Buch lesen: «Mit Fahrrad durch Corona-Europa», Seite 2

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05.10.2020


07:27 Uhr: Hier bin ich aufgewacht

15:10 Uhr

Ich schreibe gerade wieder beim Fahren. Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Fahrrad-Schnellstraße gesehen, ein paar Kilometer vor Darmstadt. In Darmstadt habe ich eingekauft und bin dann schnell wieder aus der Stadt rausgefahren.

Heute Morgen habe ich in einem Fahrradladen nach einer Lademöglichkeit durch Windkraft oder so gefragt, gab’s nicht, darum musste ich mein Handy draußen bei einer Seniorenresidenz laden. Auch in dem Supermarkt in Darmstadt oder bei einem XXL-Euronics, wo ich eben war, gab es so etwas nicht. Mist. Das Warten auf die Akkuladung nervt.

Na ja, vor einer Stunde ungefähr habe ich die erste Weinplantage gesehen und jetzt sind hier ganze Weinberge in Heppenheim.


16:19 Uhr: Auf dem Weg


18:34 Uhr: Beschreibung zur Europalinde, unter der ich geschlafen habe, leider war mein Akku leer und ich konnte kein besseres Foto mehr machen


18:34 Uhr: Die Europalinde

18:48 Uhr

Mein Tagesminimum habe ich erreicht. Ich bin jetzt in Oftersheim neben einem Friedhof auf einer Bank und koche mir Nudeln mit Spinat. Neben mir steht die Europalinde, unter der ich schlafen werde. Heute war ich ein bisschen genervt, denn ich fahre immer gegen den Wind, es zogen ständig Schauer über mich hinweg, ich habe die ganze Zeit schon was im Auge und mein Rahmspinat, den ich in Darmstadt gekauft hatte, lag unten im Fahrradkorb, ist aufgetaut und wurde von den anderen Sachen zerquetscht, sodass er aus dem Korb auf mein Fahrrad tropfte.

Die Landschaft sieht schon ganz anders aus, die Häuser sehen anders aus und die Menschen sprechen schon kein hochdeutsch mehr, aber egal wo man in Deutschland ist, die deutschen bleiben Weltmeister im doof gucken.


Tote Tiere an der Straße: 2

06.10.2020
09:37 Uhr

Ich bin den ganzen Morgen durch die Gegend geirrt, um Strom zu finden, jetzt bin ich in Walldorf und habe eine Steckdose gefunden. Ich muss gleich erst mal schauen, ob ich überhaupt noch richtig bin.

In der Nacht hatte es die ganze Zeit geregnet, da konnte mir die Europalinde auch nicht mehr genug Schutz bieten. Alles ist wieder nass und ich fühle mich total matschig. Ich muss später wieder alles trocknen und ordnen.

11:59 Uhr

Beim Fahren. Eben kam mir zum ersten Mal so einer wie ich entgegen, nur nicht mit ganz soviel Zeug und professioneller ausgerüstet. Ich hab ja alles nur so zusammengewürfelte Sachen dabei. Wir haben uns angelächelt und gewunken.

Vorhin beim Handy laden kam ein Mann an, der einen anderen aus dem Gebäude, in dessen Steckdose mein Ladekabel steckte, herausrief. Sie unterhielten sich fünf Meter von meinem Handy entfernt, ohne es zu sehen und gerade als sie sich verabschiedeten klingelte es. Sie so: „Hö Handy?!“ und ich rief: „Das ist meins.“ Zum Glück sagten sie nichts weiter dazu. Jedenfalls war es mein Stiefvater, der mir sagen wollte, dass die Beerdigung meines Opas am 22. Oktober ist. Das heißt, dass ich jetzt ein bisschen planen muss.


15:14 Uhr: Trocknungspause


16:49 Uhr: Ankunft in Karlsruhe

20:15 Uhr

Nachdem ich heute für ungefähr 20 Kilometer nur geradeaus durch einen riesigen Wald gefahren bin, bin ich in der wirklich schönen Stadt Karlsruhe angekommen. Schöne Gebäude und Menschen. Einmal standen drei Männer auf der anderen Straßenseite mit einer Kamera auf Stativ. Ich glaube ich wurde fotografiert und der eine hat sich gefreut und eine so kopfnickende Geste gemacht, um mich anzufeuern.

Jetzt bin ich in der ebenfalls schönen Stadt Gaggenau. Ich wollte über eine Fußgängerbrücke auf die andere Seite des Flusses hier fahren, aber die ist gerade gesperrt und über die Schnellstraßenbrücke für Autos wollte ich nicht, da mein Licht irgendwie nicht funktioniert. Darum liege ich jetzt hier an meinem bisher schönsten Zeltstellplatz mit Blick auf den Fluss, die Sterne, die Autobrücke und ein paar Häuser. Im Hintergrund höre ich Menschen Fußball spielen. Nur dass meine Waden wehtun und ziemlich verkrampft sind und ich heute nur 76 Kilometer geschafft habe.

07.10.2020
07:28 Uhr

Es hat wieder in der Nacht auf mein Zelt geprasselt und jetzt immer noch, alles ist wieder nass und ich will nicht raus ins Nasse.


07:47 Uhr: Morgens an der Murg in Gaggenau


10:39 Uhr: Irgendwo an der Murg, in dem Ort wo ich mein Handy aufladen konnte

12:18 Uhr

Es regnet die ganze Zeit. Meine Füße und Klamotten sind durchnässt. Ich steh hier im Regen an einer E-Bike-Ladestation und lade mein Handy. Ich will weiter!


15:41 Uhr: Endlich ein bisschen Sonne

15:42 Uhr

Ich werde heute wohl wieder nicht viele Kilometer schaffen, dafür habe ich einen guten Platz zum Trocknen und Ordnen gefunden. Ein Häuschen mit Bank drin an der Murg. Der Fluss, der durch das ganze Murgtal fließt und an dem ich letzte Nacht auch geschlafen habe. Wunderschön ist es hier, sowas kenne ich eigentlich nur aus Skandinavien oder Kanada. Deutschland ist schon ein schönes und abwechslungsreiches Land.

19:17 Uhr

Ich bin jetzt in Freudenstadt, oder am Rande davon, ganz oben auf einem Berg und habe den perfekten Schlafplatz gefunden. Es regnet, aber ich bin unter Dach. Ich weiß nicht genau was das hier ist, aber vorne dran steht Duftrosengarten. Und hier ist ein Turm und so mehrere Bänke unter Überdachungen. Wie Zuschauertribünen, na ja egal, Hauptsache trocken und eine Steckdose. Jetzt kann ich alles schön durchladen und trocknen und Morgen richtig was schaffen. Heute habe ich nicht genau drauf geachtet wie viel ich geschafft habe, aber ich schätze mal so etwas über 30 Kilometer. Langsam hänge ich durch. Liegt aber auch daran, dass ich ständig Strom suchen muss.

Inzwischen verschwimmen alle Tage ineinander. Manchmal fühlt sich ein Tag auch an wie mehrere Tage oder ich habe einen Moment vor Augen, kann aber nicht mehr sagen welcher Tag es war. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Frau im Garten, die neben sich eine einen halben Meter große Spinne aus Metall an der Wand hängen hatte, ich glaube das war vor Winterberg. Oder gestern, glaube ich, war eine Oma im Gebüsch ohne Hose, die sich da erleichtert hat, weil sie wohl dachte, dass da keiner vorbeikommt.

08.10.2020


07:22 Uhr: Einer meiner unheimlichsten Schlafplätze, im Sommertheater am Rande des Schwarzwaldes


10:02 Uhr: Neue Eier

13:14 Uhr

Es war ein Sommertheater wo ich letzte Nacht geschlafen habe. Am Rande des Schwarzwaldes, durch den ich heute Morgen größten Teils durchgerollt bin.

Ich musste jetzt ein bisschen umplanen. Ich habe eben zwei Flixbusse über das Netto-WLAN gebucht, und zwar am 18.10. von Genova in Italien nach Bremen zur Beerdigung und am 23. wieder zurück, um meine Radtour fortzusetzen. Meine Freundin hat eine Freundin in Genova, vielleicht kann ich mein Fahrrad so lange da lassen. Ich fahre von Italien, weil es dort nicht so viele Reisebeschränkungen von den Regierungen gibt wie in Frankreich. Meiner Meinung nach ist das mit dem Corona-Virus total übertrieben. Wir leben schon immer mit weitaus schlimmeren Krankheiten und da gab es auch nie solche Maßnahmen, die überhaupt nichts mit Gesundheit zu tun haben. Jedenfalls sind es nicht mal mehr 600 Kilometer bis nach Genova und ich habe noch elf Tage Zeit. Das heißt, ich muss nur etwas über 50 Kilometer am Tag schaffen. Endlich etwas entspannter fahren. Und wenn es dann weitergeht lasse ich den Punto de Tarifa in Südspanien wahrscheinlich auch weg, dann sind es nur noch etwa 2300 Kilometer.

Ein kleines Gedicht: Ich fahr’ unverzüglich zügig nach Zürich, es ist zwar hüglig, aber ich lüg’ nicht, wenn nicht sogar bergig, aber ich sterb’ nicht.

20:37 Uhr

Ich bin in einem Gebüsch im Zelt neben einem Fußgängerweg mit Blick über eine Wiese auf die Stadt. Welche weiß ich nicht. Gerade kam hier einer mit bellendem Hund und Taschenlampe vorbei. Der Hund hat an der Leine gezogen und wollte nicht an mir vorbeigehen, ich musste hallo sagen, sonst wäre der Typ hier noch ins Gebüsch gekommen, um zu sehen, was hier ist. Bei einer Pause vorhin hat mich zum ersten Mal eine Frau gefragt, wo ich herkomme, hinwill und wie viel ich am Tag schaffe.

Und vorhin habe ich bei einer Kirche mein Handy geladen und mir Nudeln mit Champignons gekocht, die ich auf einer Wiese gefunden hatte, bis Leute mit Musikinstrumenten in die Kirche gingen und komisch geguckt haben, da bin ich lieber weggegangen.

Ich konnte heute schon die Alpen sehen und morgen komme ich wohl in der Schweiz an.

09.10.2020


10:07 Uhr: Pauseplatz mit laufendem Wasser

10:46 Uhr

Ich habe jetzt schon über 25 Kilometer geschafft. Es geht hier immer bergauf und bergab, entlang der Grenze zur Schweiz. Gerade mache ich eine kleine Pause auf einer Bank inmitten von Feldern und mit einem kleinem laufenden Brunnen, wie sie hier überall zu finden sind, und lasse mein Zelt und meinen Schlafsack trocknen.


16:18 Uhr: Ankunft in der Schweiz, auf einer Brücke über den Rhein


18:48 Uhr: Die Stadt Baden

19:55 Uhr

Heute war ein ziemlich schöner und erfolgreicher Tag. Ich habe von meinen vorgenommenen 50 Kilometern 82 geschafft. Es ging einfach ziemlich viel bergab und es war schönes Wetter, außer, dass es heute Morgen etwas frisch war. Bergauf musste ich aber auch einige Male schieben. Ich bin in der Schweiz angekommen und wurde erstmal mit einer ewig langen Steigung begrüßt, oben auf dem Berg waren dann zwei Grenzwachen und haben Autos angehalten, aber mich als unschuldigen Fahrradfahrer haben sie nur einmal komisch angeguckt. Eben gerade war am Ende der Stadt Baden noch eine Polizeikontrolle, aber ich bin dann einen Umweg gefahren, weil ich ja kein Licht am Fahrrad habe.

Auf dem Weg zum Rhein, der ja auch die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz ist, habe ich viel gesehen und bin die meiste Zeit an einem Fluss entlanggefahren. Bei einer Baustelle musste ein Baggerfahrer extra aus dem Weg fahren, damit ich weiter konnte. Ich war auch nochmal einkaufen, weil es hier in der Schweiz so teuer ist. Mit meinem Tarif nach Deutschland zu telefonieren, kostet 54 Cent pro Minute. Als ich dann eingekauft hatte, mich an den Fluss gesetzt hatte, wo wenig Menschen waren und mein Handy bei einem geschlossenen Fußballvereinsheim, neben dem Fluss in die Steckdose auf der Terrasse an der rechten Seite des Gebäudes gesteckt hatte, zu der man ein paar Stufen hochgehen musste, kamen zwei nette Frauen mit Hund vorbei. Die eine hat mich gefragt, wo ich herkomme und sich kurz mit mir unterhalten. Außerdem kam ein Mann in einem Radlader angefahren, parkte neben dem Fußballvereinsheim, schloss es auf und ging rein. Zum Glück ging er nicht zur rechten Seite des Gebäudes. Er kam wieder raus und fuhr weg. Kurze Zeit später kam aber noch ein anderer Mann, ging in das Gebäude und danach einmal rum, aber zum Glück sah er mein Handy nicht, weil er gerade in dem Moment, als er dran vorbeiging auf sein eigenes schaute. Das reichte mir dann aber und ich wollte losfahren, doch als ich gerade loswollte, kamen die beiden netten Frauen wieder, wünschten mir alles Gute und schenkten mir eine Tüte voll Walnüsse, die sie gerade gesammelt hatten. Und wenn ich sie knacke, dann werde ich an sie denken, sagten sie.

Danach bin ich dann weiter gefahren und als ich endlich am Rhein ankam, bemerkte ich, dass mein Navi mich zu einer Stelle geführt hatte an der keine Brücke war, sondern nur ein kleines Boot auf der anderen Seite, aber es war kein Mensch zu sehen. Deshalb musste ich erst mal eine Brücke finden.

Das Blöde war es heute einen Schlafplatz zu finden. Ich wollte unbedingt in so einer Wanderhütte schlafen, aber die sind nie zur rechten Zeit da. Dann war ich auf einmal in Baden und es wurde schon dunkel. Na ja, jetzt bin ich auf so einem unbewirteten Feld mit hochgewachsenen Pflanzen zwischen Baden und noch einer Stadt, auf dem man mich hoffentlich nicht sehen kann. Man wird irgendwie immer dreister.

Ich habe die letzten Tage gar keine überfahrenen Tiere mehr gesehen, aber ich fahre auch selten an der Straße. Aber Alpakas habe ich wieder gesehen und zum zweiten Mal eine Straußenfarm.

Gerade ist jemand an mir vorbeigeritten.

10.10.2020


16:30 Uhr: Cecilia und ich


17:17 Uhr: Blick aus dem Fenster nach draußen

20:34 Uhr

Heute Morgen bin ich mal wieder im nassen Zelt aufgewacht, im Regen. Ich habe den Tag verflucht. Es war extrem kalt und es hat die ganze Zeit geregnet. Eine Steckdose habe ich auch nicht gefunden, bis ich in Hausen am Albis, an einem Supermarkt, eine gefunden hatte. Ich stand da klitschnass bis auf die Haut zwischen komisch guckenden Leuten und wartete auf meine Handyladung. Doch dann kam eine nette ältere Frau vorbei und fragte besorgt, ob ich mich irgendwo trocknen kann und wo ich schlafe. Sie sagte, dass ich mit zu ihr kommen könne, nachdem sie noch ein paar Erledigungen gemacht hat. Ich wartete noch etwas, aber entschied mich dann weiterzufahren, aber an ihrem Haus vorbei, welches sie mir beschrieben hatte. Na ja, ich weiß nicht welches, dachte ich und wollte gerade weiter, als sie aus einem Fenster rief und fragte, ob ich reinkommen will. Und jetzt liege ich im Gästezimmer im warmen und trocknen Bett. Sie heißt Cecilia, hat für mich gekocht, ich konnte duschen und sie hat meine Sachen gewaschen und getrocknet. Ich habe ihr dafür fünf Stühle zusammengebaut, was sie schon lange erledigen wollte. Sie hat mir, manchmal auf schwer verständlichen Schweizerdeutsch, ihre ganze Lebensgeschichte erzählt und von ihren Kindern und dass einer ihrer Söhne mit Frau und Kind auch schon solche Fahrradtouren gemacht hat, von Neuseeland bis in die Schweiz, wobei sie aber einige Länder übersprungen haben. Deshalb hatte sie ein Herz für mich. Sie hat mir außerdem gesagt, dass der Weg nach Süden über den Berg Gotthard führt und dass der im Moment wegen Erdrutschen gesperrt ist, deshalb muss ich wohl ein Stück mit dem Zug durch einen Tunnel fahren. Wir haben uns viel unterhalten und verstehen uns gut, sie hat mich auch eingeladen wiederzukommen.

Unglaublich, dass ich jetzt hier liege!

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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