Japanische Literatur

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»Nun aber genug gezogen an Land!« Sprach's. Und wie er im O-u-Forste seinen Götterstab niederlegt', atmet' er laut: »O-u«. Danach heißt der Gau O-u.

Die Versdichtung der Nara-Zeit

Japans klassische Dichtung ist von der modernen europäischen Dichtung wesentlich verschieden. Unsere umfangreichen epischen und dramatischen Formen sind nicht vorhanden. Vorhanden ist vorzugsweise die Lyrik. Der japanische Dichter verzeichnet so wie der japanische Maler mit einigen kraftvollen oder zarten Pinselstrichen einen Eindruck, die Regung seines Herzens oder sein Entzücken vor der Natur. Der japanische Dichter dichtet im vollen Bewusstsein seiner Kunst sowohl als der Grenzen seiner Begeisterung.

Dies erklärt leicht die Kürze fast aller japanischen Gedichte. Der klassische Typus der höfischen Dichtung ist das »Kurzgedicht« (Mijika-uta, Tanka), eine Strophe von fünf Versen von abwechselnd fünf und sieben, zuletzt jedesmal wiederum sieben Silben. Auch die Langgedichte (Naga-uta, Choka) sind in demselben wechselnden Silbenmaß geschrieben und nicht allzu lang. Trotzdem wurde auch diese Form fallen gelassen, die Tanka später, in der Tokugawa-Zeit, durch den bloßen Dreizeiler ersetzt. Aber in diesen Formen weiß der Japaner doch sehr vieles auszudrücken. Der Reim und Silbenwert werden ersetzt durch den natürlichen reinen Klang der Sprache, aus der für die Dichtung jedes chinesische Wort ausgeschlossen bleibt. Auf diesem zarten Instrument spielt der Dichter liebevoll in geistreichen Wortspielen, die oft den Hauptteil seiner höfischen Kunst ausmachen. Besonders drei Arten solcher Koloraturen der Lyrik müssen für jedes Verständnis erwähnt werden: Das sogenannte »Kissenwort« (makura-kotoba), ein Epitheton ornans, das oft den ganzen ersten Vers erfüllt, mitunter – in der vorklassischen Zeit – sich zum Gedicht selbst erweitert und eine ferne, geheiligte Vorstellung erweckt. Von solchen Kissenworten findet man in den hier mitgeteilten Gedichten sehr viele, aber eine große Anzahl auch in der Prosa, so zum Beispiel in dem »Idsumo-Grundriss« und der weiter unten gegebenen »Vorrede zum ›Kokinshu‹«. Der Sinn all dieser Beiworte war dem primitiven Japaner natürlich; einige entsprechen übrigens den homerischen. Allmählich aber wurden sie mehr oder minder feierlich und geheimnisvoll, eine Art Thema der auf sie aufgebauten Gedichte. Daher der befremdliche Name. Eine weitere Spielform ist die »Introduktion« (Jo), durch welche die ersten drei Verse der Tanka mit ihrem Abgesang durch ein leichtes Wortspiel verbunden werden, wodurch der ganze erste Dreizeiler wieder zu einer Art »Kissenwort« des Schlusses wird. Endlich verwendet der japanische Dichter sehr häufig das Doppelsinnige Wort (kenyogen), von den europäischen Japanologen Pivôt genannt; oder auch nur eine doppelsinnige Silbe, die wie eine ›Türangel‹ alles Nachfolgende mit dem Vorhergehenden verbindet. Hat man ihr diese spielenden Eigenschaften einmal zugestanden, so wird die japanische Dichtkunst außerordentlich reizvoll, eine wundervolle Vereinigung lyrischen Schwungs und strenger Gesetze. Sie gibt sozusagen ziselierte Eindrücke, die freilich durch allzu sorgfältige Ausführung auch oft den Inhalt unter dem äußeren Glanz verschwinden lassen. Bei allem muß jedoch ein bislang noch gänzlich unaufgeklärter Zusammenhang mit Gruß- und Spottliedern und mit primitiv-religiöser Rhythmik angenommen werden, dessen Feststellung und Aufhellung zu den auch sonst zahlreichen Aufgaben einer noch nicht bestehenden ethnologischen Japandurchforschung gehört.

So kurze Kunstformen können natürlich nicht leicht einen Gedichtband ausmachen. Vielleicht auch darum vereinigte man von Anbeginn die Gedichte mehrerer Dichter zu Anthologien. Die Japaner betrachteten auch immer, und nicht mit Unrecht, die Dichtkunst ihrer Dichter als das Erzeugnis einer bestimmten Epoche. Der Kaiserhof ließ von Zeit zu Zeit die besten Gedichte der letztvergangenen Zeiten zu den uns erhaltenen und in unserem Buche auszugsweise übertragenen Sammlungen veranstalten.

Das Manyoshu

Die Dichtkunst der Nara-Zeit ist gesammelt in dem »Zehntausendblatt« Manyoshu. Der genaue Sinn dieses Titels steht freilich nicht fest. Yo bedeutet ein Pflanzenblatt und ebenso ein Alter, eine Epoche, so daß das Wort »Sammlung« auch »Sammlung aus Zehntausend Epochen«, d. h. der bisher vergangenen Herrscherzeiten, bezeichnen kann. Revon selbst faßt »Yo« im Sinne von »Gesprochenen (beschriebenen) Blättern« auf, gemäß der Einleitung des »Kokinshu«. Die Sammlung ist erst zu Beginn des neunten Jahrhunderts zusammengestellt, wahrscheinlich von Yakamochi aus dessen und anderer Dichter Haussammlungen. Die meisten Stücke sind aber 300 bis 350 Jahre älter. Unter diesen sind 4173 Langgedichte, 262 Kurzgedichte und 61 sogenannte Sedoka (Refraindichtungen, dem Ursprunge nach Wechselgesänge). Sämtliche Gedichte sind in chinesischen Schriftzeichen geschrieben, die zum Teil Bildcharakter, zum Teil aber bereits phonetisch und mitunter sehr verwickelt gebraucht werden. Die zahlreichen einheimischen Erklärer aller Zeiten haben aber den Sinn der Manyoshu-Gedichte auf ihre Art festgestellt. An künstlerischemWert, an unmittelbarer Lebensfrische und Gefühlsstärke übertrifft das, übrigens stark von der gleichzeitigen chinesischen Tang-Dichtung beeinflußte, Manyoshu alle späteren Sammlungen.

Unter seinen einzelnen Dichtern stellen die Japaner die »Fünf großen Männer des Manyo« am höchsten. Es sind dies : Hitomaro, vom Ende des siebenten Jahrhunderts mit dem Vollnamen Kakinomoto no Hitamaro, eine in ihrem Leben legendäre Persönlichkeit. Ein Krieger findet am Fuße eines Baumes ein Kind von überirdischer Schönheit. Es wird ihm offenbart, daß es »ohne Vater noch Mutter geboren, als ein Dichter der Sonne, dem Mond und den Winden gebieten« würde. Nach dem Baume Kaki benennt der Finder das Kind Kakinomoto. Für die Forschung steht nur fest, daß das Geschlecht Hitomaros sich eines kaiserlichen Ursprungs rühmte, und daß der Dichter unter der Kaiserin Jito und dem Kaiser Mommu irgendwelche Ämter bekleidete. Er begleitete dann den Prinzen Nihitabe auf mehreren Reisen, die er alle in Tankas besang. Sein (jedenfalls unechtes) Grabmal wird noch heute in einem Dorfe in Yamato gezeigt.

Der zweite (Hauptdichter der Sammlung und) »Weise der Dichtkunst« (Uta no hijiri) ist Yamabe no Akahito. Yamabe war der Name einer erblichen Kaste von Waldhütern. Wie Hitomaro so bereiste auch Akahito die Provinzen, um 725 in Begleitung des Kaisers Shomu den Osten. Einige Zeit später schrieb er das berühmte (unten übertragene) Gedicht »Auf den Fuji« (yama). Beide Dichter zusammen nannten die alten Japaner kurz den »Yama-Kaki«.

Yamanoe no Okura ist nach seinen Lebensdaten ebensowenig bekannt. Im Jahr 701 reist er als Kanzler einer Gesandtschaft nach China und hält sich da am Hofe auf. Seine zum Teil auffallend naturalistischen ganz hervorragenden Gedichte geben über des Dichters Geist weit besseren Aufschluss, so zum Beispiel die unten mitgeteilte weltberühmte Darstellung der »Armut«.

Ohtomo no Tahibito lebte in der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts. Er galt für sehr klug, aber schwer zu behandeln, und überwarf sich jedenfalls mit den regierenden Hausmeiern, den Fujiwara, die ihn schließlich verbannten. Er behielt aber den Titel eines ersten Rates.

Von dessen Sohne Ohtomo no Yakomochi ist ein ältestes Jugendgedicht aus dem Jahre 736 bekannt. Kurz darauf wird er als Page genannt, dann bekleidete er hintereinander zahlreiche hohe Ämter. Das mitgeteilte schöne Gedicht von 755 drückt die Gefühle eines Sakimori aus, eines an die westliche Grenzmark, auf die Insel Tsushii entsandten Lehnsmannes. Der Charakter des Gedichtes ist um so auffälliger, als Yakamochi einer der ältesten und höchstgestellten kriegerischen Familien entstammte und auf seine Gesinnung und seinen Adel gleich stolz war, wie aus dem folgenden von Karl Florenz in seiner Literaturgeschichte inhaltlich wiedergegebenen Gedicht hervorgeht. Die Übertragung der anderen Gedichte des Manyoshu ist aus künstlerischen Gründen zumeist in dem (der japanischen Dichtung selbst nicht gänzlich unbekannten) altertümlichen Stabreim unternommen worden.

Hitomaro

Lang ist die Nacht – So lang wie der lang-hangende Schweif

Silberfasanes, und langhin stelzend

Erglänzet die Nacht dem einsamen Schläfer.

Auf den Hingang des Erbprinzen Hinami

In uralten Tagen,

Himmels wie Erde,

Der hohen Götter

Achthundert Tausende

In Hochversammlung

Versammelt rieten

Im unaustrocknenden

Glänzenden Himmelsfluss,

Festester Veste,

In hohem Rate allda sie rieten:

Erhabener Sonne,

Der sicher Glanzvollen,

Ruhvoller Himmel

Reich ruhmvoll zu reichen.

Der Grünen Ähren

Schwankschilfenes, dichtes

Delta doch zugedachten sie,

Bis zu Himmels und Erde

Endlicher Einigung,

Unserm Erhabnen Gotte,

Der dichten Wolke

Achtfachen Walles

Hehrem Durchbrecher,

Dem zu uns zu kommen

Geruhenden Gottkömmling.

Der erhabene Sonnensproß,

Hochhin-glänzend,

Von Kiyomis Schlosse

Dort zu Asuka,

Gewaltig sitzend,

Zurück gänzlich Gottgleich,

Aufstand Er,

Der Himmlische, zu seiner Himmelfahrt!

Wann unser großer Gebieter,

Der herrliche Fürste,

Herr doch zu sein geruhte

Des Landes unterm Himmel:

Wie die Blüte im Lenze

Zur Lust unsers Landes

Vollkommen wie Vollmond

Uns hätt' er geleuchtet!

Von vielen Enden

 

Des Lands alle Mannen

Vertraun ihm dann schenkten,

»Groß-Schiff-Vertrauen«,

Wie Wassers vom Himmel

So seiner sie warteten,

Erhebend ihr Auge.

– Er doch:

Was nur dacht' er?!

Dorten auf Mayamis Hügel-

Einsamkeit,

Dorten, auf gewaltigen

Pfeilern zum Grunde

Sich gegründet, die Göttliche

Hochburg dort hat er gebaut sich!

– Morgen ist, doch sein hohes Wort nicht vernehmen wir.

Nach Monden sind Jahre

Gar viele verflogen –

Darum

Sind die Diener im Dienste des hehren Herren

Sind sie alle noch weglos, wie geschlagen!

Abgesang (Hanka)

Die erhabene Pforte des erhabenen Herren,

Zu der hier unsere Augen

Wie zu Himmeln hoch wir wenden,

In Trümmer schon verfällt sie! – Um was noch klagen?

Abgesang, der andre

Die Sonne wohl noch leuchtet,

Kaiserkrapp.

Der Mond allein, der tollkirschenschwarzen

Nächte Wanderer

Hinweg sich wandte. Um was noch klagen?!

Akahito: Auf den Fuji

Vom An-Beginn,

Da die Himmel sich schieden,

Erd und Himmel,

Die Hochverehrlichen,

Von da, gotteinsam

Im Gau Suruga

Raget der Fuji.

Mag ich beschauen

Den Hart-am-Himmlischen,

Vom Rade der Sonne

Das Licht zumeist löscht er.

Vom Mond im Rücken

Der Glanz wird glanzarm.

All weiße Wolken

Wagen kein Wandern.

Alle Zeit ewig

Der Schnee still stöbert.

Alle Zeit fürder

Zu rühmen vermöcht' ich

Den ragenden Fuji.

Abgesang

Verlaß meinen Sitz ich

Zu schauen gen Tago:

Der Schnee wiedrum wirbelte

Altweißem Fuji

Schneeweiße Haube.

Okura: Der Arme

Die Nacht, weil der Regen

Im Sturmwind regnet,

Die Nacht, weil der Regen

Regnet im Schneefall,

Diese Nacht, was beginn ich,

Weil Frost mir ans Bein friert?

– Zu kauen beginn ich

In kleinen Bissen

Althärtesten Salzfisch.

Zu schlucken beginn ich

In kleinen Schlucken

Altfusligen Aufguß.

Husten, der rührt mich,

Ich huste und schnupfe

Derweil meinen Bart,

Den dünnen, ich klimpre:

»Aus der Welt, wenn ich wandre,

Welcher Weise bleibt übrig?«

So heiz ich mit Hochmut,

Der Frost doch mich fröstelt.

Vergeblich Gebinde

Von Hanf mir umhüll ich

Meinem hutlosen Haupte.

Mein Mantel ward ärmellos, loses Leinen

All meine Kleidung

Mit Klugheit mir häuf ich.

– Die Nacht, weil der Grimm friert,

Doch gibt es Frierende,

Noch frostiger denn ich Frostmann:

So Vater wie Mutter

Der Ärmsten hungern.

Es hungern und klagen

Gemahl und Kinder.

»Die Nacht, da der Frost friert,

Was beginnestu, Lieber?«

Himmel und Erde

Die hohen Weiten,

Wie engen sie ein mich!

Sonne und Mond,

Die lichten Leuchten,

Mir liefern sie Licht nicht.

Geht drauß es so allen?

Geht (hauß) es nur mir so?

Man nennt mich doch Menschen,

Gezeuget von Mannheit,

Doch armlose Mäntel,

Ohne Futter Fahrhabe,

Wie Tand mir von Schultern

Das Trödelgut schlenkert!

Zwischen Balken, bröckelnd,

Auf bloßen Boden

Das Stroh mir schütt ich.

Vater und Mutter

Beide zu meinen Häupten,

Kinder und Gattin,

So viele zu meinen Füßen,

Sind stiernack und stöhnen.

Dieweil von dem Herde

Kein Feuer mir hochfliegt,

Im Kochtopfe kalt

Die Spinn' ihr Gespinst zieht.

Arm Reiskorn selber

Nicht kochen mehr kann ich,

Ein Kauz mit den Käuzchen.

– Und (noch nicht zu Ende!)

Die Frone zu heischen,

Kommt – krach! – der Dorfvogt.

Er erschlug meinen Schlummer,

In den ich mich einschlug.

– Der Welt Wege

Sie verweigern den Ausweg!

Nachgesang

Zu oft nur spricht man:

»Die Welt bleibt doch Wirrwarr.«

– Kein Wille drum entflog ihr

Noch jemals. Wir sind nicht Vögel!

Tahibito: Strophen auf den Reiswein

nach einem chinesischen Vorbild

Statt Sorgen sich zu machen

Um das, was doch nicht Nutzen bringt,

Wär's besser, daß voll Sake

Man einen Becher trinkt.

Ein trefflich Wort fürwahr

Sprach jener große Weise

Der alten Zeit,

Als einen Weisen

Den Sake er geheißen.

Was die alten

Sieben Weisen

Männer auch

Am liebsten hatten,

Soll der Wein gewesen sein.

Wenn ich nicht wäre

Was ich nun einmal bin, ein Mensch,

Möcht ich am liebsten

Wohl eine Sake-Flasche sein,

Um mich recht vollzusaugen am Wein!

Und wär's der Schatz sogar,

Den man den unschätzbaren nennt,

Wie könnt' er zu vergleichen sein

Mit einem einz'gen Becher Wein.

Edelsteine selbst,

Die nächtlich leuchtend flimmern,

Wie könnten sie

Dem Reiswein sich vergleichen,

Des Trunk die Sorgen bricht?

Viele Arten gibt es zwar,

In der Welt sich zu ergötzen,

Doch die lustigste von allen

Ist, sich herzlich vollzutrinken

Und ins graue Elend sinken.

Wenn's nur auf dieser Erd'

Immer recht lustig geht,

Nichts mir gebricht;

Ob ich im Jenseits dann

Wurm oder Vogel werd'

Kümmert mich nicht.

's ist nun doch einmal so:

Alles was kreucht und lebt

Muß einst dahin,

Laßt mich drum lustig sein,

Während ich hüben in

Dieser Welt bin (K. Florenz)

Yakamochi

(Das Geschlecht der Otomo)

Seit dem göttlichen Zeitalter des erhabenen Herrschers (Ninigi no Mikoto), welcher das sonnenbeschienene himmlische Tor aufschloß und auf den Gipfel des Takachiho vom Himmel herabstieg, dienten (unsere Ahnen) ehrfurchtsvoll: den Bogen aus Hagi-Holz in der Hand, die Pfeile aus Knochen junger Hirsche unter dem Arm stellten sie sich mit ihren heldenhaften, mutigen Männern der Kriegsschar, die den Köcher auf den Rücken tragen, an die Spitze schritten, Felsen zertretend, über Berge und durch Flüsse, unterwarfen auf der Suche nach einem Lande die sich wild und ungestüm gebärdenden Götter, machten ungehorsame Gemüter zahm und fegten und säuberten so das Land. Von Generation zu Generation der Fürsten, die der Reihe nach den Thron des Kaisers bestiegen – des Kaisers (Jimmu), der zuerst im Palaste zu Unebi in Kashibara des Landes Yamato, der Libelleninsel, Palastpfeiler unerschütterlich fest errichtet und das himmliche Reich regiert hat – haben (unsere Ahnen) in nächster Nähe der Kaiser mit redlichtreuem Herzen sich zum äußersten angestrengt, haben fort und fort gedient und sich in ihrem von den Urahnen ererbten Beruf ausgezeichnet. Es ist ein reiner Name, den sie uns überliefert haben; den wir Nachkommen in ununterbrochener Reihenfolge immer weiter fortpflanzen sollten; von dem, wer immer ihn erfahre, fort und fort weiter erzählen soll: den, wer immer ihn vernimmt, sich zum Muster machen soll; den zu besudeln also höchst beklagenswert wäre! Denke daher nicht leichthin über ihn; dulde auch nicht, daß der Name unserer Vorfahren durch lügenhafte Verleumdungen anderer in Schande gerate, o du heldenhafter Genosse, der du den Geschlechtsnamen Ohtomo führst! (K. Florenz)

Gedanken eines Grenzoffiziers

Gehorsam Geboten

Des größesten Kaisers,

Mein Weib verlaß ich,

Mein Sinn ward traurig.

»Mutig ist der Sinn

Des wahrhaften Kriegers.«

(Für die Schlacht schlank) mich schmückend,

Ich tret in die Pforte,

Die Mutter mich küßt',

Die »Mutter und Amme«

Mein Weib, es umarmt mich

Das »Gras im Maien«.

»Heil bleib, ohne Sehr'!

Dies mein heiliges Sehnen,

Kehr schnell mir zurück

Mit Glück aus Gefahren!«

Mit dem seidenen Ärmel

Die Zähre sich wischt sie.

Die Worte all spricht

Sie in stockendem Schluchzen.

Fortschwimmen im Zuge

Der Zugschwän' ist bitter. –

Ein Mal noch, zur Letze

Zurück ich mich wende,

Schon trennt mich der Schwarm

Vom heimischen Dorfe. Von Höhe zu Höhe

Wir Pässe erklimmen.

Dort schau ich schon Yodos

Schilfkränzende Mündung.

Kam Flut, bald, zu Abend,

Die Kähne flottmacht man.

Kommt hell dann der Morgen,

Entrudert die Flotte.

Noch schau ich nun Dunst

Des Lenz um die Inseln,

Noch hör ich des Reihers

Gefährliches Krächzen,

Meiner Hütte gedenkend

Weit hinter den Bergen,

Aufseufz ich: Es klirren

Mir vom Rücken die Pfeile.

Nachgesang

Überm Meere wie

Verderblich die Schreie

Des Reihers heut abend.

Und ich denke des Heimdorfs.

Nachgesang, ein anderer

Nicht vermocht ich zu schlummern.

Gedacht' ich des Dorfes ? –

War's Ruf wieder des Reihers?

Schwarz nur bleibt das Röhricht.

Auf die Milchstraße

Sah ich nicht schon den Reif,

Himmlisches Weiß

Auf dem Steg, aus den Schwingen gebaut der Elstern?

– Es ward hoch schon an der Nacht-Zeit.

Heian-Zeit

Das Kokinshu

Das Kokinshu, die Sammlung der »Alten und neuen Lieder«, ist an Zeit wie an Bedeutung die erste der klassischen Liedersammlungen.

Ihre Einleitung berichtet uns von dem kaiserlichen Auftrag an Ki no Tsurayuki und seine Mitarbeiter. Tsurayuki wurde vermutlich im Jahre 883 geboren. Er war wahrscheinlich mit dem Kaiserhause verwandt und jedenfalls wegen seiner Begabung bei Hofe sehr geschätzt. Er bekleidete eine Anzahl Ämter in Kioto und Provinz. Seit dem »Manyoshu« und besonders in dem ersten Jahrhundert nach der Gründung Kiotos war in Japan vor allem chinesisch gedichtet worden. In der Zeit Tsurayukis ist nun eine Renaissance der nationalen Lyrik wahrnehmbar, deren Erzeugnisse auch das Kokinshu hervorgebracht haben.

Die Sammlung ist in zwanzig Bücher eingeteilt und enthält ungefähr 1100 Kurzgedichte. Die Einteilung erfolgte inhaltlich: Jahreszeiten, Gelegenheitslieder, les Adieux et les Retours, und Liebe und so weiter. Die Gedichte sind zum großen Teil aus den höfischen Wettspielen hervorgegangen oder sonst einer vorsichtigen Kritik unterzogen worden. Das Kokinshu zeigt demnach höfischen und sentimentalen, zum Teil gekünstelten Charakter. Natürlichkeit und Lebenskraft wird man ihnen trotzdem nicht durchaus absprechen können im Gegensatz zu einigen späteren Sammlungen.

Unsere Auswahl folgt der Auswahl eines einheimischen Philologen aus dem dreizehnten Jahrhundert, den »Hundert Liedern der Hundert Dichter.« Die alten einheimischen Sammlungen bezeichnen die Dichter entweder mit ihren Namen oder mit ihren Titeln oder mit beiden durcheinander, doch kommen auch frei erfundene Beinamen vor. Diese Namensgebung ist hier zumeist beibehalten. Die gebräuchlichsten seien hier nach ihren ungefähren europäischen Bedeutungen wiedergegeben: Nagon ist eine Art Rat, und zwar entweder Dainagon »Großrat«, Chunagon »mittelerer Rat«, oder Shonagon »niederer Rat«. Die Räte bildeten eine Art Beamtenkaste, aus der dann gewöhnlich die Leiter der Verwaltung – Minister wenn man will, obzwar es natürlich so vollkommene Bureaukratien im modernen Sinne nicht gab – genommen wurden. – Die Auswahl der »Hundert Dichter« ist in Japan so populär geworden, daß sie auch heute noch jeder Gebildete auswendig kennt. Im Anhang sind dann noch einige andere für ihre Verfasser charakteristische Verse wiedergegeben.

 

Die »Vorrede des Kokinshu«, verfaßt von Tsurayuki, gilt als das älteste Beispiel bewußter japanischer Prosa, ist aber nach der Meinung von Karl Florenz wohl eine Bearbeitung einer andern uns in chinesischer Sprache vorliegenden Vorrede. Als Autor dieser chinesischen Vorrede gilt der Sinologe Ki no Yoshimochi.

Solche Gedicht-Vorreden heißen in der japanischen Literatur: Kajo. – Das Kajo zum Kokinshu analysiert die damals berühmtesten Tankas. Das angegebene älteste japanische Gedicht von Naniwasu ist aber wahrscheinlich nicht von dem Kaiser (Nintoku), sondern von dem Koreaner Wani verfaßt. Die »Gouverneurskinder« sind die bereits in dem Shinto-Ritual erscheinenden Edelzofen (Ome). Beide Gedichte werden in unserem Anhang mitgeteilt. Ebenso die in dem Kajo erwähnte (noch heute gesungene) Nationalhymne »waga kimi wa« und die beiden Tanka auf die legendäre Sehnsucht der Fichten von Takasago bei Kobe und von Sumenoe bei Osaka, endlich eine weitere Anzahl anderer auf Situationen beruhender Epigramme, auf die das Kajo anspielt.

Kajo (Vorwort) zu dem Kokinshu

Der Samen der Dichtung Yamatos ist das menschliche Herz, ihre Blätter hier diese »Zehntausend gesungenen Blätter«. So vieles fesselt in diesem Leben den Menschen; der drückt dann seines Herzens Gedanken durch das aus, was er sieht und vernimmt. Hörst du also der Nachtigall Stimme, ihre Seufzer dort aus dem Blütenbusch, ja sogar die Unke, die Wasserbewohnerin? Wo ist das Lebendige, das da nicht sänge und dichtete? – Dichtung müht sich nicht, und doch bewegt sie Himmel und Erde, die Götter und die unsichtbaren Geister rührt sie (magisch). Den Mann vereint sie mit dem Weibe, das Herz des wilden Kriegers sogar sänftiget sie. Solange als der Himmel eröffnet ist über der Erde, solange gibt es Dichtung. Und die, so wir heute besitzen, ward erregt in des Himmels Ewigkeit von der »Kaiserin im Oberen Glanze« (der Göttin Shitateruhime) und auf der metallträchtigen Erde danach von dem »Hehren Verbannten aus dem Himmel« (dem Gott Susanowo).

Dazumal, in der » Gewaltigen Schnellen Götter« Tagen, war das Maß der Silben noch nicht gefunden. Das Kleid war nachlässig und der Leib schwierig zu fassen. Erst in der »Menschen Alter« begann der erhabene Gott Susanowo die Dichtung der 31 Silben. Also entfaltete sich damals Dichtung. Worte nahm sie und gab damit Gedachtes wieder. Das eine Mal wurde eine Blume bewundert, einem Vogel der Flug geneidet, das andre Mal trübte den Sinn der Nebel draußen oder der Tau. – Reiset man weit, so entfernt man sich von seinem Ort, und so geht es viel währende Monde oder Jahre. Der hohe Berg wächst aus dem niedern Staub seines Fußes bis in die Wolken im Himmelsmeer. – Nicht anders ist Dichtung aufgewachsen.

Das Gedicht auf Naniwadsu ist das älteste von einem Kaiser gedichtete Lied. Das gesungene Blatt (die Wortblüte) Asaka-Yana (Asaka-Geplauder) entsprang aus dem leichten Schwatzen eines Hofkindes. Die beiden sind wie der Vater und die Mutter von Japans Dichtung. Darum lehrte man auch daran die Anfänge der Schönschrift. Will man Dichtung einteilen, so kann man leicht sechs Arten finden wie in Chinas Dichtung: die Dichtung verborgenen Sinns, die Dichtung offenen Sinns, die Dichtung des dinglichen Gleichnisses, die Dichtung des Natur-Gleichnisses, die Gedanken-Dichtung, endlich die Dichtung gebotenen Glückwunsches. – In unserer Zeit neigt sich das Menschenherz zumal zur Liebe, man feiert der Schönheit Blüte, man wendet sich sogar dem leichtfertigen Gedicht zu. Bei solchen Gefangnen der Liebe ist Dichtung der »versenkte Baumstumpf«. In dem Verse des Ernsthaften aber sprießt sie auf wie ein »Susukigras« (»Kissenworte« für Geheimnis und für Wachstum). Überlegt man sich jeglichen Ursprung, so kann es gar nicht anders sein. Denn in früheren Zeiten versammelte der Kaiser seine Beamten an einem Blütenmorgen oder in einer herbstlichen Mondnacht, und er gebot ihnen, gerichtete Verse vorzulegen. Der eine Dichter dichtete sich dann als einen Blütenjäger in ferner Aue, der andere wieder als einen einsam Irrenden in der Nacht, ehe der Mond aufgegangen. Da besprach nun der Kaiser die Dichtungen, beurteilte die eine als geistvoll, verurteilte die andere. Oder ein anderer Fall: sie verglichen ihren Herrn dem Fels von Dauer oder dem hochgipfligen Tsukuba. Sie wünschten ihm die Gaben der Götter. Dann wieder, ob ihr Herz voller Lust war und ihre Freude überschwoll, ob ihr Herz den Flammen des speienden Fuji glich, ob sie beim Zikadensang eines Freundes gedachten, ob sie den ersten blühenden Baldrian entdeckten: immer, ein jedes Mal, suchten sie in Dichtung (ein Echo). Sie merkten auf die einzelnen Blüten des Frühlingtages, sie vernahmen den leisen Blütenfall eines Herbstabends; den Schnee und die wandernden Wellen fanden sie alljährlich in ihren Alterns Spiegel. Sie bedachten sich selber, wenn sie den Tau auf der Pflanze, den Schaum auf dem Wasser zerrinnen sahen; wenn sie, gestern noch auf der Höhe, heute allen ihren Glanz einbüßten; wenn ein Liebender jener Zeit nachlässig wurde, wenn ihre Liebe ihnen wie die Wellen an des »Pinienberges Fuß« oder im »Flussdelta« erschien, wenn sie bei Jahresneige der Lespedeza Kleeblättchen befragen, wenn sie dann zwischen Nacht und Tag der Waldschnepfe Schreie zählten, wenn sie einem Freunde die Wehmut gestanden, die aus dem schnellen Wuchs eines Bambus entsprießt, wenn sie, in Liebesweh , den Fluß vor sich sahen, oder wenn sie sich berichten ließen, daß kein Rauch mehr dem Fuji entsteige, wenn, ein andermal, Nagaras Brücke fortgerissen war und erneuert wurde. In all diesen Umständen nahm Dichtung sich ihrer an.

Von der Urväter Zeit an, seit Japans Dichtung uns überliefert ist, blüht die der Nara-Zeit am herrlichsten. In jenem erhabenen Zeitalter scheint man das Herz der Dichtung erfaßt zu haben. In jenen erhabenen Tagen ward ein Vasall unseres Großen Herrn, ein Mann des Namens Kakinomoto von Hitomaro, der Seher (Weise) von Yamatos Dichtung. Man muß betonen, wie sehr Fürst und Untertan füreinander geschaffen waren. Eines herbstlichen Abends geruhte der Kaiser erhabenst die schon roten Blätter des Ahorns zu betrachten, wie die brokatgleichen den Fluß Tatsuta hinabschwammen. An einem Lenztag wieder umleuchteten die Kirschgärten der Yoshinohöhe wie morgendliche Wölkchen das Herze Hitomaros. Noch ein anderer Dichter, des Namens Yamabe von Akahito, war außerordentlich stark in seiner Kunst. Man kann Hitomaro nicht leicht über diesen Akahito stellen, Akahito wieder nicht unterhalb Hitomaro einreihen. Neben ihnen gab es keinen gleich Hochragenden im Laufe der vielen Zeitalter, der »chinarohrgleichen«.Von ihnen geht überall ohn Aufhören die unendliche Rede, die »seilesgleiche«. Zusammen mit den Dichtungen der Alten hat man ihre Sammlung die Zehntausend-Blüten, das Manyoshu, genannt.

Nach dieser hehren (göttlich-erhabenen)Zeit sind von Jahren mehr als ein Jahrhundert, von Zeitaltern mehr als zehn Herrscherzeiten verflossen. Leute, die im Herzen der Dichtung solcher Dinge des Altertums wären, gibt es nicht mehr. Oder man kann sie höchstens an zwei Fingern abzählen. Indes hat jeder unserer lebenden Dichter etwas, das ihn auszeichnet oder ihn geringer erscheinen läßt. Um das näher auszuführen, werde ich mir keinerlei Freiheit gegen höchstgestellte und hochgestellte Personen herausnehmen.

Von solchen abgesehen (es folgt nun die Kritik der bedeutendsten Dichter der Sammlung) strahlt in neuerer Zeit Sojo Henjo hell, nur fehlt seinem Gedicht im Grund die Wahrheit des Dargestellten. Wir fühlen einiges Herzklopfen beim Anblick einer gemalten Schönheit. Ariwara Narihira sucht gar viel zu sagen, nur fehlen ihm die Worte. Er gleicht einer welken Blüte, die noch duftet und nicht mehr in Farben leuchtet. Bunja von Yasuhide im Widerspiel verwendet artigste Worte, nur treffen sie den Sinn nicht. Er ist wie ein Krämer, der sich zu reich kleidet. Kisen, der Bonze von Ujiama, entwickelt, wie es scheint, seinen Inhalt nicht zureichend. Man sieht nicht: von wann noch wohin. So ungefähr sehen wir den herbstlichen Mond gegen die Wölkchen der Morgenröte erblassen. Da ich aber keins von den (unbestrittenen) Erzeugnissen dieses Bonzen je gehört habe, kann ich es nicht (so recht) mit dem und jenem eines anderen vergleichen. Ono von Komachi gehört zusammen mit der Prinzessin Sotoori des Altertums. Seine Dichtung hat keine männliche Kraft, doch sie bewegt uns zu zartem Gefühl, so als ob eine schöne Frau litte. In der Dichtung der Frauen ist dieser Mangel übrigens begreiflich. Der Stil Ohtomos von Kuronushi ist ärmlich, dörperlich, der eines Holzfällers, der sich mit seiner Last unter Blumen niederläßt.

Von so vielen bekannten Dichtern, die so dicht stehen wie die laubdichte Krone eines Waldbaums, so verbreitet wie der Kugelfaden über den Waldboden, kann ich bedauerlicherweise nur sagen, daß sie – Gedichte machen wollen, aber nicht können.

Indes, heutzutage unter der himmlischen Herrschaft unseres gegenwärtigen Höchstherrn sind schon neunmal die vier Jahreszeiten wiedergekehrt. Seine erhabene Leutseligkeit hat ihre Wellen über die ganze Erde, noch jenseits der Acht Inseln, verbreitet. Und seine erhabene Großmut wirft mehr Schatten als der Berg Tsukuba. Er vernimmt täglich die zehntausend Dinge seiner Verwaltung. In seiner Muße geruht er, dazu auch keinerlei sonstige Geschäfte zu vernachlässigen. Auf daß das Altertum nicht vergessen werde, auf daß das Vergangene wieder erweckt würde, auf daß es fürderhin der Zukunft überliefert werde, hat er geruht, am achtzehnten Tage des vierten Mondes im fünften Jahre des Enji täglich dem Palastschreiber, Herrn Ki von Tomonori, dem obersten Bücherverwalter, Herrn Ki von Tsurayuki, dem ehemaligen Statthalter von Kai, Herrn Oshitoki von Mitsune, dem kaiserlichen Leibgardehauptmann, Mibu von Tadamine, und noch etlichen anderen den Auftrag zu erteilen, ihm mit (der schuldigen) Ehrfurcht die nicht im Manyoshu enthaltenen alten Gedichte zusammen mit ihren eigenen Versuchen vorzulegen.

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