Buch lesen: «Local Heroes - Zukunftsfähiger Einzelhandel durch Online-/Offline-Integration»

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Matthias Hell

LOCAL HEROES

Impressum

Local Heroes - Zukunftsfähiger Einzelhandel durch Online-/Offline-Integration

Matthias Hell

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Copyright: © 2013 Matthias Hell ISBN: 978-3-8442-6230-8

„If you can live in this town, and stick around, YOU can live anywhere“

Mark Knopfler aus „Local Hero“

1. Vorwort

Nicht umsonst sind Städte bei den Menschen so beliebt: Sie bieten eine Vielzahl von Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten, urbane Zentren liegen unweit von großzügigen Parkanlagen und es gibt ein reichhaltiges Angebot an kulturellen Attraktionen und Freizeitaktivitäten. Mit einem Wort: Lebensqualität.

Zur Lebensqualität der urbanen Zentren gehört auch deren vielfältige Handelslandschaft. Es gibt dort Einkaufscenter und noble Fußgängerzonen, aber auch mittelständische Fachgeschäfte und lokale Einzelhändler. Eben diese Vielfalt droht allerdings in einer wachsenden Zahl von Städten in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Der Strukturwandel der Branche hat dazu geführt, dass immer mehr innerstädtische Einzelhändler um ihr Überleben kämpfen, während in den Außenbezirken und auf der „Grünen Wiese“ Discounter einen ruinösen Preiskampf vorantreiben.

Zu den Triebkräften des Wandels zählt auch der kontinuierlich an Fahrt zunehmende Online-Handel. Doch ist E-Commerce heute längst nicht mehr ein starrer Gegenpol zum stationären Handel: Im Internet hat sich vielmehr eine neue Klasse von Händlern etabliert, die mit innovativen Geschäftsmodellen einen erweiterten Kundennutzen schaffen und sich daranmachen, mit neuartigen stationären Modellen den Einzelhandel in den Städten wiederzubeleben. Gleichzeitig nutzt eine steigende Anzahl von lokalen Händlern das Netz, um mit zusätzlichen Leistungen die Attraktivität ihres Angebots zu erhöhen.

In dieser Verbindung von On- und Offline liegt ein wichtiger Schlüssel für die Zukunft des Einzelhandels. Wie das gelingen kann und welche erfolgreichen Beispiele es schon heute für den kanalübergreifenden Handel gibt, soll Ihnen dieses Buch zeigen. Kernstück sind dabei die Fallbeispiele von 25 Handelsunternehmen, die aus der On-/Offline-Verknüpfung einen optimalen Kundennutzen gewinnen und dabei in ihren Branchen Meilensteine setzen. Sie sind die titelgebenden „Local Heroes“.

Damit wählt dieses Buch einen anderen Ansatz als die meisten bereits auf dem Markt verfügbaren Multichannel-Ratgeber. Diese sind durchweg theorielastig und nur mit wenigen, vor allem aus den USA stammenden Beispielen unterlegt. Auf einen umfangreichen Theorieteil verzichtet dieses Buch dagegen bewusst. Stattdessen sollen die Local Heroes praxisnah demonstrieren, wie weit deutsche Unternehmen bereits bei der erfolgreichen Verknüpfung der Kanäle Online und Offline sind und welche Impulse sich daraus für den lokalen Einzelhandel ergeben.

Entstanden ist dieses Buch aus einer Artikelserie des Online-Portals Shopanbieter.de. Durch die Unterstützung von eBay und die Zusammenarbeit mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) ist es möglich geworden, die Local Heroes in Buchform zu veröffentlichen und einer möglichst großen Anzahl von Interessenten zugänglich zu machen.

Ich möchte den Beteiligten an diesem Projekt für ihre Unterstützung danken und wünsche allen Lesern eine anregende Lektüre. Mögen Sie in diesem Buch Anregungen finden, die dazu beitragen, den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens zu steigern!

Matthias Hell, im Juli 2013

2. Neue Helden braucht der Handel

Der Strukturwandel im Einzelhandel setzt stationäre Fachgeschäfte immer stärker unter Druck, während sich die Online-Branche mit jährlichen Steigerungsraten im zweistelligen Bereich zum wachstumsstärksten Handelssegment entwickelt hat. Auch die Konsumenten haben ihre Einkaufsgewohnheiten verändert und sindzunehmend durch den E-Commerce geprägt.

Deshalb brauchen wir Local Heroes: innovative lokale Händler, die mit der Verknüpfung von On- und Offline den Einzelhandel zukunftsfähig machen.

Einzelhandel im Wandel

Der „Strukturwandel im Handel“ ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden. Gerne wird das Phänomen herangezogen, um eine Vielzahl an aktuellen Entwicklungen zu erklären: wirtschaftliche Schwierigkeiten etablierter Handelsunternehmen, umfangreiche Veränderungen in der Handelsstruktur der Städte, aber auch veränderte Lohn- und Arbeitsbedingungen der im Handel beschäftigten Arbeitnehmer. Der Strukturwandel im Einzelhandel ist damit allgegenwärtig. Doch lohnt es – gerade bei einem so breitenwirksamen Phänomen – sich noch einmal die wichtigsten Eckpunkte der aktuellen Entwicklung in Erinnerung zu rufen.

Ausgangspunkt für alle Überlegungen zum Strukturwandel ist die Umsatzentwicklung im deutschen Einzelhandel:

Verkaufsfläche im Einzelhandel (in Mio. Quadratmeter)


Quelle: HDE

Vor allem in den ersten zehn Jahren nach der Jahrtausendwende stagnierte die Umsatzentwicklung im Handel. Seit dem Jahr 2010 steigen die Einzelhandelsumsätze wieder an, dennoch verkehrt sich das zwischen 2002 und 2012 erzielte Wachstum von rund 5 Prozent vor dem Hintergrund der Kaufkraftentwicklung in ein reales Minus. Für das laufende Jahr erwartet der Handelsverband Deutschland (HDE) ein Umsatzwachstum von ca. 1 Prozent. Für viele Betriebe dürfte sich allerdings hinter diesem Durchschnittswert ein weiterer reeller Rückgang der Einnahmen verbergen.

Während die Umsatzentwicklung im deutschen Einzelhandel auf eine fortlaufende Konsolidierung der Branche hindeutet, weist ein anderer Wert in die gegenläufige Richtung: die Entwicklung der Verkaufsflächen im Einzelhandel:

Marktanteilsentwicklung nach Betriebsformen


Quelle: HDE, IFH Retail Consultants

Zwischen 2002 und 2011 stieg die Gesamtverkaufsfläche des deutschen Handels um knapp 10 Prozent von 112 auf mehr als 122 Millionen Quadratmeter an. Erst im vergangenen Jahr kam es wieder zu einem Rückgang der Verkaufsfläche, allerdings lag dieser deutlich unter 1 Prozent. Parallel zu dem Rückgang der realen Umsatzsituation haben wir im Einzelhandel also auch ein Wachstum – nämlich im Hinblick auf die Flächenentwicklung.

Um zu verstehen, wie diese gegenläufigen Trends zusammenpassen, eignet sich schließlich der Blick auf eine dritte Entwicklungslinie. Dabei handelt es sich um die Entwicklung der Marktanteile der einzelnen Betriebsformen im deutschen Einzelhandel.

Marktanteilsentwicklung nach Betriebsformen


Quelle: HDE, IFH Retail Consultants

Die Darstellung der letzten zehn Jahre zeigt, dass sich die verschiedenen Handelssegmente höchst unterschiedlich entwickelt haben. So musste vor allem der Fachhandel starke Umsatzeinbußen hinnehmen, aber auch Kauf- und Warenhäuser, klassische Supermärkte und Lebensmittel-Einzelhändler sowie der traditionelle Versandhandel büßten Marktanteile ein. Im Aufwind befinden sich dagegen in erster Linie Discounter und Selbstbedienungs-Warenhäuser, aber auch Fachmärkte und im Fachhandelsbereich angesiedelte Filialisten. Unterlegt man diesen abstrakten Befund nun mit den jeweils dazugehörigen konkreten Handelsformen, ist das Bild vom Strukturwandel im Handel vollständig.

Die Entwicklung geht somit weg von den kleinen bis mittelständischen Fachhandelsbetrieben und hin zu den Discountern der großen Handelsketten. Sie geht weg von beratungsstarken und kostenintensiven Vollsortimentern und hin zu schlank aufgestellten Selbstbedienungsmärkten. Und sie geht schließlich weg von teuren Innenstadtlagen und hin zur „Grünen Wiese“ in den Peripherielagen der großen Ballungsräume.

Die größte Herausforderung stellt der Strukturwandel im Handel damit für den innerstädtischen Fachhandel dar. Sein Geschäftsmodell ist per Definition kostenintensiver als das der Discounter und Marktbetreiber. Für den Fachhandel stellt es daher weder eine mögliche Handlungsoption dar, sich an die Kostenstruktur dieser Mitbewerber anzupassen, noch in den von ihnen angezettelten Preiskampf einzusteigen. Stattdessen muss der Fachhandel nach Wegen suchen, einen erhöhten Kundennutzen zu erbringen, um so die fortgesetzte Relevanz seines Handelsmodells zu begründen.

Wachstumsmotor E-Commerce

Neben den Discountern und Fachmarktbetreibern gibt es noch ein weiteres Handelssegment, das sich seit Jahren kontinuierlich im Aufwind befindet: die E-Commerce-Branche. So haben sich die Online-Umsätze in Deutschland seit 2003 fast verzehnfacht:

Umsatzentwicklung im Online-Handel (in Mrd. Euro)


Quelle: bvh

Nach starken Steigerungen zu Anfang der 2000er-Jahre Jahre flachte die E-Commerce-Wachstumskurve zwischenzeitlich leicht ab. Doch seit 2008 läuft der Online-Wachstumsmotor wieder und es werden beträchtliche Wachstumsraten erzielt: Auf 13 Prozent in 2011 folgten im vergangenen Jahr 27 Prozent und für das laufende Jahr erwartet der Versandhandelsverband bvh ein weiteres Wachstum von rund 21 Prozent.

Verglichen mit dem im deutschen Einzelhandel 2012 erwirtschafteten Gesamtvolumen von rund 428 Milliarden Euro nimmt sich der E-Commerce-Umsatz von 27,6 Milliarden Euro noch recht bescheiden aus. Doch muss die große Dynamik im Online-Bereich berücksichtigt werden. Zudem gilt es zu vergegenwärtigen, dass für die heutigen Online-Umsätze noch eine recht überschaubare Anzahl an Handelssegmenten verantwortlich ist. Andere Bereiche, in denen es um den Handel mit sperrigen, hochpreisigen oder verderblichen Gütern geht, stehen dagegen erst am Anfang der E-Commerce-Entwicklung.

Die Konzentration des derzeitigen Online-Handels auf eine Handvoll Warengruppen bedeutet allerdings auch, dass der E-Commerce-Anteil in einigen Branchen schon deutlich höher ist, als es die Relation zum Einzelhandels-Gesamtumsatz vermuten lässt:

Online-Anteil ausgesuchter Warengruppen


Quelle: Schätzung des eWeb-Research-Centers der Hochschule Niederrhein

Online-Umsatzanteile von teilweise 20 Prozent und mehr sind für die bestehende Handelslandschaft in den betreffenden Branchen mit tiefgreifenden Auswirkungen verbunden. Am deutlichsten zu sehen ist das im Buchbereich, in dem der E-Commerce-Pionier Amazon bereits seit Mitte der 90er-Jahre die Veränderung der Marktstrukturen vorantreibt.

Nicht nur kleine Buchhandlungen müssen heute um ihr Überleben kämpfen, auch die großen Buchketten Thalia, Weltbild und Hugendubel stehen massiv unter Druck. In der Buchbranche hat sich das Flächenwachstum im stationären Handel bereits seit einigen Jahren umgekehrt und die Buchhandelsketten melden inzwischen im Wochenrhythmus die Schließung unrentabel gewordener Filialen.

Eine weitere Branche, in der die Auswirkungen des Online-Booms mittlerweile auf der Hand liegen, ist der Handel mit Computer-Hardware und Unterhaltungselektronik. Auf 16 bzw. 20 Prozent beziffert eine Schätzung des eWeb-Research-Centers der Hochschule Niederrhein den E-Commerce-Anteil in den beiden Bereichen. Nachdem die Konkurrenz durch die preisaggressiven Online-Anbieter zunächst ruinöse Folgen für den Elektronik-Fachhandel zu haben schien, fokussiert sich dieser inzwischen mit zunehmendem Erfolg auf seine Kompetenz im Servicegeschäft.

Nachhaltigere Auswirkungen hat der E-Commerce hingegen für die großen Elektromarkt-Ketten: Während ProMarkt und Vobis heute nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, sah sich der Marktführer Media-Saturn zu einer umfangreichen Neuaufstellung gezwungen: Nach jahrelangen realen Umsatzrückgängen gingen Media Markt und Saturn im vergangenen Jahr dazu über, die Preisgestaltung in ihren Märkten am Online-Wettbewerb auszurichten. Zudem gingen im Zuge der neuen Multichannel-Strategie des Handelsriesen nicht nur die Online-Shops Mediamarkt.de und Saturn.de an den Start, sondern es wurden auch für einen dreistelligen Millionenbetrag der Online-Händler Redcoon übernommen.

Dass es sich bei den Auswirkungen der Online-Entwicklung auf die Buch- und Elektronik-Branche um keine Einzelfälle handelt, zeigt ein Blick auf die Verteilung der E-Commerce-Umsätze. Längst treten nicht mehr nur reine Online-Unternehmen im Netz als Händler auf, sondern der E-Commerce wird immer stärker von Anbietern mitgeprägt, die ihre Wurzeln im traditionellen Handel haben und erst durch die Entwicklung der vergangenen Jahre zum Einstieg in den Online-Handel gelangten:

Online-Umsätze nach Geschäftsmodell (in Mrd. Euro)


Quelle: bvh

Zwar sind die „Internet Pure Player“ und die – sich immer mehr als Online-Händler verstehenden – traditionellen Katalogversender für rund zwei Drittel der Online-Umsätze verantwortlich. Doch nehmen heute auch stationäre Händler, Hersteller und eBay-Händler (die in vielen Fällen aus dem Stationärhandel stammen) eine wichtige Rolle im E-Commerce ein.

Es zeigt sich damit, dass der E-Commerce schon heute ein gewichtiger Faktor im Handel ist und einen starken Einfluss auf die Entwicklungsstrategie vieler stationärer Einzelhändler ausübt. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Effekt in den kommenden Jahren noch weiter verstärken wird. Des Weiteren wird aber auch deutlich, dass der E-Commerce für viele stationäre Händler selbst zu einer Strategieoption geworden ist, um die Zukunft ihres Geschäfts zu sichern.

Veränderte Kundengewohnheiten

Das Internet hat nicht nur die Handelswelt verändert und mit dem E-Commerce einen neuen Vertriebskanal entstehen lassen. Das Netz hat sich auch tiefgreifend auf unsere Lebenswelt ausgewirkt und schickt sich an, diese weiter grundlegend zu verändern. Noch vor 20 Jahren waren Internet, E-Mail und Handy nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugänglich. Heute dagegen können wir uns gar nicht mehr vorstellen, bei Information und Kommunikation auf die gewohnten digitalen Kanäle zu verzichten.

Die durch die Digitalisierung in Gang gesetzte Veränderung unserer Lebensgewohnheiten beschränkt sich allerdings nicht nur auf den privaten und zwischenmenschlichen Bereich. Auch unser Konsumverhalten hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten massiv verändert. Die beiden weltgrößten E-Commerce-Unternehmen Amazon und eBay gingen 1995 in den USA an den Start und sind seit 1998 bzw. 1999 auch auf dem deutschen Markt vertreten. Laut dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) liegt der Anteil der Deutschen, die Waren im Internet kaufen, inzwischen bei mehr als zwei Drittel der Bevölkerung. Doch auch wer nicht oder nur selten online einkauft, benutzt das Netz zur Kaufvorbereitung. Nirgendwo sonst lassen sich so einfach Produktinformationen abrufen, Kundenmeinungen lesen und Preise vergleichen.

Das Netz besitzt somit schon heute für die Konsumgewohnheiten der Deutschen eine große Bedeutung. Um herauszufinden, welche Anforderungen die Kunden in den kommenden Jahren an den Handel insgesamt sowie an den E-Commerce im Speziellen stellen, hat eBay im vergangenen Jahr das Projekt „Die Zukunft des Handels“ gestartet. Dazu zählt auch eine repräsentative Online-Befragung von mehr als 1.000 Konsumenten, die das Marktforschungsinstitut Innofact durchgeführt hat. Anschaulich zeigt sich dabei, wie das Internet in den nächsten zehn Jahren zum Haupteinkaufskanal der Deutschen werden dürfte:

Welche Einkaufskanäle werden genutzt?


Quelle: eBay-Studie „Zukunft des Handels, 2012

Während bei der von den Befragten individuell zu beziffernden Schwerpunktverteilung der genutzten Einkaufskanäle der Stationärhandel heute noch klar vorne liegt, erwarten die Studienteilnehmer in zehn Jahren eine Umkehrung dieses Verhältnisses. 2022 wäre dann Online der bevorzugte Einkaufskanal, während dem stationären Handel eine ergänzende Rolle zukäme. Eine deutliche Steigerung erwarten sich die Konsumenten auch von der Rolle des mobilen Kanals für ihr Shopping-Verhalten. Die Antworten der Umfrageteilnehmer decken sich dabei weitgehend mit den Prognosen anerkannter Handelsexperten: Diese gehen davon aus, dass Online, Offline und Mobile zunehmend zu einem „No-Line-Handel“ verschmelzen, bei dem die digitale Komponente eine entscheidende Rolle einnimmt.

Das zeigt sich auch daran, dass es bereits heute einer klaren Mehrheit der Befragten wichtig ist, bei einem Händler je nach Bedürfnislage sowohl offline wie auch online bzw. mobil einkaufen zu können:

Wie wichtig ist es, bei einem Händler sowohl offline wie auch online/mobil einkaufen zu können?


Quelle: eBay-Studie „Zukunft des Handels“, 2013

Dabei ist es nicht nur die Gruppe der „Digital Natives“ im Alter von 14 bis 29 Jahren, für die kanalübergreifende Einkaufsangebote eine wichtige Bedeutung einnehmen. Auch bei der mittleren Altersgruppe sowie – sogar in verstärktem Maße – bei den „Silver Surfern“ in der Alterskategorie 50 plus erfahren Händler, die On- und Offline-Einkaufsmöglichkeiten verbinden, eine besondere Wertschätzung. Nach Einschätzung der Befragten wird sich an dieser Situation auch in Zukunft nichts ändern, sondern dürfte der Trend zum Multichannel-Shopping eher noch zunehmen. So sind 86 Prozent der befragten Verbraucher der Meinung, dass es für Händler in der Zukunft immer wichtiger werden wird, ihre Produkte über verschiedene Kanäle (offline/online/mobil) anzubieten.

Des Weiteren gehen die in der eBay-Studie befragten Konsumenten – weitgehend nostalgiefrei – davon aus, dass der E-Commerce nicht nur ihr Einkaufsverhalten verändert, sondern in einigen Branchen insgesamt zu radikalen Umbrüchen führen wird. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Erwartungen, welche Produkte es in zehn Jahren noch im Handel vor Ort geben wird und welche Warengruppen dann bereits komplett in den E-Commerce abgewandert sein werden:

Welche Produkte werden in 10 Jahren...

… aus Ladengeschäften verschwunden sein? … noch in Ladengeschäften verfügbar sein?


Quelle: eBay-Studie „Zukunft des Handels“, 2012

Die Einschätzungen der Konsumenten decken sich dabei weitgehend mit den Beobachtungen der Handelsverbände: Bücher, Medien und Elektronikartikel sind klassische E-Commerce-Güter, während Lebensmittel, Autos und Möbel dem stationären Handel noch eine Weile erhalten bleiben dürften.

Die Ergebnisse der Studie „Die Zukunft des Handels“ belegen damit, dass die Digitalisierung der Handelswelt nicht nur anbietergetrieben ist, sondern auch der Entwicklung der Konsumgewohnheiten entspricht. Gerade vor dem Hintergrund der strukturellen Veränderungen im Einzelhandel sollten daher E-Commerce-Angebote und digitale Innovationen nicht alleine auf die Online-Branche beschränkt bleiben. Vielmehr bietet die On-/Offline-Integration auch dem Handel vor Ort gute Chancen, um am Puls der Zeit zu bleiben und gleichzeitig die Attraktivität seines Angebots weiter auszubauen.

Interview mit Martin Tschopp, Vice President eBay Marketplaces Germany


Abb.: Martin Tschopp eBay, Quelle: eBay

„Die neuen Technologien sind eine Chance für den Einzelhandel“

eBay ist einer der Pioniere und Marktführer des weltweiten E-Commerce. Im Unterschied zu anderen Online-Marktplätzen setzt das Unternehmen bis heute konsequent auf seine Rolle als Vermittler zwischen Verkäufern und Käufern im Internet. Da viele gewerbliche eBay-Händler aus dem stationären Handel stammen und das Unternehmen sich mit neuen Services mehr und mehr auch an den stationären Handel richtet, verfügt das E-Handelsunternehmen auch über eine fundierte Kenntnis der Entwicklung im Einzelhandel. Im Interview erklärt eBay-Deutschland-Chef Martin Tschopp, wie er den gegenwärtigen Wandel im Handel einschätzt und warum eBay jetzt seine Vermittlerrolle für den Handel noch einmal akzentuiert.

Herr Tschopp, der Strukturwandel im Handel setzt nun schon seit mehreren Jahren kleine und mittlere Fachgeschäfte verstärkt unter Druck. Inwiefern nimmt man auch bei eBay diese schwierigen Entwicklungen im stationären Handel wahr?

Tschopp: Es ist eine Realität, dass die Verbraucher heute anders einkaufen als vor zehn Jahren. Diese erste durch das Internet ausgelöste Revolution im Handel hat dem E-Commerce in den vergangenen Jahren starke Zuwächse beschert. Und natürlich hat das gleichzeitig dazu geführt, dass die Anteile des stationären Handels kleiner geworden sind. Viele stationäre Anbieter haben schnell erkannt, dass sie neue Wege gehen müssen, und haben dies auch getan. Eine Vielzahl der kleineren Händler auf dem eBay-Marktplatz kommt aus dem stationären Handel. Diese haben entweder ihr Geschäft auf das Internet verlagert oder betreiben den Handel bei eBay zusätzlich zum stationären Verkauf.

Auf der anderen Seite haben wir es in Deutschland mit einem fulminanten Wachstum der Online-Umsätze zu tun. Gerade in den letzten ein, zwei Jahren schien es noch einmal einen richtigen Push zu geben. Sieht man das auch bei eBay so und welche Entwicklung erwarten Sie in den nächsten Jahren?

Tschopp: Im Moment befinden wir uns mitten in der zweiten durch das Internet ausgelösten Revolution im Handel. Jetzt sind es die mobilen Technologien, die die Spielregeln im Handel grundlegend verändern. Es entsteht ein völlig neues Handelsumfeld. Die Grenzen zwischen Online- und Offline-Handel lösen sich durch die neuen Technologien zunehmend auf und werden bald ganz verschwunden sein. Ein Geschäft kann heute überall dort sein, wo der Kunde es sich wünscht. Darauf muss sich der Handel einstellen. Die mobilen Technologien erfordern von den Unternehmen eine völlig neue Sichtweise auf die verschiedenen Absatzkanäle und deren Integration.

Die Händlerstruktur im E-Commerce ist in den letzten Jahren merklich vielfältiger geworden. Neben reinen Online-Händlern verzeichnen heute auch zum Beispiel stationäre Händler und Hersteller signifikante Online-Umsätze. Beobachten Sie diese Entwicklung auch bei eBay?

Tschopp: Ja, absolut. Immer mehr stationäre Händler nutzen eBay im Rahmen einer Omnichannel-Strategie als zusätzlichen Vertriebskanal. Wir wissen von vielen Einzelhändlern, dass der zusätzliche Vertrieb über Online-Kanäle wie eBay es ihnen überhaupt erst möglich macht, ihr Ladengeschäft weiter zu betreiben. Aber auch immer mehr größere Einzelhändler setzen auf unseren Online-Marktplatz als zusätzlichen Absatzkanal. Die Händler können ihre Produkte über eBay 116 Millionen zusätzlichen potenziellen Kunden weltweit zugänglich machen. Und: eBay bringt als einer der führenden Anbieter im Mobile Commerce die Produkte der Händler auf die Smartphones und Tablet-PCs der Verbraucher.

Wie reif ist der deutsche E-Commerce-Markt Ihrer Meinung nach heute aus Kundensicht? Ist der Einkauf im Internet schon für eine Mehrheit der Konsumenten zu einer Alltäglichkeit geworden?

Tschopp: Drei Viertel der Deutschen betreiben mittlerweile Online-Shopping. Gerade für die junge Bevölkerung, die das Verbraucherverhalten in der Zukunft prägen wird, gehört das Einkaufen über das Internet heute zur absoluten Normalität. Ebenso steigt die Zahl der intensiven Online-Shopper immer weiter an. Und im Rahmen unserer Studie „Zukunft des Handels“ haben immerhin knapp 40 Prozent der befragten Online-Käufer gesagt, dass sie sich vorstellen können, in bestimmten Kategorien Waren zukünftig ausschließlich über das Internet zu beziehen. Dies alles zeigt, dass das Einkaufen über das Internet längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist.

Welche Rolle spielt der Online-Kauf über mobile Geräte heute in Deutschland?

Tschopp: Einerseits ist das Kaufen per Smartphone und Tablet-PC heute in Ländern wie den USA oder Großbritannien stärker verbreitet als in Deutschland. Dazu trägt sicherlich bei, dass Deutschland im Vergleich bei der Verbreitung von Smartphones noch etwas hinterherhinkt. Andererseits wächst der Mobile-Commerce-Markt auch in Deutschland enorm. Wurde bei eBay in Deutschland vor etwa einem Jahr noch etwa alle fünf Sekunden ein Produkt mobil gekauft, wechselt heute schon jede Sekunde ein Artikel mobil den Besitzer. Fakt ist, dass auch die deutschen Verbraucher zunehmend von den Vorteilen des mobilen Shoppings profitieren wollen – Kaufen jederzeit und überall. Mobile Endgeräte passen bequem in jede Hosentasche und doch hält der Nutzer mit ihnen ein komplettes Shopping-Universum in seinen Händen. Verbraucher können Einkäufe zum Beispiel dann erledigen, wenn sie Zeit mit Warten überbrücken müssen. Und sie können genau dann einkaufen, wenn ein Impuls zum Kaufen entsteht. Das ist enorm praktisch, bequem und spart Zeit.

In der letzten Zeit ist eine Reihe von E-Commerce-Innovationen entstanden – um nur einige zu nennen: zum Beispiel Crowdsourcing, Augmented Reality und Mass Customization. Wie gehen die Kunden an diese Innovationen heran: offen oder eher abwartend?

Tschopp: Im Rahmen unserer Studie „Zukunft des Handels“ haben wir uns einige dieser Trends einmal etwas genauer angeschaut. Die Ergebnisse zeigen, dass die Verbraucher solchen Innovationen durchaus offen gegenüberstehen. Jeder vierte Internet-Nutzer kann sich beispielsweise vorstellen, sich in Zukunft per Crowdsourcing an der Auswahl der Produkte für eine Fashion-Kollektion zu beteiligen. Einen virtuellen Spiegel, der Verbrauchern zeigt, wie ein bestimmtes Kleidungsstück in einer anderen Farbe an ihnen aussehen würde, würde etwa die Hälfte der Verbraucher gerne ausprobieren. Ein Großteil der Konsumenten geht allgemein davon aus, dass sich diese und weitere Trends in der Zukunft weiter durchsetzen werden: Mehr als 70 Prozent glauben, dass wir zukünftig mithilfe von Virtual Tagging Mode- artikel leichter online finden werden. Über Fotos von Kleidung, die man in Zeitschriften, Schaufenstern oder auf der Straße gesehen hat, kann man sich damit das Produkt automatisch in anderen Shops sowie in ähnlichen Form- und Farbvarianten anzeigen lassen. Und jeweils 69 Prozent glauben, dass sich der virtuelle Spiegel und die virtuelle Anprobe als Trends im Bereich Fashion weiter durchsetzen werden.

Was bedeutet die rasante Umsatzentwicklung, aber auch die zunehmende Online-Orientierung der Kunden für den stationären Handel? Sehen Sie hier eher eine Chance oder eine Bedrohung?

Tschopp: Ich bin überzeugt davon, dass vor allem diejenigen Einzelhändler, die den neuen Technologien offen gegenüberstehen, eine durchdachte Multichannel-Strategie verfolgen und sich auf das geänderte Informations- und Kaufverhalten der Verbraucher einstellen, von den grundlegenden Veränderungen, die wir im Moment sehen, profitieren werden. Es gibt viele Konzepte, wie sich Online- und Offline-Handel effizient miteinander kombinieren lassen. Unterstützt durch Entwicklungen wie zum Beispiel QR-Code- und Barcode-Scanning oder Geo-Fencing werden die Verbraucher zunehmend zwischen den Absatzkanälen „springen“ und bald selbst nicht mehr unterscheiden können, ob sie nun gerade online, offline oder mobil kaufen. Sie werden im Ladengeschäft Barcodes scannen und mobil Preise vergleichen und dann mobil oder offline kaufen. Oder sie werden Waren über ihr Smartphone bestellen und bezahlen und dann im Ladengeschäft abholen. Die Kanäle werden verschmelzen.

In der einfachsten Variante bedeutet Multichannel die Verbindung von einem stationären Geschäft mit einem Online-Shop. Kann eine solche Standardlösung schon dazu beitragen, die Zukunft eines Handelsunternehmens zu sichern? Oder sollten sich Händler lieber um eine individuelle, ihrem spezifischen Handelsmodell entsprechende Herangehensweise an den Online-Handel bemühen?

Tschopp: Ich glaube nicht, dass es die eine erfolgreiche Lösung gibt. Jedes Geschäft ist individuell, und deshalb muss auch jeder Händler für sich selbst eine individuell zugeschnittene Strategie entwickeln. Eine wichtige Voraussetzung: Das neue Handelsumfeld muss wirklich verstanden werden, um eine sinnvolle Geschäftsstrategie entwickeln zu können. Händler müssen sich beispielsweise bewusst sein, dass der Online-Handel nicht einfach eine Erweiterung des Offline-Geschäfts ist. Online funktioniert völlig anders und braucht zum Beispiel hinsichtlich Pricing und Sortiment eine völlig eigenständige Strategie. Online darf nicht als eine weitere Filiale des Einzelhandelsgeschäfts verstanden werden, sondern muss als ein völlig neuer Vertriebskanal gesehen werden.

Schließlich gibt es auch Händler, die sich weiterhin dem Online-Handel verweigern. Als Alternative zum E-Commerce-Trend setzen einige von ihnen nun auf „Buy Local“-Kampagnen und versuchen auf diese Weise die Konsumenten für ihre Anliegen zu sensibilisieren. Was halten Sie davon?

Tschopp: Aus meiner Sicht kann es nicht die richtige Reaktion auf das veränderte Verbraucherverhalten sein, die Konsumenten sozusagen überreden zu wollen, anders einzukaufen, als es ihren eigentlichen Wünschen entspricht. Das geht an der Realität vorbei. Konsumenten wollen heute über alle Kanäle einkaufen. Das schließt den stationären Handel nach wie vor ein, allerdings ebenfalls die Kanäle Online und Mobile. In unserer „Zukunft des Handels“-Studie haben 74 Prozent der Verbraucher gesagt, dass sie es wichtig finden, die Möglichkeit zu haben, die Ware bei einem Händler sowohl stationär als auch online/mobil erwerben zu können. Dieser Realität sollten sich die Händler stellen. Über Marktplätze wie beispielsweise unseren ist es ohne großen Aufwand und finanzielle Investition möglich, neben der stationären Präsenz auch einen Online-Kanal aufzubauen. Daneben kann man die eigene Offline-Präsenz natürlich auch durch besondere Services wie intensive Beratungsleistungen stärken. Fakt ist aber: Die Verbraucher möchten heute alle Kanäle für den Einkauf nutzen, und darauf müssen sich Händler einstellen.

Welche Zukunft sehen Sie für den stationären Handel? Wie stark wird sich die lokale Einkaufslandschaft in den nächsten zehn Jahren verändern?