wird die Reise nur noch sechzehn Stunden benötigen. Acht Stunden, um auf die erforderliche Geschwindigkeit und Aufladung des Sturztriebwerkes zu kommen, und nochmals acht Stunden, um am Ziel wieder abzubremsen. Sechzehn Stunden, mein Kleines. Die Sterne sind uns jetzt nahe.

 

John wandte sich ihr ganz zu und sah sie ernst an. „Und noch etwas wird sich durch den neuen Antrieb verändern. Denk an unsere Reise zu den Hanari. Rechnet man die gesamte Dauer, für den Flug zu ihrer alten Heimat und ihrer neuen Welt sowie den Rückflug zum Arcturus zusammen, so waren wir über dreißig Jahre fort. Für die Menschen auf der Basis und den besiedelten Welten sind diese Jahre real vergangen, doch wir und die anderen Teilnehmer haben die meiste Zeit im Kryo-Schlaf verbracht und sind nur um wenige Monate gealtert.“

Joana lachte. „Ja, aber beim Sold bekommen wir nur die Wachperioden angerechnet.“

Ihr Vater schmunzelte. „Nun ja, auch die Flotte muss ein wenig sparen. Der Bau all der Schiffe für die Invasion auf Hanari, all die Ausrüstung und die Mannschaften … Das hat eine Menge Geld verschlungen. Von den Ressourcen einmal abgesehen. Da liegt auch eines der Probleme, denen wir uns stellen müssen. Viele Schiffe, die man nicht mehr braucht, und Zigtausende von Menschen, die nicht mehr in der Flotte benötigt werden.“

Joana schüttelte den Kopf. „Man wird sie brauchen, Vater. Denk an den neuen Antrieb. Er öffnet uns den Zugriff auf die entferntesten Sternensysteme. Bislang hat man sich gescheut, ferne Planeten zu besiedeln. Man schreckte vor der langen Reise zurück und davor, dass eine weit entfernte Welt auch Isolation bedeutete. Geriet man in Not, so konnte man zwar über den Nullzeit-Funk einen Hilferuf aussenden, doch bis die Hilfe einträfe, wären Jahre vergangen. Auch das ist nun anders. Ich wette, nun wird eine neue Kolonisierungswelle erfolgen, und zum ersten Mal wird es zwischen all den Welten einen effektiven Handel geben.“

„Damit wirst du wohl recht haben.“ John beugte sich ein wenig vor und deutete nach unten. Joana folgte seinem Blick und sah nun einen Teil der Oberschale der Basis und drei der großen Andock-Pylone. „Siehst du das Containerschiff dort? Es wird wohl bald Geschichte sein.“ Er tippte an sein Implant. „Fenstersegment Sieben vergrößern. Sechsfach.“

Die Steuereinheit der Klarstahlscheibe reagierte prompt. Ein Ausschnitt wurde vergrößert und rückte das Frachtschiff in den Mittelpunkt. Wenn man es großzügig betrachtete, war es fast vier Kilometer lang. Allerdings bestand es zum weitaus größten Teil aus einer zentralen Achse, an der Tausende von Container angeflanscht werden konnten. Am Bug befand sich das Modul mit den Mannschaftsräumen, Steuerelementen und dem Bremstriebwerk, am Heck der Maschinenteil mit dem Hauptantrieb. Die Container wurden von bemannten Arbeitsdrohnen vom Schiff gelöst und in die Frachträume der Basis gebracht. Andere kamen von dort und ersetzten die alte Fracht.

„Fenstersegment Sieben auf Normalsicht. Segment Neun vergrößern. Sechsfach.“ Ein anderes Objekt rückte in die Vergrößerung. „Das dort ist die Zukunft“, brummte John. „Siehst du das Schiff mit den sechs Auslegern? Das neueste Frachtschiff des Yahagara-Konzerns. Im Vergleich zu dem alten Containerschiff ein Winzling, aber es hat den Nullzeit-Sturzantrieb.“

„Ich bin ein wenig überrascht“, gestand Joana. „Der Sturzantrieb wurde doch erst vor relativ kurzer Zeit entwickelt und man benötigt, wenn ich mich recht entsinne, diese Hiromata-Kristalle für seinen Betrieb. Davon gibt es nicht allzu viele. Die Kristalle befinden sich doch im Besitz des Direktorats, oder nicht?“

„Politik, mein Kleines, und ein gewisses Maß an Vernunft.“ Er lachte freudlos. „Früher benötigte man die Kristalle lediglich für den Nullzeit-Funk und die Vorräte hätten wohl ein paar Jahrhunderte ausgereicht. Obwohl man für die Triebwerke nicht viel benötigt, ist jetzt ein Ende dieser Vorräte abzusehen. Man wird viele Schiffe mit dem neuen Antrieb versehen wollen. Als Hoch-Admiral der Flotte hätte ich lieber unseren Schiffen den Vorzug gegeben, doch das wäre unklug. Wie du es schon sagtest … Es wird neue Kolonien geben und Handel zwischen den Welten. Das hat Vorrang vor dem Militär. Wenigstens in Friedenszeiten und die haben wir ja schon seit über hundert Jahren. Der Hollmann-Konzern hat es durchgesetzt, ein gutes Kontingent der Kristalle zu erhalten. Dafür rüstet er allerdings drei zivile Forschungsschiffe aus, die im Auftrag des Direktorats nach besiedelbaren Welten und neuen Rohstoffvorkommen suchen.“

„Und nach Hiromata-Kristallen“, vermutete Joana.

„Vor allem nach diesen Kristallen. Davon wird die Zukunft unserer interstellaren Raumfahrt abhängen.“

„Diese Ausleger … Sie haben mit dem neuen Antrieb zu tun? Es sieht ungewohnt aus. Als besäße das Schiff an allen Seiten einen Stachel mit einer Kugel.“

„Was weißt du von dem neuen Antrieb?“

„Nicht viel. Wird ja alles noch unter dem Deckel gehalten. Also hören wir Trooper nur das, was in den Medien berichtet wird. Immerhin weiß ich, dass man für das Triebwerk Hiromata-Kristall benötigt und dass der Kristall die Nullzeitschwingung freisetzt, wenn er richtig aufgeladen wurde. Was immer das auch bedeuten mag.“

Ihr Vater grinste breit. „Nun, ich bin auch kein Tech oder Wissenschaftler, aber ein bisschen mehr weiß ich schon. Immerhin musste ich mich mit dem Direktorat über das neue Design unserer Militärschiffe auseinandersetzen.“

„Neues Design?“

„Später“, wiegelte er ab. „Du musst erst das Prinzip des neuen Antriebs verstehen. Nein, nicht das Prinzip. Selbst die Wissenschaftler haben, genau genommen, keine Ahnung, warum das Ding überhaupt funktioniert. Nur dass es funktioniert.“ Er lachte erneut. „Im Aufbau und der Bedienung ist der Antrieb eigentlich ganz simpel. Im Zentrum des Schiffes wird der Sturzgenerator mit dem Hiromata-Kristall installiert. An den Seiten, also rechts, links, oben, unten, Bug und Heck, befinden sich die Ausleger mit den Ladungsspulen. Diese Spulen werden für den Nullzeit-Sturz aufgeladen, wobei die im Bug die Entscheidende ist. Während alle anderen die exakt gleiche Ladungsstärke aufweisen müssen, weicht die Spule am Bug davon ab. Ihre Aufladung entscheidet, wie weit das Schiff durch den Nullzeitraum stürzt. Nun, das ist wenigstens die vereinfachte Darstellung des Vorgangs. Es dauert acht Stunden, die Spulen aufzuladen, und das Schiff muss gleichzeitig bis zur Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Am Ziel braucht es dann ebenfalls acht Stunden, um wieder abzubremsen. Oder weitere acht Stunden, bis die Spulen für den nächsten Sturz wieder genügend Ladung aufweisen.“

„Okay, und was ist mit dem Design?“

„Ach ja, das Design. Nun, die Eigentümer wollen die Umbauten und die Einbaukosten für ihre Schiffe natürlich möglichst niedrig halten. Daher zeigen die Entwürfe außen liegende Ausleger, ähnlich unserer Dock-Pylone. Ich musste den Rat des Direktorats erst davon überzeugen, dass dies für militärische Nutzung nicht in Betracht kommt.“

„Ja, ein Treffer in einen dieser Ausleger, und der Nullzeit-Sturzantrieb ist im Arsch.“

„Ich habe es ein wenig höflicher und nicht so bildhaft formuliert, aber man hat mich verstanden. Bei allen Schiffen der Direktorats-Flotte werden sich die Spulen innerhalb der schützenden Panzerhülle befinden. Ah, warte einen Moment.“ John tippte an das Implant hinter seinem Ohr. Joana konnte natürlich nicht hören, welche Meldung er gerade empfing. „Ausgezeichnet“, antwortete der Hoch-Admiral dem Unbekannten, „bringen Sie es in mein Büro. Wir essen hier.“ Er beendete die Kommunikation und deutete zu der gemütlichen Sitzgruppe neben seinem Schreibtisch. „Ich lasse uns das Essen hier servieren. Ich will noch ein paar Dinge mit dir besprechen und genieße es, einmal mit dir alleine zu sein. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.

„Unsinn. Ein erfahrener Trooper nutzt jede Möglichkeit, um dem Kantinenfraß zu entkommen.“

Sie lachten unbeschwert und ließen sich in den Polstern nieder. Eine Ordonnanz rollte einen altmodischen „Teewagen“ herbei und deckte ein.

Joana runzelte die Stirn, als ihr Vater eine Karaffe mit Wasser auf den Tisch stellte. „Bist du noch im Dienst oder musst du nun, wie die Flotte, sparen?“

„Als Hoch-Admiral ist man immer im Dienst.“ Er drohte ihr belustigt mit dem Finger. „Aber es hängt eher damit zusammen, dass ich noch einen hervorragenden Single Malt für uns reserviert habe. Eigentlich sollten wir vorher überhaupt nicht essen, damit unsere Geschmacksnerven nicht vom Braten ruiniert sind, bevor wir uns dieser Kostbarkeit zuwenden.“

„Braten? Du meinst echten Braten? Ich meine, du sprichst hier von richtigem Fleisch?“

„Das tue ich.“ Der Befehlshaber seufzte vernehmlich. „Ich meine mich zu entsinnen, dass wir das letzte gemeinsame Stück Fleisch, echtes, wohlgemerkt, auf der Reise nach Hanari genossen haben.“

„Marsrind“, bestätigte Joana. „Und das hier? Es sieht nicht nach einem richtigen Steak aus.“

„Mein Kleines, du bist und bleibst eine echte Carnivore“, rügte ihr Vater. „Das hier ist kein Rindersteak, aber immerhin echtes Kaninchenragout. Aus eigener Aufzucht, das möchte ich erwähnen.“

„Aus den Wäldern der Basis?“

„Aus dem unteren“, bestätigte John. „Das kleine Langohr hatte Pech und einer der Ranger war so freundlich, es für meinen Tisch zu reservieren. Doch nun lass uns essen.“

Sie aßen bewusst und schweigend und verzichteten dabei auf ein Gespräch, welches sie vom Genuss der Mahlzeit abgelenkt hätte. Während des Essens beobachtete Joana ihren Vater verstohlen. Der helle Schein der Sonne Arcturus war aus dem Sichtbereich der Panoramascheibe verschwunden und das Licht der Sterne begann zu dominieren. Joana liebte diesen Glanz, den manche Menschen als kalt bezeichneten, andere wiederum verklärten. Hier, im Amtsraum des Hoch-Admirals, war es ein sanfter Schimmer, der silbrige Reflexe im Haar des Vaters hervorrief. Silberfäden, die da und dort zwischen dem blauschwarzen Haar sichtbar wurden. Nun bemerkte sie auch, wie sehr sich die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln vertieft hatten und das andere Falten hinzugekommen waren.

Ihr wurde deutlich, dass der Mann, der da vor ihr saß, ein alter Mann geworden war und sich sein Leben dem letzten Abschnitt näherte. Irgendwann, in nicht mehr ferner Zukunft, würde er vom großen Geist, von Wakan-Tanka, gerufen werden. Doch er würde seine letzte Ruhestätte nicht auf einem Hochgestell im Land der Vorväter finden.

Joana wandte den Kopf zur Seite, damit ihr Vater nicht den Schmerz sah, der nun auf ihrem Gesicht zu sehen war. Es erschien ihr unvorstellbar, dass dieser Mann eines Tages nicht mehr sein würde, der sie ihr ganzes Leben begleitet hatte, wenn auch manchmal, notgedrungen, nur aus der Ferne.

Die seltene Mahlzeit zu zweit, die sie nun genossen, die leichten Schatten unter seinen Augen … Es war nicht alleine das Alter und die Sehnsucht, die Nähe der Tochter zu spüren. Joana spürte, dass ihr Vater von Sorgen geplagt war.

„Chief?“

Eine seiner Augenbrauen hob sich unmerklich. „So hast du mich immer als kleines Mädchen genannt, wenn du dir etwas Besonderes gewünscht hast. Ich schätze, diesmal geht es dir aber nicht um ein echtes Indianerpferd, oder?“

„Dein Haar wird grau und deine Falten werden tiefer.“

„Du könntest es ein wenig höflicher formulieren und von meiner zunehmenden Weisheit sprechen.“

Sie lachten beide und Joana langte über den Tisch hinweg und ergriff die Hand des Vaters. „Du bist in Sorge. Ich spüre das. Und ich fühle, dass es mit dem neuen Antrieb zusammenhängt. Du hast diese kleine Falte auf der Stirn, wenn du ihn erwähnst.“

John räusperte sich. „Lassen wir meine Falten einmal beiseite. Aber du hast recht, mein Kleines. Allerdings ist es nicht der Nullzeit-Sturzantrieb, der mich beunruhigt, sondern die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Wir sprachen ja bereits darüber, dass Handel und Kolonisation anderer Planeten wohl zunehmen werden. Darin sehe ich eine Gefahr, denn die Menschheit wird sich zunehmend zerstreuen und in Splittergruppen zerfallen.“

„Splittergruppen?“

„Im Augenblick leben wir auf nur wenigen Welten. Die meisten sind nicht dicht besiedelt und bilden richtige Gemeinschaften. In diesen leben verschiedene Interessengruppen. Sie haben gemeinsame Regeln, an die sie sich halten und die das Zusammenleben erst ermöglichen. Wenn wir mühelos auch die fernsten Welten erreichen können, dann kann es sein, dass die Gegensätze aufbrechen, denn es besteht kein Zwang mehr, miteinander auszukommen. Man weicht dem Konflikt und der Konfliktlösung aus, indem man sein eigenes Reich gründet.“

„Und du hältst das für schlecht?“

 

„Ich befürchte, dass es früher oder später keine gemeinsame Ordnung mehr geben wird. Das Direktorat wird weise handeln müssen, damit wenigstens ein lockerer Bund bestehen bleibt.“

„Du sprichst von Konflikten. Glaubst du, dass es jemals wieder einen Krieg zwischen Menschen geben könnte? Wie damals den Kolonialkrieg, der zur Bildung des Direktorats führte?“

„Mein Kleines, wir Menschen sind nicht wirklich zivilisiert. Zwar geben wir uns den Anschein, weil die gemeinsamen Regeln es erfordern, doch die meisten Menschen sind bereit, diese Regeln zu brechen. Es gibt noch immer Habgier, Betrug und Gewalt, und was in kleinerem Maßstab existiert, kann sich auch wieder ausbreiten. Zudem sehe ich noch eine andere Gefahr. Denk an die Hanari.“

Joana nickte mit nachdenklichem Gesicht. „Ich verstehe. Die Hanari werden sich entwickeln, aber ich glaube nicht, dass sie jemals unsere Feinde werden. Sie wissen, was wir für sie getan haben. Aber wenn wir auf eine nichtmenschliche Intelligenz gestoßen sind, so wird es wohl auch noch andere geben. Intelligenzen, die technisch weiterentwickelt sind.“

„Und die möglicherweise eine feindselige Einstellung haben. Bei deren Erstkontakt es vielleicht zu fatalen Missverständnissen kommt.“ Der Hoch-Admiral blickte zur Panoramascheibe hinüber. „Seit den Anfängen der Raumfahrt, vor über zweihundert Jahren, sucht die Menschheit nach Anzeichen für intelligentes außerirdisches Leben. Dann sind wir zufällig auf die Hanari gestoßen, deren Zivilisation noch nicht einmal den einfachsten Funksender entwickelt hatte. Bei der Vielzahl der Sternensysteme wäre es von uns vermessen, zu glauben, wir seien die einzige raumfahrende Intelligenz. Wir sind nur noch nicht auf sie gestoßen, doch der Kontakt mit den Hanari zeigt uns, dass dies nur eine Frage der Zeit ist. Jetzt, mit dem Nullzeit-Sturzantrieb, kann es noch ein paar Jahre dauern, bis ein Erstkontakt erfolgt. In gewisser Weise mag es dann gut sein, wenn die Menschheit künftig über mehr Planeten verstreut ist. Wir können nicht ausschließen, dass es zu einem Konflikt kommt, auch wenn ich glaube, dass ein interstellarer Krieg, wenn es ihn denn jemals gäbe, für keine Seite zu gewinnen ist.“ Er sah Joana in die Augen. „Stell dir einmal die Frage, ob wir unsere Freunde, die Hanari, militärisch hätten bezwingen können.“

„Niemals“, sagte sie prompt im Brustton der Überzeugung. „Wir könnten ihre Welt besetzen und sie unterdrücken. Doch sie würden fraglos von uns lernen und eines Tages würde ihr Widerstandswillen in einer Revolte münden. Es sei denn, wir rotteten sie vollständig aus, indem wir ihre Welt unbewohnbar machten.“ Joana sah ihren Vater ernst an. „Solche perversen Gedanken gefallen mir nicht. Sky-Trooper sind dazu da, um Leben zu schützen, und nicht, um es zu nehmen.“

„Ich bin froh, dass du so denkst, und ich hoffe, dass Direktorat und Sky-Command auch in ferner Zukunft so denken. Ein interstellarer Konflikt würde nichts als Elend und Hass hervorrufen.“

„Du sprichst gerade so, als würdest du fest mit einem solchen Konflikt rechnen.“

John Redfeather schüttelte den Kopf. „Nein, das tue ich nicht. Aber als Hoch-Admiral der Direktorats-Flotte muss ich mich auch mit solchen Möglichkeiten auseinandersetzen. Gleichgültig, ob in der Zukunft ein Konflikt zwischen uns Menschen oder mit einer nichtmenschlichen Rasse droht, unsere Sky-Navy und die Sky-Cavalry dürfen niemals das Mittel zum Zweck sein. Sie sind das Schild zwischen einem potenziellen Feind und der hilflosen Zivilbevölkerung, und ihr Schwert darf nicht der Vernichtung dienen. Ein Soldat sollte niemals Tod und Vernichtung zur Maxime seines Denkens erheben, er muss vielmehr dem Leben dienen. Wenn er kämpft, dann nur, um die Voraussetzungen, auch nötigenfalls mit Gewalt, zu schaffen, dass sich Feinde an einen Verhandlungstisch setzen. Dass man miteinander redet und eine friedliche Lösung herbeiführt.“

„Als ich meine Kompanie auf der alten Heimat der Hanari in den Kampf führte, war keiner meiner Trooper heiß darauf, jemanden zu töten, obwohl wir es nicht ganz vermeiden konnten. Ich hörte auch nicht, dass sich irgendeiner damit brüstete.“

„Es war eine Rettungsmission. Eine gemeinsame Anstrengung der vereinten Menschheit, um unsere Brüder im All zu retten. Es gab nur wenige Gegenstimmen und natürlich diese verdammte ‚Human Rights‘, die auch vor Terror nicht zurückschreckte, um die Rettung zu sabotieren. Ja, mein Kleines, dieser Einsatz war etwas, auf das wir alle wirklich stolz sein können.“

„Darauf trinke ich“, meinte Joana und hob ihr Glas, auch wenn es nur Wasser enthielt.

John Redfeather schüttelte den Kopf. „Nicht damit. Warte, ich hole uns den Single Malt.“

Sie tranken beide sehr selten Alkohol und wenn, dann nur in Maßen und zu besonderen Gelegenheiten. Die Flasche, welche John Redfeather aus dem kleinen Getränkefach holte, war schon vor etlichen Jahren geöffnet worden. Er schenkte eine Fingerbreite in die Gläser und sie tranken den alten Whiskey mit Genuss.

Der Hoch-Admiral trat mit seinem Glas zu der Panoramascheibe und winkte Joana zu sich. „Vor rund acht Stunden erhielt ich die Meldung, dass die D.S. Lightning aus dem Sturz gekommen ist. Sie ist nun im Anflug auf die Basis.“ Er tippte an das Implant. „Bild Anflugkontrolle, Dock-Pylon Drei, auf Fenster projizieren, Vergrößerung Vier.“ Für einen Augenblick schien eine Unschärfe über den Klarstahl zu ziehen, dann zeigte die Scheibe das Bild aus Sicht der Anflugkontrolle von der gegenüberliegenden Seite der Basis. Ein anfliegendes Raumschiff trat in den Mittelpunkt. „Nun“, meinte Redfeather leise, „was hältst du von deinem neuen Schiff?“

„Mein neues Schiff?“ Joana sah irritiert auf das Bild.

„Die D.S. Lightning ist der Prototyp der neuen Patrouillenkreuzer des Direktorats“, erklärte ihr Vater. „In Zukunft braucht man solche Riesenschiffe wie unsere brave Trafalgar wohl nicht mehr. Es gibt Pläne, sie als Rettungsschiff umzurüsten. Mit dem Nullzeit-Sturzantrieb kann man schnell auf den Notruf einer Kolonie reagieren und Hilfe entsenden. Aus den alten Trägerschlachtschiffen werden Rettungsträger, die vollgestopft sind mit Hilfsgütern für die verschiedensten Katastropheneinsätze. Die Kampftruppen unserer Sky-Cav werden ein paar zusätzliche Fähigkeiten erlernen müssen. Die Rettung verschütteter Personen, Bekämpfung von Großfeuern, Versorgung verletzter oder erkrankter Personen, Aufbau einer Notversorgung und nötigenfalls die Evakuierung einer ganzen Bevölkerung. Natürlich werden sie ihre Fähigkeiten nicht in allen Wissensgebieten vervollkommnen, aber es wird zusätzliches Fachpersonal zu den Besatzungen stoßen.“

Joana lächelte freudlos. „Das ist eher untypisch für Soldaten.“

„Mag sein. Sie sollen die Fähigkeit zum Kämpfen ja auch nicht verlernen.“

„Ich dachte, ich würde den neuen Antrieb an Bord der Trafalgar ausprobieren.“

„Die Ladungsspulen werden gerade justiert und die ersten Umbauten zum Rettungsschiff sollen nächste Woche beginnen. Das Direktorat will jedoch möglichst bald Erkenntnisse, ob und wie sich der neue Kreuzertyp bewährt. Patrouillendienst mit Überlichtfahrt und Notfalleinsätze mithilfe des Nullzeit-Sturzes. Der Testflug soll unter Einsatzbedingungen durchgeführt werden, daher wirst du mit deiner Kompanie Sky-Trooper an Bord gehen.“

„Und wann soll es losgehen?“

„In drei Tagen.“