Die Ritter vom schwallenden Wasser

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Die Ritter vom schwallenden Wasser
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Michael Kirchschlager

Die Ritter vom

scwallenden Wasser

für Leser ab 10 Jahren

Für Anna Maria, Emil und Andrea

Die Ritter vom

scwallenden Wasser

oder

Wahrhaftige und einzigartige

HISTORIA

vom

Leben der edlen Herren von Schwallungen/

ihren Abenteuern/​Listigkeiten und Streichen /

ihrer Liebe zum Volk/​zum Met und zu gesottenen Karpfen /

und vom Bau des steinernen Turmes/​den man Kemenate heißt.

GETREULICH AUFGESCHRIEBEN VON

Heinrich von Schwallungen.

IN NEUES DEUTSCH ÜBERTR AGEN VON

Michael Kirchschlager.

IN DRUCK GEGEBEN VOM

Knabe Verlag Weimar.

FEIN UND ZIERLICH ILLUSTRIERT VON

Meister Christoph Hodgson.

Weimaria et Schwallungen A. D. MMXIII

Inhalt

Cover

Widmung

Titel

HANDELNDE PERSONEN

Vorwort

Die Sippe vom schwallenden Wasser

Unsere Familie

Die Keilerhatz

Glöckli

Wolfsklaue

Meister Steinhauf

Die Nagelprobe

Der Turmbau

Das Bauopfer

Die schöne Dame

Das Wasserweibel

Der Mönchritter

Die Reliquie

Die zerschlagenen Metfässer

Das Strafgericht

Der Karpfenteich

Die Beerdigung

Das Karpfenessen

Das Turnier

Der brennende Turm

Geschichtliches

Anmerkungen

Impressum

HANDELNDE PERSONEN

Die Swallinger

Ritter Brun, der Erbauer des Steinturmes Elisabeth, seine Frau Heinrich, der älteste Sohn und der Erzähler unserer Geschichte Betz und Wölfelin, Heinrichs jüngere Brüder Kunigunda, das Töchterlein Egil und Odo, Bruns Halbbrüder Großvater Heinrich, Vater von Brun, Egil und Odo Herzeleide von Hallenberg, Odos schöne Braut

Unsere Burgleute

Bruder Notker, der Burgkaplan Knecht Hertnit, der Großknecht Ursula, die Burgköchin Glöckli, ein Findelkind

Die anderen

Poppo, der Graf von Henneberg Heinrich von Berge, ein Bruder des Deutschen Ordens Eberhard von Würzburg, Burgvogt der Henneburg, ein übler Schurke Meister Steinhauf, der Baumeister des steinernen Turmes, und weitere Personen

Vorwort

Es gab einmal einen Ritter, der so gebildet war, dass er alles, was er in den Büchern geschrieben fand, lesen konnte. Und wenn er mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen wusste, dichtete er sogar. Er gab sich die größte Mühe, seine Worte und Sätze so zu verwenden, dass sie vergnüglich zu hören und zu lesen waren. Der Ritter hieß Heinrich und stammte aus Schwallungen. Er hat auch folgendes Gedicht verfasst:

Unsre Ahnen, die Swallinger, waren Franken und Thoringer. Namen erklingen voller Ruhm: Cunihilt, Sigifridus, Brun. Es schwillt und schwallt das schnelle Wasser, Werraf luss, wir senden dir einen Gruß!

Stolz und frei und kühn wie Falken, stets ihr Wort die Ritter halten, spähen sie mit scharfen Sinnen, zu allem entschlossen über Mauern und Zinnen. Es schwillt und schwallt das schnelle Wasser, Werraf luss, wir senden dir einen Gruß!

Doch lange her sind ihre Taten, Sagen umranken Kemenaten. Sie sollen nicht vergessen sein, drum schaut in dieses Buch hier rein. Es schwillt und schwallt das schnelle Wasser, Werraf luss, wir senden dir einen Gruß!



Die Sippe vom scwallenden Wasser


nsere Sippe reicht bis in jene Zeiten zurück, als die Thüringer und Franken miteinander in heftigen Kämpfen lagen, Kämpfe, die schließlich zum Untergang des Thüringer Königreiches führten.1

Im Jahre 531 traf in einer gewaltigen Schlacht an einem Orte namens Runibergun das Heer der Franken mit König Theudebert an der Spitze auf die Thüringer unter König Herminafried. Auf beiden Seiten wurde tapfer gefochten, allein nach drei Tagen sank der Stern der Thüringer. Viele von ihnen wurden erschlagen, ihr Land unter den Franken aufgeteilt. Zu den mutigsten Streitern auf Seiten der Franken soll einer unserer Ahnen gezählt haben. Er ließ sich am schwallenden Wasser nieder, den später Werra genannten Fluss, und heiratete die Tochter eines Thüringer Adligen.

Ein weiterer Ahne, von dem mir unser Großvater erzählte, war ein Mann namens Huntolf. Dieser hatte einen Egilolf geheißenen Sohn, und der wiederum einen Sohn mit Namen Helpfolf. Egilolf schenkte im Jahre 795 einen Teil seiner Güter dem Kloster Fulda. Comitissa2 Cunihilt vermachte im Jahre des Herrn 874 einen Teil ihrer Güter zu Schwallungen ebenfalls dem Kloster Fulda unter Abt Sigihart.

Aufgrund seiner Treue zum Grafenhaus der Henneberger und deren Treue wiederum zum Königshaus der Franken wurde unserem Ahnen Sigifrid das Recht gewährt, eine Burg auf einer Anhöhe am schwallenden Wasser zu erbauen. Diese Burg aus Buchen- und Eichenholz wurde in den folgenden Jahrhunderten nach und nach durch Steinbauten ersetzt. Im Jahre 1057 schenkte der Edle Sigifrid dem Kloster Fulda unter Abt Eggebert zahlreiche Hofstätten, Hufen, Äcker und dreiundzwanzig Leibeigene.

Sigifrids Treue hielt ihn fortan neben Graf Poppo von Henneberg im Sattel und als wieder einmal die Sachsen während der großen Sachsenkriege3 Schmalkalden und alle umliegenden Höfe und Weiler heimsuchten und verheerten, stellten sich die Anhänger des Königs zur Schlacht.

Darunter befand sich auch Sigifrid in glänzender Rüstung. Er sank als Held neben Graf Poppo am 7. August 1078 ins Gras. Dessen eingedenk war unsere Sippe, die sich die „Swallinger“ nannte, fest mit dem Grafenhaus verbunden und nichts und niemand konnte unsere Treue zu den Hennebergern erschüttern. Und als ich, Heinrich von Schwallungen, noch gar nicht geboren war, rettete mein Vater Brun dem Grafen Berthold von Henneberg vor der landgräflichen Runneburg das Leben! Das war im Jahre 1212.4

Ich erzähle all dies, um die Geschichte meiner Ahnen und die Taten unserer Sippe nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zeit meines Lebens war ich kein Mann der Feder, eher ein Mann des Wortes, selten ein Mann des Schwertes. Aber ich komme dem Wunsche meiner Familie nach, die mich nach langen Erzählungen am Kamin bat, all die Mären und Geschichten der Ritter vom schwallenden Wasser aufzuschreiben. Ich bin kein begnadeter oder gar tugendhafter Schreiber. Ich vermag nicht, meine Worte in kunstvolle Reime, Verse oder sonst etwas zu setzen. Vielmehr werde ich meine Geschichte, die Geschichte unserer Sippe so aufschreiben, wie es mir in den Sinn kommt und was mir aufzuschreiben vergönnt ist.


Unsere Familie


n den frühen Jahren meiner Kindheit wuchs ich in dem Holzturm auf, den unser Ahne Sigifrid erbaute. Er thronte auf einem Hügel, an dessen Westseite sich die Werra entlangschlängelte. Hinter der Werra begann sich nach Westen Buchonia5 zu erstrecken, nach Osten der Thüringer Wald. Im Nordosten lag die Stadt Schmalkalden, im Süden die Stadt Meiningen und die gräfliche Henneburg. Unsere unmittelbaren Nachbarn waren die Herren von Cralach im Norden.

 

Zu unseren Besitzungen zählten die Burg, das Dorf Schwallungen mit Wald, Holz, Feldern, Bächen und Quellen, Weiden, drei Fischweiden an der Werra, ein Karpfenteich bei Cralach, ein schöner See in Buchonia mit allen Fischrechten, Wiesen und Weiden am großen Cralacher See, eine Mühle in Schwallungen und vor Wasungen, dort auch zwei Gärten, ein Hof im Körnbachgrund, das halbe Dorf Zillbach, Äcker in Cralach und Ahles6 und weitere Besitzungen und Zugehörungen in umliegenden Dörfern und Wüstungen, sechsundzwanzig Leibeigene sowie ein Vorwerk in Schmalkalden, ein Hof in Breitungen sowie sieben Kühe, eine Schaf herde und einhundertzwanzig Hühner und Gänse.

Unsere Mutter Elisabeth war eine fromme Frau voller Anmut und Schönheit, von edler Herkunft und feiner höfischer Erziehung und eigentlich passte sie überhaupt nicht zu den sie umgebenden Männern aus der Sippe der Swallinger, von meinem Oheim7 Odo vielleicht einmal abgesehen.

Aber sie trug ihr Schicksal, wie sie ihre Lebensumstände immer nannte, mit großer Würde und heute, denke ich an unser Leben am schwallenden Wasser zurück, erfüllt mich diese Würde mit Bewunderung.

Und trotz des Schutzes, fußend auf der Lehenstreue, die die Swallinger durch die Grafen von Henneberg erfuhren, war es unsere Mutter, die so manches Mal durch wärmste Fürsprache bei Graf Poppo8 selbst für unsere Familie eintrat und Schaden abwendete. Unser Vater Brun, der Erbauer des großen steinernen Turmes, war ein stolzer, strenger und umtriebiger Mann mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Dieser brachte ihm nichts als Ärger ein. Er liebte uns über alle Maßen, war fromm und verglich uns stets mit den edlen Falken, die den Turm bewohnten und ihn unentwegt gegen Dohlen, Krähen und andere Räuber verteidigen mussten.

„Seht, ihr Kinder“, sagte er immer und zeigte zur Spitze des Turmes, „wir gleichen diesen Falken. In einem immerwährenden Kampf müssen wir unseren Turm gegen alle möglichen Feinde verteidigen.“

Vater war selbst viele Jahre Falkner, aber als er seinen Lieblingsfalken Pfeil an einen Walduhu verlor, der den schönen Falken bis in eine Scheune verfolgte und dort schlug, brach es Vater fast das Herz und er hängte die Falknerei an den Nagel.


Oheim Egilbert, den wir kurz Ohm Egil nannten, war ein Mann von großer, starker Statur und wurde von allen Rittern der Umgebung gefürchtet, denn er siegte in allen Turnieren und sah darüber hinaus noch furchtbar aus. Während einer Bärenhatz verlor ein Bär sein Leben, Ohm Egil aber eines seiner Augen und so kam unser Onkel als einäugiger Mann daher, mit dem nicht gut Kirschen essen war. Deshalb nannten ihn die Leute auch Egil den Einäugigen. Mit unserer Mutter stand er sich nicht gut, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Zu den Frauen hegte er keine sonderliche Neigung, aber er liebte den Trunk, die Geselligkeit und uns Kinder.

Ganz anders war da Ohm Odo, ein feiner, junger und hübscher Herr mit gutem Benehmen, der Liebling unserer Mutter (wahrscheinlich hätte sie lieber ihn als unseren Vater geheiratet, aber Odo war nur der Drittgeborene). Odo galt uns als strahlender Held, der gemeinsam mit Ohm Egil so manchen trefflichen Schabernack veranstaltete.

Und dann darf ich nicht unseren Großvater Heinrich vergessen, der eine Mischung aus allen seinen Söhnen war. Hier sollte ich vielleicht anmerken, dass jeder Sohn einer anderen Frau entspross, was bedeutet, dass alle Brüder Halbbrüder waren. Unser Großvater überlebte alle seine Frauen, die, die er aber am meisten liebte, war unsere Kunigunda. Zu der komme ich gleich.

Ich hatte zwei Brüder, Wölfelin und Betz, sowie eine Schwester Kunigunda, eine ganz neckische Kleine, die den Gerechtigkeitssinn unseres Vaters geerbt zu haben schien, denn von unseren Streichen hielt sie nichts. Ganz im Gegenteil! Mit ihren fünf Jahren drohte sie uns mit drakonischsten Strafen, hatten wir wieder mal etwas ausgefressen.

„Sie werden euch noch einmal die Ohren abschleiden!“, prophezeite sie unentwegt in ihrer kindlichen Sprache. Und wenn es einmal nicht nach ihrem Willen ging, was bei Frauen oft vorkommt, lief sie zu unserem Großvater und wickelte ihn um ihre kleinen Fingerchen. Über alles liebte sie ihre Stoffdocke9, ein abgefranstes, zerkautes, zerflicktes und hässliches Ding, wie wir fanden, aber war das Püppchen „Nunu“ einmal nicht auffindbar, liefen die Tränen und brachten die Werra zum Anschwillen.

Meine Brüder waren wie ich, kräftig, rotznasig, flink, etwas jünger zwar, aber allesamt echte Swallinger, und was einen Swallinger ausmacht, das möchte ich nun erzählen.


Die Keilerhatz

War kein Wolf, der’s Schäf lein riss, war kein Bär, der’s Hündlein biss. War ein altes, böses Tier, war ein Keiler in seiner Gier.

Kam ins Werraland geschlichen, alle vor ihm ängstlich wichen. Mit dem Rüssel soff er Blut, ward noch ärger in seiner Wut.

Griesgram war sein Rottenname, fraß die Kindlein seiner Dame. Seine Hauer, scharf und lang, machten selbst den Schäfer bang.

Fleisch vom Schäf lein und keine Eicheln, Griesgram liebte nicht das Streicheln. Verlor ein Auge, das wilde Schwein, siehlt sich in der Kuhle, war nicht rein.

Doch des Ritters blanker Stahl wurde ihm zur letzten Qual. Griesgrams Rüssel auf letzter Reise dient den Recken nun als Speise.



s war Ende Oktober im Jahre des Herrn 1229 oder 1230, so genau weiß ich es nicht mehr. Unser Schäfer kam aufgeregt zur Burg gelaufen und berichtete keuchend, ein übergroßer, alter und furchtbarer Keiler habe einige Schafe unserer Herde gerissen. Er selbst habe versucht, ihn mit der Schleuder zu vertreiben, aber ihn lediglich am Auge verletzt.

„Das ist nicht gut“, sagte Ohm Egil, „jetzt ist er nur noch wütender.“ „Ich glaube“, sprach der Schäfer weiter, „ich habe ihm das Auge sogar ausgeschossen. Das könnte bei der Hatz von Vorteil sein.“ Ohm Egil, der selbst ein Auge verloren hatte, sah finster auf den Schäfer.

„Jetzt ist er erst recht griesgrämig“, sagte er grimmig.

Der Mann erschrak und sah betreten zu Boden. Er hatte wohl erst jetzt gemerkt, wie unangebracht seine Worte waren. „Der Schäfer hat recht, Egil“, hob mein Vater an. „Vielleicht nützt uns das.“

„Ja, vielleicht.“

Immer wieder verursachten die Schwarzkittel, wie wir die Wildschweine nannten, an Feld und Flur beträchtliche Schäden, gruben junge Bäumchen aus oder strichen verwüstend durch die Gärten und Gehöfte. Aber von einzelnen Keilern, die Schafe rissen, hatte sogar unser Großvater Heinrich noch nichts gehört.

Der Schäfer gab nun eine Beschreibung des Keilers ab: „Das Tier ist ein riesengroßer Einzelgänger, wie alle Keiler. So einen Kerl habe ich noch nicht gesehen, und glaubt mir, Ihr Herren, ich kenne die Burschen zur Genüge. Seine Behaarung ist von schwarzgrauer Farbe. Er misst sechs bis sieben Fuß10 in der Länge, hat eine Höhe von drei, vier Fuß und wiegt schätzungsweise drei Doppelzentner11. Seine verf lixten Hauer haben eine Länge von einem dreiviertel Fuß, und die Schwarte wird durch ein ungemein horniges Schild geschützt.“12

Uns allen standen bei diesen Worten die Mäuler offen. Das war ein wahres Biest!

Damals spielte das Wetter verrückt. Noch in der Mitte des Monats strahlte die Sonne so wunderbar warm, dass man hätte meinen können, der Sommer käme zurück und wir könnten noch in den Seen Buchonias schwimmen. Aber gegen Ende Oktober fiel mit einem Male der Winter über uns her, der sturmartige Winde und sogar Schnee mit sich brachte.

Als Knecht Hertnit mit seinem Schleifstein die Saufedern, unsere langen Jagdspieße, schärfte, liefen wir Kinder wie wild auf dem Burghof herum.

„’Ne Keilerhatz, ’ne Keilerhatz, der Keiler kriegt eins auf den Latz“, riefen wir ausgelassen und fröhlich und auch ich schnitzte mir eine kleine Saufeder aus einem Eschenstöckchen.

Vater, der mir dafür sein Messer reichte, sagte: „Und du, mein Sohn, wirst mitkommen!“

Ich war so glücklich, dass ich sofort zu unserer Mutter lief und ihr davon erzählte.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, donnerte sie unseren guten Vater an, der seinen Ausspruch schon bereute. Aber das gegebene Wort eines Swallingers gilt.

„Weib, sorge dich nicht. Wir werden Heinrich sicher auf einen Baum hieven!“, versuchte mein Vater zu beschwichtigen und setzte unserer Mutter gegenüber eine ernste Miene auf. Mir aber zwinkerte er zu.

„Ohne den Knaben brauchst du nicht wieder nach Hause zu kommen!“, war die barsche, unumstößliche Antwort.

An einem unwirtlichen Tage brachen wir zur Keilerjagd auf. Trist überzogen dichte Nebelschwaden die Werra und tauchten die Buchenwälder in ein gespenstisches Kleid. Eigentlich ging es zu dieser Zeit auf die recht ungefährliche Hasenjagd und auch der Rehbock war wieder gut im Wildbret. Die Wildtauben verließen unser Gebiet, die Raubvögel zogen in den Süden.

Vater, Ohm Egil und Odo führten die Jagdgesellschaft an. Großvater blieb in der Burg.


„Sollen sich Brun und Egil um den Griesgram kümmern“, sagte er und zog sich mit einer Kanne Met an seine Feuerschale zurück. Als Besitzer der Wälder war es unsere Aufgabe, den Keiler unschädlich zu machen. Ich ritt auf Vaters Pferd mit und war stolz, als der Erstgeborene dabei sein zu dürfen. Uns folgten fünfzehn Bauern zu Fuß, allesamt mit Saufedern und großen Messern bewaffnet. Bruder Notker, unser Burgkaplan, besprengte uns eifrig mit Weihwasser und betete ohne Unterlass für eine sichere und erfolgreiche Jagd.

Die Jäger schwiegen. Wohl nicht aus Furcht, vielmehr aus Respekt, denn sollte der Keiler tatsächlich von der beschriebenen Größe sein, ging es um Leben und Tod. Schon oft hatte ich von Geschichten gehört, in denen die Keiler die Jäger regelrecht von unten herauf mit ihren langen, scharfen Hauern aufgeschlitzt hatten.

Ja, die Männer waren so still, dass man hätte meinen können, sie ritten zu einem Leichenbegräbnis aus, wären da nicht die Sauhunde gewesen, die ein Mordsspektakel veranstalteten. Fünf Bauern führten je drei von ihnen zusammengekoppelt mit, Knecht Hertnit aber unseren Beißer, einen ganz gefährlichen Bluthund und Saupacker, dem Ohm Egil einst ein eigenes Kettenhemd anfertigen ließ, um ihn gegen die wütenden Attacken der Wildschweine zu schützen. Die Sauhunde sollten, von Beißer angeführt, den Keiler hetzen, ihn stellen und mit ihren Zähnen niederhalten, so dass einer der Jäger ihn mit der Saufeder zur Strecke bringen konnte. Doch es kommt im Leben oft anders, als es einem lieb ist. Der Keiler hatte unweit von Zillbach die Schafe gerissen. Dort gedachten die Jäger ihn zu stellen, zu hetzen und zu erlegen. Um ihn anzulocken, schüttete Knecht Hertnit einen Sack Haferschrot in eine Senke, legte einige Bretter darüber, an denen Glöckchen befestigt waren, und begoss das Ganze mit Honig und Gülle aus dem Schweinestall. All dies sollte den wütenden Keiler zusätzlich anlocken. Würde er dann kommen und nach dem Hafer scharren, würden die Glöckchen die Jäger alarmieren, die sich in sicherer Entfernung versteckt hielten, und die Hetzerei könnte beginnen. Wir lagen kaum eine halbe Nacht im Wald, als die Glöckchen klingelten. Stracks brachen die Männer auf und ließen die Hunde los, die freudig kläfften. Vater und Ohm Egil jagten zu Pferde. Ich blieb auf einer Eiche zurück. Vater hatte in seiner Weitsicht sein Olifant13 bei mir gelassen. „Falls du Hilfe brauchst, bläst du kräftig ins Horn!“

 

Beißers wütendes Bellen verriet, dass er auf ein Wildschwein gestoßen war. Ich saß auf meinem Baum und versuchte, etwas zu erspähen, aber der Wald war undurchdringlich. Plötzlich hörte ich unter mir ein böses Grunzen. Ein großes Wildschwein rieb sich an meinem Baum. Vater hatte mich unglücklicherweise auf einen Malbaum gesetzt. So heißen die Bäume, an deren Rinden sich die Wildschweine scheuern. Mich beschlich eine leichte Angst. Sollte es der große Griesgram sein, der sich da unter mir kratzte? Nein, das kann nicht sein, dachte ich, außerdem sieht er doch gar nicht so groß aus. Während ich mit wachem Blick das Wildschwein beobachtete, ereignete sich nicht zweihundert Schritte von mir entfernt ein Kampf auf Leben und Tod. Unsere Männer erzählten noch Jahre später davon.

Natürlich war es nicht der große Keiler, der unter mir den Malbaum traktierte, sondern nur ein Überläufer14. Tatsächlich war der alte Griesgram auf die Falle gestoßen, angelockt von all den säuischen Düften und der Aussicht auf herrliches Fressen. Beißer, der als Erster auf den Keiler traf, erhielt von diesem übermächtigen Feind einen derartigen Stoß, dass er zwanzig Fuß durch die Luft flog und an einen Baum prallte, wo er sich das Genick brach. Da half auch sein Kettenhemd nichts.

Drei weiteren Bracken schlitzte der alte Griesgram mit seinen Hauern die Bäuche auf. Vater, der das Tier vom Pferd aus mit der Saufeder stechen wollte, prallte mit dem Oberkörper im Dunkel der Nacht gegen einen Ast und fiel verletzt zu Boden. Knecht Hertnit und zwei Bauern trugen ihn geschwind vom „Kampfplatz“ und brachten ihn und sich auf einem Baum in Sicherheit. Die anderen Bauern riefen die Hunde zurück und suchten auf Vaters Befehl das Weite. Der Keiler selbst, als ahne er, dass er in eine Falle geraten war, riss grunzend aus und rannte wie angestochen davon.

Im ersten Schein der frühen Morgenstrahlen sammelte sich erneut die Jagdgesellschaft, allein Ohm Egil fehlte. Sofort brachen die Männer in alle Richtungen auf. Sie liefen und liefen und fanden zu ihrem größten Erschrecken sein Pferd. In einem Hohlweg, nicht weit von meinem Baum entfernt, hatte Ohm Egil das Wildschwein erwartet. Mit der Saufeder in der Hand, trachtete er, das Borstenvieh zu erstechen, gleich einem feindlichen Ritter beim Lanzenkampf. Doch als sich Griesgram grollend näherte, scheute des Oheims Pferd und warf ihn ab. Ohm Egil verlor bei dem Sturz die Saufeder, war aber kampfgeübt genug, im Fallen sein Ritterschwert zu ziehen. Er legte einen gewaltigen Purzelbaum hin, bei dem er sich kaum verletzte. Als wollte es das Schicksal, schlugen Egil und der Keiler mit den Köpfen zusammen. Ich weiß bis heute nicht, wie der Ohm das überleben konnte, aber Mutter sagte später, Egil sei schon immer ein starrköpfiger Breitschädel gewesen. Mit einem mörderischen Gebrüll kam der Keiler auf Egil zu liegen. Er war direkt in des Ritters Schwert gelaufen. Zwar wollte er unseren Ohm noch mit einem letzten, verzweifelten Kopfstoß in die Hölle schicken, aber er traf Ohm Egil nur am Kinn.

In einer Senke sahen die Jäger das Eberschwein liegen, aus dessen Seite Blut floss. Plötzlich rief Knecht Hertnit: „Herr, das ist unser Keiler … und darunter liegt ein Mann!“

„Ja, wahrhaftig!“, antwortete mein Vater. „Schnell runter mit dem Borstenvieh.“ Und wie er das sagte, schoben er und drei Männer das wilde Schwein zur Seite. Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie unter dem alten Griesgram Ohm Egil erblickten. Er hatte im Kampf, sozusagen Auge in Auge, den Keiler mit seinem Ritterschwert erstochen. Das Tier lag tot und mit geöffnetem Auge auf dem Waldboden. Ohm Egil, den alle für tot hielten, öffnete ruckartig sein Auge.

„Wo habt ihr denn gesteckt?“, fragte er vorwurfsvoll. „Der alte Griesgram hätte mich fast gefressen!“

Vater atmete erleichtert auf.

„Egil“, sagte er und sah abwechselnd auf den einäugigen toten Keiler und dann wieder auf seinen Bruder, „irgendwie hat der Keiler eine gewisse Ähnlichkeit mit dir … “

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